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Axel Springer gibt sich neue alte Grundsätze

Wenn wir hier im BILDblog über “Bild” oder die “Welt” oder ein anderes Blatt aus dem Axel-Springer-Verlag schreiben, gibt es bei Facebook und Twitter häufiger mal Antworten wie “Ach, die müssen ja positiv über Israel schreiben” oder “Die Mitarbeiter haben doch eh in ihren Verträgen stehen, dass sie die USA loben müssen”.

Ganz so ist es nicht. Es gibt aber die sogenannten “Unternehmensgrundsätze” oder “Essentials” im Axel-Springer-Verlag. Diesen sind die Mitarbeiter, also auch die Redakteure und Journalisten, verpflichtet. Gestern wurden die “Grundsätze der Unternehmensführung” bei der Hauptversammlung des Konzern erneuert. Man habe sie “etwas grundsätzlicher formuliert, damit international nachvollziehbarer”, und sprachlich vereinfacht, sagte der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner in seiner Rede (Videomitschnitt der Hauptversammlung, ab Minute 20:22).

Die Springer-“Unternehmensgrundsätze”, die Axel Springer 1967 eingeführt hat, wurden bereits mehrfach geändert. Nach der deutschen Wiedervereinigung zum Beispiel und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (die Döpfner in seiner Ansprache auf den “9. September” umdatierte). Die erneute Änderung sei vor allem eine Folge der Internationalisierung des Konzern. So sei beispielsweise die Passage zu Israel und dem jüdischen Volk geändert worden, weil die bisherige Version “nicht ganz plausibel für Kollegen” sein könnte, “die mit dem Holocaust entweder nichts zu tun haben oder ihn auf der Opferseite erlebt haben”.

Hier die Änderungen (PDF) im Überblick:

Bisherige Grundsätze Neue Grundsätze
Das unbedingte Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas. Wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und ein vereinigtes Europa.
Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes. Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel.
Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft. Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein.
Die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus. Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus ab.

“Also Mädels, tut ihm den Gefallen”

In den USA, aber auch anderswo auf der Welt soll das sogenannte Stealthing ein neuer, grässlicher Trend sein: Beim eigentlich einvernehmlichen Sex zieht der Mann während des Geschlechtsverkehrs heimlich das Kondom von seinem Penis. Abgesehen von den damit verbundenen Risiken, wie sexuell übertragbaren Krankheiten und — wenn der Sexualpartner eine Frau ist — ungewollten Schwangerschaften, handelt es sich dabei um eine Form eines sexuellen Übergriffs. Rechtsexperten fordern, Gesetze anzupassen und Stealthing als Straftat zu behandeln. In der Schweiz wurde Anfang des Jahres ein Mann wegen Vergewaltigung verurteilt, nachdem er ohne vorherige Einwilligung der Frau beim Sex das Kondom abgelegt hat.

Bild.de hat am Dienstag auch über das Thema Stealthing berichtet. Die Redaktion macht schon in der Überschrift klar, was es davon hält:

Wenn Mann beim Verkehr unbemerkt das Gummi runterzieht - Gefährlicher Sex-Trend 'Stealthing'

Und auch der erste Satz des Artikels ist eindeutig:

Es ist dreist, hochgradig gefährlich — und ein Fall für die Gerichte!

Weil es in dem Text ja um Kondome, oder genauer: um Keine-Kondome, geht, hat Bild.de noch eine Packungsbeilage mit dem Titel “Infos Kondom-Anwendung” dazugelegt. Neben Hinweisen zur korrekten Größe (“nachmessen!”) und der richtigen Vorbereitung (“Wer das Verhüterli schon vorher ausgepackt bereitlegt, spart sich unnötigen Stress.”) gibt es da solche Tipps für die Bild.de-Leserinnen:

Mehr Druck - Spürt er mit dem Gummi nix mehr, kann das daran liegen, dass zu wenig Reibung entsteht. Helfen Sie ihm, indem Sie Ihre Beine enger zusammendrücken.

Und solche:

Mundgerecht - Über so eine Hilfe beim Überziehen freut ER sich besonders. Also Mädels, tut ihm den Gefallen.

Also wirklich, “Mädels” — jetzt stellt euch mal nicht so an und “tut ihm den Gefallen.” Das müsste doch mindestens Teil eures Rundum-sorglos-Paketes sein.

Auf die Idee muss man erstmal kommen: In einem Artikel, in dem es eigentlich um verachtenswerte Sex-Praktiken von Männern geht, Frauen Tipps zu geben, bei denen sie wie Liebesspiel-Dienstleister mit natürlicher Bringschuld wirken.

Mit Dank an Rinaldo S. und Torben für die Hinweise!

Bild, Bild.de  etc.

FIFA kuscht vor “Bild” – und widerspricht ihr

Wenn man irgendein Problem hat und nicht weiterweiß, kann man sich an “Bild” wenden, und dann heißt es: “BILD kämpft für Sie”. Das Boulevardblatt regelt die Sache für einen — zum Beispiel, dass der Kioskbesitzer das Überraschungsei erstattet, das er einem verkauft hatte, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum schon zwei Tage überschritten war. Sowas halt.

