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dpa, sid  etc.

Nichts zu berichtigen

Der 13. Spieltag der Fußball-Bundesliga stand offensichtlich unter keinem guten Stern. Neben der medialen Überforderung in einem anderen Fall (BILDblog berichtete) gab es auch noch diese Schlagzeile, die so oder so ähnlich durch viele Medien ging (hier: “Welt Online”):

Bundesliga Hooligan verliert bei Fan-Randale in Köln einen Arm Während einer heftigen Auseinandersetzung zwischen gewalttätigen Fußballfans in Köln wurde ein Schläger vor einen Zug gestoßen. Er überlebte schwer verletzt.

Das Mitleid in den Leserkommentaren hält sich dabei in Grenzen. Auf “Welt Online” heißt es etwa:

Hooligan vs Hooligan, also nichts tragisches. Wer sich freiwillig und mutwillig in Gefahr begibt, muss halt mit den Konsequenzen rechnen. Gilt schließlich auch für jeden Straftäter.

Oder:

Hätte ruhig mehr als nur der Arm sein können, auf sowas kann man gut verzichten.
Wenigstens wird er wohl künftig Ruhe geben…zumindest eine Sorge weniger

Dass es sich bei dem verletzten Nürnberg-Fan überhaupt um einen Hooligan handeln soll, geht auf Berichte des bayrischen Landesdienstes von dpa und des Sportinformationsdienstes sid vom Sonntag zurück, deren Überschriften “Nürnberger Hooligan verliert Arm bei Schlägerei” bzw. “Schlägerei in Köln: Hooligan verliert Arm” lauteten. Im dpa-Bericht heißt es unter anderem:

Ein Nürnberger Fußball-Hooligan hat bei einer Schlägerei mit Mainzer Fans im Kölner Hauptbahnhof einen Arm verloren. (…) Das Opfer war der Polizei selbst als sogenannter “Gewalttäter Sport” bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben.

So eindeutig, wie dpa und sid sie darstellen, scheint die Sachlage jedoch nicht zu sein. Am Montag meldet sich die Nürnberger Ultraabspaltung “Banda di Amici” zu Wort und wehrt sich gegen die Bezeichnung des Verletzten als Hooligan:

Unser Gruppenmitglied (…) war weder einer der körperliche Gewalt gesucht hat, noch war er in irgendeiner Weise vorbestraft. Sein viel zitierter “Gewalttäter Sport” Eintrag stammt von den Vorfällen beim Derby Heimspiel im Februar 2010, wo er einen Freispruch erster Klasse erhielt.

Auch der Nürnberger Sport-Vorstand Martin Bader sagt in einem Interview auf fcn.de, dass der verletzte Clubfan seinen Informationen zufolge kein Hooligan ist. Und im Onlineauftritt des “Kölner Stadtanzeigers” heißt es:

Der Kölner Oberstaatsanwalt Alf Willwacher konnte Medienberichte nicht bestätigen, nach denen es sich bei dem Opfer um einen polizeibekannten Hooligan handeln soll.

In der “Allgemeinen Zeitung” und auf nordbayern.de, dem gemeinsamen Onlineauftritt der “Nürnberger Nachrichten” und der “Nürnberger Zeitung”, werden sogar ernsthafte Zweifel an der ursprünglichen Darstellung laut. So wird inzwischen auch ein Unfall nicht mehr ausgeschlossen:

Zeugen, die keiner Fangruppe angehören, gaben mittlerweile Hinweise darauf, dass es sich auch um einen Unfall gehandelt haben könnte. “Sie haben ausgesagt, dass der 19-Jährige über die Bahngleise gelaufen war und dabei vor den Zug gefallen sei”, sagte der ermittelnde Kölner Oberstaatsanwalt Alf Willwacher der Nürnberger Zeitung. Die Ermittlungen laufen nun in beide Richtungen.

Kein Wunder also, dass sich jetzt auch noch die “Rot-Schwarze Hilfe”, eine Art Hilfsorganisation für FCN-Fans, die mit Justiz oder Presse in Konflikt geraten sind, eingeschaltet hat. Sie schreibt:

Tatsache ist, dass der Geschädigte (Mitglied der RSH) noch nie strafrechtlich verurteilt wurde. Die Nürnberger Polizei hat ausdrücklich bestätigt, dass die Pressemeldung der Deutschen Presseagentur von gestern falsch ist.

Über den für den Fall zuständigen RSH-Anwalt wurde daher die Deutsche Presseagentur aufgefordert, die Meldung zu widerrufen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung noch am heutigen Tage abzugeben.

Die Deutsche Presseagentur bestätigte uns gegenüber den Eingang einer Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, wies die Vorwürfe jedoch zurück und flüchtete sich in Details:

1. Ja, wir sind durch einen Anwalt zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert worden.

2. Nein, wir haben keine solche Erklärung abgegeben und werden das nach derzeitigem Erkenntnisstand auch nicht tun.

3. Unsere Berichterstattung war nicht falsch, sondern jederzeit durch gute Quellen bei Polizeibehörden gedeckt.

(…)

Was die Verwendung des Begriffs “Hooligan” angeht (…): Wir schreiben in unserer Berichterstattung im Konjunktiv und unter Verweis auf die uns vorliegenden Polizeiquellen, der Betroffene sei “der Polizei als sogenannter ‘Gewalttäter Sport’ bekannt”. Wir behaupten nicht selbst, dass er ein solcher “Gewalttäter Sport” ist. Dass sein Mandant in der entsprechenden Datei als “Gewalttäter Sport” geführt wird, hat übrigens auch sein Anwalt uns gegenüber nicht bestritten – er erklärt lediglich, eine solche Eintragung in die Datei sei nicht gleichzusetzen mit der Behauptung, der Betroffene sei auch tatsächlich ein “Gewalttäter”. Aber, wie gesagt, dies hat die dpa ja auch nie behauptet.

