Suchergebnisse für ‘anonym’

Twitters Taktik, Frontstadt Cottbus, Kriegsreporter

1. Sechs Monate Twittersperre
(tomhillenbrand.de)
Es muss sich sehr frustrierend anfühlen: Der Autor Tom Hillenbrand wird von Twitter zu Unrecht gesperrt, bekommt vor einem deutschen Gericht Recht, erfährt aber trotzdem keine Gerechtigkeit. Das sich hinter seiner Dubliner Firmenadresse verschanzende Sozialen Netzwerk nehme die Einstweilige Verfügung aus Deutschland einfach nicht zur Kenntnis. Twittersperren-Opfer Hillenbrand kommentiert: “Meiner Ansicht nach ist der Gesetzgeber gefordert. Wenn eine Social-Media-Plattform hierzulande Kunden und Geschäft hat, müsste sie eine in Deutschland ansässige Dependance haben, die Korrespondenz entgegennimmt. Bei Fällen, die das NetzDG betreffen, ist das offenbar vorgeschrieben, bei Accountsperren wie meiner hingegen nicht.”

2. Der rbb und Cottbus
(ardaudiothek.de, Sebastian Schöbel, Audio: 25 Minuten)
In bestimmten Cottbusser Kreisen zählen die Reporterinnen und Reporter des rbb zum erklärten Feindbild. Dies äußert sich zum Beispiel bei flüchtlingsfeindlichen Demos, beim Ärger mit rechtsextremen Fußballfans oder beim Berichten über den Rückzug aus der Braunkohle. In der aktuellen Folge des Podcasts “Die erzählte Recherche” geht es um die schwierige Situation der regionalen Berichterstattung und die Frage: “Was passiert, wenn sich eine Stadt gegen einen Rundfunksender wendet?”

3. “Ich würde mich über AfD-Anhänger freuen”
(tagesspiegel.de, Thomas Gehringer)
Thomas Gehringer hat sich für den “Tagesspiegel” mit WDR-Talker Jürgen Domian unterhalten, der heute sein TV-Comeback feiert (WDR, 23:30 Uhr). Domian hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten mehr als 20.000 Telefongespräche geführt und dabei unter anderem gelernt, dass Menschen “erschreckend abgründig sein können. Das habe ich vorher nicht so gesehen. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, wie großartig Menschen sein können. Mutig, tapfer, Vorbilder für andere.”

4. Nein, “Zeit-Online”-Autor Christian Bangel forderte keinen “gezielten Völkermord durch Migration”
(correctiv.org, Till Eckert)
Hat “Zeit Online”-Autor Christian Bangel tatsächlich in einem Artikel den “Genozid am deutschen Volk” gefordert, wie die Website “Anonymous News” und ein ehemaliger Katzenkrimi-Autor, der schon mal wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, behaupten? Natürlich nicht! “Correctiv”-Faktenchecker Till Eckert hat die Sache trotzdem noch mal aufgedröselt, zitiert die entsprechenden Passagen, erklärt die von beiden Seiten verwendeten Begriffe und zeigt, warum die Behauptung einfach nur falsch ist.

5. Kriegsreporter – Mythos und Wirklichkeit eines Berufsbildes
(de.ejo-online.eu, Martin Gerner)
Um den Beruf des Kriegsreporters beziehungsweise der Kriegsreporterin ranken sich vielerlei Mythen, doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Martin Gerner erzählt, wie sich Kriegsberichterstattung tatsächlich abspielt. Dazu gehören auch die lokalen Reporter und Reporterinnen, die oftmals die schwere und gefährliche Vorarbeit übernehmen, deren Einsatz jedoch nicht angemessen gewürdigt werde: “Meinem Freund und Kollegen, dem afghanischen Fotojournalisten Massoud Hossaini, habe ich jahrelang nahegelegt, bei seiner renommierten Nachrichtenagentur auf gleichen Versicherungsschutz zu pochen. Er zögerte. Immer wieder. Erst als er den Pulitzer-Preis in den Händen hielt, traute er sich: “Jetzt werden sie mich wohl nicht vor die Tür setzen, wenn ich danach frage.””

6. Sind Memes nun illegal oder nicht?
(twitter.com/docupy, Video: 1:43 Minuten)
Ist das Anfertigen und Posten einer Mem-Bildtafel mit urheberrechtlich geschütztem Material legal oder illegal? Diese Frage hat der Youtuber Rezo Mitgliedern des Bundestages quer durch das Parteienspektrum gestellt. Es gab zwar Antworten, aber echte Sachkompetenz kann man wohl nur einer der Befragten attestieren …