In den vergangen zwei Tagen hat “Bild” aber noch etwas viel Größeres erkämpft, für Sie, für uns, für die Welt: den Erhalt der Pressefreiheit. Doch, doch, lesen Sie selbst:

Das Ganze ging gestern los. Da schrieb die “Bild”-Redaktion groß auf ihrer Titelseite:

Grund für die “Zensur”-Rufe von “Bild” ist ein Dokument mit dem Titel “Media Visa Procedure and Guidelines on Foreign Media Work in Russia”. Diese “Guidelines” haben Journalisten zugeschickt bekommen, die sich für den “Confederations Cup” akkreditiert haben, ein Fußballturnier, das immer ein Jahr vor der Weltmeisterschaft im jeweiligen Gastgeberland stattfindet. Dieses Mal in Russland.

“Bild” zitierte gestern aus dem Dokument:

In der Akkreditierungs-Bestätigung steht:

“1. Medienvertreter mit einer Akkreditierung für den FIFA Konföderationen-Pokal dürfen ausschließlich über den FIFA Konföderationen-Pokal 2017 und damit verbundene Ereignisse berichten.

2. Medienvertreter mit einer Akkreditierung für den FIFA Konföderationen-Pokal dürfen nur auf dem Gebiet der Spielorte und nahe gelegener Sehenswürdigkeiten tätig sein.”

Die Schlussfolgerung der Redaktion:

Bedeutet: Die Reporter dürfen mit der Akkreditierung kaum über die Außenlinie des Platzes hinaus berichten. Über Missstände, über mögliche Proteste.

Die FIFA kuscht wohl vor Putin.

In einem Kommentar machte “Bild” dann auch noch klar: Nicht mit uns!

Putin zensiert die WM-Generalprobe im Sommer, an der auch unsere Weltmeister teilnehmen.

Journalisten dürfen beim sogenannten Confed-Cup nur über die Fußballspiele berichten. Außerdem ist die Tätigkeit auf die Spielorte und “nahegelegene Sehenswürdigkeiten” begrenzt. (…)

BILD jedenfalls wird keine Reporter zum Confed-Cup schicken, solange diese Zensur gilt.

Ziemlich viele Leute aus Sport und Politik schlossen sich “Bild” an, und auch viele Medien berichteten über die “Guidelines” der FIFA (obwohl die schon eine ganze Weile bekannt sind, mindestens seit Ende März).

Heute dann die oben bereits präsentierte, vermeintliche “Wende”: “Fifa und Putin lenken ein”, schreibt “Bild” und lässt keinen Zweifel daran, wer dafür gesorgt hat:

Und sie bewegen sich doch! Nachdem BILD die Knebel-Klausel für Journalisten beim Confederations Cup in Russland (17. Juni bis 2. Juli) enthüllt hat, lenken beide ein — die Fifa und Präsident Wladimir Putin (64). (…)

BILD kündigte an, den Confederations Cup zu boykottieren, falls die Zensur-Regelung bestehen bleibt.

Gestern die sensationelle Wende!

Schaut man sich die Reaktion der FIFA und des russischen Organisationskomitees auf den “Zensur”-Vorwurf von “Bild” genauer an, hat man das Gefühl, dass es sich eher um ein Widersprechen handelt — und nicht um ein Einlenken. Die “Bild”-Zeitung zitiert heute aus einer Erklärung der gemeinsamen Ausrichter:

“Journalisten, die eine FIFA-Akkreditierung für den FIFA Konföderationen-Pokal erhalten, können an den Spielorten und in den umliegenden Gebieten ohne jede Einschränkung frei arbeiten.”

Bild.de schrieb gestern am Nachmittag selbst noch, dass die FIFA die Zensur-Vorwürfe zurückweise:

Und “Bild” schreibt, dass die kritisierten Stellen in den “Guidelines” auch nicht gestrichen werden sollen:

BILD hakte bei der Fifa nach: Werden die Akkreditierungs-Unterlagen geändert und die Zensur-Regel auch schriftlich gestrichen?

Die mündliche Antwort eines Sprechers: Man habe die Unterlagen bereits vor knapp drei Wochen an die Medienvertreter verschickt. Eine Neuversendung mit Änderungen ist nicht geplant.

Das Dementi der FIFA zur “Bild”-Berichterstattung und das Nicht-Streichen der kritisierten Passagen nutzt “Bild” heute also, um sich als Retter der Pressefreiheit zu inszenieren.

Natürlich ist es überhaupt nicht abwegig zu vermuten, dass Wladimir Putin kritische Berichterstattung während der Fußballweltmeisterschaft im kommenden Jahr und während des “Confederations Cup” in diesem verhindern will. Und es ist auch klar, dass in einem Land wie Russland, das in der “Rangliste der Pressefreiheit” von “Reporter ohne Grenzen” auf Platz 148 von 180 liegt, nicht sicher ist, ob und wie man berichten kann. Man kann sich also über den Passus in den “Guidelines” der FIFA völlig zurecht aufregen und darüber schreiben — schließlich bringt er zusätzliche Unsicherheiten für die Journalisten, die bald nach Russland reisen wollen. Die Hysterie, mit der “Bild” dies tut, und der sich viele Medien gestern angeschlossen haben, ist dabei das Problem. Dass gleich “Zensur” geschrien wird und “Boykott”. Für “Bild” ist momentan alles vieles, was aus Russland kommt, die Ausgeburt des Bösen.

