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Rügen-Schock: Schach und Regenbogen

Der Deutsche Presserat hat vergangene Woche zehn öffentliche Rügen, 13 Missbilligungen und 23 Hinweise ausgesprochen.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Die “Bild”-Zeitung erhielt eine Rüge, weil sie in ihrer Thüringer Ausgabe das Foto eines Mannes abgedruckt hatte, der gestanden hatte, sein eigenes Kind getötet zu haben. Der Beschwerdeausschuss befand, dass an dem Gerichtsprozess und der Tat an sich zwar ein öffentliches Interesse bestehe, nicht aber an der identifizierenden Abbildung des Täters (Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex).

Für ähnliche Verstöße erhielt die Online-Ausgabe der “B.Z.” gleich zwei Rügen. Sie hatte über einen psychisch kranken Mann berichtet, der nackt und mit einem Messer bewaffnet in den Brunnen am Berliner Alexanderplatz gestiegen und später von der Polizei erschossen worden war. “B.Z. Online” veröffentlichte zahlreiche persönliche Details, durch die der Mann “für einen weiten Personenkreis identifizierbar wurde”, urteilte der Presserat:

Für den zweiten Artikel hatte der Autor offenbar die Wohnung des Toten aufgesucht und den Inhalt von dort gefundenen Dokumenten veröffentlicht. Der Beschwerdeausschuss sah in der Berichterstattung einen Verstoß gegen die Richtlinien 8.1 und 8.6 des Pressekodex. Über den psychisch kranken und möglicherweise schuldunfähigen Mann hätte nur anonymisiert und in zurückhaltender Weise berichtet werden dürfen.

Auch die Schach-Zeitschrift “Rochade Europa” kassierte eine Rüge. Sie hatte den Sieger eines Turniers, einen älteren Mann, ganzseitig auf dem Titelblatt gezeigt; auf seiner Hose war ein großer nasser Fleck zu sehen. Der Presserat befand:

Dadurch entstand der Eindruck, dass er sich eingenässt haben könnte. Der Ausschuss sah darin einen Verstoß gegen die Ziffern 1 und 9 des Pressekodex. Danach achtet die Presse Würde und Ehre des Menschen. Die Redaktion hätte das Foto des Mannes nicht veröffentlichen dürfen, auch wenn es — wie die Zeitschrift mitteilte — mit seinem Einverständnis gemacht wurde.

Gerügt wurde auch der Online-Auftritt der “Augsburger Allgemeinen”. Das Portal hatte Spekulationen über eine außereheliche Affäre eines Lokalpolitikers wiedergegeben, die ein Parteikollege bei Facebook veröffentlicht hatte. Darin erkannte der Presserat einen Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit (Ziffer 8).

Insgesamt fünf weitere Rügen gingen an Zeitschriften der Regenbogenpresse.

Eine davon bekam die “Frau aktuell”. Das Blatt hatte auf der Titelseite eine “pikante Enthüllung” über Volksmusiker Stefan Mross angekündigt. Im Innenteil lautete die Überschrift: “Alkohol-Schock! Stefan Mross – Wer kann ihm jetzt noch helfen?” Im Text ging es dann aber lediglich um Folgendes: Wenn man bei Google “Stefan Mross” eingibt, erscheint als Suchvorschlag manchmal “Stefan Mross Alkohol”. Der Presserat erkannte daher eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht (Ziffer 2) und des Persönlichkeitsschutzes (Ziffer 8).

Ebenfalls gegen die Sorgfaltspflicht verstieß nach Ansicht des Pressrats die “Freizeit Express”, weil sie getitelt hatte: “Kate & William – Sensationelle Baby-Fotos! Es nuckelt schon am Daumen…” In Wirklichkeit handelte es sich dabei jedoch um Symbolfotos. Als solche hätten sie nach Ansicht des Presserats auch gekennzeichnet werden müssen.

