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EU bringt Internet in Gefahr, Buhrows Klatsche, Williams-Karikaturenstreit

1. Diese Überschrift dürfen Sie künftig nicht mehr zitieren
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Gestern beschloss eine Mehrheit im EU-Parlament entgegen aller Kritik von Fachleuten und fast einer Million Unterschriften von skeptischen Bürgern die EU-Urheberrechtsreform. Entsprechend groß ist das Entsetzen bei den Medienbeobachtern.
“Zeit Online”-Redakteurin Lisa Hegemann schreibt: “Die Lobbyarbeit ist aufgegangen: Die EU-Urheberrechtsreform belohnt die Verlage. Für uns alle ist sie desaströs. Die freie Verbreitung von Informationen ist in Gefahr.”
Muzayen Al-Youssef kommentiert im “Standard”: “Die Verschärfung des Urheberrechts fördert Zensur und zeigt, dass das EU-Parlament Netzaktivisten, IT-Koryphäen und Bürger ignoriert hat.”
Patrick Beuth kommentiert bei “Spiegel Online”: “Die Mehrheit der EU-Abgeordneten hat mit ihrer Zustimmung zur Urheberrechtsreform bewiesen, dass sie das Internet nicht versteht — und an magische Lösungen für technische Probleme glaubt.”
Und Richard Gutjahr spricht auf Facebook von einem “Ausverkauf des Journalismus”.
Es gab im Vorfeld jedoch auch Äußerungen von Befürwortern, wie den Beitrag der “SZ”-Größe Heribert Prantl. Einen Kommentar, den Stefan Niggemeier auf “Übermedien” als “Verleumdung im Dienst der Aufklärung” bezeichnet.

2. Eine 22-seitige Klatsche für Tom Buhrow
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Als eine “22-seitige Klatsche für Tom Buhrow” bezeichnet “SZ”-Kolumnist Hans Hoff den Abschlussbericht zum Umgang des WDR mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung. Mit der Erstellung des Berichts war die ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies betraut worden. Und die gibt dem Sender schlechte Noten: Der WDR brauche dringend einen Kulturwandel, eine Verbesserung des Betriebsklimas und mehr gegenseitige Wertschätzung.
Weiterer Lesehinweis: Nur die Spitze des Eisbergs (taz.de, Wilfried Urbe).

3. “Eingeimpft” im MedWatch-Check Teil 2: “Wenn ungeimpfte Kinder sterben, ist das Schicksal”
(medwatch.de, Hinnerk Feldwisch Drentrup)
Nach einer Recherche von “MedWatch” kommen in Dokumentarfilm “Eingeimpft” fragwürdige Forscher zu Wort, die Gelder von Anti-Impf-Lobbyorganisationen erhalten. “MedWatch” hat Produzenten, Geldgeber und weitere Experten um eine Bewertung gebeten.

4. Zeitung verteidigt umstrittene Serena-Williams-Karikatur
(spiegel.de)
Nach dem Wutausbruch der Tennisspielerin Serena Williams im Finale der US Open erschien in der australischen “Herald Sun” eine vielfach kritisierte Karikatur: Der Zeichner Mark Knight hatte die Tennisspielerin als wutschnaubende Schwarze mit dicken Lippen, breiter Nase und großem Hinterteil gezeichnet. Tausende Menschen, darunter auch Promis wie die Autorin J.K. Rowling, warfen der Zeitung darauf unter anderem Rassismus vor. Das Blatt stellte sich jedoch hinter ihren Zeichner und druckte die Karikatur erneut ab, diesmal sogar auf dem Titel.
Weiterer Lesehinweis: Ebenfalls auf “Spiegel Online” kommentiert Hannah Pilarczyk: “In dieser Karikatur stecken diverse rassistische Stereotype. Ob sie absichtlich benutzt wurden oder nicht, ist egal: Einem Profizeichner darf so etwas nicht passieren.”

5. Erdogan nimmt Geisel
(jungewelt.de, Alp Kayserilioglu & Joan Adalar)
In der Türkei ist ein weiterer kritischer Journalist verhaftet worden: der österreichische Autor Max Zirngast, der dort seit 2015 Politikwissenschaften studiert. Vielleicht störten sich die türkischen Behörden an Zirngasts Engagement für eine alternative Sommerschule für Kinder aus armen Familien, vielleicht an seinen politischen Publikationen. Was ihm genau zum Vorwurf gemacht wird, sei jedoch unklar.
Weiterer Lesehinweis: Im österreichischen “Standard” erzählt der Journalist und Türkei-Kenner Markus Benrath von einer Begegnung mit Zirngast, dem “baumlangen, sympathischen Steirer” in Ankara.

6. “Jetzt bin ich halt der Ottlitz”
(mediummagazin.de, Jens Twiehaus)
Stefan Plöchinger ist in der Medienwelt ein bekannter Name: Er war Digital-Chef der “Süddeutschen Zeitung” und ist vor Kurzem als Leiter der Produktentwicklung beim “Spiegel” in die Geschäftsleitung aufgestiegen. Doch viele werden sich umgewöhnen müssen, denn Plöchinger heißt jetzt Ottlitz. Das “Medium Magazin” hat sich bei ihm danach erkundigt, wie es dazu gekommen ist, dass er seinen branchenbekannten Namen abgelegt hat.

dpa und deutsche Redaktionen schicken Tausende russische Panzer

Es steht heute fast überall:

Screenshot Focus Online - Erstmals ist China dabei -Mit 300.000 Soldaten und 36.000 Panzern - Russland startet Rekord-Manöver
Screenshot RT Deutsch - Russland beginnt größtes Manöver im Fernen Osten: 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer, 1.000 Flugzeuge

Bei der Übung Wostok 2018 will das russische Verteidigungsministerium 300 000 Soldaten, 36 000 Panzer, mehr als 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffen einsetzen.

297.000 Soldaten seien bei “Wostok-2018” (Osten-2018) im Einsatz, 1000 Flugzeuge wie Suchoi Su-34 und Su-35-Jagdbomber, Kampfhubschrauber und Drohnen, 80 Schiffe der Pazifik- und Nordmeerflotte, darunter Fregatten mit Kaliber-Raketen, die in Syrien zum Einsatz kamen, Luftlandetruppen, bis zu 36.000 Panzer, verkündete Walerij Gerassimow, der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, vor internationalen Militärs.

Screenshot eines Tweets von Zeit Online - 300.000 Soldaten und 36.000 Panzer - Russland startet eines der größten Militärmanöver seiner Geschichte

Russland beginnt sein größtes Manöver seit sowjetischen Zeiten 1981. Bei der Übung Wostok (Osten) 2018 will das russische Verteidigungsministerium 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer, mehr als 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffen einsetzen.

