Suchergebnisse für ‘fakten’

Radfahren in Berlin, Bedrohte Stiftung, Erfundene Guillotine

1. So gefährlich werden Radfahrer in Berlin überholt
(tagesspiegel.de)
Der Berliner “Tagesspiegel” hat ein spektakuläres und in vielfacher Hinsicht äußerst bemerkenswertes Stück Datenjournalismus abgeliefert: Mittels ausgegebener Abstandssensoren hat die Redaktion erfasst, wie nah sich Rad- und Autofahrer auf Berlins Straßen wirklich kommen. Die Ergebnisse sind besorgniserregend und erklären, warum es auf Berlins Straßen teilweise so aggressiv zugeht. Alle Ergebnisse des Versuchs samt interaktiver Grafiken, Umfragen und Interviews gibt es auf der besuchenswerten und preisverdächtig gut aufbereiteten Seite radmesser.de.
Weiterer Lesehinweis: Auf Facebook erzählt “Tagesspiegel”-Redakteur Hendrik Lehmann vom Zustandekommen des Projekts, an dem so viele Menschen über einen langen Zeitraum mitgewirkt haben.

2. “In Österreich geht es verrohter zu”
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Die Wiener Grünen-Politikerin Sigi Maurer hat sich öffentlich gegen obszöne und beleidigende Verbalattacken gewehrt und ist dafür vom Gericht verurteilt worden (noch nicht rechtskräftig). Im Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Maurer, wieso sie im Internet belästigten Frauen davon abrät, Täter offen anzuprangern, warum eine Klarnamenpflicht nicht die Lösung sei und was man als Opfer dennoch tun könne.

3. Massive Drohungen gegen Stiftung
(faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann)
Verschiedene Boulevardmedien wie “Bild” und “B.Z.” prangerten eine Kita-Informationsbroschüre der Amadeu Antonio Stiftung als “Schnüffel-Fibel” an (“Übermedien” berichtete). Nun sieht sich die Stiftung massiven Drohungen und Hassbotschaften ausgesetzt und musste die Polizei einschalten.

4. Pressedistribution: Deutsche Post plant starke Preiserhöhung für niedrige Gewichtsklassen
(dnv-online.net, Wolfgang Rakel)
Die Deutsche Post plant deutliche Preiserhöhungen für den Versand wenig wiegender Postvertriebsstücke. Davon stark betroffen sind Zeitungen wie die “junge Welt”, die aufgrund der erhöhten Portokosten ihre Existenz bedroht sieht.

5. Die erfundene Guillotine der “Gelbwesten”
(faz.net, Michaela Wiegel)
In der Auseinandersetzung zwischen “Gelbwesten” und französischer Regierung bleibt auch die Wahrheit auf der Strecke. Das liegt daran, dass der Streit nicht nur auf der Straße, sondern auch in den sozialen Medien ausgetragen wird. Nicht immer mit fairen Mitteln, wie ein als Fotomontage entlarvtes Bild einer Guillotine beweist. Journalisten, die über die Demonstrationen berichten wollen, werden teilweise beschimpft und angegriffen, was auf unangenehme Art an die deutschen “Pegida”-Umzüge erinnert. Aber auch die französische Regierung nimmt es nicht so genau mit der Wahrheit.

6. Zusammenarbeit von Familienministerium und Inlandsgeheimdienst: Wir klagen für Transparenz
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Das Familienministerium lässt Demokratieprojekte vom Inlandsgeheimdienst auf ihre Demokratietauglichkeit überprüfen, ohne dass diese davon erfahren. Ein juristisches Gutachten habe ergeben, dass diese Überprüfung rechtswidrig sei, das Familienministerium habe seine Praxis jedoch fortgesetzt. Nun wehren sich die Informationsfreiheits-Kämpfer von “Frag den Staat” mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Mafia-Berichterstattung, Sprache der Politik, “Partnerprogramm” für Hass

1. Unter Verdacht – Gericht verbietet MDR-Ausstrahlung
(ndr.de, Timo Robben)
Wer zum Thema organisierte Kriminalität und Mafia recherchiert, hat zu den normalen Schwierigkeiten noch eine weitere, juristische: Die Beweislage muss für eine Verdachtsberichterstattung ausreichen, und das ist oft Auslegungssache. Das mussten gerade zwei MDR-Journalisten auf schmerzliche Weise erfahren, deren Film “Paten in Deutschland — die armenische Mafia und Diebe im Gesetz” aus eben diesen juristischen Gründen nicht ausgestrahlt werden konnte.

Siehe dazu auch den “Zapp”-Beitrag: “Recherche über Mafia schwierig”, in dem der MDR-Journalist Ludwig Kendzia die Schwierigkeiten bei der Mafia-Berichterstattung erklärt. (ndr.de, Video, 14:02 Minuten).

2. Russlands linke Offensive
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Silvia Stöber)
Von Berlin aus operieren Onlinemedien mit politischen Inhalten, berichten über “das ausbeuterische globale System”, das die Menschheit “versklavt und unseren Planeten zerstört”, und rufen die Menschen dazu auf, “ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen”. Finanziert werden die durchaus erfolgreichen Seiten aus Russland. Der ARD-“Faktenfinder” hat sich auf Spurensuche begeben.

3. Rechte Verlage zahlten wohl Geld an Betreiber von Hetzseiten
(sueddeutsche.de, Katja Riedel & Sebastian Pittelkow)
Mario R. betrieb Hassportale im Netz und steht wegen unerlaubten Waffenhandels vor Gericht. Nun hat sich herausgestellt, dass Hintermänner des Kopp Verlags und des rechten Magazins “Compact” ihm offenbar mehr als 100.000 Euro überwiesen haben und zwar im Rahmen eines “Partnerprogramms”.

4. Die Sprache der Politik
(wdr.de, Achim Schmitz-Forte, Audio, 27:44 Minuten)
Der Grünen-Politiker Robert Habeck war bei der WDR-“Redezeit” zu Besuch und hat dort erzählt, dass gute Politik vor allem eine Frage der richtigen Sprache sei: “Wie in der Politik etwas gesagt wird, entscheidet, was in der Politik gedacht und was gemacht wird”.
Weiterer Lesehinweis zum Thema Sprache: Welche Strategien verwenden die Rechten mit ihrer Sprache? Zur Rhetorik der AfD: Der rechte Redner befiehlt, die Zuhörer folgen (fr.de, Heinrich Detering).

