Schaut man sich den Reuters-Artikel an, den Schuler für seine Stimmungsmache missbraucht, erkennt man sofort, dass das alles nichts mit einem Beschluss des (deutschen) Koalitionsausschusses zu tun hat. Die Jugendlichen auf dem Foto gehören zu den zwölf minderjährigen Geflüchteten, die Luxemburg gestern aufgenommen hat. Am Wochenende sollen in Deutschland 50 Minderjährige ankommen, die sich bisher in Lagern auf den griechischen Inseln aufgehalten haben.
Neben diesem falschen Zusammenhang, den Schuler herstellt, ist seine Aussage an sich auch irreführend. Der Koalitionsausschuss hat nicht beschlossen, nur “unbegleitete minderjährige Mädchen” aufzunehmen. Im Beschluss der Großen Koalition (PDF) von Anfang März steht:
Ordnung und Humanität gehören für uns zusammen. Deswegen wollen wir Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechischen Inseln unterstützen.
Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen.
1. NDR/STRG_F: Fake bei Joko und Klaas – Schauspieler in Einspielfilmen eingesetzt (presseportal.de)
Laut einer Recherche von “Strg_F” (NDR) haben die Moderatoren und Unterhaltungskünstler Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf bei diversen Einspielfilmen geschummelt, die dem Publikum als authentisch und spontan verkauft worden seien. Anhand mehrerer Beispiele habe man den Einsatz gecasteter Laiendarsteller nachweisen können. Außerdem gebe es Zeugenaussagen und privates Videomaterial, das beweise, dass Szenen mehrfach gedreht worden seien. Winterscheidt, Heufer-Umlauf, ProSieben und die betroffenen Protagonisten hätten sich nicht zu den Vorwürfen äußern wollen. Die gesamte Recherche mit zahlreichen Fällen soll am heutigen Dienstag ab 17 Uhr bei “STRG_F” auf YouTube zu sehen sein.
2. “Gewalt gegen Journalisten in Griechenland kein neues Phänomen” (deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:43 Minuten)
Auf der griechischen Insel Lesbos ist es für Journalistinnen und Journalisten derzeit gefährlich, wie die Angriffe der vergangenen Tage zeigen. Doch auf dem Festland sind die Bedingungen nicht unbedingt besser, so Deutschlandfunk-Korrespondent Panajotis Gavrilis. Auch dort gebe es Gewalt gegen Medienvertreter: “Das hat es am Rande von rechten Demonstrationen auch in Athen gegeben, wo mit Eisenstangen auf Kameraleute losgegangen wurde und auch griechische Kolleginnen und Kollegen zum Teil schwer verletzt wurden.”
Weiterer Lesehinweis: Der Europaabgeordnete Erik Marquardt (Grüne) befindet sich derzeit auf Lesbos und erzählt von den dramatischen Entwicklungen: “Vermummte schlagen auf Leute ein”“ (taz.de, Ulrich Schulte).
3. Neues Chaos zur Unzeit (taz.de, Steffen Grimberg)
Dem Verlegerehepaar Silke und Holger Friedrich und der “Berliner Zeitung” ist kürzlich der Chefredakteur abhanden gekommen. Steffen Grimberg spekuliert über die Gründe und kommentiert: “Für den Berliner Verlag, der bei seinem Schlagzeilen produzierenden Eigentümer-Verleger-Paar mal ein ruhigeres Fahrwasser bräuchte, kommt die klare Kante zur Unzeit. Insider fürchten, dass die ohnehin erratisch reagierenden Friedrichs sich nun erst recht in der Opferrolle wähnen und unberechenbarer werden könnten.” Auch Medienjournalist Daniel Bouhs hat sich im Deutschlandfunk zu den Hintergründen und Folgen der Personalie geäußert (Audio, 4:23 Minuten).
4. Anhörung von Julian Assange: keine US-Beweise (reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen zeigt sich hinsichtlich des britischen Auslieferungsverfahrens von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA äußerst beunruhigt: “Im Zuge der Anhörung wurde mehrfach deutlich, dass die USA keine Beweise dafür haben, dass Julian Assange Quellen ‘ernsthaft und unmittelbar’ gefährdet hat, aber ihre Anklage dennoch auf der Grundlage der von ihm vermeintlich wissentlich verursachten Risiken weiterführen.”
