Vergangene Woche große Aufregung in Neubrandenburg. Dort gebe es eine Großbaustelle, schrieb der “Nordkurier”, von der “offenbar kaum jemand weiß, was dort gebaut wird”. Von einer Moschee sei die Rede.
Auf der Facebookseite des “Nordkuriers” war dieser Artikel einer der meistgeteilten des Tages. Viele Leserinnen und Leser waren wütend. “Das fehlt ja auch noch”, kommentierte einer. Oder: “So weit kommt das noch ,die Dinger könn die in der Wüste basteln .Wir brauchen hier keine illegalen Waffenlager .”
Dabei wusste die Redaktion die Antwort auf die Frage längst:
Recherchen des Nordkurier haben ergeben, dass dort keine Moschee entsteht, sondern eine Pflegeeinrichtung.
So steht es im Artikel — aber erst, nachdem der “Nordkurier” sich zwei Absätze lang der angeblichen “Geheimnistuerei rund um die Baustelle” und den Gerüchten irgendwelcher Leute gewidmet hatte.
Was die Redaktion als exklusives Ergebnis ihrer “Recherchen” verkauft, war übrigens keineswegs geheim, sondern seit Wochen öffentlich. Schon an Heiligabend meldete sich der Oberbürgermeister Neubrandenburgs bei Facebook mit einer Videobotschaft vom Datzeberg, in der er sagte:
Hier hinter mir kann man sehen: eine große Baustelle. Hier entsteht ein Seniorenheim.
“Herzlichen Glückwunsch, lieber Nordkurier, zur dämlichsten Überschrift dieses Jahres”, kommentiert ein anderer Leser. “Bitte stellt euch nicht mehr unschuldig, wenn in euren Kommentarbereichen der Hass brodelt, denn ihr zündelt munter mit. Das ist unverantwortlich und hat nichts mit seriöser Medienarbeit zu tun!”
Auch damals: hunderte Kommentare, viele Likes und Shares und vor allem jede Menge Wut. Und auch damals kannte der “Nordkurier” die Antwort längst, hielt es aber nicht für nötig, sie in Überschrift oder Teaser zu erwähnen. Denn:
Alles Quatsch, so die Zusammenfassung einer Nachfrage im Neubrandenburger Rathaus.
Aber Julian Reichelt hat laut Julian Reichelt natürlich etwas ganz, ganz Neues kreiert.
Schon im Oktober, bei der Ankündigung seiner TV-Pläne, erzählte der “Bild”-Chef diesen Unfug, dass er und seine Redaktion Dinge zeigen werden, über die andere Fernsehsender, vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, gar nicht berichten würden:
Ich frage mich: Wo findet die Realität, die wir auf der Seite 2 von “Bild” abbilden, im Fernsehen statt? Etwa, dass Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, jetzt Flaschen sammeln müssen.
Und:
Reichelt: Exklusive News zeigen und emotionale Geschichten erzählen. Man kann natürlich sagen, das bieten andere auch schon. Die Wahrheit ist: Die meisten Fernsehsender machen das, was wir uns vorstellen, eben nicht. Aus dem brennenden Amazonasgebiet, so wie wir zuletzt, sendet nicht jeder.
SPIEGEL: Vielleicht nicht mit acht Reportern wie “Bild”, aber etliche Sender haben durchaus direkt vor Ort berichtet.
Reichelt: Ja, aus dem Hotelzimmer. Aber nicht mit mehreren Teams, die im brennenden Regenwald stehen und mit Menschen reden, um die herum alles gerodet wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass es diese menschliche Geschichte im Nachrichtenangebot gab.
Selbstverständlich standen Reporterinnen und Reporter verschiedener Fernsehsender “im brennenden Regenwald” und redeten “mit Menschen, um die herum alles gerodet wird.” Und selbstverständlich haben schon etliche Fernsehsender, auch und vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, über Menschen berichtet, die “Flaschen sammeln müssen.” Aber was interessieren Julian Reichelt schon Fakten, wenn er da so ein “Gefühl” hat?
Mittlerweile gibt es zu “Hier spricht das Volk” erste Kritiken:
Verfangen also womöglich Rainer Wendts Es-ist-so-schlimm-wie-damals-bei-der-RAF-Warnungen vor linker Gewalt doch nicht? Ist die Sorge vor dem bösen Messerstecher vielleicht doch nicht so riesig? Gibt es vielleicht doch auch inhaltliche Gründe, warum die “Bild” innerhalb eines Jahres 10 Prozent ihrer Auflage verloren hat (und liegt es nicht nur daran, dass die Leute einfach immer weniger gedruckte Zeitungen lesen)? Tragen die “Bild”-Leser*innen vielleicht gar nicht so viel Angst und Hass und Wut in sich wie die “Bild”-Macher*innen?
Wenn die Diskutierenden in “Hier spricht das Volk” die normalen Menschen sind, wie Reichelt sagt, “ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft, ein Querschnitt durch Deutschland”, dann bildet seine Zeitung diese Gesellschaft nicht mehr ab. Dann hat “Bild” den Großteil unserer Gesellschaft verloren. Dann bleibt ihr nur noch der Rand.
Reichelt fragt, ob die Bundestagsabgeordneten zu gut bezahlt werden, und die 15 [Talk-Gäste] antworten, es käme drauf an. Reichelt fragt, wer ein Messer mit sich führe — und es hat niemand eines dabei. Er fragt den anwesenden Polizisten mit dem sympathischen Vornamen Niels, wie es denn so sei mit der Messergewalt im Lande und bekommt zur Antwort, die sei nicht gestiegen. Das Volk der 15 fühlt sich auch nicht “unsicherer als früher”, und eine junge Frau sagt auf die Frage, ob sie sich denn noch nachts in die öffentlichen Verkehrsmittel traue: “Ja, sicher!” (…)
Die Antworten sind also vernünftiger als die Fragen. Darin liegt der konzeptionelle Fehler der Sendung: Das Volk kommt zu Wort, nachdem Julian Reichelt es ihm erteilt hat, um auf eine Frage zu antworten, die ihn interessiert und solange sie ihn interessiert — und das ist arg kurz.