5. “Zehn Morde. Sind ihnen völlig egal”
(spiegel.de, Arno Frank)
Die Journalistin Annette Ramelsberger hat volle fünf Jahre den NSU-Prozess begleitet. In einem Gemeinschaftsprojekt mit drei weiteren Journalistinnen und Journalisten entstand das 2000-seitige Werk “Der NSU-Prozess. Das Protokoll”. Im Interview erzählt Rammelsberger von den Merkwürdigkeiten des Prozesses, ihren schwersten Momenten aber auch über den bewegenden Moment, als es stehenden Applaus für die Aussage einer Frau mit iranischen Eltern gab. Diese habe sich trotz eines Bombenanschlags nicht unterkriegen lassen und arbeite mittlerweile als Chirurgin an einer Kölner Klinik.

6. Regulierung von Social Media und Suchmaschinen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (ROG) hat einen Bericht mit Empfehlungen für die öffentliche Kontrolle von Diensten wie Facebook, Google und Twitter veröffentlicht. Der Bericht geht davon aus, dass diese Dienste heute keine rein privaten Unternehmen mehr seien, sondern essenzieller Bestandteil moderner Öffentlichkeit, und daher in besonderer Weise kontrolliert werden müssten. Er richte sich an die Bundesregierung und Vertreter des Bundestages und sei diesen bereits zugestellt worden. Wer sich dazu weiter einlesen will: Es gibt eine Kurzfassung (PDF) wie auch den vollständigen Bericht (PDF).
Weiterer Lesehinweis: Der große Facebook-Medien-Report: So extrem schaden die Algorithmus-Änderungen deutschen Medien-Seiten (meedia.de, Jens Schröder).

Abtreibungsgegner will Pressefreiheit abtreiben, Traumata, Weidel-Spende

1. Abtreibungsgegner Yannic Hendricks hat BuzzFeed News abgemahnt, weil wir seinen Namen veröffentlicht haben
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
Der Abtreibungsgegner Yannic Lukas Hendricks hat “BuzzFeed News Deutschland” abgemahnt, weil das Portal seinen Namen veröffentlicht habe. “BuzzFeed News” nimmt dies jedoch nicht hin: “Wir wehren uns gegen die Abmahnung, weil wir die Namensnennung für rechtens halten.” Juliane Loeffler erklärt die Position des Portals und zitiert aus der anwaltlichen Erwiderung auf die Abmahnung.

2. Das Trauma klopft meist sachte an
(facebook.com/carsten.stormer)
Seit vielen Jahren berichtet Carsten Stormer aus den Krisengebieten der Welt, ob als Journalist, Buchautor oder Filmemacher. Eine Tätigkeit, die körperliche Wunden und seelische Narben hinterlässt. In einem Facebook-Post schreibt Stormer auf eindrückliche und bedrückende Weise von den Erinnerungen an Krieg, Tod und grausame Gewalt, die er in einem Buch verarbeitet hat und die ihn immer wieder verfolgen: “Das Sediment dieser Geschichten lagert sich wie toxischer Schlamm in meinem Kopf ab, Schicht um Schicht.”
Siehe dazu auch: Traumatisierte Journalisten: Es gibt zu wenig Hilfe (ndr.de, Inga Mathwig, Video, 6:31 Minuten).

3. Die fixe Idee der neutralen Berichterstattung halte ich für absurd.
(planet-interview.de, Anja Reschke)
Jakob Buhre hat die NDR-Journalistin und Buch-Autorin (“Haltung zeigen”) Anja Reschke interviewt. Es geht um ihr Verständnis von Gerechtigkeit und das Bemühen um neutrale Berichterstattung, Selbstkritik, Transparenz und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Gleichstellung innerhalb der Sender und ihre Mail-Korrespondenz mit Zuschauern.

4. Julian Reichelt still loves patriarchy
(genderequalitymedia.org)
Der Verein “Gender Equality Media” hat mit “Still <3 patriarchy" ein neues Projekt gestartet, bei dem "sexistische und patriarchale Entscheidungsträger*innen" benannt werden. "Was muss passieren, um einen Platz auf der Website zu bekommen? Ein sexistisches Bild hier, ein schiefes Wort da? Nein, wir wollen Journalist*innen nicht bloßstellen -- Fehler machen wir alle, und im besten Fall lernen wir daraus. Wir wollen die Journalist*innen zur Verantwortung ziehen, die Sexismus mit System in ihrer Arbeit einsetzen." Ganz vorne mit dabei: "Bild"-Chef Julian Reichelt. Weiterer Lesetipp: Unser Beitrag von gestern: Schülerzeitung entlockt Julian Reichelt “tiefe innere Wahrheit” mit einem Hinweis auf ein in jeder Hinsicht herausragendes Interview.

5. “Beeindruckendes Wachstum”
(faktenfinder.tagesschau.de)
Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder” beschäftigt sich mit den rätselhaften Wahlkampfspenden an Alice Weidel (AfD), mit denen wahrscheinlich der Social-Media-Erfolg finanziert und die Reichweite auf Twitter und Facebook massiv ausgebaut wurde.

6. Warum Journalisten nicht vom “Gute-Kita-Gesetz” sprechen sollten (Spoiler: Weil sie damit der Ministerin einen Gefallen tun)
(stefan-fries.com)
Aus dem “Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung” hat das Bundesfamilienministerium das “Gute-Kita-Gesetz” gemacht. Stefan Fries erklärt, warum es keine gute Idee ist, wenn Medien diesen Begriff in ihrer Berichterstattung übernehmen.

Erika Fakebach, Pro und Contra Klarnamenpflicht, Debatten-Detlev

1. Steinbach wegen Twitter-Fake belangt
(faktenfinder.tagesschau.de, Karolin Schwarz)
Die ehemalige CDU-Politikerin und jetzige Vorsitzende einer AfD-nahen Stiftung Erika Steinbach nutzt begeistert Social-Media-Kanäle, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen. Falschmeldungen, untergeschobene falsche Zitate und bösartige Empörungs-Bildchen haben es ihr besonders angetan. Nach Claudia Roth ist nun auch deren Grünen-Kollegin Renate Künast rechtlich dagegen vorgegangen. Erfolgreich: Steinbach musste eine entsprechende Erklärung abgeben, die sie verpflichtet, das Fake-Zitat nicht erneut zu verbreiten.

