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Was “Bild” (nicht) am Fall Steinmeier interessiert

Man kann wahrlich nicht behaupten, “Bild” berichte übermäßig viel über die Vorwürfe gegen Frank-Walter Steinmeier, die nach Veröffentlichungen der “Süddeutschen Zeitung” vielen Medien in den vergangenen Tagen die ein oder andere Titelgeschichte Wert waren. Der Außenminister soll in seiner Rolle als Kanzleramtsminister dafür verantwortlich gewesen sein, dass die Entlassung des in Guantanamo inhaftierten Türken Murat Kurnaz über Jahre verzögert oder verhindert wurde. Bis heute bestand der ausführlichste “Bild”-Bericht über den Fall aus einer Meldung vom vergangenen Samstag. “Verhinderte Berlin Freilassung von Kurnaz?” hieß es dort auf Seite 2. Der Name des Außen- und ehemaligen Kanzleramtsministers kommt im Text nicht mal vor.

"Beck stützt Steinmeier"Am Montag fand “Bild” dann Platz für eine weitere kleine Meldung (siehe Ausriss), die besagt, dass der SPD-Vorsitzende Kurt Beck “das Verhalten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Fall Kurnaz als ‘einwandfrei’ bezeichnet” habe. Das hatte Beck so direkt zwar nicht gesagt, aber er scheint sich immerhin sicher zu sein, dass Steinmeier, wenn er im eingesetzten Untersuchungsausschuss aussagt, klarstellen könne, “dass er auch in dieser Frage sich einwandfrei verhalten hat”.

Heute widmet “Bild” sich etwas ausführlicher dem Fall Kurnaz/Steinmeier:
"Warum ist eigentlich die deutsche Regierung für diesen Türken zuständig?"

Im Text heißt es:

Der Vorwurf lautet: Die rot-grüne Bundesregierung und ihr damaliger Kanzleramtsminister Steinmeier hätten verhindert, dass Kurnaz schon vor Jahren von den USA freigelassen wurde.

Mehr allerdings erfährt der “Bild”-Leser nicht von den Vorwürfen gegen Steinmeier, über die andere Medien (unter ihnen übrigens auch die “BamS”) so intensiv berichten und berichteten. Im Gegenteil, aber dazu gleich. Zunächst fragt “Bild” — gerade so, als hätte die Religion eines Menschen irgendeinen Einfluss darauf, ob sich die Bundesregierung für ihn einsetzen müsse oder nicht:

Was ging das Schicksal des türkischen Staatsbürgers und streng gläubigen Muslims die deutsche Bundesregierung überhaupt an?
(Hervorhebung von uns.)

Eine Antwort auf diese Frage indes bleibt “Bild” (anders als übrigens die “FAZ” auf ihrer heutigen Seite 2) schuldig und schreibt, dass Kurnaz zwar in Bremen geboren sei, aber “nie einen deutschen Pass” gehabt habe, dass er “drei Wochen nach den Terror-Anschlägen auf das World Trade Center” nach Pakistan gereist sei, um den “Islam zu studieren”, und dass er dort “im November 2001 unter Terrorverdacht gefangengenommen — und ins US-Hochsicherheitslager in Guantánamo/Kuba gebracht” worden sei. Dass kaum Zweifel an Kurnaz’ Unschuld bestehen können, und dass schon seit langem bekannt war, dass Gefangene in Guantanamo gefoltert wurden, erwähnt “Bild” hingegen nicht.

So richtig merkwürdig und vollends irreführend wird der “Bild”-Artikel allerdings erst danach. Plötzlich heißt es nämlich:

Warum bemühte sich die rot-grüne Bundesregierung seit Februar 2002 in Washington um die Freilassung des Bremer Türken?

Dabei geht es bei den aktuellen, schwerwiegenden Vorwürfen gegen Steinmeier doch genau darum, dass die Bundesregierung sich eben nicht um die Freilassung Kurnaz’ bemüht, sondern sie womöglich aktiv verhindert habe. Was “Bild” als Fakten darstellt, ist lediglich die Version der Bundesregierung(en). Die “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” schreibt heute beispielsweise:

Die Dokumente widersprechen zumindest auf den ersten Blick vollkommen der bisherigen Darstellung der Regierung, der zufolge sie, insbesondere aber das Auswärtige Amt, sich zwischen 2002 und 2005 unermüdlich aber leider vergeblich um eine Freilassung von Kurnaz bemüht habe.