Die dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH hat an ihrer Berichterstattung nichts zu widerrufen oder zu berichtigen.

Man muss wohl schon Jurist (oder dpa-Mitarbeiter) sein, um in den Sätzen “Ein Nürnberger Fußball-Hooligan hat bei einer Schlägerei (…) einen Arm verloren” und “Das Opfer war der Polizei selbst als sogenannter ‘Gewalttäter Sport’ bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben” die feine Nuancierung zu erkennen, dass es sich nur um einen “Hooligan” oder “Gewalttäter Sport” handeln könnte.

Unterdessen hat dapd schon längst eine neue Nachricht gemeldet. Die Überschrift lautet: “Verunglückter Fan kein Hooligan”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 27. Oktober: In einer Meldung vom Freitag geht jetzt auch dpa deutlich differenzierter mit dem Fall um. Unter anderem heißt es dort:

Der 19-Jährige wird nach Angaben des bayerischen Innenministeriums in der Datei “Gewalttäter Sport” geführt. Auf diese Liste kann man nach Polizei-Angaben auch kommen, ohne jemals selbst gewalttätig geworden zu sein. Es kann dafür ausreichen, dass jemand zu einer Gruppe gerechnet wird, aus der heraus Straftaten begangen werden. Das bayerische Innenministerium will keine Angaben dazu machen, weshalb der 19-Jährige in die Gewalttäter-Datei aufgenommen wurde.

Der junge Mann hat mittlerweile über seinen Anwalt Jahn-Rüdiger Albert bestreiten lassen, dass er Gewalttäter sei. “Mein Mandant ist keinHooligan und gehört auch keiner Hooligan-Gruppierung an”, versicherte Albert. Der 19-Jährige sei auch zu keinem Zeitpunkt verurteilt worden, weder wegen einer Gewalttat im Zusammenhang mit einem Fußballspiel noch wegen sonstiger Delikte.

Die Rot-Schwarze Hilfe nennt diese Zeilen einen “riesigen Erfolg” und sieht darin ein Einknicken der dpa.

Meteor, Mailbox, Lobo

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Meteoritenhoax auf Spiegel Online”
(scilogs.de, Jan Hattenbach)
“Spiegel Online” berichtet über ein “spektakuläres Naturschauspiel” am Himmel und kommt zum Schluß: “Es handelt sich offenbar um einen abstürzenden Meteoriten.” Jan Hattenbach sieht das anders: “Da hat wohl jemand in Peru einen Kondensstreifen für einen Meteor (nicht Meteorit) gehalten. Man ersetze ‘Peru’ durch ‘China’ und ‘Kondensstreifen’ durch ‘Sack Reis’, und erhalte ungefähr den Nachrichtenwert dieser Meldung.” Auf den Nachrichtenportalen sueddeutsche.de, faz.net, welt.de und focus.de ist nach wie vor ein Video zu sehen, in dem es heisst: “Dieser mutmaßliche Meteorit steuert geradewegs auf Peru zu.”

2. “Der Inzest-Opa und die Journalisten-Richter-Henker-Meute”
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Hans Kirchmeyr erinnert daran, dass gegen einen in Österreich wegen Inzestverdacht festgenommenen Mann kein Gerichtsurteil, noch nicht mal eine offizielle Anklage vorliegt.

3. “‘Gooool!’ aus zweiter Hand”
(sueddeutsche.de, Javier Càceres)
Spanische Radioreporter erhalten im Fußballstadion keine kostenfreie Akkreditierungen mehr.

4. “Making of…”
(cab-log.blogspot.com, Klaus)
Taxifahrer Klaus beobachtet ein Foto-Shooting für die extragroße “Bild”: “Der Kollege schlug dann schließlich ein Honorar von 5 Euro raus. Die Kollegin bekam große Augen: ‘Ich habe nichts gekriegt.'”

5. “How to hack like a News of the World reporter”
(reuters.com, Video, englisch)
Kevin Mitnick erklärt, wie man eine Handy-Mailbox abhört. Und wie man sich dagegen schützt: “You go into your voicemail options and you enable to prompt for a password always.”

6. “Lobo, der Wolf vom Zentralplatz”
(rhein-zeitung.de, Hartmut Wagner)
Lobo trinkt vor allem Bier und Boonekamp, verzichtet auf eine Wohnung, die ihm zusteht, erhält monatlich 370 Euro Grundsicherung, ohne damit ein moralisches Problem zu haben und setzt sich mit einem Becher an die Straße, wenn das nicht ausreicht (Artikel als PDF-Datei, Kommentar des Chefredakteurs).

Journalismus zum Davonlaufen

Torsten Oletzky, Chef der Ergo-Versicherungsgruppe, hat der “Rheinischen Post” für ihre Samstagsausgabe ein Interview gegeben. Darin sprach er auch über die Folgen, die das Bekanntwerden von Lustreisen für Versicherungsmitarbeiter gehabt hatte:

“Verloren haben wir mit konkretem Bezug darauf etwa 500 Kunden – von insgesamt immerhin 20 Millionen.”

Wirklich neu war diese vergleichsweise niedrige Zahl nicht: Ergo-Personalvorstand Ulf Mainzer hatte der “Berliner Zeitung” rund eine Woche vorher fast exakt das Gleiche gesagt, was Dank der Nachrichtenagentur dapd auch recht ordentlich verbreitet worden war.

