Suchergebnisse für ‘fakten’

Kommissar Reichelt und die “Bild”-Sheriffs üben Titelseiten-Selbstjustiz

Auch für Idioten gilt die Unschuldsvermutung. Auch Idioten müssen sich keine Vorverurteilung gefallen lassen. Auch Idioten sind nicht gleich “Verbrecher”, nur weil jemand ein Foto von ihnen gefunden hat, aus dem man ableiten könnte, dass sie eine Straftat begangen haben. Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte. Auch Idioten haben ein Recht am eigenen Bild.

Wir schreiben das so deutlich, weil die “Bild”-Redaktion das alles anders zu sehen scheint:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns. Bei “Bild” und Bild.de waren die Gesichter aller Personen zu erkennen.)

So sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. Die Fahndung nach den “G20-Verbrechern” erstreckte sich auch aufs Internet, prominent platziert bei Bild.de:

Insgesamt 18 Personen, die am vergangenen Wochenende irgendwas in Hamburg gemacht haben sollen, haben die “Bild”-Medien an den Pranger gestellt, mit vergrößerten Gesichtern und der Beschreibung von besonderen Merkmalen. Manche von ihnen sind beim Werfen eines Steins zu sehen, manche beim Tragen eines Steins. Eine Frau ist kurz davor, eine leere Cola-Flasche wegzuschleudern. Eine andere hat zwei volle Flaschen Kindersekt unter den Arm geklemmt. Was die Leute davor gemacht haben oder danach, wohin die Steine und Flaschen fliegen, die sie in den Händen halten, ob sie bei manchen überhaupt fliegen oder nicht doch wieder fallen gelassen werden — nichts davon ist bekannt, und nichts davon lösen “Bild” oder Bild.de auf.

Das alles ist gleich aus mehreren Gründen mindestens problematisch, teilweise wohl auch rechtswidrig. Es fängt an mit der Vorverurteilung durch die “Bild”-Medien. Bereits in der Titelzeile steht fest, dass es sich um “Verbrecher” handele (wobei schon das Wort “Verbrecher” falsch ist, weil es sich erst dann um ein Verbrechen handelt, wenn die Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr beträgt, etwa bei Mord oder schwerer Körperverletzung, nicht aber bei schwerem Landfriedensbruch — dort spricht man von einem Vergehen). Die Unschuldsvermutung, die für jeden Menschen gilt, gilt nicht bei “Bild”. Während man normalerweise erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung ein Straftäter ist, reicht für die Redaktion schon eine Momentaufnahme, um ein Urteil zu sprechen. Ein möglicher Kontext ist dabei völlig egal.

Und das ist dann auch schon das nächste Problem: Die “Bild”-Medien nehmen Rollen ein, die nichts mehr mit der normaler Berichterstatter zu tun haben. In guten Momenten werden Medien zur vierten Gewalt, weil sie die drei anderen Gewalten — Legislative, Exekutive und Judikative — überwachen. “Bild” reicht das offenbar nicht mehr. Stefan Niggemeier schreibt bei “Übermedien” dazu:

Die Zeitung übernimmt die Rolle des Fahnders, und sie maßt sich dabei gleichzeitig die Rolle des Richters an. Ihr Urteil über die Menschen, nach denen sie öffentlich fahnden lässt, ist schon gefällt, und ein Teil der Strafe in Form des öffentlichen Prangers schon vollstreckt.

Dass “Bild” überhaupt öffentlich nach Personen fahndet, sei “klar rechtswidrig”, sagt Dr. Marcel Leeser, Medienanwalt bei der Kölner Kanzlei “Höcker Rechtsanwälte”:

Öffentliche Fahndungsaufrufe müssen immer durch einen Richter angeordnet werden. Sie sind nur zulässig bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Nur in Notfällen dürfen auch Staatsanwaltschaft und Polizei die öffentliche Fahndung anordnen. Keinesfalls dürfen Private oder Medien im Alleingang Menschen zur Fahndung ausrufen.

Und dann gibt es noch das Recht am eigenen Bild. “Fotos von Demonstrationen oder der Begehung von Straftaten können zwar in vielen Fällen veröffentlicht werden”, sagt Leeser. Die Art und Weise, wie der “Bild”-Medien die Fotos präsentieren, mit Zoom auf die Gesichter, verletzte “aber eindeutig deren Recht am eigenen Bild.”

“Bild” und Bild.de tun den abgebildeten Personen Unrecht. Ohne dass je ermittelt wurde, was diese tatsächlich getan haben, stellen sie sie an den Pranger. Gerade erst am vergangenen Wochenende, ebenfalls aufgrund von Berichten über die Geschehnisse rund um den G20-Gipfel, konnte man sehen, wie das Missachten der Unschuldsvermutung nach hinten losgehen kann. Bild.de schrieb am Freitag über einen Böller, der vor einem Polizisten explodiert ist. Dazu veröffentlichte die Redaktion dieses im Original unverpixelte Foto:

Im Artikel steht dazu:

Auf einem der zahlreichen Randale-Bilder vom Freitag ist zu sehen, wie einer der Tausenden G20-Chaoten vor einem Beamten steht, der schwer verletzt in die Knie geht – der Mann hat dem Polizisten kurz zuvor einen Böller direkt ins Gesicht geworfen!

Das stimmt allerdings gar nicht. Der Mann, der auf dem Foto zu sehen ist, hat mit dem Böllerwurf nichts zu tun. Die Hamburger Polizei griff — auch wegen des Bild.de-Berichts — bei Twitter ein, weil man “einen Unschuldigen vor einer ‘Online-Hetzjagd’ schützen” wolle:

Bild.de fügte der Bildunterschrift später die Information hinzu, dass der Böller-Werfer nicht auf dem Foto zu sehen sei. Gelernt haben die “Bild”-Medien aus diesem Fall aber offenbar nichts, wie die Titelseiten von Montag eindrucksvoll zeigt.