Um das klarzustellen: Es geht uns nicht darum, dass “Bild” genau so vorverurteilend berichten soll, wie wir es leider von ihr gewohnt sind — sondern darum, dass sie leider genau so irreführend berichtet, wie wir es von ihr gewohnt sind.

Mit Dank an Jason M. für den sachdienlichen Hinweis.

“Riesen-Zoff um Unterhalt”: Jetzt spricht Bohlen

Es ist schon einen Monat her. Dieter Bohlen war noch nicht überfallen worden, hatte es aber trotzdem auf die Titelseite der “Bild am Sonntag” geschafft. In einem faktenarmen, suggestiven Artikel berichtete die “BamS” über einen angeblichen “Riesen-Zoff um Unterhalt” und schrieb:

“Der Pop-Produzent äußerte sich (…) nicht zu dem Fall.”

Jetzt hat er’s doch getan.

Obwohl er am vergangenen Montag überfallen wurde und Bild.de bereits drei Stunden nach dem Überfall als Allererstes berichten durfte, findet sich dort heute — zusätzlich zu den großen “Überfall auf Bohlen”-Ankündigungen (siehe rechts) — auch noch ein etwas kleinerer Teaser mit Bohlens Namen:

"13.12.2006 - Gegendarstellung: Dieter Bohlen"

Bild.de hatte nämlich (ganz ähnlich wie die “Bild am Sonntag” damals) bei besagtem “Riesen-Zoff”-Artikel einfach so die (verkürzte) grundsätzliche Einschätzung irgendeines “BamS”-Experten derart neben ein Foto von Dieter Bohlen montiert, dass sie aussah wie ein wörtliches Bohlen-Zitat.

Und deshalb stellt Bohlen nun auf Bild.de fest:

“Etwas Derartiges habe ich weder
wörtlich noch sinngemäß je gesagt.”

BILDblog-Leser wissen das schon länger. Jetzt wissen’s auch die Bild.de-Leser. Ob und wann die “BamS”-Leserschaft davon erfährt, bleibt abzuwarten. Und warum der beanstandete Bild.de-Teaser noch immer online ist, weiß wahrscheinlich nur Bild.de selbst.

“taz” verhöhnt deutsche Chefredakteure

Woher kommt bloß dieser Haß?

Die “taz” verhöhnt Deutschlands bekannteste Journalisten, druckt eine intime Fotomontage von Helmut Markwort und Kai Diekmann. Angeblich aufgenommen von “taz-Leserreportern”!

Es sind Fotomontagen aus dem Privatbereich, die kein Mensch von sich in der Zeitung sehen möchte. Sie zeigen das Paar Markwort/Diekmann “beim Nackt-Boulen am Strand”.

Dazu brachte die “taz” heute auf Seite 1 prominent in der Mitte die hämische Schlagzeile “Mehr als nur Kollegen?”. Das deutsche Wort “Kollege” bedeutet laut Duden “jmd., der mit anderen zusammen im gleichen Beruf tätig ist”.

Diekmann wird in der Überschrift als “BILD-hübsch” bezeichnet. Er assistiere Markwort mit einer TitelGeschichte, lasse sogar Gaga-Kolumnist Franz Josef Wagner von der Leine.

Der Artikel beginnt mit dem spöttischen Satz: “Wie ‘Focus’ und ‘Bild’ mit nichtpublizierten FKK-Fotos von EU-Kommissar Günter Verheugen Politik zu machen versuchen”. Darüber die zweideutige Überschrift “Nackten, Nackten, Nackten”. Das heißt eigentlich soviel wie “unbekleidet” — könnte aber auf den “Focus”-Werbespruch anspielen: “Fakten, Fakten, Fakten”.

Und wenn Ihnen dieser kursiv gesetzte Text jetzt irgendwie bekannt vorkommt: Keine Sorge, uns auch!

“Bild” glaubt alles, was man erzählt

"Lieber Paul, nimm mich doch zurück"Warum sollten wir Zweifel an der Geschichte haben, die Ruth Hannah Reeves der “Bild”-Zeitung über ihre “wilden Tage ab 1960” mit Paul McCartney erzählt hat (siehe Ausriss)? Bloß, weil sie in der “Bild”-Zeitung steht? Nein, deswegen nicht. Aber “Bild” zitiert Reeves u.a. so:

“Ich habe 10 Jahre lang im Hamburger Starclub an der Bar gearbeitet, kannte alle Musiker.”

Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Der Hamburger “Star Club” existierte nämlich bloß etwas über sieben Jahre. Vom Frühjahr 1962 bis zur Silvesternacht 1969/70.

Außerdem erzählte Reeves der “Bild”-Zeitung:

“1965 habe ich Paul wieder getroffen. Er war gerade frisch getrennt von seiner Freundin Jane Asher und meinte zu mir; Ruth, komm mich doch mal besuchen.”

Das war offenbar das letzte Mal, dass Reeves McCartney getroffen haben will. Aber auch daran stimmt was nicht. Paul McCartney und Jane Asher trennten sich nämlich erst 1968.

Aber so ist das wohl mit historisch belegbaren Fakten. Sie sind eben etwas ganz anderes als nostalgische Erinnerungen einer 66-jährigen Rentnerin aus Hamburg — und Journalismus ist eigentlich etwas anderes als Gefühlsduselei.

Mit Dank an Jörg L. für den sachdienlichen Hinweis.

Wie gedruckt

Gestern war in der Hamburger “Bild”-Ausgabe ein Artikel über eine Auseinandersetzung in der S-Bahn. Drüber stand:

“Wenn du in Hamburg nur helfen willst dann wirst du brutal niedergeprügelt und liegst plötzlich hirntot im UKE”.

Kurz die Fakten: Am frühen Morgen des 22. Oktober kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem Jugendlichen und einem 52-Jährigen Mann. Der 52-Jährige starb einen Tag später im Krankenhaus. In der Pressemitteilung der Polizei vom 23. Oktober hieß es:

Eine Gruppe von Jugendlichen (…) belästigte fortwährend andere Fahrgäste. Der 52-Jährige forderte die Jugendlichen auf, die Provokationen zu unterlassen und drohte ihnen Schläge an. Daraufhin versetzte ihm einer der Jugendlichen einen Faustschlag und verletzte den Mann am Kopf.

Aber zurück zu “Bild”: Im Text war die Rede von einer “Horde von dumpfen Typen, denen ein Menschenleben nichts wert ist”, von “menschenverachtender Brutalität”, von explodierender Gewalt, von einer “Gewalt-Orgie”.

Die gestrige “Bild”-Version ist also total übertrieben wesentlich detailreicher, stimmt im Kern aber mit der Pressemitteilung der Polizei überein.

"Er wollte eine Frau vor Schlägern schützen: Jetzt ist er tot!" Das gilt auch für einen Text, der offenbar aus der heutigen “Bild”-Hamburg stammt und der auch auf Bild.de veröffentlicht wurde. Dieser Text wird spätestens seit heute morgen auf der “News”-Seite von Bild.de groß angeteasert (siehe Ausriss).

Spätestens seit heute morgen gibt es aber auch erhebliche Zweifel daran, dass die erste Version der Polizei oder die ausgeschmückte Version von “Bild” stimmen. Das, wie “Bild” bei Axel Springer erscheinende, “Hamburger Abendblatt” schreibt in seiner heutigen Ausgabe:

Nach Informationen des Abendblattes geht die Mordkommission jetzt davon aus, dass Wolfgang L. (52) mit dem Streit begonnen hatte. Er soll auch als Erster gewalttätig geworden sein.

Um 5.00 Uhr gab die Nachrichtenagentur dpa eine entsprechende Meldung heraus, und um 10.46 Uhr gab die Polizei eine Pressemitteilung heraus, die die Meldung des “Abendblatts” im Wesentlichen bestätigt. Und seither haben diverse Medien, die zuvor schon über den Fall berichtet hatten, über die Zweifel an dem bisher angenommenen Tathergang berichtet.

Bei Bild.de indes findet sich noch immer kein Hinweis darauf. Der irreführende Text wird nach wie vor von dem irreführenden Teaser auf der “News”-Seite angekündigt.

P.S.: Es mag ja sein, dass man bei Axel Springer der Auffassung ist, es sei nicht Aufgabe der multimedialen Erweiterung von “Bild”, falsche oder überholte Artikel, die ursprünglich aus “Bild” stammen, zu korrigieren, zu aktualisieren oder zu ergänzen. Dennoch wäre es vielleicht langsam an der Zeit, den irreführenden Teaser mal von der “News”-Seite zu entfernen. Auch deswegen, weil der “Bild”-Text den Eindruck erweckt, der Faustschlag habe mehr oder weniger direkt zum Tod geführt. Die Polizei gab heute aber bekannt:

An einem direkten Zusammenhang zwischen dem Faustschlag und den später bei dem Opfer festgestellten und zu seinem Tode führenden Hirnblutungen bestehen nach den bisherigen Untersuchungen Zweifel.

