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Datenkauf im Darknet: BKA-Präsident widerspricht “Bild”

Es ist schon ein bisschen beeindruckend, wie die “Bild”-Redaktion es momentan schafft, beim Thema Datenklau immer wieder danebenzuliegen. Erst Redakteur Julian Röpcke, der behauptet, Fälle von “bad political scandals” in dem Material gefunden zu haben — was sein Chef Julian Reichelt später völlig anders sah:

Meine große Schlussfolgerung daraus ist, dass in enorm vielen Daten enorm wenig, so gut wie gar kein wirklich brisantes, skandalöses Material dabei war

Und dann “Bild”-Chef Reichelt, der, kurz bevor ein 20-jähriger Schüler, der noch bei seinen Eltern wohnt, vom Bundeskriminalamt (BKA) als geständiger Einzeltäter präsentiert wird, sagt:

Ich glaube, was relativ klar ist: Das waren nicht ein oder zwei Jungs, die bei Pizza und Cola light im Keller gesessen haben, bisschen Computerspiele, bisschen Youtube und dann bisschen was gehackt haben und das dann aufbereitet haben. Das muss eine größere Struktur gewesen sein.

Heute ist “Bild” der nächsten ganz kalten Sache auf der Spur:

Ausriss Bild-Zeitung - Hacker kaufte Passwort-Daten illegal im Darknet

Daten-Dieb Johannes S. (20) hatte nach BILD-Informationen teilweise Passwörter der gehackten Promis und Politiker im sogenannten „Darknet“ gekauft, um illegal Zugang zu ihren Daten zu bekommen!

Und woher stammen diese “BILD-Informationen”?

Auch einige der von ihm auf “Twitter” veröffentlichten Social-Media-Daten hatte der Arzt-Sohn im “Darknet” zuvor erworben, wie BILD aus Ermittlerkreisen erfuhr.

Ah, die Ermittler. Was sagt denn zum Beispiel BKA-Präsident Holger Münch dazu?

Einem Bericht der “Bild”-Zeitung, wonach der mutmaßliche Täter Daten wie Passwörter im Darknet gekauft haben soll, hat BKA-Chef Münch in der Sondersitzung widersprochen.

Das steht heute bei “Spiegel Online”. Und der Absatz geht noch weiter:

Das passt zu Aussagen der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT): “Uns liegen nach derzeitigem Stand der Ermittlungen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, dass der Beschuldigte Daten im Zusammenhang mit dem Leak im Darknet gekauft hat”, hieß es von dort auf SPIEGEL-Nachfrage. “Weder was Passwörter angeht noch ganze Datensätze. Es gibt dahingehend keinen neuen Sachstand.”

Die “Bild”-Redaktion kommt wohl auch auf die Sache mit dem Darknet, weil die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ihr gegenüber bestätigt habe, dass sie auch wegen Datenhehlerei ermittle. “Bild” schreibt:

Woher genau, beziehungsweise aus welcher früheren Hacker-Attacken [sic], die im Darknet zum Kauf angebotenen Daten-Sätze stammen, ist noch unklar.

Aber auch dazu steht etwas bei “Spiegel Online”:

Zwar ermittele man von Anfang an auch wegen Datenhehlerei, weil immer die Möglichkeit bestehe, dass Teile eines Leaks auf Datenausspähungen Dritter beruhen. “Im aktuellen Fall gibt es diesbezüglich aber weder Hinweise auf Darknet noch auf Ankauf”, so die ZIT.

Viele Medien übernahmen heute die Darknet-Geschichte und nannten “Bild” als Quelle. Julian Reichelt und sein Team sind gerade zum meistzitierten Medium Deutschlands gekürt worden. Das klappt auch dank solcher Geschichten. Der “Bild”-Chef kann wirklich stolz sein auf seine “leidenschaftliche Redaktion, die nichts mehr liebt als die harte exklusive News, an der niemand vorbei kann.”

Mit Dank an @MKTuningDO für den Hinweis!

What the Hack!

Über den Diebstahl der Daten von deutschen Politikern und Medienschaffenden war noch kaum etwas bekannt, da hatte “Bild” schon einen Verdacht.

Normalerweise ist das eine Methode der Hacker des russischen, auf Cyberkrieg spezialisierten Militärgeheimdienstes GRU.

Als Urheber oder Unterstützer kämen Staaten wie Russland und China infrage, hieß es zunächst. Besonders Russland steht im Verdacht, seit Jahren massiv Hackerangriffe auf Deutschland zu befehlen. Auch ein Zusammenwirken Russlands mit rechtsextremen deutschen Gruppen sei nicht auszuschließen.

Dass ausgerechnet keine Daten der rechtspopulistischen und kremlnahen AfD veröffentlicht wurden, könnte laut Gaycken auch eine falsche Fährte sein, um die Hintermänner der Attacke im russischen Sektor zu verorten. Oder eben ein Hinweis auf die Beteiligung russischer Kräfte im Hintergrund.

Bei russischen Geheimdiensten heißt solches Material “Kompromat” — Erpressungs-Material.

Dritte Spur: der russische Militärgeheimdienst GRU. Putins Cyberkrieger hackten sich bereits ins Bundestagsnetz. Reste dieser Angriffe könnten jetzt für den erneuten Daten-Angriff genutzt worden sein

Schon 2017 warnte General Michael Hayden, Ex-Direktor der CIA, in BamS vor Hacker-Attacken aus Russland: “Ihr Deutschen solltet euch Sorgen machen!”

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Auch Politik-Redakteur Julian Röpcke kam schon früh auf Russland zu sprechen:

Screenshot eines Tweets von Julian Röpcke: You didn't see me using the word Russia so far as there is no evidence for its involvement so far. But what I can say is that hackers needed months if not years to collect, inspect, categorize and describe the leaked data, pointing at a group of high professionalism.

Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz, widerspricht Röpcke heute in der “FAZ”: Es gebe “kaum Indizien dafür, dass es sich um einen großen Hack handeln könnte. Auch deutet nichts darauf hin, dass die Verantwortlichen mit besonderer technischer Expertise vorgegangen wären.”

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Röpcke ist bei “Bild” einer der Hauptautoren in dem Fall, atemlos schreibt und twittert er seit Tagen darüber. Schon wenige Stunden nach Bekanntwerden behauptete er:

Screenshot eines Tweets von Julian Röpcke: The leaked data, which was illegally collected until October 2018 and released December 2018, but just found now, is still publicly available. I searched through it 5 hours last night, read maybe three percent of it and already found cases of corruption and bad political scandals.

Doch selbst heute, über drei Tage später, ist immer noch unbekannt, welche “cases of corruption” und “bad political scandals” Röpcke da entdeckt haben will. Oder ob er sich das einfach nur ausgedacht hat. Das Wort “corruption” nahm er später zurück und ersetzte es durch “nepotism”. Belege bleibt Röpcke aber bis jetzt schuldig. In der gedruckten Ausgabe vom Samstag widersprach ihm selbst das eigene Blatt. Auf die Frage “WIE BRISANT IST DAS MATERIAL?” antwortete “Bild”:

Nach erster Einschätzung sind keine Skandal-Akten dabei.