Die “GESUCHT!”-Aktion hat bereits konkrete Folgen. Heute meldete “Bild” — sicher nicht ohne Stolz — auf der Titelseite: “GESTELLT!”, nachdem sich einer der Abgebildeten bei der Polizei gemeldet hat:

Max Hoppenstedt schreibt bei “Vice”, dass es auch erste Kopfgelder gibt, die von rechten Internetseiten ausgelobt wurden, auf Grundlage der bei der “Bild”-Fahndung gedruckten Fotos.

Stefan Koldehoff sieht beim “Deutschlandfunk” “die Unabhängigkeit der Presse” durch die “Bild”-Zeitung “massiv beschädigt”:

Ohne damit die Hamburger Gewalttäter auch nur ansatzweise verstehen und verteidigen zu wollen: Wer sich so verhält, wie es die “BILD-Zeitung” heute tut, bestärkt all jene, die in Medien ohnehin nur den verlängerten Arm des Staates – die angebliche “Staatspresse” — sehen. Und das kann ernsthaft niemand wollen. Die Unabhängigkeit der Presse hat “BILD” heute massiv beschädigt.

Und Medienanwalt Ralf Höcker weist im Interview mit “Meedia” darauf hin, dass die Vorverurteilung durch “Bild” und der mediale Pranger sich bei einem möglichen Strafverfahren gegen die abgebildeten Personen auf das Strafmaß auswirken könnte:

Mit ihrer journalistischen Amtsanmaßung machen die Chefredakteure Julian Reichelt und Tanit Koch es am Ende alles nur noch schlimmer. Sie tun möglicherweise Unschuldigen unrecht und sorgen gleichzeitig dafür, dass tatsächliche Täter mit einer geringeren Strafe davonkommen.

Trotz all dieser Bedenken findet “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch die Aktion ihrer Zeitung völlig in Ordnung. Sie beruft sich bei ihrem Urteil auf die “Vedachtsberichterstattung”:

Nun bedeutet “Verdachtsberichterstattung” eigentlich, dass man besonders zurückhaltend berichtet und extra kenntlich macht, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. “Bild” macht das exakte Gegenteil und spricht von “Verbrechern”. Entweder weiß Tanit Koch nicht, was “Verdachtsberichterstattung” bedeutet. Oder sie stellt sich extra blöd. Egal wie — es wäre recht traurig.

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an Martin, Jan, Christian M., Daniel W., Viktor F., Jens A. L., Kenneth W., Ion L., @r_ebener, @rainerzufall_le, @DJ_anzen und @gamgeaDavid für die Hinweise!

6-vor-9-Spezial: G20-Gipfel in Hamburg

1. BKA entzieht Journalisten G20-Zulassung – Presseverbände verlangen Klärung
(stern.de, Petra Gasslitter)
Während des G20-Gipfels entzogen Beamte des Bundeskriminalamtes mehreren Journalisten die Akkreditierung. Und zwar ohne Begründung und wiederholt. Beim Mediensekretär der Gewerkschaft Verdi hätten sich verschiedene Journalisten gemeldet, denen man die Akkreditierung abgenommen hätte. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, hat sich beim BKA beschwert. Dort heißt es in einer Stellungnahme: “Im Rahmen der Akkreditierung für den G20-Gipfel wird eine Sicherheitsprüfung durchgeführt.” Und weiter: “Das Bundespresseamt entscheidet gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden über einen möglichen Entzug der Akkreditierung. Das war in einigen Fällen gegeben.”
Auch der ARD-“Faktenfinder” berichtet über die Vorfälle: Keine Auskunft zum Ausschluss von Journalisten

2. Die Presse ist beim G20-Gipfel in Hamburg nicht mehr sicher
(huffingtonpost.de, Flo Smith)
Der Fotojournalist Flo Smith hat nach eigenen Angaben bereits an zahlreichen Brennpunkten der Welt als Reporter gearbeitet, unter anderem drei Jahre im Irak und in der Türkei bei den Gezi-Protesten. Und doch empfand er seine bisherigen Einsätze als “Ponyhof” im Vergleich zu dem, was er in Hamburg erlebt hätte: Ihm und seinem Kameramann sei von einer Polizistin mit voller Absicht und dem Kommentar “”Fuck the press, fuck, fuck!” Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden.

3. Kampf gegen “Online-Hetzjagd”
(faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann)
Im Zuge der Auseinandersetzungen um den G20-Gipfel kam es in den sozialen Medien mehrfach zu Falschmeldungen und Gerüchten. In Hamburg wurden zum G20-Gipfel beispielsweise keine Panzer eingesetzt, es gab keinen Angriff auf ein Krankenhaus, die “Rote Flora” wurde nicht gestürmt und Tote gab es bei den Krawallen auch nicht. Doch derartige Falschmeldungen wieder einzufangen ist nicht einfach. Die Hamburger Polizei habe es durch Richtigstellungen auf Twitter versucht, während die “Deutsche Polizei-Gewerkschaft” (DPolG) und “Bild” dafür gesorgt hätten, dass sich die Falschmeldungen munter weiter verbreiten.

4. Journalisten in Demos – wie funktioniert das?
(ennolenze.de)
Enno Lenze erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen als Journalist auf politischen Demonstrationen, ob links oder rechts. Von der Polizei sei er fast immer ordentlich behandelt worden und sogar mehrfach am Rande von Demos eskortiert worden, wenn er aus der Menge bedroht wurde. Sein Fazit: “Insofern bin ich mit dem System zufrieden – es müssen aber alle Beteiligten ihre jeweiligen und wenigen Kriminellen outen und der Strafverfolgung zuführen.”

