Archiv für Juni 1st, 2012

Bild  

Royal Mail from Wagner

Es ist eine Art Service am Leser. Immer wenn in “Bild” ein Beitrag erscheint, der noch schlechter recherchiert ist, als es der ohnehin schon niedrige Standard des Blattes erwarten lässt, dann wird dieser Beitrag mit einem Warnlogo versehen, damit der Leser gleich weiß, dass er den Inhalt nicht für voll nehmen darf. Dieses Warnlogo sieht so aus:

Liebe Queen Elizabeth II,

Immerhin, glaubt Wagner, der der englischen Königin anlässlich ihres Thronjubiläums schreibt, zu wissen, was sich gehört:

ich weiß, ein Brief an Sie hat mit “Madame” zu beginnen. “Liebe Queen” ist ungebührlich, zu nah.

Äh, nein. Ein formeller Brief an die Queen hat mit “Your Majesty” oder “Ma’am” bzw. “Madam” zu beginnen. Allerdings geht es laut der offiziellen Webseite der englischen Monarchie auch anders:

This traditional approach is by no means obligatory. You should feel free to write in whatever style you feel comfortable.

Wagner fährt in seinem ganz eigenen “style” fort:

Madame, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem diamantenen Thron-Jubiläum. Morgen, am 2. Juni vor 60 Jahren, wurden Sie in der Westminster Abbey zur Königin gekrönt. Sie waren 26. Heute sind Sie immer noch Königin.

Immerhin, wir wurden ja gewarnt (s.o.). Richtig ist, dass Elisabeth II. in diesem Jahr 60 Jahre als Königin regiert und aus diesem Grunde wird morgen auch das 60-jährige Thronjubiläum gefeiert. Königin ist sie aber bereits seit dem 6. Februar 1952, dem Todestag ihres Vaters. Offiziell gekrönt wurde sie erst über ein Jahr später am 2. Juni 1953, also morgen vor 59 Jahren.

Oh, und apropos “Sie waren 26”: Elisabeth II. war 25, als sie am 6. Februar 1952 Königin wurde, und 27, als sie gekrönt wurde.

Wagner schließt nach einer Aufzählung, was die Queen schon alles erlebt hat, und der eher befremdlichen Frage “Ich würde so gern wissen, wonach Sie riechen. Nach Rosen, Orangen, Zitronen?” so:

Herzlichst,

oder Englisch:

Yours sincerely,

F. J. Wagner

Die formal korrekte Schlussformel wäre übrigens diese gewesen:

I have the honour to be, Madam, Your Majesty’s humble and obedient servant

Mit Dank an Soe und Vera H.

Vision, Ihr Luschen!

Zugegeben: Das mit Europa, das ist unübersichtlich. Es gibt die Europäische Union (EU), die auf die Europäischen Gemeinschaften (nicht zu verwechseln mit der Europäischen Gemeinschaft) zurückgeht, den Europarat (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat oder dem Rat der Europäischen Union), den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof der Europäischen Union, obwohl genau das immer wieder geschieht), das Europäische Parlament und die Europäische Kommission, die wiederum Teil der EU sind, außerdem die Europäische Rundfunkunion, die UEFA und die Band Europe. Da kann man schon mal durcheinander kommen.

Soweit wir selbst vor rund anderthalb Jahren, als es mal wieder darum ging, dass nicht alles, wo “Europa” drauf steht, auch gleichzeitig mit der Europäischen Union (EU) zu tun hat. Diesmal wird es noch komplizierter, denn nicht auf allem, was im weiteren Sinne mit Europa zu tun hat, steht auch “Europa” drauf.

Die oben bereits eingeführte Europäische Rundfunkunion (EBU) richtet seit 1956 alljährlich eine Veranstaltung aus, die seit 1992 offiziell “Eurovision Song Contest” heißt und am vergangenen Samstag im aserbaidschanischen Baku stattfand. Auch in den Jahren davor trug sie schon oft diesen Titel, auch wenn sie im Volksmund immer noch als “Grand Prix Eurovision de la Chanson” oder schlicht “Schlager-Grand-Prix” bekannt ist. Nie, hingegen, hieß sie “European Song Contest” — was auch ziemlicher Quatsch wäre, da zu den EBU-Mitgliedern auch Staaten in Nordafrika und Vorderasien gehören.

Auftritt deutsche Medien:

“Express”, 15. Mai:

In Baku (Aserbaidschan) gab es bei einer Demo von Regierungsgegnern gegen Zwangsenteignungen Verletzte und 10 Festnahmen. In Baku sind seit 2009 4000 Gebäude abgerissen worden. In der Stadt findet am 26. Mai der European Song Contest statt.

