Suchergebnisse für ‘exklusiv’

Hochgekochtes Satirevideo, Namensnennung, Kotzender Kühnert

1. Polizisten als Mörder: Wie “Bild” aus einer Satire einen ARD/ZDF-Skandal macht
(rnd.de, Imre Grimm)
Ein rund zweieinhalbminütiges Satire-Video beim öffentlich-rechtlichen Jugendportal Funk zum Thema Rassismus bei der Polizei lässt die Emotionen hochkochen. Imre Grimm hält das Filmchen nicht für besonders gelungen, aber daraus ein Generalversagen von ARD und ZDF abzuleiten, sei falsch: “Der Clip ist blöd und beleidigend. Ihn aber – wie mancher Zeuge der Anklage – als weiteren Baustein einer linksgrünmedialen Diffamierungskampagne gegen die Polizei zu brandmarken, schießt weit über das Ziel hinaus.”

2. RBB schafft Sommerinterview-Reihe ab
(sueddeutsche.de)
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) kassierte wegen seines weitgehend unkritischen Sommerinterviews mit Brandenburgs früherem AfD-Chef Andreas Kalbitz viel Kritik. Nun stellt der Sender seine Sommerinterview-Reihe mit brandenburgischen Spitzenpolitikern ein.
Weiterer Lesehinweis: “Das Sommerinterview des RBB mit Andreas Kalbitz sorgte für einen Skandal. Nun hat der MDR den nächsten AfD-Rechtsaußen eingeladen: Björn Höcke. Und will alles besser machen.” Anne Hähnig und Martin Machowecz fragen in der “Zeit”: “Gehört er ins Fernsehen?”

3. Mit Verlaub: Ich kotze im Strahl.
(twitter.com, Kevin Kühnert)
Der SPD-Politiker Kevin Kühnert hat der Newsseite “Watson” ein Interview gegeben, aus dem sich die “Welt”-Redaktion einen Teilaspekt herausgepickt und zugespitzt hat (genauer: eine dpa-Überschrift weitergedreht hat). Entsprechend frustriert reagiert Kühnert auf Twitter: “Wenn der Versuch, differenzierte Antworten zu geben, in solch bewusstem Missverstehen mündet, dann braucht sich niemand wundern, dass Politiker*innen in Interviews nur Blabla von sich geben.” Kühnert weiter: “Diese ‘Zuspitzung’ ist leider auch ein erneutes Beispiel für das verbreitete Desinteresse an politischen Inhalten. Wer mit wem? Wer gegen wen? Welche Koalition hätten’s denn gern? Welches Ministerium wollen Sie führen? Das alles klickt sich leider besser als Steuern/Rente/Klima.”

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4. So geht die tagesschau mit der Nennung von Namen in Gerichtsprozessen um
(blog.tagesschau.de, Marcus Bornheim & Helge Fuhst & Juliane Leopold)
“Tagesschau” und “Tagesthemen” gelten als “Dokumente der Zeitgeschichte”, wodurch den Sendungen eine besondere Verantwortung in der Berichterstattung zukommt: Sie dürfen unbegrenzt online gestellt werden und bleiben unter Umständen Jahrzehnte sichtbar. Ein besonders sensibler Bereich ist die Nennung von Namen in Berichten über Gerichtsprozesse. Für den Verzicht auf Namensnennung kann der Schutz des Persönlichkeitsrechts sprechen, aber auch das Bestreben, sich von einem Angeklagten nicht instrumentalisieren zu lassen, wie ein aktueller Fall zeige. Die Chefredaktion von ARD-aktuell schreibt über das Spannungsfeld dieses Teilbereichs ihrer Arbeit.

5. Aktivisten wollen Facebooks Falschmeldungs-Spreader “bändigen”
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Die Online-Bewegung Avaaz hat zahlreiche Facebook- und Webseiten untersucht, die falsche oder irreführende Informationen zu medizinischen Themen verbreiten. Avaaz fordert Facebook auf, nicht nur Warnhinweise, sondern auch Richtigstellungen zu veröffentlichen. Studienautor Christoph Schott dazu: “Facebook hat bis heute jenen Nutzerinnen und Nutzern keine spezifischen Korrekturen angezeigt, die die Falschinformation gesehen hatten, dass es als Covid-19-Test ausreiche, zehn Sekunden die Luft anzuhalten. Das ist schon grob fahrlässig aus unserer Sicht.”

6. Vom Newsroom zum Newszoom
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 3:44 Minuten)
Coronabedingt sind derzeit viele Newsrooms verwaist. Wie kann unter diesen Bedingungen Journalismus gelingen? Können virtuelle Treffen das persönliche Gespräch ersetzen? Samira El Ouassil hat eine einfache Antwort: “Journalismus wird nicht an Orten gemacht, sondern von Menschen”. Außerdem erzählt sie die hübsche Anekdote, wie sie einmal in einem vollbesetzten Newsroom einen O-Ton vom Konsul von Georgien einholen wollte, aber jemanden aus den USA an der Strippe hatte …

Gerichtliche Zweiklassengesellschaft, Festnahme rechtswidrig, Halbiert

1. Zweiklassengesellschaft bei der Berichterstattung?
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 9:12 Mintuen)
Das Bundesverfassungsgericht informiert bestimmte Journalistinnen und Journalisten früher über Entscheidungen und Urteile als andere. Das Gericht sehe dies als ein Mittel, positiv auf die Qualität der Berichterstattung einzuwirken. Doch ist diese Form der Privilegierung beziehungsweise Benachteiligung gerecht und zeitgemäß? Im Gespräch mit dem erfahrenen Deutschlandfunk-Hauptstadtjournalisten Stefan Detjen bespricht Brigitte Baetz die Probleme rund um die exklusiven Informationsverhältnisse.