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Röpckes größter scheinbarer Scoop erschien gestern bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Cyber-Alarm in Deutschland - Die Spur der Hacker - Exklusiv! Bild-Recherchen enthüllen brisante Details

“Bild” habe “Unglaubliches” recherchiert, heißt es da:

BILD-Recherchen führen nun zu einem Hacker, der wahrscheinlich der Urheber der Twitter-Profile [von denen die Daten veröffentlicht wurden] ist.

Doch das, was dann “nach BILD-Informationen” und “laut BILD-Recherchen” “exklusiv” folgt — vieles davon stand mehr als einen Tag zuvor bereits bei “RT”. Darunter auch der Name des “Hackers, der wahrscheinlich der Urheber der Twitter-Profile ist”, die Namen der Plattformen, auf denen er aktiv sein soll, der Name der Person, deren Profilbild er verwendet, und so weiter. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang sieht.

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In ihren Artikeln liefern Röpcke und “Bild” dabei immer so viele Details und Screenshots zu den veröffentlichten Daten und den Seiten, auf denen sie veröffentlicht wurden, dass es für die Leserschaft ein Leichtes ist, sie selbst zu finden. Heute schreibt “Bild”:

Allein eine Datei mit dem Namen […] wurde seit Sonntag mehr als 3000 mal aufgerufen. Hinter ihr verbergen sich funktionierende Links zu mehr als 1000 Datensätzen von Politikern und Prominenten. Es ist davon auszugehen, dass sich am Sonntag und Montag abermals Hunderte die illegal erbeuteten Informationen auf ihre Rechner herunter luden.

Kein Wunder. Dank “Bild” wussten sie genau, wonach sie suchen mussten.

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Der größte Witz zum Thema aber kam mal wieder vom “Bild”-Chef persönlich:

Wie geht Bild mit den Daten um? Bild-Chef Julian Reichelt: Es geht um enorme Mengen von Daten, die offensichtlich mit der Absicht verbreitet werden, Politiker als angreifbar, korrupt oder unanständig darzustellen. Dennoch gehört zu unserem journalistischen Auftrag, das Material zu sichten und auszuwerten - nicht in Bezug auf moralische Verfehlungen, sondern mit Blick auf mögliche strafbare Handlungen, illegale Absprachen oder Bestechlichkeit. Das ist unsere Pflicht als freies Medium. Dass wir dabei auch höchst private Daten bis zu Familienfotos oder privaten Chats sichten müssen, gefällt uns selbst nicht. Nutzen werden wir solche sensiblen Daten aber in keinem Fall, nicht jetzt und nicht in Zukunft.

Mit Dank an Moritz H., Michael E. und Benno S.!

Nachtrag, 8. Januar: Heute hat das BKA einen Verdächtigen festgenommen. Es ist nach ersten Erkenntnissen kein russischer Militärgeheimdiensthackerspion, sondern ein 20-jähriger Schüler aus Mittelhessen.

“6 vor 9”-Sonderausgabe: der Fall Relotius – der Fall “Spiegel”

Aus aktuellem Anlass eine “6 vor 9”-Sonderausgabe, die sich ausschließlich der “Causa Relotius” bzw. der “Causa Spiegel” widmet.

1. Die Blender sind unterwegs
(journalist-magazin.de, Ludwig Greven)
Beim Medienmagazin “journalist” fragt sich Ludwig Greven, warum niemandem in den beteiligten Redaktionen aufgefallen sei, dass viele der gefeierten Reportagen von Claas Relotius zu toll waren, um wahr zu sein: “Vermutlich, weil die Vorgesetzten nicht merken wollten oder schlicht nicht merkten, dass sie sich erneut bereitwillig hatten blenden lassen. Weil sie nicht genügend nachdachten und nachprüften. Weil sie sich selbst im Glanz des neuen Kisch sonnen wollten, damit ihr Blatt wieder ein wenig erstrahlte. Um ein wenig von den Preisen abzubekommen, die Claas Relotius in Serie erhielt. Um gegenüber der Konkurrenz zu prahlen.”
Am Ende seines Beitrags gibt es zudem eine umfangreiche Linksammlung mit Verweisen zu den Stellungnahmen der Medien, die von dem Fall betroffen sind.

2. “Ich wusste, dass er lügt”
(sueddeutsche.de, Ralf Wiegand)
Wenn der Journalist Juan Moreno nicht gewesen wäre, würde Claas Relotius wahrscheinlich weiter für den “Spiegel” lügen und zusätzliche Preise für seine Fantasy-Literatur einheimsen. Und der “Spiegel” hat es Moreno bei der Aufdeckung des Schwindels wahrlich nicht einfach gemacht. Mit der “Süddeutschen” hat Moreno über die Probleme bei der Enttarnung und Relotius’ brillante Lügen gesprochen.
Beim “Spiegel” ist Moreno in einem kurzen Video-Interview zu sehen: Reporter Juan Moreno über den Fall Relotius.

3. Ich kann die Empörung über #Relotius nicht ernst nehmen.
(facebook.com, Ronja Von Wurmb-Seibel)
Die Journalistin Ronja Von Wurmb-Seibel hat für die “Zeit” geschrieben und ist unter anderem Autorin eines Buchs über Afghanistan, wo sie auch für eine gewisse Zeit gelebt hat (“Ausgerechnet Kabul: 13 Geschichten vom Leben im Krieg”). Auf Facebook berichtet sie von eigenen Erfahrungen mit sensations- und geschichtenhungrigen Chefs und Kollegen: “Tipps, die prominente Chefs mir als junger Journalistin gaben: “Das Gute am Auslandsjournalismus ist ja, dass niemand rausfinden wird, ob der Mann in Kabul das wirklich gesagt hat.” Oder: “Du hast recherchiert? Das machen wir hier eher nicht.” Ich betone: das war ganz am Anfang meines Berufsleben, kein heimliches Geständnis im Vertrauen, sondern offenbar der beste Rat, den diese Chefs einer aufstrebenden Reporterin zu geben hatten.”

