Archiv für September 22nd, 2010

Aus trüben Quellen fischen verboten

Das Landgericht [Berlin] untersagte der Printausgabe von BILD mit Hinweis auf die Privatsphäre des Ministers, über den Fall zu berichten.

So steht es – surprise, surprise! – auf Bild.de und das ist natürlich ganz praktisch für so einen Verlag: Wenn der Printausgabe verboten wird, über das Privatleben eines Politikers zu berichten, kann die Onlineausgabe einfach weitermachen.

Allerdings hatte Bild.de bei der angeblichen Enthüllung am Montag noch von “Dokumenten, die BILD.de vorliegen” gesprochen und so ist es kein Wunder, dass der Ursprungsartikel nach einer weiteren Einstweiligen Verfügung auch aus dem Online-Auftritt verschwunden ist. Ein neuerer Artikel ist aber noch online.

Doch worum ging es eigentlich? Am Montag berichteten “Bild” und Bild.de von Vorwürfen gegen den Brandenburgischen Innenminister Rainer Speer, der in den 1990er Jahren an einem Sozialbetrug beteiligt gewesen sein soll. Die beiden Medien brachten dazu einige angebliche Details aus dem angeblichen Privatleben des Politikers und beriefen sich dabei auf angebliche E-Mails, die ihnen “vorliegen”. “Bild” verstieß damit gegen eine Einstweilige Verfügung, die Speers Anwalt Johnny Eisenberg nach eigenen Angaben vorsorglich erwirkt hatte, und die der Axel Springer AG untersagte, die Geschichte zu verbreiten. Da die BILD digital GmbH & CO. KG als Herausgeberin von Bild.de von dieser ersten Verfügung nicht betroffen war, erwirkte Eisenberg gestern eine weitere, so dass auch Bild.de jetzt nicht mehr über den Fall berichten darf.

Ob diese E-Mails überhaupt echt sind, ist nicht ganz klar, aber auch zur Herkunft konnte der Anwalt der Axel Springer AG bei der gestrigen Verhandlung vor dem Berliner Landgericht nichts sagen — er selbst bezeichnete die Quellen als “trübe”. Andererseits war Rainer Speers Laptop vor rund einem Jahr gestohlen worden, wie die “Märkische Allgemeine” berichtet:

Ermittlungen der Polizei, die den Laptop sogar orten wollten, führten ins Leere. Zuletzt soll das Gerät bei Motorradrockern gelandet sein, als für das Datenmaterial nach Abnehmern bei der Presse gesucht wurde.

Offenbar wurde man bei der Bild-Zeitung fündig, weshalb es gestern vor der Pressekammer des Landgerichts Berlin zu einer Verhandlung kam.

Mit Dank auch an ms.

Absturz mit Ansage

Die Sonne ist heute in Berlin um zwei Minuten später aufgegangen als gestern. Erstaunlicherweise war das aber nicht einmal “Spiegel Online” einen unheilschwangeren Artikel wert. Das könnte daran liegen, dass die Entwicklung abzusehen war. Das allein erklärt die fehlenden Schlagzeilen aber nicht.

Heute morgen ist der Aktienkurs der Deutschen Bank eingebrochen, und das Bemerkenswerte daran ist, dass man das gestern schon wissen konnte. Die Aktie wird nämlich seit heute ohne das Bezugsrecht auf die neuen Aktien gehandelt, die das Unternehmen ausgeben wird, und der Kurs liegt um den Wert dieses Bezugsrechtes niedriger. Deshalb war klar, dass unabhängig von irgendwelchen anderen Einflüssen allein aus technischen Gründen die Aktie um diesen Betrag niedriger in den Handel gehen würde, das macht über acht Prozent aus.

Aktien-Experten wussten das. Und zum Beispiel die “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hat es ihren Lesern freundlicherweise vorab schon erklärt; “Der Aktionär” riet online vor der Börsenöffnung: “Aktionäre der Deutschen Bank sollten beim Anblick des heutigen Kurses nicht in Panik verfallen.”

Nun sind aber, anders als man vielleicht glauben könnte, Journalisten, die über Aktien berichten, nicht unbedingt Aktien-Experten. Und wer ahnungslos auf die reinen Zahlen schaut, gerät schnell und ganz unnötig ins Hyperventilieren.

Wie die Nachrichtenagentur AFP. Die meldete heute morgen um 9.22 Uhr:

Deutsche-Bank-Aktien stürzen nach Gewinnwarnung acht Prozent ab

Frankfurt/Main, 22. September (AFP) – Die Aktien der Deutschen Bank sind am Mittwoch nach einer Verlustwarnung des Konzerns vom Vortag massiv abgestürzt. Die Papiere des Konzerns verloren an der Deutschen Börse in Frankfurt am Main kurz nach Handelsstart über acht Prozent. Deutschlands größte private Bank hatte am Dienstag mitgeteilt, dass sie für das dritte Quartal von Juli bis September mit einem Verlust rechnet. (…)

Noch einmal: Der “Absturz” war schon am Tag vorauszusehen und er hatte nichts mit der Gewinnwarnung zu tun.