Diesmal nannte also Oletzky die Zahl und die Nachrichtenagentur dpa verbreitete sie. Allerdings klingt das in der dpa-Variante schon eine Spur beunruhigender:

Die Affären um Lustreisen und Riester-Verträge haben den Versicherer Ergo nach eigenen Angaben mehrere hundert Kunden gekostet. “Verloren haben wir mit konkretem Bezug darauf etwa 500 Kunden”, sagte Ergo-Chef Torsten Oletzky der “Rheinischen Post” (Samstag).

(Die Relationsgröße von insgesamt 20 Millionen Kunden hat dpa* einfach mal weggelassen. Dabei wäre es dem Verständnis natürlich durchaus zuträglich gewesen, zu wissen, dass es um 0,025 Promille der Ergo-Kunden geht.)

Richtig irre wurde die Meldung dann aber im “Spiegel Online”-Remix:

Sexparty-Skandal: Versicherer Ergo laufen die Kunden davon

Kunden nehmen dem Versicherer Ergo die Skandal-Serie der vergangenen Wochen übel. Mindestens 500 Versicherte kündigten infolge der Negativ-Schlagzeilen ihren Vertrag, sagte Ergo-Chef Oletzky. Sein Job scheint aber nicht in Gefahr.

Mit Dank an Markus Sch. und Philipp K.

*) Nachtrag, 21. Juli: Die Deutsche Presseagentur hat uns nach eingehender interner Prüfung mitgeteilt, dass sie das Zitat zunächst deshalb verkürzt wiedergegeben hatte, weil die “Rheinische Post” es selbst so verbreitet hatte. In einer späteren Wochenendzusammenfassung vom Sonntag zitiert dpa Oletzky dann ausführlicher.

Die Nachrichtenagentur dapd, die bereits Anfang Juli über die rund 500 Kündigungen berichtet hatte (s.o.) verbreitete die Meldung am Samstag dann übrigens ein weiteres Mal.

dapd  

Lohnsteuermann über Bord

Der Unterschied zwischen einem Einkommensnachweis (oder auch Entgeltnachweis) und einer Lohnsteuerkarte mag sich einem Laien vielleicht nicht gleich erschließen, aber er ist gewaltig. Der Einkommensnachweis wird beispielsweise von Banken und Behörden zur Einstufung bei der Kreditvergabe bzw. bei der Klärung von Unterhaltsverpflichtungen genutzt, während eine Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber zur Berechnung der Lohnsteuer dient. Die einzige Gemeinsamkeit eines Einkommensnachweises und einer Lohnsteuerkarte ist, dass es beide in elektronischer Form gibt — oder gab.

Die Nachrichtenagentur dapd hatte diesen Unterschied nicht begriffen, als sie gestern zusätzlich zum Aus des elektronischen Entgeltnachweisverfahrens ELENA das Ende der elektronischen Lohnsteuerkarte erklärte:

Bund verabschiedet sich von elektronischer Lohnsteuerkarte

Berlin (dapd). Die Bundesregierung will die Einkommen der deutschen Steuerzahler nun doch nicht elektronisch erfassen. (…) Der elektronische Entgeltnachweis sollte ab 2014 die alte Lohnsteuerkarte endgültig ersetzen. (…)

Auch in der eine Stunde später folgenden Zusammenfassung hieß es in der Überschrift:

Regierung beerdigt digitale Lohnsteuerkarte – Elektronischer Entgeltnachweis Elena vor dem Aus

Zwar steht das seit Jahren umstrittene ELENA-Verfahren tatsächlich vor dem Aus, mit der digitalen Lohnsteuerkarte hat das jedoch rein gar nichts zu tun. Sie soll, wie geplant, im Jahr 2012 unter dem Namen ELStAM (Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale) eingeführt werden.

Die “Berichtigung”, die die Agentur dann heute morgen nachlegte (“Damit wird klargestellt, dass die elektronische Lohnsteuerkarte nicht vom Aus für Elena betroffen ist”), kam leider zu spät für die heute erschienenen Printausgaben der “Berliner Morgenpost”, von “Welt Kompakt” und vielen anderen.

Die kursierende Falschmeldung sorgte sogar für eine Richtigstellung des saarländischen Finanzministeriums:

Saarbrücken: Elektronische Lohnsteuerkarte bleibt
Trotz der geplanten Einstellung des Verfahrens zum elektronischen Entgeltnachweises (Elena) bleibt den Arbeitnehmern die elektronische Lohnsteuerkarte erhalten.

Darauf hat das saarländische Finanzministerium hingewiesen. Ein Sprecher sagte, die elektronische Lohnsteuerkarte habe mit Elena nichts zu tun. Elena betreffe nur die Sozialversicherung.

Während heute.de und focus.de ihre zwischenzeitlich falschen Meldungen korrigiert haben, scheint sich bei anderen Online-Ausgaben niemand für die sechs Stunden alte dapd-Berichtigung zu interessieren. Obwohl sich die digitale Lohnsteuerkarte bester Gesundheit erfreut, heißt es etwa in den Online-Auftritten der “Sächsischen Zeitung” und der “Augsburger Allgemeinen” immer noch:

Bund begräbt elektronische Lohnsteuerkarte

"Elena" scheitert am Datenschutz Das Ende der elektronischen Lohnsteuerkarte

Vielleicht wäre es am besten, wenn Nachrichtenagenturen gleich Zugriff auf alle Redaktionssysteme bekämen. Dann könnten sie im Falle mögliche Fehler gleich selbst korrigieren. Denn die Online-Medien überprüfen die Meldungen vor Veröffentlichung ja offensichtlich sowieso nicht.