5. Selfie vor Krawallkulisse
(spiegel.de)
Das Bild des jungen Manns, der sich mit seinem iPhone vor dem Lagerfeuer der Kapitalismusgegner fotografiert, verbreitete sich rasend schnell im Netz. Viele bezweifelten die Echtheit des Bildes und unterstellten eine Photoshop-Montage. Doch dem sei nicht so: “Eine Prüfung der Metadaten des Bildes deckt sich mit den Angaben des Fotografen zum Entstehungszeitpunkt und Aufnahmeort. Eine einfache fotoforensische Analyse unserer Bildredaktion liefert keine Anhaltspunkte für eine Manipulation. Bei Twitter melden sich Personen zu Wort, die die Szene mit eigenen Augen gesehen haben wollen.” Mittlerweile hat sich das Bild des “Riothipsters von der Schanze” zu einer Art Meme entwickelt.

6. Mein Abend mit Ivanka
(abendblatt.de, Ulrich Gassdorf)
Zum Abschluss die Einladung zu einer Runde Fremdschämen: Der Chefreporter des “Hamburger Abendblatts” berichtet in einer Sternstunde des Journalismus über seine Begegnung mit Ivanka Trump in einem Hamburger Restaurant.

Polizeigewerkschaft liefert Zündstoff für Medienhasser

Die “Tagesschau” von gestern Abend war noch nicht mal zu Ende, da twitterte der Berliner Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG):

Der Tweet machte rasch die Runde, bisher wurde er über 1.000 Mal retweetet und sammelte mehr als 200 Antworten — von denen sehr viele so klingen:

Tja, liebe @tagesschau, schon scheiße, wenn euerLügengebilde anfängt zu bröckeln... Könnt Ihr morgens eigentl. noch in den Spiegel schauen?

Die Art und Weise wie Linke 'Journalisten' die Polizei öffentlich im GEZ-Funk verleumden, widert mich an!

Diese Schrottpresse, finanziert von Steuergelder, berichtet nur einseitig von Aktivisten. Da sind verletzte Polizisten nur störend...

Kann man Medien eigentlich verklagen wegen falscher Berichterstattung? Aber würd nix nützen, Schaden ist angerichtet. [Wütender Smiley]

Kein Respekt vor verletzten Polizisten! Das wahre Gesicht der Tagesschau! Schämt euch!

Diese Scheißsender müssen endlich weg !!! Dafür berichtet die Auslandspresse um so mehr über die verletzten Polizisten. #LandohneKontrolle

Dass nennt man wohl auf neudeutsch #FakeNews... Die @tagesschau ist die neue aktuelle Kamera

Liebe Polizei, sollte einer dieser Linken-ARD-Marktschreier Eure Hilfe benötigen, dann lasst ihn einfach links liegen. #Linksfaschismus

Bloß: In der “Tagesschau” wurde sehr wohl über verletzte Polizisten berichtet:

Neben friedlichen Protesten gab es in verschiedenen Stadtteilen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Vermummte steckten Autos in Brand und zerstörten Fensterscheiben. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und forderte weitere Verstärkung aus dem Bundesgebiet an. Auf beiden Seiten gab es zahlreiche Verletzte.

Danach wurden die gewalttätigen Angriffe auf die Polizei noch mehrfach erwähnt; es seien “Flaschen, Böller, Gegenstände” auf Polizisten geworfen worden. Auch der zugeschaltete Reporter vor Ort sagte:

Wir haben gesehen, wie Flaschen und andere Gegenstände auf die Polizei geflogen sind.

Im anschließenden “Brennpunkt” der ARD wurde das sogar noch deutlicher: Dafür hatte eine Reporterin den ganzen Tag lang eine Einheit der Bereitschaftspolizei begleitet. Im Beitrag unter anderem zu sehen: Wie die Polizisten mit Fahrrädern, Flaschen und Böllern beworfen werden; verletzte Polizisten, die auf dem Boden liegen; Polizisten, die versuchen, ihre verletzten Kollegen aus der Menge herauszubringen.

Heute Morgen legte die Berliner DPolG noch einmal nach:

Begrüßenswert wäre es, wenn auch Polizeigewerkschafter Medienkritik an Fakten festmachen würden und nicht an falschen Unterstellungen.

Medien verbreiten Ehe-für-alle-Unsinn der AfD

Wenn Sie gestern eine Runde auf deutschen Online-Nachrichtenseiten gedreht haben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch auf diese Schlagzeile hier gestoßen sind:


(“Spiegel Online”)

Oder auf diese:


(Stern.de)

Oder diese:


(Welt.de)

Oder auf eine von diesen:


(FAZ.net)

(“Focus Online”)

(Morgenpost.de)

(“Deutschlandfunk”)

(derstandard.at)

(Express.de)

(FR.de)

(rp-online.de)

(Merkur.de)

(derwesten.de)

(maz-online.de)

(rbb-online.de)

(orf.at)

Die Liste ließe sich noch lange weiterführen — es stand gestern so gut wie überall, auch weil Agenturen die Nachricht übernommen und verbreitet haben: Die AfD prüfe, ob sie die gerade erst im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” vor dem Bundesverfassungsgericht verhindern könne.

Als Ursprung für diese Neuigkeit nennen die Artikel, die hinter den oben aufgeführten Titelzeilen stecken, alle die gleiche Quelle: “Bild am Sonntag”. Die “BamS”-Redaktion hatte die AfD-Info gestern, beziehungsweise online bereits vorgestern am späten Abend, exklusiv:

Die AfD plant, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und die am Freitag im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” zu kippen. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland (76) zu BamS: “Wir prüfen derzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Ich bin für einen solchen Schritt. Die Ehe für alle bedeutet eine Wertebeliebigkeit, die unserer Gesellschaft schadet.”

Nun kann die AfD das so sehr wollen und planen und prüfen, wie sie mag — sie kann nicht wegen der “Ehe für alle” vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Wie Patrick Gensing bereits gestern am Nachmittag beim ARD-“Faktenfinder” schrieb, gibt es verschiedene Wege, die dazu führen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Gesetz beschäftigt. Im Fall der “Ehe für alle” kommt eigentlich nur die abstrakte Normenkontrolle in Frage. Und die kann nicht von jedem einfach so beantragt werden. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu:

Der Antrag kann nur von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages gestellt werden. Bürgerinnen und Bürger sind in dieser Verfahrensart nicht antragsberechtigt.