5. “Der Täter von Hanau wird jetzt schon glorifiziert” (spiegel.de, Ann-Katrin Müller & Jurek Skrobala)
Die Journalistin Karolin Schwarz erklärt im Gespräch mit dem “Spiegel”, wie sich Rechtsextremismus im Netz breit macht und dort vor allem eine jüngere Zielgruppe anspricht: “Rechtsradikale haben vor Jahren schon versucht, MySpace und StudiVZ für sich zu nutzen, aber nicht besonders erfolgreich. Das lag daran, dass StudiVZ-Nutzer eben nicht die ganze Zeit irgendwelchen Kram geteilt haben, sondern sich auf Gruppen im Profil beschränkt haben, die aussagekräftig sein sollten. Mit der heutigen Empörungslogik von Plattformen wie Facebook und Twitter klappt das besser.”
6. Hate Speech im alten Rom (schweizermonat.ch, Martin Jehne)
Geschichtsprofessor Martin Jehne erinnert im “Schweizer Monat” daran, dass es bereits vor 2000 Jahren Hate Speech gegeben habe. Im alten Rom seien gnadenlose Schmähungen der Gegner eine gängige Praxis gewesen: “Die Römer kannten durchaus Grenzen des Anstands, aber mit ihren Schmähungen setzten sie sich leicht darüber hinweg. Kristallisierte sich ein Verlierer im invektiven Schlagabtausch heraus, dann war er vielleicht für den Moment mundtot gemacht, suchte aber eifrig nach einer Möglichkeit, sich zu rächen. Die heutzutage immer wieder erklingenden Appelle, sich doch nicht auf die Stufe der Hassredner hinabzubegeben, hätten bei den Römern Unverständnis ausgelöst.”
1. Künast mit Teilerfolg gegen Hasspostings im Netz (lto.de, Markus Sehl)
Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat einen juristischen Teilerfolg erzielt: Das Landgericht Berlin ist zu der (späten) Einsicht gekommen, dass bestimmte Äußerungen über Künast keinen Sachbezug haben, sondern Beleidigungen sind. Darunter so hübsche Aussagen wie “Schlampe”, “Drecks Fotze” und “Diese hohle Nuß gehört entsorgt, aufe Mülldeponie, aber man darf ja dort keinen Sondermüll entsorgen”. Die Bezeichnung “Stück Scheisse” sei ebenfalls eine Beleidigung, jedoch keine Formalbeleidigung, da im Nachsatz ein “Sachzusammenhang” hergestellt werde. Nun ja.
2. Die E-Mails des Ministers: Wir verklagen Innenminister Seehofer (fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Es geht um nichts weniger als eine Grundsatzfrage: Bezieht sich das Informationsfreiheitsgesetz auch auf E-Mails von Ministern? Das Transparenzportal “FragDenStaat” verklagt Innenminister Horst Seehofer, nachdem dieser sich weigere, E-Mails aus einem bestimmten Zeitraum herauszugeben. Hintergrund ist eine Pressekonferenz im Juni 2018, in der der Minister von einem Artikel gesprochen habe, den er im Internet gelesen habe und in dem “die Bundesrepublik Deutschland so richtig ironisch eine Hinrichtung erfährt.” In der ersten Instanz seien für die Klage rund 2.000 Euro fällig, die man auch über Spenden abdecken wolle.
3. Die “Mopo” vor ungewisser Zukunft (deutschlandfunk.de, Axel Schröder, Audio: 5:24 Minuten)
Die “Hamburger Morgenpost” ist schwer angeschlagen: Dramatischer Auflagenschwund, ein reduzierter Mitarbeiterstab und über all dem die Sorge, von Eigentümer DuMont abgewickelt beziehungsweise verkauft zu werden. Deutschlandfunk-Landeskorrespondent Axel Schröder hat das Hamburger Traditionsblatt mit der über 70-jährigen Geschichte besucht.