2. Auf kurzem Weg zum Verleger
(taz.de, Ralf Leonhard)
Auf dem österreichischen Pressemarkt gibt es Bewegung: Ein medienscheuer Selfmade-Milliardär namens René Benko hat jeweils 24 Prozent der “Krone” und des “Kurier” übernommen. Der für Österreich zuständige “taz”-Korrespondent Ralf Leonhard erklärt Hintergrund und Zusammenhänge.

3. Weniger Anonymität im Netz?
(brodnig.org)
Immer wieder gibt es Bestrebungen zur Einführung einer Klarnamenpflicht im Internet. Die Idee dahinter: Wenn sich Menschen nicht mehr hinter ihrer Anonymität verstecken können und befürchten müssen, für strafbare Äußerungen belangt zu werden, gibt es weniger Hass und Hetze. Ingrid Brodnig führt aus, warum eine solche Pflicht aus ihrer Sicht die Probleme nicht löst.

4. Philipp Kadelbach: “Ganz ehrlich, es gibt zu viele Serien”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Für “Unsere Mütter, unsere Väter” bekam er einen Emmy, nun steht für Filmregisseur Philipp Kadelbach mit der ZDFneo-Serie “Parfum” das nächste deutsche Projekt an. “DWDL” hat sich mit Kadelbach über Inszenierung, Rhythmus, Zeitgeist und die allgegenwärtige Serien-Flut unterhalten. Und natürlich über seine Arbeit an dem berühmten Süskind-Stoff.

5. Facebook kann Portale in die Bedeutungslosigkeit herunterpegeln
(sueddeutsche.de, Adrian Lobe)
Von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gibt es das Zitat, nach dem er mit dem Newsfeed “die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt” schaffen wolle. In den USA sei ihm das nach einer Erhebung eines Meinungsforschungsinstituts in gewisser Hinsicht bereits recht gut gelungen. Die Allmacht des Konzerns sei riesig, schreibt Adrian Lobe. Wenn Facebook an seinen Algorithmen drehe, habe dies massiven Einfluss auf den Traffic von Nachrichtenportalen und könne diese schon mal in den wirtschaftlichen Abgrund reißen.

6. Debatten-Detlev
(titanic-magazin.de, Paula Irmschler)
“Titanic”-Autorin Paula Irmschler lässt “Debatten-Detlev” zu Wort kommen: “Frauen mit ihren Entscheidungen machen mich wahnsinnig. Ich sage nur, wie es ist. Wir geben ihnen Posten, Wahlrecht und Kolumnen, und was machen sie damit? Hysterisch rumstressen.”

Der Begriff “Schießerei” – und wie Redaktionen mit ihm umgehen

Vergangene Woche, am späten Mittwochabend, hat ein ehemaliger Soldat in der südkalifornischen Stadt Thousand Oaks auf die Gäste einer Country Music Bar geschossen und dabei mindestens zwölf Menschen getötet.

Die deutschen Medien berichteten über diesen Vorfall zum Beispiel so:

Screenshot FAZ.net - Schießerei in Kalifornien - Mehrere Tote bei Angriff auf Studentenparty
Screenshot n-tv.de - Vorfall in Kalifornien - Etliche Tote bei Schießerei in US-Bar
Screenshot Tagesschau.de - Thousand Oaks in Kalifornien - Viele Tote bei Schießerei in Bar
Screenshot heute.de - Thousand Oaks in Kalifornien - Mindestens zwölf Tote nach Schießerei in Bar
Screenshot Tagesspiegel.de - Thousand Oaks - Zwölf Tote bei Schießerei in Bar in Kalifornien
(in dieser Reihenfolge: FAZ.net, n-tv.de, tagesschau.de, heute.de, Tagesspiegel.de)

Nun ist so ein tragisches Ereignis nicht unbedingt der beste Moment für Wortklaubereien, aber diese Schlagzeilen sind andererseits ein passender Anlass, das Wort “Schießerei” einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Der Duden definiert den Begriff so:

1. (meist abwertend) [dauerndes] Schießen
2. wiederholter Schusswechsel

Dass die zweite Bedeutung die häufiger verwendete ist, zeigt sich bei den Synonymen, die der Duden auf seiner Webseite vorschlägt:

[bewaffnete] Auseinandersetzung, Gefecht, Kampf, Kugelwechsel, Plänkelei, Schusswechsel; (umgangssprachlich) Ballerei; (besonders Militär) Feuergefecht; (Militär veraltend) Geplänkel, Scharmützel, Treffen

Der Begriff “Ballerei” zeigt, in welchem Sinne die erste Bedeutung zu verstehen ist.

Das bedeutet nicht zwingend, dass der Begriff “Schießerei” im Zusammenhang mit dem Verbrechen in Thousand Oaks falsch verwendet wird, aber angesichts der Tatsache, dass Begriffe wie “Messerstecherei”, “Schlägerei” oder “Prügelei” ja eigentlich ausschließlich zur Beschreibung einer Auseinandersetzung verwendet werden, haben wir uns gefragt, wie Redaktionen mit einem solchen Begriff umgehen — und die Frage entsprechend auch Redaktionen gestellt.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat in ihren internen Standards eine klare Definition, was eine “Schießerei” ist:

Schießerei
Eine Schießerei ist ein Schusswechsel. Wir sprechen also von einer Schießerei, wenn zwei oder mehr Seiten sich gegenseitig beschießen, nicht aber, wenn nur eine Seite (wiederholt) feuert.

Zwar führt der Duden als Bedeutung auch “dauerndes Schießen” auf — allerdings mit dem Zusatz “meist abwertend”. So mag es sprachlich korrekt sein, über eine Jagd zu sagen: “Diese idiotische Schießerei”. Dies rechtfertigt aber nicht, von einer Schießerei zu sprechen, wenn zum Beispiel Polizisten auf einen Verdächtigen geschossen haben, ohne dass dieser das Feuer erwiderte.

