Suchergebnisse für ‘verpixelt’

Umstrittener Gesetzentwurf, KI-Resilienz, Glücksspiel-Problem

1. Wer Terror im Netz gutheißt, soll gehen
(tagesschau.de)
Das Kabinett habe einem Gesetzentwurf zugestimmt, nach dem Ausländer ausgewiesen und abgeschoben werden können, wenn sie im Internet Terrortaten billigen. Es sei jedoch noch unklar, was genau unter einer Billigung zu verstehen ist. So habe die Innenministerin gesagt, es gehe dabei nicht “um den kleinen Klick und den kurzen Like”. Die rechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, halte die Entwicklung für “den vorläufigen Höhepunkt einer besorgniserregenden Entwicklung”.

2. Schläge ins Gesicht, Knie im Rücken
(taz.de, Joscha Frahm)
Wie die “taz” berichtet, wurde bei der Besetzung der Berliner Humboldt-Uni im Mai ein Journalist mutmaßlich von einem Polizisten verletzt. Ignacio Rosaslanda, ein Videoreporter der “Berliner Zeitung”, sei während seiner Arbeit von einem Polizeibeamten angegriffen und fast eine Stunde auf dem Boden fixiert worden. Die Berliner Polizei habe eine Anfrage der “taz” zu dem Vorfall nicht beantwortet – sie habe derzeit zu viel mit der Fußball-EM zu tun, eine rechtzeitige Beantwortung sei daher nicht möglich.

3. Verkaufen Redaktionen ihre Seele?
(journalist.de, Stephan Weichert)
Beim “journalist” macht sich Stephan Weichert Gedanken über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Redaktionen und empfiehlt Medienhäusern, Schnittstellenressorts aufzubauen und die Möglichkeiten von KI für sich auszuloten: “KI-Resilienz wird deshalb eine Schlüsselkompetenz werden. Journalisten brauchen sie, um den Ausgleich hinzukriegen: zwischen machtvollen KI-Systemen in ihren Redaktionen und den Ansprüchen einer unabhängigen, demokratisch legitimierten Medienöffentlichkeit.”

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4. Österreichs Medien haben ein Glücksspiel-Problem
(kobuk.at, Andrea Gutschi)
“In vielen österreichischen Onlinemedien erscheint regelmäßig Werbung für illegale Online-Casinos. Dazu kommt noch Werbung für legales Glücksspiel, die oft nicht als solche zu erkennen ist.” Das ist das Ergebnis einer “Kobuk”-Recherche, die zeigt, dass es sich dabei keineswegs um Einzelfälle handelt, sondern dass das Ganze offenbar System hat.

5. Wie gut gemacht ist die neue „Tagesschau“ in Einfacher Sprache?
(uebermedien.de, Holger Klein, Video: 16:52 Minuten)
Vor knapp zwei Wochen haben wir in den “6 vor 9” darauf hingewiesen, dass die “Tagesschau” seit Kurzem eine Sendung in Einfacher Sprache anbietet, um den rund 17 Millionen Menschen in Deutschland, die Schwierigkeiten haben, komplexe Texte zu verstehen, den Zugang zu Nachrichten zu erleichtern. Holger Klein hat im “Übermedien”-Podcast mit Andrea Halbritter, Germanistin und Übersetzerin für Leichte und Einfache Sprache, gesprochen: Was ist der Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache? Welche Reaktionen hat sie von Menschen aus der Zielgruppe erlebt? Und kann man jede komplexe Nachricht vereinfachen?

6. Beinahe-Boykott: Autorenverband im Clinch mit Münchner Filmfest
(dwdl.de, Torsten Zarges)
Der Deutsche Drehbuchverband (DDV) beklage, dass Drehbuchautoren und -autorinnen beim Filmfest München nicht angemessen gewürdigt würden, was fast zu einem Boykott des Festivals geführt hätte. Trotz jahrelanger Beschwerden und Proteste werde die Berufsgruppe immer noch nur im Kleingedruckten erwähnt, während Regisseure und Regisseurinnen einen prominenten Platz bekämen. Nun hätten die Festivalmacher dem DDV ein Gesprächsangebot gemacht.

“Digital News Report”, Warnhinweise für Social Media?, #ByeByeElon

1. Reuters Institute Digital News Report 2024: Mehr Perspektivenvielfalt erwünscht
(hans-bredow-institut.de)
Das Hans-Bredow-Institut veröffentlicht die wichtigsten deutschen Ergebnisse des “Reuters Institute Digital News Report 2024” zur Nachrichtennutzung im internationalen Vergleich: “Zwei Drittel (66 %) der erwachsenen Internetnutzer:innen in Deutschland erwarten von den Nachrichtenmedien, dass diese ihnen verschiedene Perspektiven zu aktuellen Themen bieten, doch weniger als die Hälfte (43 %) sieht diese Leistung als gut erfüllt an.”

2. Inklusion ist einfach
(taz.de, Emma Tries)
Vergangenen Freitag haben wir in den “6 vor 9” darauf hingewiesen, dass die “Tagesschau” neuerdings eine Sendung in Einfacher Sprache anbietet, um den etwa 17 Millionen Menschen in Deutschland, die Schwierigkeiten mit dem Erfassen von komplexen Texten haben, den Zugang zu Nachrichten zu erleichtern. Emma Tries hat sich die Reaktionen im Internet auf die Neuerung angeschaut, und die fallen nicht alle gut aus. Ihr Rat: “Die ‘Tagesschau’ in einfacher Sprache sollte sich je­de:r zumindest einmal angeschaut haben. Sich dem Unbekannten auszusetzen ist wichtig, die Bedürfnisse anderer anzuerkennen noch viel mehr.”