4. Neonazis verprügeln deutschen Korrespondenten (reporter-ohne-grenzen.de)
Als Thomas Jacobi, freier Korrespondent für die Deutsche Welle, über eine Neonazi-Demo in Athen berichten wollte, wurde er brutal angegriffen und verprügelt. Dabei sei sein Handy zerstört und das Aufnahmegerät geraubt worden. Die anwesende Polizei sei nicht eingeschritten. Der Vorstandssprecher der Reporter ohne Grenzen kommentiert: “Rechtsextreme Angriffe auf die Medien werden in Griechenland viel zu oft ignoriert. Die Regierung muss dafür sorgen, dass die Polizei Journalistinnen und Journalisten auf Demonstrationen besser schützt und dass derartige Angriffe wirksam verfolgt werden.”
5. Native Advertising bei Tamedia: Politwerbung mit Täuschungspotenzial (medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Der Schweizer Medienkonzern Tamedia übertreibt es mit dem Native Advertising derart, dass sich sogar die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per offenem Brief (PDF) dagegen aussprechen. Die Verschleierung von kommerziellen Inhalten schade der Glaubwürdigkeit der Medien. “Medienwoche”-Redakteur Nick Lüthi schreibt dazu: “Der kurzfristige Nutzen liegt auf der Hand: Werbung bringt Geld. Doch langfristig riskiert der Verlag, seinen Medien zu schaden.”
6. Wir dürfen Twitter und Facebook nicht dem Mob überlassen! (journalist.de, Nicole Diekmann)
In der empfehlenswerten Serie “Mein Blick auf den Journalismus” kommt diesmal die couragierte ZDF-Hauptstadtjournalistin Nicole Diekmann zu Wort. Diekmann wünscht sich mehr Social-Media-Kompetenz in den Redaktionen: “Wenn an Wahlabenden in Sendungen Sätze fallen wie ‘Hat bei Facebook getwittert’, können wir ‘diese jungen Leute’ noch so sehr becircen — sie nehmen uns nicht für voll.”
Der Vater einer Braut hat zur Hochzeitsfeier seiner Tochter die Bundeskanzlerin eingeladen, und nun konnte Angela Merkel leider nicht persönlich vorbeikommen, sie ließ aber immerhin eine Grußkarte an das Hochzeitspaar schicken und wünschte Braut und Bräutigam alles Gute. Da der Bräutigam 2012, also während der Wirtschaftskrise in Irland, zu einer Gruppe irischer Fußballfans zählte, die bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine mit einem Banner mit der Aufschrift “Angela Merkel thinks we’re at work” rumlief, ist das alles auch eine Geschichte für die “Bild”-Medien.
In “Bild am Sonntag” und bei Bild.de leiten sie den Artikel so ein:
Wirtschaftskrise, Immobilienblase, Arbeitslosigkeit und Schuldenlast. Im Sommer 2012 war Irland am Boden, das Land musste EU-Hilfen beantragen, die Einwohner wurden als Pleite-Iren verspottet.
Wer ist denn bitte so bescheuert und “verspottet” die Einwohner eines ganzen Landes, das bereits “am Boden” liegt, pauschal als “Pleite-Iren”?
Seit 28 Jahren wird in Deutschland das “Unwort des Jahres” gewählt — sehr zum Gefallen der “Bild”-Zeitung, die seit vielen Jahren gerne darüber berichtet, oft sogar auf der Titelseite.
Auch über die jüngste Wahl zum “Unwort des Jahres 2018” hat “Bild” vor ein paar Tagen wieder berichtet. Diesmal aber mit einer, nun ja, leichten Änderung im Ton. Die Zeitung schreibt:
Die Jury der sogenannten „Sprachkritischen Aktion“ aus Sprachwissenschaftlern hat die Formulierung „Anti-Abschiebe-Industrie“ von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (48) zum „Unwort des Jahres 2018“ gekürt – und löst damit kritisches Nachfragen aus.