Schnell lässt sich durchschauen, dass ein großer Teil der Fragen, die Julian Reichelt an das vermeintliche “Volk” richtet, in Wahrheit Suggestivfragen sind, die die Antwort bereits vorwegnehmen sollen — das erklärt vielleicht auch, weshalb den eigentlichen Antworten so wenig Platz eingeräumt wird, denn so recht drauf anspringen wollten die Diskutanten darauf nicht. Am Ende bleibt der Eindruck, als gehe es Julian Reichelt in erster Linie um Bestätigung der eigenen Ansichten. Bleibt die Bestätigung aus, folgt einfach das nächste Thema.
Dazu kommt, dass eine gute Diskussion schon alleine durch die Sitzordnung verhindert wird. Weil Reichelts Gesprächspartner in zwei Reihen hintereinander sitzen, bedarf es mitunter einer gewissen Gelenkigkeit, um mit dem Hintermann ins Gespräch zu kommen. Einzig Julian Reichelt hat alles gut im Blick. Er, der Chefredakteur, auf der einen Seite, die “ganz normalen Menschen” auf der anderen. Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte.
Ein exklusives Interview mit zwei Hollywood-Stars — darauf kann eine Redaktion schon stolz sein. Und klar, dass diese Redaktion dann auch extra schreibt: “BILD traf Will Smith und Martin Lawrence zum Interview”.
Blöd nur, wenn es gar kein Interview gegeben hat.
Der Artikel auf Bild.de zitiert Will Smith und Martin Lawrence zwar mehrfach und ausführlich; diese Zitate stammen aber alle von einer Pressekonferenz in Berlin, bei der die zwei Schauspieler gemeinsam mit Produzent Jerry Bruckheimer sowie den Regisseuren Adil El Arbi und Bilall Fallah ihren neuen Film “Bad Boys for Life” vorgestellt haben. Hier der Vergleich:
Bild.de
Pressekonferenz
“Ich habe in meiner Karriere einige Fortsetzungen gedreht, ich war niemals richtig glücklich mit der Qualität. Aber das hier war unser Baby, dieser Film hat unsere beiden Karrieren gestartet. Es musste also vernünftig werden und nicht einfach nur der dritte Teil. Sehr selten werden Fortsetzungen besser, aber bei dieser Trilogie ist der dritte Film der beste.”
Smith: “I’ve made a couple of sequels in my career and I was never totally happy with the quality of the sequel, and this was like our baby, like this was the movie that really launched both of us and it just, it had to be right, it had to be a movie, that was worthy of coming back to it by itself. Not just: Hey, wouldn’t it be cool to make a third one, and you know, I wanted to do something that was great and I wanted to take a shot at making the best of the three movies. And very rarely in sequels do the films get better, as you go along, and I think that with this trilogy, I think that definitely in terms of story, definitely in terms of performance, this third one is the best of the three.”
Als Lawrence etwas von “Ich mache Sport” ins Mikrofon flüstert, kriegt sich Smith gar nicht mehr ein. Er fängt an, laut zu lachen und klatscht begeistert in die Hände. Dann gibt er zu: “Ich fühle mich älter.”
Lawrence: “Well, exercise.” – Gelächter – Smith: “I don’t know, ah, you know, I just feel like, I’m feeling all of my 50 years old.” – Lawrence: “I feel all of 54.”
Vor Beginn der Dreharbeiten zu “Bad Boys for Life” habe er [Smith] gesagt, er mache alle Stunts selbst – Tom Cruise (57) schaffe das schließlich auch. “Nach drei Tagen war klar, es ist viel tougher als ich dachte.” Kampfszenen und aus dem Fenster springen sei in seinem Alter doch weitaus schwieriger als mit 25. “Danke Gott für die Spezialeffekte!”
Smith: “We came into this movie, and I was like: I’m doing all the stunts, I don’t need no stuntman. Just whatever it is. Tom Cruise can do all his stunts, I can do all my stunts. And, we had about three days of that, we had about three days and we had a scene calling the subs. I said: ‘Hey, you think we should use our stuntman for this?’ And you know, it was really a lot tougher than I imagined, it’s a whole lot easier doing a fight scene and trying to fall out of a window and all of that kind of stuff at 25, than it is at 50. Thank god for special effects!”
Er [Bruckheimer] hat keinerlei Zweifel am Erfolg der Fortsetzung: “Wenn du eine Kamera auf Martin und Will richtest, weißt du, sie werden fantastisch sein.”
Bruckheimer: “When you put Martin and Will together, and you turn a camera on, it’s magic, no matter what, so I knew they would be fantastic.”
Smith erinnert sich noch gut an die Dreharbeiten des ersten Films in Florida. “Prince hatte einen Club in Miami, selbst designt. Es war wirklich hart für uns zu arbeiten, wenn du jede Nacht in den Club gehen konntest …”
Smith: “For me, it was Miami. It was like, you know, for this, for ‘Bad Boys’ was the first time we really spent time in Miami, it was like our introduction to that. And, one of the major memories: Prince had a club in Miami, when we first made the film, with ‘glam slam’ or something like that. Prince designed a club, it was really hard to get work done in Miami when you could go to Prince’s club every night. So that was one of my fondest memories.”
Was für ihn die Freundschaft der beiden Hauptfiguren ausmacht: “Es muss nicht liebenswürdig sein, es muss nicht besonnen sein oder goldig. Aber sehr zuverlässig.” Motto: “We ride together, we die together”.
Smith: “Yeah, that’s really at the center of ‘Bad Boys’, you know, that idea: ‘We ride together, we die together.’ It’s like perfect friendship. And it doesn’t have to be gentle, and, you know, it doesn’t have to be calm, it doesn’t have to be sweet, but what it is: it’s rocksolid. We ride together, we die together. Bad Boys for life.”