2. “Seebrücken”-Demo in Frankfurt: Festnahme von Journalistin war rechtswidrig
(fr.de, Hanning Voigts)
Wie Hanning Voigts berichtet, protestierten Anfang April rund 400 Menschen unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln am Frankfurter Mainufer gegen die Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union. Die Polizei habe damals die “Seebrücken”-Demo aufgelöst und die anwesende Journalistin Lotta Laloire festgenommen. Nun hat das Amtsgericht Frankfurt in einem Beschluss verkündet, dass keine Voraussetzungen für eine Festnahme vorgelegen hätten. “Laloire habe den Beamten, die sie kontrollieren wollten, ihren Presseausweis gegeben und sich damit eindeutig ausgewiesen. Eine Festnahme sei deshalb juristisch nicht in Betracht gekommen”.

3. Innenministerium verklagt Bundesdatenschutzbeauftragten
(netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Das Bundesinnenministerium scheint sich mit Händen und Füßen gegen das in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu wehren. Diese Einstellung gipfelt in einer Groteske: Weil es die Vorgaben zur Datensparsamkeit bei IFG-Anfragen nicht einhalten wolle, habe das Ministerium den Bundesdatenschutzbeauftragten verklagt.

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4. Der letzte Sprachpfleger
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Werner Müller war Jahrzehnte Lehrer an einem Gymnasium und über einen Zeitraum von 25 Jahren Sprachpfleger und Sprachbeobachter des Bayerischen Rundfunks. Der heute 75-Jährige hörte sich das BR-Programm an, machte sich Notizen und gab seine Erkenntnisse weiter. Aurelie von Blazekovic hat sich mit Müller über dessen Werdegang sowie die Besonderheiten der Sprache unterhalten. Und über die Frage, wie es ist, wenn man als Sprachpfleger mit einem Beauftragten für Deutschtümelei verwechselt wird.

5. Google appelliert an Australien
(taz.de)
Australien will, dass Google und Facebook einen Teil ihrer Werbeumsätze an Verlage ausschütten. Dagegen wehrt sich Google nun mit einem “offenen Brief an die Australier”. Durch die neue Regelung würde sich das Angebot verschlechtern. Auch seien unkontrollierten Datenweitergaben zu befürchten. Die zuständige Verbraucherschutz- und Wettbewerbsbehörde Australiens hat ihrerseits reagiert und die Vorwürfe in einem offenen Brief zurückgewiesen.

6. NDR-Chor: Protest gegen Sparvorhaben
(mmm.verdi.de, Lars Hansen)
Um Geld bei seinem Chor zu sparen, hat sich der NDR eine trickreiche Konstruktion ausgedacht: Man will die studierten Sänger und Sängerinnen in eine GmbH überführen, bei “halben Verträgen”. Der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung kommentiert: “In dieser GmbH werden nicht die gleichen Arbeits- und Tarifbedingungen herrschen wie beim NDR. Vor allem aber sollen die neuen Sänger nur noch zu 50 Prozent für den Chor arbeiten. Und sie sollen schneller zu kündigen sein. Damit haben wir ein Problem der sozialen Absicherung, denn bei Sängern kann es vorkommen, dass die Stimmleistung vor Erreichen des Rentenalters nachlässt. Wir fürchten, dass der NDR sich hier aus der sozialen Verantwortung für seine Arbeitnehmer ziehen will.”

Darknet des kleinen Mannes, Post für Porno-Portale, Gegenrede wirksam

1. Neue Studie zeigt Wirksamkeit von Gegenrede im Netz
(netzpolitik.org, Daniel Laufer)
Viele erinnern sich noch an die von Jan Böhmermann initiierte Aktion “Reconquista Internet” zur Abwehr der rechten Trollarmee “Reconquista Germanica”. Nun haben US-amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aktion untersucht und festgestellt, dass organisierte Gegenrede tatsächlich ein wirksames Mittel gegen Hass im Netz sein könnte. Böhmermann fasst zusammen: “Die Studie belegt erstmals empirisch, was wir mit ‘Reconquista Internet’ praktisch erfahren haben: Wer organisierten Hass, rassistische Hetze oder die cleveren Diskursverschiebungskampagnen rechtsextremistischer Netzwerke im Internet erfolgreich bekämpfen will, muss wissen, wie diese verdeckten Manipulationsnetzwerke arbeiten, sie analysieren und gegen sie aktiv werden”.

2. Wenn Peking die Bilder liefert
(sueddeutsche.de, Lea Deuber)
Am 15. Juni soll die SWR-Dokumentation “Inside Wuhan” im Format “Story im Ersten” laufen, doch es gibt bereits im Vorfeld Kritik an der Produktion. Der Titel klinge, als habe sich der SWR für die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Spurensuche in Wuhan begeben. Es sei jedoch kein eigenes Team entsendet worden, stattdessen sei mit Material der chinesischen Propagandabehörden gearbeitet worden.

3. Die schlimmste App der Welt
(youtube.com, Walulis, Video: 10:36 Minuten)
Als “die schlimmste App der Welt” und das “Darknet des kleinen Mannes” bezeichnet Philipp Walulis den Messengerdienst Telegram. Die WhatsApp-Alternative habe sich mittlerweile zu einem Spielplatz für Verschwörungserzähler wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo entwickelt, die dort ungestört agieren könnten. Gegründet worden sei der Dienst von Pawel Durow, der zuvor bereits das in Russland meistgenutzte Soziale Netzwerk Vk.com gegründet habe, dann aber in Ungnade gefallen sei und heute seinen Geschäften von Dubai aus nachgehe.

