Suchergebnisse für ‘foto opfer’

Andreas L.

Vorab eine kurze persönliche Anmerkung. Ich bin jetzt seit drei Jahren beim BILDblog und habe schon viele krasse Sachen gesehen. Aber die letzten Tage haben mich wirklich fertiggemacht. Gerade gestern*, als ich mitansehen musste, wie sich immer mehr Medien reflexartig und bar jeden Anstands auf einen Menschen und dessen Familie stürzten, habe ich mich so ohnmächtig und verzweifelt gefühlt wie lange nicht mehr. Dennoch, oder gerade deshalb, will ich versuchen, mich im Folgenden einigermaßen sachlich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, und ich hoffe sehr, dass diese ganze Tragödie wenigstens dazu führt, dass einige Journalisten ihr eigenes Handeln zumindest ein kleines bisschen überdenken.

***

Was in den vergangenen Tagen passiert ist, ist in weiten Teilen, in sehr weiten Teilen kein Journalismus mehr, sondern eine Jagd. Eine Jagd nach Informationen und Bildern, die für das Verständnis des Geschehens komplett irrelevant sind.

Um eines gleich ganz klar zu sagen: Selbstverständlich muss über ein solches Geschehen berichtet werden. Meinetwegen auch schnell und laut und in hoher Frequenz. Aber es gibt eine Grenze zwischen der Versorgung mit relevanten Informationen und dem Bedienen voyeuristischer Interessen. Diese Grenze wurde in den letzten Stunden und Tagen auf übelste Weise überschritten, und ich glaube, dass die allermeisten Journalisten ganz genau wissen, wann sie das tun — was es nur noch viel trauriger macht.

Ob die identifizierende Berichterstattung über den Co-Piloten eine solche Grenzüberschreitung ist, darüber sind sich die Medien bemerkenswert uneinig. Viele Journalisten diskutieren derzeit darüber, ob man seinen vollständigen Namen nennen und sein Foto unverpixelt zeigen darf und soll, einige Medien haben (was so gut wie nie vorkommt) Begründungen für ihre jeweiligen Entscheidungen veröffentlicht, das Portal watson.ch ließ sogar seine Nutzer darüber abstimmen, ob es den Namen nennen solle (die meisten stimmten für Nein, das Portal nennt ihn trotzdem), und Kai Biermann von „Zeit Online“ hat sich beim Presserat über sich selbst beschwert, um herauszufinden, ob er mit der Nennung des Namens gegen den Pressekodex verstoßen hat.

Ich persönlich finde, dass man durchaus auf die Identifizierung verzichten kann. Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich einen Artikel lese, in dem der Mann zu erkennen ist, oder einen, in dem er anonym bleibt. Es lässt mich das Geschehen weder mehr noch weniger begreifen, darum kann man, finde ich, seine Identität auch weglassen.

„Spiegel Online“ sieht sah es ähnlich und schrieb gestern:

FAZ.net hingegen nennt seinen vollständigen Namen und zeigt sein Foto ohne Unkenntlichmachung. In der Begründung, die FAZ.net-Digitalchef Mathias Müller von Blumencron heute veröffentlicht hat, heißt es:

Es ist ein schrecklicher Unfall, ausgelöst durch das Verhalten des Kopiloten. Die Opfer und die Öffentlichkeit haben ein Recht darauf zu erfahren, wer das Unglück ausgelöst hat. […] Im Zentrum der Erklärung steht ein Mensch, genauer sein Kopf, sein möglicherweise irregeleitetes Gehirn. Das ist das Unerklärliche, was uns soviel Schwierigkeiten bereitet: Es ist die Psyche von Andreas [L.], die Unfassbares verursacht hat. Die Lösung ist nach gegenwärtigem Stand nur in der Person des Kopiloten zu finden. Wir müssen uns mit ihm beschäftigen, wir müssen ihn ansehen, wir dürfen ihn sehen.

Deshalb hat FAZ.NET das Foto von Andreas [L.] gezeigt.

Soll, wenn ich das richtig verstanden habe, heißen: Weil der Kopf des Co-Piloten des Rätsels Lösung ist, dürfen wir ihn uns auch angucken. Oder wie?

Dagegen klingt sogar die Begründung der „Bild“-Zeitung nachvollziehbar: Weil Andreas L. einen „Ritualmord“ begangen habe (ja, das steht da wirklich), mache ihn das zu einer Person der Zeitgeschichte, darum müsse er auch im Tod „hinnehmen, dass er mit seiner vollen Identität, seinem Namen und auch seinem Gesicht für seine Tat steht.“

Es kann durchaus sein, dass Gerichte das ähnlich bewerten würden; rechtlich gesehen ist es vermutlich in Ordnung, den Namen auszuschreiben. Medienanwalt Dominik Höch schreibt dazu in einem lesenswerten Beitrag:

Die Gerichte haben in der Vergangenheit entschieden, dass der Name des Betroffenen nicht tabu sein muss, wenn der Verdachtsgrad hoch genug ist und es um eine die Öffentlichkeit besonders berührende Angelegenheit geht. Beides dürfte hier vorliegen.

Er schreibt aber auch, dass man letztlich fragen müsse:

Welcher Mehrwert an Information ergibt sich durch die Namensnennung wirklich? Ist es wirklich zwingend ihn zu nennen?

Denn, und diesen Punkt vermisse ich in den meisten Diskussionen zu diesem Thema:

Durch die Nennung des Namens und des Wohnortes dürften [die Eltern und anderen Angehörigen des Co-Piloten] für eine Vielzahl von Personen erkennbar sein. Sie sind schuldlos an der Katastrophe und müssen nun neben dem Verlust des Kindes mit den neueren Erkenntnissen leben. Sie müssen außerdem erhebliche Anfeindungen befürchten; sie müssen eine – unzulässige – Durchleuchtung ihres Privatlebens durch Medien befürchten. Davor sind sie zu schützen. Ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht verleiht Ihnen das Recht auf Privatsphäre. Sie sind  eigentlich – vereinfacht gesprochen – nicht Teil eines zeitgeschichtlichen Ereignisses. Das ist ein hohes Schutzgut.

Und dieses Schutzgut finde ich wichtiger als das Wissen um den Nachnamen des Mannes. Wenn ich zum Beispiel vom “Amokläufer Tim K.” spreche, wissen Sie sicher alle, wen ich meine und welche Geschichte dahinter steckt — ohne den vollen Namen zu nennen. Und wenn das den Angehörigen viel Leid erspart, dann kann ich getrost auf den Namen verzichten.

Es geht in diesem Fall aber nicht nur um das Ob. Sondern auch — und vor allem — um das Wie. “Bild” und “Express” zum Beispiel bezeichnen den Mann heute als “Amok-Piloten” und zeigen ihn, wie auch andere Medien, riesengroß auf der Titelseite (Ausrisse siehe ganz oben). Wenn man als Medium aber schon von einer “Amok”-Tat ausgeht, darf man, um Nachahmungstaten zu vermeiden, den Täter umso weniger in Postergröße auf der Titelseite abbilden. Schon nach dem Amoklauf in Winnenden zitierte der Presserat in einem Leitfaden für die Berichterstattung über Amokläufe (PDF) einen Psychologen mit den Worten, bei Berichten über den Täter sei Zurückhaltung geboten, weil eine gewisse Form der Berichterstattung mögliche Nachahmungstäter bestärken könne:

“Nicht den Täter und seine Motive in den Vordergrund rücken, sondern die Tat, keine Klischees fördern, keine Bilder vom Täter zeigen und keine Namen nennen”, sagte [Prof. Dr. Herbert] Scheithauer. Bei allem legitimen öffentlichen Interesse sollten sich Journalisten stets die Frage stellen, wie ihre Beiträge auf potenzielle Täter wirken könnten.

Auch im Fall des Co-Piloten besteht eine solche Nachahmungsgefahr. Prof. Dr. Thomas Bronisch vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie sagte heute im “Mittagsmagazin”:

“Man muss damit rechnen, dass bei einem so spektakulären Ereignis es auch Nachahmer findet. Sicherlich ist es eine extreme Form, sich umzubringen, und es werden nur wenige bereit dazu sein, aber es könnte für manche doch dazu gereichen, diese Tat mit diesem spektakulären Aspekt durchzuziehen.”

Aber lassen wir den Punkt erst einmal beiseite.

Sofort nachdem bekannt geworden war, dass der Co-Pilot die Maschine möglicherweise absichtlich in den Berg geflogen hat, begaben sich ganze Heerscharen von Journalisten auf Spurensuche: Sie belagerten das Elternhaus des Mannes, befragten seine angeblichen Freunde („Spiegel Online“), Nachbarn (Stern.de), Bekannten („Focus Online“), Weggefährten („Passauer Neue Presse“), die Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin (FAZ.net) und den Besitzer der Pizzeria in der Nähe seiner Zweitwohnung („Bild“), sie durchwühlten sein Umfeld, seine Facebookseite, seine Krankenakte.

Dagegen ist auch erstmal nichts zu sagen. Es kommt darauf an, wie die Medien dabei vorgehen und was sie daraus machen. Wenn aber eigentlich nichts dabei rauskommt, die Nicht-Erkenntnisse aber trotzdem mit übertriebener Bedeutung aufgeladen werden, wenn also beispielsweise FAZ.net schreibt …

„Das war ein lieber Junge“, sagte die Mutter einer Klassenkameradin gegenüber FAZ.NET. Ihre Tochter ist in Tränen aufgelöst und steht für Gespräche vorerst nicht zur Verfügung. „Er hatte gute familiäre Hintergründe“, sagt sie. Allerdings habe sich Andreas [L.] ihrer Tochter vor einigen Jahren anvertraut mit dem Hinweis, er habe in seiner Ausbildung eine Auszeit genommen: „Offenbar hatte er ein Burnout, eine Depression“. Die Tochter habe ihn zuletzt vor Weihnachten gesehen, da habe er ganz normal gewirkt.

… dann trägt das nicht zur Wahrheitsfindung bei, sondern heizt allenfalls die unsinnigen Spekulationen an.

Und ich frage mich jedes Mal: Werden die Ereignisse für mich als Leser in irgendeiner Art greifbarer, wenn ich erfahre, in welchem Haus der Co-Pilot gewohnt hat und was der Schwippschwager der Nachbarin eines Bekannten von ihm hielt? Wenn ich weiß, welche Musik er gerne hörte („Focus Online“), welche Marathon-Zeit er gelaufen ist („Bild“), welchen Beruf seine Eltern ausüben („Blick“) oder in welches Fastfood-Restaurant er am liebsten ging („Welt“)? Und die einzige Antwort, die ich jedes Mal finde, ist: Nein.