Dazu kommt, dass die “Guidelines”, auf die sich “Bild” bezieht, gewisse Schwächen bei der Übersetzung aufweisen. Es gibt sie in Englisch, Spanisch, Französisch und Deutsch. Schaut man sich das Dokument (PDF) an, sieht man, dass bei Punkt 2 …

2. Medienvertreter mit einer Akkreditierung für den FIFA Konföderationen-Pokal dürfen nur auf dem Gebiet der Spielorte und nahegelegener Sehenswürdigkeiten tätig sein.

… im Deutschen ein “nur” steht und im Spanischen ein “solo”. Im Englischen gibt es hingegen kein “only” und im Französischen kein “seulment”. Ohne das “nur” wird aus dem Satz, der etwas einschränkt, auf einmal eine Erlaubnis.

Und auch der Begriff “Spielort” ist in der Deutschen Übersetzung unglücklich gewählt. Damit kann sowohl die gesamte Stadt als “Spielort” gemeint sein, beispielsweise Sotschi, aber auch nur das Stadion in Sotschi. Die “Bild”-Redaktion hat sich bei ihrer Interpretation offenbar für Variante zwei entschieden:

Die Reporter dürfen mit der Akkreditierung kaum über die Außenlinie des Platzes hinaus berichten.

Allerdings steht in der englischen Variante “host cities”, in der spanischen “ciudades anfitrionas” und in der französischen “villes hôtes”, was alles eher für die gesamte Stadt spricht, in der gespielt wird.

Klar, auch wenn man “Spielort” durch “Gastgeberstadt” ersetzt, mögen die FIFA-“Guidelines” noch eine Einschränkung bei der Berichterstattung darstellen. Diese scheint aber nicht so eng gefasst zu sein, wie “Bild” behauptet.

Mit Dank an Roland B. und Andreas für die Hinweise!

Stern.de sattelt zum Altherren-Ausritt

In der Berichterstattung über die Wahl in Frankreich spielt ein Aspekt aktuell eine ganz besondere Rolle: Dass ein Sieg von Emmanuel Macron im ersten Wahlgang zwar nicht schlecht ist, aber der zweite Wahlgang dadurch noch längst nicht gewonnen ist.

Dass das Verhalten des sozialistischen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, sich für den zweiten Wahlgang nicht gegen Marine Le Pen auszusprechen, recht fragwürdig ist.

Dass Brigitte Trogneux, die Ehefrau von Emmanuel Macron, einige Jahre älter ist als ihr Mann. Manche Redaktionsbesatzungen müssen mit offenen Mündern vor ihren Bildschirmen sitzen und denken: “Boah, die ist ja älter als der.”

Ein Beitrag, der uns unter den vielen Berichten zum Thema extrem aufgefallen ist, ist dieser Tweet von stern.de, bei dem das verwendete Hashtag vor Chauvinismus und Ekelhaftigkeit und Verachtung nur so trieft:

Die Redaktion hat den Tweet dann relativ schnell wieder gelöscht, nachdem man gemerkt hat, dass dieser Altherren-Knallerspruch doch nicht so gut ankommt.

Screenshot gefunden bei @shlomosapiens. Mit Dank an @katrinhilger und @_phoeni für die Hinweise!

Nein, Saudi-Arabien führt nicht die UN-Frauenrechtskommission an

Gestern war es der rumtatschende Präsident eines tunesischen Fußballvereins (“Tatsch too much!”), am Samstag der frühere iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad (“Zurück ins Abklingbecken!”) und am Freitag ein Fregattenkapitän (“Maschinen stopp!”). Die Mischung ist schon ziemlich bunt, wenn die “Bild”-Redaktion jeden Tag einen “VERLIERER” des Tages auswählt. Heute sind die Vereinten Nationen dran:

Saudi-Arabien und der Kampf für Frauenrechte? Und dann auch noch “der Vorsitz der Kommission für die Stellung der Frau”? Das könnte man in der Tat “lächerlich” finden, wenn es denn stimmen würde. Aber es stimmt nicht.

Erstmal zu den Fakten: Saudi-Arabien wurde tatsächlich in die “United Nations Commission on the Status of Women” gewählt — mit den wenigsten Stimmen aller neu gewählten Mitglieder. Das hat aber nichts mit dem Vorsitz dieses Ausschusses zu tun. Das Land ist ab 2018 für vier Jahre eines von 45 Mitgliedern der “Kommission für die Rechtsstellung der Frau”, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Was “Bild” behauptet, ist also ansatzweise richtig, letztendlich aber Quatsch.

Gestern Abend hatte bereits Bild.de in einem längeren Text Mitgliedswahl und Vorsitzwahl durcheinandergebracht:

Es hört sich an wie ein schlechter Witz — ist aber keiner.

Saudi-Arabien wurde für den Vorsitz der UN-Frauenrechtskommission gewählt!

Das fundamental-islamische Königreich gilt als eines der schlimmsten Verletzer von Frauenrechten weltweit — auch wenn es zuletzt ein paar Fortschritte erzielte. Nun soll es aber von 2018 bis 2022 das Gremium zu Frauenrechten bei den Vereinten Nationen anführen.