Doch obwohl Reuters bereits eine halbe Stunde zuvor den Abschlag von 8,8 Prozent berichtet und richtig eingeordnet hatte, wurde die sensationsheischende Falschmeldung von AFP mit der branchenüblichen Besinnungslosigkeit von den Online-Medien übernommen. “Spiegel Online” meldete aufgeregt:

Aktie tief im Minus: Anleger strafen Deutsche Bank ab

An der Frankfurter Börse spekulieren die Investoren massiv gegen die Deutsche Bank: Nachdem das Institut vor einem Verlust warnen musste, fiel die Aktie am Mittwochmorgen um bis zu acht Prozent in die Tiefe. Bereits am Vortag war der Kurs abgestürzt.

Frankfurt am Main – Aktien der Deutschen Bank sind am Mittwoch nach einer Verlustwarnung vom Vortag massiv abgestürzt. Der Konzern rechnet für das dritte Quartal mit einem negativen Ergebnis. Diese Nachricht gab das größte deutsche Geldhaus bereits am Dienstag bekannt – woraufhin der Aktienkurs um rund fünf Prozent fiel. Doch auch am Mittwochmorgen ist noch keine Erholung in Sicht. Im Gegenteil: Die Papiere notierten am Vormittag zeitweise mit rund acht Prozent noch kräftiger im Minus.

“Welt Online” titelte: “Nach Verlustwarnung: Deutsche-Bank-Aktien stürzen in den Keller”, die Internetableger von “Stern” und “Rheinischer Post” schrieben: “Nach Gewinnwarnung: Deutsche-Bank-Aktien stürzen acht Prozent ab”.

Es dauerte bis 15:51, bis AFP in einer Meldung den Sachverhalt richtig darstellte, allerdings ohne die Falschmeldung vom Morgen explizit zu korrigieren. Aber auch “Welt Online” und “RP-Online” verzichteten darauf, den Fehler ihren Lesern zu erklären, und verbesserten nur klammheimlich ihre Artikel. “Spiegel Online” hat seiner neuen Fassung, die plötzlich harmlos “Bezugsrechtehandel drückt Aktienkurs” heißt, immerhin einen Hinweis auf den früheren Fehler hinzugefügt.

Beim Rumpfonlineangebot des “Stern” steht natürlich weiterhin die alte Falschmeldung. Rechnet man den rein technischen Kursrückgang heraus, hat die Deutsche-Bank-Aktie heute übrigens sogar an Wert gewonnen.

Mit Dank an Stefan K.!

Foto: Wikipedia

Creative Commons-Lizenzen sind eigentlich toll für Redaktionen: Tausende Fotografen stellen ihre Werke im Internet kostenlos zur Verfügung und wollen nicht viel mehr als ein bisschen Anerkennung. Ein besonderer Schatz ist das Bilderarchiv der Online-Enzyklopädie Wikipedia, die “Wikimedia Commons“. Hier findet man über sieben Millionen Dateien, die jedermann kostenlos nutzen darf — sogar für kommerzielle Zwecke. Allerdings muss man einige Bedingungen erfüllen:

Dies sind im wesentlichen:

  • der Autor muss genannt werden,
  • die Lizenz muss genannt werden, so dass jeder Leser sehen kann: dieses Bild darf er selbst kostenlos weiter nutzen.

Die Umsetzung im Pressealltag sieht jedoch etwas anders aus. So bebildert die “Stuttgarter Zeitung” einen Artikel über den ehemaligen hessischen Regierungssprecher Dirk Metz so:

Neuer Sprecher für Mappus: Metz will Meinungstrend drehen - Foto: Wikimedia Commons

Der Fehler wird so häufig gemacht, man kann ihn einen Klassiker nennen: Wikimedia Commons ist keinesfalls der Autor, lediglich die Fundstelle des Bildes. Der Fotograf heißt – wie man unschwer der Bildbeschreibungsseite entnehmen kann – Armin Kübelbeck und er hat sein Bild unter die Lizenz “Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported” – oder kurz: cc-by-sa – gestellt. Damit auch jeder nachvollziehen kann, was darunter zu verstehen ist, sollte möglichst ein Link auf die Lizenz gesetzt werden. Ein korrekter Lizenzhinweis sähe deshalb zum Beispiel so aus:

Foto: Armin Kübelbeck unter cc-by-sa

Ein wenig mehr Arbeit hat sich die “Kölnische Rundschau” bei einem Artikel über aussterbende Arten gemacht:

Die Gletscher rund um den Globus schmelzen. (Bild: Ben W. Bell/wikimedia)

Der Autor wird genannt, auch ein rudimentärer Hinweis auf die Fundstelle fehlt nicht — allein: Wo ist die Lizenz? Woher soll der Leser wissen, dass er das Bild kostenlos weiter verwenden darf? Korrekt könnte die Bildunterschrift daher lauten:

Die Gletscher rund um den Globus schmelzen. (Bild: Ben W. Bell/wikimedia unter cc-by-sa).