Die AfD sitzt zwar in einigen Landesparlamenten, sie gehört aber weder der Bundesregierung noch einer Landesregierung an, und keiner ihrer Mitglieder ist aktuell Bundestagsabgeordneter. Über die abstrakte Normenkontrolle kann sie eine Überprüfung der “Ehe für alle” durch das Bundesverfassungsgericht derzeit nicht beantragen.

Eine Verfassungsbeschwerde, die auch einzelne AfD-Mitglieder initiieren könnten, macht bei der “Ehe für alle” auch keinen Sinn. Denn dazu schreibt das Bundesverfassungsgericht:

Die beschwerdeführende Person muss selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen sein.

Und wer soll schon ernsthaft in seinen Rechten betroffen sein, weil nun auch Frauen Frauen und Männer Männer heiraten können sollen und sonst durch die “Ehe für alle” niemandem etwas weggenommen wird?

All das hätten auch die zwei “Bild am Sonntag”-Autoren herausfinden können, bevor sie (und in der Folge all die anderen Redaktionen, die auch nicht recherchierten) der AfD riesige Werbeflächen für eine Null-und-nichtig-Ankündigung einräumten.

Antisemitismus-Doku, Ausgesperrt, Macrons Mediendistanz

1. “Haben Sie nicht!” – “Haben wir doch!”
(sueddeutsche.de, Matthias Drobinski)
Nun wurde sie doch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt: Die umstrittene Antisemitismus-Doku “Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf die Juden in Europa“. Der TV-Sender „Arte“ hatte die Ausstrahlung verweigert, es gebe handwerkliche Mängel. Nachdem „Bild“ den Film für 24 Stunden online gestellt hatte, ist die „ARD“ nachgezogen und hat die Doku gesendet. Jedoch mit eingeblendeten Hinweisen auf den online abrufbaren Faktencheck der WDR-Redaktion mit 29 kritischen Anmerkungen. Danach wurde sich bei Sandra Maischberger zum Talk zusammengesetzt, wo der Streit teilweise ins Absurde abgerutscht sei.

2. Fernsehen wird zum Luxusgut
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Wird Fernsehen zum Luxusgut? In Bezug auf manches Sportevent schon, wie der Rechtepoker um die Champions League beweist. Die Öffentlich-Rechtlichen werden nicht nur vom Privatfernsehen, sondern auch von Streamingdiensten bedrängt: „Während einst die billigen Plätze vor der Glotze waren, sind sie heute in den algorithmischen Endlosschleifen auf Facebook oder Youtube. Die Bezahlschranke wird zum sozialen Selektionskriterium. Wer sich die Zusatzgebühr für die Zaubertricks von Messi und Co. nicht leisten kann oder will, schaut am Ende in die Röhre.“

3. Märchenprinz mit Kennedylächeln
(deutschlandfunk.de, Jürgen König)
Der französische Präsident Emmanuel Macron hält Distanz zu den Medien. Manche werfen ihm dies als überzogene Kontrolle und Zensur vor, manche loben es als notwendige und längst fällige Wende im Umgang mit den Medien. „Das Ansehen der Presse ist schlecht in Frankreich – wie das der Politik. Es sind nicht wenige Franzosen, die Journalisten und Politiker der Kumpanei bezichtigen. Vielleicht geht Präsident Macron auch deshalb auf so deutliche Distanz.“

4. Warum wir Terrorbilder trotzdem zeigen
(nzz.ch, Peter Rásonyi)
Dürfen Medien Bilder von Terroranschlägen zeigen oder verbreiten sie damit nur noch mehr Schrecken und machen sich womöglich zu Komplizen der Terroristen? Die „NZZ“ würde Bilder zeigen, aber im Einzelfall abwägen. „Trotzdem ist unvermeidlich, dass dies stets in Grauzonen erfolgt. Das Ergebnis einzelner Entscheidungen kann von Lesern unterschiedlich empfunden werden. Wir sind uns dessen bewusst und stellen uns gerne dem Dialog mit ihnen.“

5. Sächsische Zeitung: Reporter bei Konsum-Bilanz-PK ausgesperrt
(flurfunk-dresden.de)
Die „Konsum Dresden Genossenschaft“ hat einen Journalisten der „Sächsischen Zeitung“ von ihrer Bilanzpressekonferenz ausgeschlossen. Ohne Begründung wurde ihm der Zugang zur Veranstaltung verwehrt. Der vermutete Hintergrund: Der Journalist hatte in der Vergangenheit kritisch über das Unternehmen berichtet. „Sächsische Zeitung“ und die Landespressekonferenz LPK haben das Verhalten der Konsum Genossenschaft kritisiert und missbilligt.

6. Schlag ins Gesicht
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Ab Freitag zeigt Netflix die Doku „Nobody Speak: Trials of the Free Press“. Im Kern geht es um den bizarren Rechtsstreit zwischen dem früheren Profi-Wrestler Hulk Hogan und der Klatsch-Website „Gawker“, die Ausschnitte eines privaten Sexvideos mit Hogan gezeigt hatte. Hogan hatte daraufhin das Portal verklagt und bekam 140 Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen. Eine Summe, die „Gawker“ in die Pleite riss. Später stellte sich heraus, dass der Silicon-Valley-Milliardär und Paypal-Gründer Peter Thiel den Rechtsstreit finanziert hatte. Wohl angetrieben von persönlichen Rachegedanken gegenüber der Plattform, die ihn einst geoutet hatte.

Gratis-“Titanic” gegen Gratis-“Bild” reloaded

Morgen könnte, wir berichteten bereits gestern darüber, in Ihrem Briefkasten eine Gratis-“Bild” stecken. Bisher hatten sie dann vier Möglichkeiten bei Ihrem weiteren Vorgehen:

  • alles völlig egal finden
  • den Briefkasten nie wieder leeren
  • genüsslich die “Bild”-Zeitung lesen

Dank der Partei “Die PARTEI” gibt es seit heute aber noch eine fünfte Möglichkeit: Sie können Ihre Gratis-“Bild” gegen eine Gratis-“Titanic” tauschen. Zumindest, wenn Sie morgen zwischen 13 und 18 Uhr in Hannover sind (weitere Orte siehe “Nachtrag” weiter unten).