4. Das Problem der Geschichten
(taz.de, Anne Fromm & Rene Martens)
Claas Relotius sei das Produkt eines journalistischen Zeitgeistes, der Schönschreiben feiere und Recherche und Quellen-Transparenz vernachlässige, so Anne Fromm und Rene Martens in ihrer “taz”-Analyse. Bemerkenswert sei die Form des Offenlegungs-Artikels durch den künftigen “Spiegel”-Chefredakteur Ullrich Fichtner: “Er liest sich wie ein Krimi, ist geschrieben in dem Stil, mit dem Relotius groß geworden ist. Der Kollege, der ihn zu Fall gebracht habe, sei wochenlang “durch die Hölle” gegangen, durch “tiefe Täler”. Relotius, so beginnt der Text, sei kurz vor dem Ende seiner Karriere “Glanz und Elend” noch “einmal ganz nah” gekommen. Relotius sei “ein journalistisches Idol seiner Generation”, und das lässt sich natürlich nicht leicht widerlegen, denn man kann die Generation ja nicht mal eben anrufen und nachfragen, ob das stimmt. Der Text strotzt nur so vor Pathos. Am Ende bleibt hängen: Der Spiegel ist ein Hort der Wahrheit, Relotius ein Nestbeschmutzer. Selbstkritik räumt der Autor des Textes und künftige Spiegel-Chefredakteur Ullrich Fichtner kaum ein.”

5. Was mMn bei der Causa Relotius untergeht
(twitter.com, Emran Feroz)
Emran Feroz berichtet als freie Journalist hauptsächlich aus Nahost und Zentralasien und ist Autor eines Buchs über den amerikanischen Drohnenkrieg in Afghanistan (“Tod per Knopfdruck”). In einem Twitter-Thread macht Feroz auf ein Problem bei Auslandsgeschichten aufmerksam: “Wer aus Ländern wie Afghanistan berichtet, weiß, dass es immer wieder einige Kollegen gibt — meist weiß, westlich und männlich — die krampfhaft Geschichten suchen. Sie sind mit Dolmetschern, Fixern & Orientalisten-Brille unterwegs. Sie beuten lokale Journalisten aus. Am Ende brillieren sie in ihren Heimatländern mit Exklusivstories. Niemand kann mir erzählen, dass derartige Personen den Protagonisten ihrer Geschichten derart nahe standen wie sie es meist vorgeben. Das ist meistens aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren nicht machbar. Ich und einige afghanische Kollegen und Freunde wundern uns seit Jahren darüber.”

6. «Blondinen färben ihr Haar dunkel»
(folio.nzz.ch, Claas Relotius)
Es ist fast zum Lachen, wenn es nicht alles so traurig wäre: Claas Relotius hat 2014 für die “NZZ” ein kurzes Interview mit einer finnischen Friseurin geführt, bei dem sich die Redaktion zum “bizarrsten Korrigendum veranlasst sah, das wir je veröffentlichen mussten”. Vorausgegangen war ein auch jetzt noch einsehbarer Kommentar einer aufmerksamen Leserin: “Bei diesem Bericht muss es sich um eine Fiktion handeln: Erstens ist der Name Hannu ein Männername (Hans), zweitens existiert dieser Coiffeursalon in Lahti nicht, und drittens sind die Preise pro Haarschnitt bedeutend höher (z.B. Kinder bis 8-12 Jahre 26€). Auch die Preise für Milch, Brot und Kinobillette sind höher. Ein Liter normale Milch kostet ungefähr 1,20 €. Vom NZZ Folio erwarte ich eigentlich recherchierte Berichte.”

“Bunte”, was hast du bloß aus diesem Mann gemacht?

Heute hat Marius Müller-Westernhagen Geburtstag. 70 Jahre alt wird er, und die “Bunte”-Redaktion gratuliert dem Musiker in ihrer aktuellen Ausgabe ganz herzl …

Nee.

Heute hat Marius Müller-Westernhagen Geburtstag. 70 Jahre alt wird er, und die “Bunte”-Redaktion schreibt den Musiker in ihrer aktuellen Ausgabe halb tot:

Ausriss Bunte-Titelseite - Marius Müller-Westernhagen - Rätselhaftes Killerbakterium - der Kampf der Ärzte um sein Leben

“Rätselhaftes Killerbakterium” … “KAMPF der Ärzte um sein Leben” … New York “brachte Marius Müller-Westernhagen immer Glück” … “seine zweite Frau, die Sängerin Lindiwe Suttle, 39, wurde in New York geboren” … als er neulich “wieder einmal nach New York reiste (…) endete der Aufenthalt fatal” … “Marius Müller-Westernhagen hatte sich lebensbedrohliche Bakterien eingefangen” … “erfährt BUNTE exklusiv” … “Es sei nicht klar gewesen, ob der Sänger je wieder vollständig genesen würde”. Und so weiter.

Zum Text der stellvertretenden “Bunte”-Chefin Tanja May hatte Marius Müller-Westernhagen noch was zu sagen. Bei Facebook schrieb er gestern:

Screenshot eines Facebook-Posts von Marius Müller-Westernhagen - Um das einmal klarzustellen! Liebe Bunte Illustrierte, erstens ich hatte mir in den USA keine lebensgefährlichen Bakterien eingefangen sondern einen Virus. Zweitens mein Leben war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Demnach gab es zwar einen Arzt, der mich notgedrungen aber hervorragend behandelt hat, um mein Leben musste er Gott sei Dank nicht kämpfen. Aber Drama verkauft halt gut, richtig? Wo ich schon einmal dabei bin. Drittens meine Frau Lindiwe Müller-Westernhagen geb. Suttle ist nicht 39 Jahre alt sondern 42. Sie hat auch nicht das geringste Interesse daran sich jünger zu machen als sie ist. Viertens Lindiwe wurde nicht in NY sondern in Milwaukee geboren. Und so weiter. I am alive and cookin und habe alles ohne bleibende Schäden überstanden. Mit anderen Worten: Ich bin kerngesund. Get your fucking facts straight! Ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen Guten Rutsch in das neue Jahr wünscht Ihnen Ihr getreuer Arztpraxenleser Marius Müller-Westernhagen.

Mit Dank an Jonas W. für den Hinweis!

“Bild” am Rande des Merzinfarkts

Morgen wird darüber abgestimmt, wen die CDU als neuen Vorsitzenden oder neue Vorsitzende haben will. Wen die “Bild”-Zeitung als neuen CDU-Vorsitzenden haben will, steht längst fest.

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In den vergangenen Jahren war es bei “Bild” ziemlich ruhig geworden um Friedrich Merz. Hin und wieder packte die Redaktion nochmal die Steuererklärung-auf-einem-Bierdeckel-Sache aus oder entdeckte Merz “schlank und braun gebrannt” am Rande irgendeiner Veranstaltung, sonst aber trat der CDU-Mann in der “Bild”-Zeitung kaum in Erscheinung.

Bis vor ein paar Wochen. Am 29. Oktober, keine halbe Stunde nach den ersten Gerüchten zu Angela Merkels Rückzug als Parteichefin, meldete “Bild” exklusiv:

“Bild” hatte es — vor allen anderen — “aus dem Umfeld von Friedrich Merz” erfahren.

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In der Print-Ausgabe stellte “Bild” am nächsten Tag die Runde der potentiellen Nachfolger vor. An erster Stelle: Friedrich Merz.

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Am nächsten Tag: der Kandidaten-Check. Oder eher: die Verteilung der Labels. Jens Spahn? Der Homosexuelle. Annegret Kramp-Karrenbauer? Die mit dem Doppelnamen. Friedrich Merz? Der Millionär.