Mit Dank an Jens G. und Christoph T.

Nachtrag, 21:03 Uhr: Als könnte es Bild.de nicht auf sich sitzen lassen, wenn andere Medien Fehler machen. Gut zehn Stunden nachdem dapd die Falschmeldung von gestern zurückgenommen hat und rund eine Stunde nachdem wir diesen Beitrag veröffentlicht haben, ist ein Artikel erschienen, der alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Bild.de glaubt allen Ernstes immer noch, dass das Aus von ELENA gleichzeitig das Aus für die elektronische Lohnsteuerkarte bedeutet:

Projekt "Elena" gescheitert Aus für digitale Lohnsteuerkarte

Dazu gibt es einen Screenshot von einer Website, die für ELENA wirbt (oder warb), mit diesem Bildtext:

Die digitale Lohnsteuerkarte hat ausgedient. (…)

Im Text heißt es fälschlicherweise:

„Elena” sollte ab 2014 die herkömmliche Lohnsteuerkarte ablösen und die Erstellung von Einkommensbescheinigungen erheblich erleichtern.

Noch größerer Unfug ist jedoch das:

Zwar erhalten sie ihre Lohnsteuerkarte im Gegensatz zu früher weiter auf elektronischem Weg. Diese Form enthält jedoch wesentlich weniger sensible Daten, als das bei „Elena“ der Fall gewesen wäre.

Die Lohnsteuerkarte erhält man nicht “weiter auf elektronischem Weg” wie Bild.de schreibt, sondern im Jahr 2012 zum ersten Mal. Bis dahin gilt die Lohnsteuerkarte von 2010. Der zweite Satz ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn man bedenkt, dass ELENA mit der Lohnsteuerkarte rein gar nichts zu tun hat.

Mit Dank an Thomas, Michael M. und Joachim K.

Nachtrag, 20. Juli: Bild.de hat reagiert und die elektronische Lohnsteuerkarte ohne jeden Hinweis aus dem Artikel entfernt.

dapd  etc.

Hilfe!

Gestern Mittag vermeldete die Nachrichtenagentur dapd aufgeregt das “Aus für Notrufsäulen an deutschen Straßen bis Jahresende”. Wer bei dieser Überschrift angenommen hatte, die orangefarbenen Notrufsäulen entlang der Autobahnen (die ja durchaus als “deutsche Straßen” durchgehen dürften) würden – etwa bis Jahresende – verschwinden, wurde schon im ersten Satz eines besseren belehrt:

Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Dies teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. (…)

Nicht betroffen vom beschlossenen Abbau sind die derzeit rund 16.000 Notrufsäulen an den deutschen Autobahnen, für die der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) zuständig ist.

Aber auch das war offensichtlich nicht ganz richtig, denn dapd verschickte rund vier Stunden später eine “Berichtigung”. Dort hieß es nun:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen

Was genau es bedeutet, wenn “nur Baden-Württemberg” die Notrufsäulen behält, erklärte dapd natürlich auch gerne:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen an den Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, in den anderen Bundesländern werden sie abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. Bundesweit gibt es den Angaben zufolge derzeit knapp 2.100 Säulen, davon allein rund 1.800 in Baden-Württemberg.

dapd hatte also herausgefunden, dass immerhin 14% der noch bestehenden Notrufsäulen an deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen abmontiert werden sollen — nämlich die außerhalb Baden-Württembergs. Die restlichen der ehemals rund 7.000 Notruftelefone sind nämlich seit der Einführung eines Handyortungssystem für die Leitstellen im Jahr 2006 sukzessive abgebaut worden, wie uns die Björn-Steiger-Stiftung auf Anfrage erklärte.

Nun würde man als Laie sagen: “Hmmmmm, das ist dann wohl eher keine Meldung! dapd war sich nur zu fein, den ursprünglichen Schwachsinn komplett zurückzuziehen.” Doch Profis denken da anders.

“Bild” bringt heute auf der Titelseite folgende Kurzmeldung, die sich offensichtlich auf eine der ersten dapd-Varianten beruft:

Notrufsäulen an Bundesstraßen werden abgeschafft

Stuttgart – Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart mit. Die Notrufsäulen seien nicht mehr finanzierbar. Außerdem habe die heute selbstverständliche Handynutzung sowie die nun mögliche Ortung von Mobiltelefonen die Säulen zuletzt zunehmend überflüssig gemacht. Bundesweit gibt es noch rund 2000 Säulen. Nicht betroffen sind die rund 16000 Notrufsäulen an den Autobahnen.

Diese Quelle muss auch der “Tagesspiegel” benutzt haben:

Notrufsäulen an deutschen Straßen verschwinden bis Jahresende

Stuttgart – Für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen kommt das Aus. Sie würden bis zum Jahresende abgebaut, teilte die Björn-Steiger-Stiftung mit. Die Säulen seien nicht mehr finanzierbar. Zudem seien sie durch die Handynutzung zunehmend überflüssig. Nicht betroffen sind die 16 000 Notrufsäulen an den Autobahnen. dapd

Die “Süddeutsche Zeitung” brachte einen längeren Artikel, der auf der ersten dapd-Meldung basierte und auch die Online-Medien haben die NichtGeschichte natürlich dankbar aufgenommen — wobei abendblatt.de eine wahre Meisterleistung geglückt ist: In dem Artikel, der mit den Worten “nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen” beginnt, zeigt sich ein ADAC-Experte vom “kompletten Aus für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen” überrascht. Der dapd hatte das ADAC-Zitat aus seiner berichtigten Fassung herausgenommen, weil sich das “komplette Aus” als wenig haltbar erwiesen hatte.