Wir können nur vermuten, woher “Bild” und Bild.de diese falsche Information haben. Wir befürchten, dass die Redaktionen bei einer Seite abgeschrieben haben, bei der man nicht unbedingt abschreiben sollte, wenn man es ernst meint mit dem Journalismusmachen — den “Netzfrauen”:

Die “Netzfrauen” hatten bereits vorgestern falsch über die Wahl Saudi-Arabiens berichtet. Ihr Text verbreitete sich wie blöd im Internet. Laut “10000 Flies” war er am Sonntag der bei Facebook am zweithäufigsten geteilte Artikel.

Vielleicht haben die “Bild”-Medien ihre Infos auch von der österreichischen Knallseite Krone.at. Die “Krone”-Redaktion veröffentlichte eine gute Stunde vor Bild.de eine falsche Meldung zu Saudi-Arabiens UN-Wahl:

Der Artikeleinstieg von Krone.at erinnert jedenfalls stark an den weiter oben bereits zitierten Einsteig von Bild.de:

Es klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber keiner: Ausgerechnet Saudi-Arabien ist jetzt von der UNO zum globalen Wächter der Frauenrechte ernannt worden. In einer geheimen Wahl bekam das arabische Land, in dem Frauen und Mädchen systematisch unterdrückt werden, den Vorsitz der UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau.

Heute sind dann auch noch die “Yahoo Nachrichten”

… und das Hetzportal unzensuriert.at bei der Stillen Fehlerpost eingestiegen:

Natürlich kann man es “lächerlich” und schlimm und völlig daneben finden, dass Saudi-Arabien nun in der “Kommission für die Rechtsstellung der Frau” der Vereinten Nationen sitzt. Man kann der Meinung sein, dass das Land dort nichts zu suchen hat, bevor sich die Situation der Frauen im Land nicht verbessert hat. Wenn man aber jemanden zum “VERLIERER” machen will, sollten doch wenigstens die Fakten stimmen.

Nachtrag, 26. April: Bild.de hat bereits gestern einen Nachtrag zum Artikel “Saudi-Arabien soll jetzt für Frauenrechte kämpfen” veröffentlicht:

In der “Bild”-Zeitung war für eine Korrektur heute hingegen leider kein Platz — jedenfalls haben wir dort keine gefunden. Und auch bei der Kategorie “Gewinner/Verlierer” bei Bild.de wurde bisher nichts korrigiert.

Vercheckt

Es ist super, dass immer mehr Redaktionen und Organisationen und Gruppen und Einzelpersonen Fakten checken — egal, ob sie Schlagzeilen in Zeitungen, Behauptungen auf Websites oder Aussagen von Politikern überprüfen. Wenn beim Faktenchecken aber die Fakten nur einseitig betrachtet werden, bringt auch diese Zunahme an Faktencheckern nicht viel.

Am vergangenen Freitag hat “Correctiv” ein Interview des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner überprüft, genauer: eine Aussage Lindners zur Einbruchskriminalität.

“Richtig oder falsch?” Das “Correctiv”-Urteil ist ziemlich eindeutig:

(Was wohl für fünf Pinocchio-Nasenlängen notwendig ist? Eine Aussage, die “Besonders komplett falsch” ist?)

Doch so richtig richtig ist auch die Aussage von “Correctiv” nicht. Christian Lindner hat mit seiner Behauptung Recht und Unrecht — je nachdem, auf welchen Zeitraum man sie bezieht.

Der FDP-Vorsitzende selbst gab keinen Zeitraum an, als er vergangene Woche in einem Interview mit der “Bild”-Zeitung (“Bild-plus”-Artikel) über die Einbruchskriminalität in Nordrhein-Westfalen sprach:

Leben die Menschen in NRW weniger sicher als in anderen Bundesländern?

Lindner: “Ganz offensichtlich. Die Einbruchskriminalität ist massiv gestiegen, die Aufklärungsquote aber stagniert. Die Sicherheit der Menschen leidet darunter, dass wir einen Innenminister haben, der überwiegend damit beschäftigt ist, sich selbst zu verteidigen, statt die Sicherheit und das Eigentum der Bürger. Herr Jäger ist die Verkörperung des Misstrauensvotums der Menschen in unseren Rechtsstaat.”

“Correctiv” schreibt dazu:

Doch das ist nicht richtig. Anfang März stellte NRW-Innenminister Ralf Jäger die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 vor — und freute sich über den “deutlichen Rückgang” bei den Wohnungseinbrüchen. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ging im vergangenen Jahr um 15,7 Prozent zurück. Von gut 62.000 Fällen in 2015 auf gut 52.000 Fälle in 2016. So steht es in einer Pressemitteilung des Innenministeriums in NRW.

Das mit dem Rückgang stimmt zwar, wie man in der “Polizeilichen Kriminalstatistik für NRW 2016” (PDF, S. 116) nachlesen kann. Die dortige Statistik zeigt aber auch, dass die Zahl der Einbrüche in NRW in der Vergangenheit, mit Ausnahme von 2014, jedes Jahr zugenommen hat:


(Draufklicken für größere Version.)

Schaut man noch ein Stück weiter zurück (“Polizeiliche Kriminalstatistik — Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen 2011”, PDF, S. 53), sieht man, dass die Fallzahlen Anfang des Jahrtausends höher waren als 2007, aber auch nicht so hoch wie heute:


(Draufklicken für größere Version.)