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4. Das Milliardenspiel
(spiegel.de, Peter Ahrens & Jörn Meyn)
Derzeit liegen die Live-Rechte für die Fußball-Bundesliga vor allem beim Bezahlsender Sky, doch das könne sich bald ändern: Bis zum 19. Juni laufe die Ausschreibungsfrist für die TV-Rechte an den Spielzeiten 2021/2022 bis 2024/2025. Peter Ahrens und Jörn Meyn erklären, welche Rechtepakete zum Verkauf stehen, wer alles mitbietet, und welche Rolle Amazon dabei spielt. Außerdem geht es natürlich um die Frage, ob eine weitere Gewinnexplosion zu erwarten ist.

5. Bundesverfassungsgericht verrät vorab seine Urteile
(tagesspiegel.de, Jost-Müller Neuhof)
Es gibt Kritik an der Veröffentlichungspraxis des in Karlsruhe sitzenden Bundesverfassungsgerichts. Noch vor der offiziellen Verkündung der Urteile, teile das Gericht Informationen zu seinen Entscheidungen vor Ort einem kleinen Kreis ausgewählter Journalistinnen und Journalisten mit. In rund der Hälfte der Fälle würden diese Exklusiv-Infos an Vertreterinnen und Vertreter von ARD und ZDF gehen. Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert das Vorgehen des Gerichts als “befremdlich und nicht mehr zeitgemäß”.

6. Youporn, Pornhub und MyDirtyHobby bekommen Post
(faz.net)
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) geht gegen drei reichweitenstarke Pornoportale vor, die in der gegenwärtigen Form nicht weiterbetrieben werden dürften. Die Websites würden gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verstoßen, indem sie Pornografie frei zugänglich machen würden, ohne sicherzustellen, dass Kinder keinen Zugang haben. Es dürfte ein zähes Ringen werden, denn das dahinterstehende Unternehmen hat seinen Sitz auf Zypern. Die KJM gibt sich jedoch kämpferisch und könne nötigenfalls auf das Mittel der Netzsperre zurückgreifen.

Schlagzeile zur Umfrage auf Rekordtief

Seit Wochen schon fährt die “Bild”-Redaktion einen Kurs gegen die Corona-Maßnahmen von Angela Merkel. Nur: So richtig fruchten will das offenbar nicht — die Umfragewerte der Bundeskanzlerin sind so gut wie lange nicht mehr.

So auch in einer aktuellen Befragung, die Bild.de heute präsentiert. Das Meinungsforschungsinstitut Insa sollte “in einer exklusiven Umfrage für BILD” herausfinden, wie zufrieden die Menschen mit der Arbeit der Großen Koalition sind. Eines der Ergebnisse:

Die Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung bleibt hoch und legt sogar um einen Punkt auf 50 Prozent zu.

50 Prozent — das ist der höchste Wert “seit Beginn der Messung vor einem Jahr”.

Die “Bild”-Redaktion könnte also sowas titeln wie: Zufriedenheit mit der Bundesregierung auf Rekordhoch! Oder: Menschen mit Merkel und Co. so zufrieden wie noch nie!

Sie hat sich dann aber doch für einen etwas anderen Spin entschieden:

Screenshot Bild.de - Corona sei Dank - Unzufriedenheit mit Merkel & Co auf Rekordtief!

Durch die Negativ-Dopplung (“Unzufriedenheit (…) auf Rekordtief”) dürfte nicht jeder Leserin und jedem Leser sofort klar werden, dass die Schlagzeile eigentlich eine sehr gute Nachricht für die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung ist. Und da es sich um einen “Bild plus”-Artikel handelt, kann auch nicht jeder und jede dieses mögliche Missverständnis auflösen. Wie praktisch.

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Bemerkenswert ist auch die Dachzeile “CORONA SEI DANK”, die “Merkel & Co.” zu Corona-Krisengewinnlern erklärt. Im Text wiederholt Bild.de diese Behauptung noch einmal:

Die Große Koalition profitiert noch immer von der Corona-Krise.

Ebenfalls ein besonderer Spin. Denn letztlich profitiert die Große Koalition nicht von der Corona-Krise, sondern von ihrem Handeln in der Corona-Krise, das den Befragten offensichtlich gefällt. Aber das würde natürlich nicht so gut zum “Bild”-Kurs gegen die Kanzlerin passen.

Mit Dank an Vincent, @AkD20205 und @polenz_r für die Hinweise!