Das russische Verteidigungsministerium will 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer, hunderte Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffe einsetzen.

Bei der Übung Wostok (Osten) 2018 will das russische Verteidigungsministerium 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer, mehr als 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffen einsetzen.

Screenshot n-tv.de - Wie zu besten Sowjet-Zeiten Russland startet Rekord-Militärmanöver - 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer und mehr als 1000 Jets und Hubschrauber: Die nackten Zahlen des russischen Militärmanövers sind beeindruckend und erinnern an Sowjet-Zeiten. Auch China und die Mongolei mischen mit.

Bei der Übung Wostok (Osten) 2018 wolle das russische Verteidigungsministerium 300.000 Soldaten, 36.000 Panzer, mehr als 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffe einsetzen.

Russland beginnt heute sein größtes Manöver seit sowjetischen Zeiten 1981. Bei der Übung Wostok 2018 will das russische Verteidigungsministerium 300 000 Soldaten, 36 000 Panzer, mehr als 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffen einsetzen.

Das waren, in dieser Reihenfolge: “Focus Online”, “RT Deutsch”, FAZ.net, “Spiegel Online”, “Zeit Online”, Stern.de, Deutschlandfunk.de, Welt.de, n-tv.de, “Die Achse des Guten”, Stuttgarter-Nachrichten.de. Und wir könnten die Liste noch eine ganze Weile fortführen.

Tatsächlich verfügt Russland gar nicht über 36.000 Panzer. Es sind deutlich weniger: Laut “Statista” 15.500, laut “Wikipedia” etwas über 22.000, wobei dort auch die Panzer mitgezählt sind, die als “retired” gelten. Es existieren also durchaus viele Panzer in Russland, aber eben nicht 36.000.

Dass so viele deutsche Medien von “36.000 Panzern” schreiben und dass sie häufig so gleich klingen in ihren Artikeln, dürfte an der dpa liegen. Die hat heute früh um 3:27 Uhr über den Basisdienst eine erste Agenturmeldung verschickt, in der von eben jenen 36.000 Panzern die Rede ist. Drei Minuten später kam ein “Nachrichtenüberblick” mit derselben falschen Zahl, ebenfalls über den großen Basisdienst. Viele Redaktionen übernehmen diese Artikel automatisch.

In russischen Quellen findet man die Zahl 36.000 ebenfalls im Zusammenhang mit dem Manöver “Wostok”. Etwa bei der staatlichen Nachrichtenagentur “TASS”. Allerdings setzt sie sich dort anders zusammen:

Taking part in the drills are about 300,000 Russian troops, over 1,000 aircraft, helicopters and unmanned aerial vehicles, up to 36,000 tanks, armored personnel carriers and other vehicles, up to 80 ships and supply vessels, the Defense Ministry added.

Also: bis zu 36.000 Fahrzeuge, zu denen die Panzer genauso zählen wie die Jeeps der Kommandeure.

Die dpa verschickte um 9:36 Uhr eine Berichtigung über ihren Basisdienst. Dort waren die “36.000 Panzer” in “bis zu 36.000 Panzer, Panzerwagen und andere Fahrzeuge” geändert. Manche Redaktionen übernahmen diese Änderung, andere — siehe oben — nicht.

Bei den falschen 36.000 Panzern dürfte es sich um einen Übersetzungs- und/oder Flüchtigkeitsfehler handeln. Dass überall ebenfalls von 300.000 Soldaten geschrieben wird, die vor Ort im Einsatz sein sollen, sieht manch einer als Verbreiten von aufgeblasenen Zahlen der “russischen Münchhausens”. Nur zum Vergleich: An Sapad-81, dem größten Manöver, das je in der Sowjetunion stattgefunden haben soll, mitten im Kalten Krieg, nahmen rund 150.000 Soldaten teil.

Mit Dank an Tom S. für den Hinweis!

Besinnungslos durchformatiert, Götz-en-Anbetung, Analoger Clickbait

1. Eine Show, die nur Action will
(zeit.de, Matthias Dell)
Matthias Dell hat sich die Sendung “Dunja Hayali” im ZDF zu den rassistischen Aufwallungen in Chemnitz angeschaut. Dell kritisiert die “bis zur Besinnungslosigkeit durchformatierte” Sendung mit den Worten: “Das Traurige an der Dunja-Hayali-Sendung ist, dass mehr Energie und Originalität in die Frage fließt, wie man in Einspielfilmen Namen von Protagonisten geil einblenden kann (mit Sendungslogo, schicken Linien und zeitweisen Unschärfen), als in jede inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema, um das es geht.”

2. Zu Besuch bei Götz Kubitschek
(twitter.com/agitpopblog)
Seit Jahren besuchen Journalisten den Protagonisten und Publizisten der Neuen Rechten Götz Kubitschek auf dessen Rittergut im sachsen-anhaltischen Schnellroda. Das Ergebnis dieser Besuche sind oft verklärt-verquaste und romantisierende Homestories. Der Twitterer “Baron von Agitpop” hat einige Beispiele der letzten Zeit zusammengestellt und wendet sich mit einer Forderung an die Journalisten: “Wenn es schon das 20. Kubitschek-Profil sein muss (WENN), dann kommt der Selbstdarsteller woanders hin. Ihr fahrt *nicht* nach Schnellroda, wo er die Deutungshoheit über sein Image hat.”

3. Fußballjournalismus: Die Kunst des Kommentars
(fachjournalist.de, Michael Schaffrath)
Fußball-Reporter und -Reporterinnen stehen besonders im Fokus von Kritik. Das war schon immer so, doch neue Medien wie Facebook und Twitter verschärfen das Phänomen bis zu gelegentlichen Shitstorms. Ist die Kritik an den Sport-Kommentatoren gerechtfertigt? An der TU München wurde die “Qualität der Live-Kommentierung bei der EURO 2016” untersucht. Der für diesen Bereich verantwortliche Leiter der Sportfakultät fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

4. Jeder Dritte rechnet mit „Fake News“
(faz.net)
Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos hat sich in 27 Ländern nach dem Vertrauen der Menschen in Medien umgehört. Fast jeder dritte Deutsche sei der Überzeugung, häufig oder regelmäßig auf bewusste Falschmeldungen zu stoßen. Damit geht es Deutschland im Vergleich relativ gut: In allen anderen untersuchten Ländern war das Vertrauen in Medien geringer.

5. Späte Revolution beim “Spiegel”
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Der “Spiegel” gehört zu etwa einem Viertel Gruner+Jahr, zu einem Viertel den Augstein-Erben und zur Hälfte der Mitarbeiter-KG, was auf eine Schenkung des Magazingründers Rudolf Augstein zurückgeht. Bislang herrschte jedoch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Haus, denn Mitarbeiter von “Spiegel Online” konnten nicht Teilhaber der KG werden. Nun gibt es Bestrebungen, dies sukzessive zu ändern.