Nun wird es Christian Lindner bei seiner Aussage womöglich nicht um den Zeitraum seit 2002 gegangen sein. Für eine Beurteilung seiner Behauptung hätte man aber zum Beispiel gut die Zahlen seit 2010 nehmen können. Seitdem regiert Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen. Und seitdem ist auch der von Lindner kritisierte Innenminister Ralf Jäger im Amt. Aktuell ist Wahlkampf in NRW. Lindner wird es also vermutlich um die Leistung der rot-grünen Regierung gegangen sein. Seit der Amtsübernahme durch SPD und Grüne ist die Anzahl der Einbrüche um 17,44 Prozent gestiegen.

“Correctiv” vergleicht stattdessen die aktuellste Fallzahl mit der aus dem Vorjahr. An anderer Stelle gibt es auch noch einen Vergleich mit der Fallzahl von vor fünf Jahren (“Zwischen 2012 und 2016 ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in NRW um 2,9 Prozent gesunken”).

Nicht falsch verstehen: Wir sind nicht der Meinung, dass man Christian Lindners Aussage nur auf dem einen Weg überprüfen kann. Man kann es auch so machen, wie “Correctiv” es gemacht hat. Aber bevor man zum eindeutigen Faktencheck-Urteil “Komplett falsch” kommt, sollte man seinen Lesern vielleicht doch klarmachen, dass die Auswahl, die man getroffen hat, eben nur eine Auswahl abbildet. Und dass bei diesem Vorgehen immer die Gefahr besteht, eine Statistik nur einseitig zu betrachten.

Dass ein differenzierterer Faktencheck nicht schlecht gewesen wäre, zeigt ein Blick in die Kommentare auf der Facebook-Seite von “Correctiv”. Ein User schreibt dort:

Christian Lindner auf dem Niveau von AfD, Donald Trump und vielen anderen sogenannten Politikern. Fake News sind gruseligerweise auf dem Vormarsch. Aufklärung ist so wichtig.

Das mit der Aufklärung finden wir auch. In diesem Fall aber ganz anders.

Mit Dank an @schizzlmizzl für den Hinweis!

Nachtrag, 25. April: Auch zu unserem Faktencheck-Faktencheck gibt es den einen oder anderen Faktencheck (ehrlich, wir wollten mit diesem Blogpost keine endlose Faktencheck-Spirale in Gang setzen): Bei “reddit” schreibt der User rEvolutionTU, dass wir das Jahr 2010 nicht mit in die Rechnung hätten nehmen dürfen, weil Rot/Grün da erst ab Juli regiert hat.

Ein weiterer Kritikpunkt kommt vom SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Kelber, der seinen Wahlkreis in Bonn hat:

Die Anmerkungen bei “reddit” beziehungsweise die von Ulrich Kelber zeigen unserer Meinung nach, dass der Grundgedanke unserer Kritik am “Correctiv”-Faktencheck der richtige war: Man kann bei der Auswertung einer Statistik nicht einfach einen Zeitraum rauspicken und dann sagen: “So ist es — und nicht anders” (beziehungsweise “Komplett falsch”). Daher bleiben wir bei unserer Kritik, sehen aber auch, dass man unserem Faktencheck noch einige Fakten hinzufügen kann.

So schnell wird man in “Bild” zum Putin-Propagandisten

Hatten Sie schon mal einen Gedanken, den vor Ihnen theoretisch auch Wladimir Putin gehabt haben könnte? Also zum Beispiel sowas wie “Hundewelpen, denen es nicht gutgeht, sollten zum Tierarzt gebracht werden”? Dann: Achtung! Sie könnten auf “Putins Fake-News-Kampagne” reingefallen sein.

Auf diesem argumentativen Niveau — zusammengefasst in etwa: wer etwas fordert, das auch die Russen fordern, hilft den Russen bei ihrer Propaganda — bewegt sich dieser Bild.de-Aufmacher (“Bild-plus”-Inhalt) von Donnerstag in weiten Teilen:

Am Freitag berichtete die Print-“Bild” ebenfalls, mit einer leicht abgewandelten Version des Artikels:

Mit “Deutschland” meinen die zwei Autoren Filipp Piatov und Julian Röpcke vornehmlich die Bundesregierung und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. “Das Erste” und das ZDF kritisieren sie, weil diese den Publizisten Michael Lüders in mehrere Talkshows eingeladen haben und somit “den von Russland verbreiteten Fake News eine Bühne” geboten hätten. Lüders sei ein “überführter Fake News-Verbreiter”, schreiben Piatov und Röpcke und stützen sich bei diesem Urteil auch auf Aussagen des türkischen Journalisten Can Dündar. Inzwischen hat sich Dündar noch einmal zu Michael Lüders geäußert und plötzlich wirkt dessen kritisierte Aussage eher wie eine Ungenauigkeit und nicht mehr wie eine glatte Lüge.