(All diese Zitate (bis auf eines — aber auch dieses stammt von der Pressekonferenz), sind in einem gekürzten Zusammenschnitt auf Youtube zu finden.)
Der “Bild”-Autor hat während der gesamten Pressekonferenz keine einzige Frage gestellt — das geht aus einem Audiomitschnitt hervor, der uns vorliegt. Dennoch gibt die Redaktion die Antworten als eigenes “Interview” aus.
Diese Interviewvorgaukelei hat bei “Bild” eine gewisse Tradition:
1. Der selbstgebaute Algorithmus (netzpolitik.org, Chris Köver)
Sind Googles Suchmaschinenalgorithmen wirklich objektiv und unbelastet von menschlichen Eingriffen, wie der Konzern gerne behauptet? Das “Wall Street Journal” habe daran seine Zweifel und begründe dies mit einer aktuellen Recherche. Google habe in den vergangenen Jahren immer wieder bewusst Einfluss auf die Suchergebnisse genommen. Teilweise mit Unterstützung von mehr als 10.000 Hilfskräften, sogenannten “Clickworkern”, die mit dazu beitrügen, die Suchergebnisse “sauber” zu halten.
2. Warum muss ich Sendungen bezahlen, wo Menschen in Kreuzfahrtschiffen um die Welt reisen? (planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre hat sich mit René Ketterer, einem der Betreiber des Forums “GEZ-Boykott”, unterhalten. Natürlich geht es um den Rundfunkbeitrag und das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber auch um vertrauenswürdige Medien, die derzeitige Rechtsprechung und Ketterers “Intervall-Boykotte”. “Planet Interview”-typisch lesenswert und in die Tiefe gehend.
3. Triff mich ganz seriös auf TikTok (taz.de, Simon Sales Prado)
Die altehrwürdige “Tagesschau” ist ab heute auch auf der chinesischen Kurzvideoplattform TikTok vertreten und will dort ihre Meldungen an Mann und Frau beziehungsweise ans Kind bringen. TikTok steht seit Längerem wegen seiner Zensurmaßnahmen in der Kritik. Eine Kritik, die aber auch bei anderen Plattformen angebracht sei, wie Simon Sales Prado findet: “Man könnte deshalb auch fragen, was die “Tagesschau” von der Zensur weiblicher Nippel auf Instagram und Facebook hält oder wie sie zum Overblocking unbedenklicher Profile auf Twitter steht. Also, liebe “Tagesschau”?”
4. VoxUp: Das sind die Inhalte des neuen Senders (wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Anfang Dezember startet die Mediengruppe RTL ihren neuen Sender “VoxUp”. Lisa Priller-Gebhardt berichtet, was es mit dem neuen Vox-Spinoff auf sich hat, was es dort zu sehen geben wird, und wen die Senderverantwortlichen erreichen wollen.
5. Exklusiv und informativ (deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 5:20 Minuten)
Isabelle Klein hat sich mit dem Hauptstadtkorrespondenten Frank Capellan über Sinn und Zweck von Hintergrundgesprächen unterhalten, zu denen Unternehmer, Politiker, aber auch Behörden gelegentlich einladen. “Man ist immer wieder gut beraten, das Ganze zu hinterfragen und gegenzuchecken”, so Capellan. Trotzdem nutze er die Gesprächsangebote, weil sie oftmals Rechercheanstöße böten.
6. Jung und nicht naiv (kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Die Wochenzeitung “Kontext” hat mit Youtuber und Podcaster Tilo Jung (“Jung und Naiv”, “Aufwachen!”-Podcast) gesprochen. Es geht um die Zukunft des werbefinanzierten Pressemodells, aber auch um die Frage, warum Jung fast alle Polit-Promis vor die Kamera bekommt: “Sahra Wagenknecht hat mir erzählt, dass ein ZDF-Team eineinhalb Stunden gebraucht habe, bis es ein 15-Sekunden-Statement im Kasten hatte. Bei mir kriegt sie eineinhalb Stunden, ungeschnitten, und Fragen gestellt, die auf der Augenhöhe von jungen Leuten liegen.”
Marion Horn war nicht mal ein halbes Jahr im Amt, da zeigten sich selbst hartgesottene Islamhasser beeindruckt. So schrieb das Hetzportal „Politically Incorrect“ im März 2014 verblüfft:
Ja was ist denn in die BILD am SONNTAG (BamS) gefahren? (…) Gleich zwei mal packt das Springer-Blatt das heiße Thema Islam an – und zwar in einer Deutlichkeit, die es in sich hat.
Schon auf dem Titelblatt prangt die unmissverständliche Headline: „Islam-Rabatt für Jolins Mörder“. Ohne Fragezeichen!
Tatsächlich behauptete die „Bild am Sonntag“ gemeinsam mit den anderen “Bild”-Medien ohne Fragezeichen, in Deutschland gebe es einen „Islam-Rabatt“, also mildere Strafen vor Gericht, wenn es sich bei den Straftätern um Muslime handelt.
In Wahrheit kam eine Studie, die die „Bild“-Medien als vermeintlichen Beleg für den in Deutschland vorherrschenden „Islam-Rabatt“ anführten, sogar zum genau gegenteiligen Schluss: Deutsche Strafgerichte würden sogenannte Ehrenmörder „nicht milder als andere Beziehungstäter“ behandeln, „sondern sogar strenger.“
Der zweite Artikel in der “Bild am Sonntag”, über den sich „Politically Incorrect“ damals so freute, war ein Interview mit einem deutsch-türkischen Schriftsteller – große “BamS”-Überschrift: „‚Islam gehört zu uns wie die Reeperbahn nach Mekka’“.
Fazit der Fremdenfeinde:
„Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze“, sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren. Wenn die oben erwähnten Artikel eine intensive und schnörkellose Debatte über die Gefahren des Islam in Deutschland auslösen, könnte die BamS vom heutigen 30. März 2014 eine nicht zu unterschätzende Katalysator-Funktion gehabt haben.