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Am nächsten Tag: Titelseite.

Und im Innenteil, nahezu James-Bond-haft:

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Am nächsten Tag:

Auf der gleichen Seite widmete die Redaktion dem Mozart-Messias noch zwei weitere Schlagzeilen (Jens Spahn bekam immerhin eine):

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Am nächsten Tag: noch ein Kandidaten-Check.

Fazit zu Kramp-Karrenbauer?

Konservatives Familienbild und hartes Durchgreifen, Recht und Ordnung bei Migranten. AKK will keine “Mini-Merkel” sein!

Fazit zu Spahn?

Geförderte auch gefordert werden, Spahn will wirtschaftsliberale Politik, Leitkultur, Recht und Ordnung. Wie Merz ist Spahn der Anti-Merkel.

Fazit zu Merz?

Klare Kante, klare Worte, eigene Meinung! Merz war und ist DER Gegenentwurf zu Kanzlerin Angela Merkel.

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Am nächsten Tag:


Außerdem eine Umfrage. “Wen würden die Deutschen zum CDU-Chef wählen?” Tada:

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Zwei Tage später:

Antwort: Doch, hätte es wohl, aber fragen kann man ja mal.

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In der nächsten “Bild am Sonntag”:

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Am nächsten Tag:

Selbst die Klatsch-Seite schenkte ihm ein paar Zeilen:

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Zwei Tage später:





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Und damit war sie entfacht, die …

Doch “Bild” erklärte die Debatte kurzerhand zu einer “Neiddebatte”, und “Bild”-Kommentatoren forderten:

Wir sollten Friedrich Merz nicht daran messen, was er verdient, sondern daran, ob er die Sorgen und Nöte der Menschen hören und verstehen kann! Das ist es, was wirklich zählt.

Und damit war sie dann schon wieder beendet, die “große Debatte um Millionär Merz”.

Außerdem: So abgehoben ist der ja gar nicht!

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Und so stellte “Bild” weiter die naheliegenden Fragen:

Ergebnis des Experten: “Den größten Respekt hätten die mächtigsten Machos der Welt vermutlich vor Friedrich Merz.”

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Wenig später sprachen die drei Kandidaten Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn auf einer Veranstaltung in Baden-Württemberg. Schlagzeile?

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Kurz darauf veröffentlichte “Bild am Sonntag” eine große Übersicht, auf der aufgelistet wurde, für welchen Kandidaten die 1001 CDU-Delegierten stimmen wollen. Deutlicher Favorit der Befragten: Friedrich Merz.

Noch am selben Tag erklärten einige der Delegierten, sie hätten überhaupt nicht mit “Bild am Sonntag” gesprochen.

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Doch die “Bild”-Medien sind in diesen Wochen nicht nur bemüht, die vermeintliche Popularität, die angeblichen Vorzüge und Stärken ihres Wunschkandidaten hervorzuheben, sondern auch seine möglichen Schwachpunkte zu entkräften.

Als Merz etwa mit einer Lobbyisten-Firma in Verbindung gebracht wurde, die für Saudi-Arabien arbeitet, veröffentlichte “Bild am Sonntag” sogleich ein Statement, in dem Merz beteuerte, er habe “keinerlei Kontakte nach Saudi-Arabien” und auch “keine Gespräche angebahnt oder anbahnen lassen.”

Auch was die Firma BlackRock angeht (“Bild”: die “größte Investmentfirma der Welt!”), für die Merz als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist tätig ist, versicherte “Bild” immer wieder, dass da natürlich alles mit rechten Dingen zugehe:

Der ehemalige Unions-Fraktionschef FRIEDRICH MERZ (62) arbeitet für eine renommierte Kanzlei und ist Cheflobbyist des deutschen Ablegers von “BlackRock”. Anders als oft behauptet, ist “BlackRock” kein Unternehmen, das SPD-Legende Müntefering “Heuschrecke” nennen würde. Sein klassisches Geschäftsmodel ist also nicht, Unternehmen zu kaufen, zu zerschlagen und mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die größte Investmentfirma der Welt hält aber eine beträchtliche Anzahl von Aktien an Dax-Konzernen.

(“Bild”, 31.10.2018)

“BlackRock ist eine Vermögensverwaltung”

Merz weiß um das (falsche) Image seines bisherigen Arbeitgebers BlackRock als “Finanzhai” und “Heuschrecke”. Menschen vertrauen dem größten Vermögensverwalter der Welt ihr Geld an; es ist kein aggressiver Fonds. Trotzdem: Diese Flanke wird noch öfter attackiert werden.

(“Bild”, 1.11.2018)

Und selbst wenn bei dem Unternehmen was verdächtig ist, heißt das ja nicht, dass auch bei Merz was verdächtig ist:


(“Bild”-Titelseite, 8.11.2018)

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Gestern dann, auf Seite 2 der Bundesausgabe:

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Und heute, einen Tag vor der Abstimmung beim CDU-Bundesparteitag in Hamburg:

(Merz natürlich mit Heiligenschein, die anderen ohne.)

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Und was haben die “Bild”-Medien davon, dass sie sich so für Friedrich Merz ins Zeug legen?

Merz klickt sich gut, das beobachtet man in der Redaktion. Und wenn sich ein Thema gut klickt, dann wird nachgelegt.

schrieb die “taz” vor ein paar Tagen. Doch für “Bild” geht es nicht nur um Klicks oder um Auflage, es geht um viel mehr: Wenn Merz morgen gewinnt, steht er in der Schuld von “Bild”. Dann kann der Chef der “Bild”-Zeitung jederzeit zum Chef der CDU sagen: “Ohne uns wärst du nicht da, wo du bist. Wir haben was gut bei dir.” Kein besonders beruhigender Gedanke.

Bild, Bunte  etc.

Bei Schumi nichts Neues

“Wissen Sie, gerade wenn man krank ist, braucht man die Geborgenheit der Familie und Schutz vor Öffentlichem”, sagt Erzbischof Georg Gänswein. Darum würde er “niemals etwas Privates, Vertrauliches” von seinem Besuch bei Michael Schumacher erzählen.

Außer natürlich, die “Bunte” ruft an.

Ausriss Bunte-Titelseite: Exklusiv-Interview - Georg Gänswein - Mein Besuch bei Michael Schumacher - Ich hielt ihn bei den Händen - Man erkennt ihn sofort wieder - Er spürt, dass wir an ihn denken

Oder die “Bild”-Zeitung.

Ausriss Bild-Titelseite: Deutscher Priester hielt Schumis Hände! - Sie waren warm - Ich zeichnete ein Kreuz auf seine Stirn - Man spürt, dass er Begegnungen wahrnimmt

Nun ist es eine Sache, solche Details — von denen die Redaktionen genau wissen, dass Schumachers Familie nicht möchte, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen — sofort auf der Titelseite zu drucken. Oft rechtfertigen Medien solche Veröffentlichungen damit, dass Schumacher ja eine öffentliche Person sei, und die Öffentlichkeit somit ein Recht habe zu erfahren, wie es ihm geht.