In einigen Fällen sind die so zutage geförderten Dinge aber nicht nur belang- und geschmacklos, sondern schlichtweg falsch. In vielen Medien wurde zum Beispiel dieses Foto veröffentlicht, das den Co-Piloten Andreas L. zeigen soll:

Tatsächlich zeigt es aber Andreas G., der mit der Sache gar nichts zu tun hat, wie das Portal tio.ch schreibt:

(Unkenntlichmachung des rechten Fotos von uns. Den Artikel haben wir per Google Translator übersetzt. Da im Original das Gesicht des „echten“ Co-Piloten zu erkennen ist, haben wir auf einen Link verzichtet.)

Neben der „Kronen Zeitung“ hat auch „Österreich“ das Foto heute auf der Titelseite abgedruckt (via Kobuk):

Hierzulande wurde das falsche Foto unter anderem von den „Tagesthemen“ und „ZDF heute“ veröffentlicht (immerhin: verpixelt), beide Redaktionen haben sich inzwischen dafür entschuldigt.

Was für Folgen eine solche Verwechslung haben kann, lässt sich heute in der „Rhein-Zeitung“ (Abo-Link) nachlesen. In einem Restaurant sei die Freundin von Andreas G. von Journalisten förmlich überfallen worden:

„Sie saß bei einem Geschäftsessen“, berichtet Andreas [G.] unserer Zeitung. „Plötzlich kommen 20 Journalisten rein und sie wird vor laufender Kamera mit der Frage bombardiert, wie sie sich fühlt, mit einem Mörder zusammen gelebt zu haben.“ Die Freundin ist offenbar so leicht nicht zu erschüttern: „Sie konnte dann schnell aufklären, dass ich gar nicht Pilot bin“, so der im Stromhandel tätige Deutsche. „Die Journalisten sind dann wieder weg.“

„Witwenschütteln“ nennt man diese furchtbare Praxis (hier ein eindrucksvoller Erfahrungsbericht zu diesem Thema, den wir heute auch bei „6 vor 9“ verlinkt haben), und die Freundin des falschen Piloten war nicht die einzige, die dermaßen von Reportern belästigt wurde. Vor allem die Mitschüler der bei dem Unglück gestorbenen Kinder aus Haltern am See haben in den letzten Tagen unglaubliche Dinge erlebt. In einem Post bei Facebook heißt es:

Wer zum Gedenken eine Kerze abstellen oder einen Moment an der Treppe zum Gymnasium innehalten möchte, fühlt sich wie im Zoo oder auf einem Laufsteg:

Vor einer Front aus teilweise über 50 Kameras wird jeder Emotionsausbruch von den geifernden Kameraleuten schnell eingefangen und geht kurz darauf um die Welt und wird von distanzierten Stimmen kommentiert.

Als ob man nicht sehen würde, dass es den Menschen hier schlecht geht!

Selbstverständlich besteht ein großes Interesse der Öffentlichkeit aufgrund der Dimension dieses Unglücks.
Die internationale Anteilnahme berührt uns natürlich sehr. Es tut gut, so viele Trost spendenden Stimmen aus der ganzen Welt zu lesen und zu hören.

In Momenten aber, in denen Eure Kollegen KINDERN GELD dafür anbieten, Informationen preiszugeben oder VORGEGEBENE SÄTZE in die Kameras zu sprechen ODER sich eine Fotografenmeute auf einen Mann stürzt, der vor Kummer in der Fußgängerzone zusammenbricht, WIRD HALTERN AM SEE ZUSAMMENHALTEN UND EUCH IN EURE SCHRANKEN VERWEISEN!

Dass Kindern Geld für Informationen angeboten wurde, ist uns von mehreren Quellen aus Haltern am See bestätigt worden. Die „Ruhrnachrichten“ schreiben außerdem:

Bürgermeister Bodo Klimpel berichtet von einer erschreckenden Situation am Bahnhof. Ein ausländisches Reporterteam soll dort einem Jugendlichen ein lukratives Honorar angeboten haben. Als Gegenleistung sollte der Schüler mit seinem Handy Aufnahmen von der internen, nicht-öffentlichen Trauerveranstaltung, die im Joseph-König-Gymnasium stattfindet, machen.

So bleibt für mich am Ende die — aus journalistischer Sicht — traurigste Erkenntnis aus diesem ganzen Unglück: Dass viele Journalisten, die ja eigentlich dazu beitragen sollten, dass wir die Welt besser verstehen und dass in Zukunft weniger schlimme Dinge passieren, im Moment viel eher damit beschäftigt sind, das Leid noch zu vergrößern.

Mit Dank auch an die vielen, vielen Hinweisgeber!

*Nachtrag, 29. März: Hier stand zunächst ein sprachliches Bild (der Co-Pilot sei “zum Abschuss freigegeben” worden), das von einigen Lesern zurecht kritisiert wurde, weil es natürlich nicht besonders glücklich gewählt war. Ich habe es daher gestrichen und bitte um Entschuldigung!

Absturz des Journalismus

Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.

Als BILDblogger schaut man jeden Tag in die Abgründe des Journalismus, aber es gibt Tage, an denen vor lauter Abgründen kaum noch Journalismus zu sehen ist. Gestern war so ein Tag.

Am frühen Mittag, weniger als eine Stunde nachdem bekannt geworden war, dass die Germanwings-Maschine 4U9525 über Frankreich abgestürzt ist, umfasste der Liveticker bei Bild.de schon über 35 Einträge. Bei „Focus Online“ über 20.

Das ist eine dieser furchtbaren Eigenarten des deutschen Onlinejournalismus: Dass die Portale in den ersten Stunden nach solchen medialen Großereignissen alles rausjagen, was sie in die Finger kriegen, egal, wie irrelevant, spekulativ oder nichtssagend die „Nachricht“ auch sein mag. Hauptsache Content. Hauptsache Klicks.

Bild.de zum Beispiel.
@fernsehkritiktv).
Letztere „Nachricht“ wurde allerdings von niemandem so schamlos fürs Clickbaiting missbraucht wie von „Focus Online“ und „Huffington Post“:
wie blöd geklickt werden: Einer der Artikel, die in den sozialen Netzwerken gestern am meisten herumgereicht wurden, war: „Rapper Moneyboy verhöhnt 4U9525-Absturz“ — selbstverständlich erschienen bei „Focus Online“.

Selbst das Alter der abgestürzten Maschine wurde von einigen Medien als (erschreckende) Sensation verkauft:

völlig normal.

Besonders problematisch wird diese gedankenlose Veröffentlichungswut dann, wenn Gerüchte genauso behandelt werden wie gesicherte Fakten. Frank Schneider etwa, NRW-Chefreporter der “Bild”-Zeitung, twitterte gestern Nachmittag, dass “unbestätigten Informationen” zufolge zum Zeitpunkt des Absturzes “ein starkes Gewitter über der Region getobt” habe.

Obwohl nicht mal eine Quelle angegeben war, übernahm Bild.de den Tweet gleich im Liveticker:

Fehlinformation gewesen war — da war sie aber schon längst im Umlauf:

(Aus der Kommentarspalte bei „Zeit Online“.)

Ein anderes Beispiel von heute:

doch ausgewertet werden konnte. Was „Bild“ dann auch gleich wieder vertwitterte …

… natürlich ohne auf den eigenen Fehler hinzuweisen.

Es sind vor allem diese halbgaren, nicht überprüften Informationen, die die unnötige Sensationsgier befeuern. Lieber schnell was Falsches rauskloppen, das man später lautlos kassieren kann, als sich Ewigkeiten um bestätigte Inhalte zu bemühen.

Aber es gibt auch positive Beispiele. “Zeit Online” zum Beispiel oder Sueddeutsche.de haben sich gestern (und auch schon davor, bei ähnlichen Ereignissen) sichtlich bemüht, keinen unnötigen Quatsch zu veröffentlichen und sich möglichst auf die gesicherten Fakten zu konzentrieren. Sueddeutsche.de leitete den Artikel (ähnlich wie der “Guardian” oder die “New York Times”) auch mit “Was wir wissen” und “Was wir nicht wissen” ein.

So dauert es zwar deutlich länger, bis man seine Leser mit Informationen versorgen kann, aber Journalismus braucht eben manchmal Zeit. Das vergessen seine Macher und seine Nutzer — gerade in solchen Situationen — leider viel zu oft.

***

Gegen 13 Uhr tauchten dann die ersten Fotos von Angehörigen auf. Ganz vorne mit dabei, mal wieder: Frank Schneider, NRW-Chefreporter der “Bild”-Zeitung.

Immerhin: Die Gesichter waren nicht zu erkennen. Noch nicht.

Eine knappe Stunde später — der Liveticker bei Bild.de umfasste inzwischen über 70 Einträge — veröffentlichte Bild.de dann die erste Großaufnahme von weinenden Angehörigen. Ohne Quellenangabe. Und ohne Verpixelung.

Auch auf der Startseite war das Foto riesengroß und ohne jede Unkenntlichmachung zu sehen:

“Bild”-Chef Kai Diekmann rechtfertigte die Veröffentlichung damit, dass andere Medien sowas ja auch machen:

Erst nachdem sogar eingefleischte “Bild”-Leser das unverpixelte Foto kritisiert hatten, nahm Bild.de es wieder runter.

Ohnehin gab es gestern viel Kritik an der Berichterstattung der Medien, vor allem, wenn es um Fotos von trauernden Angehörigen ging. Und in manchen Fällen brachte es tatsächlich etwas: “RP Online” zum Beispiel hatte zunächst eine 14-teilige Klickstrecke von trauernden Angehörigen veröffentlicht (deren Gesichter immerhin verpixelt waren), doch nachdem sich einige Leser massiv beschwert hatten, nahm das Portal die Strecke wieder offline.