Mit Dank an Christian H. und Ulrich W. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Das Experiment — Zuerst fernsehen, dann frühstücken (nzzfolio.ch)
Seth Roberts versuchte mit seltsamen Selbstexperimenten herauszufinden, wie sich Essgewohnheiten oder TV-Konsum auf das Wohlbefinden auswirken – und kam zu überraschenden Resultaten.

Natascha und der Neubeginn (derstandard.at)
Wie Nataschas Brief entstand und warum es nicht mehr notwendig ist, ihr Kindheitsfoto abzudrucken: Der STANDARD beantwortet alle Fragen.

Fakten fischen (telepolis.de)
Der History-Bot markiert eine neue Zündstufe des Internet.

De Morgen, wir kommen (notebook-onlinejournalismus.de)
“De Morgen”, die belgische Zeitung, die 17 Reportagefotos von mir gestohlen hat, stellt sich schwerhörig. Auch nach zwei Wochen noch keine Reaktion.

Kalkulierte Tabubrüche (dradio.de)
Wie bekomme ich Aufmerksamkeit?

Link-Tipps zu Leserreportern, Bürgerjournalisten (netzjournalist.twoday.net)
Projektbeispiele sowie Artikel, Blogs über Leserreporter, Bürgerjournalismus

Man wird ja wohl noch antworten dürfen

Angesichts des Entwurfs eines neuen Schulgesetzes in Schleswig-Holstein fragte “Bild” gestern:

Warum dürfen Lehrerinnen kein Kreuz mehr tragen?

Und das ist schon mal eine lustige Frage, denn die geplante Regelung betrifft männliche Lehrer genauso, aber gut.

Eigentlich bemerkenswert ist aber vor allem, dass “Bild” die Antwort auf die Frage im Artikel schuldig bleibt. Ungefähr zwei Drittel des Textes geben den “Riesenkrach” wieder, den das geplante Gesetz auslöst (der in “Bild” schon zum “Gesetz” wird). Aber warum sich die Landesregierung zur Empörung auch der “Bild”-Zeitung dafür entschied, nicht nur Kopftücher im Unterricht zu verbieten, sondern (außerhalb des Religionsunterrichts) alle religiösen Symbole, das erklärt das Blatt seinen Lesern nicht.

Wen stört ein Kreuz?Auch der “Bild”-Kommentar von Willi Schmitt stellt zwar nicht weniger als zehn Fragen, beantwortet aber keine einzige davon, und schon gar nicht die zentrale:

Warum fordert die Große Koalition aus CDU und SPD (…) auf einmal: kein Kopftuch mehr in Schulen, dafür aber auch kein Kreuz mehr?

Dabei lässt sich die Frage relativ leicht beantworten. Die “Süddeutsche Zeitung” tat es am Freitag so:

Der Beschluss der Kieler Regierung entspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003. Das hatte
den Ländern nahegelegt, entweder prinzipiell den Lehrkräften zu erlauben, ihren Glauben symbolisch zu bekennen — oder dies komplett zu verbieten.

(Auch die nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche zum Beispiel ist der Ansicht, dass ein Privileg für christliche Symbole, wie “Bild” es fordert, “verfassungsrechtlich zweifelhaft” wäre: Wenn die muslimische Lehrerin kein Kopftuch tragen darf, dürfte auch der Pastor nicht mit umgehängtem Kreuz über den Schulhof gehen. Ein Gesetz in Hessen, das den Beamten im öffentlichen Dienst das Tragen von Kopftüchern verbietet, christliche Symbole aber erlaubt, verstößt nach Ansicht der hessischen Landesanwältin gegen die Verfassung. Und das Stuttgarter Verwaltungsgericht hat vor kurzem einer muslimischen Lehrerin Recht gegeben, die gegen das baden-württembergische Kopftuchverbot geklagt hatte.)