3. Wahlergebnis gefährdet Pressefreiheit
(verdi.de, Lars Hansen)
Lars Hansen hält den Stimmenzuwachs rechtspopulistischer Parteien bei den Europawahlen für gefährlich und weist in diesem Zusammenhang auf die anstehende Wahl der EU-Kommissionspräsidentschaft hin. Er kommentiert: “Für ihre Wiederwahl als Präsidentin der Europäischen Kommission ist Ursula von der Leyen auf die Stimmen weiterer Fraktionen als die ihrer EVP angewiesen. Sollte sie sich dabei auf die erstarkte Rechten-Fraktion stützen wollen, wird diese Zugeständnisse einfordern, nicht zuletzt in der Medienpolitik.”

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4. 47 Organisationen steigen bei X aus
(t-online.de)
Am heutigen “Internationalen Tag gegen Hass” ziehen sich 47 Organisationen aus verschiedenen Bereichen gemeinsam von Elon Musks Plattform X/Twitter zurück, um gegen die dort vorherrschenden Hassbotschaften und die Hetze zu protestieren. “Wir stehen für einen respektvollen, demokratischen Austausch und wertschätzende Kommunikation. Daher sagen wir #ByeByeElon und stellen unsere Aktivitäten auf der Plattform ein”, so die abschließende Botschaft der Organisationen.

5. Bidens oberster Gesundheitsbeamter fordert Warnhinweise für Social-Media-Plattformen
(spiegel.de)
Vivek Murthy, Leiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA, fordert Warnhinweise auf Social-Media-Plattformen, da diese bei Jugendlichen erhebliche psychische Schäden verursachen können. Murthy argumentiert, dass solche Warnhinweise Eltern und Jugendliche für die Gefahren sensibilisieren und zu Verhaltensänderungen führen könnten, ähnlich wie jene auf Zigarettenschachteln.

6. Wie hat sich Podcasting in 20 Jahren verändert?
(podcastingfm.transistor.fm, Daniel Fiene, Audio: 26:40 Minuten)
Daniel Fiene hat jahrelange Podcasterfahrung und will seine wichtigsten Erkenntnisse daraus mit Interessierten teilen. Sein Podcast “150 Fragen in Sachen Podcasts” richte sich an “Podcaster, die ihren Podcast auf das nächste Level heben wollen”. In der aktuelle Folge geht es um die Frage, wie sich das Podcasting in den vergangenen 20 Jahren verändert hat.

Kunstkritik und Hundekot, Reichelt muss nachliefern, Väterrechtler

1. Dürfen Medien Leute, die Nazi-Parolen singen, an den Pranger stellen?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 28:40 Minuten)
Seit einigen Tagen kursieren im Internet Videoaufnahmen von feiernden, jungen Menschen auf Sylt, die fremdenfeindliche Parolen skandieren und teilweise einen verkappten Hitlergruß zeigen. Diese Aufnahmen oder Teile davon wurden in Medien vielfach unverpixelt gezeigt, so dass die Identität der Beteiligten und deren persönlicher Hintergrund ermittelt und publiziert werden konnte. Holger Klein hat den Juristen Felix Damm gefragt: “Ist das in Ordnung? Dürfen Medien Menschen, die so eine Parole öffentlich skandieren, dann auch öffentlich vorführen? Wo verlaufen die Grenzen? Und können die Betroffenen womöglich Persönlichkeitsrechte geltend machen, also juristisch gegen Medien vorgehen?” Damm hält einen großen Teil der Veröffentlichungen für “gravierend rechtsverletzend”.

2. Reichelt verdonnert: Gericht fordert nach Lüge neues Video
(t-online.de, Lars Wienand)
Der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt hat falsche Behauptungen über die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline verbreitet und muss nun auf Anordnung des Berliner Kammergerichts ein Richtigstellungsvideo auf seinem Kanal veröffentlichen. Das Gericht habe ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro verhängt, weil Reichelt eine frühere gerichtliche Entscheidung missachtet habe, und drohe mit weiteren Strafen, falls er nicht nachbessert. Lars Wienand kommentiert bei t-online.de: “Das sture Verhalten von Julian Reichelt trägt dazu bei, dass die Vorgaben für Gegendarstellungen bei YouTube-Videos klarer werden.”

3. Wie “Stern” auf Väterrechtler-Propaganda hereinfiel
(volksverpetzer.de, Matthias Meisner)
Beim “Volksverpetzer” kritisiert Matthias Meisner eine Titelgeschichte des “Stern” über Trennungskinder. Der Beitrag stelle einseitig die Perspektive von Väterrechtlern dar, insbesondere durch den Psychologen Stefan Rücker, der den umstrittenen Begriff der “Eltern-Kind-Entfremdung” propagiere. Der “Stern”-Artikel überbetone die negativen Folgen von Trennungen und ignoriere den Gewaltaspekt, was zu einer verzerrten Darstellung beitrage.