Besonders vorsichtig müssen wir bei der Übersetzung des englischen “shooting” sein, das sowohl für einen Schusswechsel als auch eine einseitige Schussabgabe stehen kann.

Der Verweis auf die Übersetzung ist wichtig. Das Oxford Dictionary definiert “shooting” so:

The action or practice of shooting with a gun.

Trotz klarer Regeln könne man nicht vollständig ausschließen, dass sich der Begriff nicht doch mal in Meldungen einschleiche, hat uns dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger auf Anfrage erklärt. Insbesondere in ersten Meldungen, wenn die Lage noch unübersichtlich sei, könne dies mitunter passieren. Bei Hinweisen auf eine Verwendung des Begriffs, die nicht den eigenen Standards entspricht, würden die Meldungen sofort korrigiert. Im aktuellen Fall lauteten die Überschriften der dpa-Meldungen aber etwa “Schüsse in Bar in Kalifornien” oder “Polizei: 13 Tote nach Schüssen in Bar in Kalifornien”.

Etwas anders sah es beim deutschsprachigen Dienst der Agence France-Presse (AFP) aus, der zunächst von einer “Schießerei” geschrieben hatte. Aber auch dort ist man sich der Problematik des Begriffs bewusst, wie Geschäftsführer und Chefredakteur Andreas Krieger auf unsere Anfrage antwortet:

Wir verwenden den Begriff “Schießerei” nur in bestimmten Fällen, da er nicht präzise ist. Dies gilt etwa, wenn — wie im vorliegenden Fall — zu einem frühen Zeitpunkt der Tathergang noch nicht klar zu erkennen ist. In den ersten Meldungen der Feuerwehr von Thousand Oaks hieß es: “Firefighters and first responders are arriving on scene of a report of a shooting at an establishment.” Diese Quelle war die Grundlage für unsere anfängliche Berichterstattung. Nachdem zuverlässige Quellen — Feuerwehr, Zeugen und der örtliche Sheriff — bestätigten, dass ein bewaffneter Mann in die Disko eingedrungen war und den Angriff verübt hatte, berichteten wir dies und verwendeten den Begriff “Schießerei” nicht weiter.

Bei tagesschau.de ist der Begriff “Schießerei” im Laufe des Donnerstags aus dem Artikel verschwunden, noch bevor “Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke unsere E-Mail gelesen hatte. Eine Antwort auf unsere Anfrage haben bisher leider noch nicht erhalten, die “Tagesschau”-Redaktion hat aber angekündigt, uns über die internen Abstimmungen zum Begriff auf dem Laufenden zu halten.*

Auch beim ZDF haben wir nachgefragt und diese Antwort erhalten:

Die Redaktion heute.de ringt täglich um möglichst treffende Begriffe und Formulierungen. Gerade bei Gewalttaten ist das eine besondere Herausforderung, sind Ablauf, Hintergründe und Motivlage doch zunächst meist völlig unklar. “Amoklauf”, “Terroranschlag”, “Angriff”? Richtig ist, dass die — zumindest breiter gefasste — Begrifflichkeit “Schießerei” auch als Schusswechsel verstanden werden kann. Es muss immer im Einzelfall entschieden werden, welche Wortwahl am präzisesten den Sachverhalt spiegelt.

Im konkreten Fall hat sich die Redaktion offensichtlich gegen den Begriff entschieden, denn er taucht in der aktualisierten Fassung des Artikels nicht mehr auf. Und auch ein Artikel vom vergangenen Wochenende, dessen Überschrift zunächst “Tote bei Schießerei in Florida” gelautet hatte, ist jetzt mit “Tödliche Schüsse in Florida” überschrieben.

Der “Tagesspiegel” schrieb uns:

[W]ir beim Tagesspiegel haben gerade über Ihre Mail zum Thema “Schießerei” gesprochen und Ihren Denkanstoß gerne und dankbar aufgenommen.
 
“Schießerei” impliziert einen “Schusswechsel”. Ihr Vergleich mit “Prügelei” und “Schlägerei” etwa ist da sehr treffend. Insofern haben wir unsere Zeile in diesem Fall auch geändert.
 
Bei solchen Vorfällen ist es aber oft so, dass die Hintergründe zunächst unklar sind. Dann wird schnell erst einmal auch bei den Agenturen von “Schießerei” geschrieben.

Auch bei n-tv.de hat es offensichtlich eine Diskussion über den Begriff gegeben, denn obwohl wir dort gar nicht nachgefragt hatten, ist im dortigen Artikel inzwischen nicht mehr von einer “Schießerei” die Rede.

Von den oben gezeigten Beispielen verwendet nur noch FAZ.net den Begriff “Schießerei” in der Dachzeile. Von dort haben wir bisher auch noch keine Antwort auf unsere Anfrage erhalten.

Da der Begriff “Schießerei” natürlich nicht nur im aktuellen Fall verwendet wurde, haben wir auch beim RBB nachgefragt, der am vergangenen Mittwoch zum Beispiel eine Meldung über einen Mann, der in Blankenfelde-Mahlow angeschossen wurde, unter dieser Überschrift bei rbb24.de veröffentlicht hatte:

Screenshot rbb24.de - Schwerverletzter bei Schießerei vor Dönerimbiss

Eine Antwort haben wir bisher nicht erhalten.**

*Nachtrag, 14. November: Wie angekündigt, hat auch die “Tagesschau”-Redaktion noch geantwortet. Chef vom Dienst Andreas Werner schreibt heute auf unsere Anfrage:

Bei der “Tagesschau” verwenden wir den Begriff “Schiesserei” in der Regel nicht! Er trifft nur selten das Geschehen, ist ungenau oder gar falsch. Ob Amoklauf oder politisch motivierter Angriff (etwa in Schulen oder auch kürzlich in einer Synagoge in den USA) — wir bemühen uns, möglichst schnell, das, was passiert, auch begrifflich präzise zu benennen! “Schiesserei” verharmlost meistens Tathergänge. Allerdings neigen etwa amerikanische Medien dazu, in ersten Eil-Meldungen den Begriff “Schiesserei” zu benutzen — häufig, weil das Geschehen noch unklar ist. Und die Versuchung ist groß, das Unklare in unklare Begriffe zu Hüllen. Wir machen es uns zur Aufgabe, dem nicht zu erliegen. Und fast immer gelingt es uns — auch wenn die Faktenlage noch nebulös ist.