In einer Pressemitteilung von heute unterbreitet “Die PARTEI Hannover” folgenden Vorschlag, was Sie morgen mit Ihrem Gratis-“Bild”-Exemplar anfangen könnten:

Der Axel-Springer-Verlag wird am morgigen Donnerstag, den 22.06.2017, erneut an alle Haushalte in der BRD ungefragt eine Bildzeitung zustellen. Doch was tun mit einem Geschenk, das doch eigentlich keiner will? (…)

Eine wünschenswerte Heizstoffspende nach Syrien oder Irak kommt aus logistischen Gründen nicht in Frage, so dass sich Die PARTEI Hannover mit Hilfe ihres exklusiven Sponsors, dem Titanic-Magazin, eine praktikable Lösung des Papierproblems erdacht hat und der Bevölkerung folgendes großzügige Angebot unterbreitet:

Die PARTEI Hannover wird am morgigen Donnerstag, den 22.06.2017 (direkt am Kröpcke, zwischen 13.00 – 18.00h) jede* (in Versalien: JEDE*) “Gratisbild” gegen eine Ausgabe des Faktenmagazins der Marke “TITANIC” umtauschen. Ohne Wenn und Aber!*

* Solange der Vorrat reicht! Danach werden bereits eingenommene Gratis-BILD-Zeitungen gegen Gratis-BILD-Zeitungen getauscht. Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen, max. 3 pro Person!

Also, an alle Hannoveranerinnen und Hannoveraner: Morgen tagsüber ab zum Kröpcke und sich endlich mal ein ordentliches journalistisches Produkt sichern.

Und ja: Dieses Angebot ist ernst gemeint, wie uns auf Nachfrage bestätigt wurde. Vor knapp drei Jahren gab es schon einmal eine große, erfolgreiche “Bild”-gegen-“Titanic”-Tauschaktion.

Nachtrag: An folgenden Orten können Sie am Donnerstag, 22. Juni, ebenfalls die Gratis-“Bild” gegen eine Gartis-“Titanic” eintauschen:

  • Göttingen: 13:15 bis 16:45 Uhr, Reinhäuser Landstr. 4, Raum 232 P² Fraktion

Missglückte taz-Landschaften, Assange-Doku, Gläserne Gesetze

1. Das ging daneben
(taz.de, Georg Löwisch)
Der “taz”-Titel zu Helmut Kohls Tod (“Blühende Landschaften”) hat viele kritische Reaktionen hervorgerufen. Auch “taz”-Chefredakteur Georg Löwisch hält den Titel für missglückt. Man hätte einen Kontrapunkt zu all den verklärenden Lobhudeleien setzen wollen. Das sei jedoch danebengegangen.

2. Welchen Fakten können wir trauen?
(philomag.de, Philipp Felsch)
Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston und der Investigativjournalist Georg Mascolo haben sich über die Krise der Wahrheit in der Ära Trump unterhalten. Ein Gespräch, für das man sich etwas Zeit nehmen sollte und das viele interessante historische und philosophische Themen anschneidet wie den Vergleich der Historikerin: “Die Flugblätter der Reformationszeit lassen sich mit einer Webseite wie Breitbart News vergleichen. Es hat über 200 Jahre, also bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gedauert, bis Verfahren etabliert waren, mit denen sich wahre von falschen Informationen unterscheiden ließen. Ich hoffe, wir sind in der Lage, heute schneller an dieses Ziel zu gelangen.”

3. Neues Transparenz-Portal eine wahre Fundgrube
(djv.de, Anna-Maria Wagner)
Als eine wahre Fundgrube für recherchierende Journalisten und alle anderen, die sich beruflich oder privat für Lobbyismus interessieren, bezeichnet Anna-Maria Wagner das neue Transparenz-Portal “Gläserne Gesetze”, eine Gemeinschaftsproduktion von “fragDenStaat.de” und “abgeordnetenwatch.de”. Das Ziel der Datenbank: Den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung transparent machen und sichtbar machen, wenn Forderungen von Interessenvertretern in Gesetzestexte übernommen wurden. Bereits jetzt gäbe es dort 17.000 dokumentierte Fälle, in denen Lobbyisten an Gesetzen mitgewirkt hätten.

4. Landespolizei kontrolliert Beamte
(kn-online.de, Bastian Modrow)
Die Schleswig-Holsteinische Landespolizei hat im Zuge der sogenannten “Rocker-Affäre” die Kontrolle ihrer Beamten massiv ausgeweitet. Angeblich wird die gesamte Internetkommunikation im Bereich des Innenministeriums seit Anfang April protokolliert. Darüber hinaus würden Polizisten überprüft, die in Verdacht stehen, Kontakt mit kritischen Journalisten, Politikern und Rechtsanwälten zu pflegen. Nach Angaben von leitenden Polizisten ginge es vornehmlich darum, „singende Ratten“ zu identifizieren – so würden demnach im Führungsstab des Landeskriminalamts (LKA) Kiel jene Beamte genannt, die im Zuge der Rocker-Affäre mit Presse und Politikern Kontakt haben.

5. Standortfrage
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Europa gerät dort an seine Grenzen, wo Wirtschaftsinteressen berührt sind. Nachdem die EU schon Schritte gegen Roaminggebühren und Geoblocking unternommen hat, will sie nun den grenzüberschreitenden Zugriff auf Mediatheken von TV-Sendern erleichtern. Dagegen protestiert die Filmwirtschaft, die ihr Geschäftsmodell bedroht sieht.