6. Daher kommt der Clickbait
(facebook.com/Walulis, Video: 9:47 )
Medien-Satiriker Walulis beschäftigt sich in seiner neuesten “Walulyse” mit den Erfindern des analogen Clickbaits: den Klatschzeitschriften der Regenbogenpresse. Ihm zur Seite: Yellow-Press-Experte Mats Schönauer vom “Topf voll Gold”, der erklärt, wie hemmungs- und gewissenlos die Branche schwindelt, täuscht und trickst.

AfD-Ehemaligentreffen, Trauermarsch und Terrormarsch, Strichmenschen

Das gesellschaftliche Klima scheint rauer, die politischen Fronten verhärteter zu werden. Das bekommen auch die Medien zu spüren, die immer öfter zum Zielobjekt von Ablehnung und Hass werden. Die Vorkommnisse auf den rechtsgerichteten Kundgebungen in Chemnitz zeichnen ein besorgniserregendes Bild. Manche sprechen gar von einer Zäsur. Hier eine Sonderausgabe unserer “6 vor 9”, welche ausschließlich von den jüngsten Entwicklungen in Chemnitz handelt. Die reguläre “6 vor 9”-Ausgabe von heute findest Du hier.

1. “Noch nie so viel Hass auf Medien erlebt”
(tagesschau.de, Dominik Lauck)
Bei den rechtsgerichteten Kundgebungen in Chemnitz kam es immer wieder zu Angriffen auf Journalisten. Reporter wurden nicht nur bepöbelt und bedroht, sondern auch tätlich angegriffen. Dominik Lauck lässt auf tagesschau.de Medienvertreter und ihre Chefredakteure zu Wort kommen. Der den Reportern entgegenschlagende Hass ist mehr als besorgniserregend. “T-Online”-Chef Florian Harms wandte sich mit einem Tweet an die sächsische Polizei: “Unfassbar. @PolizeiSachsen warum schaffen Sie es nicht, Journalisten wie unseren Reporter vor diesem Mob zu schützen? Was muss denn noch passieren, damit ihr solche Lagen in den Griff bekommt?”
Weiterer Lesehinweis: Auf Facebook hat die Initiative “Gegen die AfD” ebenfalls Material und Stimmen zusammengetragen und befindet: “Dieser sogenannte “Trauermarsch” ist ein Terrormarsch gewesen! Und zwar Terror von Rechtsextremen.”

2. Aufstieg der AfD: “Die Mitte muss auf die Barrikaden gehen”
(zeitgeist.rp-online.de, Merlin Bartel)
Beim Campfire-Festival, einer Veranstaltung für Journalismus und digitale Zukunft, diskutierte die Publizistin Liane Bednarz mit Michael Bröcker, Chefredakteur der “Rheinischen Post”, und “Correctiv”-Geschäftsführer David Schraven über das Thema “Rückkehr zum Vertrauen: Verantwortung der Medien für den Aufstieg der AfD”. Dabei geht es um Fragen wie: Was hat zum Erfolg der AfD geführt? Welche Maßnahmen helfen gegen rechten Hass? Wo liegen die Ursprünge für den AfD-Erfolg? Und kennen Journalisten noch die Sorgen der Bürger?
Hörtipp: Beim “Polik Betreuung”-Podcast von Jenny Günther ist die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber zu Gast. Schreiber war 2013 in die Partei eingetreten und hatte dort eine steile Karriere gemacht, die sie bis in den Bundesvorstand führte. Eine Woche vor der Bundestagswahl verkündete sie öffentlichkeitswirksam ihren Austritt. Über ihre Zeit bei der AfD schrieb sie ein vielbeachtetes Buch. Im Podcast geht es natürlich um ihre Zeit bei der AfD, die Strategie der Partei (“Die AfD als Feigenblatt für ein Neonazi-Bündnis”), aber auch um die generelle Entwicklung der Demokratie.

3. Zimperlich sind die, die am Schreibtisch bleiben
(spiegel.de, Raphael Thelen)
“Spiegel”-Redakteur Jan Fleischhauer hatte in seiner Kolumne Journalisten, die über Angriffe durch Rechtsradikale auf Demos klagen, als “zimperlich” bezeichnet. Raphael Thelen hat eine Replik auf Fleischhauer verfasst, die mit zahlreichen konkreten Beispielen aufwartet und der Empfehlung an Fleischhauer, “seine behagliche Münchner Doppelhaushälfte mal zu verlassen.”
Weiterer Lesehinweis: Vielleicht interessiert sich “Spiegel”-Kolumnist Jan Fleischhauer ja auch noch für den Beitrag “Journalisten als Zielscheibe” seiner “Spiegel Online”-Kollegen: “Der Hass gegen die Presse war bei der Demonstration am Samstag in Chemnitz beispiellos, berichten Reporter. Journalisten wurden bepöbelt, am Filmen gehindert und mitunter sogar verletzt.”

4. Barley lässt nach Chemnitz-Protesten rechte Netzwerke überprüfen
(welt.de)
Justizministerin Katarina Barley will aufklären lassen, welche Organisationen hinter der Mobilisierung rechter Gewalttäter bei den Protesten in Sachsen stehen. Rechtsradikale dürften nicht die Gesellschaft unterwandern.
Parallel wirft Außenminister Maas seinen deutschen Mitbürgern Bequemlichkeit im Kampf gegen Rassismus vor: “Wir müssen vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen.” (rp-online.de) Man möchte antworten: “Nur zu, Herr Maas. Nur zu.”

5. Die rechten Rosenkavaliere: Wie sich die AfD in Chemnitz inszenierte
(stern.de, Florian Schillat)
Zunächst hatten AfD-Funktionäre noch vollmundig getönt, dass man mit der islam- und fremdenfeindlichen Pegida nicht zusammen demonstrieren werde (“Ein Schulterschluss mit Pegida findet nicht statt”, so Frank Hansel, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD). Dieser Vorsatz hat nicht lange gehalten: Auf dem Flyer zum Chemnitzer Schweigemarsch prangten stolz beide Logos. Florian Schillat ordnet bei Stern.de die unheilige Allianz ein und erklärt die Hintergründe.

6. Strichmenschen gegen den Hass
(zeit.de, Linda Fischer)
Der Künstler “Krieg und Freitag” ist für seine witzigen Strichmännchen auf Twitter bekannt. Nach den Ausschreitungen in Chemnitz startete er eine Spendenkampagne: Für jede fünf Euro, die gespendet werden, malt er eine Figur. Zunächst waren “nur” 5000 Euro anvisiert, jetzt liegen bereits mehr als 16.000 Euro im Spendentopf.