Korrektur, 14. November: Wir hatten AFP-Geschäftsführer Andreas Krieger aus Versehen zuerst Christian Krieger genannt. Wir bitten Herrn Krieger sowie unsere Leserinnen und Leser für diesen Fehler um Entschuldigung!

**Nachtrag, 19. November: Inzwischen hat auch der RBB auf unsere Anfrage reagiert. Wolfram Leytz, Leiter von rbb24, schreibt:

Es gibt keine grundsätzliche Entscheidung zur Verwendung von Begriffen wie Schießerei. Es gilt eher die grundsätzliche Regel: So korrekt wie möglich (zum Beispiel im Sinne der Definition des Duden oder auch des StGB bei Straftaten), aber auch so lebensnah verständlich für den Nutzer wie möglich.

Streit um Absage, Mission Wahrheit, YouTube-Paniker

1. Wir veröffentlichen: Wie sich die AfD ihre eigene Verfassungsfeindlichkeit bescheinigen lässt
(netzpolitik.org, Andre Meister & Anna Biselli)
Die AfD will verständlicherweise vermeiden, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Auch weil dies Wählerstimmen kosten könnte. Die Partei hat deshalb ein Gutachten erstellen lassen. Dort gibt es 31 Handlungsempfehlungen, wie sich eine Beobachtung vermeiden ließe. Ohne zu viel zu verraten: Wenn sich die AfD an die Empfehlungen hält, könnte sich eine wohltuende Stille ausbreiten.

2. Margarete Stokowski zur Absage ihrer Lesung (28.11.2018)
(rowohlt.de, Margarete Stokowski)
Die Schriftstellerin und “Spiegel Online”-Kolumnistin Margarete Stokowski hat eine Lesung in einer Buchhandlung abgesagt, die auch Bücher von rechten und rechtsextremen Autoren zum Verkauf anbietet. Zwei Dinge stören sie: Die Normalisierung rechten Denkens und die finanziellen Gewinne für diese Autoren und Verlage. Die Buchhandlung reagierte auf die Absage mit einer öffentlichen Stellungnahme, auf die Stokowski nun ihrerseits öffentlich einsehbar reagiert hat.

3. YouTube-Stars verbreiten gerade massenhaft Panik ums ‘Ende von YouTube’
(motherboard.vice.com, Sebastian Meineck)
Wenn erfolgreiche YouTuber derzeit Videos verbreiten, in denen sie aufgeregt von der angeblich drohenden Stilllegung ihres Kanals berichten, liegt das an einem Missverständnis, das mit der angekündigten Urheberrechtsreform der EU zu tun hat. Es liegt aber auch daran, dass mit den überdrehten Panik-Videos massiv Klicks und Geld erzeugt werden. Sebastian Meineck erklärt die Sachlage und lässt verschiedene YouTuber zu Wort kommen.

4. Laudatio zur Verleihung der “Goldenen Kartoffel” 2018 an BILD-Chef Julian Reichelt
(neuemedienmacher.de, Sheila Mysorekar)
Die Verleihung des Negativpreises “Goldene Kartoffel” an “Bild”-Chef Julian Reichelt hatte für einigen Wirbel gesorgt, weil Reichelt zur Preisverleihung persönlich erschienen war und die Entgegennahme mit Hinweis auf einen angeblichen Rassismus gegen Deutsche verweigert hatte. Die Kartoffel-verleihenden “Neuen Deutschen Medienmacher” haben nun die komplette Laudatio zum Nachlesen online gestellt.

5. “Niemand kennt Hamburgs Straßen besser”
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio, 4:51 Minuten)
Das Hamburger Straßenmagazin “Hinz & Kunzt” wird 25 Jahre alt. Im “Deutschlandfunk” erzählt Chefredakteurin Birgit Müller, wie es zur Gründung des Magazins kam, welche Ziele man verfolgt und spricht über die zunehmende Verelendung auf Hamburgs Straßen.

6. Härtetest
(sueddeutsche.de, Holger Gertz)
Die Regisseurin Liz Garbus hat ein Jahr lang verschiedene Journalisten und Journalistinnen der “New York Times” bei ihrer Berichterstattung über Donald Trump begleitet. Herausgekommen ist die empfehlenswerte vierteilige Dokuserie “Mission Wahrheit – Die New York Times und Donald Trump”, die der Fernsehsender Arte heute Abend ausstrahlt.
Servicetipp: Man kann die Serie bis zum 5. Dezember 2018 auch online anschauen: Hier die Links:

Teil 1: Die ersten hundert Tage
, Teil 2: Aufschlag Trump, Teil 3: Zur Lage der Nation und Teil 4: Die Welt der Fakten.

BRD als Exporteur der Unfreiheit, Beschlagnahme, Paypal-Heuchler

1. Bundesregierung gegen Überwachungsexport-Kontrolle
(reporter-ohne-grenzen.de)
Eigentlich wollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass der Export von Überwachungstechnologie stärker kontrolliert wird. Zum Beispiel, um zu verhindern, dass Spähsoftware an Staaten verkauft wird, in denen Menschenrechte missachtet und Journalisten überwacht werden. Nun liegen vertrauliche Strategiepapiere der Bundesregierung vor, die den Schluss nahelegen, dass sie ihre eigenen Absichtserklärungen torpediert. Die deutsche Taktik gefährde die gesamten Reformbemühungen der EU, schreibt “Reporter ohne Grenzen”.

Weiterer Lesehinweis: Überwachungsexporte: Bundesregierung stellt Industrie vor Menschenrechte (netzpolitik.org, Daniel Moßbrucker).