Natürlich kann man darüber streiten, wie man am besten mit den symbolträchtigen Kopftüchern in der Schule umgehen soll. “Bild” aber hat sich entschieden, kein Risiko einzugehen, dass die Leser womöglich zu einem anderen Urteil kommen als ihre Zeitung, die diese Debatte über die Grundwerte der deutschen Verfassung für eine “Gespenster-Diskussion” hält, und lässt sicherheitshalber die entscheidenden Fakten einfach weg. “Bild” macht aus der echten Frage, warum Lehrer kein Kreuz mehr tragen sollen, eine rhetorische — und lässt die Beschlüsse der Politiker dadurch, dass sie sie einfach nicht erklärt, schlicht unerklärlich erscheinen.

Danke an Alexander N. für den Hinweis!

Propaganda mit toten Kindern

“Bild” steht im gegenwärtigen Nahost-Krieg uneingeschränkt hinter der israelischen Armee. Ob das eine gute Voraussetzung für eine Zeitung ist, um ihre Leser unvoreingenommen und umfassend über die Vorgänge im Krieg zu informieren, darüber kann man streiten. Die “Bild”-Zeitung aber geht in ihrer Parteinahme soweit, dass sie Tatsachen verdreht, übertreibt und verfälscht. Und darüber kann man eigentlich nicht streiten.

“Bild” berichtet heute über die vor allem in vielen Blogs aufgeworfenen Zweifel daran, was während und nach dem Angriff der israelischen Armee auf die libanesische Stadt Kana wirklich geschah. “Bild” schreibt:

Hat die Terror-Organisation Hisbollah diese Bilder etwa perfide inszeniert — um mit toten Kindern Propaganda gegen Israel zu machen?

Renommierte Blätter wie “Süddeutsche” und FAZ sprechen von “Propaganda” und “Zweifeln” an den genauen Umständen des Angriffs. Die “Neue Zürcher Zeitung” nennt das Chaos aus Schutt und Leichen vor dem zerstörten Haus “eine bloße Darbietung für angereiste Journalisten!”

Alle drei Zitate aus “renommierten Blättern” sind falsch. SZ und FAZ berichten zwar beide über “Verschwörungstheorien” (SZ) und “Spekulationen” (FAZ) über die Umstände des Angriffs auf Kana. Weder in der SZ, noch in der FAZ tauchen in diesem Zusammenhang jedoch die Wörter “Propaganda” oder “Zweifel” auf.

Und die NZZ spricht zwar von “Propaganda” und “Zweifeln”, nennt das Chaos aber keineswegs selbst, wie “Bild” behauptet, “eine bloße Darbietung für angereiste Journalisten”, sondern zitiert diese Meinung nur — als “Vermutung” von “Beobachtern”.

Den gleichen Trick wendet “Bild” noch einmal an und schreibt:

Die FAZ berichtet über einen noch abscheulicheren Verdacht:

Unter Berufung auf die libanesische Internetseite “Libanoscopie” heißt es, dass die Hisbollah einen Raketenwerfer auf das Dach des Hauses gestellt und behinderte Kinder in das Gebäude gebracht habe.

“Bild” tut so, als habe die FAZ den Vorwurf übernommen, dabei referiert die FAZ ihn nur in indirekter Rede. Warum zitiert “Bild” nicht einfach die Originalquelle? Warum versucht sie, diese Originalquelle über den Umweg der FAZ aufzuwerten, wenn die FAZ keine Aussagen darüber trifft, ob sie dieser Quelle glaubt oder nicht?

Die “Bild”-Redakteure Julian Reichelt und Sebastian von Bassewitz fragen heute: “Wurde die ganze Welt durch die Hisbollah-Terroristen getäuscht?” Ganz anders als die von ihnen zitierten “renommierten Blätter” beantworten sie die Frage aber auch sogleich: “Wie die Terroristen der Hisbollah mit toten Kindern Propaganda machen”, “Auch den Ort ihrer schauderhaften Inszenierung wählte die Hisbollah geschickt”, “Das Kalkül der Hisbollah ging auf”.

Die “Bild”-Zeitung setzt der “Propaganda” der Hisbollah etwas entgegen, das sie “Fakten” nennt, und schreibt:

Fakt ist aber: Ausgerechnet aus Kana feuerte die Hisbollah unmittelbar vor dem jüngsten Angriff 150 Raketen auf Nordisrael — dadurch lenkten die Terroristen den Luftschlag der Israelis bewusst und gezielt auf den symbolträchtigen Ort.