Eine Praxis, wie sie für Burdas Journalismusimitationsportale “Focus Online” und “Huffington Post” natürlich niemals infrage käme. Bei “Focus Online” sind die unverpixelten Angehörigen auch heute noch zu sehen:

Und bei der “Huffington Post” hatten sie nicht mal ein Problem damit, die weinenden Gesichter fast über die gesamte Breite der Startseite zu legen:

Darunter sah es übrigens — ungelogen — so aus:

Da wundert es auch nicht, dass sich die Mitarbeiter von “Huffpo” und “Focus Online” sofort auf jeden stürzten, der auch nur annähernd möglicherweise irgendwen kennen könnte, der vielleicht fast im Flugzeug gesessen hätte:

Sie bekamen folgende Antwort:

***

Aber nochmal zurück zu den Fotos von trauernden Angehörigen. Auch in vielen sogenannten seriösen Medien waren gestern etliche (Bewegt-)Bilder von weinenden Menschen zu sehen, in den meisten Fällen ohne jede Unkenntlichmachung.

Die “Tagesthemen” etwa zeigten sowohl trauernde Schüler als auch trauernde Angehörige — alle unverpixelt.

“ZDF heute” hatte zwar die Schüler unkenntlich gemacht, zeigte dann aber — unverpixelt — weinende Angehörige in Spanien, die noch verzweifelt versuchen, sich zum Schutz vor den Kameraleuten Jacken vor ihre Gesichter zu halten.

Das “heute journal” verzichtete zwar auf Bilder von Angehörigen, zeigte allerdings trauernde Schüler — unverpixelt.

N24 zeigte sowohl unverpixelte Angehörige als auch unverpixelte Schüler.

“RTL aktuell” gab sich spürbar Mühe, Angehörige und Schüler nur von hinten oder aus weiter Entfernung zu zeigen. Dafür brachten sie ein (großflächig unkenntlich gemachtes) Klassenfoto und zeigten eine Animation des (geratenen) Flugverlaufs, bei der das Flugzeug am Ende in einem Feuerball explodiert.

Sat.1 zeigte in einer Sondersendung sowohl das (unkenntlich gemachte) Klassenfoto als auch unverpixelte Bilder von trauernden Schülern. Und: trauernde Angehörige im Großformat, in Zeitlupe und mit trauriger Klaviermusik hinterlegt.

Und selbst die “Tagesschau” zeigte in ihren Ausgaben um 16 und 17 Uhr die Gesichter weinender Angehöriger in Spanien. Erst für die Hauptausgabe um 20 Uhr hatte die Redaktion die Gesichter verpixelt. Allerdings auch nur im Beitrag selbst. Am Anfang der Sendung war im Hintergrund ein großes Foto weinender Angehöriger zu sehen — unverpixelt.

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Neben den hier dokumentierten Fällen sind freilich noch viel mehr eklige Dinge passiert, auf die wir aus Zeit- und Nervengründen gar nicht alle eingehen können — etwa auf das Clickbaiting, auf die Rumspekuliererei, auf Franz Josef Wagner — aber es wäre schon sehr viel geholfen, wenn sich die Journalisten in Zukunft wenigstens das zu Herzen nehmen würden, was Lorenz Meyer hier zusammengestellt hat:

Mit Dank an alle Hinweisgeber, inbesondere an Bernhard W., Jonas J. und Simon H.!

Presserat rügt Vergewaltiger-Selfie

Vor gut sechs Monaten berichtete „Bild“ über einen Mann, der zwei Frauen vergewaltigt und sich währenddessen mit den Opfern fotografiert hatte. „Selfie-Vergewaltiger“ nannte „Bild“ den Mann — und druckte eines der bei den Taten entstandenen Fotos unfassbarerweise auf der Titelseite ab:


(Verpixelung von uns.)

Für die Veröffentlichung sind „Bild“ und Bild.de am Freitag vom Presserat öffentlich gerügt worden. Obwohl das Gesicht des Opfers unkenntlich gemacht worden war (online soll es, wie uns eine Leserin schrieb, kurzzeitig sogar ohne jede Unkenntlichmachung zu sehen gewesen sein), erkannte der Beschwerdeausschuss einen Verstoß gegen die Ziffern 1 (Achtung der Menschenwürde), 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Als besonders gravierende Verletzung der Würde des Opfers bewertete er den Umstand, dass BILD und BILD Online ein Foto veröffentlichten, welches der Täter während der Tat als „Trophäe“ angefertigt hatte.

… heißt es in der Mitteilung des Presserats.

Es war bei Weitem nicht die einzige „Sanktion“, die der Beschwerdeausschuss gegen die „Bild“-Medien ausgesprochen hat: Insgesamt erhielten sie drei öffentliche Rügen, sechs Missbilligungen und vier Hinweise, also mal wieder mehr als jedes andere Medium.

Die zweite Rüge erhielt Bild.de für die identifizierende Berichterstattung über ein Mordopfer. Das Portal hatte ein unverpixeltes Foto der Frau bei der Arbeit gezeigt und verstieß damit gegen Richtline 8.2 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist.

Die dritte Rüge ging an die Hamburger “Bild”-Ausgabe, die den Vornamen, den abgekürzten Nachnamen, den Wohnort sowie ein Porträtfoto eines 16-Jährigen veröffentlicht hatte, der wegen Mordverdachts vor Gericht saß.

Über einen jugendlichen Straftäter derart identifizierend zu berichten, wertete der Ausschuss als einen schweren Verstoß gegen den Pressekodex (Ziffer 8, Schutz der Persönlichkeit, Richtlinien 8.1 und 8.3). Die Identität von Kindern und Jugendlichen genießt besonderen Schutz, auch bei schweren Straftaten.

Kritisiert wurde auch dieser Artikel der Dresdner “Bild”-Ausgabe:


(Unkenntlichmachung von uns.)

Im Text behauptete der “Bild”-Reporter:

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Bautzen kaufte dem Rettungsdienst stich- und schusssichere Westen. (…) Offenbar geht es vor allem um Einsätze im Spreehotel – der Vier-Sterne-Herberge, wo neuerdings Asylbewerber untergebracht sind.

Allerdings haben die Polizei, das DRK und der Betreiber des Heims schon mehrfach klargestellt, dass diese Darstellung falsch ist. Denn erstens ist das Hotel keine “Vier-Sterne-Herberge” mehr (der Hotelbetrieb wurde vor geraumer Zeit eingestellt), zweitens sind es höchstens stich- und keine schusssicheren Westen, und drittens wurden sie nicht „aus Angst vor Attacken aus dem Asyl-Hotel“ besorgt, wie „Bild“ behauptet, sondern um die Rettungskräfte ganz allgemein und bei allen Einsätzen zu schützen (BILDblog berichtete hier und hier.) Auch der Presserat erkannte in dem Artikel einen Verstoß gegen Ziffer 2 (Sorgfalt) und sprach eine Missbilligung aus.

Ebenfalls beanstandet wurde die Veröffentlichung eines Fotos bei Bild.de, auf dem ein Baby zu sehen ist, das von seinem Vater schwer verletzt worden sein soll. Da das Foto im Krankenhaus entstanden ist, einem laut Pressekodex besonders geschützten Raum, erhielt Bild.de eine Missbilligung.

Missbilligt wurde auch dieser “Bild”-Artikel:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

“Bild” hatte die Bilder der Überwachungskamera (auch auf der Titelseite) veröffentlicht, ohne die Staatsanwaltschaft oder die Angehörigen des Opfers um Erlaubnis zu bitten (BILDblog berichtete). Der Presserat wertete die Veröffentlichung als unangemessen sensationelle Darstellung (Verstoß gegen Ziffer 11) und sprach eine Missbilligung aus.

Und dann war da ja noch dieser Artikel:

“Bild” hatte kurz vor Weihnachten suggeriert, dieser Vorschlag sei vom Grünen-Politiker Omid Nouripour eingebracht worden (in der Print-Ausgabe hieß es gar: “Politiker fordern”). Doch tatsächlich stammte er von der Zeitung selbst (BILDblog berichtete): Nouripour erklärte uns, dass ihn eine “Bild”-Reporterin angerufen und gesagt habe:

Wir bringen zu Weihnachten ja immer gute Nachrichten. Und da haben wir uns gefragt, ob es nicht eine schöne Idee wäre, wenn in christlichen Weihnachtsgottesdiensten muslimische Lieder gesungen würden.

Daraufhin habe er geantwortet: Nein, das sei keine gute Idee. Wenn, dann sollte es eine Art Tausch geben: Muslimische Lieder in der Kirche, christliche Lieder in der Moschee.

In einer Pressemitteilung erklärte die “Bild”-Zeitung später, sie habe die Zitate im Artikel korrekt wiedergegeben, was ja auch stimmen mag. Dass die Schlagzeile den Sachverhalt trotzdem falsch zusammenfasst, befand aber auch der Beschwerdeausschuss des Presserats, der deshalb eine weitere Missbilligung gegen “Bild” aussprach.

Einen sogenannten Hinweis bekam Bild.de außerdem wegen der Verwendung der Lach-Wein-Wut-Wow-Staun-Leiste unter einem Artikel über ein Attentat mit mehreren Toten.

Die Möglichkeit, diese Nachricht auf Basis von positiven Emotionen zu bewerten, verstößt aus Sicht des Beschwerdeausschusses gegen das Ansehen der Presse gemäß Ziffer 1 des Pressekodex. Die Redaktion hätte diese Bewertungsmöglichkeit für den Artikel vorab deaktivieren müssen.

Auch unter anderen Artikeln können die Leser bei Bild.de über Tote und Verletzte lachen, was sie auch tun (BILDblog berichtete, andere auch). Dass der Presserat nur diesen einen Fall kritisiert hat, liegt daran, dass nur dazu Beschwerden eingegangen sind. Deaktiviert wird die Leiste im Übrigen nur selten — bei Kommentaren von “Bild”-Chef Kai Diekmann zum Beispiel.

Die “Goslarsche Zeitung”, die Zeitschrift “Welt der Wunder” und die “TV Hören und Sehen” fingen sich jeweils eine Rüge ein, in allen drei Fällen wegen Verstößen gegen Ziffer 7 (Trennung von Werbung und Redaktion).

Eine weitere Rüge ging schließlich an shz.de, das Nachrichtenportal des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, das im Jahr 2009 in der Berichterstattung über einen laufenden Mordprozess identifizierend über einen Angeklagten und dessen Vater berichtet hatte. Der Ausschuss stellte einen Verstoß gegen Ziffer 8 fest: Die identifizierende Berichterstattung vor Abschluss des Strafverfahrens sei unzulässig.