Unter der Überschrift “Angela Merkel – Verheimlichte Scheidungstragödie” versprach die “Meine Freizeit” im April auf der Titelseite “Alles über die unbekannte Vergangenheit der Kanzlerin”.  Im Innenteil wurden dann aber lediglich ein paar banale und seit Jahren bekannte Fakten aus dem Leben Angela Merkels mitgeteilt. Die Schlagzeilen beurteilte der Presserat daher als grobe Irreführung der Leser.

Um eine andere angebliche Scheidungstragödie ging es in der Zeitschrift “Das neue Blatt”. Auf dem Cover hieß es über das “Bauer sucht Frau”-Pärchen Josef und Narumol: “Scheidungs-Schock! – Dabei war es doch die ganz große Liebe”. Erst im Artikel wurde klar, dass sich nicht Bauer Josef, sondern ein anderer Bauer aus der RTL-Sendung hatte scheiden lassen. Auch hier stellte der Presserat Verstöße gegen die Ziffern 1 und 2 des Pressekodex fest. Die Schlagzeilen seien grob irreführend.

Die “Promi Welt”, die neuerdings “Woche exklusiv” heißt, kassierte schließlich eine Rüge für einen Artikel über Steffi Graf. Die hatte zu Jahresbeginn die Leser ihres Blogs um Rat gefragt, wie man “das Leben allgemein einen Gang herunterschalten könnte”. Die “Promi Welt” sprach daraufhin gleich von einem “verzweifelten Hilferuf” und bescheinigte Steffi Graf einen “Absturz in die Lebenskrise”. Das Blatt nahm den Blogeintrag sogar noch zum Anlass, über eine mögliche Krebserkrankung von Steffi Grafs Mutter zu spekulieren. Der Presserat bewertete den Artikel als “eine unwahrhaftige Berichterstattung, bei der jegliche Sorgfaltspflichtaspekte außer Acht gelassen wurden.”

Boston-Marathon, RTL II News, Niederbrüllen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Digitaler Katastrophentourismus”
(lampiongarten.wordpress.com)
Sebastian Baumer ärgert sich darüber, wie zum Teil in Sozialen Medien über den Anschlag auf den Boston-Marathon berichtet wird.

2. “Debatte: Wie kann sich Onlinejournalismus finanzieren?”
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Nachdem deutlich geworden ist, dass netzpolitik.org viel mehr Geld verbraucht als bisher eingenommen hat, wägt Markus Beckedahl ab, welche Aktionen ergriffen werden müssen, um das Bugdet wieder auszugleichen.

3. “ZDF schummelt bei ‘heute’-Nachrichten”
(stern.de, Rolf-Herbert Peters)
Ein ZDF-Sprecher räumt ein, dass ein in der Nachrichtensendung “Heute” ausgestrahltes Statement schon vor Eintreffen des betreffenden Sachverhalts aufgezeichnet wurde: “Nach Rückfrage bei den zuständigen Kolleginnen und Kollegen können wir Ihnen mitteilen, dass die Frage bei einem Dreh für die ZDF-Sendung ‘Forum am Freitag’ in Erwartung einer entsprechenden Entscheidung vorab gestellt und aufgezeichnet wurde.”

4. “‘Köln 50667’ – Beanstandung gegen RTL 2 News”
(die-medienanstalten.de)
Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) rügt RTL II News: “In der Sendung am 8. Januar 2013 wurde ein fiktionales Statement einer Schauspielerin des Scripted-Reality-Formats ‘Köln 50667’ ausgestrahlt ohne einen Hinweis, dass das Interview von einer frei erfundenen Figur stammte.”

5. “Wenn der konservative Journalisten-Mob gegen Andersdenkende wütet”
(hogymag.wordpress.com, almasala)
Zur Meinungsäußerungsfreiheit kann auch Niederbrüllen gehören, findet almasala: “Man kann seinen Standpunkt nicht nur durch Sachargumente, sondern auch durch Karikaturen, Kabarett, Musik, Polemik, ständiges Unterbrechen, leeren Worthülsen und eben auch rabiates Niederbrüllen mehr oder weniger direkt zum Ausdruck bringen. Das alles ist zulässig und durch die Meinungsfreiheit gedeckt.”