Dünnbartbohrer, Heimliches Strategiepapier, Falscher Tod

1. Exklusiv: Deutschlands beste Corona-Ticker
(kress.de, Christian Lindner)
Medienberater Christian Lindner stellt 15 beispielhafte Corona-Ticker vor. Sein Überraschungssieger: Der Corona-Feed der “Hamburger Morgenpost”. “Total regional, stimmig, kraftvoll, nüchtern im Sound und optisch perfekt.”
Wie es um Europas Presse in Zeiten der Pandemie steht, berichten “SZ”-Korrespondenten aus sechs Ländern. Angenehm kurze Infohäppchen der Auslandsreporterinnen und -reporter.
Doch wie wirkt sich die Corona-Krise im Inland aus? Gregory Lipinski hat sich für “Meedia” bei den großen Verlagshäusern umgeschaut. Nach Bertelsmann, Funke, SWMH und “Zeit”-Verlag wolle jetzt auch Axel Springer zumindest partielle Kurzarbeit anmelden. Und auch beim “Tagesspiegel” werde es wegen massiver Anzeigenrückgänge bald Kurzarbeit geben.
Im Podcast “Unter Zwei” von Levin Kubeth geht es ebenfalls um Die Herausforderungen der Coronakrise. Kubeth hat, wie so oft, hochkarätige Interviewgäste aus der Medienbranche in der Sendung.
Die “taz” plant eine Sonderausgabe für und gefüllt durch freie Fotografen und Fotografinnen: “Die taz wird am Donnerstag, Gründonnerstag Dokumente dieser Zeit aufbereiten — Dokumente, die uns unsere Fotograf:innen selbst bereitstellen, als visuelle Zeitzeug:innen.”
Beim “Fachjournalist” gibt es ein Interview mit dem Datenjournalisten Marcel Pauly vom “Spiegel”: “Die Coronakrise dominiert den Arbeitsalltag aller Datenteams”.
Lesenswert ist zudem Dennis Horns Einordnung der Medienkritik des Virologen Christian Drosten.
Und wer nach all den Corona-News etwas Abstand und Ablenkung braucht: Die “Süddeutsche” hat eine tolle Zusammenstellung von Kulturlinks: Konzerte, Lesungen und Kunst von zu Hause erleben.

2. Der Dünnbartbohrer
(neues-deutschland.de, Christian Y. Schmidt)
Christian Y. Schmidt ärgert sich über die journalistische Begleitung der Corona-Krise durch den Wirtschaftsjournalisten Gabor Steingart in dessen Newsletter: “Seit 2018 verschickt er per E-Mail ein sogenanntes ‘Morning Briefing’, eine Art ‘Breitbart light’ für Wirtschaftsliberale, das stilistisch den schmalen Grat zwischen Claas Relotius und Franz Josef Wagner auslotet. ‘Dünnbart’ wäre kein schlechter Name. Für den Verfasser aber müsste man aufgrund seiner Corona-Verlautbarungen ebenfalls eine neue Bezeichnung finden. Am besten würde eine passen, die ich hier nicht hinschreibe, denn ich habe keine Lust, mich von Steingart verklagen zu lassen.”

3. Veröffentlicht die Dokumente!
(uebermedien.de, Arne Semsrott)
In der Presselandschaft zirkuliert ein vertrauliches Strategiepapier des Bundesinnenministeriums zum Umgang mit der Corona-Pandemie. Viele Medien hätten sich aus dem 17-seitigen Papier unterschiedliche Aspekte herausgepickt und würden daraus zitieren. Obwohl das Strategiepapier bereits in der Branche kreise, weigere sich das Innenministerium, es auch anderen Journalistinnen und Journalisten auf Basis des Pressegesetzes herauszugeben. Arne Semsrott ist deshalb initiativ geworden: “Es über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu bekommen, würde sich einen Monat hinziehen, viel zu lange. Und auch kein Sender, kein Verlag hat das Papier bisher veröffentlicht. Deshalb haben wir von ‘FragDenStaat’ das gemacht.”

4. Umstrukturierung als Mentalitätswandel
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 5:21 Minuten)
Der Hessische Rundfunk befindet sich mitten in der Transformation. Das betrifft sowohl die Personalstruktur als auch die Inhalte und Ausspielwege. Es ist eine gewaltige Herausforderung, denn die Änderungen finden an vielen Stellen gleichzeitig statt, und die Corona-Krise verlangt dem Sender Weiteres ab. Daniel Bouhs hat sich die Reformanstrengungen näher angeschaut.

5. Konkurrenz mit Sonntags-Talks
(sueddeutsche.de)
Neulich lagen ARD und ZDF im Clinch wegen zeitgleich laufender Nachrichtensendungen, nun sollen parallel angesetzte Polit-Talkshows für Unmut sorgen. Spezial-Talkshowausgaben rund um das Coronavirus mit Maybrit Illner (ZDF) kollidierten mit dem festen Sendetermin ihrer ARD-Kollegin Anne Will.

6. Korrektur: Meldung zum Tod von Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger war falsch
(nzz.ch)
Die “Neue Zürcher Zeitung” (“NZZ”) ist offenbar auf einen berühmt-berüchtigten Twitter-Hoaxer hereingefallen, der sich als “Suhrkamp Verlag” ausgegeben und den angeblichen Tod des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger verkündet hatte.
Weiterer Lesehinweis: Felix Neumann hat mit dem Mann Kontakt aufgenommen, der sich als Politiker, Bischof und Künstler ausgebe: Tommasso Debenedetti – “Meisterfälscher” und Papst-Serienmörder (katholisch.de).
PS: Die “NZZ”-Redaktion wäre besser gefahren, wenn sie Neumanns 4 Strategien gegen Twitter-Fakes gelesen hätte, bevor sie die Falschnachricht ungeprüft weiterverbreitete. Ein Artikel für den digitalen Handwerkskoffer und die ewige Bookmarkliste.

Corona-Profiteure, Preprint-Server, Suizid-Berichterstattung

1. Exklusiv: “Bild” empfiehlt dubiose Corona-Test-Firma, gegen die jetzt ermittelt wird
(vice.com, Theresa Locker & Thomas Vorreyer)
Zu Zeiten der Corona-Pandemie versuchen immer wieder windige Geschäftemacher, ihren Vorteil aus der Not und Angst anderer zu ziehen. Einem besonders niederträchtigen Fall ist das “Vice”-Team nachgegangen: Eine dubiose Firma habe teure Corona-Schnelltests für zu Hause angeboten, eine Aktion, bei der sich Worte wie Wucher und Betrug aufdrängen. All dies mit tatkräftiger publizistischer Unterstützung von “Bild”.