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So ging sie also los, Marion Horns Karriere als Chefredakteurin der “BamS”. Und nun, gut sechs Jahre später, geht sie zu Ende: Wie der Axel-Springer-Verlag in dieser Woche mitteilte, verlässt Horn die “Bild am Sonntag”.
Mit “Kompetenz und Leidenschaft” habe sie als Chefredakteurin “insbesondere die investigative und politische Relevanz von BILD am SONNTAG geprägt”, sagte Springer-Chef Mathias Döpfner.
Werfen wir zum Abschied also einen Blick zurück auf ihr glorreiches Werk.
Herzogin Kate war im Mai 2014 “dem Wind sei Dank” das Kleid hochgerutscht, wodurch ihr Po entblößt wurde.
Der Windhauch des royalen Helikopters bei der Landung in den australischen Blue Mountains sorgte für diesen kurzen, aber magischen Moment.
Diesem “magischen Moment” widmete die “Bild am Sonntag” unter Feministin Horn fast die ganze letzte Seite.
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Im Juli 2014 veröffentlichte die “BamS” neben den anderen “Bild”-Medien zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die beim Abschuss eines Flugzeuges über der Ukraine ums Leben gekommen waren.
Eine Erlaubnis der Angehörigen hatte die Redaktion nicht eingeholt. Die Veröffentlichung wurde später auch vom Presserat kritisiert.
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Wenige Tage später entschied sich Marion Horn für den Abdruck eines islamfeindlichen Kommentars ihres Stellvertreters Nicolaus Fest. “Der Islam stört mich immer mehr”, schrieb er darin, ihn störe “die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund”, “die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle” und vieles mehr. Der Islam sei wohl “ein Integrationshindernis”, was man “bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen” solle.
Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.
Im Monat darauf verkündete die “Bild am Sonntag” exklusiv, Schauspieler Henning Baum habe das Ende seiner Serie “Der letzte Bulle” bestätigt. Noch am selben Tag teilte sein Management mit, das Zitat in der “BamS” sei frei erfunden.
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Zwei Wochen später berichtete die “Bild am Sonntag” über den Mord an einem 14-jährigen Mädchen und druckte im Artikel ein Foto des vermeintlichen Täters, das die Redaktion bei Facebook geklaut hatte:
Im Dezember 2014 fragte die “Bild am Sonntag” empört:
Denn in Berlin-Kreuzberg, so die Behauptung der “BamS”, müsse der Weihnachtsmarkt neuerdings “Winterfest” heißen. Auf “dem Altar der politischen Korrektheit” werde “die christliche Tradition geopfert”, insinuierte das Blatt.
In Wahrheit stimmte die Geschichte gar nicht: “Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal”, erklärte das zuständige Bezirksamt auf unsere Nachfrage. Die “Bild am Sonntag” hatte sich das Weihnachtsmarktverbot ausgedacht – und lieferte den besorgten Bürgern und Islamhassern einmal mehr neue Munition.
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Im darauffolgenden Frühjahr berichtete die “BamS”, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft Franz Beckenbauer wegen der WM-Vergabe an Russland und Katar als Zeugen befragen wolle. Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilte auf unsere Nachfrage mit, dass das Quatsch sei. Die Geschichte in der “Bild am Sonntag” sei sogar “mehrfach falsch”. Die Redaktion habe nicht mal bei ihr nachgefragt.
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Im Monat darauf schrieb die “BamS” auf ihrer Titelseite, Angela Merkel habe in Bayreuth einen “Kollaps” erlitten.
Die Meldung des angeblichen Schwächeanfalls verbreitete sich rasend schnell, doch kurz darauf brachte die Nachrichtenagentur AFP folgende (wortwörtliche) Breaking News:
Regierungssprecher: Merkel bei Wagner-Festspielen nicht kollabiert – Kein Schwächefall – Stuhl der Kanzlerin brach zusammen
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Im August 2015 wurde in Schleswig-Holstein die Leiche eines Mannes gefunden, der Suizid begangen hatte. Daraufhin bat die Polizei die Medien darum, die Fotos, die sie zur Fahndung veröffentlicht hatte, “aus der Berichterstattung zu nehmen”.
Die “Bild am Sonntag” ignorierte nicht nur die Bitte der Polizei, sondern lieferte möglichen Nachahmern auch gleich noch den genauen Ort des Suizids:
(Wenn Ihr selber Probleme habt, depressiv seid oder über Suizid nachdenkt, könnt Ihr Euch jederzeit unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 an die TelefonSeelsorge wenden.)
Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.
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Wenige Monate später druckte die “Bild am Sonntag” zahlreiche Fotos und persönliche Informationen von Menschen, die bei einem Anschlag auf ein Einkaufszentrum in München getötet worden waren.
Eine Zustimmung der Angehörigen lag wieder nicht vor, und wieder wurde die Veröffentlichung vom Presserat kritisiert.
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Im September 2016 druckte die “Bild am Sonntag” einen Gastkommentar des Fußballers Arne Friedrich. Der meldete sich kurz darauf bei Twitter zu Wort und erklärte, die Redaktion habe in seinem Kommentar rumgepfuscht. Als Beweis schickte er einen Screenshot seines Originaltextes mit:
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An Ostern 2017, nachdem ein Mann einen Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund verübt hatte, titelte die “Bild am Sonntag”:
Wie sich später herausstellte, war auch diese Geschichte Unsinn. Die Bundesanwaltschaft teilte in einer Pressemitteilung mit, die Sprengsätze seien “zeitlich optimal gezündet” worden.
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Anfang 2018 behauptete die “Bild am Sonntag”:
Doch auch diese Schlagzeile war falsch. Tatsächlich ergab die Statistik, dass nicht „4 von 5 Flüchtlingen“ bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die Analphabeten sind, nicht das Sprachniveau B1 erreichen. Insgesamt schafften nicht nur 20 Prozent einen Abschluss, wie von “BamS” behauptet, sondern 76 Prozent.
Auch diese falsche Schlagzeile war eine willkommene Vorlage – nicht nur für andere Medien, sondern vor allem für rechte Hetzer.