Der zweite Teil dieses “Fakts” ist eine Vermutung. Und der erste Teil ist falsch. Laut Untersuchungsbericht der israelischen Armee wurden aus Kana und der Umgebung “seit 12. Juli” über 150 Raketen abgefeuert, also nicht “unmittelbar vor dem jüngsten Angriff”, sondern seit Beginn des Krieges. Dass die israelische Armee in dieser Hinsicht untertreibt, darf man ausschließen.

“Bild” schreibt weiter:

Fakt ist auch: Obwohl libanesische Behörden anfangs 56 Tote meldeten, fand das Rote Kreuz “nur” 28 Leichen.

Ähnlich hatte die Zeitung bereits gestern formuliert:

Die Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch” korrigierte die Zahl der Opfer, die am Wochenende im Dorf Kana bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden, auf 28 Tote. Arabische Quellen hatten von 56 Toten gesprochen.

“Bild” verschweigt nicht nur die massive Kritik, die “Human Rights Watch” bei der gleichen Gelegenheit an dem israelischen Vorgehen geübt hat, sondern vor allem auch, dass laut “Human Rights Watch” die Zahl von 28 Todesopfern eine “vorläufige” Zahl ist. 13 Menschen würden noch vermisst und liegen womöglich unter den Trümmern, die Bergungsarbeiten könnten aber nicht fortgesetzt werden. Der Unterschied zu den ursprünglichen Schätzungen rühre daher, dass mehr Menschen, die sich im Keller des bombadierten Hauses aufgehalten hatten, lebend entkommen seien als angenommen.

“Bild” suggeriert (möglicherweise zurecht), dass ursprünglich bewusst eine zu hohe Opferzahl genannt wurde. Und nennt stattdessen eine Zahl, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu niedrig ist, weil sie die Vermissten komplett verschweigt.

Keine Frage: Es ist fast unmöglich für die Medien, in einem Krieg wie diesem die Wahrheit von den Propagandalügen zu unterscheiden. Aber man kann versuchen, seine Leser so gut wie möglich zu informieren: Man kann Quellen angeben und korrekt zitieren. Man kann es vermeiden, sich Behauptungen einer der Parteien zu eigen zu machen. Man kann Spekulationen und Gerüchte als solche kennzeichnen. Und man kann darauf verzichten, den Verdrehungen der Beteiligten noch eigene hinzufügen.

Aber das müsste man erst einmal wollen.

Danke vor allem an Erich B.!

6 vor 9

Zu viele bleiben offline (welt.de)
Die größte Studie zur Internet-Nutzung in Deutschland zeigt: Beim Surfen kommen sich Frauen und Männer nicht näher. Auch der digitale Graben zwischen Ost und West ist groß.

Musik von unten (ftd.de)
Die Musikindustrie wächst und gedeiht – nur haben die großen Konzerne wenig davon. Es ist nicht nur das Internet, das ihnen Probleme bereitet: Vor allem der Siegeszug kleiner und unabhängiger Labels macht den Marktführern zu schaffen.

Die Zeit der Kopfjäger (spiegel.de)
Das soziale Internet, von dem die Netzgemeinde im Augenblick schwärmt, lebt von den Investitionen seiner Nutzer. Der Kampf der Profis, die Geld verdienen wollen, um die besten Köpfe hat jedoch bereits begonnen.

Journalisten recherchieren weniger als früher (netzeitung.de)
Medienschaffende verwenden heute weniger Zeit für das Zusammentragen von Fakten als noch vor zwölf Jahren, ergab eine Studie. Der Zeitaufwand für technische und organisatorische Tätigkeiten ist dagegen gestiegen.

Vom Reiz inszenierter Welten (tagesanzeiger.ch)
Warum haben Marken wie Starbucks so viel Erfolg? Sie suggerieren Weltoffenheit. Das Image ist wichtiger als die Qualität des Produktes.

Das verbotene Wort (tagesspiegel.de)
Neues Gesetz schränkt Presse in Russland weiter ein.

Symbolfoto XLI

“Bild” hat sie getroffen: Ibrahim, Fakhiri und Hassan, drei “mutmaßliche Mitglieder der ‘Neuköllner Killer-Boyz'”. Für einen “BILD-Report über die dramatisch steigende Brutalität unter Jugendlichen in Berlin”. Und “Bild” hat sogar Zahlen, Fakten — und ein Foto, auf dem man sieht, was die brutalen Jugendlichen so anstellen:

Nur den Hinweis, dass es sich dabei um ein Szenenfoto aus einem Spielfilm handelt, den hat “Bild” vergessen.

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