2. Zwischen Fast Science und Fake News
(netzpolitik.org, Maximilian Heimstädt)
Maximilian Heimstädt erklärt, was es mit den sogenannten “Preprint-Servern” auf sich hat, auf die sich auch der Virologe Christian Drosten in seinem NDR-Podcast gelegentlich bezieht. Auf derartigen Servern landen Studien und Untersuchungen, die noch kein wissenschaftliches Begutachtungsverfahren (“Peer-Review”) durchlaufen haben. Die dort veröffentlichten Papiere böten Chancen auf neue Erkenntnisse, vorausgesetzt man pflege einen sorgsamen Umgang mit den dort vorveröffentlichten Inhalten.

3. Noch nicht alle haben gelernt
(taz.de, Carolina Schwarz)
Eigentlich ist den Medien bereits seit längerer Zeit bekannt, dass die Berichterstattung über Suizide mit größter Sensibilität erfolgen muss, um keine Nachahmungstaten entstehen zu lassen (“Werther-Effekt”). Auch der Pressekodex fordert Journalisten und Journalistinnen zu Zurückhaltung auf. Leider hat sich dies noch nicht bei allen Medien herumgesprochen, wie ein aktueller Fall zeigt.
Weitere Lesehinweise und Hörempfehlungen: Die richtigen Worte finden, nicht spekulieren (deutschlandfunk.de, Michael Borgers) und das Deutschlandfunk-Gespräch mit dem Neurologen und Psychiater Reinhard Lindner: “Es darf nicht verschwiegen werden” (deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 8:29 Minuten).
Lesenswert ist auch weiterhin der Beitrag von Boris Rosenkranz bei “Übermedien” über verantwortungslose beziehungsweise verantwortungsvolle Berichterstattung über Suizide: Journalisten können Leben retten – oder sie leichtsinnig riskieren.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 und 116 123) erreichen kannst.)

4. Twitter löscht zwei Nachrichten des brasilianischen Präsidenten
(spiegel.de)
Im Normalfall lässt Twitter die Tweets von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs unberührt, egal, welchen zweifelhaften Inhalt sie auch haben mögen. Bestes Beispiel ist dafür US-Präsident Donald Trump, der auf Twitter nahezu täglich lügen darf, dass sich die Balken biegen. Von dieser Praxis ist der Kurznachrichtendienst in einem aktuellen Fall abgewichen und hat zwei Botschaften des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gelöscht. In eingebetteten Videos habe Bolsonaro den Sinn von Isolationsmaßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus in Zweifel gezogen.

5. Die neue Sachlichkeit: Wie Corona die Medienwelt verändert
(rnd.de, Imre Grimm)
Wir wirkt sich die Corona-Krise auf den Journalismus aus? Nicht nur negativ, wie man angesichts der Arbeitseinschränkungen meinen könnte: “Der klassische Journalismus, der sich bewährten Tugenden seiner Zunft zumindest verpflichtet fühlt und im Wahnsinn der sich überschlagenden Ereignisse zu ordnen, erklären und diskutieren versucht, erlebt eine Renaissance.” Und auch der Ton in der öffentlichen Debatte habe sich verändert, so Imre Grimm: “Es sind nicht mehr die Lautesten und Grellsten, die die Agenda bestimmen. Plötzlich sitzen in öffentlich-rechtlichen Talkshows kaum noch Populisten, die über Jahre immer mal wieder für ein Stündchen Erregung und ein paar Zuschauer mehr gut waren. Sondern Wissenschaftler, Fachjournalisten und Politiker, die nach der richtigen Balance zwischen Demut und Entschlossenheit suchen.”

6. Tigerente und Latein
(sueddeutsche.de, Nina von Hardenberg)
Nina von Hardenberg hat sich das öffentlich-rechtliche Kinder- und Schülerfernsehen angesehen und ist insgesamt recht angetan: “Aus Krisen, sagt man, kann auch Gutes entstehen. Was die öffentlich-rechtlichen Sender innerhalb kürzester Zeit an Programm für Schulkinder zusammengestellt haben, zählt dazu. Wenn sie es den Eltern noch ein wenig leichter machen würden, diese Sendungen zwischen Mittagessenkochen und Videoschalte rasch zu finden, könnten die Kinder — die in diesen Tagen in vielen Familien ohne Frage mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen — wirklich viel Gutes daraus mitnehmen.”

Reichelt und Ronzheimer: “Bild” hat auch was richtig gemacht

“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt und seinen Stellvertreter Paul Ronzheimer muss man sich vorstellen wie zwei Typen, die vor der brennenden Hütte stehen, den Benzinkanister und das Feuerzeug noch in der Hand, und die später auf dem Polizeirevier groß rumtönen, dass sie fürs Löschen ja ihre zwei Flaschen Bier zur Verfügung gestellt haben.