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Wenige Wochen später schrie die “Bild am Sonntag”:
Was in der Überschrift schon mal nicht klar wurde: Dabei handelte es sich nicht um eine drei- oder vierköpfige Familie, sondern um eine Mutter mit neun Kindern. Zudem wurden die 7300 Euro für die zehnköpfige Familie nicht bar ausgezahlt, sondern ein Großteil wurde schon vorher abgezogen, um die Kosten für die Unterbringung in einem Asylwohnheim inklusive aller Nebenkosten zu begleichen. Auch die Dauer der Bearbeitung war entgegen der “BamS”-Behauptung komplett irrelevant. Und auch sonst gab sich die “Bild am Sonntag” große Mühe, in dem Artikel möglichst viel Irreführendes und Falsches unterzubringen.
Tatsächlich hätte jede deutsche Mutter mit neun Kindern im selben Alter als Sozialhilfeempfängerin genauso viel und dieselben Leistungen bekommen wie die Flüchtlingsfamilie. Davon war in der “Bild am Sonntag” allerdings nichts zu lesen.
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Als im Dezember 2018 über die Nachfolge von Angela Merkel an der Spitze der CDU abgestimmt werden sollte, veröffentlichte die “Bild am Sonntag” eine Liste von 1001 Delegierten und verriet, für welchen Kandidaten/welche Kandidatin sie jeweils stimmen würden. Allerdings erklärten daraufhin etliche der angeblich Befragten, sie hätten überhaupt nicht mit der “Bild am Sonntag” gesprochen.
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Sechs Jahre war Marion Horn Chefredakteurin der “Bild am Sonntag”. Sechs Jahre, in denen ihr Blatt Lügen in die Welt setzte, Persönlichkeitsrechte verletzte und den Hass gegen den Islam befeuerte. Die Liste ließe sich noch viel weiter fortsetzen, mit Schleichwerbung, geheuchelterSelbstkritik oder politischen Kampagnen.
Oder wie man beim Axel-Springer-Verlag sagt: “Kompetenz und Leidenschaft”.
1. “Stellt mir nicht solche Fragen”: Peter Handke kritisiert Medien (kurier.at, Georg Leyrer)
Der Nobelpreisträger Peter Handke will “nie wieder” Journalistenfragen beantworten. Das hat etwas mit der öffentlichen Kritik an ihm, aber auch mit einem Gartentor, Homer und Cervantes zu tun: “Ich stehe vor meinem Gartentor und da sind 50 Journalisten und alle fragen nur wie Sie. Von keinem Menschen, der zu mir kommt, höre ich, dass er sagt, dass er irgendwas von mir gelesen hat. Es sind nur die Fragen: Wie reagiert die Welt? Reaktion auf Reaktion auf Reaktion. Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen”.
2. Die Gutsherren legen die Axt an (kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Bei der Südwestdeutschen Medienholding sollen tiefe Einschnitte anstehen: Gleich vier Redaktionen sollen geschlossen werden. Das wird einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Job kosten, wie “Kontext”-Autor Josef-Otto Freudenreich nach einem Gespräch mit einem Verdi-Vertreter befürchtet: “Die Gewerkschaft spricht von 40 bis 45 Stellen, die in der 270-köpfigen StZN-Redaktion gestrichen werden sollen. Als sicher gelte, dass in einem ersten Schritt die Außenredaktionen in Esslingen, Böblingen, Waiblingen und Göppingen geschlossen werden. Nach Kontext-Informationen müssen StZ [“Stuttgarter Zeitung”] und StN [“Stuttgarter Nachrichten”] auch jeweils drei ihrer zwölf sogenannten Exklusiv-Autoren einsparen.”
3. Das sind Twitters neue Regeln für Staatschefs (spiegel.de)
In einem Blogpost will Kurznachrichtendienst Twitter “klarstellen, dass die Accounts von politischen Führungspersonen nicht komplett über unseren Regeln stehen”. Die entscheidende Formulierung ist dabei das “nicht komplett”, denn man lässt den Staatslenkern dennoch eine Menge durchgehen und wählt als Sanktion, außer bei Extremfällen, höchstens eine Einschränkung der Verbreitung.
4. “Bild TV” ist das Volk (deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:17 Minuten)
Der Axel-Springer-Konzern will mit “Bild TV” noch stärker ins Fernsehgeschäft einsteigen. Arno Orzessek hat verfolgt, was “Bild”-Boss Julian Reichelt zu dem Thema gesagt hat und ist sich sicher: “Falls “Bild TV” ein ähnliches Bild vom Erleben der Menschen abbildet wie die “Bild”-Zeitung, und Sie zu diesen Menschen gehören, dann werden Sie entdecken: Sie sind voller Ressentiments! Sie verleumden, wenn es Ihnen passt! Sie nehmen es mit den Fakten nicht so genau! Sie mischen sich in Dinge ein, die Sie nichts angehen. Und so weiter.”
5. Jan Hofer: “Vertrautheit schafft Vertrauen” (haz.de, Imre Grimm)
Imre Grimm hat sich mit der “Tagesschau”-Institution Jan Hofer unterhalten. Der 69-jährige Chefsprecher arbeitet dort seit stolzen 34 Jahren und weiß daher gut über die Konstanten und Wechsel im Nachrichtenbusiness Bescheid. Im Gespräch geht es nicht nur um die Sendung, sondern auch ihre Auswirkungen auf sein Privatleben: “Ich passe höllisch auf, dass meine Kinder nicht in die Presse kommen. Aber wenn es bei mir privat nicht so gut läuft, habe ich wochenlang die Boulevard-Typen vor der Tür stehen. Das ist alles nicht so angenehm. Damit muss man aber fertig werden.”
Weiterer Lesetipp: Grimm hat auch die “Tagesschau” besucht und dabei “ins Herz einer deutschen TV-Institution” geblickt.