6. “Böser, böser Toaster”
(golem.de, Alexander Merz)
Entwickler Alexander Merz geht dem Quellcode nach, der auf einem Symbolfoto zu sehen ist, das für Nachrichten über Hackerangriffe verwendet wird.

Atomkraft, nein danke

Medien wie Bild.de und “Focus Online” berichteten am Donnerstag:

Neben dem Altkraftwerk in Datteln darf der Stromkonzern Eon auch sein Kraftwerk Shamrock in Herne befristet weiter betreiben.

Die Überschrift sah so aus:

Atomkraftwerk Shamrock darf weiter laufen

Für die Bewohner des Ruhrgebiets war das eine unangenehme Überraschung: Bisher galt das Kraftwerk Shamrock als Steinkohlekraftwerk.

Das ist es auch weiterhin, denn von einem “Atomkraftwerk” war in der eigentlichen Meldung keine Rede.

Quelle für die Artikel bei Bild.de, “Focus Online” und anderswo war der Landesdienst NRW der Deutschen Presse Agentur (dpa). Doch dessen Meldung war unter der korrekten Überschrift “Auch Altkraftwerk Shamrock darf weiter laufen” über die Ticker gegangen.

Was war also passiert?

Die dpa erklärte uns auf Anfrage, in den eigentlichen dpa-Tickern sei die Meldung richtig überschrieben gewesen, es handle sich offensichtlich um einen Übertragungsfehler bei der Belieferung von Onlineportalen.

Entsprechend sei das mitgelieferte Symbolfoto eine “Fortsetzung des Fehlers”:

Ein Warnschild steht vor dem Kühlturm eines Atomkraftwerkes.

Nach unserer Anfrage hatte die dpa den Fehler in ihrem System korrigiert, bei Bild.de ist in der Überschrift und der Bildunterschrift jetzt von einem “Altkraftwerk” die Rede. (Das Foto zeigt allerdings weiterhin das Atomkraftwerk Isar 1 2* in Bayern, das mit der Meldung ohnehin nichts zu tun hat.)

Das war am frühen Freitagabend.

Bei “Focus Online” sieht die Meldung heute immer noch so aus:

Atomkraftwerk Shamrock darf weiter laufen

Mit Dank an Franziska K.

*) Nachtrag, 13.30 Uhr: Erstaunliche Erkenntnis am Rande: Der Kühlturm, der immer wieder gerne bei Artikeln zum Kernkraftwerk Isar 1 gezeigt wird, gehört zum Kernkraftwerk Isar 2.

Mit Dank an Martin B.

Planlos durchs Weltall

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2012. Dies sind die Abenteuer der Internationalen Raumstation ISS, die mit ihrer 30 Mann starken Besatzung unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Drei Autostunden von der Erde entfernt kreist die ISS in Umlaufbahnen, auf denen die meisten Menschen noch nie waren.

Bitte, was? Wir sind bekloppt? Da passen überhaupt keine 30 Leute auf die ISS?

Na, sagen Sie das mal den Leuten von Bild.de:

Moment, man kann’s nicht so gut lesen:

Europa aus dem Weltall. Diese atemberaubende Aufnahme machte ein 30-köpfiges internationales Team 240 Kilometer über der Erde. Ein Großteil des Fotos zeigt Italien

Das “30-köpfige internationale Team” ist nicht das einzig rätselhafte daran: Das Foto ist auch schon ein halbes Jahr alt und taugt deshalb irgendwie nicht so richtig in die Kategorie “Der Tag bei BILD.de” von gestern.

Andererseits liefert die Original-Bildunterschrift bei der US-Weltraumbehörde NASA schon mal eine Antwort auf die Frage, warum bei Bild.de 30 Menschen (statt sechs) an Bord der ISS sind:

This nighttime panorama of much of Europe was photographed by one of the Expedition 30 crew members aboard the International Space Station flying approximately 240 miles above the Tyrrhenian Sea on Jan. 25, 2012. Most of the country of Italy is visible running horizontally across the center of the frame, with the night lights of Rome and Naples being visible to the left and right of center, respectively. Sardinia, and Corsica are in the lower left quadrant of the photo. The Adriatic Sea is on the other side of Italy, and beyond it to the east and north can be seen parts of several other European nations.