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4. Immer mehr Internetsperren weltweit
(netzpolitik.org, Nora Nemitz)
Wie Nora Nemitz bei netzpolitik.org berichtet, zeigt der “KeepItOn”-Bericht (PDF), dass es im Jahr 2023 weltweit mindestens 283 Internetsperren in 39 Ländern gab, oft während Konflikten oder politischer Instabilität. Die meisten Sperrungen habe es – zum sechsten Mal in Folge – in Indien gegeben. Marginalisierte Gruppen wie die LGBTQ+-Gemeinschaft seien besonders betroffen, da die Sperren oft auf ihre Kommunikationsplattformen abzielen.

5. Wie uns Russland in die Netzwerke funkt
(zeit.de, Pauline Schinkels)
Pauline Schinkels berichtet von russischen Desinformationskampagnen in Sozialen Netzwerken. Dort würden gefälschte Inhalte verbreitet, die seriösen deutschen Medien ähneln. In der sogenannten “Doppelgänger-Kampagne” seien beispielsweise gefälschte Tweets und Artikel prominent genutzt worden, um Verwirrung zu stiften und Misstrauen zu säen. Es sei zu befürchten, dass diese Aktionen insbesondere im Wahljahr 2024 darauf abzielen, politische Wahlen in Deutschland und Europa zu beeinflussen.

6. Wie das Kunstsystem sich das Kunsturteil vom Hals schafft
(faz.net, Johannes Franzen)
Johannes Franzen schreibt in der “FAZ” über den Fall des Choreografen Marco Goecke, der eine Ballettkritikerin mit Hundekot attackiert hatte und anderthalb Jahre später zum Ballettdirektor in Basel ernannt wurde. Der Fall mache den Statusverlust der Kritik deutlich, so Franzen: “Der Skandal fällt in eine Zeit, in der professionelle Kritik an vielen Fronten geschwächt dasteht. Kulturjournalistische Formate werden eingespart. Die wirtschaftliche Infrastruktur, die das professionelle Schreiben über Kunst und Kultur möglich macht, schrumpft zusammen. Die Reaktion auf den Fall Goecke kann vor diesem Hintergrund auch als höhnische Geste des Triumphs eines Milieus gedeutet werden, das davon überzeugt ist, die professionelle Kritik nicht mehr zu brauchen.

7. Die CDU und ihre Online-Umfrage zum Verbrennungsmotor
(radioeins.de, Lorenz Meyer, Audio: 4:00 Minuten)
Als siebter und zusätzlicher Link, weil in eigener Sache: Bei radioeins kommentiert der “6-vor-9”-Kurator eine abgebrochene Online-Umfrage der CDU zum Verbrennungsmotor: “Digitale Beteiligung kann nur funktionieren, wenn die Verantwortlichen mit der nötigen Sorgfalt und Kompetenz vorgehen. Ich sag’s mal so: Die CDU hat hier gleich mehrfach versagt.”

Beschwerliche Beschwerdewege, “Sylt-Video”, Erotikclips und Rechtes

1. Jahresbilanz: 708 Beschwerden an die Rundfunkräte
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 7:54 Minuten)
“Die Rundfunkräte sollen das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender kontrollieren und über Beschwerden entscheiden. Doch nur selten rügen sie die Anstalten für Verstöße.” Stefan Fries ist diesem Phänomen für den Deutschlandfunk in einer aufwendigen Recherche nachgegangen. Dass die Zahl der Beschwerden vergleichsweise gering ist, könne auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden: Erstens kenne die Öffentlichkeit möglicherweise nicht alle Beschwerdemöglichkeiten oder mache von ihnen keinen Gebrauch. Zweitens würden viele Beschwerden bereits vor einer formellen Entscheidung des Rundfunkrates von den Intendanten und Programmdirektoren bearbeitet und oft auch erledigt. Und drittens halte das komplizierte und bürokratische Beschwerdeverfahren viele davon ab, ihre Beschwerde bis zu einer Entscheidung des Rundfunkrats zu verfolgen.

2. Öff­ent­li­ches Inter­esse oder Pran­ger­wir­kung?
(lto.de, Luisa Berger)
Das “Sylt-Video”, in dem junge Erwachsene ausländerfeindliche Parolen skandieren, kursiert unverpixelt im Internet und hat für die Betroffenen gravierende Folgen wie fristlose Kündigungen und Anfeindungen. “Legal Tribune Online” hat Medienrechtsexpertinnen und -experten gefragt, wie sie den medialen Umgang mit dem Video beurteilen.

3. Erotikclips und rechte Stimmen
(taz.de, Matthias Meisner)
In der “taz” beschäftigt sich Matthias Meisner mit dem Lokalsender tv.berlin. Dieser sei für seine Mischung aus Teleshopping, esoterischen Inhalten und umstrittenen Gästen wie Hans-Georg Maaßen und Thilo Sarrazin bekannt und habe in seiner über 30-jährigen Geschichte immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Besonders auffällig sei die Berichterstattung über Aserbaidschan, die dem Sender den Vorwurf der politischen Nähe zu Baku und Ankara eingebracht habe. Trotz kritischer Inhalte und rechter Tendenzen habe die zuständige Medienanstalt bisher keine Programmbeschwerden erhalten.