Und zwar in erster Linie bei den Autoren des “Bild”-Artikels, Filipp Piatov und Ralf Schuler, die empört fragen: “Wer ist die Sprachpolizei überhaupt?” “Was hat die Sprach-Jury auszusetzen?” Und vor allem: “Wer soll das noch verstehen?”
“Niemand hat diese Jury legitimiert”, zitieren sie einen Sprachprofessor. Die Jury stehe “immer auf der sicheren Seite der politischen Korrektheit”. Diese ganze Sache sei “eine Farce”.
Man dürfe, so das bittere Fazit der “Bild”-Autoren, in diesem Land eben nicht mehr öffentlich sagen, was man möchte:
Nach der Kritik von Sport-Star Stefan Kretzschmar (45) diskutiert Deutschland, ob man eigentlich noch öffentlich sagen kann, was man möchte. Erkenntnis seit gestern: Ja, darf man. Es sei denn, es passt der Sprachpolizei nicht…
Die Antwort dürfte den “Bild”-Lesern spätestens seit dem “Unwort”-Artikel klar sein. Stichwort: Political Correctness! Stichwort: Sprachpolizei!
Jahrelang hielt die “Bild”-Zeitung die Wahl zum “Unwort des Jahres” für eine berichtenswerte Nachricht, sie widmete ihr prominente Plätze auf der Titelseite, machte regelrecht Werbung dafür: Diese Begriffe stehen zur Auswahl!So können Sie Vorschläge einreichen!Das sind die Gewinner!
… und auf einmal ist sie das Werk der “Sprachpolizei”, die mit ihrer “politischen Korrektheit” die Meinungsfreiheit in diesem Land einschränken will.
Ganz neu sind diese Argumente und Begrifflichkeiten freilich nicht. 2017 schrieb die AfD zum Unwort des Jahres, hier schwinge sich “eine Gesellschaft zur Sprachpolizei” auf. 2018 schrieb “Compact”: “Das Unwort des Jahres 2017 steht fest. Na, toll – und jetzt? Was soll dieser Zirkus eigentlich? Will uns die Sprachpolizei hier rhetorisch einnorden? Alles frei nach Orwell: ‘Wer die Sprache beherrscht, beherrscht das Denken?'” Und “Tichy’s Einblick” erklärte vor ein paar Tagen, die Wahl zum “Unwort” diene “Linksintellektuellen” lediglich dazu, “Andersdenkende lächerlich zu machen und zu diffamieren”. Überschrift: “Jährlich meldet sich die linke Sprachpolizei”.
Wenn 2016 starke Waldbrände in Spanien, in Frankreich, in Portugal, in Griechenland, auf Madeira und auf den Kanaren Menschenleben bedrohen, deren Häuser und Existenzgrundlagen zerstört werden, Personen in Krankenhäuser müssen, manche von ihnen sterben, dann titeln die Empathiker von Bild.de:
Wenn ein Jahr später in Griechenland, in Italien, in Kroatien, in Frankreich, in Portugal und in Montenegro ebenfallas verheerende Brände wüten, Menschen ums Leben kommen, andere alles verlieren, dann schreiben sie bei Bild.de:
Und wenn aktuell in der Türkei die Währung abrauscht, die Lira heftig an Wert verliert, die Leute weniger für ihr Geld bekommen, Läden dichtmachen müssen, Menschen Jobs verlieren, einige nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll, dann fragen sie bei Bild.de:
1. Bitterer Erfolg in Straßburg (lto.de, Markus Sehl)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei für die Inhaftierung der beiden Journalisten Sahin Alpay und Mehmet Altan verurteilt: Ihre Untersuchungshaft verstoße gegen das Recht auf Freiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung, so die Richter in Straßburg. Markus Sehl schreibt, dass das EGMR-Urteil, das lediglich die Untersuchungshaft betrifft, zumindest für Altan zu spät kommen könnte: Er wurde inzwischen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
2. Bringt Hartz IV mehr Geld als Arbeit? FAZ verbreitet falsche Zahlen (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die Überschrift in der “FAZ” war eindeutig: “Hartz IV lohnt sich oft mehr als Arbeit”. Mit Hilfe des Vereins “Bund der Steuerzahler” wollte die Redaktion zeigen, dass man in bestimmten Familienkonstellationen deutlich über Mindestlohn verdienen müsste, um netto ähnlich viel zur Verfügung zu haben wie Hartz-IV-Empfänger in derselben Familienkonstellation. Das Problem bei den Zahlen, die die “FAZ” nutzt: Der “Bund der Steuerzahler” hat einfach das Kindergeld aus der Rechnung gelassen, zu Ungunsten der vermeintlich üppigen Hartz-IV-Bezieher. Stefan Niggemeier schreibt: “Dass ausgerechnet der für ihre Wirtschaftskompetenz gerühmten FAZ ein solch gravierender Fehler unterläuft, ist peinlich. Aber er blieb nicht auf die FAZ begrenzt.”