Es geht also nicht um “30 crew members” (30 Crew-Mitglieder), sondern “one of the Expedition 30 crew members”, eines der Mitglieder der Crew von Expedition 30.

Aber warum war das Foto gestern bei den Bildern des Tages dabei?

Die Deutsche Presseagentur (dpa), die Bild.de als Quelle angibt, hat eine vielleicht etwas merkwürdige, aber durchaus plausible Erklärung dafür:

Wir haben das bereits ältere Foto am vergangenen Dienstag (31. Juli) neu als Illustration zum Thema “Euro-Schutzschirm ohne Limit im Gespräch” gesendet. Dabei haben wir den Original-Nasa-Text verwendet (“ILLUSTRATION – HANDOUT – This nighttime panorama of much of Europe was photographed by one of the Expedition 30 crew members …”). Wir haben auch nochmals auf das Datum der Aufnahme verwiesen (25. Januar 2012).

Ein Symbolfoto zum Euro-Schutzschirm sorgt für eine Überfüllung der ISS — und das rückwirkend um ein halbes Jahr. Was klingt wie ein Fehler im Raum-Zeit-Kontinuum, ist einfach nur die Fotoredaktion von Bild.de.

Mit Dank an Lorenz G.

Nachtrag, 15.46 Uhr: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass Bild.de sich auch bei der Umlaufbahn der ISS vertan hat: In der Bildbeschreibung von NASA und dpa ist von “240 miles” die Rede (rund 386 Kilometer), bei Bild.de von “240 Kilometern”.

Enthüllungen unter der Dusche

In Vereinen, wo der Sport bekanntlich am Schönsten ist, gibt es viele merkwürdige Traditionen und Regeln. Dazu zählt etwa die sogenannte Mannschaftskasse, in die die Mitglieder unterschiedlich hohe Geldbeträge einzahlen, wenn sie gegen bestimmte Verhaltensregeln verstoßen haben.

Auch der Fußballbundesligist FC Augsburg hat eine solche Mannschaftskasse mit entsprechendem Strafenkatalog, den sportbild.de gestern “enthüllte”:

In die Dusche urinieren = 50 Euro. Enthüllt! Der Strafenkatalog des FC Augsburg

Echte Fans des FC Augsburg werden von diesen Enthüllungen (“Wer ungeduscht auf die Massagebank oder ins Entmüdungsbecken geht, zahlt je 50 Euro”) allerdings wenig überrascht gewesen sein: Die “Augsburger Allgemeine” hatte schon zwei Wochen vorher über den Strafenkatalog des FCA berichtet, der der Redaktion damals schon “vorlag”.

In diesem Zusammenhang kam es auch zu dieser grandiosen Kombination von Überschrift, Symbolfoto und Bildunterschrift:

Strafenkatalog: 50 Euro fürs Pinkeln unter der Dusche. Der Strafenkatalog des FC Augsburg bietet allerhand zur Belustigung. Ein Auszug. Schon klar: Das sind weder Spieler des FC Augsburg, noch die Dusche des FCA. Aber finden Sie mal ein Bild zu dieser Überschrift ... So haben Sie wenigstens noch etwas für die Augen bekommen. Ist doch auch nicht schlecht.

Mit Dank an Matthias M.

Bild  

Wenn Diekmann wüsste…

Der Radiosender WDR5 hat gestern ein Gespräch des WDR-Moderators Jürgen Wiebicke mit Kai Diekmann, dem Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, zum Thema “Verantwortung” ausgestrahlt (das man hier – unter einer ganz passablen Zusammenfassung – komplett nachhören kann).

Nach gut 30 Minuten des fast einstündigen Gesprächs schließlich wird der Moderator konkret:

Es verunglückt ein Bus in der Schweiz. Es sterben Kinder. Und “Bild” druckt Fotos von toten Kindern.
(Link von uns.)