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4. 37 Hacks für eine gute Recherche
(recherche.substack.com, Daniel Drepper & Anne-Kathrin Gerstlauer)
In Kooperation mit Anne-Kathrin Gerstlauers Newsletter “Texthacks” veröffentlicht der Investigativjournalist Daniel Drepper eine Liste mit 37 seiner wichtigsten Tipps für gute Recherche – von der Themenfindung über die Konfrontation bis zur Veröffentlichung, immer unter Berücksichtigung journalistischer Standards und der Unschuldsvermutung.

5. Spiegel-Gruppe erzielt mehr Umsatz im Digitalen als mit Print
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Bei “DWDL” fasst Uwe Mantel die aktuellen Geschäftszahlen der “Spiegel”-Gruppe zusammen, die erstmals mehr Umsatz im Digitalen als im Print erzielt habe. In einer Pressemitteilung der “Spiegel”-Gruppe kommentiert Geschäftsführer Stefan Ottlitz: “30 Jahre nach dem Start von SPIEGEL ONLINE, sechs Jahre nach dem Pay-Start beim SPIEGEL sowie danach bei manager magazin, Harvard Business manager und 11FREUNDE sind digitale Abo-Modelle zu einer zentralen Größe geworden, die unseren Journalismus nachhaltig finanzieren helfen – die Erlöse daraus tragen den Gutteil des digitalen Wachstums.”

6. Über die Stand-up-Szene: Im Garten der Comedy
(setup-punchline.de, Bernhard Hiergeist)
In seinen “Noten zur Comedy” (auch als Newsletter zu beziehen) nimmt Bernhard Hiergeist immer mal wieder ein aktuelles Thema aus dem Bereich Comedy unter die Lupe. In der aktuellen Ausgabe geht es um die Stand-up-Szene, speziell um den Lucky Punch Comedy Club in München, der durch Schreibworkshops und Open-Mic-Abende neue Talente fördere und eine lebendige Szene schaffe. Im Gegensatz dazu fehle es dem Quatsch Comedy Club in München an lokaler Verzahnung, was zu weniger Shows und schwächerer Einbindung örtlicher Comedians führe.

“Bild” und “B.Z.” behelligen 14-Jährige, deren fünfjähriger Bruder einen Tag zuvor gestorben ist

Am vergangenen Dienstag ist in Berlin ein fünfjähriger Junge aus dem neunten Stock eines Wohnhauses gefallen und später im Krankenhaus gestorben. Die Polizei geht davon aus, dass das Kind aus dem Fenster geklettert und gefallen ist, und spricht derzeit von einem “tragischen Unfallgeschehen”. Sie ermittelt wegen des Verdachts auf Verletzung der Aufsichtspflicht.

Zwei Tage später, am Donnerstagmorgen, lag das Springer-Blatt “B.Z.” mit dieser Titelseite in Berliner Kiosken, Bäckereien und Tankstellen:

Ausriss der BZ-Titelseite - Junge (5) sah aus dem Fenster nach seiner Mama - Todessturz aus neuntem Stock

Die Unkenntlichmachungen stammen alle von uns. Die “B.Z.” zeigt ein unverpixeltes Foto des Fünfjährigen sowie eine Aufnahme des Wohnhauses. Die Redaktion hat extra das Fenster rot eingekreist, aus dem der Junge gefallen sein soll. Im dazugehörigen Artikel im Blatt nennt sie den Berliner Stadtteil sowie den Namen der Straße, in der das Haus mit auffälliger Fassadenbemalung (ebenfalls zu erkennen) steht. Wer also möchte, sei es nur zum Gaffen oder zum Aufsuchen der Familie, dürfte dank der ausreichend genauen Zielführung der “B.Z.” den Weg zur Wohnung finden.

Das Foto des Jungen, die Aufnahme des Hauses von außen und den Namen der Straße findet man auch bei bz-berlin.de und beim Schwesterportal Bild.de. Dort ist das Fenster des Kinderzimmers zwar nicht rot eingekreist, aber durch die Angabe des Stockwerks dürfte die Suche nach der Wohnung der Familie auch nicht viel länger dauern.

“B.Z.” und Bild.de zeigen aber nicht nur Fotos von außen. Es gibt auch Aufnahmen aus der Wohnung, etwa aus dem Kinderzimmer des verstorbenen Jungen. Noch einmal zur Erinnerung: Am Dienstagmittag ist der Fünfjährige aus dem Fenster gefallen. Am Donnerstagmorgen ist die “B.Z.”-Ausgabe erschienen. Das heißt: Der Fotograf muss die Familie am Mittwoch, gerade mal einen Tag, nachdem das Kind gestorben ist, aufgesucht haben.

Als Urheber der Fotos ist Jörg Bergmann angegeben, ein alter Bekannter im BILDblog. Er scheint derjenige zu sein, der die Familie des verstorbenen Fünfjährigen behelligt hat.

Bergmann ist auch, gemeinsam mit seiner Kollegin Maren Wittge, Autor des Artikels. Die beiden schreiben, dass die Mutter des fünfjährigen Kindes gerade einkaufen gewesen sei, als der Junge aus dem Fenster stürzte. Die 14-jährige Schwester sei zu Hause gewesen. Sie ist es auch, die Bergmann und Wittge dazu gebracht haben, einige Zitate zu geben und ein Foto ihres Bruders zu zeigen. Eine entsprechende Aufnahme hat Bild.de veröffentlicht: Die 14-Jährige ist von hinten zu sehen, sie hält ein Foto ihres Bruders hoch, alles unverpixelt. Als Bildunterschrift ist zu lesen:

Der kleine K[.] stürzte aus dem Fenster eines Berliner Wohnhauses und starb – seine Schwester O[.] trauert mit der Familie um ihren Bruder

Und die Familie trauert nicht nur, sie steht unter Schock, mindestens die Mutter. Das schreiben auch Bergmann und Wittge:

Die Mutter erlitt einen schweren Schock und blieb über Nacht in einer Klinik. Neben den Sanitätern waren auch mehrere Seelsorger am Unfallort und betreuten die Zeugen.