3. Malta: Informantin von ermordeter Journalistin stellte sich (orf.at)
Eine Informantin der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia hat sich der Polizei in Griechenland gestellt. Die frühere Bankangestellte, die per Haftbefehl gesucht wurde, soll entscheidende Unterlagen geliefert haben für die Anschuldigung, dass die Ehefrau des maltesischen Regierungschefs Bestechungsgelder aus Aserbaidschan erhalten habe.
4. Zur Jagd freigegeben? (journalist-magazin.de, Michael Kraske)
Wer als Reporter von Demonstrationen und Kundgebungen berichtet, bekommt oft zu spüren, wie medienfeindlich die Stimmung vor Ort ist. “Es wird beleidigt, bedroht und nach Kameras geschlagen. Gefahrenzonen sind längst nicht mehr nur Aufmärsche erkennbar extremistischer Organisationen”, schreibt Michael Kraske. Er hat ausführlich mit Journalisten und Polizisten gesprochen, um herauszufinden, welche Maßnahmen die Situation verbessern könnten.
5. Presserat: Lügenpresse-Rufer nehmen Polizei als “Kronzeugen” gegen Journalisten (netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Die deutsche Polizei hat sich in Sozialen Netzwerken eine beachtliche Reichweite aufgebaut. Wie sie diese nutzt, ist mitunter diskussionswürdig, beispielsweise wenn sie die Herkunft von Straftätern nennt. Alexander Fanta schreibt: “Mit immer stärkerem Selbstbewusstsein nutzt die Exekutive ihre amtliche Informationshoheit dazu, selbst ins Rampenlicht zu treten. Dabei zeigt die Exekutive wenig Rücksicht auf die ethische Frage, die durch ihr neues Sendungsbewusstsein aufgeworfen wird. Denn die Polizei entscheidet in der Auswahl der Straftaten, die sie an die Öffentlichkeit trägt, und auch in den Detailinformationen, die sie preisgibt, viel über die öffentliche Wahrnehmung der Fälle mit. Mit der Nennung von Herkunftsländern von Tatverdächtigen macht die Polizei Politik.”
6. Wir haben die Kontrolle über unser Gesicht und unsere Stimme verloren (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Dass sich mit Photoshop Bilder manipulieren lassen, dürfte sich inzwischen rumgesprochen und Menschen beim Betrachten von Fotos vielleicht etwas misstrauischer gemacht haben. Adrian Lobe berichtet nun vom nächsten Schritt: dem Manipulieren von Video- und Audiomaterial. Er befürchtet weitreichende Folgen, sollte dadurch die “Integrität der Information” nachhaltig korrumpiert werden: “An der Integrität der Information hängt auch die Integrität einer funktionierenden Öffentlichkeit. Ist Journalismus unter den Bedingungen der totalen Manipulation überhaupt noch möglich?”
Das “Reisewetter” in der heutigen Ausgabe der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” ist bemerkenswert. Und das liegt nicht nur an der Behauptung, dass es in Österreich und der Schweiz in den nächsten Tagen 24 bis 32 Grad warm werden soll und in Frankreich sogar bis zu 45 Grad. Auch bei den kleinen Zusatztexten haben wir das Gefühl, dass es nicht unbedingt geplant war, sie in dieser Form abzudrucken:
In Kroatien, in Montenegro, in Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Portugal gibt es derzeit heftige Waldbrände. Die Feuer bedrohen viele Menschen, ihre Häuser und Existenzgrundlagen. In der Nähe von Neapel soll ein Mann in den Flammen ums Leben gekommen sein.