Diekmann antwortet darauf nach einigem Hin und Her:

Es geht darum, einer Tragödie, einer abstrakten Tragödie, ein individuelles Gesicht zu geben, um sie so erfahrbar zu machen und Empathie zu wecken. Ich war gerade eine Woche in Isreal und habe dort mit Kollegen zusammen ein Seminar in Yad Vashem gemacht, der Zentralen Holocaust-Gedenkstätte, die ein ganz neues Konzept zur Erinnerung an die Shoa erarbeitet haben. Wenn wir immer von sechs Millionen getöteten Juden sprechen, dann klingt das sehr abstrakt, dann ist das ‘ne Zahl, damit verbinde ich überhaupt nichts. Aber wenn Sie nur das Schicksal eines einzigen Kindes erklären, erzählen, mit Foto, und ihre Lebensgeschichte – wird auf einmal die Zahl, sechs Millionen, in ihrer ganzen furchtbaren Dimenson erfahrbar.

Und man mag nun lange darüber nachdenken, wie selbstgerecht unverfroren geistreich Diekmanns So-wie-die-Zentrale-Holocaust-Gedenkstätte-Fotos-von-Holocausopfern-zeigt,-druckt-auch-die-“Bild”-Zeitung-Fotos-von-Opfern-eines-Autounfalls-Analogie sein mag, aber…

… als sich der Moderator dann doch nicht mit Diekmanns Reiseerinnerungen zufriedengeben will und den “Bild”-Chef darauf hinweist, dass er und sein Blatt “von Hinterbliebenen in unzähligen Fällen geradezu dafür verflucht werden, dass Sie solche Bilder veröffentlichen”, da antwortet Diekmann:

Ich weiß nicht, dass wir in unzähligen Fällen dafür verflucht werden, dass wir solche Bilder veröffentlichen – sondern wir versuchen das natürlich immer in Übereinstimmung mit denjenigen zu tun. (…) Wenn sie es nicht wollen, dann tun wir das natürlich auch nicht. Und wenn ich wüsste, jemand will das nicht, dann würde ich es auch nicht tun. Das ist doch keine Frage.

Einen “Eid darauf ablegen” möchte Diekmann angesichts “einer Redaktion mit 850 Mitarbeitern” dann zwar lieber doch nicht. Allerdings:

Wenn ich aber wüsste, dass irgendjemand unter keinen Umständen die Veröffentlichung eines solchen Fotos wünscht, dann würde ich selbstverständlich diese Veröffentlichung auch nicht vornehmen.

Das klingt deutlich.

Es sei denn, wir zitieren mal aus ein paar Entscheidungen des Presserats:

BILD (Stuttgart) erhielt eine öffentliche Rüge für einen Bericht über ein Lawinenunglück. Darin hatte die Zeitung die Fotos dreier Todesopfer abgedruckt. Zusätzlich hatte sie das Foto eines Überlebenden ohne dessen Einwilligung gedruckt und dabei das Gesicht nur unzureichend mit einem Balken unkenntlich gemacht. (…)

Eine öffentliche Rüge erhielt BILD. Die Zeitung hatte ein Foto des zehnjährigen Jungen veröffentlicht, der im April bei einem Terroranschlag in Ägypten getötet worden war. Dies geschah ohne Einwilligung der Eltern, so dass das Persönlichkeitsrecht des Jungen verletzt wurde. (…)

Ebenfalls wegen einer Bildveröffentlichung gerügt wurde BILD (Hannover). Die Zeitung hatte zu einem Artikel über die Pisa-Studie ein aus dem Jahr 2002 stammendes Foto einer Grundschulklasse veröffentlicht. Das Bild war damals zu einem anderen Zweck aufgenommen und jetzt ohne Rücksprache mit der Schule als Symbolfoto erneut publiziert worden. (…)