Siehe auch: Mitteilung des Presserats

Sterben live (2)

Gestern ist vor der Küste Mexikos ein Boot mit einem Wal kollidiert. Dabei erlitt eine 35-jährige Frau so schwere Verletzungen, dass sie wenig später verstarb. Und weil aus irgendeinem Grund auch ein Fotograf anwesend war, der festhielt, wie die Freunde nach dem Unglück verzweifelt versuchen, die Frau wiederzubeleben, haben Bild.de und andere Medien nun auch das passende Bildmaterial, um den Pressekodex mal wieder mit Füßen zu treten:

Bild.de:
Wal erschlägt Frau in Mexiko - Hier kämpfen die Retter vergeblich um das Leben der Touristin [dazu ein Foto, auf dem die Retter versuchen, die Frau wiederzubeleben]

Blick.ch:
Der verzweifelte Kampf um das Leben des Wal-Opfers [dazu das gleiche Foto, noch näher rangezoomt]

20min.ch:
Hier kämpfen die Helfer um Jennifer K[...]s Leben - Jennifer K[...] wollte in Mexiko schöne Ferien verbringen. Dann traf ein Wal das Touristenboot, in welchem die Kanadierin sass, und verletzte sie tödlich. [Dazu das gleiche Foto, noch näher rangezoomt]

In Ziffer 11 des Pressekodex heißt es:

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Und in Richtlinie 11.1:

Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird. Bei der Platzierung bildlicher Darstellungen von Gewalttaten und Unglücksfällen auf Titelseiten beachtet die Presse die möglichen Wirkungen auf Kinder und Jugendliche.

Apropos Jugendschutz: Die Fotos der sterbenden oder bereits gestorbenen Frau (deren Gesicht immerhin nicht zu erkennen ist, weil ein Tuch darüber liegt) haben es sowohl bei Bild.de als auch bei Blick.ch und 20min.ch bis auf die Startseite geschafft.

Bild  

Männer die Macher, Frauen die Objekte – über Sexismus in “Bild”

Seit vier Monaten setzt sich die Kampagne “StopBildSexism” gegen Sexismus in der “Bild”-Zeitung ein und fordert in einer Online-Petition die Abschaffung des “Bild-Girls” und den Verzicht auf sexistische Berichterstattung (bisher wurde die Petition über 34.000 Mal unterzeichnet). In einem BILDblog-Gastbeitrag erklären die beiden Initiatorinnen — Kristina Lunz studiert in Oxford Global Governance and Diplomacy, Sophia Becker arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag im Bereich Außenpolitik –, warum sie die Kampagne gestartet haben und wogegen sie dort eigentlich kämpfen.

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Das “Bild-Girl” ist ein wahres Politikum. Immer wieder werden wir gefragt, was denn eigentlich das Problem sei, da diese Frauen das doch alle freiwillig machen würden. In der Tat, alle “Bild-Girls” lassen freiwillig die Hüllen fallen, sie scheinen selbstbewusst und mit sich und den Fotos im Reinen. Ja, die “Bild”-Zeitung erfüllt ihnen sogar einen lang ersehnten Wunsch. “Ich lasse mich gerne fotografieren”, sagt zum Beispiel “Bild-Girl” Jessica, und “Bild-Girl” Alina verrät: “Es ist mein Traum, in den Playboy zu kommen.” Wieso können wir also nicht einfach den freien Willen dieser Frauen akzeptieren? Ist das der neue Feminismus, der anderen Frauen vorschreiben will, was sie zu tun und zu lassen haben? Was soll diese Prüderie? Was ist denn so schlimm an ein paar Brüsten in einer Boulevardzeitung? 

Das Problem mit dem “Bild-Girl” liegt im Kontext. Täglich blickt es uns lasziv von den Seiten einer Tageszeitung entgegen, die 2,1 Millionen Mal verkauft und von zirka fünfmal so vielen Menschen gelesen wird. Es räkelt sich neben Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Sport und suggeriert somit, dass es sich auch hier um die Abbildung der Realität handelt. Die Nachricht, die das “Bild-Girl” sendet, ist: Frauen sind immer verfügbar und ausschließlich für die männliche Bedürfnisbefriedigung da.

Das “Bild-Girl” ist jedoch bei weitem nicht das größte Problem. Es ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs, denn der Sexismus schlägt einem aus fast jedem Artikel über Frauen entgegen. Die weibliche Hälfte der Bevölkerung wird in “Bild” fast ausschließlich auf ihr Äußeres und ihre Sexualität reduziert. Frauen werden im Vergleich zu Männern als schwach, verwundbar und passiv dargestellt. Sie werden objektifiziert und sexualisiert. Artikel über Frauen zeigen sie entweder als Pendant zu einem Mann, berichten über ihren Körper und ihre Kleidung oder zeigen Frauen als Opfer. Dafür gibt es jeden Tag unzählige Beispiele.

Besonders pervers ist, wie “Bild” Fälle von Gewalt gegen Frauen benutzt, um den Voyeurismus und die Sensationslust der Boulevardpresse zu befriedigen. Unter dem Deckmantel des Journalismus und der Anteilnahme mit den Opfern und ihren Angehörigen werden Geschichten wie die von Tuğçe A. oder Maria P. bis ins kleinste Detail, ohne Rücksicht auf ihre Privatsphäre, ausgeschlachtet. 

So berichtete “Bild” zum Beispiel empört über einen Spanner in einer Sonnenbank. Die Verurteilung des Täters nahm “Bild” als Anlass, selbst ein Foto abzudrucken, das die nackte Geschädigte zeigt. Ein weiteres Beispiel findet sich in der Berichterstattung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das die Kündigung eines Mannes für unzulässig erklärte, der einer Reinigungskraft in seinem Betrieb an die Brust gefasst hatte. “Bild” gibt sich empört über diesen Sexismus und druckt gleichzeitig als Aufmacher das Bild eines weiten Ausschnitts über den Artikel. 

BILDblog hat vor einigen Tagen aufgezeigt, wie “Bild” sich seit Monaten am Buch und Film “50 Shades of Grey” ergötzt. Diese Berichterstattung ist auch ein treffendes Beispiel für den Sexismus und Voyeurismus, der täglich im Blatt zu finden ist. Im Artikel „BILD zeigt den Busen, auf den die Welt wartet“ druckte “Bild” schon vor Kinostart, bevor Screenshots veröffentlicht werden durften, ein Oben-ohne-Foto von Dakota Johnson, der Hauptdarstellerin des Films. Das Foto entstand jedoch vermutlich ohne Einwilligung der Schauspielerin während ihres Urlaubs. “Bild” behandelt Frau Johnson damit, als sei ihr Körper ein öffentliches Gut, das jedem zugänglich gemacht werden darf.

Männer hingegen werden in “Bild” grundsätzlich anders dargestellt: ob als Sportler, Staatsmänner oder Wirtschaftsbosse — Männer bekommen eine Berichterstattung, die sie als vollständige Person wahrnimmt, als Mensch mit Charakter, Interessen und Ideen.

Der anderen Hälfte der Bevölkerung wird diese respektvolle Berichterstattung nicht zuteil, was beispielsweise sehr eindringlich in der Ausgabe vom 11. Februar deutlich wurde: Männer diskutieren über Politik, Frauen werden zum Lustobjekt.

Wenn Sie auf Bild.de gehen, werden Sie feststellen, dass die große Mehrheit an Artikeln über Frauen diese auf ihren Körper und ihre Sexualität reduziert und die nebenstehenden Abbildungen ebenfalls die Frau ausschließlich zum Objekt degradieren. Ein kleiner Auszug von Artikeln vom 18. Februar, die ebenfalls mit Fotos von Frauen werben, auf denen diese auf ihr Äußeres reduziert oder sexualisiert dargestellt werden:











Eine ähnliche Zusammenstellung von Bild.de-Artikeln über einen Zeitraum von vier Tagen hinweg, die Frauen thematisieren, machten wir Anfang Februar:

Man kann dieses kleine Experiment jeden Tag machen und wird immer wieder das gleiche, diskriminierende Muster entdecken: Männer die Macher, Frauen die Objekte. Besonders auffällig ist dies im Sportteil der “Bild”-Zeitung, der ebenfalls von Männern dominiert wird. Es ist nicht so, als gebe es in Deutschland nicht genügend erfolgreiche Sportlerinnen — die sportlichen Leistungen von Frauen werden in “Bild” einfach nicht ansatzweise so gewürdigt wie die sportlichen Leistungen von Männern. Wenn Frauen es dann mal in den Sportteil schaffen, dann beispielsweise nicht etwa, weil sie erfolgreiche Tennisspielerinnen, sondern eben die Freundinnen mit Modelmaßen von berühmten Fußballern sind.

Deutschlands einflussreichste Zeitung zeichnet also ein klares Bild und bietet kaum Plattformen, respektvoll über Frauen als eigenständige Persönlichkeiten zu berichten, da sie keine Daseinsberechtigung über die sexuelle Bedürfnisbefriedigung von Männern hinaus zu haben scheinen. So wird in den Millionen von Haushalten, in denen “Bild” gelesen wird, allen — auch Mädchen und Jungen von klein an — ein klares Rollenbild vermittelt und damit die gläserne Decke verstärkt.

Denn Forschung und Wissenschaft haben gezeigt, dass sexualisierte Darstellungen in den Medien auch Implikationen für das wahre Leben haben und beschreiben die Verbindungen zwischen Objektifizierung, Dehumanisierung und Gewalt. So beobachten Puvia und Vaes, dass wenn Frauen objektifiziert werden, sprich: auf ihren Körper reduziert und als Objekt dargestellt, dann werden ihnen von Männern sowie von Frauen menschliche Eigenschaften abgesprochen, sie werden also dehumanisiert. Die Forscher Rudman und Mescher fanden zudem heraus, dass Männer, die Frauen als Objekt — also dehumanisiert — betrachteten, eine größere Neigung zu Vergewaltigungen und sexueller Gewalt im Allgemeinen zeigen. Auch Dr. Linda Papadopolous, die Autorin des Berichts „Sexualisation of young people” des britischen Innenministeriums legt dar, wie die sexuelle Objektifizierung als eine von vielen Formen der Unterdrückung von Frauen zu weiteren Benachteiligungen wie Diskriminierung am Arbeitsplatz und sexueller Gewalt führt.

Massenmedien beeinflussen bewusst und unbewusst unsere Meinungen und Werte. Sie formen unsere Normalität und geben uns Verhaltensrichtlinien vor. Deshalb ist es so gefährlich, wenn Deutschlands einflussreichste Zeitung täglich Frauen diskriminiert, auf ihren Körper reduziert und ihren Wert an ihrer Sexualität misst. Dieser Blick auf Frauen wird — bewusst oder unbewusst — von Leserinnen und Lesern übernommen und in ihr tägliches Leben übertragen.