Die Totklicker von “Intouch”, Filmen erlaubt?, Automatenbranche-Spende

1. Totgeklickt: Die Bestatter von Bauers „Intouch“
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
“Bei “Intouch”, dem Klatschmagazin aus dem Hamburger Bauer-Verlag, arbeiten keine Redakteure, sondern Bestatter”, so die Feststellung von Boris Rosenkranz. Und in der Tat hat “Intouch” (“Promi-News und heißer Gossip rund um Deine Stars”) ein besonders widerwärtiges und schäbiges Geschäftsmodell für sich entdeckt: Schocknachrichten über den angeblichen Tod von Promis, die Nachrufen ähneln.

2. Diskretion war einmal
(onlinejournalismus.de, Matthias Eberl)
Der Journalist Matthias Eberl hat Datenschutzbeschwerde und Strafantrag gegen die Reiseplattform Booking.com eingereicht. Das Unternehmen habe seine vertraulichen Buchungsdaten, darunter seine E-Mail-Adresse und die Buchungsorte Wien und Bern an Facebook weitergereicht. Booking.com sei bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, das Kundendaten an Facebook ohne Einwilligung der Nutzerinnen und Nutzer weitergibt. Auch “Spiegel Online” und “Zeit Online” würden ähnlich forsch verfahren, was den Umgang mit Nutzerdaten anbelangt. Eberl hat die drei Unternehmen exemplarisch untersucht und ist auf, wie er schreibt, ziemlich absurde Sachen gestoßen. Er wirft damit Licht auf eine Stelle, die bei den Medienhäusern sonst im Dunklen bleibt.

3. Was verbindet Dunja Hayali mit einer Spielautomatenfirma?
(morgenpost.de, Kai-Hinrich Renner)
“Was verbindet Dunja Hayali mit einer Spielautomatenfirma?”, fragt Kai-Hinrich Renner in der “Morgenpost” und bleibt bei der Beantwortung relativ auf sich allein gestellt: Die sich sonst für Transparenz im Journalismus starkmachende Journalistin antwortete nur äußerst knapp auf seine Fragen. Klar ist wohl, dass die Gauselmann-Gruppe (Marktführer der Spielautomatenbranche) Dunja Hayalis Verein Vita e. V. Assistenzhunde mit einer 200.000-Euro-Spende bedacht hat. Und dass Hayali auf Jahrestagungen des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie Dinge sagt wie: “Ihre Branche hat sich seit den 90er-Jahren sehr verändert, heraus aus der Schmuddelecke”. Sätze, die für die Automatenaufsteller Gold wert seien und unter Marketingaspekten entsprechend ausgeschlachtet würden.

4. Was dürfen Journalisten auf Demos?
(spiegel.de, Elisa von Hof)
Durfte das Fernsehteam des ZDF, das für “Frontal 21” bei einer Pegida-Demonstration anwesend war, einen Demonstranten filmen, der sich dagegen lautstark wehrte (“Hören Sie auf, mich zu filmen! Sie begehen eine Straftat. Sie haben mir ins Gesicht gefilmt.”)? Über diese und damit verwandte Fragen spricht “Spiegel”-Justiziar Sascha Sajuntz im Interview. Das Gespräch lohnt auch deshalb, weil ähnliche Fragestellungen immer mal wieder auftauchen.
Weitere Lesehinweise: Wer sich noch mal über den umstrittenen Polizeieinsatz gegen die ZDF-Journalisten in Sachsen informieren will, sei an tagesschau.de verwiesen, wo auch die Justizministerin zu Wort kommt.
Und wem bei dem ernsten Thema nach etwas Leichterem zumute ist: Netzpolitik.org berichtet über den Satire-Account @lkasachsen, der auf Twitter sein Unwesen treibt.

5. Haben Sie einen Rat an den türkischen Präsidenten, Can Dündar?
(sz-magazin.sueddeutsche.de)
Im “Interview ohne Worte” beschreibt der in Deutschland im Exil lebende Journalist Can Dündar mit Mimik und Gestik, was er vom Özil-Erdogan-Foto hält, was er am meisten an der Türkei vermisst und was er Angela Merkel im Umgang mit seinem Geburtsland rät.

6. Die große „Buzzfeed“-Show
(taz.de, Daniel Bouhs)
Daniel Bouhs hat sich die neue Netflix-Dokuserie “Follow this” über “Buzzfeed” angeschaut, die vor allem eines sei, Werbung: “Da sitzen Buzzfeed-ReporterInnen in Buzzfeed-Büros vor Buzzfeed-Laptops oder schreiben mit Buzzfeed-Kugelschreibern in Buzzfeed-Blöcke. Sind die JournalistInnen unterwegs, dann sieht das Skript in jeder einzelnen Folge vor: Sie rufen ihre Buzzfeed-KollegInnen an, um zu erzählen, was sie für Buzzfeed wieder Irres recherchiert haben. Passenderweise ist die Reihe über Buzzfeed-Reporter dann auch gleich eine Produktion von — Überraschung! — Buzzfeed. Netflix bekommt die Inhalte, Buzzfeed die Werbefläche.”

Jan Ullrich und die Vielleicht-Journalisten

Wenn man bei “Zeit Online” nach “Jan Ullrich” sucht, findet man aus den vergangenen Wochen vier Beiträge.

Wenn man bei Stern.de sucht, findet man vierundfünfzig.

[Collage mit etwa zwei Dutzend Überschriften von Stern.de]

Als Ullrich nach seinem Ausraster auf Til Schweigers Grundstück erklärte, dass er nun eine Therapie machen wolle, erschien bei Stern.de:

Jan Ullrich - Nach dem Absturz will er eine Therapie machen

Und ein paar Stunden später:

Früherer Radprofi Jan Ullrich will nach Vorfall auf Mallorca Therapie machen

Und ein paar Stunden später:

Für seine Kinder: Jan Ullrich will eine Therapie machen

Als Ullrich ein paar Tage darauf nach einem mutmaßlichen Angriff auf eine Escort-Dame in Frankfurt festgenommen wurde, erschien bei Stern.de:

Jan Ullrich - Er wurde am Morgen in Frankfurt festgenommen

Und ein paar Stunden später:

Jan Ullrich in Frankfurter Luxus-Hotel festgenommen

Und ein paar Stunden später:

Ex-Radprofi Jan Ullrich in Frankfurt festgenommen

Und ein paar Stunden später:

Ex-Radprofi Jan Ullrich in Frankfurt festgenommen

In den Beiträgen (die von verschiedenen Agenturen stammen) steht zwar überall das gleiche, aber hey, mehr Artikel bedeuten schließlich: mehr Klicks.