6. 40 Jahre TITANIC – 40 Jahre zufriedene Leser Teil 1 (youtube.com, Caricatura – Museum für Komische Kunst, Video: 2:55 Minuten)
“Titanic”-Titelbilder lösen nicht immer vorbehaltlose Zustimmung aus, um es vorsichtig auszudrücken. In einem kurzen Video tragen Redakteurinnen und Redakteure des Satire-Magazins Zuschriften von Leserinnen und Lesern vor, die emotional besonders aufgewühlt waren.
Wir sind selbstbewusst genug zu glauben, dass es genug Menschen gibt, die lieber das schauen, was »Bild« zeigt, als etwas anderes.
Auf die Frage von “Spiegel”-Redakteurin Isabell Hülsen, was “Bild” als TV-Sender denn könne, was andere nicht längst können und machen, sagt er:
Reichelt: Exklusive News zeigen und emotionale Geschichten erzählen. Man kann natürlich sagen, das bieten andere auch schon. Die Wahrheit ist: Die meisten Fernsehsender machen das, was wir uns vorstellen, eben nicht. Aus dem brennenden Amazonasgebiet, so wie wir zuletzt, sendet nicht jeder.
SPIEGEL: Vielleicht nicht mit acht Reportern wie »Bild«, aber etliche Sender haben durchaus direkt vor Ort berichtet.
Reichelt: Ja, aus dem Hotelzimmer. Aber nicht mit mehreren Teams, die im brennenden Regenwald stehen und mit Menschen reden, um die herum alles gerodet wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass es diese menschliche Geschichte im Nachrichtenangebot gab.
Nun, blöderweise hat er da falsch gefühlt. Die ARD zum Beispiel stand auch im brennenden Regenwald und redete mit Menschen:
Genauso RTL:
Auch das ZDF war vor Ort:
Und Stern-TV schickte gar Ex-DSDS-Jurorin Fernanda Brandão los, um mit Amazonas-Bewohnern über ihre Gefühle zu reden:
Wenn das nicht der Gipfel des menschlichen Fernsehens ist, dann wissen wir auch nicht.
Aber das alles passt natürlich nicht in Reichelts Erzählung.
Die Fernsehsender, so der “Bild”-Chef, vor allem die Öffentlich-Rechtlichen, würden über einige wichtige Dinge gar nicht berichten. Die Medien und die Politik hätten “das Gefühl für den Alltag der großen Masse von Menschen in diesem Land verloren. Die Leute haben das Gefühl, sie werden nicht gehört.”
Ich frage mich: Wo findet die Realität, die wir auf der Seite 2 von »Bild« abbilden, im Fernsehen statt? Etwa, dass Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, jetzt Flaschen sammeln müssen.
Julian Reichelt aber tut so, als gäbe es so etwas im Fernsehen nicht, als klaffe dort eine Lücke, die nur “Bild” füllen kann. Er sehe da “großes Potenzial”.
Wir wollen das Land, die Welt, die Politik und den Alltag der Menschen so zeigen, wie es die Leute erleben, und nicht so steril und weichgespült wie teilweise bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Das Landgericht (LG) Köln hat die “konkrete identifizierende Verdachtsberichterstattung” der “Bild”-Medien über einen ehemaligen Profifußballer verboten. “Bild” und Bild.de hatten Anfang September exklusiv und riesengroß über einen “Kinderpornografie-Verdacht” berichtet. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:
In Ihrem Beschluss hebt die Kammer (…) maßgeblich auf die durch die konkrete Gestaltung der Berichterstattung gegebene Vorverurteilung und den Umstand ab, dass es für eine derartige Verdachtsberichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, die für die Richtigkeit des vermittelten Verdachts sprechen könnten.
Auch “Bild” berichtet heute online und in der gedruckten Ausgabe über die Gerichtsentscheidung:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
Die Redaktion schreibt dazu:
Das Landgericht Köln hat BILD mit einer einstweiligen Verfügung verboten, über die Ermittlungen gegen Ex-Fußball-Nationalspieler [M.] identifizierend zu berichten.
Bei Androhung einer Geldstrafe von bis zu 250 000 Euro — “oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten” — wird es BILD verboten, “über den Antragsteller im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften in einer diesen durch Nennung seines Namens und Veröffentlichung seines Bildnisses identifizierenden Weise zu berichten”.
Aber verstößt “Bild” mit diesem Bericht über die einstweilige Verfügung nicht schon gegen die einstweilige Verfügung? Wir haben bei Medienrechtlern nachgefragt.
Zunächst stelle sich die Frage, ob die einstweilige Verfügung bereits ordnungsgemäß zugestellt wurde, erklärt Lucas Brost von der Kanzlei Höcker, denn erst dann sei sie für “Bild” bindend. Es sei beispielsweise denkbar, dass der Anwalt des früheren Fußballprofis die “Bild”-Redaktion vorab, etwa per E-Mail, über die Verfügung informiert hat, und “Bild” daher die Kenntnis habe. Allerdings, so Brost:
Für eine bereits erfolgte Zustellung könnte sprechen, dass die alten BILD-Beiträge offensichtlich bereits gelöscht wurden und die einstweilige Verfügung ausweislich der Pressemitteilung des LG Köln bereits am 19.09.2019 erlassen wurde.
Tatsächlich sind bei Bild.de alle alten Artikel zum Fall verschwunden.
Der Medienrechtler Dominik Höch sagt zum “Bild”-Bericht von heute:
BILD wird sich darauf berufen, dass es sich um einen Fall der sogenannten referierenden Berichterstattung handelt. Gerichte haben mehrfach entschieden, dass Medien über ein Verbot gegen sie selbst berichten dürfen, ohne gegen die einstweilige Verfügung zu verstoßen. Voraussetzung ist allerdings, dass für den Leser erkennbar ist, dass nur sachlich referiert wird, was nun untersagt wurde. Und: Es darf sich nicht um einen Vorwand handeln, um das Verbot zu umgehen und die Behauptung erneut aufzustellen.