Angesichts der vielen Fälle von Gewalt gegen Frauen in Deutschland geht es hier weit über ein paar nackte Brüste in einer Boulevardzeitung hinaus. Laut einer Studie der Bundesregierung (PDF) werden knapp 60 Prozent der Mädchen und Frauen in Deutschland im Laufe ihres Lebens mindestens einmal sexuell belästigt, und etwa 40 Prozent haben seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren.

Frauen sind, genauso wie Männer, mehr als die Summe ihrer Körperteile und Sexualität. Sie leisten ebenso herausragende Dinge und ihre Taten verdienen es, beachtet zu werden. Wir, unsere Freundinnen, Schwestern und alle Frauen sind ebenso vielfältig, sportlich, top ausgebildet, stark und kreativ wie Männer. Frauen sind keine Vorlagen zur sexuellen Bedürfnisbefriedigung, so wie es die Kommentare von “Bild”-Lesern und -Leserinnen unter den “Bild-Girls” suggerieren:

Deshalb haben wir, die zehn Männer und Frauen hinter “StopBildSexism”, uns vor vier Monaten zusammengetan, um diese Form der Diskriminierung zu bekämpfen. Wir verlangen eine respektvolle Darstellung aller Menschen in Deutschlands einflussreichsten Medien und allen voran in “Bild”. Wir wollen mehr erfolgreiche Frauen und weniger Gewaltopfer sehen. Eigentlich ist unsere Forderung extrem simpel: Wir wollen, dass “Bild” über Frauen ebenso berichtet wie über Männer: über ihre Arbeit in Bereichen wie Sport, Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Alle Quoten dieser Welt werden uns nicht die Gleichberechtigung bringen, so lange Deutschlands einflussreichste Medien ein eindimensionales, schwaches und passives Bild von Frauen verbreiten.

Unsere Kritiker greifen selten zu echten Argumenten. Persönliche Angriffe („Ihr müsst wohl arg unzufrieden mit eurem Sexleben sein“, „Ihr seid nur neidisch und habt sicher kleine Brüste.”) paaren sich mit einer vermeintlich heroischen Verteidigung der Meinungsfreiheit („Ihr wollt die Zensur!“) und einem beängstigenden Fatalismus („Wenn es euch stört, kauft halt die Zeitung nicht.“ „Was regt ihr euch so auf, das Bild-Girl gab es doch schon so lange ich denken kann.“)

Davon werden wir uns sicher nicht abhalten lassen, denn „der gefährlichste Satz einer Sprache ist: ‚Das haben wir schon immer so gemacht.’” (Grace Hopper). Wir stellen den Status Quo in Frage und akzeptieren nicht, dass Sexismus eine Form von Diskriminierung ist, die in unserer Gesellschaft noch immer heruntergespielt und belächelt wird. “This has never been about being ‘offended’, but being affected by it”, wie die britische Abgeordnete Stella Creasy das “Page 3 Girl” in der “Sun” einmal kommentierte. Es geht um die Konsequenzen der oben beschriebenen Darstellung von Frauen in unseren Massenmedien, die uns am Ende alle betreffen.

Natürlich führt das Durchblättern einer “Bild”-Zeitung nicht unverzüglich zur Belästigung einer Frau. Wir werden jedoch täglich mit Hunderten solcher Bilder konfrontiert. Ob wir es wollen oder nicht, diese Darstellungen beeinflussen unsere Wahrnehmung und tragen dazu bei, dass Leistungen von Frauen in unserer Gesellschaft schneller belächelt werden, dass Sexismus als Witz abgetan werden kann und dass eine Fixierung auf das Aussehen von Frauen Normalität ist. Dies, verbunden mit der Degradierung und Objektifizierung, kann eben auch zu sexueller Belästigung und Gewalt beitragen.

Wir stellen nicht in Frage, dass Frauen sich freiwillig dazu entscheiden können, Nacktfotos aufzunehmen. Uns geht es auch nicht um die einzelnen “Bild-Girls”, um ihre Motivation oder Gründe. Alle Menschen können ihr Leben so gestalten, wie sie möchten, so lange sie damit nicht die Freiheit anderer einschränken. Das gehört zu den Grundlagen unserer Demokratie. Zu den Grundwerten unserer Demokratie gehört jedoch auch, das Menschen weder aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft, ihrer Religion, ihrer Sexualität noch aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden. Doch das findet jeden Tag in der “Bild”-Zeitung statt.

Wenn Schlagzeilen Menschenleben kosten

Prof. Dr. Ulrich Hegerl ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und beschäftigt sich seit Jahren mit der Berichterstattung über Suizide. Wir haben uns anlässlich der Berichterstattung über den Tod von Ben Wettervogel mit ihm unterhalten.

BILDblog: Herr Professor Hegerl, aktuell wird sehr intensiv über den Suizid von Ben Wettervogel berichtet. Vor allem die Boulevardmedien haben in den letzten Tagen große Titelgeschichten veröffentlicht, in denen der Fall sehr ausführlich und ergreifend beschrieben wird. Wie bewerten Sie solche Berichte?

Hegerl: Wenn sehr emotionalisierend berichtet wird, besteht immer das Risiko von Nachahmungssuiziden. Vor allem, wenn der Suizid als nachvollziehbare Reaktion auf schwierige Lebensumstände dargestellt wird. Das ist der Suizid aber in den allermeisten Fällen nicht, sondern er ist Folge einer meist nicht optimal behandelten psychiatrischen Erkrankung. Wenn jemand eine Depression kriegt, dann hat er immer das Gefühl, das Leben sei aussichtslos – auch wenn es ihm von außen betrachtet gar nicht schlecht geht. Und wenn jemand Probleme hat, dann nimmt er diese Probleme in der Depression noch hundertfach vergrößert wahr und hat das Gefühl, da komme ich nie wieder raus. Deswegen darf man die Gründe, die zunächst auf der Hand zu liegen scheinen, nicht überbewerten.

Über die Motive von Ben Wettervogel wird zurzeit auch viel spekuliert. Wir wollen nicht näher darauf eingehen, aber ganz allgemein gesagt halten die Medien seine schweren Lebensumstände für das Entscheidende.

Das wird oft angenommen. Weil jeder Mensch irgendwo Probleme hat, hat man immer auch gleich die Gründe: Wenn jemand alt ist, sind es die Erkrankungen, die angeblich schuld sind, bei anderen ist es die Entlassung oder was auch immer. Das sind aber meistens gar nicht die entscheidenden Faktoren, sondern eben die Depression, die dazu führt, dass die bestehenden Probleme als unüberwindbar und riesengroß wahrgenommen werden.

Wenn nun ein Betroffener solche Berichte liest, kann es also passieren, dass sie etwas in ihm auslösen, es also zu Nachahmungen kommt?

Ja, das ist der sogenannte Werther-Effekt. Er bezieht sich auf den Roman „Die Leiden des jungen Werther“ von Goethe, in dem sich ein junger Mann das Leben nimmt. In der Folge gab es andere junge Männer, die das gelesen und sich dann in gleicher Weise das Leben genommen haben. Seitdem ist dieses Phänomen des Nachahmungssuizids bekannt.

Sie haben dieses Phänomen am Fall von Robert Enke ausführlicher untersucht, über dessen Suizid ja auch massiv berichtet wurde. Was haben Sie herausgefunden?

Es kam zu Nachahmungstaten, und zwar nicht nur in den ersten Tagen nach der Berichterstattung (die Zahl der Suizide auf Bahnstrecken verdoppelte sich schlagartig, Anm. d. R.), sondern auch längerfristig. Und das zeigt eben, wie wichtig es ist, dass man sehr verantwortungsvoll berichtet.

Man kann also sagen, Journalisten können im schlimmsten Fall dazu beitragen, dass sich Menschen das Leben nehmen?

Das kann man in jedem Fall sagen, ja.

Wie sollten sich die Medien denn am besten verhalten?

Sie sollten zum Beispiel den Suizid als Ausdruck einer Depression oder anderen psychiatrischen Erkrankung darstellen und nicht als nachvollziehbare Reaktion, auch auf Hilfsangebote hinweisen. Es gibt einen Leitfaden für Journalisten, in dem wir solche Empfehlungen ausführlich darstellen.

***

Diesen Leitfaden kann man sich hier herunterladen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention hat Empfehlungen für Journalisten herausgegeben (hier), ebenso wie die Weltgesundheitsorganisation (hier).

Sie alle sind sich einig, dass die Gefahr von Nachahmungstaten sinkt, wenn:

  • der Suizid als Folge einer Erkrankung (z.B. Depression) dargestellt wird, die erfolgreich hätte behandelt werden können
  • alternative Problemlösungen und Fälle von Krisenbewältigung aufgezeigt werden
  • Expertenmeinungen eingeholt werden
  • Hintergrundinformation zum Krankheitsbild Depression gegeben werden
  • über die Arbeit professioneller Helfer berichtet wird
  • Helplines und Hilfekontakte angegeben werden (etwa die Nummern der Telefonseelsorge — 0800-1110111 oder 0800-1110222 –, unter denen sich Betroffene rund um die Uhr kostenfrei und anonym beraten lassen können)
  • Erfreulicherweise gibt es immer mehr Medien, die sich zumindest an einige dieser Punkte halten (wobei es in manchen Fällen doch sehr alibimäßig wirkt, wenn wenige Zeilen über dem Kasten mit den Hotlines dann doch die genaue Suizid-Methode beschrieben wird).

    Denn die Gefahr von Nachahmungstaten steigt, wenn:

    • durch Titelgeschichten, Schlagzeilen und Fotos Aufmerksamkeit erregt wird
    • die Begriffe Selbstmord, Suizid und Freitod in der Überschrift vorkommen
    • die Suizid-Methode detailliert beschrieben wird
    • ein leicht zugänglicher Ort beschrieben oder gar mystifiziert wird
    • das soziale Umfeld, die Identität und die Motive ergreifend beschrieben werden
    • der Suizid positiv bewertet, glorifiziert oder romantisiert wird
    • der Suizid als völlig unverständlich oder als einziger Ausweg bezeichnet wird
    • das Opfer eine prominente Person ist

    Mindestens sechs dieser acht Punkte treffen auf die aktuelle Berichterstattung der „Bild“-Zeitung zu. Auch die „B.Z.“, der „Berliner Kurier“ und der „Express“ berichten ohne große Rücksicht, stark emotionalisiert und detailliert. Und selbst seriösere Medien wie die „Berliner Zeitung“, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ oder die „Augsburger Allgemeine“ beschreiben die Suizid-Methode ganz genau.