2. Ausrüstung beschlagnahmt
(taz.de, Anett Selle)
Bei den Anti-Kohle-Protesten von “EndeGelände” wurde ein Journalist festgenommen, der von dort für den “Spiegel”-Ableger “Bento” berichten wollte. In der Gefangenensammelstelle sei er durchsucht worden und habe sich komplett ausziehen müssen. Seine Kamera habe er abgeben müssen. Nach zehn Stunden wurde er entlassen, seine Kamera blieb jedoch bei der Polizei. Ole Reißmann, Redaktionsleiter bei “Bento”, protestiert gegen die Beschlagnahme: “Wir erwarten die Herausgabe von Kamera und Bildern. Etwaigen Bestrebungen der Behörden, das beschlagnahmte Bildmaterial für Zwecke der Strafverfolgung zu missbrauchen, ist dringend Einhalt zu gebieten.”
Weiterer Lesehinweis: Hambach: Polizei setzt bento-Mitarbeiter 10 Stunden fest — hier erzählt er, was ihm passiert ist (bento.de, Steffen Lüdke).

3. Im Fokus der Fakes
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Beim “Faktenfinder” beschäftigt sich Patrick Gensing mit dem Hass der Ultrarechten gegen die Grünen. Dieser mache sich in zahlreichen Falschmeldungen, gezielt gestreuten Gerüchten und Kampagnen in den Sozialen Medien bemerkbar. Woher kommt all der Hass? Die Wissenschaftlerin Julia Ebner hat eine Vermutung: Die Grünen seien zum Hauptfeind geworden, da sie all das verkörpern, “wogegen rechtsextreme Akteure kämpfen: Diversität, Multi-Kulturalismus, Feminismus und gesellschaftlicher Liberalismus”.

4. Klatsche für Hamburg
(djv.de, Hendrik Zörner)
Prominente, die sich gegen Berichterstattung juristisch zur Wehr setzen wollten, wendeten sich of an die Hamburger Pressekammer — das Hamburger Landgericht gilt als besonders medienkritisch. Nun hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Pressekammern vor Erlass einer einstweiligen Verfügung die Gegenseite anhören müssen. Der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands Hendrik Zörner kommentiert: “Damit ist bei den Pressekammern keine Trendwende hin zu medienfreundlichen Entscheidungen verbunden, aber wahrscheinlich ausgewogenere Urteile. Das immerhin ist ein Wert an sich.”

5. Erst das Geschäft, dann das Bedauern
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Paypal und andere Dienstleister wollen sich vom Hass-Netzwerk Gab.com distanzieren, seit klar ist, dass der Mörder von Pittsburgh dort aktiv war. Ihre Heuchelei dürfe man ihnen nicht durchgehen lassen, findet Patrick Beuth.
Weiterer Lesehinweis: Rechtes Portal nach Anschlag von Pittsburgh offline (sueddeutsche.de).

6. Nischenprodukt
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Hans Hoff hat sich mit Talk-Allrounder Jörg Thadeusz zum Gespräch getroffen und musste aufpassen, nicht selbst zum Mittelpunkt des Interviews zu werden: “Zum Gespräch erscheint der Plauderprofi in Cordhose und blauen Hosenträgern über schwarzem T-Shirt. Der Anzug hängt noch im Hotel, aber die typische Art, ein Gespräch zu eröffnen, hat er trotzdem dabei. Ehe man sich versieht, hat man als sein Gegenüber eine halbe Stunde von sich erzählt und noch nicht eine Frage gestellt.”

Planierraupe Madsack, Heult doch, Warnung vor dem Erdogan

1. Penny-Markt der Publizistik
(kontextwochenzeitung.de, Willi Germund)
Auslandskorrespondent Willi Germund rechnet lesenswert mit der Medienbranche ab. Vor allem das “RedaktionsNetzwerk Deutschland” der Madsack Mediengruppe erregt seinen Zorn: “(…) anders als Funke und SWMH walzt das Redaktionsnetzwerk Deutschland wie eine Planierraupe über den deutschen Zeitungsmarkt. Mit Honorardrückerei, kalt lächelnder Ausnutzung der miserablen wirtschaftlichen Lage freier Journalisten, macht Madsack den Penny-Markt für Zeitungshäuser, die ihren publizistischen Anspruch weitgehend aufgegeben haben und in der Regionalisierung, bei Kritikern Provinzialisierung getauft, ihrer Blätter ihr Heil und ihren Profit suchen.”

2. Heult doch.
(neuemedienmacher.de)
Die “Neuen deutschen Medienmacher” sind ein bundesweiter unabhängiger Zusammenschluss von Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Migrationsgeschichte. Man versteht sich vor allem als Ansprechpartner für das Thema “Medien in der Einwanderungsgesellschaft”. Manchem lässt dies offenkundig keine Ruhe: Die AfD-Bundestagsfraktion hat eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die bereits von offizieller Seite beantwortet wurde (PDF). Der Verein der Medienmacherinnen und Medienmacher antwortet der AfD jedoch auch direkt: “Liebe Leute, macht Euch mal locker. Lernt mit Widerspruch umzugehen. Das gehört in einer Demokratie eben dazu.”

3. Auswärtiges Amt verschärft Reisehinweise für die Türkei
(faz.net)
Das Auswärtige Amt hat seine Reisehinweise für die Türkei verschärft. Es warnt die Bundesbürger vor regierungskritischen Meinungsäußerungen in sozialen Medien: “Dabei können auch solche Äußerungen, die nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, Anlass zu einem Strafverfahren in der Türkei geben.”
Weiterer Lesehinweis: Für Türkeistämmige in Deutschland kann schon ein einziger Erdogan-kritischer Facebook-Post zum Problem werden. “Motherboard” hat mit den Menschen gesprochen, die das unmittelbar betrifft. Es geht um Angst, Trotz und Selbstzensur: Angst vor Erdogan: Wie sich Türkeistämmige online selbst zensieren (motherboard.vice.com, Baran Datli).

4. “Man hätte sich online stärker aufstellen müssen”
(monopol-magazin.de, Elke Buhr)
Auf Musikzeitschriften wirkt sich der Medienwandel derzeit vielleicht besonders heftig aus: Nach jahrzehntelanger Existenz verschwindet das Gratis-Musikmagazin “Intro”. Außerdem werden “Groove” und “Spex” eingestellt. Über die Gründe hat sich Elke Buhr mit dem Musikjournalisten und “Spex”-Chefredakteur Daniel Gerhardt unterhalten.