Auch die dpa erweckt seit gestern den Eindruck, der seit fünf Jahren voranschreitende Abbau der Notrufsäulen sei eine Neuigkeit:

Aus für Notrufsäulen – Steiger Stiftung baut ab

Stuttgart (dpa) – Die Björn Steiger Stiftung baut ihre Notrufsäulen bundesweit nach und nach ab. Von den ursprünglich 7000 Säulen stehen noch 2095, davon gut 1800 in Baden-Württemberg, sagte eine Sprecherin der Stiftung am Mittwoch in Stuttgart. Die hohen Kosten für das Notrufsystem über die Säulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen seien in Zeiten von Handys nicht mehr zu rechtfertigen, begründete sie die Entscheidung. Nicht betroffen sind die Säulen an Autobahnen. Sie werden vom Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) betrieben.

Mit großem Dank an Tobias.

Hinweis, 19.10 Uhr: In der ursprünglichen Fassung dieses Eintrags hatten wir geschrieben, die dpa-Meldung sei “immer noch völlig unkorrigiert”. Die dpa erklärte uns dazu, dass es an der Meldung “nichts zu korrigieren” gebe, da alle Fakten korrekt wiedergegeben würden.

Bild, dpa  etc.

Die Medien sind krank

Wie wird aus einer interessanten Information eine Nachricht, die viele Medien und damit viele Menschen erreicht? Die Geschichte der Meldung, dass die Deutschen 2010 wieder häufiger krank feierten, die in dieser Woche durch die Medien ging, ist ein gutes Lehrstück.

1.

Immer am Anfang des Jahres gibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine große Tabelle mit Daten über die Entwicklung der Arbeitszeit in Deutschland heraus. Darin steht unter anderem, wie viele Überstunden die Arbeitnehmer gemacht haben und wie oft sie krank waren.

In diesem Jahr veröffentlicht das IAB die Zahlen am 20. Januar und erwähnt in einer Pressemitteilung unter anderem, dass der Krankenstand 2010 gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen habe. Die Agentur dapd berichtet, doch die Nachricht bleibt ohne größere Resonanz.

2.

Irgendwann später im Jahr ruft der “Bild”-Redakteur Stefan Ernst beim IAB an und fragt, ob man nicht irgendwelche exklusiven Daten für ihn habe. Das Institut verneint, weist aber auf die vielen interessanten Informationen auf der eigenen Internetseite hin. Ernst greift auf die Arbeitszeit-Tabelle zurück und macht aus den eigentlich längst bekannten Angaben über die Überstundenentwicklung einen Artikel, der am 14. Februar auf Seite 1 erscheint.

3.

Die Nachrichtenagenturen AFP, dpa und epd melden daraufhin unter Bezug auf “Bild” die IAB-Zahlen aus dem Januar über die Entwicklung der Überstunden. dpa ergänzt sie in einer weiteren Meldung am selben Tag um die IAB-Daten über den leicht erhöhten Krankenstand.

4.

Einige Monate vergehen. Eines Tages erinnert sich “Bild”-Mann Stefan Ernst bei der Suche nach einer aufregenden Wirtschaftsgeschichte für die Seite 1 offenbar an die alte IAB-Tabelle. Diesmal greift er sich ein anderes Detail heraus: die Angaben über den erhöhten Krankenstand. So meldet “Bild” am 14. Juni noch einmal, was das IAB bereits im Januar und dpa bereits im Februar gemeldet hat:

5.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet daraufhin eilig unter Bezug auf “Bild”, dass sich der Krankenstand laut IAB 2010 leicht erhöht habe. Autor der Meldung ist derselbe dpa-Mann, der dieselbe Nachricht schon vier Monate zuvor geschrieben hatte.

6.

Auf der Grundlage der dpa-Meldung verkaufen nun “Handelsblatt”, “taz”, “Berliner Zeitung”, “B.Z.”, “Spiegel Online” und viele andere als Neuigkeit, was das IAB gut fünf Monate zuvor veröffentlicht hat und was dpa vier Monate zuvor bereits einmal gemeldet hat.

Und wir lernen:

  • Nachrichten müssen in der “Bild”-Zeitung stehen, damit Nachrichtenagenturen sie wahrnehmen.
  • Wenn sie in der “Bild”-Zeitung stehen, sind sie für Nachrichtenagenturen immer ein Thema, selbst dann, wenn sie sie bereits Monate zuvor schon vermeldet haben.
  • Was Nachrichtenagenturen melden, ist für andere Medien eine Nachricht, selbst wenn es alt, bekannt oder falsch ist.

Falsch auch? Ja. Vermutlich hat der Krankenstand im vergangenen Jahr gar nicht zugenommen. Die IAB-Studie beruht auf Stichproben, die solche Schlüsse, wie sie das Institut und die Medien ziehen, gar nicht zulässt. Mehr dazu hier:

Bunte  etc.

Kachelmann-Prozess: Gericht verurteilt Medien

Es ist ein vernichtender Satz, den das Mannheimer Landgericht am Ende des Prozesses gegen Jörg Kachelmann den Medien mit auf den Weg gegeben hat. Michael Seidling, der Vorsitzende der 5. Großen Strafkammer, formulierte in seiner Urteilsbegründung:

Auf der anderen Seite hat die Kammer aber auch gesehen, dass einige Medienvertreter – wenn auch eher eine überschaubare Anzahl – durchaus sachgerecht und ausgewogen über das Verfahren berichtet haben.

(Hervorhebung von uns.)

Er nannte leider keine Namen, aber vermutlich ist eh kein größeres Medium gemeint, das man kennen könnte.

