Archiv für Juni 12th, 2012

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Pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft

Auch für “Bild” hört der Spaß irgendwann mal auf:

Sie legen Rohrbomben, zünden Autos an, besetzen Häuser. Und jetzt haben sie auch noch die Jagd auf unsere Deutschland-Fähnchen eröffnet!

“Sie”, das sind natürlich die üblichen Chaoten:

Pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft rufen Berliner Autonome zum stadtweiten Flaggen-Klau auf.

WARUM WOLLT IHR UNS AUCH NOCH DIE EM VERMIESEN?

Berlin wieder schwarz-rot-geilOb die Redakteure mit “uns” mal wieder “ganz Deutschland” meinen oder nur “Bild”, bleibt wie so oft unklar, aber zumindest macht die Zeitung keinen Hehl daraus, zu welchem Team sie bei der Fußball-Europameisterschaft hält (s. rechts). Es scheint, als sei es dieser Tage mindestens ebenso schlimm, gar kein Fußballfan zu sein, wie Fan eines anderen Nationalteams. Und am Allerschlimmsten sind natürlich – und damit zurück zu den Berliner Autonomen – die, die aktiv gegen die “schwarz-rot-geile” Partystimmung vorgehen.

Die Berliner Regionalausgabe erklärte gestern, was es heißt, wenn die Autonomen “jetzt” die Jagd auf “unsere” Deutschland-Fähnchen eröffnet haben:

Unter dem Motto “Capture the Flag” (deutsch: “Erbeute die Fahne”) wird seit Freitag dazu aufgerufen, alles zu zerstören, was Schwarz-Rot-Gold ist.

Die drei Männer und eine Frau, die da “vor einem Haufen geklauter Auto-Fähnchen” posieren, müssen in den drei Tagen richtig fleißig gewesen sein:

Warum wollt Ihr uns die EM vermiesen? Autonome rufen zum Flaggen-Klau auf

Andererseits steht das Foto schon seit dem 23. Juni 2010 bei “Indymedia”, was relativ eindeutig bedeutet, dass es sich bei der Beute nicht um aktuelle handelt.

Auch der “Autofähnchen-Ersatzflyer” zum Ausschneiden, von dem “Bild berichtet, ist keine aktuelle Entwicklung:

Das Flugblatt soll über den Stiel eines abgebrochenen Autofähnchens gesteckt werden.

Darauf steht: “Lieber Autofahrer. Ich habe Ihre Nationalfahne entfernt. (…) Sie produziert Nationalismus.”

Ein solches Flugblatt wurde bereits im November 2010 im Blog “Notes Of Berlin” dokumentiert.

Aber noch einmal zurück zur “Bild” im Juni 2012:

Im Internet wurde eine Broschüre veröffentlicht, die den Autonomen konkrete “Handlungsanweisungen” liefert. (…)

Dass sich die Täter mit ihrem Vandalismus strafbar machen, erwähnen sie natürlich nicht…

Nun kann man den Machern der Broschüre (PDF) durchaus vorwerfen, dass sie die strafrechtlichen Konsequenzen herunterspielen. Aber dass sich die Täter strafbar machen, verschweigen die Macher keineswegs. Sie widmen dem Aspekt “Rechtliche Konsequenzen des praktischen Antinationalismus” sogar eine ganze Seite:

Grundsätzlich ist das widerrechtliche Entfernen von Autofähnchen und anderem Fanzubehör nichts weiter als “Diebstahl geringwertiger Sachen” (§ 248a StGB), je nach Entwendungsart dann wohl in Tateinheit mit “Sachbeschädigung” (§ 303 StGB), die jeweils nur auf Antrag eines Betroffenen, z.B. der Eigentümer*innen, verfolgt werden. Das heißt, Autofahrer*innen, die ihr Fähnchen verloren haben und einen Diebstahl vermuten, müssten Anzeige erstatten.

Geschieht der Diebstahl serienmäßig und regen sich besonders viele Patriot*innen nach Lektüre der Boulevardpresse darüber auf, kann die Staatsanwaltschaft auch “wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten” halten (§ 248a). […]

Mit Dank an Uwe V., Thomas, Winz und Interessierter_Leser.

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6 Bier, 4 Würstchen, 1 Anzeige

Manche Dinge sind einfach sicher: die Rente, das Amen in der Kirche oder die sommerliche Kooperation von “Bild” und Lidl, zum Beispiel.

Nach dem “WM-Knaller” (2006), dem “EM-Paket” (2008), dem “WM-Paket” (2010) und dem namentlich nicht näher bezeichneten Paket zur Frauen-Fußballweltmeisterschaft (2011) war es letzten Freitag Zeit für die Ansage “Bitte nicht wieder wählen!” das “EM-Fan-Paket”:

Das ist die perfekte Vorbereitung auf den EM-Start! Im Paket stecken 6 Flaschen Grafenwalder Pils, 1 Paket mit 4 Gebirgsjäger-Rostbratwürsten und eine Deutschland-Autofahne. Einfach den Coupon in der Zeitung ausschneiden, in einer der mehr als 3100 Lidl-Filialen in Deutschland das Paket für 1,99 Euro holen und den Coupon an der Kasse abgeben.

Das mit den Stückzahlen hätte man Joelle (20) vielleicht noch mal genauer erklären sollen, die sich 12 Bier, 16 Würstchen und eine Fahne “geschnappt” hat:

Joelle (20) ist schon voll im EM-Fieber und hat sich gleich ein Fan-Paket geschnappt

Überhaupt hätten wir gedacht, dass sechs Flaschen Bier eigentlich ausreichen sollten, um das mit der Fahne selbständig auf die Reihe zu kriegen, aber so ein Ding fürs Auto kann ja nie schaden — falls man mal überraschend den Bundespräsidenten fahren muss, zum Beispiel.