Bloß liefern die Details in diesem Fall gar keine Antwort auf diese Frage. Denn Gänsweins Besuch fand, wie man sowohl bei der “Bunten” als auch bei “Bild” erst beim Blick in den Innenteil erfährt, nicht vor ein paar Tagen statt oder vor ein paar Wochen, sondern vor zweieinhalb Jahren.

Die Details, die der Erzbischof verrät, sind also nicht nur nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sie sind nicht mal aktuell.

Und trotzdem springen alle auf:

Collage aus Schlagzeilen: Bischof besuchte Michael Schumacher zuhause - Erzbischof spricht über Besuch: Therapeut brachte Michael ins Wohnzimmer - Erzbischof Gänswein berichtet von Besuch bei Michael Schumacher: Sein Gesicht ist fülliger geworden - Erzbischof durfte Schumacher besuchen: Ein Therapeut brachte Michael ins Zimmer - Erzbischof spricht über Begegnung mit Michael Schumacher - Bischof besuchte Michael Schumacher zuhause - Erzbischof Gänswein spricht über Besuch bei Michael Schumacher - Erzbischof Gänswein besuchte Schumi: Fasste ihn an den Händen - Papst-Vertrauter Gänswein: So war mein Besuch bei Michael Schumacher - Erzbischof berichtet von Besuch bei Michael Schumacher - Neue Details - Erzbischof traf Schumi: Man spürt, dass er einen inneren Dialog führt - Erzbischof über Schumacher: Ich saß ihm gegenüber - Erzbischof über Besuch bei Michael Schumacher: So sieht der Formel-1-Champion jetzt aus

Viele Medien deuten die Aussagen Gänsweins nun als Zeichen der “Hoffnung”. “Jetzt gibt es Worte, die Hoffnung machen”, schreibt etwa “DerWesten”. Die “Bunte” selbst schreibt:

Nach dem, was er BUNTE erzählt hat, geht es Michael Schumacher aber deutlich besser, als viele glauben.

Wenn man einem Journalisten, der fragt, wie das Wetter in München ist, antwortet: “Also vor zweieinhalb Jahren schien die Sonne”, wird er einen nur blöd angucken. Wenn es um Michael Schumacher geht, gelten andere Regeln.

“B.Z.” füttert AfD mit falschen Fakten für Fragestunde im Parlament

Wie schafft man es, mit nur einem Artikel gleich zweimal danebenzuliegen, rechtes Wutvolk und noch rechtere Hetzer zu füttern und der AfD eine Grundlage für eine faktisch falsche Anfrage im Parlament zu liefern? So:

Gunnar Schupelis füllt im Springer-Boulevardblatt “B.Z.” regelmäßig eine Aufreger-Kolumne. Titel: “Mein Ärger”. Schupelius’ Ärger basiert in diesem Fall auf zwei Zahlen, die für ihn nicht zusammenpassen wollen. Am Dienstag schrieb er:

Ausriss BZ - Gunnar Schupelius – Mein Ärger - Der gerechte Zorn des Gunnar Schupelius - Justizsenator weiß nicht, warum Haftbefehle nicht vollstreckt werden

Auch in Berlin sind viele Straftäter auf freiem Fuss, die eigentlich hinter Gitter gehören. Auf eine Anfrage der B.Z. teilte [Berlins] Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) mit, aktuell würden 1633 Personen per Haftbefehl gesucht.

Schupelius fragte in der Sache auch noch bei Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) nach. Dieser verwies allerdings auf den Justizsenator. Schupelius:

Beide Senatoren stehen nun allerdings im Verdacht, nicht die Wahrheit oder nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Denn nach Angaben der Bundesregierung liegt die Zahl der nicht vollstreckten Haftbefehle in Berlin bei 8585 (Stichtag: 31. März 2018).

Das sind knapp 7000 mehr als von Justizsenator Behrendt angegeben. Wer also sagt die Wahrheit? Das konnten wir trotz intensiver Nachfragen bisher nicht vollständig klären.

Das Duell, das Gunnar Schupelius ausruft: Berlins Justizsenator vs. Bundesregierung. 1633 Haftbefehle vs. 8585 Haftbefehle.

Ein bisschen was konnte Schupelius dazu aber doch klären: Während sich der Justizsenator bei seiner Antwort auf das sogenannte MESTA-System bezieht, die Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation, stammen die Zahlen der Bundesregierung aus dem bundesländerübergreifenden System INPOL-Z. Schupelius:

Befinden sich also im MESTA-System der Staatsanwälte ganz andere Angaben als im INPOL-Z der Polizei und wenn dem so wäre, warum?

Erstmal: ja. Und “warum” das so ist: Die Zahl aus der MESTA, die Berlins Justizsenator Behrendt genannt hat (1633 Haftbefehle), bezieht sich auf per Haftbefehl gesuchte Personen, gegen die ein Prozess stattfinden soll. Sie sind also erstmal nur Tatverdächtige, die noch nicht verurteilt sind, aber in Untersuchungshaft sollen. Das passt auch ziemlich gut zu dem, was Schupelius laut Vorspann seines eigenen Textes gefragt hatte:

Gunnar Schupelius fragt sich, warum so viele tatverdächtige Straftäter frei herumlaufen, obwohl ein Haftbefehl gegen sie vorliegt.

Die Zahl aus INPOL-Z, die die Bundesregierung nennt (8585 Haftbefehle), hat Schupelius offenbar aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen (PDF, Seite 3). Allerdings, und das steht eindeutig in dieser Antwort, bezieht sich INPOL-Z auf einen viel größeren Personenkreis als MESTA:

Die Gesamtzahl der zum Stichtag 31. März 2018 im Polizeilichen Informationssystem (INPOL-Z) verzeichneten Fahndungsnotierungen mit dem Zweck der Festnahme aufgrund einer Straftat, zur Strafvollstreckung, Unterbringung oder Ausweisung sowie zur Festnahme entwichener Strafgefangener belief sich [deutschlandweit] auf 175 397.

Neben den Tatverdächtigen also auch Leute, die schon verurteilt sind, aber ihre Haftstrafe nicht angetreten haben; Leute, die in einer Psychiatrie untergebracht werden sollen; Leute, die wegen Straftaten ausgewiesen werden sollen. Kurzum: viel mehr Leute. Daher die große Differenz zwischen den Angaben des Berliner Justizsenators und der Bundesregierung.

Für Gunnar Schupelius’ Ärger gibt es allerdings noch einen weiteren Grund. Am Ende seines Textes schreibt er:

Justizsenator Behrendt konnte nicht sagen, wie viele religiös motivierte Straftäter aktuell in Berlin gesucht werden. Es sind genau 3151. Das steht im polizeilichen System INPOL-Z. Hat Behrendt in diese Statistik gar nicht reingeschaut?