Und viel mehr Artikel bedeuten viel mehr Klicks. Das weiß niemand besser als das Team von “Focus Online”. Ganze 65 Artikel hat das Portal in den zweieinhalb Jan-Ullrich-Skandal-Wochen veröffentlicht — fast doppelt so viele wie “Zeit Online” (4), “Spiegel Online” (12) und FAZ.net (19) zusammen. Und sogar deutlich mehr als Bild.de (43).

Denn “Focus Online” veröffentlicht nicht nur endlos Agenturmaterial, sondern auch Beiträge von anderen Medien. Zum Beispiel:

Dieser Inhalt wird bereitgestellt von Mallorca Magazin: Mit Bettlaken verhüllt und in Handschellen - Hier wird Jan Ullrich auf Mallorca zum Haftrichter gebracht

Von “GQ” nacherzählte Witze des “Postillon” nochmal recyceln. “Focus Online” weiß eben, wie man mit minimalem Aufwand maximale Klicks einfährt.

Aber: Hin und wieder macht die Redaktion tatsächlich mal was selbst.

Gefallener Radsport-Star - Hier wurde Jan Ullrich festgenommen: Meine Nacht im Frankfurter Luxus-Hotel - Erst Polizeigewahrsam auf Mallorca nach einer Rangelei auf dem Grundstück seines Villa-Nachbarn Till Schweiger, dann Zwangseinweisung in eine Psychiatrie, nachdem er eine Escort-Dame in einem Frankfurter Luxus-Hotel gewürgt haben soll: Die Ausfälle des gefallenen Radsport-Stars Jan Ullrich nehmen kein Ende. FOCUS-Online-Reporter Ulf Lüdeke hat eine Nacht später im selben Hotel übernachtet.

Da schläft also ein Reporter von “Focus Online” eine Nacht später im selben Hotel, und was passiert? Nix.

Wen man im Hotel zum Vorfall fragt, erklärt freundlich, nichts zu wissen.

Auch am Bar-Tresen, wo man normalerweise viel über das Leben in einem Hotel erfährt, halten sich die Angestellten bedeckt zu den Vorgängen der letzten Nacht.

Was macht der Reporter also? Setzt sich bis nachts an die Bar.

1.30 Uhr, Freitagnacht: Der allerletzte Gast ist aus der Bar verschwunden. Das Klirren der letzten Gläser, die vom Tisch geräumt werden, läutet den Feierabend für die Nachtschicht am Tresen ein. Der Fahrstuhl kommt so geräuschlos, wie der dichte Teppich jeden Schritt im Haus schluckt.

Aber damit “Focus Online” die “bis zu 6000 Euro”, die hier pro Nacht fällig werden, nicht völlig umsonst ausgegeben hat, schreibt er noch schnell:

Mein Deluxe-Zimmer ist hell und freundlich. 35 Quadratmeter Wohlfühlzone mit Sitzecke und schwerem Holzschreibtisch, ein elegantes Milchglasfenster lässt Licht in das riesige Badezimmer fallen.

Die Matratze vom Doppelbett ist dick und solide. Vielleicht war es genau dieses Bett, auf das sich Ullrich sich mit der Escort-Dame legte?

Vielleicht!

Und vielleicht darf sich der Reporter ja bald über ein Jobangebot der “FAZ” freuen, denn auch für die ist am wichtigsten, dass sie Zeilen gefüllt bekommt. Was drinsteht, ist wumpe:

Tweet von @hauckundbauer - Für Qualitätsjournalisten ist es z. Zt. nicht ganz leicht, den für die Jan-Ullrich-Berichterstattung vorgesehenen Platz auch vollzukriegen. Dazu ein Zeitungsausriss der FAZ: ... für eine Inhaftierung lägen nicht vor. Ullrichs Anwälte äußerten sich zunächst nicht zu dem Vorfall. Überhaupt ist am Freitag von der Aufregung nichts mehr zu erahnen. Kaum vorstellbar, dass hier in dem Fünf-Sterne-Hotel an der Kennedyallee vor ein paar Stunden noch viel los war. Nun herrscht wieder Ruhe. Wochenend-Gäste checken ein, die Concierges nehmen ihnen die Koffer ab. Im Innenhof schützen Schirmae und ein Baum zwei Gruppen vor der Sonne. Ein Springprunnern plätschert, Wind fährt durch das Blumenbeet. Die einen trinken Kaffee, zwei Asiatinnen essen zu Mittag. Ihr Hund wedelt mit dem Schwanz - ermöchte auch etwas abhaben.

In welchem Ausmaß deutsche Onlinemedien sonst noch über Jan Ullrich berichtet haben, haben wir in dieser Übersicht (PDF, mit Links zu den jeweiligen Artikeln) zusammengestellt:

Dazu auch:

Kurz korrigiert (511)

Und wurde nicht Chalid Scheich Mohammed von Deutschlands Lieblings-Menschenrechtler Obama 183 Mal mit der Wasserfolter behandelt und lebt immer noch?

… fragt Bundesrichter a. D. Thomas Fischer in seinem gestern bei “Spiegel Online” erschienenen Text.

Nein, das Waterboarding im Verhör von Chalid Scheich Mohammed durch die CIA fand nicht während der Präsidentschaft von Barack Obama statt. Obama war es, der als US-Präsident im April 2009 interne Papiere des Geheimdienstes veröffentlichte, die unter anderem belegten, dass Chalid Scheich Mohammed 183 Mal durch Waterboarding, also das simulierte Ertrinken, gefoltert wurde. Das Ganze fand, wie man unter anderem bei “Spiegel Online” nachlesen kann, im März 2003 statt. Damals war George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Dessen Nachfolger Obama ordnete noch im ersten Monat seiner ersten Amtszeit ein Verbot von Waterboarding und weiteren Foltermethoden an.

In den Kommentaren unter dem sonst lesenswerten Text von Fischer zum “rechtsstaatlichen Desaster um Sami A.” haben recht früh Nutzer auf den Fehler hingewiesen. Passiert ist nichts.

Mit Dank an Florian R. für den Hinweis!

Nachtrag, 23. August: In den Kommentaren unter Thomas Fischers Artikel hat jemand auf Leser-Kritik geantwortet, der laut Usernamen Thomas Fischer ist. Er geht dort auch auf den Vorwurf zum 183-fachen Waterboarding ein — einen eigenen Fehler kann der Autor aber offenbar nicht erkennen:

Mit “Obama” ist natürlich das System Guantanamo gemeint, wo der Scheich mutmaßlich immer noch lebt.

“natürlich”.

Aber auch das ergibt nicht so richtig Sinn. Abgesehen davon, dass das 183-fache Waterboarding nicht in Guantanamo, sondern in einem CIA-Gefängnis in Polen stattgefunden haben soll, bleibt es dabei, dass Barack Obama zur Zeit der von Fischer angesprochenen Folter gegen Chalid Scheich Mohammed noch längst nicht im Amt war.