5. “Medien müssen die eigene Macht kritisch betrachten”
(horizont.at, Marlene Auer)
Im Interview mit “Horizont” spricht Barbara Hans, Chefredakteurin von “Spiegel Online”, über den Umgang mit Inhalten sowie deren Monetarisierung, die Glaubwürdigkeit von Medien und deren Macht. Die Mehrheit der deutschen Medien nütze ihre Machtposition nicht aus, um eigene oder fremde Interessen zu forcieren. Ein Blick in die USA zeige jedoch deutlich, dass Binnenpluralität keine Selbstverständlichkeit sei. Journalisten, die sich als Aktivisten sehen, hätten etwas grundsätzlich falsch verstanden.

6. Fake-Vorwurf ohne Beweise
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Das Video gegen “Manspreading” wurde zum Viralhit: Eine junge Frau, die in der U-Bahn von St. Petersburg unterwegs ist, gießt besonders breitbeinig sitzenden Männern eine Flüssigkeit in den Schritt, bei der es sich um mit Bleichmittel versetztes Wasser handeln soll. Die Geschichte sorgte für Diskussionen und Empörung, aber auch für Fragen nach der Echtheit und einer möglichen Inszenierung. Die EU behauptete gar, das Video sei ein Fake des Kreml. ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing ist der Sache nachgegangen.

Klingelingeling, hier kommt der Bullshit-Mann

Auf der “Bild”-Titelseite ist heute wieder alles ganz aufgeregt:

Ausriss der Bild-Titelseite - Datenschutz-Irrsinn - Unsere Klingel-Schilder sollen weg!

Deutschland drohe “EIN KLINGELSCHILD-CHAOS”, weil Vermieter aufgrund der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) womöglich bald überall im Land die Klingelschilder abschrauben müssten. Dieselbe Alarmstufe bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Datenschutz-Irrsinn - Unsere Klingel-Schilder sollen weg - Haben wir bald etwa nur noch Nummer an der Tür?

Wie die “Bild”-Medien auf den “Datenschutz-Irrsinn” kommen? Mit einem Zitat, das der Zitatgeber so nicht gegeben haben will, falschen Fakten zur DSGVO und viel, viel Biegerei.

Henrik Jeimke-Karge und Kai Weise schreiben gleich zu Beginn ihres Artikels:

“Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür …” Damit kann bald Schluss sein!

Schuld daran ist die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Zwei Sätze weiter sind sich die beiden “Bild”-Autoren zwar schon nicht mehr ganz so sicher (“Ob darunter auch ein Name auf einem Klingelschild fällt, ist unklar.”), aber dennoch: “Schuld daran ist” für sie erstmal die EU.

Nun gibt es seit einigen Tagen schon Diskussionen darüber, ob Klingelschilder unter die DSGVO fallen. Rechtsanwalt und Datenschutzexperte Niko Härting hat sich bereits vor zwei Tagen die Mühe gemacht, das Thema aufzudröseln. In einem lesenswerten Beitrag bei “CRonline” geht er der Frage nach, ob öffentlich einsehbare Namen auf Klingelschildern mit Blick auf die DSGVO problematisch sein könnten. Seine Antwort in Kurzform: nein. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Entscheidend sei dabei, ob die Daten (in diesem Fall: die Namen auf den Klingelschildern) Teil einer “strukturierten Sammlung” und ob sie “nach bestimmten Kriterien zugänglich sind”.

Härting schreibt dazu:

Das Haus, in dem ich wohne, ist “old school”, was die Klingelschilder angeht. Sie sind in Messing geprägt und so angeordnet, dass man nicht erkennen kann, wer in welchem Stockwerk wohnt. Es fehlt somit an jeder “Struktur”. Datenschutzrechtliche Fragen stellen sich nicht. Das Datenschutzrecht bleibt vor der Tür.

Wenn die Klingelschilder so angeordnet sind, dass sich das jeweilige Stockwerk des Bewohners erkennen lässt, fehlt es zwar nicht an einer “Struktur”. Wohl aber stellt sich die Frage einer weitergehenden “Zugänglichkeit”. (…) Eine Datenauswertung, die über die Informationen hinausgeht, die sich aus den Klingelschildern selbst ergeben, wird durch die Beschilderung nicht ermöglicht. Auch hier fehlt es demnach an einem “Dateisystem”, das die Anforderungen des Art. 4 Nr. 6 DSGVO erfüllt. Das Datenschutzrecht bleicht auch hier außen vor.

Eine Ausnahme gebe es, wenn die Klingelschilder nicht analog angebracht seien, sondern “auf einem Monitor sichtbar”. Dann finde die DSGVO Anwendung.

Zu einem ähnlich klaren Ergebnis kommen der Datenschutzexperte Thomas Schwenke, der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar, die aktuelle Bundesbeauftragte für den Datenschutz Andrea Voßhoff, die Stiftung Datenschutz, der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW und die EU-Kommission.

Nur die “Bild”-Medien, Henrik Jeimke-Karge und Kai Weise sind der Meinung, die DSGVO sei am “KLINGELSCHILD-CHAOS” schuld. Sie haben ja auch diese Ankündigung des Immobilien-Eigentümerverbandes “Haus & Grund”:

Deshalb will der wichtige Immobilien-Eigentümerverband Haus & Grund seinen 900 000(!) Mitgliedern nun empfehlen, die Namensschilder bei vermieteten Wohnungen abzuschrauben!

“Nur so können sie sicher sein, nicht gegen die DSGVO zu verstoßen”, sagt Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund, zu BILD.

Wir haben bei Haus & Grund nachgefragt, ob man wirklich “seinen 900 000(!) Mitgliedern nun empfehlen” wolle, “die Namensschilder bei vermieteten Wohnungen abzuschrauben”. Die Antwort von Pressesprecher Alexander Wiech: Die Empfehlung sei so nicht gegenüber “Bild” angekündigt worden. Man fordere “nicht auf, Klingelschilder abzumontieren.” Stattdessen wolle man die Mitglieder warnen, dass es irgendwann mal soweit kommen könne.