Auch die “Bild”-Medien berichten über die Brände. Doch ihre Mitarbeiter interessieren sich nur am Rande für die Einwohner der betroffenen Länder. Es geht ihnen nicht um die tragische Situation der Menschen vor Ort, um deren Probleme und Überlebenskampf. Auf der Bild.de-Startseite geht es um “uns”, die deutschen Urlauber:
Der dazugehörige Artikel beginnt so:
Wald- und Buschfeuer schrecken Touristen in vielen Urlaubsregionen Europas auf. In mehreren Ländern gibt es Wald- und Buschbrände, in Italien starb ein Mann auf der Flucht vor den Flammen, Badegäste flohen vor den Rauchwolken.
Neu ist in diesem Jahr, dass die “Bild”-Redaktion ihre Leser — statt ihnen zu raten, möglichst schnell das Weite und einen sicheren Ort zu suchen — munter auffordert, “Urlaubsfotos aus der Flammenhölle” aufzunehmen und ihr zu schicken:
WERDEN SIE ZUM LESER-REPORTER!
Sind auch Sie im Urlaub und von der Flammenhölle betroffen? Schicken Sie uns Ihre Fotos! Die 1414-Redaktion will IHR exklusives Foto und zahlt bis zu 250 Euro.
Laden Sie Ihre Fotos und Videos HIER hoch oder mailen Sie diese an [email protected].
… vorausgesetzt, Sie überleben Ihren Einsatz als “LESER-REPORTER”.
Das Traurige an der ganzen Sache: Die Leute machen auch noch mit. “Bild” und Bild.de präsentieren heute die ersten Einsendungen ihrer tapferen Feuerfotografen:
Planen Sie eine Reise nach Australien? Dann legen Sie am besten ein paar Gabeln bereit, die sie sich vor Ort in die Haare stecken können, und eine Extra-Tube Zahnpasta, um sie sich nach Ankunft hinter die Ohren zu schmieren. Denn nur so können Sie sich ordentlich vor fleischfressenden Freifall-Koalas schützen — jedenfalls wenn man den großen Fehler macht, auf Bild.de zu hören, und die Reisetipps des Portals konsequent weiterdenkt.
In Frankreich solle man etwa “nach dem Dessert keinen Wein mehr trinken”. In Griechenland solle man die Menschen nicht als “Pleite-Griechen” beschimpfen solle man die “Menschen am Telefon an ihrer Stimme erkennen”. Und in Taiwan solle man “am Neujahrstag nicht putzen”.
Zu Australien gibt Bild.de fünf Tipps. Nummer eins: Man solle “Koalas nicht mit dropbears verwechseln”:
Es werden verschiedene Methoden vorgeschlagen, um Drop Bears abzuschrecken. Dazu gehört, sich Gabeln in die Haare zu stecken, sich Vegemite oder Zahnpasta hinter die Ohren zu schmieren, auf sich selber zu urinieren oder nur Englisch mit australischem Akzent zu sprechen.
Bei “Wikipedia” steht allerdings auch:
Ein Dropbear oder Drop Bear (wörtliche Übersetzung “Fall-Bär”) ist ein fiktives australisches Beuteltier. (…) Geschichten über Angriffe werden erzählt, um Touristen zu erschrecken.
Für Ihren nächsten Besuch bei Bild.de hätten wir auch noch eine Reisewarnung einen Tipp:
Mit Dank an Marcel H. für den Hinweis!
Nachtrag, 16:07 Uhr: Bild.de hat in der Zwischenzeit reagiert und lässt die “Dropbears” nun nur noch “mit einem Augenzwinkern” auf “uninformierte Touristen” fallen:
Besucher sollten sich vor Ort stets über das lokale Risiko erkunden, empfiehlt der Autor mit einem Augenzwinkern (Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war die Ironie nicht direkt erkennbar. Wir bitten um Entschuldigung).