Mit Dank an @Fotobiene und Anonym für die Hinweise!

Nachtrag 2, 23. August: “Spiegel Online” hat den Satz aus dem Text gestrichen und am Ende des Artikels — im Sinne der Transparenz — diese Anmerkung veröffentlicht:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Chalid Scheich Mohammed sei während der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama 183 Mal der Wasserfolter unterzogen worden. Tatsächlich geschah dies 2003 in der Amtszeit von George W. Bush.

Wie “Bild” mit einer Vorverurteilung den Rechtsstaat in Verruf bringt

Es gibt ihn noch. Ernst Elitz, vor eineinhalb Jahren von “Bild”-Chef Julian Reichelt als Ombudsmann eingesetzt, als Anwalt für die Leserinnen und Leser, ist noch immer im Amt. Nach wie vor scheint er sich eher als Anwalt der Redaktion zu sehen und verteidigt die “Bild”-Medien gegen kritische Zuschriften aus der Leserschaft, aber manchmal findet selbst Elitz, dass “Bild” und/oder Bild.de was falsch gemacht haben. Vor gut zwei Wochen schrieb er:

Von grundsätzlicher Bedeutung ist auch der Hinweis des Lesers Alexander Neu.

Die Sendung “Hart aber fair” hatte eine offizielle Kriminalstatistik über “tatverdächtige” Ausländer präsentiert. Der Leser kritisiert zu Recht, dass im BILD-Bericht über die Sendung der Eindruck erweckt wurde, es handle sich um eine Statistik bereits verurteilter Täter. Das war sie nicht!

Nicht jeder, der unter Verdacht steht, ist schon ein überführter Krimineller. Gerade bei einem politisch so brisanten Thema muss korrektes Zitieren erstes Gebot sein.

Hört, hört!

Es ist aber schon etwas niedlich, dass jemand in “Bild” und bei Bild.de ernsthaft mahnt, man solle Tatverdächtige nicht als überführte Kriminelle darstellen; in den zwei Medien, die seit jeher wie keine anderen Tatverdächtige als überführte Kriminelle darstellen.

Das aktuellste Beispiel dieser redaktionellen Leidenschaft: Sami A.

Über den Tunesier wurde in den vergangenen Wochen viel geschrieben und diskutiert. Bei Bild.de unter anderem mit dieser Schlagzeile aus dem Juli:

Screenshot Bild.de - Abschiebe-Skandal! Juristisches Tauziehen um Ex-Leibwächter von Osama bin Laden - Kommt Terrorist Sami A. jetzt zurück nach Deutschland?
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Das Problem dabei: Sami A. ist kein Terrorist. Jedenfalls wurde er nie als Mitglied einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Oder wie Ombudsmann Elitz sagen würde:

Nicht jeder, der unter Verdacht steht, ist schon ein überführter Krimineller. Gerade bei einem politisch so brisanten Thema muss korrektes Zitieren erstes Gebot sein.

Die Berichterstattung der “Bild”-Redaktion zum Fall von Sami A., die man wohlwollend als schlampig und ungenau bezeichnen kann und weniger wohlwollend als böswillig falsch, ist gleich doppelt problematisch: Sie erklärt einen Mann zum Terroristen, der rechtlich gesehen keiner ist. Und vielleicht noch schlimmer: Sie hinterlässt bei der Leserschaft den falschen Eindruck, dass der Staat überlegt, einen verurteilten Terroristen nach Deutschland zurückzuholen. Die daraus resultierende (unberechtigte) Verachtung für Behörden und Gerichte kann man in den Facebook-Kommentaren zum “Terrorist”-Artikel bestens beobachten:

Bitte bitte nicht! Ein Terrorisrt und Mörder oll zurückgeholt werden! Seit ihr jetzt alle komplett durchgeknallt oder habt ihr schlechte Drogen erwischt!

Je mehr Verbrechen du als Migrant begehst und je mehr einer weltweit gejagt wird, desto mehr klammert sich dieser Staat an seine Terroristen.

Jeden Tag kann man sehen warum man Heute die AFD eigentlich schon wählen muss: Alle anderen Parteien hofieren Verbrecher und Terroristen.

Wie kommen andere Länder nur auf die Idee, Deutschland würde Terroristen willkommen heißen. Kann ich ja so gaaaar nicht nachvollziehen.

Das Theater signalisiert allen Terroristen auf der Welt — in D kannst du sicher und vollversorgt auf Kosten Anderer, deinen wohl verdienten Terror Lebensabend geniessen….

Überall wird Terrorismus bekämpft und in Deutschland holt man ihn sich rein….Ganz sauber im Oberstübchen sind wohl hier viele Amtsinhaber nicht mehr.

Jetzt kämpft das Gericht in Gelsenkirchen darum, das der arme Traumatisierte Terrorist sofort wieder an die Sozialtöpfe nach Deutschland zurückkehren kann. Dieser Irrsinn ist nicht mehr zu verstehen.

Natürlich versteht man als nur halbinformierter “Bild”-Leser die Welt und vor allem deutsche Behörden und Gerichte und die Regierung nicht mehr, wenn scheinbar ein Terrorist “jetzt zurück nach Deutschland” kommen soll, und kommentiert bei Facebook wütend drauf los. Dass diese Empörung auf falschen Tatsachen beruht, ist auch “Bild” zu verdanken.

Sami A. kommt 1997 als Student nach Deutschland. 2006 stellt er einen Asylantrag, der 2007 abgelehnt wird. 2010 entscheidet ein Verwaltungsgericht, dass Sami A. nicht abgeschoben werden darf, weil ihm in Tunesien unter anderem Folter drohe. 2014 widerruft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dieses Abschiebungsverbot, weil in Tunesien ein Regimewechsel stattgefunden hat. 2016 entscheidet ein Verwaltungsgericht erneut, dass Sami A. nicht abgeschoben werden darf, da ihm in Tunesien noch immer “mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung” drohe. Ein Oberverwaltungsgericht bestätigt diese Entscheidung 2017. Am 13. Juli dieses Jahres wird Sami A. doch nach Tunesien abgeschoben, obwohl einen Tag zuvor ein Verwaltungsgericht erneut entschied, dass er dorthin nicht abgeschoben werden darf. Der Mann kam in Tunesien direkt ins Gefängnis. Nun wird diskutiert, ob Sami A. nach Deutschland zurückgeholt werden muss. Bei “Spiegel Online” gibt es eine detaillierte Chronologie.