Wäre er der Anwalt des Ex-Fußballers, so Höch, würde er ihm raten, “ein Ordnungsgeld wegen Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung, so diese denn schon formal zugestellt ist, zu beantragen”:
Zwei Gründe: Alleine im Text der BILD wird fünfmal der konkrete Vorwurf (“Verbreitung kinderpornographischer Schriften”) erneut aufgestellt. Dazu kommt die eingeblendete Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft. Das geht weit über eine sachliche Mitteilung hinaus, was der BILD verboten wurde. Man hat den Eindruck, man wollte dem Antragsteller hier noch mal “einen mitgeben”. Zum Zweiten liefe der Anonymitätsschutz im Ermittlungsverfahren komplett leer, wenn auf diese Weise solche existenzvernichtenden Vorwürfe, deren Mitteilung gerade ein Gericht verboten hat, doch weiter ventiliert werden.
Auch Lucas Brost sieht in dem aktuellen “Bild”-Bericht einen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung, “wenn wir die Zustellung annehmen”:
Denn das LG Köln hat in seiner Pressemitteilung festgestellt, dass es für eine identifizierende Berichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehlt, das heißt auf Grund der derzeitigen Sach- und Rechtslage darf Herr [M.] unter Nennung seines Namens und der Ablichtung eines Bildnisses nicht mehr mit den Vorwürfen in Verbindung gebracht werden.
Die “Bild”-Redaktion kündigt in ihrem Bericht von heute an, dass sie gegen die einstweilige Verfügung juristisch vorgehen wolle. Dabei beruft sie sich auch auf eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg, die darin ebenfalls den kompletten Namen des Verdächtigen genannt hatte. “Bild” schreibt:
Dennoch besonders bizarr: BILD wurde nun vom Kölner Landgericht verboten, über den Fall zu berichten, obwohl die Hamburger Staatsanwaltschaft selbst die Öffentlichkeit darüber informiert hatte!
Erstens hat der Bundesgerichtshof längst festgestellt, dass die Mitteilung einer Staatsanwaltschaft nicht einem Persilschein für Redaktionen gleichkommt:
Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf. Dies beruht auf der Erwägung, dass Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind und Amtsträger, wenn sie vor der Frage stehen, ob die Presse über amtliche Vorgänge informiert werden soll, die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorzunehmen haben. (…) Daher ist regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat. Auch das entlastet die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist.
Und zweitens ist der zeitliche Ablauf in dem Fall interessant: Die Hamburger Staatsanwaltschaft veröffentlichte ihre Pressemitteilung samt Namen des Verdächtigen im Laufe des 4. September. Da lag die “Bild”-Ausgabe mit Foto und Namen des Verdächtigen auf der Titelseite längst an allen Kiosken Deutschlands. Der erste identifizierende Bericht von Bild.de erschien bereits am Vorabend.
1. Killt BILD? (diekolumnisten.de, Heinrich Schmitz)
Der Jurist Heinrich Schmitz hat sich die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über ein Ermittlungsverfahren gegen einen früheren Fußballnationalspieler angeschaut. Seine rechtliche wie moralische Bewertung: “An Unverfrorenheit ist die Berichterstattung der BILD in diesem Verfahren kaum zu überbieten. Nicht nur, dass sie selbst ein Ermittlungsverfahren initiiert und dann zunächst exklusiv darüber berichtet, nein, irgendjemand innerhalb der Ermittlungsbehörden gibt der BILD auch noch Informationen, die dazu führen, dass der Verdächtige nicht nur von Kriminalbeamten, sondern auch gleich von ein paar BILD-Reportern aufgesucht und fotografiert wird. Das hat mit seriöser Berichterstattung nichts mehr zu tun, das ist ein medialer Pranger.”
Weitere Lesetipps: Der Fall [M.] zeigt, wie sehr die “Bild” auf den Rechtsstaat scheißt (vice.com, Juri Sternburg) sowie Sorgfalt bei Verdacht (taz.de, Christian Rath).
2. “profil”: Kurz-Biografin mit geschönten Referenzen (profil.at)
Diese Woche erscheint das Buch “Sebastian Kurz: Die offizielle Biografie”. Geschrieben hat es Judith Grohmann, die in ihrem Lebenslauf behaupte, “die jüngste Investigativ-Journalistin und Schlussredakteurin Österreichs” gewesen zu sein: “Mit 17 ging sie zum Herausgeber des bekanntesten österreichischen Enthüllungs- und Nachrichtenmagazins profil und bot ihm an, für ihn als Investigativ-Journalistin zu arbeiten. Zwei Monate später bot ihr der selbe (sic!) Herausgeber an, neben ihrer Tätigkeit als Journalistin auch als Chefin vom Dienst für profil zu arbeiten.” Das Nachrichtenmagazin sieht das jedoch etwas anders: “Judith Grohmann dürfte 1985 zwar vorübergehend bei profil tätig gewesen sein, mit Sicherheit aber nicht als Redakteurin, geschweige denn als Chefin vom Dienst. Ihr Name scheint in keinem Impressum auf.”
3. Fünf Gründe warum Podcasts kein Geld verdienen (jedenfalls nicht einfach so) (dirkvongehlen.de)
Seth Godin ist ein US-amerikanischer Autor und Unternehmer, der vor allem zu Internet- und Marketing-Themen schreibt. Aktuell beschäftigt er sich mit dem Thema Podcasting. Dirk von Gehlen hat einige von Godins Kernaussagen zusammengefasst — interessante Denkanstöße für Podcast-Hörende, Podcast-Machende und Podcast-Vermarktende.
4. Mit dem Zweiten wirbt man besser (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Jan Böhmermann bewirbt sich, bislang erfolglos, um den SPD-Vorsitz und nutzt dafür auch die mediale Kraft seiner ZDF-Sendung “Neo Magazin Royale”. “Das ist nicht in Ordnung”, findet Joachim Huber im “Tagesspiegel”: “Schon im Mitarbeiterkodex des ZDF heißt es: “Der Status eines ZDF-Mitarbeiters darf nicht dazu genutzt werden, sich individuelle private Vorteile zu verschaffen.” Genau das tut Böhmermann, noch dazu großzügig bezahlt mit Rundfunkbeiträgen.”