Daraufhin haben wir bei “Bild” nachgefragt, ob die Redaktion dabei bleibe, dass Haus & Grund ein Empfehlung an die vielen Mitglieder gegenüber den “Bild”-Autoren angekündigt habe. Sprecher Christian Senft antwortete uns, dass er uns dringend empfehle, unsere Recherche bei Haus & Grund noch einmal zu verifizieren: “Diese haben nichts relativiert und stehen voll zu der Geschichte und dem Zitat. Sie haben Ihnen nur gesagt, dass sie diese Empfehlung bisher noch nicht ausgesprochen haben, weil sie noch nicht dazu gekommen sind.” Also, noch mal nachgefragt bei Haus & Grund: Alexander Wiech sagt uns noch einmal, dass man keine Empfehlung gegenüber “Bild” angekündigt habe, sondern davon gesprochen habe, die Mitglieder sensibilisieren zu wollen.

Das hat Haus & Grund übrigens auch gegenüber anderen Medien so gesagt — etwa gegenüber “Zeit Online”, gegenüber dem WDR, gegenüber der “Hannoverschen Allgemeinen”.

Inzwischen hat Haus & Grund, nach der Klarstellung durch die Bundesdatenschutzbeauftragte, eine Pressemitteilung rausgegeben, in der der Verband schreibt: “Bundesdatenschutzbeauftragte: Mieternamen an Klingelschildern sind zulässig”.

Nachtrag, 17:40 Uhr: Wir haben die Überschrift von “Klingelingeling, hier kommt der Fake-News-Mann” in “Klingelingeling, hier kommt der Bullshit-Mann” geändert. Der Begriff “Fake News” war für diesen Fall nicht passend.

Der Fall Khashoggi, Ziemlich Tauber Tweet, Beredtes Schweigen

1. Fakten, Gerüchte, Schauermärchen
(spiegel.de, Dominik Peters)
In der Affäre um den in der saudischen Botschaft verschwundenen Journalisten Jamal Khashoggi wurden und werden nach und nach Details bekannt. Die Quellen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, es herrschen die verschiedensten Interessenlagen. Dominic Peters berichtet, was amerikanische und türkische Medien bislang veröffentlichten und ordnet die Lage ein.
Weiterer Lesehinweis: “Zapp” hat den Autor und Chefredakteur des Magazins “Zenith — Zeitschrift für den Orient”, Daniel Gerlach, zum Fall Khashoggi interviewt. Dieser geht auch auf die Medienstrategie Saudi-Arabiens ein: “Es entsteht der Eindruck, dass sich die saudischen Informationskampagnen sehr am russischen Beispiel orientieren, das aber wesentlich weniger professionell. Die Russen benutzen Kontra-Propaganda und Gegen-Narrative ja nahezu perfekt, um westliche Narrative, Erzählmuster, zu hinterfragen.”
Und im “Tagesspiegel” kommentiert Christian Böhme das Schweigen Europas: Der Westen duckt sich im Fall Kaschoggi kläglich weg.

2. Beredtes Schweigen
(twitter.com/marcusengert)
Als politischer Reporter bei “BuzzFeed News” Deutschland ist Marcus Engert darauf angewiesen, dass ihm Pressestellen von Behörden und Organisationen Auskunft erteilen. Die Zusammenarbeit mit den Presseverantwortlichen gestaltet sich jedoch hakelig: “Wir erleben immer öfter PressesprecherInnen, die enormen Aufwand darauf verwenden, nicht mit der Presse zu sprechen. Die Antworten schicken, mit denen sie auf keine der gestellten Fragen antworten.” Anhand eines Screenshots erklärt Engert einen typischen Fall und denkt über eine mögliche Lösung nach.

3. Rommel mit Widerstand verbunden?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Peter Tauber (CDU) ist Staatssekretär im Verteidigungsministerium und twitterte am Wochenende eine Art Gedenktweet in die Welt hinaus: “Heute vor 74 Jahren starb Erwin Rommel, von den Nazis zum Selbstmord gezwungen.” Tauber betrachtet Hitlers Lieblingsgeneralfeldmarschall Rommel augenscheinlich nicht als Nazi, sondern als eine Art Widerstandskämpfer. Dem geht der ARD-“Faktenfinder” nach und befindet: “Dass Rommel “seine Rolle auch im Widerstand” hatte, beziehungsweise mit dem Widerstand verbunden gewesen sei, ist keineswegs bewiesen, sondern unter Historikern höchst umstritten.”
Auf die Kritik bei Twitter reagierte Tauber übrigens mit einer, nun ja, interessanten Volte: “Freue mich über die ganzen Linken, die durch ihre Tweets offenbaren, dass sie in Wahrheit Popo an Popo mit den Nazis stehen.”

4. Mit Filtern gegen Kinderpornos
(taz.de, Christian Rath)
Im Oktober 2017 trat das Gesetz zur Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) in Kraft, nach dem rechtswidrige Inhalte von den Plattformbetreibern binnen sieben Tagen entfernt werden müssen, “offensichtlich rechtswidrige” Inhalte sogar binnen 24 Stunden. Wie hat sich das Gesetz auf Youtube ausgewirkt? Ist es zum befürchteten “Overblocking” gekommen? Christian Rath hat für die “taz” hingehört, was eine Google-Juristin bei einer Veranstaltung im Mainzer Abgeordnetenhaus dazu gesagt hat.

5. Diskutieren wir, statt uns zu beleidigen!
(faz.net, Stephan Stach)
Wie steht es um die Pressefreiheit in Polen? Nicht sonderlich gut, wie Stephan Stach in der “FAZ” erklärt. Er schickt sarkastisch voraus: “Was Intoleranz angeht, ist die Publizistik in Polen anderen Ländern voraus.” Wer “falsche” Ansichten äußert oder Witze über die Regierung macht, werde entlassen: “Die politische Linie erhält Vorrang vor der Debatte. Weichen Redakteure von der jeweiligen politischen Linie ab, gilt das schnell als Verrat.”

6. Er tut es wieder: Fake-Restaurantbesitzer veräppelt Medien mit Doppelgänger
(watson.ch)
Nachdem Oobah Butler es geschafft hat, bei Tripadvisor ein von ihm erfundenes, nicht-existentes Restaurant mittels falscher Bewertungen auf Platz eins zu hieven, ist er ein gefragter Ansprechpartner der Medien. Zu den Interviews schickte er irgendwelche ihm ähnlich sehenden Menschen. Und keiner merkte etwas.

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