Mittendrin in diesem Hin und Her, ab März 2006, gibt es Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Sami A. wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Er soll um die Jahrtausendwende mehrere Monate im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan gewesen sein und dort eine militärische Ausbildung der Terrororganisation al-Qaida durchlaufen haben. Anschließend soll er zum Mitglied der Leibgarde Osama bin Ladens aufgestiegen sein. Sami A. bestreitet all das. Das Verfahren gegen ihn wird im Jahr 2007 eingestellt, da die Ermittlungsergebnisse nicht für eine Anklageerhebung reichen.

Sami A. ist also kein verurteilter Terrorist. Ihm wurde auch nie von einer Staatsanwaltschaft oder einem Gericht nachgewiesen, Leibwächter Osama bin Ladens gewesen zu sein. Er ist laut Behörden ein islamistischer Gefährder.

Einen Mann, gegen den wegen Mordes ermittelt wird, kann man auch nicht einfach Mörder nennen, wenn die Ermittlungen mangels Beweisen eingestellt werden. Wer es trotzdem macht, hat nichts übrig für den Rechtsstaat und das Prinzip der Unschuldsvermutung. Und wer es so penetrant macht wie die “Bild”-Redaktion, gibt diese Justizverachtung an die eigene Leserschaft weiter.

Nur ein paar Beispiele:

Screenshot Bild.de - Ex-Leibwächter von Osama bin Laden abgeschoben!
Ausriss Bild-Zeitung - Gericht entscheidet zwölf Stunden nach Abschiebung - Bin Ladens Leibwächter muss zurück nach Deutschland!
Ausriss Bild-Zeitung - Schon wieder grobe Fehler beim Abschieben - Nach Bin Ladens Leibwächter soll erneut ein Asylbewerber nach Deutschland zurückgeholt werden
Screenshot Bild.de - Bin-Laden-Leibwächter Sami A. nach Tunesien gebracht. Jetzt soll er zurück
Ausriss Bild-Zeitung - Abschiebung von Bin Ladens Leibwächter - Wer hat Schuld am Chaos?
Screenshot Bild.de - Abschiebung des Bin-Laden-Leibwächters - Dieser Anwalt will Sami A. nach Deutschland zurückbringen
Screenshot Bild.de - Sami A. ist das Sinnbild für den Abschiebe-Irrsinn - Kein Fall mehr für deutsche Gerichte - Bin Ladens Ex-Leibwächter wurde endlich abgeschoben - Anwältin des Terror-Gefährders: Er muss mit Visum zurück

“Bild” veröffentlichte auch eine Art Interview mit Sami A. “Bild”-Reporter Paul Ronzheimer hatte dem Anwalt des Tunesiers Fragen mitgegeben. Sami A. antwortete unter anderen:

“Ich war nie Leibwächter von Osama bin Laden, das ist völlig frei erfunden. Ich war in Saudi-Arabien, Pakistan und Iran in meinem Leben, aber nie in Afghanistan. Auch hier in Tunesien wissen alle, dass diese Vorwürfe einfach nicht stimmen.”

Dass es doch so war, dass die “Bild”-Berichterstattung der vergangenen Wochen und Monate also nicht in einem wichtigen Punkt falsch war — dazu liefern “Bild” und Ronzheimer nicht einen Beweis.

Ende Juli gab es dann gleich zwei größere Überraschungen: Sami A. wurde in Tunesien aus der Haft entlassen, und Bild.de schrieb auf einmal:

Screenshot Bild.de - Breaking News - Mutmaßlicher von Osama bin Laden: Sami A. in Tunesien vorläufig wieder frei

Das Wort “mutmaßlicher” war aber wohl doch nur ein Ausrutscher. Kurz darauf ging es bei “Bild” und Bild.de mit der gewohnten Missachtung der Unschuldsvermutung weiter.

Frauenstimmen, US-Zoll-Harakiri, “Emma” und der Beifall von rechts

1. “Ich würde mich an ihrer Stelle nicht verbiegen”
(spiegel.de, Julia Köppe)
Dass Sportreporterin Claudia Neumann Spiele der Fußball-WM kommentiert, empfinden manche Männer geradezu als einen Frevel. Weil sie Frauen wie Neumann grundsätzlich die Kompetenz absprechen, andererseits weil sie angeblich ihre Stimme nicht mögen. Im Interview mit “Spiegel Online” erklärt ein Sprachforscher und Spezialist für den Stimmapparat, welche Rolle Sexismus dabei spielt. Und rät der Moderatorin bei ihrer Stimme zu bleiben und nicht absichtlich tiefer zu sprechen: “Auf keinen Fall, denn das wäre nicht authentisch und davon leben doch die Live-Kommentare. Die Zuschauer würden den Unterschied sehr schnell spüren. Frau Neumann würde dadurch weniger glaubwürdig, und das ist ja genau das, was ihr einige Kritiker vorwerfen. Ich würde mich an ihrer Stelle nicht für einige Hörererwartungen verbiegen.”

2. Titel-Framing, Facebook und die Medien
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio, 23:23 Minuten)
Beim “Deutschlandfunk” gibt es die komplette Mediensendung “mediasres” zum Nachhören. Unter anderem mit Beiträgen über die AfD und die Medien, das Titel-Framing der letzten “Spiegel”-Ausgabe, das Verhältnis von Facebook und den Medien und die mittlerweile ins dreißigste Jahr gehenden ZDF-Sommerinterviews.


3. Das ist eine spannende Frage, aber ich werde mich dazu nicht äußern.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat auf “Planet Interview” eine Pressekonferenz der ARD zusammengefasst und in Teilen dokumentiert. Gegenstand der Pressekonferenz waren u.a. der Telemedienauftrag, gemeinsame Plattformen mit privaten Anbietern, Sponsoring, Rundfunklizenzen, Angela Merkels erneutes Solo bei Anne Willm und warum die ARD von der FIFA die WM-Übertragunsrechte kauft.

4. “Die Zölle werden Entlassungen quer durch die amerikanische Zeitungslandschaft zur Folge haben”
(sueddeutsche.de, Beate Wild)
Weil sich eine amerikanische Papiermühle über die Subventionierung von Papierherstellern im benachbarten Kanada beschwerte, hat die US-Regierung kanadisches Papier mit Zöllen von bis zu 32 Prozent belegt. Wie so oft, ohne die Folgen zu bedenken, denn durch den Kostenanstieg droht einigen amerikanischen Tageszeitungen das Aus.