Ausführlich hatte der Richter zuvor die Medien gescholten:

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber auch sie kennt Grenzen. Diese Grenzen existieren offensichtlich im Internet nicht.

Vorwiegend hinter der Fassade der Anonymität wurden im Verlauf des Verfahrens in den Meinungsforen, Blogs und Kommentaren im Internet die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, der Nebenklägerin, aber auch des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten immer wieder mit Füßen getreten, ohne dass die Möglichkeit bestanden hätte, sich dagegen in irgendeiner Weise effektiv zur Wehr zu setzen.

Auch angeblich Sachkundige konnten nicht der Versuchung wiederstehen, ohne Aktenkenntnis und ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben, häufig aber auf der Grundlage unvollständiger und fehlerhafter Medienberichte per Ferndiagnose ihre persönliche Meinung zum Besten zu geben, die in der Regel nichts mit sachlicher Kritik zu tun hatte, sondern häufig nur Klischees bediente. (…)

Statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren prägten vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung. Diese mögen zwar als Garant für Schlagzeilen und Verkaufszahlen dienen; der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sind sie jedoch in hohem Maße abträglich. Sie erzeugen Stimmungen, wo Sachlichkeit gefragt ist; letztlich vertiefen sie den mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbundenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der Nebenklägerin in nicht gerechtfertigter Weise. Vor allem aber erschweren sie die Akzeptanz eines Richterspruchs in der Öffentlichkeit und schaden damit dem Ansehen der Justiz.

Mit Befremden hat die Kammer die Aufrufe an die Bevölkerung registriert, im Wege der Abstimmung über Schuld und Unschuld des Angeklagten zu entscheiden. Damit verkommt das Gerichtsverfahren nicht nur zu einem reinen Event; vielmehr werden Entscheidungen von Gerichten, denen nicht selten eine hochkomplizierte Entscheidungsfindung vorausgeht, in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Merkmal der Beliebigkeit behaftet. Dass auch dadurch dem Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit massiver Schaden zugefügt wird, liegt auf der Hand.
Mit öffentlicher Kontrolle der Gerichte durch die Medien hat diese Form der Medienarbeit nichts zu tun. (…)

Ob einer Hauptverhandlung für die breite Öffentlichkeit ein ausreichender Unterhaltungswert zukommt, ist für die Beurteilung der Schuldfrage und damit für die Gestaltung der Hauptverhandlung ohne Belang. Das Gericht ist bei der Durchführung der Hauptverhandlung nicht der Befriedigung des Sensations- und Unterhaltungsinteresses verpflichtet.

Die medienwirksam vorgetragene Kritik des Verteidigers am Ausschluss der Öffentlichkeit ließ vordergründig den Eindruck entstehen, die Kammer habe bis zu seinem Auftreten ohne sachliche Rechtfertigung die Öffentlichkeit in exzessiver Weise ausgeschlossen. Dass sich drei Zeuginnen durch Interviews ihrer Persönlichkeitsrechte – jedenfalls teilweise – begeben hatten, verstärkte diesen Eindruck.

Ohne Zweifel haben diese drei Zeuginnen und die entsprechenden Medien durch ihr Verhalten dem Ablauf der Hauptverhandlung geschadet.

Gemeint ist mit dem letzten Punkt mindestens die Zeitschrift “Bunte”, die drei Zeuginnen für ihre anklagenden Auftritte im Blatt bis zu 50.000 Euro zahlte.

Angesprochen fühlen dürfen sich aber u.a. auch:

  • die “Süddeutsche Zeitung”, die am 22. April 2010 unter der Überschrift “Messer mit Fingerabdrücken” exklusiv berichtete, Ermittler hätten “nach eigener Aussage Teile von Fingerabdrücken und DNS von Kachelmann“ auf einem Messer gefunden. In Wahrheit hat die Spurensicherung keine eindeutig nachweisbaren Spuren gefunden.
  • die “Zeit”, in der Sabine Rückert massiv Partei für Kachelmann ergriffen hat — in der Regel (und auch aktuell) ohne die Leser wenigstens darüber darüber zu informieren, dass Rückert mit dem Anwalt Kachelmanns zusammengearbeitet hat und ihn sogar der Verteidigung empfohlen hat.
  • der “Focus”, der im Dezember eine “neue Zeugin gegen Kachelmann” präsentierte, deren Aussage ihn angeblich “schwer belastet”, und bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung “Indizien auch im Bad” gefunden, “Tausende Ermittlungsseiten” der “Akte Kachelmann” protokolliert und das Tagebuch des mutmaßlichen Opfers abgedruckt hatte.
  • und natürlich die “Bild”-Zeitung mit ihrer Kommentatorin Alice Schwarzer, die munter mangelnde Fachkenntnis durch Parteilichkeit ausgeglichen hat.

“Welt Online” hat aus der Urteilsbegründung sicherheitshalber die Kritik an den Medien einfach mal herausgekürzt.

Ottfried Fischer, Sportblogs, Vorlesungen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Journalismus und Skepsis: Der Knabe, der doch nicht magnetisch war”
(scienceblogs.de/zoonpolitikon, Ali Arbia)
Ali Arbia greift die Story eines Jungen aus Kroatien auf, der angeblich magnetisch ist: “Wenn sich Journalistinnen und Journalisten sich schon nicht ein Minimum an Skepsis leisten um offensichtliche billige Tricks zu hinterfragen, wie sollen dann ihre Leserinnen und Leser, deren Beruf dies meist nicht ist, eine entsprechende Kompetenz entwickeln?”