Nachdem es in den Sozialen Medien deutliche Kritik an der “Bild live”-Sendung zu den rassistischen Morden in Hanau gab, antworteten Reichelt und Ronzheimer nicht etwa mit Einsicht, dass das alles ziemlich schlecht war, oder mit Verständnis dafür, dass das wilde Spekulieren und das Verbreiten von falschen Gerüchten vielen nicht passte. Stattdessen:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chefredakteur Julian Reichelt - Frage von Twitter-User Shai: Was haben Sie für ein Verständnis  von Journalismus, Herr Reichelt? Das hier ist ein Armutszeugnis für ihre Bild-Berichterstattung und in Zeiten von Fake News brandgefährlich und verantwortungslos - Antwort Reichelt: Lieber Shai, dass der Täter rechtsextreme Motive hatte, war Stunden vor allen anderen eine exklusive Meldung bei Bild.

Screenshot eines Tweets des stellvertretenden Bild-Chefredakteurs Paul Ronzheimer - Bild war das erste Medium, das über den rechtsradikalen Hintergrund berichtet hat heute morgen.

Was soll das für ein Argument sein?

“Hier, schaut mal, ihr habt da richtig Mist gebaut.”
“Jaha, aber wir haben auch was richtig gemacht.”

Gleicht im “Bild”-Kosmos eine zutreffende Information die ganzen falschen Behauptungen von vorher aus? Denken Reichelt und Ronzheimer, dass die Gerüchte, die in der “Bild live”-Sendung verbreitet wurden, damit aus der Welt sind? Glauben sie wirklich, dass sie mit ihrer “exklusiven Meldung bei BILD” all jene erreichen, denen die “Bild”-Reporter zuvor noch erzählt haben, dass “Russen” hinter den Morden stecken dürften, oder dass das alles was mit dem “Drogenmilieu” oder “Schutzgeldzahlungen” zu tun haben könnte?

Oder sind das einfach nur billige Ausreden, um nicht um Entschuldigung bitten zu müssen? Wir haben schon häufiger darauf verwiesen und wollen es heute wieder tun: Julian Reichelt ist der Mann, der über sich selbst sagt:

Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.

“Nordkurier” baut in der Gerüchteküche eine Moschee

Vergangene Woche große Aufregung in Neubrandenburg. Dort gebe es eine Großbaustelle, schrieb der “Nordkurier”, von der “offenbar kaum jemand weiß, was dort gebaut wird”. Von einer Moschee sei die Rede.

Screenshot Nordkurier.de: Wird in Neubrandenburg eine Moschee gebaut? - Seit Wochen gibt es eine Groß-Baustelle auf dem Neubrandenburger Datzeberg, von der offenbar kaum jemand weiß, was dort gebaut wird. Die Rede ist von einer Moschee.

Auf der Facebookseite des “Nordkuriers” war dieser Artikel einer der meistgeteilten des Tages. Viele Leserinnen und Leser waren wütend. “Das fehlt ja auch noch”, kommentierte einer. Oder: “So weit kommt das noch ,die Dinger könn die in der Wüste basteln .Wir brauchen hier keine illegalen Waffenlager .”

Dabei wusste die Redaktion die Antwort auf die Frage längst:

Recherchen des Nordkurier haben ergeben, dass dort keine Moschee entsteht, sondern eine Pflegeeinrichtung.

So steht es im Artikel — aber erst, nachdem der “Nordkurier” sich zwei Absätze lang der angeblichen “Geheimnistuerei rund um die Baustelle” und den Gerüchten irgendwelcher Leute gewidmet hatte.

Was die Redaktion als exklusives Ergebnis ihrer “Recherchen” verkauft, war übrigens keineswegs geheim, sondern seit Wochen öffentlich. Schon an Heiligabend meldete sich der Oberbürgermeister Neubrandenburgs bei Facebook mit einer Videobotschaft vom Datzeberg, in der er sagte:

Hier hinter mir kann man sehen: eine große Baustelle. Hier entsteht ein Seniorenheim.

“Herzlichen Glückwunsch, lieber Nordkurier, zur dämlichsten Überschrift dieses Jahres”, kommentiert ein anderer Leser. “Bitte stellt euch nicht mehr unschuldig, wenn in euren Kommentarbereichen der Hass brodelt, denn ihr zündelt munter mit. Das ist unverantwortlich und hat nichts mit seriöser Medienarbeit zu tun!”

Aber es klickt sich doch so gut!

Erst im April vergangenen Jahres titelte der “Nordkurier”:

Screenshot Nordkurier.de: Wird eine Moschee im Reitbahnviertel gebaut? - In einer Baracke am Neubrandenburger Reitbahnsee sind muslimische Gottesdienste in einem Gebetsraum möglich. Wird dort nun auch der Bau einer Moschee genehmigt?

Auch damals: hunderte Kommentare, viele Likes und Shares und vor allem jede Menge Wut. Und auch damals kannte der “Nordkurier” die Antwort längst, hielt es aber nicht für nötig, sie in Überschrift oder Teaser zu erwähnen. Denn:

Alles Quatsch, so die Zusammenfassung einer Nachfrage im Neubrandenburger Rathaus.

Mit Dank an R. für den Hinweis.

Hier spricht Julian Reichelt – und erzählt ziemlichen Unsinn

Schon die Ankündigung von “Bild”-Chef Julian Reichelt ist völlig daneben:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Ab morgen bei Bild: Hier spricht das Volk – die erste Talkshow, in der ganz normale Menschen der Politik sagen, was sie wirklich bewegt.

Das ist WIRKLICH Unsinn, den Reichelt zu seiner neuen Sendung “Hier spricht das Volk”, die seit gestern bei Bild.de läuft, verbreitet.