Vor allem aber teilt das “Bild”-Autorenduo gegen die Bundesregierung aus. Deutsche Regierungspolitiker würden “den russischen Fake News Vorschub leisten bzw. die deutsche Position ihnen anpassen.” Zum Beispiel Sigmar Gabriel: Der Außenminister forderte zum jüngsten Giftgasangriff in Syrien eine “Untersuchung ohne Behinderungen”. Dass Russland zuvor ebenfalls “eine ‘unabhängige Untersuchung’ des Vorfalls” gefordert hat, reicht Piatov und Röpcke als Beweis, dass “Deutschland auf Putins Fake-News-Kampagne reinfällt”. Weil man auf dieselbe, nicht ganz abwegige Idee wie die Russen kommt, macht man sich in den Augen der beiden “Bild”-Schreiber der Russen-Propaganda verdächtig.

Und das sei nicht nur bei Sigmar Gabriel so. Auch beim früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier seien “russische Fake News auf fruchtbaren Boden” gefallen. Dieses Mal geht es zwar um einen anderen Fall, den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 über der Ukraine, aber um dieselbe “Bild”-Logik: Russland hat damals eine unabhängige Untersuchung gefordert; auch Steinmeier war für eine unabhängige Untersuchung. Und schon sei laut Bild.de einmal mehr bewiesen, dass es eine “Anfälligkeit bestimmter Teile der Bundesregierung für russische Propaganda” gebe.

Piatov und Röpcke kommen nicht auf die Idee, dass es durchaus möglich ist, mit der gleichen Forderung völlig unterschiedliche Dinge bezwecken zu wollen. Dass es dem einen zum Beispiel um wirkliche Aufklärung geht, während der andere nur taktiert, Scheinversprechungen macht und damit hinhalten möchte. Und dass diese Forderungen unabhängig voneinander gestellt werden können. Denkt man die Argumentation der beiden Autoren weiter, könnte man nie mehr Dinge fordern, die Russland bereits gefordert hat, ohne damit zum Russland-Fake-News-Verbreiter zu werden — egal wie sinnvoll die jeweilige Forderung erscheint.

Stattdessen plädieren die zwei “Bild”-Mitarbeiter dafür, sich nach einem derartigen Angriff direkt auf eine Seite zu schlagen, ohne Zweifel und ohne unabhängige Untersuchungen.

“Bild am Sonntag” und die falsche Sekunde beim Anschlag in Dortmund

In der Pressemitteilung, die die Bundesanwaltschaft gestern zur Festnahme des möglichen Attentäters von Dortmund rausgegeben hat, findet man auch einige Informationen zu den Sprengsätzen, die vor elf Tagen neben dem BVB-Mannschaftsbus explodiert waren:

Die drei Sprengsätze waren über eine Länge von 12 Metern in einer Hecke entlang der Fahrstrecke des Mannschaftsbusses angebracht. Die Sprengwirkung der Sprengsätze war auf den Bus ausgerichtet. Die Sprengsätze wurden zeitlich optimal gezündet. Der vordere und der hintere Sprengsatz waren in Bodennähe platziert. Der Mittlere befand sich in einer Höhe von etwa einem Meter. Damit war er zu hoch angebracht, um seine Wirkung voll entfalten zu können.

Auch Bild.de berichtete gestern über diese neuen Erkenntnisse. Die “SEKUNDEN-THEORIE” sei “WIDERLEGT”, schreibt die Redaktion:

Im Text steht unter anderem:

Die Sprengsätze wurden zeitlich optimal gezündet, heißt es in der Mitteilung. Denn zunächst hatte es geheißen, dass die Bomben eine Sekunde zu spät detonierten.

“Zunächst hatte es geheißen”? Wer hat sowas denn verbreitet? Das hier ist die Titelseite der “Bild am Sonntag” vom vergangenen Sonntag:

Der Artikel im Blatt beginnt so:

Es war wohl nur eine Sekunde, die beim Bombenanschlag in Dortmund über Leben und Tod entschieden hat. (…)

Jetzt kommt raus: Es hätte noch viel, viel Schlimmeres passieren können!

Ein Ermittler zu BamS: “Wären die Splitterbomben nur eine Sekunde früher gezündet worden, hätte der Bus eine regelrechte Breitseite bekommen. Es hätte dann bestimmt viele Schwerverletzte und möglicherweise auch Tote gegeben.”

Wer auch immer dieser “Ermittler” ist, den “Bild am Sonntag” da aufgetan hat — er verfügte offenbar über ganz andere Ermittlungsergebnisse als die Bundesanwaltschaft.

Andere Medien und Agenturen griffen die exklusive “BamS”-Titelgeschichte auf und berichteten ebenfalls über die “Sekunde, die beim Bombenanschlag in Dortmund” wohl “über Leben und Tod entschieden hat”. Die “Bild am Sonntag” (Leitspruch: “Immer einen Schritt voraus”) ist ziemlich stolz darauf, die “meist zitierte Sonntagszeitung” (PDF) Deutschlands zu sein.

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an roy für den Hinweis!

Ging es beim Anschlag auf den BVB wirklich um Millionen Euro?

Kein islamistischer Terror, keine Rechtsextremen, keine Linksextremen. Habgier soll das Motiv des Anschlags auf den BVB-Mannschaftsbus vor zehn Tagen gewesen sein. Heute früh wurde ein Mann festgenommen, der die drei Sprengsätze am 11. April in Dortmund gezündet haben soll. Dabei soll es ihm um die Aussicht auf viel Geld gegangen sein — die Bundesanwaltschaft schreibt in einer Pressemitteilung, dass der Tatverdächtige vor dem Anschlag Optionsscheine gekauft habe, mit denen er auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie spekuliert habe. Viele Medien schreiben, dass der Mann dadurch Millionen hätte machen können.