Warum wir gegen die “Bild”-Zeitung kämpfen

Wir sind zurück!

Dank Ihnen.

Vor gut fünf Wochen haben wir an dieser Stelle um Spenden gebeten, weil wir die Finanzierung des Blogs nicht mehr aus eigener Kraft hätten stemmen können. Die Resonanz hat uns überwältigt: Hunderte von Ihnen sind dem Aufruf gefolgt und haben uns mit Spenden, Hinweisen und Kontakten versorgt, und inzwischen haben wir genug Geld beisammen, um den Blogbetrieb für dieses Jahr zu finanzieren.

Wir freuen uns sehr darüber und bedanken uns für die wunderbare Unterstützung. Wir werden verantwortungsvoll damit umgehen.

In der Zwischenzeit ist natürlich viel passiert in den Medien. Ein bisschen was davon wollen wir uns in den nächsten Tagen noch etwas näher anschauen. Heute konzentrieren wir uns aber erstmal auf die “Bild”-Zeitung, weil es da erstens noch einiges nachzuholen gibt, und zweitens, weil wir tatsächlich immer wieder gefragt werden, warum wir die “Bild”-Zeitung immer noch so schlimm finden. Warum? Nun, weil …

1. Weil sie Profit aus dem Leid von Menschen schlägt

… und die Opfer von Unfällen und Verbrechen ein zweites Mal zu Opfern macht.

Aktuelles Beispiel: Vor Kurzem soll ein Mann in Darmstadt seine 19-jährige Tochter getötet haben. Bild.de berichtete am Samstag so über den Fall:

(Namens-Unkenntlichmachung von uns.)

Eine Quelle für das Foto des Opfers ist nicht angegeben. In der Print-Version steht nur: „privat“. Wahrscheinlich hat „Bild“ es sich, wie so oft, einfach im Facebook-Profil des Opfers besorgt. Und es ist nicht davon auszugehen, dass die Eltern des Mädchens um Erlaubnis gebeten wurden – sie sitzen beide seit Tagen in U-Haft.

Immerhin, könnte man sagen, hat Bild.de das Gesicht des Mädchens auf der Startseite unkenntlich gemacht. Dahinter stecken jedoch keine ethischen oder journalistischen oder persönlichkeitsrechtlichen Gründe — sondern wirtschaftliche. Es soll die Leser zum Abschluss eines „Bild-Plus“-Abos anregen. Hinter der Paywall ist die Unkenntlichmachung dann verschwunden. Nur wer zahlt, darf das Opfer in aller Ausführlichkeit beglotzen.

***

2. Weil sie schon wieder gegen die Griechen hetzt.

… und es dabei auf die Allerärmsten abgesehen hat:

Die Autoren behaupten, die Wahlversprechen des neuen griechischen Ministerpräsidenten könnten nur auf „unsere“ Kosten umgesetzt werden, und rechnen empört vor, wie viel das sein wird:

„Die“ gegen „uns“. Faules Pack gegen fleißige Steuerzahler. Schwarzweißschreiberei ohne Platz für Grautöne, aber die interessieren bei „Bild“ ja auch niemanden. Wie sehr das Blatt die Wahrheit dabei tatsächlich entstellt, hat sich Thomas Otto vom Deutschlandfunk in diesem lesenswerten Blogpost näher angeschaut. Er schreibt zum Beispiel:

Minutiös listet das Blatt die Wahlversprechen von Alexis Tsipras auf und erweckt den Eindruck, als würden die Griechen in Saus und Braus leben – und das auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. Vor lauter Galle, die die Autoren beim Schreiben gespuckt haben müssen, haben sie allerdings einige Fakten verdreht. Das beginnt schon bei der genannten Summe von 20 Milliarden Euro. Laut “Bild” hätten “Experten” diese Summe errechnet. Welche, das verraten die Autoren nicht. Und das könnte einen einfachen Grund haben:

Addiert man die einzelnen Posten des Wahlprogramms von Tsipras’ Syriza-Partei, so kommt man auf 11,382 Mrd. Euro – großzügig gerundet 12 Mrd. Euro. Genau diese Zahl ist auch den Autoren nicht ganz unbekannt. Eine Nachfrage beim Kieler Institut für Wirtschaftsforschung, das für die zweite genannte Zahl als Quelle angegeben wird, ergibt: Ein “Bild”-Redakteur hatte sich dort gemeldet und eine Anfrage gestellt: Wie groß wäre die Summe von 12 Mrd. Euro umgerechnet auf die Bundesrepublik? “Bild” kannte also die tatsächlich von Syriza geschätzten Kosten. Wohlwollend könnte man hier noch von einem (wiederholten) Tippfehler ausgehen – oder davon, dass 20 einfach viel besser klingt als zwölf…

Auch viele andere vermeintliche Tatsachen geben die „Bild“-Autoren auf ihrem krawalligen Feldzug kurzerhand falsch oder verzerrt wieder. Thomas Otto schreibt:

“Bild” pickt sich die Rosinen heraus, die in ihre politische Agenda passen und ignoriert die Fakten, die dem entgegenstehen. Ganz nach dem Motto “Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt”. Das entlarvt einmal mehr, dass für “Bild” nicht die Information, sondern die Empörung im Mittelpunkt ihrer “Arbeit” steht. Aber warum sollte man seine Leser auch mit störenden Fakten ablenken, wenn die sich gerade so schön aufregen.

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3. Weil sich ihr Chefredakteur auch noch einen großen Spaß daraus macht.

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4. Weil sie die Fakten verdreht, wie es ihr gerade passt.

Nicht nur, wenn es gegen die Griechen geht, sondern genauso bei Hartz-IV-Empfängern, Muslimen, Roma, der EU, der Linkspartei und den Rundfunkgebühren, um nur mal die Klassiker zu nennen. Gut zu beobachten beispielsweise in der vorletzten Ausgabe der „Bild am Sonntag“. Kategorie: Die Bekloppten von der EU schon wieder!

Normalerweise ist dafür „Bild“-Chefkorrespondent Dirk Hoeren zuständig, aber weil der ja vergangene Woche schon woanders rumhetzte, durfte diesmal „Bams“-Kollege Nils Mertens ran, der bis dato eher durch sein Talent im Ausschlachten tragischer Einzelschicksale aufgefallen war. Jetzt also die EU.

Diesmal geht es um eine Norm namens EN 13814, die 2004 erarbeitet wurde und grundsätzlich alle „Fliegenden Bauten“ betrifft, also Karussells, Achterbahnen und so weiter. Sie soll seit dem 1. Januar 2015 für einheitliche Sicherheitsstandards in Europa sorgen, stößt bei deutschen Schaustellern aber auf wenig Begeisterung, weil viele ihre Fahrgeschäfte aufwendig umrüsten mussten. Vor allem ärgert sie, dass es keinen Bestandsschutz mehr gibt, also auch bestehende Karussells, die jahrelang als sicher galten, plötzlich umgebaut werden müssen.

So viel zum Hintergrund. Jetzt zum „Bams“-Artikel. Zum Einstieg dichtet Mertens:

Wenn du glaubst, du hast es schwer, kommt die EU daher – und dann wird’s richtig mühsam. Mit ihren Richtlinien hat es die Europäische Union bisher noch immer geschafft, die Bürger ihrer 28 Mitgliedstaaten in den Wahnsinn zu treiben. Man denke nur an die verbindlich vorgeschriebene Krümmung von Bananen.

Hach ja, die Bananen-Verordnung. Die frei erfundene Bananen-Verordnung, wie man ergänzen muss, denn eine „verbindlich vorgeschriebene Krümmung von Bananen“ hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Ja, es gab da mal diese Gurken-Verordnung, aber auch die ist seit einigen Jahren Geschichte, und auch die gerne zitierte „EU-Verordnung zum Import von Karamellbonbons“ ist Blödsinn. Aber zurück zur „Bams“ und den Karussells. Mertens schreibt:

Jetzt hat’s die deutschen Schausteller erwischt (…). Die EU-Verordnung DIN EN 13814 regelt seit 2004 die Sicherheit von „Fliegenden Bauten und Anlagen für Veranstaltungsplätze und Vergnügungsparks“.

Das heißt unter anderem: Ein Karussell mit 20 Sitzen durfte bisher maximal 1500 Kilo Menschenmasse rumschleudern, pro Fahrgast also 75 Kilo. Bei zehn 90-Kilo-Schwergewichten hätte der Rest also Modelmaße haben müssen. Dass dem nicht so ist, blieb auch den EU-Beamten nicht verborgen.

Jeder zweite Europäer ist laut OECD zu dick. Diese neue Fettleibigkeit wird nun zur Last der Karussellbetreiber. Deren Geräte sollen künftig im Schnitt 100 Kilo [statt 75 Kilo] tragen.

Dann noch ein armer, von der EU-Willkür gebeutelter Karussellbetreiber, der über die neuen Regelungen nur noch „stöhnt wie ein 200-Pfünder beim Treppensteigen“ (höhö) — und fertig ist der EU-Aufreger:

Fragt man Leute vom Fach, stellt sich die Sache allerdings ein bisschen anders dar.

Alles Unsinn.

… sagte der damalige Leiter der Abteilung „Fliegende Bauten“ beim TÜV Süd schon vor zwei Jahren zu dem Gerücht, die neuen Regelungen habe was mit der zunehmenden Fettleibigkeit zu tun.

Auch mit der neuen Norm gehen wir noch von einem mittleren Körpergewicht von 75 Kilo aus. So wird die Dynamik des gesamten Fahrgeschäfts berechnet. Aber früher mussten auch Einzelteile, wie etwa der Sicherheitsbügel bei der Achterbahn, nur für 75 Kilo ausreichen und dort ist die Vorschrift jetzt 100 Kilo.

Das habe aber nichts mit dicker werdenden Menschen zu tun, sondern einfach damit, dass sich „bei der Technik viel getan“ habe. Aber mal ganz abgesehen von der Motivation, die hinter den neuen Regelungen steckt: Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den der „Bams“-Autor – aus gutem Grund – nicht erwähnt. Die „EU-Verordnung“, von der er spricht, ist in Wahrheit eine „EU-Norm“ — und vor allem: für die Mitgliedsstaaten freiwillig.