6. Kein normaler Mensch
(zeit.de, Monika Ermert)
Die oscarprämierte Filmemacherin Laura Poitras hat eine neue Doku gedreht, in der es um Wikileaks und das Gesicht der Enthüllungsplattform geht: Julian Assange. Wie nicht anders zu erwarten, gab es auch Kritik an dem Film beziehungsweise an der Darstellung der porträtierten Personen. Für “Zeit”-Autorin Monika Ermert jedoch kein Grund, dem Kino fernzubleiben: “Auch wenn Poitras schon viel Schelte für den Film bezogen hat, sehenswert ist das Stück für alle, die sich für die Figuren rund um WikiLeaks interessieren, allemal.”

100 Tage “Bild”-Ombudsmann: Die Redaktion hat alles richtig gemacht

Schampus raus, es gibt was zu feiern!

Am 22. Februar machten “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch und “Bild”-Chefchef Julian Reichelt den früheren Intendanten des “Deutschlandradios” Ernst Elitz zum “Bild”-Ombudsmann.

Und seitdem?

Die Festschrift, die heute in der “Bild”-Zeitung und gestern Abend bereits bei Bild.de erschienen ist, bietet leider kein brauchbares 100-Tage-Resümee. Stattdessen hat der Jubilar selbst ein tolles Geschenk mitgebracht:

Viele Leser wünschen sich mehr Möglichkeiten, ihre Meinung zu äußern. Da in der Zeitung der Platz für Leserbriefe begrenzt ist, habe ich die Chefredaktion gebeten, zusätzlich Leserbriefe bei BILD.de zu veröffentlichen. Das klappt: Sie finden mehr Leserbriefe ab heute unter http://www.bild.de/ombudsmann

Mit dem Elitz als Ombudsmann — da bewegt sich richtig was bei “Bild”. Und so werden jetzt endlich auch solche Leserbriefe veröffentlicht:

Zu: Kann die weg? Oder brauchen wir die Ein-Cent-Münze noch?

Im Portemonnaie nerven sie. Aber abschaffen würde ich diese nicht. Ich lege die Ein-Cent-Stücke immer beiseite und bringe sie zweimal im Jahr zur Bank.
[anonym]

Oder diese zwei fundierten Debattenbeiträge:

Zum Kommentar: Letzte Chance für die SPD

Die SPD kommt noch aus den Puschen!
Wolfgang J[.]

Die SPD ist wie 1860 München. Schnell geht es abwärts.
Klaus Guido S[.]

Doch zurück zur 100-Tage-Bilanz von Ernst Elitz. Tanit Koch und Julian Reichelt schrieben im Februar an ihre Leserinnen und Leser: “Wir wollen, dass Sie bei uns Gehör finden, wenn Sie sich über uns ärgern oder etwas falsch dargestellt sehen. Wir wollen, dass Sie unseren Fakten nicht nur vertrauen, sondern sie transparent nachvollziehen können. Wir wollen von Ihnen hören, wenn Sie meinen, einen Fehler entdeckt zu haben.”

Hat das geklappt? Hat die Leserschaft Gehör gefunden? Hat der Ombudsmann die kritischen Fragen, die ihn erreicht haben, ernstgenommen?

Hier eine Auswahl von Ernst Elitz’ Urteilen zur “Bild”-Berichterstattung:













Der “Bild”-Ombudsmann ist ein schlechter Witz.

Elitz schreibt, ihn erreichen 150 Briefe von Leserinnen und Lesern pro Woche. 100 Tage ist er im Amt, also etwas mehr als 14 Wochen. Bei über 2000 Leserhinweisen hat er es nicht hinbekommen, irgendetwas rauszufischen, das wenigstens den Anschein eines Fehlers oder Verstoßes durch die “Bild”-Redaktion besitzt. Die heftigste Kritik äußerte der Ombudsmann, als “Bild” nach dem Champions-League-Viertelfinale aus Fußballer Cristiano Ronaldo “der verfluchte Cristiano Ronaldo” machte:

Das “verflucht”, als Ronaldo die Bayern aus dem Halbfinale schoss, war in der Redaktion selbst umstritten. Ich bin bei denen, die diese Wortwahl nicht für angemessen halten. Bitte fair nicht nur auf dem Rasen, sondern auch beim Spiel mit Worten!

Hui!

Dabei hätte es in den vergangenen 100 Tagen zahlreiche kritische Texte vom Ombudsmann geben können, wenn Ernst Elitz seiner Aufgabe ernsthaft nachgegangen wäre, und wenn “Bild” ein ehrliches Interesse daran hätte. Elitz hätte beispielsweise darüber schreiben können, wieso die Redaktion Fotos von Jugendlichen verbreitet, die seit dem Attentat in Manchester verschwunden sein sollen, obwohl sie zum Zeitpunkt der Tat gar nicht in der Stadt waren. Oder ob er es für richtig hält, dass Bild.de findet, “Mädels” sollten ihrem Sexpartner “den Gefallen” tun, das Kondom mit dem Mund überzuziehen. Oder wie Bild.de darauf kommt, dass es für den Verdächtigen beim Anschlag auf den BVB um Millionen von Euro ging. Warum Bild.de auf einen Witz aus Island reinfällt. Wieso die “Bild”-Medien über die Figur eines Angeklagten witzeln, obwohl dessen Körpergewicht nichts mit dem Fall zu tun hat. Warum “Bild” eine falsche Ursache zum Tod eines 14-Jährigen in Umlauf bringt. Ob er es gut findet, dass Bild.de die Beleidigung “Mongo” auf der Startseite verbreitet. Ob er es für angemessen hält, Fußballer als “Flaschen” zu bezeichnen. Wieso Bild.de auf eine gestellte Hoverboard-Explosion reinfällt. Wie Bild.de und “Bild am Sonntag” auf ihre falsche Ein-Sekunden-Theorie beim Bombenattentat auf den BVB kamen. Ob Norbert Körzdörfers Aussage tatsächlich so rassistisch ist, wie man sie verstehen kann. Oder warum Bild.de und “Bild am Sonntag” falsche Informationen über eine Frau, die im Koma liegt, veröffentlichen.