Bei ihrer Jagd nach großen Schlagzeilen mit großen Summen bringen die Redaktionen allerdings Zahlen ins Spiel, an denen es erhebliche Zweifel gibt. Der Ursprung des Übels ist dabei einmal mehr Bild.de:

Die zuständigen sieben Autoren schreiben:

Nach BILD-Recherchen fanden die Ermittler heraus, dass Sergej W. vom Hotel aus online ein Aktienpaket von 15 000 Optionsscheinen für 78 000 Euro kaufte. (…)

Im Falle eines deutlichen Kursverlustes der BVB-Aktie hätte Sergej W. einen Millionengewinn machen können. Nach den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes hätte er einen Gewinn von bis zu 3,9 Millionen Euro erzielt.

Dafür musste die Aktie dramatisch fallen. Und genau das wäre nach einem Anschlag, bei dem ein Teil der Mannschaft schwer verletzt oder sogar getötet worden wäre, vermutlich passiert.

Andere Nachrichtenseiten übernahmen die Kennziffern 15.000 Optionsscheine, 78.000 Euro Einsatz, 3,9 Millionen Euro möglicher Gewinn. “Focus Online” zum Beispiel:

“Der Westen”:

“20 Minuten” aus der Schweiz:

Und viele weitere.

Erstmal zu den 78.000 Euro — wir vermuten, dass die Bild.de-Mitarbeiter durch eine simple Rechnung auf diese Zahl gekommen sind: Sie dürften die 15.000 Optionsscheine, von der die Bundesanwaltschaft berichtet, mit dem Basispreis von 5,20 Euro je Optionsschein multipliziert haben. Macht insgesamt 78.000 Euro.

Das Problem dabei: So funktioniert der Kauf von Optionsscheinen nicht. Man erwirbt die sogenannten Put-Optionsscheine, mit denen man auf fallende Kurse spekulieren kann, nicht zum Basispreis, sondern zu einem Kaufpreis des jeweiligen Optionsscheins. Und der lag bei den Put-Optionen zur BVB-Aktie am Tag des Anschlags bei nur wenigen Cents je Schein.

Die Put-Option zur BVB-Aktie mit dem Basiswert von 5,20 Euro, auf die sich Bild.de bei der 78.000-Euro-Rechnung vermutlich bezieht, hatte am Tag den Anschlags einen Kaufpreis von 0,18 Euro. Die 15.000 Optionsscheine, die der Tatverdächtige gekauft haben soll, haben also nur 2700 Euro gekostet.

Weiter zu den 15.000 Optionsscheinen — vermutlich hat der Verdächtige noch einige mehr gekauft. Sowohl boerse.ard.de (wo Detlev Landmesser übrigens bereits am 12. (!) April im Zusammenhang mit dem Anschlag in Dortmund auf “eine kleine Auffälligkeit aus Börsensicht” hingewiesen hatte) als auch die “Wirtschaftwoche” gehen davon aus, dass mehr Transaktionen getätigt wurden.

Es gibt 23 verschiedene Put-Optionen auf die BVB-Aktie, die man an deutschen Börsen kaufen kann. Sie haben unterschiedliche Basiswerte und unterschiedliche Kaufpreise. Bei insgesamt fünf von ihnen gab es am Tag des Anschlags Aktivitäten an der Frankfurter Börse (was laut Finanzexperten auffällig ist, da Optionsscheine von Privatanlegern in der Regel an der Stuttgarter Börse gehandelt werden):

1) Wertpapierkennnummer DG9CHE
Basiswert: 3,60 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,09 Euro

2) DG7MN5
Basiswert: 4,00 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,019 Euro

3) DGQ1VU
Basiswert: 4,40 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,043 Euro

4) DGM51Y
Basiswert: 4,80 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,12 Euro

5) DGQ1VV
Basiswert: 5,20 Euro
gehandeltes Volumen: 15.000 Optionsscheine
Kaufpreis: 0,18 Euro

Der Gesamtkaufpreis für diese 75.000 Optionsscheine liegt bei 6780 Euro.

Einen Tag später gab es ebenfalls an der Frankfurter Börse noch einmal Aktivitäten bei Put-Optionsscheinen zur BVB-Aktie. Wir konnten nicht endgültig klären, ob es sich auch bei ihnen ausschließlich um Käufe — und nicht um Verkäufe — handelt. Sollten es alles Käufe gewesen sein, und sollte für all diese Käufe der nun festgenommene Mann verantwortlich sein, hätte er insgesamt 123.000 Optionsscheine im Wert von 10.218 Euro erworben. Also immer noch weit entfernt von den 78.000 Euro, die Bild.de ins Spiel gebracht hat. Und auch nur ein Bruchteil des 79.000-Euro-Kredits, den der Tatverdächtige laut NRW-Innenminister Ralf Jäger aufgenommen haben soll. Bei süddeutsche.de und “Spiegel Online” ist die Rede von einem 40.000-Euro-Kredit.