Die Europäische Kommission erklärt auf ihrer Internetseite:

Fakt: Grundsätzlich ist es Sache der EU Mitgliedsstaaten technische Vorschriften zu erlassen, die die Sicherheit von Karussells und anderen fliegenden Bauten betreffen. Dazu kann eine bestehende Norm von den zuständigen Behörden ganz oder teilweise für verbindlich erklärt werden. Dies liegt jedoch im Ermessen der Mitgliedsstaaten – also Deutschlands.

In der jetzt kritisierten Norm EN 13814 hat das Europäische Komitee für Normung (CEN) einheitliche Sicherheitsstandards für Karussells und andere fliegende Bauten für Jahrmärkte und Vergnügungsparks festgelegt. (…) Die Norm an sich ist jedoch freiwillig.

Hinzu kommt: Dass es in Deutschland keinen Bestandsschutz gibt — darüber ärgern sich die Schausteller ja besonders –, war keine Entscheidung der EU (in der EU-Norm ist eine solche Klausel enthalten), sondern wurde von den deutschen Behörden so festgelegt. Womöglich wäre es also sinnvoller, erstmal bei denen anzusetzen, statt gleich wild auf die EU einzuprügeln. Zumindest, wenn man an einer vernünftigen Auseinandersetzung mit der (sicherlich streitbaren) Norm oder der (zweifelsohne wahnwitzigen) EU-Bürokratie interessiert ist. Also im Gegensatz zu den Leuten von „Bild“.

Wir sind gespannt, wie lange es dauert, bis es bei denen heißt:

Mit ihren Richtlinien hat es die Europäische Union bisher noch immer geschafft, die Bürger ihrer 28 Mitgliedstaaten in den Wahnsinn zu treiben. Man denke nur an die Gaga-Verordnung für Dicke in Karussells.

Mit Dank an Jan R.!

***

5. Weil sie auf die Privatsphäre prominenter Menschen pfeift.

Als Heidi Klum Ende Dezember von einem Fotografen halbnackt am Strand erwischt wurde, druckte „Bild“ die Fotos groß auf der Titelseite …

Als Uli Hoeneß am Neujahrstag Haft-Urlaub hatte und von einem Fotografen beim Wald-Spaziergang mit seiner Frau erwischt wurde, druckte „Bild“ das Foto groß auf der Titelseite …

Als die Frau von Bushido nach einem Ehekrach einkaufen war und von einem Fotografen erwischt wurde, druckte „Bild“ das Foto groß auf der Titelseite …

All diese Fotos wurden offenbar heimlich und aus einiger Entfernung aufgenommen. Wir vermuten also, dass sie ohne Einverständnis der Abgebildeten gemacht und veröffentlicht wurden. Zumindest im Fall von Herbert Grönemeyer sind wir uns sogar ziemlich sicher: Als der Sänger neulich mit einem Kameramann und einem Fotografen aneinandergeriet, zeigte Bild.de das Video der Rangelei groß auf der Startseite — und musste es später wieder runternehmen, weil der Sänger eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte. Grönemeyer will sich auch weiterhin wehren und verlangt nun eine Gegendarstellung von der „Bild am Sonntag“. (Genaueres zu dem Fall hat Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ hier und hier aufgeschrieben.)

Nun ist es eine Sache, wenn Prominente behelligt werden. Die kennen sich aus im Geschäft, haben in der Regel Medienanwälte und die nötigen Mittel, um sich gegen die medialen Attacken zu wehren. Und nicht zuletzt stehen sie, meistens jedenfalls, freiwillig in der Öffentlichkeit.

Etwas anderes ist es aber, wenn sich die „Bild“-Zeitung auf Menschen stürzt, auf die all das nicht zutrifft.

***

6. Weil sie auf die Privatsphäre nicht-prominenter Menschen pfeift.

… und Schicksale über Wochen hinweg gnadenlos ausschlachtet.

Wir haben das neulich am Fall einer jungen Mutter aufgezeigt, über deren Leben und Tod „Bild“ tagelang sensationslüstern berichtet hatte: Blutige Details, unverpixelte Facebook-Fotos, private Informationen, das volle Programm.

Ähnlich, aber noch heftiger, ging es bei der Berichterstattung über eine Studentin zu, die gestorben war, nachdem sie vermutlich versucht hatte, einen Streit zu schlichten: Über 50 Artikel veröffentlichten die „Bild“-Medien allein in den ersten Tagen nach dem Vorfall, mit unzähligen Fotos des Opfers, des mutmaßlichen Täters und der trauernden Hinterbliebenen; später schaltete sich sogar die Staatsanwaltschaft ein, weil „Bild“ ein Beweismittel — das Überwachungs-Video vom Tatort — ohne Genehmigung veröffentlicht hatte.

Solche Artikelserien — „So grausam starb die junge Frau“, „Hier wird sie beerdigt“, „So trauert das Netz“ — gibt es ständig; die “Bild”-Medien bringen sie reflexartig nach fast jedem brutalen Verbrechen, und am eifrigsten sind sie, wenn das Opfer weiblich und hübsch war.

Auch in den letzten Tagen gab es wieder eine solche Serie, diesmal zum Mord an einer schwangeren Frau, die in einem Berliner Waldstück lebendig verbrannt wurde — ein gefundenes Fressen für die Geier von “Bild”:















Bisweilen saßen sechs (!) „Bild“-Autoren gleichzeitig an dem Fall und haben ganze Arbeit geleistet: Das Blatt präsentiert unverpixelte Fotos des Opfers, unverpixelte Fotos der mutmaßlichen Täter, Fotos vom Abtransport der Leiche, Fotos vom Tatort, Fotos von der Festnahme, Fotos von der Schule des Opfers, Fotos von Trauernden, Informationen aus dem Privatleben des Opfers, Informationen aus dem Privatleben der mutmaßlichen Täter. Und, klar, jede Menge grausame Details und Spekulationen zu den Hintergründen der Tat.

Selbstverständlich auch in gedruckter Form:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Und es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis sich die “Bild”-Medien das nächste Opfer vorknöpfen. Eine potenzielle Kandidatin (s. Punkt 1) haben sie auf jeden Fall schon gefunden.

***

7. Weil ihre Mitarbeiter solche Dinge von sich geben:

***

8. Weil sie kein Problem mit Schleichwerbung hat.

Einfaches Beispiel:

Sieht zwar aus wie ein normaler, redaktioneller Service-Artikel, ist aber von vorne bis hinten Werbung — für das kostenpflichtige Abnehmprogramm von Schauspielerin Ursula Karven.

Wir wollen Ihnen die PR-Hymnen ersparen. Schauen Sie sich nur mal diese Infobox an:

Ja, ganz schön toll das alles, vor allem für Frau Karven. Und am nächsten Tag ging’s sogar weiter:

Und am übernächsten Tag auch:

Bei Bild.de gibt’s außerdem noch eine Reihe von Videos mit Frau Karven, die sind aber kostenpflichtig. Verdienen wenigstens alle was daran.

***

9. Weil sie unglaublich scheinheilig ist.

Wir haben uns ja schon vor der Winterpause darüber aufgeregt, dass sich „Bild“-Zeitung plötzlich als die große „Pegida“-Bekämpferin inszenierte, ausgerechnet sie, die in den Wochen und Jahren davor mit ihren Lügengeschichten immer wieder Ressentiments gegen Ausländer und Muslime geschürt hatte.

Als vor zwei Wochen dann diese Titelstory erschien …


… waren wir schon kurz davor, unseren Winterschlaf zu unterbrechen, aber zum Glück war Lalon Sander zur Stelle und brachte es bei taz.de genau auf den Punkt:

„Bild“ will Pegida entlarven – und entlarvt vor allem sich selbst. Sie erkennt endlich, was andere schon wussten: dass sie eine rassistische Zeitung ist.

***

Wir könnten noch Dutzende andere Gründe auflisten — die Homophobie der „Bild“-Zeitung, ihren Sexismus, Paul Ronzheimer — und es werden mit Sicherheit noch viele neue dazukommen.

Gut, mit ein bisschen Glück erledigt sich die Sache ja bald von selbst. Bis dahin werden wir aber die Stellung halten. Und sind dankbar, dabei Leser wie Sie an unserer Seite zu haben.

In eigener Sache: BILDblog braucht Unterstützung

Ab heute geht’s für BILDblog wieder in den traditionellen Winterschlaf. Diesmal werden wir das Nickerchen aber um einen Monat verlängern, also bis Ende Januar. “6 vor 9” wird in dieser Zeit nicht erscheinen und andere Einträge nur bei besonderen Anlässen.

Die kleine Pause brauchen wir, um uns mal gründlich von dem ganzen Dreck der letzten Monate zu befreien. Aber vor allem aus finanziellen Gründen.

BILDblog, also unsere kleine Redaktion, besteht aus drei freien Journalisten. Hinter uns steht kein Verlag, keine Partei und kein Ölmilliardär. Wir finanzieren uns über sehr geringe Werbeeinnahmen und sonst ausschließlich über das, was Sie, unsere Leser, uns freundlicherweise spenden.

Wir stecken viel Zeit in den Kampf gegen die täglichen Beklopptheiten, und wir machen es supergerne, aber wir müssen auch unsere Miete bezahlen. Anders gesagt: Je weniger Geld reinkommt, desto weniger Zeit können wir ins BILDbloggen investieren. Und leider kommt momentan zu wenig rein.

Wenn wir BILDblog in Zukunft weiterführen wollen wie bisher, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Wenn Sie also dabei helfen wollen, dass wir im Februar erholt aus dem Winterschlaf erwachen und wieder mit voller Power an den Start gehen können, würden wir uns sehr über eine Spende und noch mehr über einen Dauerauftrag freuen. Geht auch ganz einfach — per Überweisung, Paypal oder persönlicher Übergabe des Geldkoffers. Auf dieser Seite: bildblog.de/bildblog-unterstuetzen stehen alle Daten und Infos.

Gerade in den vergangenen Wochen hat sich in besonderer Weise gezeigt, wie fahrlässig einige Journalisten mit ihrer Macht umgehen, und wie wichtig es ist, dass solche Methoden und Fehler öffentlich gemacht werden. Wir sind froh, das hier im BILDblog tun zu können, auch wenn es uns manchmal ganz schön fertig macht und sich einiges sowieso nie ändern wird, Stichwort „EU-Gericht“, Stichwort „Opferfotos“, Stichwort „Bild“.