Etwas mehr Aufmerksamkeit erfordert die im Artikel verlinkte Fotogalerie: Die Redakteure der “Kölnischen Rundschau” bedienten sich hierfür auch bei Fotografen, die ihre Bilder in der Bilderbörse Flickr eingestellt und nicht zur kommerziellen Verwendung freigegeben hatten. Doch hier scheint das Motto zu gelten: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Schon fast korrekt schaffte es die Online-Redaktion der “Frankfurter Rundschau” ein Bild zur Illustration eines Artikels über den ermordeten ukrainischen Journalisten Georgi Gongadse zu verwenden:

‘Gedenktafel

Name, Fundstelle, CC-Lizenz – aber welche? Es gibt mehrere Abarten der CC-Lizenz, die mehr oder minder strenge Vorschriften für die Weiterverwendung machen. Nur vier Buchstaben und ein Link fehlen, damit die “Frankfurter Rundschau” vielen Kollegen eine Nase drehen kann. Die korrekte Bildunterschrift lautete dann:

Gedenktafel in Kiew für “Journalisten, die ihr Leben für die Wahrheit ließen”.
Foto: Elke Wetzig/wikipedia/cc-by-sa



Nachtrag, 22. September, 19 Uhr
: Die Stuttgarter Zeitung hat inzwischen nachgebessert. Der Lizenzhinweis lautet jetzt — fast wie von uns vorgeschlagen — so:

Foto: Armin Kübelbeck unter cc-by-sa

Alleine der Link auf die Lizenz fehlt immer noch. Dies mag freilich am Redaktionssystem liegen: nicht jedes System lässt in Bildunterschriften Links zu.

Lörrach, Stuttgart21, Mario Basler

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Bild-Zeitung-Lüge zur Blockadenacht im Stuttgarter Schlossgarten”
(buntgrau.de, Jo Schwarz)
Jo Schwarz dementiert den “Bild”-Artikel “Sturz-Gefahr für Radler durch S21-Barrikaden”. “Es gab keine ‘lebensgefährliche Falle für Radfahrer’, da die Blockade von der Seite ‘Schillerstraße’ durch ein Absperrgitter und einen Pylonen gesichert war.”

2. “Die Textbausteine der Gewohnheitsheuchler”
(achinger.com, Till Achinger)
Stern.de: Die Empörung von Felix Disselhoff 2010 über Kommentare zum Amoklauf von Lörrach (BILDblog berichtetete) besteht aus ähnlichen Formulierungen wie die Empörung von Gerd Blank 2009 nach dem Amoklauf von Winnenden.

3. “Lörrach: Der publizistische Amoklauf der Exekutive”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Wolfgang Messer glaubt, dass es bei Staatsanwälten zunehmend in Mode ist, “sich durch übereilte und unnötig detaillierte Veröffentlichungen entweder als Behörde insgesamt bei den Medien beliebt zu machen oder einfach das individuelle Geltungs- und Ruhmesbedürfnis zu befriedigen.”

4. “Kickwelt-Flop der Woche: Mario Basler (BILD-Experte)”
(kickwelt.de)
Am 17. August 2010 glaubte Mario Basler, dass Shinji Kagawa in der Bundesliga weggeweht wird: “Der kleine Racker muss sich erst mal daran gewöhnen, dass Tauben im Ruhrpott keine Delikatesse sind. Und dass es in der Bundesliga immer schön auf die Stäbchen gibt…”. Der bei Borussia Dortmund unter Vertrag stehende japanische Fußballspieler erzielte bisher in vier Spielen drei Tore.

5. “ITV embarrassed by report of polar bear washed up on beach”
(telegraph.co.uk, Anita Singh, englisch)
Ein angeblilch in Bude (Cornwall) angeschwemmter Eisbär stellt sich bei näherer Inspektion als Kuh heraus. Zuvor hieß es: “The bear comes from the Arctic Circle and an investigation is under way as to how it could have ended up there.”

6. “Medien ohne Computer: ‘Schreiben war beschissen'”
(medienzeitmaschine.wordpress.com)
Die Medienzeitmaschine blickt auf die Arbeitsbedigungen von Medienmenschen in den 1980er-Jahren zurück.