Zuletzt noch zu den 3,9 Millionen Euro — konnte der Verdächtige auf so viel Geld hoffen? Höchstwahrscheinlich nicht. Detlev Landmesser schreibt bei boerse.ard.de, dass “der theoretisch maximale Gewinn” bei “gerade mal 276.000 Euro” läge. Dafür hätte der Wert der BVB-Aktie allerdings auf 0 Euro sinken müssen. Wäre er lediglich auf 3 Euro gesunken, hätte der Gewinn nur 96.000 Euro betragen. Die “Wirtschaftswoche” nennt zwar keine konkreten Zahlen, glaubt aber auch nicht, dass der nun festgenommene Mann Millionen hätte verdienen können: Die Annahme, dass sich mit dem Einsatz von einigen Tausend Euro “mithilfe von Put-Optionsscheinen Millionen verdienen lassen”, sei “vollkommen unrealistisch.”

Dazu auch:

Mit Dank an Tobi W. für den Hinweis!

“Islam” und “Grüne” im Titel, Wut in den Kommentaren

Die Grünen in Bayern wollen etwas gegen Extremismus tun, vor allem gegen Rechtsextremismus. Die Fraktionsvorsitzende der Partei im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze, sagt laut “Nürnberger Nachrichten” und nordbayern.de, dass die CSU-Landesregierung für die Prävention von rechter Gewalt “viel mehr Geld” in die Hand nehmen müsse. Die Zahlen rechter Straftaten seien dramatisch hoch, die Aufklärungsquoten erschreckend niedrig.

Der Teaser des Artikels bei nordbayern.de gibt das Thema klar vor:

Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer, rechte Hetze und Einschüchterungsversuche: Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten nimmt zu. Die Grünen im Landtag fordern die CSU-Staatsregierung deshalb auf, mehr gegen Rassismus und rechte Gewalt zu tun und mehr Geld für Prävention lockerzumachen.

Bei der Wahl der dazugehörigen Überschrift hat die Redaktion hingegen einen etwas anderen Schwerpunkt gewählt:

Doch, doch, auch das Thema “Islam-Unterricht” kommt in dem Artikel vor: Ganz am Ende des Textes, nach sieben Absätzen zum Rechtsextremismus, zitiert nordbayern.de Elke Leo, Grünen-Vertreterin im Nürnberger Stadtrat:

Die Demokratie-Erziehung an den Schulen ist Leos Ansicht nach stark ausbaufähig. Um religiös geprägten Extremismus, in diesem Fall Islamismus, zu verhindern, fordert sie aber auch Islam-Unterricht an den Schulen “von Lehrern, die in Deutschland ausgebildet werden”.

Natürlich könnte man sich nun erst die Überschrift anschauen, dann den Text lesen und sich selbst sagen: “Na ja, das eigentliche Thema ist ja die Prävention rechtsextremer Verbrechen. Dazu gebe ich jetzt mal einen Kommentar ab.” Nur: Das machen die meisten Leute nicht. Sie lesen stattdessen die Überschrift, werden wütend und lassen in der Kommentarspalte Dampf über den Islam, die Grünen und deren Forderungen zum Islam-Unterricht ab.

Durch die Wahl ihrer Titelzeile haben es die Mitarbeiter von nordbayern.de geschafft, dass das Hauptthema des Artikels in der Diskussion gar keine Rolle mehr spielt. Ein Großteil der Kommentare geht in diese Richtung:

Die Grünen sind unwählbar und Deutschlandfeindlich.

Solche Aussagen lassen mich am gesunden Menschenverstand der Grünen zweifeln. Es wird wohl Zeit das der Verfassungsschutz die Grünen unter Beobachtung stellt.

Man drücke allen Grünen einen Einweg-Flugticket für ein islamisch beherrschtes Land in die Hand, auf dass sie nimmer wiederkehren.

So langsam könnte der Verfassungsschutz mal ein Auge auf diese Grünen werfen.

Müsst Ihr jetzt auf Stimmenfang bei der moslemischen Bevölkerungsgruppe gehen?

Bei solchen Forderungen wundert es mich nicht das die Grünidioten immer weniger Stimmen bekommen!

Was noch, Ihr Agenda-Grünen, gleich übertreten?

Islamunterricht als Regelangebot an unseren Schulen — so wirr können nur Grüne sein.

Bei Facebook, wo die Zeitspanne zwischen Überschriftlesen und Kommentieren meist noch kürzer ist, sind die Reaktionen noch deutlicher:


Der ham’se doch in’s Hirn geschissen?

Sorry, die Frau hat nicht alle Tassen im Schrank.

dann sollen sie in die Türkei gehen.

Die hat doch einen Kopfschuss

Die hat nicht mehr alle in der Schüssel!!!!

Klar, anstatt den Islam zu “töten” soll er noch mehr verbreitet werden. Die spinnt doch!

Dummgekifft !!!

“Pegida”, AfD und “pro Deutschland” haben den Artikel bei nordbayern.de ebenfalls entdeckt und ihn auf ihren Facebookseiten geteilt. Dass es in dem Text hauptsächlich um den Kampf gegen Rechts geht und nicht, wie die Überschrift suggeriert, nur um eine Forderung der Grünen zum Islam-Unterricht, scheint sie nicht zu jucken:



Mit Dank an Günter für den Hinweis!

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