Wir glauben aber, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, dass manche Journalisten zweimal überlegen, bevor sie etwas schreiben — und Leser, bevor sie etwas glauben, vor allem der “Bild”-Zeitung. Und wir wissen, dass viele von Ihnen unsere Arbeit zu schätzen wissen. Viele E-Mails, die wir erhalten, enden mit einem Dank für unsere Arbeit oder einem „Macht weiter so!“ Machen wir gerne. Ab Februar 2015. Sie können uns dabei unterstützen, indem Sie uns treu bleiben. Und spenden. Wenn Sie mögen. Vielen Dank.

Wir bedanken uns auch ganz herzlich bei allen, die uns in diesem Jahr mit Hinweisen versorgt, die uns unterstützt, gelesen und weiterempfohlen haben, ganz besonders bei:

Adrian B., Alex, Alexander K., Alexander M., Alexander S., Andreas, Andreas G., Anita, Arnd Z., Basti, Bastian M., Bene F., Benjamin K., Benjamin S., Björn S., Boerris K., Boris R., Börries, Bruesseldorfer, Carsten P., Carsten S., caschy, Christian K., Christian M., Christian M., Christian S., Christian V., Christoph, Christoph A., Christoph L., Christoph S., Christopher R., Christos, CL, Claudia, Daniel, Daniel H., David, Dominik, doppelpod, Eva, Fabian H., Felix R., Felix S., Finn S., Flavio F., Franzi, G. K., Hannes S., Heiko W., Hendrik L., Hitradio OHR, Holger A., Imre G., Ingo H., J., Jan M., Jan W., Jessica, Johannes S., Jonas, Jonas G., Jonas J., Jörg F., Julia S., Jürgen F., Jürgen L., Kai L., Karl K., Karl-Heinz U., Karsten B., Karsten D., Katharina, Katharina C., Kerstin H., Kiki, Klaus, Kuni, Kurt Wolfgang S., Lars, Lars A., levu, Lisa H., Lothar Z., Lutz K., M. R., Malte W., Manfred S., Manuel L., Marcelo S., Marcus, Marius, Markus, Martin, Martin K., Martin S., Marvin S., Matthias B., Matthias M., Matthias S., Max, max_m3000, Maximilian P., Meik, Michael M., Michael N., Michalis P., Micky M., Miriam K., Mirko V., Mo, Moritz D., Moritz N., Moritz S., Nick M., Nico W., Nils M., O. S., Oliver K., Oliver M., P. S., Pascal W., Patrik, Paul, Peter M., Peter M., Philipp, Philipp O., Philipp R., Philipp S., pottwale.de, pre, Ralf K., René K., Robert, Robert C., Robi, Robin L., Ronald, Sabine, Sabine B., Sandra M., Sarah T., Sascha, Sascha D., Sascha K., Sebastian, Sébastien Z., Sejfuddin, Sören C., spotnik, Stefan G., Stefan K., Stefan S., Stefan W., Steffen S., Stephan S., Stephan T., Steve, stitch, T. D., Thomas L., Thorben, Thure, Tjalf P., Tobias M., Tobias S., Torsten K., U. P., Uwe R., Uwe S., Veeck, Werner H., Wimo, Wolfram L., Yannick, Yannik O. — und allen anderen, auch den vielen, deren sachdienliche Hinweise wir nicht berücksichtigen konnten!

Wie “Bild” den Tod einer Studentin ausbeutet

Vor zweieinhalb Wochen wurde in Offenbach eine Studentin auf einem McDonald’s-Parkplatz von einem Mann so schwer verletzt, dass sie zuerst ins Koma fiel und wenige Tage später starb. Offenbar hatte sie versucht, einen Streit zu schlichten.

Der Fall sorgt seither für großes Aufsehen. Und vor allem die “Bild”-Medien schlachten ihn seit Tagen auf beispiellose Weise aus:












































49 Artikel haben “Bild”, Bild.de und die “Bild am Sonntag” seit dem Vorfall rausgehauen, im Schnitt fast drei Artikel täglich. Sie zeigten unzählige Fotos des Opfers und des mutmaßlichen Täters (meist von Facebook kopiert und natürlich kein bisschen verpixelt), veröffentlichten private Details, Informationen aus dem Krankenhaus (“Nach BILD-Informationen begann gegen 21.30 Uhr die Organentnahme”), besuchten den Tatort, die Trauerfeiern, den Friedhof, die Moschee, die JVA, fotografierten Trauernde, wühlten in Facebook-Profilen, bastelten Klickstrecken, aber offensichtlich war die Gier der lüsternen “Bild”-Macher und -Leser damit immer noch nicht befriedigt.

Am Montag folgte, “exklusiv” in “Bild”:

Sowohl in der Print-Ausgabe als auch bei Bild.de werden die Szenen der Überwachungskamera — “die letzten Minuten, die Tugce bewusst erlebte!” — detailliert dokumentiert, die entscheidenen Momente hat die Redaktion sogar extra von einem Illustrator nachzeichnen lassen.


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Schon in den Tagen davor hatte das Blatt stolz verkündet:

Und als wäre das nicht schon dreist und eklig genug, versuchten die “Bild”-Geier auch noch, Geld damit zu verdienen: Das exklusive “Protokoll des Überwachungsvideos” gab es nur gegen Bezahlung — hinter der “Bildplus”-Paywall.

Inzwischen dürfen sich auch nicht-zahlende Leser bei Bild.de anschauen, was auf dem Parkplatz passierte; das “Beweis-Video” ist frei verfügbar.

Laut Angaben des “Hessischen Rundfunks” ermittelt deshalb nun die Staatsanwaltschaft:

“Es handelt sich um ein unmittelbares Beweismittel”, so [Axel Kreutz, Sprecher der Zweigstelle Offenbach der Staatsanwaltschaft Darmstadt]. Und ein solches gehöre nicht in die Öffentlichkeit, sondern müsse vor Gericht analysiert und bewertet werden. Die Behörde will herausfinden, woher die Zeitung das Video bekommen hat. Sie ermittelt “gegen Unbekannt”.

Durch die Veröffentlichung des Videos werde das Beweismittel zwar nicht wertlos für den Gerichtsprozess, allerdings bestehe die Gefahr, dass dadurch Zeugen in ihrer Aussage manipuliert werden könnten. “Man muss damit rechnen, dass sich Zeugen vor ihrer Vernehmung das Video anschauen und ihre Aussage dann damit abgleichen”, so Kreutz. Dadurch könnten unter anderem subjektive Erinnerungen an das Geschehen eingefärbt werden.

Auch Interpretationen des Videos, die im Vorfeld eines Prozesses über die Medien verbreitet würden, könnten einen Einfluss auf Zeugenaussagen haben – womöglich auch auf die Schöffen in einem Gerichtsverfahren.

Auch die Familie der Verstorbenen zeigte sich entsetzt über die Veröffentlichung. Auf einer Facebookseite, die von Freunden und Angehörigen betrieben wird, verurteilen sie die Verbreitung des Videos als “bodenlose Frechheit”:

Das Video kannte die Familie, da es als Beweismittel gilt. Jedoch war es nicht mit ihr abgesprochen, dass es in der Öffentlichkeit landet. Wir teilen das Video hier auch nicht.

Ihr könnt euch vorstellen, wie es für die Eltern oder Brüder sein muss, ihre geliebte Tuğçe “live” sterben sehen zu müssen.

Nur den Leuten von “Bild” ist das wie immer scheißegal.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Der öffentliche Tod einer jungen Mutter

Am vergangenen Mittwoch ist in Emmerich eine 26-jährige Frau im Beisein ihrer kleinen Kinder erstochen worden. Laut Polizei war ein Nachbar der Familie über den Balkon in die Wohnung eingedrungen, hatte dort zuerst die 45-jährige Oma schwer verletzt und dann im Schlafzimmer, wo sich auch die Kinder aufhielten, brutal auf die junge Mutter eingestochen. Sie war schon verblutet, als die Rettungskräfte eintrafen.

Der mutmaßliche Täter, der auf seiner Flucht noch einen dritten Menschen attackierte, wurde am Tag darauf festgenommen; er habe die Taten gestanden, teilte die Polizei mit.

Die Medien interessierten sich natürlich sehr für den grausamen Fall, allerdings verzichteten sie in ihren Berichten auf Fotos der Opfer, änderten alle Namen und nannten auch sonst kaum persönliche Details, eine Praxis, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, es aber bei Weitem nicht ist, nicht mal in den sogenannten seriösen Medien, wie man ja zuletzt an den fürchterlichen Opfergalerien zum MH17-Unglück sehen konnte. Umso erfreulicher, dass sich die Medien diesmal so zurückgehalten haben.

Bis auf „Bild“ natürlich.

Dort gab es mal wieder das volle Sensationsprogramm: Die Zeitung druckte Fotos vom Abtransport der Leiche und davon, wie die (immerhin verpixelten) Kinder aus dem Haus getragen werden; zeigte (sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe) Fotos vom Haus, in dem die Tat geschah, von der Wohnungstür der Familie, von der Wohnungstür des mutmaßlichen Täters und vom Haus des dritten Opfers. „Bild“ ist auch das einzige Medium, in dem die Namen der Betroffenen nicht geändert wurden. Und das einzige, das ein unverpixeltes Foto der getöteten Frau veröffentlicht hat — und zwar einmal am Mittwoch …

… und zweimal am Donnerstag …


… außerdem in der Bundesausgabe …

… in der Regionalausgabe (Ruhrgebiet) …

… nochmal in der Bundesausgabe …

… und nochmal in der Regionalausgabe:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Als Foto-Quelle ist in der Printversion (wenn überhaupt) „Privat“ angegeben. Online heißt es:

In Wahrheit stammt das Foto aber natürlich nicht von „Bild“-Mann Stefano Laura, sondern vom Facebookprofil des Opfers. Auch das (mit schwarzem Alibi-Balken versehene) Foto des mutmaßlichen Täters hat sich „Bild“ kurzerhand bei Facebook besorgt, Quellenangabe: keine.

Am Donnerstag haben wir den Axel-Springer-Verlag um eine Erklärung zu dem Fall gebeten. Eine Antwort haben wir bis heute nicht bekommen.

Übrigens: Wie gestört die Leute von “Bild” mit diesem Thema umgehen, zeigt sich in der heutigen Ausgabe in ganz besonderer Weise. In einem Artikel über die Wild-Unfälle vom Wochenende hat die Zeitung einem Reh (!) das gewährt, was die meisten menschlichen Opfer nicht bekommen: ein verpixeltes Gesicht.

Mit Dank an Stephan T. und Kurt Wolfgang S.

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