Öffentlich gerügt wurde die BILD-Zeitung aufgrund der Berichterstattung zum Absturz eines Flugzeuges im Himalaya, bei dem auch zwölf deutsche Touristen starben. Die Zeitung hatte auf der ersten Seite großformatig ein Foto der Unglücksstelle abgebildet, auf dem verkohlte Leichen zu sehen waren. Im Innenteil wurden zudem Fotos einiger Passagiere veröffentlicht. Dadurch wurde ein Teil der Opfer identifizierbar. Durch den assoziativen Zusammenhang zwischen den Abgelichteten im Innenteil und den anonymen Leichen auf der Vorderseite wurden die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt. (…)

BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 8, 2 und 1 des Pressekodex. Die Zeitung hatte berichtet, dass zwei Mädchen im Alter von eins und vier Jahren auf Veranlassung ihrer Mutter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollten, was aber durch den Vater und einen Polizeieinsatz habe verhindert werden können. Ausschlaggebend für die Rüge war ein beigestelltes Foto, das beide Kinder ungeblendet zeigte. Hierfür gab es nicht die Einwilligung beider Eltern. (…)

Eine nicht-öffentliche Rüge sprach der Ausschuss gegen BILD aus. Die Boulevardzeitung hatte in der Regionalausgabe Berlin/Brandenburg das Foto eines jungen Mädchens veröffentlicht, das vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Das Foto erschien zu einem Beitrag über den damaligen Freund des Mädchens, der Anfang dieses Jahres ebenfalls bei einem tragischen Unglück zu Tode kam. Der Ausschuss erkannte in der Veröffentlichung des Bildes, das ohne Einverständnis der Hinterbliebenen erfolgte, einen schweren Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte (…).

(Die Auflistung ist alles andere als vollständig – zumal sie nur Entscheidungen des Presserats berücksichtigt.)

Mit Dank an Johannes K. für den Hinweis!

Piratenpartei, Beißreflexe, Säbel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Stille Post sie spielen”
(scilogs.de, Anatol Stefanowitsch)
Wie “Spiegel Online” eine dpa-Meldung über eine neue Studie umschreibt, “ohne die Studie zu kennen und verstanden zu haben”.

2. “Piratenpartei: Humor ist, wenn man trotzdem lacht”
(panorama.blog.ndr.de, Andrej Reisin)
Andrej Reisin reagiert auf wütende Reaktionen von Mitgliedern und Sympathisanten der Piratenpartei, die sich von einem NDR-Beitrag “verhöhnt” fühlen. “Über Inhalt und Qualität des Films lässt sich selbstverständlich streiten – und der NDR bietet dafür mit seiner Kommentarfunktion ja auch breiten Raum. In den Reaktionen kommt allerdings auch etwas anderes zum Vorschein, nämlich ein Gestus, der sich jedwede Kritik oder Satire schlicht und ergreifend verbitten will.”

3. “Genies nach Maßgabe des deutschen Journalismus”
(antimedien.de, Hektor Haarkötter)
“Deutschland hat wirklich einige Geistesgrößen zu bieten. Gescheite, unglaublich belesene Leute, die aus ihrem enormen Wissensschatz unter Anwendung der Gesetze der Logik (und machmal auch unter Umgehung derselben) zu brillanten Schlüssen kommen. Die ‘Zeit’- und ‘Spiegel’-Redakteure könnten vermutlich lebenslänglich suchen, sie würden diese echten ‘Genies’ nicht finden.”

4. “Das Scheißleben der Feuilletonisten”
(spiegel.de, Georg Diez)
Das Ich und das Wir im deutschen Feuilleton. “Was hier von unterschiedlicher Seite versucht wird, ist eine Umdeutung der Gegenwart mit den Mitteln der Literaturkritik.”

5. “Alte Beißreflexe”
(faz.net, Johannes Warda)
Es bestehe kein Zweifel, “dass sich die Bürgerbewegung von G8- und Bildungsprotest über den arabischen Frühling bis zu ‘Occupy Wall Street’ großer Medienaufmerksamkeit” erfreue, findet Johannes Warda. “So mancher Vorwurf an die sogenannten Mainstream-Medien erinnert da an alte Beißreflexe: ein anachronistisches Verhaltensmuster aus der Zeit der Blockkonfrontation, das gerade die Indie-Medien und die Netzkultur überwunden zu haben glaubten.”