“Hamburger Abendblatt”, 16. Mai:

Ob die gefühlvolle Ballade “Standing Still” des deutschen Teilnehmers Roman Lob, 21, ankommt, wird vom Umfeld abhängen. Das Lied, das der englische Ausnahmekünstler Jamie Cullum komponierte, hat unbestritten internationales Pop-Potenzial, so wie der Song “Euphoria” der Schwedin Loreen, die bei den englischen Buchmachern als Favoritin geführt wird – beim European Song Contest 2012, diesmal eben aus Absurdistan.

tagesspiegel.de, 16. Mai:

Aserbaidschan: Vor dem European Song Contest in Baku

“Rheinische Post”, 19. Mai:

Bei der Vorbereitung für den European Song Contest in Aserbaidschan war das Know-how von Gardemann-Arbeitsbühnen gefragt. In Alpen sitzen die Fachberater für Auslandseinsätze.

“Welt am Sonntag”, 20. Mai:

Welt am Sonntag: Herr Schreiber, Herr Urban, haben Sie die Gewinner des vergangenen European Song Contest in Düsseldorf noch in Erinnerung?

(In dem Interview mit ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber und dem ESC-Kommentator der ARD, Peter Urban, wird den beiden ESC-erfahrenen Gesprächspartnern mehrfach die Formulierung “European Song Contest” in den Mund gelegt.)

“Nürnberger Zeitung”, 21. Mai:

Schon vor dem Halbfinale des European Song Contest hat sich die NZ die wichtigsten Beiträge im Internet angesehen.

AFP, 24. Mai:

Baku:
– Zweites Halbfinale beim European Song Contest (21.00 Uhr)

Reuters, 24. Mai ff:

NEU-ULM/ULM – Aktionen von Amnesty International in NEU-ULM (10:40) unter dem Motto “0 Points für Menschenrechte in Aserbaidschan” anlässlich des European Song Contest und in ULM (11:30) unter dem Motto “Hände hoch für Waffenkontrolle – Für einen starken ‘Arms Trade Treaty'”

“Handelsblatt”, 25. Mai:

In Aserbaidschans Hauptstadt Baku findet morgen das Finale des European Song Contest (ESC) statt.

n-tv.de, 25. Mai:

Oslo oder Düsseldorf mögen sich für den European Song Contest mächtig ins Zeug gelegt haben – gegen das, was in Baku aufgefahren wird, waren das allenfalls Sandkastenspiele.

“Westfälische Nachrichten”, 25. Mai:

Peter von Wienhardt ist Pianist und Komponist – aber der Professor an der Musikhochschule Münster hat auch ein gutes Gespür für die Chancen der Kandidaten beim European Song-Contest.

br.de, 25. Mai:

In Baku, der Haupstadt von Aserbaidschan, findet in diesem Jahr der European Song Contest statt. Die Opposition des Landes nutzt die Chance, um die Stimme gegen das autoritäre Regime zu erheben.

Auch an diesem Samstag werden wieder Millionen Fans des European Song Contests (ESC) vor den Fernsehern sitzen, um sich mehr oder weniger gelungene Lieder und deren Interpreten anzuschauen. Mit Spannung verfolgen die Menschen die Entscheidung, wer das Finale gewinnt.

“Spiegel Online”/”Perlentaucher”, 25. Mai:

In einem Pro und Contra widmen sich Jan Feddersen und Stefan Niggemeier der Frage, wie deutsche Journalisten vom European Song Contest aus Aserbaidschan berichten sollen und ob es Heuchelei wäre, wenn sie über dortige Menschenrechtsverletzungen schreiben.

(Im verlinkten Artikel auf taz.de schreiben Feddersen und Niggemeier nur vom “Eurovision Song Contest”.)

“Spiegel Online”/”Perlentaucher”, 26. Mai:

So langsam scheint es, als müsse man den European Song Contest ernst nehmen, staunt Wolfgang Michal auf Carta.

(Im verlinkten Artikel auf carta.info schreibt Wolfgang Michal auch nur vom “Eurovision Song Contest”.)

“Mannheimer Morgen”, 26. Mai:

Mehr als 100 Millionen Zuschauer werden heute Abend vor dem Fernseher sitzen, wenn der European Song Contest ins Finale geht.

“Berliner Morgenpost”, 26. Mai:

Die Berichterstattung in den deutschen Medien zur Lage Aserbaidschans kritisiert der PR-Berater. Viele Journalisten würden nicht fair und objektiv recherchieren. Beispielsweise bei den Umsiedlungen der Menschen, die dem Bau der neuen Konzerthalle für den European Song Contest weichen mussten.

dapd, 27. Mai:

Hamburg (dapd). NDR-Intendant Lutz Marmor hat Anke Engelke für ihre kritischen Äußerungen beim Finale des European Song Contest gelobt. “Ein besonderes Kompliment hat sich Anke Engelke verdient”, erklärte Marmor am Sonntag. “Bei der Punktevergabe live von der Grand-Prix-Party in Hamburg hat sie genau den richtigen Ton getroffen. Danke, Anke!”