Weiß in diesem Senat eine Hand überhaupt noch, was die andere tut?

Hier hat der “B.Z.”-Kolumnist endgültig alles durcheinandergebracht.

Die Zahl, die Schupelius nennt, stammt ebenfalls aus der Antwort der Bundesregierung (PDF, Seite 4). Nur: Sie bezieht sich nicht, wie er schreibt, auf Berlin, sondern auf ganz Deutschland. Und: Betrachtet man sie näher, sieht man, dass sie sich bemerkenswert zusammensetzt.

Eine religiös motivierte Straftat gehört in der INPOL-Z-Statistk zur PMK, der politisch motivierten Kriminalität. Laut Antwort der Bundesregierung wurden zum Stichtag 26. März 2018 deutschlandweit 4411 Personen im PMK-Zusammenhang per Haftbefehl gesucht (neben “religiöse Ideologie” auch: “links”, “rechts”, “ausländische Ideologie”, “Spionage/Proliferation/Landesverrat” sowie “nicht zuzuordnen”). Jeder dieser 4411 Fälle ist in der Antwort der Bundesregierung aufgelistet (ab Seite 7), unter anderem aufgeschlüsselt nach “Grund des Haftbefehls”, “dem HB zugrunde liegendes Delikt” und PMK-“(Phänomen)Bereich”.

In den Zeilen 295 bis 3055 der Tabelle findet man in der Spalte “(Phänomen)Bereich”, mit wenigen Ausnahmen, nur “PMK religiöse Ideologie”. Und bei fast allen von ihnen steht als “Grund des Haftbefehls”: “SIS II / Interpol-Rotecke”. Als “dem HB zugrunde liegendes Delikt” ist notiert: “Haftbefehl ausländischer Behörden — Delikt unbekannt”. Das sieht dann zum Beispiel so aus:

Screenshot aus der Antwort der Bundesregierung - Es sind viele Spalten der Auflistung der offenen Haftbefehle zu sehen, darunter ständig SIS II / Interpol-Rotecke und PMK religiöse Ideologie

Das heißt: Der Großteil der 3151 Haftbefehle für “religiös motivierte Straftäter” (noch mal: in ganz Deutschland, nicht nur in Berlin), die Schupelius nennt, sind keine deutschen Haftbefehle. Es sind internationale Haftbefehle, entweder aus dem Schengener Informationssystem, kurz SIS II, oder von einem anderen Interpol-Mitgliedsstaat.

Bei einem “Red Notice” beziehungsweise einer Rotecke von Interpol läuft das beispielsweise so: Ein Interpol-Mitgliedsstaat hat einen nationalen Haftbefehl gegen Person X und gibt dazu eine Ausschreibung an Interpol. Interpol leitet diese Ausschreibung dann an die zuständigen Behörden in allen anderen Mitgliedsstaaten weiter. In Deutschland ist das das Bundeskriminalamt, also die Behörde, bei der auch das INPOL-Z-System angesiedelt ist, auf das sich Schupelius bezieht. Der Vermerk “SIS II / Interpol-Rotecke” bedeutet also erstmal nur, dass die jeweilige Person weltweit — auch in Deutschland, aber nicht nur in Deutschland — von irgendeinem anderen Staat gesucht wird. Warum auch immer — “Delikt unbekannt”.

Wie problematisch und fragwürdig Interpol-Rotecken sein können und dass sie von autoritären Regimen und Despoten gern als Repressionsmittel eingesetzt werden, kann man hier und hier und hier und hier und hier nachlesen.

Schupelius’ Text (von dem eine abgespeckte Version auch in der Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschien) und die Fehler darin drehten vergangene Woche die große Social-Media-Runde, wie das Analyse-Tool “CrowdTangle” zeigt:

Screenshot des Analyse-Tools Crowdtangle, das zeigt, wer bei Facebook oder Twitter einen Beitrag geteilt hat

Die “Bild”-Redaktion verbreitete den Beitrag unter ihren knapp 2,5 Millionen Fans bei Facebook. AfD-Abgeordnete teilten ihn, genauso AfD-Kreisverbände, AfD-Stadtverbände, “BadenWürttemberg freiheitlich-patriotisch-traditionsbewusst”, “Viktor Orban Fanclub”, “Aus Liebe zu Deutschland”, “Reale Verschwörungen!”, “Völker dieser Welt erheben sich !!”, “Die Patrioten für Deutschland” und so weiter. Der zornige Gunnar Schupelius und die “B.Z.” haben ihnen allen mit falschen Fakten neues Futter für ihre Stimmungsmache gegen Staat und Politik geliefert.

Schupelius’ Fehler schafften es sogar ins Berliner Abgeordnetenhaus. Marc Vallendar von der AfD nutzte sie dort am vergangenen Donnerstag in der Fragestunde des Parlaments (ab Minute 42:02):

Nach Angaben des Justizsenators werden derzeit in Berlin 1633 Personen mit Haftbefehl gesucht. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums belief sich die Zahl der nicht vollstreckbaren Haftbefehle in Berlin per 31. März dieses Jahres aber auf 8585, darunter allein 3151 Personen, die wegen religiös motivierter Straftaten gesucht werden. Ich frage den Senat: Wie ist diese erhebliche Differenz von fast 7000 Personen zu erklären?

Antwort: siehe oben.

Nachtrag, 20. November: Das BKA hat inzwischen auf eine Anfrage von uns geantwortet. Wir wollten wissen, warum fast alle Haftbefehle mit dem Grund “SIS II / Interpol-Rotecke” dem Bereich “PMK religiös motiviert” zugeordnet sind. Die Antwort der Behörde:

Bei diesen Fahndungsnotierungen handelt es sich überwiegend um Red Notices, die für Mitglieder des so genannten Islamischen Staates ausgestellt wurden. Nach dem militärischen Sieg über den IS sind viele Kämpfer geflohen, unter anderem auch ins europäische Ausland. Entsprechend hoch ist die Zahl der internationalen Fahndungsnotierungen. Daher handelt es sich bei dem weit überwiegendem Teil der dem Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie- zugeordneten Haftbefehlen um Interpol-Rotecken anderer Staaten zu Personen, die sich an Kampfhandlungen in Jihad-Gebieten beteiligt haben sollen.

“Ich wurde wohl von ‘Bild’ verarscht.”

So sieht das aktuelle “GEO”-Cover aus:

Ausriss der Geo-Titelseite - Bronzezeit - Das Reich der Himmelsscheibe - Dazu eine seitengroße Illustration einer historischen Szene mit der Himmelsscheibe

Und so sieht die heutige Seite 6 der “Bild”-Zeitung aus:

Ausriss Bild-Zeitung - Sie opferten Kinder für den Sonnengott - dazu dieselbe Illustration wie auf dem Geo-Cover

Der Artikel mit der Überschrift “SIE OPFERTEN KINDER FÜR DEN SONNENGOTT” gehört zur Titelgeschichte:

Ausriss der Bild-Titelseite - Geheimnis der Himmelsscheibe gelöst

Auch bei Bild.de ist die Illustration, die “den König des bisher unbekannten Reiches mit seiner Himmelsscheibe” zeigen soll, erschienen.