Über all das hätte Ernst Elitz in den vergangenen 100 Tagen schreiben können. Stattdessen hat er die “Bild”-Medien lieber gelobt.

Mehr über den “Bild”-Ombudsmann:

Heilige Hetzjagd, Verlags-Datenräuber, In-Ear-Trump

1. AfD, Broder und Tichy verleumden Margot Käßmann als Rassistin
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Boris Rosenkranz nennt es eine “heilige Hetzjagd”, was die AfD in den letzten Tagen mit der Theologin Margot Käßmann veranstaltet hat. Mit einem vermeintlichen Zitat wollte man ihr Rassismus andichten, doch das gegen sie verwendete Zitat war aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellend verkürzt. Die Verleumdungsbotschaft wurde bereitwillig unterstützt von rechten Blogs und Foren und Personen wie Henryk M. Broder (“Die Welt”) oder Roland Tichy (“Tichys Einblick”), aber auch Leuten wie der ehemaligen CDU-Politikerin Erika Steinbach und der Berliner AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch. Boris Rosenkranz hat sich Inhalte und Form der Käßmann-Kampagne näher angeschaut und analysiert. Mittlerweile hat sich auch der Faktenfinder der “Tagesschau” mit dem Vorgang beschäftigt und auch auf der neuen Plattform “Fearless Democracy” gibt es eine Aufarbeitung des Falls mit einer Visualisierung des Twitterverhaltens: Wie sowas läuft: Ein Blick in Margot Käßmanns Shitstorm

2. E-Privacy-Verordnung: Verlage wollen Leser beim Tracking entmündigen
(netzpolitik.org, Markus Reuter )
In einem offenen Brief an das Europäische Parlament haben sich einige europäische Verlage (darunter aus deutscher Sicht die “FAZ”, die “Zeit”, “Gruner + Jahr” und die “SZ”) gegen die neue ePrivacy-Verordnung der EU gewandt. Stein des Anstoßes ist eine Passage, die es Nutzern erlaubt, das Werbetracking auf Webseiten zu unterbinden. Darin sehen die Verlage eine Gefährdung ihrer Einnahmequellen. Markus Reuter ordnet das Ganze aus netzpolitischer Sicht ein. Beim Thema Datenschutz würden sich die Verlage einmal mehr als Gegner der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern zeigen.

3. Breitbart stürzt ab
(deutschlandfunknova.de, Diane Hielscher & Martina Schulte)
Donald Trump hat seinen Wahlsieg auch dem rechten Medienportal “Breitbart” zu verdanken, das unablässig für ihn trommelte und seine Gegner niederschrieb. Nach seiner Inauguration ernannte Trump den damaligen Chefredakteur Steve Bannon zu seinem zukünftigen Berater und Chefstrategen. Man hätte meinen können, dass “Breitbart” nun zum neuen Mediengigant der Trump-Ära wird, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Reichweite der Seite ist dramatisch gesunken. Martina Schulte ist dem Phänomen nachgegangen.

4. Tagesschau-Chefredakteur wartet vergeblich auf Trolle
(faz.net, Frank Lübberding)
“ARD-aktuell”-Chef Kai Gniffke hat Hasskommentatoren zu sich in den Videochat eingeladen, doch es kam keiner. Kein Wunder, findet Frank Lübberding: “Es gehört zu den kulturellen Codes einer funktionierenden Gesellschaft, nicht jedem alles ins Gesicht zu sagen. Nicht jede Wahrheit (oder auch Lüge) auszusprechen, erleichtert das menschliche Zusammenleben. Das Lästern hinter dem Rücken der Betroffenen hat das noch nie verhindert. Diese Erfahrung wird man sicherlich auch in den diversen ARD-Redaktionen schon gemacht haben. Trotzdem wirkte Gniffke regelrecht enttäuscht, warum keiner der Hasskommentatoren dieses Gesprächsangebot namens „Sag’s mir ins Gesicht“ angenommen hatte. Er wurde weder beleidigt, noch hat ihm ein Zuschauer seinen Hass auf die ARD erklärt.” Nachtrag: Mittlerweile hat sich auch Anja Reschke im Life-Chat ihren Kritikern gestellt. Auf “tagesschau.de” gibt es ein Interview mit Reschke: “Ich bin keine ARD-Marionette”.

5. Donald Trumps (fast) unsichtbarer Kopfhörer
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Hat Donald Trump tatsächlich nicht zugehört, als der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni über Afrika sprach? Trump trug schließlich keine direkt sichtbaren Kopfhörer für die Simultanübersetzung wie viele der Anwesenden. Viele Medien nahmen dies als Anscheinsbeweis, doch so einfach ist die Sache nicht wie Stefan Niggemeier auf “Übermedien” ausführt.

6. Klarstellung in Sachen “Die Hölle erwartet euch”
(facebook.com, Mathias Richel)
Vielleicht haben Sie das Bild gesehen, das die letzten Tage viral ging: Ein Mann hält eine Art selbstgebasteltes Transparent hoch, auf dem er einer wirr zusammengesetzten Zielgruppe (“Säufer, Lügner, Partytiere, Drogen-Freaks, Ehebrecher, Porno-Freaks, Selbstbefriediger, Huren, Diebe, Zauberer, Lästerer, Heuchler, Homosexuelle, Habsüchtige, Götzendienen, Feministen, Falsche Christen, Atheisten”) zuruft: “Die Hölle erwartet euch”.
Das Bild wurde oft fälschlicherweise dem Kirchentag in Berlin zugeordnet, ist jedoch beim DFB-Pokalfinale entstanden, wie Mathias Richel anmerkt, der das Foto direkt vor dem Stadion geschossen hat. “Mir ist vollkommen klar, dass dieser erklärende Beitrag hier fast niemanden von denen erreichen wird, die jetzt mit dem Bild beweisen wollen, dass die Christen auf dem Kirchentag nicht alle Tassen im Schrank haben. Aber ich will wenigstens alles dafür getan haben, damit dieses Bild zunächst einmal genau das nur für diesen Mann belegt und nicht andere fälschlicherweise mit dem verrührt werden.”