Ein Talk-Format, in dem “ganz normale Menschen der Politik sagen, was sie WIRKLICH bewegt”, ist nun wahrlich keine Erfindung, die auf die “Bild”-Redaktion zurückgeht. Im deutschen Fernsehen gibt es davon bereits etliche, teilweise seit fast einem halben Jahrhundert: Im WDR läuft “Ihre Meinung”, im SWR “mal ehrlich”, im MDR der “Fakt ist! Bürgertalk”, im hr “Jetzt mal Klartext”, im rbb “Wir müssen reden!”, bei Phoenix eine Sendung, die ebenfalls “Wir müssen reden” heißt, und im BR “Jetzt red i”, das es seit 1971 gibt.

Aber Julian Reichelt hat laut Julian Reichelt natürlich etwas ganz, ganz Neues kreiert.

Schon im Oktober, bei der Ankündigung seiner TV-Pläne, erzählte der “Bild”-Chef diesen Unfug, dass er und seine Redaktion Dinge zeigen werden, über die andere Fernsehsender, vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, gar nicht berichten würden:

Ich frage mich: Wo findet die Realität, die wir auf der Seite 2 von “Bild” abbilden, im Fernsehen statt? Etwa, dass Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, jetzt Flaschen sammeln müssen.

Und:

Reichelt: Exklusive News zeigen und emotionale Geschichten erzählen. Man kann natürlich sagen, das bieten andere auch schon. Die Wahrheit ist: Die meisten Fernsehsender machen das, was wir uns vorstellen, eben nicht. Aus dem brennenden Amazonasgebiet, so wie wir zuletzt, sendet nicht jeder.

SPIEGEL: Vielleicht nicht mit acht Reportern wie “Bild”, aber etliche Sender haben durchaus direkt vor Ort berichtet.

Reichelt: Ja, aus dem Hotelzimmer. Aber nicht mit mehreren Teams, die im brennenden Regenwald stehen und mit Menschen reden, um die herum alles gerodet wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass es diese menschliche Geschichte im Nachrichtenangebot gab.

Selbstverständlich standen Reporterinnen und Reporter verschiedener Fernsehsender “im brennenden Regenwald” und redeten “mit Menschen, um die herum alles gerodet wird.” Und selbstverständlich haben schon etliche Fernsehsender, auch und vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, über Menschen berichtet, die “Flaschen sammeln müssen.” Aber was interessieren Julian Reichelt schon Fakten, wenn er da so ein “Gefühl” hat?

Mittlerweile gibt es zu “Hier spricht das Volk” erste Kritiken:

Verfangen also womöglich Rainer Wendts Es-ist-so-schlimm-wie-damals-bei-der-RAF-Warnungen vor linker Gewalt doch nicht? Ist die Sorge vor dem bösen Messerstecher vielleicht doch nicht so riesig? Gibt es vielleicht doch auch inhaltliche Gründe, warum die “Bild” innerhalb eines Jahres 10 Prozent ihrer Auflage verloren hat (und liegt es nicht nur daran, dass die Leute einfach immer weniger gedruckte Zeitungen lesen)? Tragen die “Bild”-Leser*innen vielleicht gar nicht so viel Angst und Hass und Wut in sich wie die “Bild”-Macher*innen?

Wenn die Diskutierenden in “Hier spricht das Volk” die normalen Menschen sind, wie Reichelt sagt, “ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft, ein Querschnitt durch Deutschland”, dann bildet seine Zeitung diese Gesellschaft nicht mehr ab. Dann hat “Bild” den Großteil unserer Gesellschaft verloren. Dann bleibt ihr nur noch der Rand.

Reichelt fragt, ob die Bundestagsabgeordneten zu gut bezahlt werden, und die 15 [Talk-Gäste] antworten, es käme drauf an. Reichelt fragt, wer ein Messer mit sich führe — und es hat niemand eines dabei. Er fragt den anwesenden Polizisten mit dem sympathischen Vornamen Niels, wie es denn so sei mit der Messergewalt im Lande und bekommt zur Antwort, die sei nicht gestiegen. Das Volk der 15 fühlt sich auch nicht “unsicherer als früher”, und eine junge Frau sagt auf die Frage, ob sie sich denn noch nachts in die öffentlichen Verkehrsmittel traue: “Ja, sicher!” (…)

Die Antworten sind also vernünftiger als die Fragen. Darin liegt der konzeptionelle Fehler der Sendung: Das Volk kommt zu Wort, nachdem Julian Reichelt es ihm erteilt hat, um auf eine Frage zu antworten, die ihn interessiert und solange sie ihn interessiert — und das ist arg kurz.

Schnell lässt sich durchschauen, dass ein großer Teil der Fragen, die Julian Reichelt an das vermeintliche “Volk” richtet, in Wahrheit Suggestivfragen sind, die die Antwort bereits vorwegnehmen sollen — das erklärt vielleicht auch, weshalb den eigentlichen Antworten so wenig Platz eingeräumt wird, denn so recht drauf anspringen wollten die Diskutanten darauf nicht. Am Ende bleibt der Eindruck, als gehe es Julian Reichelt in erster Linie um Bestätigung der eigenen Ansichten. Bleibt die Bestätigung aus, folgt einfach das nächste Thema.

Dazu kommt, dass eine gute Diskussion schon alleine durch die Sitzordnung verhindert wird. Weil Reichelts Gesprächspartner in zwei Reihen hintereinander sitzen, bedarf es mitunter einer gewissen Gelenkigkeit, um mit dem Hintermann ins Gespräch zu kommen. Einzig Julian Reichelt hat alles gut im Blick. Er, der Chefredakteur, auf der einen Seite, die “ganz normalen Menschen” auf der anderen. Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte.