Wie kommt es dazu, dass eine exklusiv für “GEO” erstellte Illustration in “Bild” und bei Bild.de landet?

Der Illustrator sagt: “Ich wurde wohl von ‘Bild’ verarscht.”
Die “GEO”-Redaktion sagt: “Nie im Leben hätten wir ‘Bild’ die Rechte für diese Illustration eingeräumt.”
“Bild” sagt: nichts*.

Anruf bei Illustrator Samson J. Goetze. Er sagt uns, dass jemand von “Bild” sich bei ihm gemeldet habe: Die Redaktion würde gern seine Illustration verwenden. Goetze fragt, ob das denn mit “GEO” abgesprochen sei. Der “Bild”-Mitarbeiter soll geantwortet haben, dass man bei “GEO” nachgefragt und das Einverständnis bekommen habe. “Das war wohl eine Falschaussage”, sagt Goetze.

“Das war definitiv nicht abgesprochen”, sagt uns Jürgen Schäfer von “GEO” auf Nachfrage. Die Illustration sei exklusiv für die eigene Titelseite produziert worden, die Verwendung durch “Bild” hätten sie “nie im Leben” erlaubt.

Auch bei “Bild”-Sprecher Christian Senft fragen wir nach. Er könne aktuell nichts zu dem Fall sagen, weil er noch nichts davon wisse, sagt er uns am Telefon. Er wolle versuchen, uns noch mal zurückzurufen, wenn er mehr weiß. Wir haben es dann noch einmal vergeblich bei ihm probiert. Bisher haben wir nichts von ihm gehört*.

In ihren Artikeln kriegen es “Bild” und Bild.de noch nicht mal hin, die richtige Quelle der Illustation anzugeben. Sie schreiben beim Fotocredit zwar korrekterweise “samson-illustration”, in der Bildunterschrift heißt es aber:

So sehen Zeichner im neuen Buch “Die Himmelsscheibe von Nebra” (Propyläen Verlag) den König des bisher unbekannten Reiches mit seiner Himmelsscheibe

“Das ist Quatsch”, sagt Illustrator Goetze. Seine Illustration komme im Buch gar nicht vor, sondern nur in “GEO”. Und jetzt eben auch in “Bild”.

Mit Dank an @phsteffen für den Hinweis!

Nachtrag, 17:11 Uhr: Auf Wunsch des Illustrators haben wir dessen Aussage (und damit auch unsere Zitat-Überschrift) von “Ich wurde von ‘Bild’ verarscht” in “Ich wurde wohl von ‘Bild’ verarscht” geändert.

*Nachtrag, 23:46 Uhr: “Bild”-Sprecher Christian Senft hat sich am frühen Abend mit dieser Stellungnahme bei uns gemeldet:

Wir sind bei der Anfrage der Nutzungsrechte von der GEO Redaktion direkt an den Illustrator verwiesen worden. Dieser hat uns diese für BILD schriftlich eingeräumt und eine Rechnung gestellt. Sollten dabei bei GEO die üblichen internen Abstimmungsprozesse nicht berücksichtigt worden sein, tut es uns leid.

Nachtrag, 25. September: Nachdem “Bild”-Sprecher Christian Senft gesagt hat, seine Redaktion sei von “GEO” bei einer Anfrage zu den Nutzungsrechten der Illustration “direkt an den Illustrator verwiesen worden” (siehe einen Nachtrag weiter oben), bleibt die “GEO”-Redaktion dabei, dass es einen solchen Kontakt nicht gegeben habe.

“GEO”-Sprecherin Christine Haller sagte uns dazu:

Eine erneute eingängige Prüfung hat bestätigt: Kein Mitarbeiter von GEO hatte im relevanten Zeitraum schriftlichen oder telefonischen Kontakt mit der Bild-Zeitung. Die Behauptung eines Fotoredakteurs von Bild, er habe mit jemandem bei GEO gesprochen, ist für uns nicht nachvollziehbar.

Öliger Sportreporter-Sexismus, Tichys Keinblick, CSU-Hashtag

1. Spiel, Satz, Sexismus
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio, 5:22 Minuten)
Einen Tag nach ihrem spektakulären Wimbledon-Sieg wurde Angelique Kerber im ZDF interviewt. Dabei stellte ZDF-Reporter Martin Wolff Fragen, die er männlichen Sportlern höchstwahrscheinlich nicht gestellt hätte: Es ging um Kerbers angebliches Flirtverhalten, wie viel sie getrunken habe, ob die “Verehrer in Scharen immer mal wieder ankamen” und mit wem sie lieber tanzen würde “so ganz privat” (“Djokovic ist vielleicht ein bisschen smoother als Anderson?”). Mirjam Kind hat den ZDF-Reporter Wolff auf die Angemessenheit dieser Fragen angesprochen, und dieser hat erschreckend aggressiv reagiert. Dies überträgt sich am besten, wenn man sich den fünf Minuten-Beitrag anhört (auf den integrierten “Hören”-Button rechts unten im Beitragsbild klicken). Die Antworten des Sportreporters sind ein Paradebeispiel für Uneinsichtigkeit und Unfähigkeit zur Selbstkritik. Aber auch dafür, wie öliger Altherren-Sexismus oft mit Aggressivität und offener Feindseligkeit einhergeht, wenn etwas als Ablehnung empfunden wird.

2. „Tichys Einblick“ erfindet Ermittlungen gegen Seenotretter
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Nun auch für Nicht-Abonnenten frei lesbar: Stefan Niggemeiers Text über journalistische Bastelarbeiten: “Bleiben wir noch einen Moment bei Roland Tichys lustigem Online-Magazin “Tichys Einblick” und lernen heute, wie einfach es ist, sich eine sensationelle Exklusiv-Meldung zu basteln. Alles, was wir dafür brauchen, ist ein handelsübliches E-Mail-Konto, eine unkooperative Pressestelle, etwas Spucke und die Bereitschaft, sich zum Horst zu machen.”

3. „Wenn ich nicht an die Zukunft des Journalismus glauben würde, wäre ich ein Blender“
(journalist-magazin.de, Moritz Kircher)
Das Medienmagazin “journalist” hat sich mit dem US-amerikanischen Journalismusprofessor und Digital-Vordenker Jeff Jarvis zum Interview getroffen. Es geht um die Aufgaben und Chancen des Journalismus im 21. Jahrhundert. Und um die Frage, warum Katzen-Content, belanglose Promi-News und Donald Trump denselben Ursprung haben.