6. “Symbolträchtiger Mongolismus und eine Wiener Leiche auf Abwegen”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Aus welchem Bild ein von express.de, mopo.de und berliner-kurier.de eingesetztes Symbolfoto eines Säbels ausgeschnitten wurde.

Vorfreude ist die schönste Freude

“Spiegel Online” macht seit kurzem immer wieder mit besonders großen Abbildungen auf. Journalistisch ist das, was dort gefühlt überlebensgroß präsentiert wird, aber nicht immer. Den Ausgang der heutigen Landtagswahl in Baden-Württemberg illustrierte die Seite so:

Schönes Foto, nur zeigt es — anders als man denken könnte — nicht, wie sich Nils Schmid und Winfried Kretschmann, die Spitzenkandidaten von SPD und Grünen, über die “Sensation” freuen. Das Foto entstand bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt vor vier Tagen in Karlsruhe.

Es handelt sich also bloß um ein Symbolfoto. Den Lesern verriet “Spiegel Online” dies nicht.

Tatort Internet

Im Nachlass des 2008 verstorbenen Fotografen und Kunstlehrers Hajo Weber, der im Wiesbadener Stadtarchiv lagert (der Nachlass, nicht der Lehrer), sind Fotos und Negative gefunden worden, die unbekleidete Schüler zeigen. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”, die die Bilder entdeckt hatte, spricht von Kinderpornographie, die Staatsanwaltschaft will sich mit einer Bewertung noch zurückhalten, hat aber ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der Fund ist sicher verstörend und schlimm, aber in einer Sache kann die Wiesbadener Kulturdezernentin Rita Thies beruhigen:

Die Nacktfotos von Kindern aus den 70er und 80er Jahren sind sicher aufbewahrt: “Keiner soll Angst haben, dass die Bilder an die Öffentlichkeit geraten”, sagt Thies. Sie habe sofort nach Entdeckung der Negative am Freitag die Kriminalpolizei informiert.

Doch bei jetzt.de, dem Jugendportal von sueddeutsche.de dachte man sich wohl, dass es für Kinderpornographie nur einen natürlichen Lebensraum geben kann:

Bilder nackter Schüler im Internet

Und damit diejenigen User von jetzt.de, die den Text (der aus der gedruckten “Süddeutschen Zeitung” stammt und in dem Wörter wie “Internet” oder “Computer” überhaupt nicht vorkommen) nicht lesen, auf den ersten Blick trotzdem verstehen, worum es geht gehen könnte, ist der Artikel mit einem Werk aus der großen “Kinderporno”-Symbolfoto-Serie von dpa bebildert:

Kinderpornographie (Symbolfoto).

Seit gestern Nachmittag weisen Kommentatoren auf die merkwürdige Überschrift und Bebilderung hin (“internat und internet sind zwar zwei ähnliche wörter, aber sehr unterschiedliche dinge.”), bisher hat jetzt.de nicht reagiert.

Mit Dank an Lothar Sch.

Nachtrag, 13.57 Uhr: jetzt.de hat die Überschrift auf “Bilder nackter Schüler” zusammengekürzt und das Foto entfernt. Redaktionsleiter Dirk von Gehlen betont in einer E-Mail an uns, dass ihn der Fehler sehr ärgere.

Bengalischer Großbrand

Es muss heftig zugegangen sein in der Hamburger S-Bahn nach der Niederlage des HSV am vergangenen Samstag:

Nach dem HSV-Spiel: Bengalisches Feuer in S3. Nach dem Spiel des HSV gegen Bayer Leverkusen zündeten Unbekannte in der S3 Richtung Reeperbahn gegen 23.30 ein bengalisches Feuer.

Wer sich allerdings die Mühe macht, auf mopo.de mit dem Mauszeiger über das Foto zu fahren, wird ein wenig beruhigt:

Symbolfoto: Bengalisches Feuer in S3.

Mit Dank an Lars H.

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