Für Auflage und Klicks haben die Redaktionen von “Bild” und “B.Z.” die Notsituation einer Familie, die gerade ein Kind verloren hat, skrupellos ausgenutzt.

Mit Dank an Felix für den Hinweis!

DOCH VERÖFFENTLICHT !!!!!!!!!!!!!!

Es gibt die verschiedensten Varianten: Ein Mensch stirbt, die “Bild”-Redaktion besorgt sich ein Foto der Person, berichtet über den Fall, und die Familie des oder der Verstorbenen wehrt sich juristisch gegen die Berichterstattung. Oder: Ein Mensch stirbt, “Bild” veröffentlicht ein Foto, das aber eine völlig andere Person zeigt, und die beschwert sich anschließend. Oder: Ein Mensch stirbt, “Bild” berichtet, niemand wehrt sich, weil niemand die Nerven und die Kraft dazu aufbringen kann oder weil die möglichen Rechtsmittel nicht bekannt oder zu kostspielig sind oder weil niemand es mitbekommen hat oder auch weil die Familie mit der Berichterstattung einverstanden ist.

Am vergangenen Freitag kam eine neue Variante hinzu, die uns so bisher noch nicht begegnet ist:

Screenshot Bild.de - Nicht veröffentlichen - es folgen vierzehn Ausrufezeichen - Trauer um 41-jährigen Mediziner - Nicht publizieren - Witwe will es nicht - Augsburger Oberarzt stirbt im Kroatien-Urlaub - Bruder sammelt für die Familie spenden - dazu ist ein unverpixeltes Foto des verstorbenen Mannes zu sehen, das wir vor der Veröffentlichung hier im BILDblog unkenntlich gemacht haben

Ein Mann stirbt, “Bild” will berichten und erstellt einen entsprechenden Bild.de-Beitrag, die Witwe macht aber schon vor der Veröffentlichung klar, dass sie damit nicht einverstanden ist, die “Bild”-Redaktion erfährt das ganz offensichtlich auch, und dann wird der Artikel doch veröffentlicht, mit unverpixeltem Foto des Verstorbenen (die Unkenntlichmachung stammt von uns).

Auf unsere Anfrage, warum der Artikel bei Bild.de publiziert wurde, obwohl die Familie des Verstorbenen dies offenbar nicht wollte, antwortete uns eine “Bild”-Sprecherin:

Wie am internen Hinweis in der Überschrift und der Dachzeile zu erkennen, wurde der Artikel versehentlich publiziert. Es handelt sich um einen bedauerlichen Fehler, der sehr schnell bemerkt wurde. Der Artikel war am frühen Morgen des 28. Julis für wenige Minuten online, wurde umgehend depubliziert und seither nicht erneut veröffentlicht.

Zu unseren weiteren Fragen, warum sich der Artikel überhaupt noch im Redaktionssystem befunden hat, obwohl die Witwe sich so deutlich geäußert hatte, ob die “Bild”-Redaktion noch auf irgendeine Entwicklung bei der Geschichte gewartet hat, beispielsweise dass die Frau doch noch einer Veröffentlichung zustimmt, und warum Bild.de ein unverpixeltes Foto des Mannes verwendet hat, bekamen wir keine Antwort.

Mit Dank an Jens L. für den Hinweis!

Verbaselte Verpixelung, Geldstrafe, Fußballfelder

1. TV-Bericht wird teuer für Mutter
(taz.de, Kaija Kutter)
Der NDR strahlte ein unverpixeltes Video aus, in dem (identifizierbare) Jugendamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bei der Abholung eines Kindes zu sehen waren. Dagegen wehrte sich eine Jugendamtsmitarbeiterin mit dem Ergebnis, dass nicht der Sender, der die Verpixelung “verbaselt” habe, sondern die Mutter, die die Aufnahmen dem NDR übergeben haben soll, zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

2. Geldstrafe für Angriff auf Fotografin
(verdi.de)
Ganze fünf Jahre habe es gedauert, bis ein Gericht einen Mann verurteil hat, der bei einer Demonstration des rechtsextremen Vereins “Zukunft Heimat” eine Fotografin angegriffen hatte. “Das ist kein Einzelfall im Gerichtsbezirk Cottbus, es ist ein strukturelles Problem. Wir haben ganz viele rechte Gewaltdelikte, die jahrelang nicht vor Gericht verhandelt werden”, so Martin Vesely von der Organisation Brandenburger Opferperspektive.