Macht’s noch einmal, Will und Martin

Ein exklusives Interview mit zwei Hollywood-Stars — darauf kann eine Redaktion schon stolz sein. Und klar, dass diese Redaktion dann auch extra schreibt: “BILD traf Will Smith und Martin Lawrence zum Interview”.

Screenshot Bild.de - Bad-Boys-for-Life-Premiere in Berlin - Dieser Film hat unsere beiden Karrieren gestartet - Bild traf Will Smith und Martin Lawrence zum Interview

Blöd nur, wenn es gar kein Interview gegeben hat.

Der Artikel auf Bild.de zitiert Will Smith und Martin Lawrence zwar mehrfach und ausführlich; diese Zitate stammen aber alle von einer Pressekonferenz in Berlin, bei der die zwei Schauspieler gemeinsam mit Produzent Jerry Bruckheimer sowie den Regisseuren Adil El Arbi und Bilall Fallah ihren neuen Film “Bad Boys for Life” vorgestellt haben. Hier der Vergleich:

Bild.de Pressekonferenz
“Ich habe in meiner Karriere einige Fortsetzungen gedreht, ich war niemals richtig glücklich mit der Qualität. Aber das hier war unser Baby, dieser Film hat unsere beiden Karrieren gestartet. Es musste also vernünftig werden und nicht einfach nur der dritte Teil. Sehr selten werden Fortsetzungen besser, aber bei dieser Trilogie ist der dritte Film der beste.” Smith: “I’ve made a couple of sequels in my career and I was never totally happy with the quality of the sequel, and this was like our baby, like this was the movie that really launched both of us and it just, it had to be right, it had to be a movie, that was worthy of coming back to it by itself. Not just: Hey, wouldn’t it be cool to make a third one, and you know, I wanted to do something that was great and I wanted to take a shot at making the best of the three movies. And very rarely in sequels do the films get better, as you go along, and I think that with this trilogy, I think that definitely in terms of story, definitely in terms of performance, this third one is the best of the three.”
Als Lawrence etwas von “Ich mache Sport” ins Mikrofon flüstert, kriegt sich Smith gar nicht mehr ein. Er fängt an, laut zu lachen und klatscht begeistert in die Hände. Dann gibt er zu: “Ich fühle mich älter.” Lawrence: “Well, exercise.” – Gelächter – Smith: “I don’t know, ah, you know, I just feel like, I’m feeling all of my 50 years old.” – Lawrence: “I feel all of 54.”
Vor Beginn der Dreharbeiten zu “Bad Boys for Life” habe er [Smith] gesagt, er mache alle Stunts selbst – Tom Cruise (57) schaffe das schließlich auch. “Nach drei Tagen war klar, es ist viel tougher als ich dachte.” Kampfszenen und aus dem Fenster springen sei in seinem Alter doch weitaus schwieriger als mit 25. “Danke Gott für die Spezialeffekte!” Smith: “We came into this movie, and I was like: I’m doing all the stunts, I don’t need no stuntman. Just whatever it is. Tom Cruise can do all his stunts, I can do all my stunts. And, we had about three days of that, we had about three days and we had a scene calling the subs. I said: ‘Hey, you think we should use our stuntman for this?’ And you know, it was really a lot tougher than I imagined, it’s a whole lot easier doing a fight scene and trying to fall out of a window and all of that kind of stuff at 25, than it is at 50. Thank god for special effects!”
Er [Bruckheimer] hat keinerlei Zweifel am Erfolg der Fortsetzung: “Wenn du eine Kamera auf Martin und Will richtest, weißt du, sie werden fantastisch sein.” Bruckheimer: “When you put Martin and Will together, and you turn a camera on, it’s magic, no matter what, so I knew they would be fantastic.”
Smith erinnert sich noch gut an die Dreharbeiten des ersten Films in Florida. “Prince hatte einen Club in Miami, selbst designt. Es war wirklich hart für uns zu arbeiten, wenn du jede Nacht in den Club gehen konntest …” Smith: “For me, it was Miami. It was like, you know, for this, for ‘Bad Boys’ was the first time we really spent time in Miami, it was like our introduction to that. And, one of the major memories: Prince had a club in Miami, when we first made the film, with ‘glam slam’ or something like that. Prince designed a club, it was really hard to get work done in Miami when you could go to Prince’s club every night. So that was one of my fondest memories.”
Was für ihn die Freundschaft der beiden Hauptfiguren ausmacht: “Es muss nicht liebenswürdig sein, es muss nicht besonnen sein oder goldig. Aber sehr zuverlässig.” Motto: “We ride together, we die together”. Smith: “Yeah, that’s really at the center of ‘Bad Boys’, you know, that idea: ‘We ride together, we die together.’ It’s like perfect friendship. And it doesn’t have to be gentle, and, you know, it doesn’t have to be calm, it doesn’t have to be sweet, but what it is: it’s rocksolid. We ride together, we die together. Bad Boys for life.”

(All diese Zitate (bis auf eines — aber auch dieses stammt von der Pressekonferenz), sind in einem gekürzten Zusammenschnitt auf Youtube zu finden.)

Der “Bild”-Autor hat während der gesamten Pressekonferenz keine einzige Frage gestellt — das geht aus einem Audiomitschnitt hervor, der uns vorliegt. Dennoch gibt die Redaktion die Antworten als eigenes “Interview” aus.

Diese Interviewvorgaukelei hat bei “Bild” eine gewisse Tradition:

Mit Dank an den Hinweisgeber!

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