5. Das ausbeuterische Geschäftsmodell der großen Wissenschaftsverlage (krautreporter.de, Bent Freiwald)
Die drei größten wissenschaftlichen Verlage der Welt Elsevier, Springer (hat nichts mit dem hier häufiger thematisierten Axel-Springer-Verlag zu tun) und Wiley haben ein lukratives Geschäftsmodell zur Vermarktung von wissenschaftlichen Publikationen entwickelt, das ihnen traumhafte Renditen beschert. Mittlerweile wehren sich Bibliotheken, Unis und Institute gegen die hohen Preise der Monopolisten. Bent Freiwald erklärt das zu Lasten der Allgemeinheit gehende Geschäftsmodell. Er vergleicht es mit der fiktiven Vermarktung von Straßen, die sich wohl keiner gefallen lassen würde: “Das Bauunternehmen bezahlt seine Mitarbeiter:innen nicht, sondern berechnet ihnen eine Gebühr dafür, dass sie die Straße bauen dürfen. Die Bauaufsicht, die dafür verantwortlich ist, dass die Straße den Standards entspricht, wird auch nicht bezahlt. Und wenn du über die fertige Straße fahren willst, musst du ein teures Jahresabonnement abschließen oder 30 Euro Gebühren für eine einmalige Fahrt zahlen — obwohl die Straße von deinem Geld gebaut wurde.”
6. Ein Kreuzfahrt-Werbefilmchen im Nachmittagsprogramm (dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff ist ein begeisterter Zuschauer der Nachmittags-Kreuzfahrt-Serie “Verrückt nach Meer” im Ersten: “Weil es so komplett unterfordernd ist, so einfältig, so billig, so seicht.” Hoff hat einen wunderbaren Rant auf das Format verfasst: “Wäre ich Kreuzfahrtveranstalter, ich würde mir umgehend die Rechte an dieser Reihe sichern. Besseres Werbematerial gibt es nicht. So kritikloses, so blutleeres, so profilloses Fernsehen mit einem derartigen Werbepotenzial muss man sonst lange suchen.”
1. Welchen “Streit” wollen sie? (taz.de, Peter Weissenburger)
Die Wochenzeitung “Zeit” führt ein neues “Streit”-Ressort ein. Um “den Begriff Streit wieder positiv zu besetzen und ihm eine kleine, feine Bühne zu bieten, auf der man hart in der Sache, aber verbindlich im Ton diskutieren kann”, so “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo. Dazu hat man den US-Kolumnisten Bret Stephens eingekauft, der für seine provokanten Positionen in Sachen Klimawandel bekannt ist. “taz”-Redakteur Peter Weissenburger kommentiert: “Auf Nachfrage, welche Debattenkultur Bret Stephens in die Zeit tragen soll, teilt Ressortleiter Jochen Bittner mit: dieser Standpunkt sei hoffentlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das stimmt. Aber es stimmt nicht gerade hoffnungsvoll bezüglich der Zeit-Streitkultur.”
2. Illegaler Verkauf von Spähsoftware an Türkei (reporter-ohne-grenzen.de)
Die deutsche Firmengruppe FinFisher soll die Spionage- und Überwachungssoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die türkische Regierung verkauft haben, so der Vorwurf der Gesellschaft für Freiheitsrechte, von Reporter ohne Grenzen, des European Center for Constitutional and Human Rights und von Netzpolitik.org. Die Organisationen haben gegen mehrere Geschäftsführer des FinFisher-Konglomerats Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft München hat daraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
3. “Wir haben Freiheiten, die man sich vor 20 Jahren nicht vorstellen konnte” (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat sich mit den beiden deutschen Youtubern Fabian Rieck und Steven Schuto unterhalten, die den Kanal “Space Frogs” betreiben. Es geht um ihr erfolgreiches Video mit Rezo, die Tücken des Youtube-Algorithmus, das Problem der Demonetarisierung, die Reaktionen der öffentlich-rechtlichen Youtuber von Funk und die Frage, wie sich die beiden motivieren, ohne in den Burnout zu schlittern.
4. Moskau schikaniert Deutsche Welle (djv.de, Hendrik Zörner)
Das russische Parlament wirft der Deutschen Welle “Einmischung in die inneren Angelegenheiten” des Landes vor und wollte die Vertreter des Senders offiziell einbestellen, was die Deutsche Welle abgelehnt habe. Man sei zu Gesprächen bereit, lasse sich jedoch nicht einbestellen. “Genau die richtige Reaktion. Journalisten müssen sich nicht dafür rechtfertigen, dass sie kritisch berichten”, so der Kommentar von DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner.
5. Facebook bietet Verlagen bezahlte Video-Partnerschaften an (horizont.net)
Facebook geht Kooperationen mit Verlagen und Herausgebern ein, um an exklusive Videoinhalte zu gelangen. Als Partner hat man sich zunächst die Verlagshäuser Axel Springer, Burda sowie Gruner + Jahr herausgepickt, denen man einen zweistelligen Millionenbetrag zahlt und mit denen man die zukünftigen Werbeerlöse teilen will.
6. “Wir sind Brückenbauer im Grenzland” (sueddeutsche.de, Peter Burghardt)
Peter Burghardt hat die Redaktion des “Nordschleswiger” besucht, die Zeitung der deutschen Minderheit in Dänemark mit kaum mehr als 1200 Abonnenten. Seit 1946 existiert die “größte deutschsprachige Zeitung Skandinaviens”, die zugleich auch die einzige ist. Das Blatt trägt sich durch Zuwendungen von Mäzenen, eine jährliche Zahlung vom Bund Deutscher Nordschleswiger von mehr als zwei Millionen Euro und eine Unterstützung des Königreichs Dänemark (400.000 Euro). Ab Februar 2021 werde man sich vollkommen auf den digitalen Vertriebsweg konzentrieren.