3. Wie Künstliche Intelligenz die Grenzen der Realität aushebelt
(belltower.news, Una Titz)
Verschwörungsideologen, christliche Fundamentalisten und reaktionäre Kräfte hätten die Möglichkeiten der KI-Bildgenerierung für sich entdeckt und sollen wie am Fließband falsche KI-Bilder und Fake-Videos produzieren, die Faktizität und Authentizität vortäuschen. Auch die Neue Rechte habe die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) entdeckt. Das seien beängstigende Aussichten, wie Una Titz findet, “vor allem, wenn man bedenkt, dass die Präventionsmaßnahmen zur Identifizierung und Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten bislang auch seitens der Content-Moderationssysteme und Behörden völlig unzureichend bis komplett inexistent sind.”

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4. RTL und Monica Lierhaus: Von Normalität noch weit entfernt
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Beim Fernsehsender RTL findet vom 19. bis 25. Juni die “Woche der Vielfalt” statt, “mit vielen tollen Sendungen, Filmen und Beiträgen”. Schwerpunkt der diesjährigen Vielfaltswoche ist das Thema Inklusion. Timo Niemeier hat Störgefühle, was die Kampagne und speziell den Einsatz der Sportreporterin Monica Lierhaus betrifft: “Auch wenn RTL in den zurückliegenden Tagen immer wieder die Bedeutung von Inklusion beteuerte: So richtig macht es nicht den Eindruck, als würde man ernsthaft Inklusion betreiben. Am Montag moderierte Lierhaus den Sportblock bei ‘RTL Aktuell’ – mehr als ein Symbol ist das nicht. Zu allem Übel wurde bei der Gelegenheit noch einmal auf die Geschichte der Moderatorin zurückgeblickt. Ist Monica Lierhaus nun Berichterstatterin oder Gegenstand von Berichterstattung?”

5. Australien knöpft sich Twitter wegen Online-Hass vor
(faz.net)
Die australische Regierung droht Twitter mit Geldstrafen von mehr als 400.000 Euro pro Tag, sollte das Unternehmen nicht innerhalb von vier Wochen Auskunft darüber geben, was es gegen Hass im eigenen Netzwerk unternimmt. “Wir brauchen Rechenschaft von diesen Plattformen und Maßnahmen zum Schutz ihrer Nutzer, und es gibt keine Rechenschaft ohne Transparenz, und das ist es, was mit rechtlichen Hinweisen wie diesem erreicht werden soll”, sagt Julie Inman Grant von der zuständigen Aufsichtsbehörde.

6. Warum Fußballfelder nicht gleich Fußballfelder sind
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 2:21 Minuten)
Wenn es darum geht, Abstraktes verständlich zu machen, greifen Journalistinnen und Journalisten gerne auf Vergleiche zurück. Wenn es um die Größe einer Fläche geht, wird dann häufig das Saarland oder die Anzahl von Fußballfeldern als Bezugsgröße genannt. Stefan Fries gibt in “Sagen & Meinen” Tipps, welche Alternativen es gibt, um Zahlen und Größen zu veranschaulichen.

Wenn “Bild” sämtliche pressethischen Standards einhält

In Dresden wird eine Frau erschlagen. Bild.de zeigt ein unverpixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Eine Einwilligung für eine identifizierbare Abbildung konnte die Redaktion nicht vorlegen.”

In Nürnberg wird ein Mann erschossen. “Bild” und Bild.de zeigen ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Die Identität von Opfern muss laut Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex besonders geschützt werden.”

In Ibbenbüren wird eine Frau mit mehreren Messerstichen getötet. “Bild” und Bild.de zeigen ein unverpixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Das Wissen um die Identität des Opfers ist in der Regel unerheblich. Eine Einwilligung der Angehörigen lag nicht vor, es handelte sich auch nicht um eine Person des öffentlichen Lebens.”

In Stadtallendorf wird eine Frau mit mehreren Messerstichen getötet. “Bild” und Bild.de zeigen ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: Im Artikel “zeigte die Redaktion das Porträt des Opfers, für das offenbar keine Einwilligung der Angehörigen vorlag.”

In Warendorf wird eine Frau getötet. Bild.de zeigt ein unvepixeltes Foto des Opfers. Der Presserat erteilt dafür eine Rüge: “Das Bild stammte von der Gedenkseite eines Bestattungsunternehmens. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Veröffentlichung bei BILD.DE lag offenbar nicht vor.”

Der Deutsche Presserat hat vergangene Woche Rügen verteilt: insgesamt 17 Stück, acht allein an “Bild” und Bild.de, davon fünf für “Verstöße gegen den Opferschutz”.

Gestern berichteten die “Bild”-Medien über einen “tödlichen Streit um Vermögen in Hamburg”. In der “Bild”-Bundesausgabe groß auf Seite 6:

Ausriss Bild-Zeitung - Rocker im Vorgarten hingerichtet

Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Tödliche Schießerei in Hamburg - Rocker D. im Vorgarten hingerichtet

Die Verpixelungen oben stammen alle von uns. “Bild” und Bild.de haben die Fotos des Opfers und des Tatverdächtigen, der auch nicht mehr lebt, ohne irgendeine Unkenntlichmachung veröffentlicht.

Wir haben bei “Bild” nachgefragt, ob der Redaktion Einwilligungen der Familien vorliegen, die Fotos ohne Verpixelung zu veröffentlichen. Ein “Bild”-Sprecher antwortete uns: Das Foto des Tatverdächtigen …

wurde uns aus dem direkten familiären Umfeld rechtefrei für unsere Berichterstattung zur Verfügung gestellt.