(In seiner Pressemitteilung hatte der NDR selbstverständlich “Eurovision” geschrieben.)

neuepresse.de, 27. Mai:

ESC: Schweden gewinnt European Song Contest in Baku

“Euphoria” in Baku: Zum fünften Mal gewinnt Schweden den Eurovision Song Contest. Die Sängerin Loreen ist die Siegerin des wohl politisch brisantesten Grand Prix der Fernsehgeschichte.

dapd, 27. Mai:

Spektakulärer Auftritt von Anke Engelke beim European Song Contest (ESC): Bei der Verlesung der deutschen Punktwertung für die anderen ESC-Teilnehmer kritisierte sie von der Hamburger Reeperbahn aus vor einem 100-Millionen-Publikum die Regierung des ESC-Gastgeberlandes Aserbaidschan. (…)

Nach dem ESC-Erfolg von Sängerin Loreen darf Schweden den Eurovision Song Contest 2013 ausrichten.

“Berliner Morgenpost”, 27. Mai:

Der 57. European Song Contest bietet Unterhaltung und manche Überraschung

dapd, 29. Mai:

Die 28-Jährige ist laut eigener Aussage noch zu haben. “Ich bin Single, leider auch sehr schüchtern.” Loreen gewann am Samstag beim European Song Contest in Baku mit dem Lied “Euphoria”.

“Spiegel Online”/”Perlentaucher”, 29. Mai:

Und: Gerrit Bartels stellten sich beim European Song Contest die Nackenhaare auf: “So viel unfassbare schlechte Musik, die da über drei Stunden zu hören war!”

(Auch hier gilt natürlich: Gerrit Bartels schreibt im verlinkten Artikel auf tagesspiegel.de nur vom “Eurovision Song Contest”.)

dpa, 30. Mai:

Aserbaidschan: Anschläge vor European Song Contest verhindert

Baku/Moskau (dpa) – Aserbaidschanische Sicherheitskräfte haben nach eigenen Angaben vor dem Finale des Eurovision Song Contest (ESC) in der vergangenen Woche mehrere Terroranschläge verhindert.

n-tv.de, 31. Mai:

Jetzt, wo der European Song Contest vorbei ist – haben Sie Angst, dass die Regierung sich rächen wird für all die Kritik, die Sie veröffentlicht haben, und für all die Proteste, die Sie und andere organisiert haben?

Bild, EBU, Holocaust

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Verschweigen, was ist”
(freitag.de, Jakob Augstein)
Jakob Augstein schreibt angesichts des anstehenden 60. Geburtstags über die Rolle, die die “Bild”-Zeitung heutzutage spielt. Er streift dabei unter anderem das Verhältnis von “Bild” und “taz”, die Arbeit von BILDblog-Mitbegründer Stefan Niggemeier und die Bemühungen von “Bild”, “ganz normalen Journalismus” zu machen: “Das macht die Zeitung noch gefährlicher. Aber nicht wegen der Artikel, die dort erscheinen. Sondern wegen derjenigen, die nicht erscheinen.”

2. “Vorstoß für ESC-Ausschluss”
(blog.prinz.de, Matthias Breitinger)
Der Eurovision Song Contest könnte vor einem Umbruch stehen, denn ihr Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion (EBU), plant angeblich Reformen: “Eine Reihe von Mitgliedern der Rundfunkgemeinschaft will nicht länger hinnehmen, dass in manchen EBU-Ländern die Meinungs- und Pressefreiheit und demokratische Mindeststandards verletzt werden und die EBU nichts unternehmen kann. Neue Regeln sollen etwa die Möglichkeit erlauben, solchen Ländern die Teilnahme am Eurovision Song Contest zu verweigern.” Treffen könnte es z.B. Ungarn und den diesjährigen ESC-Ausrichter Aserbaidschan.

3. “Stille Post mit Holocaust”
(pannor.de, Stefan Pannor)
Am Montag hat Stefan Pannor bei “Spiegel Online” darüber geschrieben, dass in der aktuellen Ausgabe von “Micky Maus Comics” in einer Sprechblase das Wort “Holocaust” relativ unmotiviert auftaucht. Nun dokumentiert er, wie die Geschichte ihre Runde um die Welt machte — und wie sie sich dabei veränderte.

4. “ZEIT Online und die Urheber”
(blogonade.de, Lukas Bischofberger)
Lukas Bischofberger entdeckt auf “Zeit Online” ein Foto, das er selbst bei photocase.de hochgeladen hatte. Gemäß der dortigen Regeln hätte “Zeit Online” ihn entweder als Urheber nennen oder sehr viel mehr Geld bezahlen müssen. Getan haben sie offenbar beides nicht. (Nachtrag: Der Hinweis auf die Urheber war nur gut versteckt.)

5. “Schöne Heimat Internet”
(dasmagazin.de, Astrid Herbold)
Kurzporträts von drei Menschen, die im Internet “wohnen”: Patricia Cammarata, Gero Nagel und Felix Schwenzel.

6. “Der Kuzy”
(stefan-niggemeier.de/blog)
Stefan Niggemeier flicht Stefan Kuzmany, Redakteur bei “Spiegel Online”, einen Kranz. Kuzmany habe eine neue journalistische Textgattung erschaffen: den sich von sich selbst distanzierenden Text.