Doch zurück zum “Fan-Paket”: In mittlerweile guter Tradition hat “Bild” nur den Coupon selbst mit dem Wort “Anzeige” versehen (das allerdings wieder doppelt).

Die Berichterstattung im Vorfeld muss demnach ebenso traditionell wohl als redaktioneller Inhalt angesehen werden:

Mittwoch, 6. Juni, Seite 1:

Freitag gibt

Donnerstag, 7. Juni, Seite 1:

Morgen Fan-Paket von Lidl & BILD holen!

Freitag, 8. Juni, Seite 1:

EM-Paket von BILD & Lidl: 6 Bier, 4 Würstchen, 1 Flagge für 1,99 Euro

Seite 8:

6 Bier, 4 Würstchen, 1 Flagge für 1,99 Euro: Holen Sie sich das EM-Fan-Paket!

Falls Sie sich wegen des Schleichwerbeverdachts beim Deutschen Presserat beschweren wollen: Sparen Sie sich die Mühe!

Zwar hatte der Presserat den “WM-Knaller” aus dem Jahr 2006 noch mit einem “Hinweis” beanstandet (mit einjähriger Verspätung), weil das Wort “Anzeige” fehlte, im vergangenen Jahr wies er eine Beschwerde über den Prosecco-Coupon zur Frauen-Fußball-WM aber schon frühzeitig zurück:

Im Rahmen der Prüfung gelangten wir zu dem Schluss, dass der Beitrag eine zulässige Veröffentlichung über eine gemeinsame Marketing-Aktion von BILD und LIDL darstellt. Der Leser kann sofort erkennen, das BILD hier mit dem Discounter zusammenarbeitet und im Rahmen einer Kooperation den Lesern ein spezielles Angebot offeriert. Solche Marketing- Aktionen können vorgestellt werden, wenn dabei die Regelungen der Ziffer 7 Pressekodex beachtet werden. Hier heißt es im letzten Satz: “Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.” Dieses Eigeninteresse wird nach unserer Auffassung auf den ersten Blick deutlich, so dass keine Verwechslungsgefahr mit einem redaktionellen Beitrag besteht. Der Leser kann die Veröffentlichung als Beitrag über eine Marketing-Aktion erkennen. Ihm ist daher klar, dass es sich nicht um eine unabhängige redaktionelle Veröffentlichung handelt.

Na dann: Prost!

Thüringer Allgemeine, Roma, ZDF-Strand

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Roma, aber glücklich”
(taz.de, Paul Hockenos)
Paul Hockenos findet es “höllisch schwierig”, über Sinti und Roma zu schreiben, ohne in Klischees abzugleiten. “Wer allerdings über die Not hinausschaut, findet viele integrierte Roma aus der Unter- und Mittelschicht, die es aus dem Getto herausgeschafft haben. Wer schreibt über sie? Niemand. Es wäre schließlich nicht fesselnd genug. Das ist nicht alles: Es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl von Slowaken, Rumänen, Ungarn und anderen, die genauso arm sind.”

2. “Brief der Redaktion der Thüringer Allgemeinen an ihren Chefredakteur Paul-Josef Raue”
(thueringerblogzentrale.de)
Die Redakteure der “Thüringer Allgemeinen” fordert von ihrem Chefredakteur Paul-Josef Raue unter anderem die “Wiedereinführung einer täglichen Redaktionskonferenz”. “Redaktionskonferenzen, wie sie in allen relevanten Zeitungen zur bewährten Praxis gehören, wurden formlos abgeschafft. Redaktionelle Belange werden allenfalls im kleinsten Kreis Ihres Stellvertreters und der beiden Desk-Chefs besprochen. In den Telefonrunden des Regional-Tisches mit den Lokalredaktionen wird diktiert statt kommuniziert.”

3. “Am ZDF-Strand”
(fr-online.de, Christoph Albrecht-Heider)
“Wie im Fernsehgarten, aber nicht wie bei einer Fußball-EM” fühlt sich Christoph Albrecht-Heider angesichts des von Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn gestalteten Rahmenprogramms auf Usedom. “Wer sich für Sport interessiert, sieht mit dem Ersten besser.” Siehe dazu auch “Twitter-Gemeinde sehnt sich bei der EM 2012 nach Kerner und Co beim ZDF” (derwesten.de, Sebastian Weßling), “ZDF: Massive Ton-Probleme beim EM-Einstand” (dwdl.de, Alexander Krei) und “Kein guter Tag für den ZDF-Kommentator Thomas Wark” (mediensalat.info, Ralf Marder)

4. “Drei gute Gründe gegen Leserreporter”
(bernetblog.ch, Kathrin Herrmann)
“1. Realität wird zur Unterhaltung, 2. Denn sie wissen nicht, was sie tun, 3. Schneller, höher, weiter: Leserreporter sind Teil der wachsenden Beschleunigung im Journalismus.”

5. “Warum ich meine Statistiktools ab sofort deaktiviert habe”
(schmalenstroer.net)
“Ich habe mich dazu entschlossen, hier die Statistikfunktionen abzuschalten und ab sofort auch nicht auf die Followerzahlen und die Facebook-Likes auf meinen Seiten zu achten. Ich bin gespannt, wie dies mein Blog verändern wird.”

6. “Fußballspiele live selbst kommentieren – oder anderen dabei zuhören”
(marcel-ist-reif.de)