4. CSU-Solidaritätskampagne #IchbinCSU geht auf Twitter nach hinten los
(br.de, Lorenz Storch & Jenny Stern)
Die CSU hat auf Twitter unter dem Hashtag #IchbinCSU eine Solidaritätskampagne gestartet, die jedoch nur mäßig erfolgreich ist: Es hagelte satirische Repliken und sarkastische Pseudo-Bekenntnisse. CSU-Sprecher Jürgen Fischer spricht von einem “phantastischen Erfolg” der Aktion. Auf seiner privaten Facebook-Seite finde er fast nur noch den Hashtag #IchbinCSU. Dies steht jedoch den Ergebnissen einer Analysesoftware entgegen, die auf Facebook gerade mal 44 Beiträge gefunden hat.

5. Warum wir bei LTO keine Kom­men­tare mehr zulassen
(lto.de, Pia Lorenz & Christian Dülpers)
Ein trauriger Tag für “Legal Tribune Online”: Das Onlinemagazin zu rechtlichen Themen hat die Kommentarfunktion bis auf weiteres abgeschaltet. “Selbst bei eigentlich unverdächtigen Themen beherrschten Hass und Hetze die Kommentarspalten zu unseren Artikeln. Das schadet unseren Lesern: Viele fühlten sich auf unserer Seite nicht mehr wohl. Das schadet unseren Autoren: Sie möchten nicht den Kontext für eine solche Auseinandersetzung liefern. Und das schadet unserem guten Ruf, aber auch unserer guten Laune. Wir wollen dem Hass keine Plattform bieten.”

6. Unangenehme Fragen gestrichen: Vorwürfe der Einflussnahme nach MDR-Sommerinterview mit Ministerpräsident Ramelow
(meedia.de, Marvin Schade)
Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat Bodo Ramelow, Ministerpräsident in Thüringen, zum Sommerinterview getroffen, doch schon zu Beginn des Gesprächs drohte der Abbruch. Marvin Schade erklärt auf “Meedia”, wie es zu dem Konflikt zwischen Interviewerin und Interviewtem kam und warum sich der MDR nun dem Vorwurf der politischen Einflussnahme ausgesetzt sieht.

Amokfahrt von Münster, Weg mit der Börse, Medien, die auf Türen starren

1. Anschlag? Amoktat? Todesfahrt?
(taz.de, Daniel Bouhs)
Sollten Medien sich bei unsicheren Lagen frühzeitig auf ein Szenario festlegen? Und hat die Polizei nach dem Vorfall in Münster mit mehreren Stimmen gesprochen wie vom Digitalableger der „Rheinischen Post“ behauptet? „RP Online“ hatte relativ früh von einem „Anschlag“ gesprochen, sich danach aber transparent korrigiert. Auch die ARD glaubte an das Werk von Terroristen und hatte bereits einen „Brennpunkt“ angesetzt. Dort ruderte Programmdirektor Volker Herres zurück und erklärte auf Twitter, weshalb man auf die Sendung verzichtet habe.
Weitere Lesetipps: Bei „Spiegel Online“ schreibt Arno Frank über die Tweets der AfD-Politikerin Beatrix von Storch: „Es ist hier eine ganz spezielle Armseligkeit am Werk, die durch soziale Medien ihre volle Kraft entfaltet.“
In Gegen die Panik plädiert Dirk von Gehlen für mehr Social-Media-Gelasenheit und stellt einen Sieben-Punkte-Plan für Besonnenheit und Ruhe vor. (sz.de, Dirk von Gehlen)

2. Alles für die Blase
(sueddeutsche.de, Alexander Mühlauer)
In der so bezeichneten “Brussels Bubble” tummeln sich alle, die sich als Teil der EU-Machtmaschine verorten. Für diese Zielgruppe aus Kommissaren, Abgeordneten, Lobbyisten und Journalisten gibt es die Europa-Ausgabe von „Politico“. Es sei ein „exklusiver Club für Leser, die es sich leisten können, für Informationen zu zahlen“, schreibt Alexander Mühlbauer. In Amerika gäbe es bereits „Pro-Abos“, die bei Organisationen im hohen fünfstelligen Bereich liegen können: „Die Frage ist allerdings, was das noch mit klassischem Journalismus zu tun hat, denn Politico schließt damit den Großteil der Öffentlichkeit aus. Es ist vielmehr ein exklusiver Leserclub für Zahlungskräftige. Eine Pflichtlektüre kann das nur äußerst bedingt sein, schließlich ist es für viele schlicht zu teuer.“

3. Eben noch auf der Straße, jetzt in der Kunstgalerie
(faz.net, Andrea Diener)
Das Verfassungsgericht hat sich mit der sogenannten Straßenfotografie beschäftigt. Das Gericht habe einerseits die Legalität der Straßenfotografie unterstrichen und andererseits Grauzonen geschaffen, wie Andrea Diener in der “FAZ” schreibt: „Die Aushandlung dieser neu geschaffenen Grauzone dürfte wieder einige Jahrzehnte lang die Fotografen in die Verzweiflung treiben – bleibt zu hoffen, dass es nicht wieder mehr als hundert Jahre dauert, bis sich an der Gesetzeslage etwas bewegt.“

4. YouTube statt TV: Diese Sender bieten Millionen-Reichweiten günstig auf der Video-Plattform an
(omr.com, Torben Lux)
Sollen TV-Sender ihre Inhalte nicht nur in der eigenen Mediathek, sondern auch auf Youtube veröffentlichen? Dafür sprechen die kostengünstige Reichweiten- und Zielgruppenvergrößerung und die Werbeeinnahmen, dagegen die Verstärkung der Publikumsabwanderung. „Veescore“-Gründer Christoph Burseg hat die Performance deutscher Fernsehsender und einzelner Formate ausgewertet und stellt die zehn erfolgreichsten Kanäle vor.

5. Fernsehen für die Parallelgesellschaft
(spiegel.de, Thomas Fricke)
Thomas Fricke widmet sich einer der „verrücktesten Minderheitensendungen, die es je gab“, der “Börse vor acht“ (ARD): „Nun ist jede Minderheit bei uns natürlich willkommen – und darf nicht einfach diskriminiert werden. Klar. Und es ist natürlich auch wichtig, dass Unternehmen Geld bekommen; und die Leute was über Wirtschaft lernen. Muss es aber unbedingt Börsen-TV sein? Zur besten Sendezeit? Ab ins Nachtprogramm damit! Da, wo Fernsehen für Sonderbares sonst ja auch hin verschoben wird.“

6. Warten auf Puigdemont
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video, 2:22 Minuten)
Die Blicke der Welt, so schien es, waren auf eine Tür gerichtet: Unzählige Medienvertreter hatten sich im schleswig-holsteinischen Neumünster versammelt, um den Moment festzuhalten, in dem der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont die JVA verlassen würde. Boris Rosenkranz hat daraus einen packenden Einakter geschnitten.

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