Leider sagt er nicht, von wem genau. Es könnte die Verlobte des Mannes sein, jedenfalls scheint “Bild” mit ihr gesprochen zu haben, sie wird im Artikel zitiert. Ob das mit Blick auf den Pressekodex für eine Veröffentlichung reichen würde, ist fraglich. In dem eingangs erwähnten Fall aus Nürnberg hatte “Bild” das Foto offenbar von einem Cousin des Opfers erhalten. Das reichte dem Presserat nicht: “Die für eine identifizierbare Berichterstattung notwendige Einwilligung eines nahen Angehörigen konnte die Redaktion nicht vorlegen, lediglich die eines Cousins.” Die Entscheidung des Presserats: “Zustimmung des Cousins zur Verwendung eines Opferfotos reichte nicht aus”.

Doch zurück zum Hamburger Fall. Zur Veröffentlichung des Fotos, das das Opfer zeigt, schreibt der “Bild”-Sprecher: Die Aufnahme sei …

in sozialen Medien mit großer Reichweite öffentlich und dort ebenfalls unverpixelt einsehbar.

Die Argumentation ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Erstmal scheint keine Einwilligung der Familie vorzuliegen, jedenfalls erwähnt der “Bild”-Sprecher sie nicht. Mit der Begründung macht er es sich bemerkenswert einfach: Dass irgendwer irgendwas irgendwo in irgendwelchen “sozialen Medien” postet, soll für “Bild” und Bild.de ein legitimer Grund für eine identifizierende Berichterstattung sein? Und was meint der “Bild”-Sprecher überhaupt, wenn er davon schreibt, das Foto sei “in sozialen Medien mit großer Reichweite öffentlich”?

Die “Bild”-Redaktion gibt selbst an, wo sie das Foto her hat: von der Instagram-Seite eines Hells-Angels-Charters (auch nicht unbedingt die typische “Bild”-Quelle). Dort trauern sie um das verstorbene Mitglied. Der Account hat aktuell 3.172 Follower, der Beitrag mit dem Foto, das sich die “Bild”-Redaktion geschnappt hat, wurde bislang 392 Mal geliket, es gibt 75 Kommentare. Nun ja.

Eine gute halbe Stunde nach der ersten Mail des “Bild”-Sprechers schickt er uns eine zweite. Wir “dürfen bitte noch ergänzen”:

Die Veröffentlichung der Fotos erfolgte unter Einhaltung sämtlicher presserechtlicher und pressethischer Regeln und Standards.

Ob das stimmt, werden wir vermutlich nach der nächsten Sitzung des Deutschen Presserats erfahren.

Bild.de zeigt Hinrichtung eines Menschen

Wenn auf der Bild.de-Startseite ein Artikel mit der Überschrift “Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein” zu finden ist und in der dazugehörigen Dachzeile steht: “SCHOCKIERENDES VIDEO AUS USA”, dann ist zu befürchten, dass die “Bild”-Redaktion eben dieses Video auch zeigt. Und genau so ist es: Bei Bild.de ist seit gestern zu sehen, wie ein Mensch regelrecht hingerichtet wird (auf jegliche Verlinkungen verzichten wir in diesem Fall bewusst).

Screenshot Bild.de - Schockierendes Video aus den USA - Mann erschießt Obdachlosen auf dem Bordstein
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns. Mehr dazu weiter unten im Beitrag.)

Am Montag soll in St. Louis ein Mann einen anderen am helllichten Tag auf der Straße erschossen haben. Ein Passant hat einen Teil der Tat mit seiner Handykamera aus kürzerer Distanz, leicht versteckt gefilmt. Dieses Video hat die “Bild”-Redaktion in ihren Artikel eingebettet. Zu Beginn blendet sie einen Warnhinweis ein:

Screenshot Bild.de - Achtung gewaltsame Szenen

Anschließend ist eine Straßenszene zu sehen, in der ein Mann auf dem Bordstein sitzt. Ein anderer steht neben ihm und hantiert mit einer Waffe. Nichts ist verpixelt, nicht das Opfer, nicht der Täter. Nach kurzer Zeit streckt der stehende Mann den Arm aus und richtet die Waffe auf den Kopf des sitzenden Mannes. In diesem Moment friert bei Bild.de das Video ein (dieses Standbild ist auch die Aufnahme, die bei Bild.de auf der Startseite zu sehen ist, und die wir weiter oben unkenntlich gemacht haben). Die Tonspur des Videos läuft hingegen weiter, ein Schuss ist zu hören und die Aussage der filmenden Person: “Oh my God, he just fucking killed him.”

Was nicht in dem Video zu sehen ist, aber aus einem Polizeiprotokoll hervorgeht: Dem Opfer wurde vom Täter zuvor bereits in den Rücken geschossen. Der Mann sitzt völlig wehrlos auf dem Bordstein, während der Täter seine Waffe nachlädt. Es ist eine regelrechte Hinrichtung, die die “Bild”-Redaktion da zeigt. Und sie zeigt sie nicht nur einmal – in dem 1:21 Minuten langen Clip zeigt sie die Szene insgesamt dreimal. Es scheint dabei einzig um Sensationsgier zu gehen.