2. “Grübler und Schüler”
(fr-online.de, Sarah Mühlberger)
Sarah Mühlberger porträtiert Sportblogs. Im Artikel erwähnt sind: FuPa.net, Hartplatzhelden.de, Allesaussersport.de, Gruebelei.de und die Blogs auf spox.de.

3. “Wie frei ist die deutsche Presse wirklich?”
(doppelpod.com, Christian Y. Schmidt)
Ein Vortrag von Christian Y. Schmidt über die ökonomischen und politischen Abhängigkeiten der deutschen Presse (im Video ab Minute 7). Die Journalisten in Berlin hält er “eng verflochten” mit den Politikern: “Journalisten stellen gegen gute Honorare Bücher vor, die Politiker geschrieben haben, Politiker und Journalisten besuchen dieselben Partys und Empfänge, und manchmal heiraten Journalisten und Politiker gar, so wie die Bild-Zeitungs und Focus-Journalistin Doris Köpf (Schwerpunkt: Innenpolitik) den damaligen Bundeskanzler Schröder.”

4. “Kein Beweis für Nötigung”
(faz.net, David Klaubert)
David Klaubert berichtet aus dem Münchner Landgericht: “Ottfried Fischer hat viel auf sich genommen für diesen Prozess, der für ihn auch ein Feldzug gegen die Berichterstattung der ‘Bild’-Zeitung ist – ein vergeblicher Anlauf, wie es nun scheint, denn das Münchner Landgericht hat in zweiter Instanz das Urteil gegen den Angeklagten Wolf-Ulrich Sch. aufgehoben.”

5. “Für Fußball keine Gebühren verpulvern”
(meedia.de, Alexander Becker)
Alexander Becker spricht mit Claudius Seidl über seine Bewerbung als ZDF-Intendant (Facebook-Gruppe). Die aktuelle Logik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schätzt er so ein: “Es muss das ZDF geben, weil wir das Fernsehen nicht nur kommerziellen Anbietern überlassen dürfen. Wir produzieren aber den gleichen Mist wie die kommerziellen Sender, weil wir von allen Gebühren verlangen und deshalb allen etwas bieten müssen.”

6. “Hier rein, da raus”
(zeit.de, Martin Spiewak)
Martin Spiewak schlägt vor, Uni-Vorlesungen abzuschaffen: “Statt dem Dozenten zu folgen, verschicken die Studenten E-Mails, mehren die Zahl ihrer sozialen Kontakte bei Facebook – oder laden sich das Skript der nächsten Vorlesung aus dem Netz. Sinnloser lässt sich akademische Zeit kaum vergeuden.”

Gegen ARD und ZDF geht alles

Das ist eine sensationelle Nachricht, die die “Welt” da seit Donnerstag in ihrem Online-Auftritt vermeldet:

Spartensender ZDF Kultur will eigenen Jugendkanal

Der Jugendsender eines Kultursenders? Der Ableger eines Ablegers? Sicher, nichts scheint unmöglich bei ARD und ZDF. Aber stutzig machen könnte den unbefangenen Leser, dass die Nachricht nicht nur nirgends sonst steht, sondern auch nicht hier. Im Artikel selbst ist zwar von einem Jugendkanal und einem Kulturkanal die Rede, aber in keiner Weise von einem Jugendkanal eines Kulturkanals.

Es scheint, als habe der diensthabende Mensch, der aus dem Artikel aus der gedruckten “Welt” eine Fassung für “Welt Online” machen musste, das Stück nur sehr flüchtig gelesen und nicht verstanden, dass es sich bei dem Jugendkanal um einen Jugendkanal der ARD handelt, der aus den Digitalkanälen “Eins Festival” und “Eins Plus” entstehen könnte.

Nun ist es tatsächlich leicht, den Artikel misszuverstehen, weil er überwiegend aus Wutschaum besteht und, was bei dem Thema ARD und ZDF häufiger vorkommt, scheinbar nicht von einem Journalisten, sondern der Lobbyabteilung der Axel Springer AG verfasst wurde. In der gedruckten “Welt” trägt er die programmatische Überschrift: “Dafür haben wir nicht GEZahlt!”

Autor Ekkehard Kern schreibt über die Digitalkanäle:

Nur selten vermag einer der sechs Miniatursender der Öffentlich-Rechtlichen die Ein-Prozent-Einschaltquotenhürde zu nehmen — was ARD und ZDF jedoch nicht davon abhält, im Segment dieser Spartenprogramme eifrig weiterzuplanen und deren Existenz dem großen Publikum in den reichweitenstarken Hauptprogrammen Das Erste und ZDF aus unerfindlichen Gründen konsequent zu verschweigen.

Er muss schon lange nicht mehr das ZDF eingeschaltet haben, um die vielen Programm-Ankündigungen für ZDF_neo verpasst zu haben. Auch für ZDF.Kultur wirbt das Hauptprogramm.

Im Lobbyistenton fantasiert er weiter:

Schelte für ihre oft wenig durchschaubare Expansionspolitik haben ARD und ZDF reichlich kassiert. Man denke nur an die herrlich überflüssige “Tagesschau”-App für das iPad und überhaupt die digitale Ausbreitung im Internet – einem Terrain, das die Öffentlich-Rechtlichen unangetastet lassen müssten, denn “Rundfunk” beinhaltet eben schon per definitionem nur Radio und Fernsehen.

Vieles ist der “Tagesschau”-App vorgeworfen worden, gerade auch von Springer, aber dass sie überflüssig ist, nun gerade nicht. Und über die Definition von “Rundfunk” lässt sich lange streiten, was daran liegt, dass keinewegs klar ist, ob sie “nur Radio und Fernsehen” beinhaltet. Das Bundesverfassungsgericht etwa sieht das durchaus anders.