Nicht-Fake-Studie, Terror-TV, GNTM-Finale

1. “Das ist mindestens verleumderisch”
(spiegel.de, Peter Maxwill)
Im Auftrag der Bundesregierung haben Politologen des “Göttinger Instituts für Demokratieforschung” den Fremdenhass in drei ostdeutschen Orten untersucht. In der “Welt” wurden schwere Vorwürfe gegen die Studie erhoben. “In dieser Regierungsstudie wurden sogar Gesprächspartner erfunden” hieß es dort in der Überschrift. Peter Maxwill ist den Vorwürfen nachgegangen: “Der SPIEGEL kennt den Namen des angeblich erfundenen Gesprächspartners sowie die Audioversion des Interviews – und es gibt nach derzeitigem Stand keinen ernstzunehmenden Zweifel daran, dass die Politologen Danny Michelsen und Michael Lühmann dieses Gespräch tatsächlich geführt haben.”

2. Anschlagsopfer! Und die Kriegsopfer?
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche prangert die Terror-Berichterstattung der Medien an und stellt ein paar unbequeme Fragen: “Warum lösen vereinzelte (Terror-)Anschläge in Europa in den Medien und bei den Politikern eine derart breite Resonanz aus, während die vielen zivilen Opfer von Kriegen nur selten eine Erwähnung finden? Warum wird nicht heftig darüber debattiert, wie Kriege beendet werden können? Und warum nicht darüber recherchiert und informiert, wer die Kriege finanziert und wer die Waffen liefert? Schürt die Art und Weise der Information über die Terroranschläge in Europa irrationale Ängste, welche Regierungen dazu ausnützen können, Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger ungebührlich einzuschränken?” Nachtrag, 15:39 Uhr: Wir haben den Link zum Text von Urs P. Gasche hier in die Sammlung genommen, weil wir die Fragen, die er stellt, richtig und wichtig finden (deswegen auch der Fokus in unserem Teaser auf “ein paar unbequeme Fragen”). In seinem Artikel trifft Gasche allerdings auch Aussagen (zum Beispiel: “Nach der rücksichtslosen Vertreibung des IS aus dem syrischen Aleppo durch die Russen”), die mindestens fragwürdig, wenn nicht völlig falsch sind. Nach Hinweisen unserer Leser bleiben wir dabei, dass es sich lohnt, über die Fragen, die Gasche stellt, nachzudenken. Den Rest seines Textes sollte man sehr kritisch lesen.

3. „Vom Völkermord berichten“
(taz.de, Dominic Johnson)
Dominic Johnson, Ressortleiter Ausland bei der “taz”, wirft einen Blick zurück ins Jahr 1994 als der Völkermord in Ruanda begann. Damals war es noch schwierig, an Informationen zu gelangen, also schickte die “taz” ihre Ostafrika-Korrespondentin Bettina Gaus auf den Weg. Johnson lässt die damalige Berichterstattung Revue passieren und diskutiert den Begriff der “Gegenöffentlichkeit”, der für ihn mehr denn je heißt: “Selber nachsehen.”

4. «Der mediale Overkill spielt den Terroristen in die Hände»
(tagesanzeiger.ch, Philippe Zweifel)
Das Schweizer Fernsehen verzichtete auf eine Sondersendung zum Terroranschlag in Manchester, was ihm von vielen Zuschauern als mediale Fehlleistung vorgeworfen wurde. Im Interview erklärt der SRF-Chefredakteur seine Beweggründe: “Der mediale Overkill in den westlichen Medien, an dem auch SRF beteiligt ist, spielt den Terroristen letztlich in die Hände. Dem wollten wir etwas entgegensetzen. Einen ersten bewussten Entscheid fällten wir schon letzten Sommer, nämlich die Namen und Bilder von Attentätern nicht mehr zu publizieren. Der «Tages-Anzeiger» und zuvor die Zeitung «Le Monde» gingen uns da ja mit gutem Beispiel voran. Den «Heldenstatus» erreichen die Täter nur, wenn die Medien mitmachen und ihre Namen und ihre Gesichter in die Welt tragen.”

5. Donald Trumps Symbiose mit den Medien
(de.ejo-online.eu, Maximilian Hempel & Andreas Neukam)
Unlängst hat der amerikanischer Journalismus-Professor Robert Byrd im Sendezentrum des ZDF einen Vortrag „Enemy of the People? Trump, ‚Fake News‘ and the Press“. Die deutschen Medien, so sein Credo, sollten aus den Fehlern der US-Medien lernen und sich nicht von Trump zu einer Reality-TV-Show verwandeln lassen. Byrd wünscht sich, dass die Nachrichtenkanäle wieder mehr Wert auf Fakten setzen und weniger auf Emotionen und appelliert an die Journalisten: „Entfolgt Donald Trump auf Twitter oder blockiert ihn sogar!“

6. Namenlose Gewinnerin, es tut uns leid für Dich
(sueddeutsche.de, Juliane Liebert)
Juliane Liebert hat sich das Finale von “Germany’s Next Topmodel” angesehen und die Botschaft der Sendung herausdestilliert: “GNTM ist so weitab von jeder Schönheit wie nur irgendwas, und die eigentliche Message ist: Kauft James Blunts neues Album. Kauft Wolfgang Joops neue Kollektion. Naomi Campbell lebt noch. Beth Ditto ist fett. Kauft Helene Fischers neues Album. Kauft einen Opel. Kauft einen Opel. Los jetzt! Oh, und ihr seid hässlich, und wenn ihr keinen Opel kauft, werdet ihr für immer hässlich bleiben. Aber so hässlich wie GNTM werdet ihr nie.”

Blättern:  1 ... 54 55 56 ... 94