In einem recht ähnlichen Fall sprach der Deutsche Presserat im September 2020 eine Rüge gegen die “Bild”-Redaktion aus:

Als unangemessene Darstellung von Brutalität und Leid nach Ziffer 11 des Pressekodex beurteilte der Presserat das Video einer Tötungsszene. Unter dem Titel “Mann in New York aus Auto erschossen” zeigte BILD.DE, wie ein Mann beim Überqueren einer Straße erschossen wird und zu Boden fällt. Die Redaktion hatte das Fahndungsvideo vom Twitter-Account der New Yorker Polizei übernommen. Nach Ansicht des Presserats bediente das Video – in dem die Tötung wiederholt gezeigt wurde – reine Sensationsinteressen. Der ursprüngliche Fahndungszweck des Videos hatte in der deutschen Öffentlichkeit keine Bedeutung. Für die Presse gilt bei der Veröffentlichung von Ermittler-Material der Pressekodex, betonte der Beschwerdeausschuss.

Die “Bild”-Redaktion weiß von dieser Kritik, sie hat die Rüge damals unter dem entsprechenden Bild.de-Artikel wie vorgeschrieben veröffentlicht.

Ein Unterscheid zwischen dem aktuellen Video aus St. Louis und dem aus New York, für das Bild.de die Rüge bekommen hat: Während in dem New Yorker Fall das Video nach einem Schnitt auch die Szene nach dem Schuss und damit den Übelebenskampf des Opfers zeigt, friert das Video aus St. Louis bei Bild.de, wie gesagt, direkt vor der Schussabgabe ein. Allerdings sollte man das nicht als Rücksichtnahme auf Opfer und Leser-/Zuschauerschaft und als letztes Fünkchen Anstand der “Bild”-Mitarbeiter deuten. Im Originalvideo, das uns vorliegt, schwenkt die filmende Person genau in diesem Moment weg. Die Redaktion konnte also gar nichts weiter zeigen.

Betr.: “Drogen-Hölle”

Der Fall ist schon traurig und tragisch und schlimm genug: In Hagen soll ein fünfjähriger Junge von seiner Mutter über längere Zeit in einem Zimmer eingeschlossen worden sein. Die Ausstattung des Raums soll lediglich aus einer Matratze und einem Eimer für die Notdurft bestanden haben. Das Kind ist am vergangenen Sonntag aus dem Fenster und auf das Dach des viergeschossigen Hauses geklettert. Dort entdeckten es Nachbarn und alarmierten die Polizei, die den Jungen befreite. Das eingeschaltete Jugendamt nahm ihn daraufhin mit in eine städtische Einrichtung, brachte ihn allerdings am Montag wieder zurück in die Wohnung der Mutter und des Stiefvaters – offenbar aufgrund eines Fehlers. Am Dienstagmorgen ist das Kind dann vom Jugendamt wieder aus der Familie geholt worden.

Wie gesagt: Das alles ist schon schrecklich genug. Die “Bild”-Redaktion aber will es noch etwas schrecklicher haben:

Screenshot Bild.de - Er flüchtete über die Dachrinne vor seinen Eltern - Jugendamt bringt Jungen zurück in die Drogen-Hölle
(Links zu sehen ist ein gemeinsames Foto der Mutter, des Stiefvaters und des Kindes. Mehr zur Unkenntlichmachung des Fotos weiter unten im Text.)

Die “Drogen-Hölle”, von der Bild.de auf der Startseite spricht, soll aus “einigen Cannabispflanzen” bestehen. So steht es im dazugehörigen Artikel. Das erfahren allerdings nur jene, die mit ihrem “Bild-plus”-Abo hinter die Paywall schauen können. In einem weiteren Bild.de-Artikel (ebenfalls nur mit “Bild-plus”-Abo lesbar) wird es konkreter: Es soll sich um “drei Cannabispflanzen” handeln. Das erklärt die “Bild”-Redaktion also zu einer “Drogen-Hölle”. Es ist eine völlig unnötige Übertreibung zu diesem schlimmen Fall, die auch den sowieso schon heftigen Fehler des Jugendamts in der Schlagzeile noch mal heftiger wirken lässt.

Zur Bebilderung des Artikels nutzt Bild.de unter anderem ein gemeinsames Fotos des Jungen, der Mutter und des Stiefvaters. Die Gesichter der Erwachsenen hat die “Bild”-Redaktion verpixelt, den Jungen hat sie komplett mit einer weißen Fläche überdeckt. Die zusätzliche, großflächige Verpixelung stammt von uns. In der Bildunterschrift steht:

[Vorname und abgekürzter Nachname der Mutter] und [Vorname und abgekürzter Nachname des Stiefvaters] mit dem Kind am Tag ihrer Hochzeit. Um ihn zu schützen, nennt BILD den Namen des Jungen nicht

Das ist ja erstmal eine für die “Bild”-Redaktion überraschend weitsichtige Idee. Sie hat sie aber so gut wie gar nicht umgesetzt: Wenn Bild.de die Vornamen der Mutter und des Stiefvaters sowie den abgekürzten Nachnamen nennt und dazu ein Foto der beiden zeigt, auf dem zwar deren Gesichter verpixelt sind, sie aber beispielsweise aufgrund der Statur zumindest für Personen, die das Paar kennen, dennoch identifizierbar sind, dann dürfte diesen Personen auch direkt klar sein, um welches Kind es sich handelt.

Nur die “Bild”-Redaktion geht so vor – in keinem anderen Artikel zu dem Fall, den wir gesehen haben, wird ein Foto der beteiligten Personen gezeigt.

Mit Dank an Sabine P. für den Hinweis!

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