Der Autor lästert dann noch ein bisschen über die “grauen Eminenzen von ARD und ZDF”, den “bizarr sturen Apparat” und den “Seniorenkanal” ZDF, bevor er vage auf den Wunsch des SWR-Intendanten nach einem Jugendkanal zurückkommt:

Ein ProSieben der Öffentlich-Rechtlichen mag dem SWR-Intendanten Boudgoust vorgeschwebt haben. Nur sinnvoller, versteht sich. Denn die Quote, so betont man bei den Öffentlich-Rechtlichen gerne und stets vorsorglich, bedeute einem nichts.

Dafür hätte man dann doch gerne einmal einen Beleg gelesen. Der ARD-Programmdirektor Volker Herres jedenfalls sagt regelmäßig Sätze wie: “Ich will Programm für alle Menschen machen und Quote sind nichts anderes als Menschen.” Vielleicht hat der Autor aber auch nur flüchtig ein Interview mit der ARD-Vorsitzenden Monika Piel im aktuellen “Focus” gelesen, in dem sie sich gegen den Vorwurf der Quotenfixierung wehrt. Die Überschrift lautet allerdings: “Quote ist nicht alles.”

Weiter im Text:

Sehr zupass und pünktlich zur Frühjahrstagung der ARD kam dann jetzt auch eine Wortmeldung des Chefs der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, Martin Stadelmaier (SPD).

“Pünktlich”? Stadelmaier äußerte sich am 19. April. Die Frühjahrstagung der ARD endete am 6. April. Jedenfalls:

[Stadelmaier] will mit dem noch vagen Plan des Jugendsenders endlich Ernst machen. Monika Piel, die derzeitige ARD-Chefin, denkt jetzt über eine Kooperation mit dem ZDF nach. Welch neues Projekt aus diesen Diskussionen erwächst, weiß bisher keiner so ganz genau. Aber in der labyrinthischen Welt der Öffentlich-Rechtlichen ist es wie in der Baumarktwerbung: Es gibt immer was zu tun.

Kern hat sich so besinnungslos auf ARD und ZDF eingeschossen, dass er gar nicht merkt, dass Piels Gedankenspiele ganz in seinem Sinne sein müssten. Schon im Januar sagte sie der “taz”:

Es wird keinen “Sender-Zuwachs” mehr geben. Wir müssen uns natürlich in der ARD weiter entwickeln, aber das bedeutet künftig: umverteilen, etwas Anderes lassen, damit man etwas Neues machen kann. Von daher wird es wohl am Ende meiner Amtszeit eher weniger geben — und ich hoffe bei den Digitalkanälen auf mehr Zusammenarbeit mit dem ZDF — analog zu Phoenix und KiKa.

Nichts in Kerns Artikel ist neu. Aber so tendenziös und falsch ist das womöglich tatsächlich noch nicht aufgeschrieben worden.

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Chauvitag 2011

Über den Sinn oder Unsinn des Weltfrauentages, der vor 100 Jahren zum ersten Mal begangen wurde, haben im vergangenen Jahr Alice Schwarzer und Caroline Korneliy bereits ausführlich debattiert. Und auch wenn Alice Schwarzer dafür plädiert, den Frauentag abzuschaffen, wäre es interessant zu erfahren, was die Feministin davon hält, wie die Zeitung, in der sie ihre Gerichtsreportagen veröffentlicht, mit diesem besonderen Datum umgeht.

Der Titel klingt ja eigentlich vielversprechend:

100 Dinge, die Frauen besser können

Doch abgesehen davon, dass der Weltfrauentag ursprünglich mit dem Ziel der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ins Leben gerufen wurde, dürfte selbst Mario Barth viele der “100 Wahrheiten über Frauen” als abgedroschen und klischeebehaftet empfinden:

Nr. 5:

Schön mit der Hand schreiben.

Nr. 10:

Mehrere Diäten gleichzeitig machen.

Nr. 11:

Schuhe kaufen. Frauen besitzen im Schnitt 14 Paar Schuhe, Männer acht.

Nr. 21:

Den Balkon zum Blühen bringen.

Nr. 38:

Statt sich mit komplizierten Abseits-Regeln aufzuregen, lieber an den schönen Fußballern erfreuen.

Nr. 42:

Beleidigt sein.

Nr. 46:

Im Sitzen pinkeln.

Nr. 50:

Sparen. Sie geben ein Vermögen für Schuhe aus, aber das ist immer noch billiger als ein Sportwagen.

Nr. 57:

Kalorien zählen.

Nr. 60:

Dem Friseur das Herz ausschütten.

Nr. 62:

Sich die Augenbrauen zupfen.

Nr. 72:

Bei völliger Ahnungslosigkeit souverän wirken.

Nr. 83:

Geld ausgeben, das sie nicht verdient haben.

Nr. 86:

Sich systematisch unterschätzen. Immer noch verdienen Frauen rund 25 Prozent weniger als Männer.

Nr. 93:

Diesen schwachsinnigen Frauentag gelassen ertragen.

Passend dazu präsentiert BILDblog heute die einzige Sache, die “Bild” besser kann als andere Zeitungen:

Nr. 1:

Den eigenen Sexismus entlarven.

Nachtrag, 9. März: BILDblog-Leser Michael L. hat uns darauf hingewiesen, dass es sich beim diesjährigen Weltfrauentag nicht um den 100., sondern um den 101. handelt (der erste von 1911 muss natürlich auch mitgezählt werden). Immerhin befindet sich BILDblog mit diesem – inzwischen korrigierten – Fehler in bester Gesellschaft.

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