5. „Emma“ und der Beifall von rechts
(uebermedien.de, Laura Lucas)
Der Kommunikationswissenschaftler Luca Hammer hat sich für den Verein “Fearless Democracy” mit der Frage beschäftigt, ob die Zeitschrift “Emma” auch ein rechtes Publikum bedient, ob gewollt oder ungewollt. Dazu hat er sich die Follower von @EMMA_Magazin auf Twitter angesehen und ausgewertet. Zum Vergleich hat er feministische Magazine wie das “Missy Magazine” oder das österreichische “an.schläge” herangezogen. Der Datenanalyst konnte nachweisen, dass es ein rechtes Interesse an “Emma” gibt, das zudem wachse. Laura Lucas macht als einen Grund dafür die Berichterstattung der “Emma” verantwortlich und schreibt: “Eben weil gerade Rechtspopulisten die einfachen Antworten so lieben, sollten Medien differenziert berichten — auch feministische. Das schützt zwar nicht vor einer Vereinnahmung von rechts. Was in die Agenda passt, das wird instrumentalisiert. Umso mehr aber sollte es die Aufgabe eines feministischen Magazins sein, die Strategien der Rechtspopulisten zu entlarven.”

6. Robin Alexander ist gerade der wohl krasseste Politikreporter Deutschlands und hier steht warum
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Karsten Schmehl hat eine Theorie entwickelt, wie der allgegenwärtige Politikreporter Robin Alexander Deutschlands wichtigsten Politikern so nah kommen kann. Und er kann sie auch noch teen-gerecht im “Buzzfeed”/”Bento”-Style erklären: “Ich mache oft Spaß hier auf BuzzFeed, aber dieser Post ist kein Spaß. Ernsthaft: Der WELT-Reporter Robin Alexander ist aktuell der wohl krasseste Politikreporter, den Deutschland hat — und hoffentlich kann ich dir hier klar machen, warum.”

Angstmacher Seehofer, Wahlumfrage, Das Quaken der toten Ente

1. “Seehofer befeuert Misstrauen und Ängste”
(donaukurier.de, Klaus Meier)
Innenminister Horst Seehofer hat in einem Interview behauptet, es gäbe immer mehr Falschmeldungen. Die meisten Fake News würden seiner Ansicht nach in Deutschland produziert werden. Dem widerspricht der Eichstätter Journalismus-Professor Klaus Meier: “Horst Seehofer befeuert das Misstrauen und die Ängste von etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen in Deutschland, die der Propaganda der Rechten aufsitzen und denken, sie würden permanent manipuliert. Das ist für eine informierte und diskursive Öffentlichkeit nicht hilfreich, ohne die die Demokratie nicht atmen kann.”
Weiterer Lesehinweis: Auch der Vorsitzende des “Deutschen Journalisten Verbands” ist über die Aussagen Seehofers empört: “Ausgerechnet der Minister, der kraft seines Amtes die Grundwerte der Verfassung schützen soll, stellt die Pressefreiheit auf den Kopf, indem er uns Journalisten vorsätzliche Falschmeldungen unterstellt — unglaublich!” (djv.de, Hendrik Zörner)

2. „Heute“ und die Tiefen des „guten Boulevards“
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Das österreichische Gratisblatt “Heute” machte mit der Aufsehen erregenden Meldung auf, nach der eine 91-jährige “Oma” von einem Flüchtling vergewaltigt worden sei. Dabei handelte es sich jedoch um eine Falschmeldung, wie das Blatt in einem Anhang eingestehen musste. Hans Kirchmeyer lobt das Blatt für seine transparente Dokumentation, es sei jedoch ein erheblicher Schaden angerichtet worden: “Kaum ein Leser kehrt zurück und liest die kleine Korrektur ganz am Ende des Artikels. Und in den “sozialen” Medien quakt die Ente untot weiter.”

3. Muss man bei der WM zu viele bittere Pillen schlucken, Frau Freitag?
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
“Planet Interview”-Macher Jakob Buhre hat sich mit der Vorsitzenden des Sportausschusses Dagmar Freitag (SPD) unterhalten. In dem Gespräch geht es u.a. über die laufende WM, den Zwang, die FIFA zu finanzieren, die Verbindung von Coca-Cola und Sport und den Umgang des DFB mit der Trikot-Affäre.
Weiterer Lesehinweis, ebenfalls bei “Planet Interview”: das Gespräch mit Markus Harm, dem Sportpolitik- und FIFA-Experten des ZDF: Die Fußball-WM ist ein Corporate Event, es geht fast nur noch um Geld.

4. CSU bundesweit bei 18 Prozent?
(faktenfinder.tagesschau.de, Konstantin Kumpfmüller)
Würde die CSU bei bundesweiten Neuwahlen wirklich bei 18 Prozent liegen, wie “Bild” unter Berufung auf eine Umfrage des INSA-Instituts berichtete? Daran bestehen Zweifel, auch weil die Fragestellung problematisch ist. Heiko Gothe vom Meinungsforschungsinstitut Infratest kritisiert die Frage nicht nur wegen ihres Framings, sondern auch ganz grundsätzlich: “Mit der Abfrage von Parteien, die bisher im jeweiligen Wahlgebiet gar nicht wählbar sind und mit denen die befragten Personen gar keine Erfahrung haben, wird der hypothetische Charakter massiv gesteigert und die Befragten letztlich überfordert.”
Weiterer Lesehinweis: Keine eindeutige Mehrheit für CSU-Politik – Spiegel online interpretiert das aber anders (stefan-fries.com)

5. 18 Wege, über die dich Facebook trackt und verfolgt
(basicthinking.de, Christian Erxleben)
Vielen ist bekannt, dass Facebook seine Nutzer trackt, analysiert und verfolgt. Wie ausgeklügelt Facebooks Tracking-Verhalten funktioniert, zeigt ein 225-seitiges PDF-Dokument mit Antworten an den US-Kongress. Danach gebe es 18 Methoden und Verhaltensweisen, über die das Netzwerk seine Nutzer ausspäht. Das reicht von technischen Daten, wie dem Batteriestand des Geräts und den installierten Plugins, bis hin zu Mausbewegungen und Einkäufen.

6. “Guten Tag, bin ich da in der Sportredaktion?”
(spiegel.de)
Als ZDF-Redakteurin Claudia Neumann im deutschen Fernsehen ein WM-Spiel kommentierte, gab es wütende Reaktionen in den sozialen Medien. Einige (männliche) Zuschauer können es anscheinend nicht ertragen, wenn eine Frau als Sportreporterin arbeitet. Das ZDF berichtete von “Hass, Häme und Beleidigungen”. Ein Einzelfall? “Spiegel Online” hat Sportjournalistinnen nach ihren Erfahrungen gefragt. Und die erzählen u.a. von Vorhaltungen, Vorurteilen und blöden Kommentaren.

7. Leserbrief an den FAZ-Herausgeber Holger Steltzner
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Außerhalb der 6-vor-9-Zählweise, weil aus der Feder des Kurators: Ein Leserbrief an den “FAZ”-Herausgeber Holger Steltzner wegen dessen Behauptungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. “Ich ärgere mich gerade über Ihren Beitrag, weil er verzerrt, mit Unwahrheiten operiert und das gesellschaftliche Klima vergiftet.”

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