Das Buch lebt, Dunkle Forenwelt, Der Heilige Sankt Spekulatius von n-tv

1. Im Netz mordet kein Terrorist allein
(sueddeutsche.de, Max Hoppenstedt & Simon Hurtz)
Max Hoppenstedt und Simon Hurtz nehmen ihre Leserinnen und Leser mit in die Parallelwelt der anonymen Onlineforen, in denen sich bevorzugt junge weiße träfen, um dort in missverstandener Redefreiheit und ohne Rücksicht auf Anstand und Gesetze “alles sagen zu dürfen”. “Dieses Selbstverständnis dient oft als Vorwand für rechtsradikale, rassistische und antisemitische Hetze. Auch Frauenfeindlichkeit und Schwulenhass sind weit verbreitet. Die Nutzer wandeln ständig auf der Grenze zwischen anarchischem Humor und offener Menschenverachtung. Memes werden zu Mordaufrufen, aus sarkastischen Insider-Witzen wird purer Hass. Das erschwert die Arbeit für Ermittler: Oft lässt sich nicht unterscheiden, wo der “Spaß” aufhört und der Ernst beginnt.”

2. Ganz dünnes Eis: Terror in Halle, live bei n-tv
(uebermedien.de, Video: 3:20 Minuten)
Anlässlich des Terroranschlags in Halle (Saale) unterbrach der Fernsehsender n-tv sein reguläres Programm und berichtete live vom Geschehen in Sachsen-Anhalt. Da es kaum gesicherte Informationen zu Tathergang und Motivlage gab, waren eigentlich nur Spekulationen möglich. Spekulationen, vor denen der Sender seine Zuschauerinnen und Zuschauer jedoch ausdauernd und über Stunden warnte. “Übermedien” hat daraus einen dreiminütigen Spekulationsfilm gemacht.

3. Neuer “Tagesschau”-Newsroom: Die Kleingärtner im Nacken
(dwdl.de, Alexander Krei)
Ganze zwei Jahre hat die ARD an ihrem neuen “Nachrichtenhaus” mit dem topmodernen Newsroom gebaut. Der Neubau hat 16 Millionen Euro gekostet. Angesichts des rasanten Wandels der Digital- und Medienwelt, ist es fast niedlich, wie NDR-Intendant Lutz Marmor das Investment rechtfertigt: Das Nachrichtenhaus soll nämlich 30 Jahre lang genutzt werden. “Mindestens”.

4. Eingesperrte Bücher: Warum E-Books nicht die Zukunft des Lesens sind
(rnd.de, Imre Grimm)
Wenn es nach manchen Technik-Propheten ginge, müsste das E-Book schon längst das klassische Buch abgelöst haben. Doch nichts dergleichen: Trotz verbesserter Geräte stagniert der Markt für Digitalbücher seit Jahren. Imre Grimm kommentiert: “Fünf Jahre Stillstand — in digitaler Währung ist das eine Ewigkeit. Warum ist das so? Warum stagnieren E-Books, obwohl digitale Medien insgesamt boomen? Warum lesen unverändert etwa 80 Prozent der Deutschen gedruckte Bücher, aber die Buchbranche macht nur 6 Prozent ihres Umsatzes mit E-Books? Weil es beim Genuss eines Buches um etwas anderes geht als beim Lesen von Nachrichten. Der “Verzehr” eines guten Buches ist hirntechnisch ein anderer Vorgang als das interessierte Scannen von Neuigkeiten. Über die Qualität des aktuellen Literaturangebots sagt das zwar wenig aus — technisch aber scheint die Sache entschieden. Das Buch ist tot. Es lebe das Buch.”

5. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019
(blog.wdr.de, Dennis Horn)
Dennis Horn fasst die wichtigsten Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 zusammen und macht daraus vier Themenblöcke: “Erstens: Es gibt in den Zahlen keine großen Sprünge mehr. Zweitens: Nur jeder Zehnte hat die “Wanze im Wohnzimmer”. Drittens: Facebook ist weiter die Nummer eins. Viertens: Die Leute nutzen das Netz länger zum Hören.”

6. Zu gut, um wahr zu sein? Wie man Bilder und Videos verifiziert
(fachjournalist.de, Bernd Oswald)
Im Internet tauchen schon zu Normalzeiten unzählige manipulierte oder gefälschte Bilder auf. In Ausnahmesituationen mit ungeklärter Faktenlage sind diese besonders gefährlich. Bernd Oswald erklärt, wie man als Journalistin oder Journalist Bilder und Videos verifizieren kann. Vieles davon ist nicht nur für Leute aus der Medienbranche interessant, sondern sollte zur allgemeinen Medienkompetenz und in den Schulunterricht gehören.

“Bild live”: Das ist jetzt alles natürlich noch Spekulation

“Bild” will bald Fernsehen machen. Heute gab es einen Vorgeschmack darauf, was uns da erwarten könnte: Zum Terroranschlag in Halle (Saale) auf eine Synagoge sowie auf einen Dönerladen gab es bei Bild.de eine “Bild live”-Sendung. Wir haben uns das mal angeschaut.

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Im “Bild live”-Studio stehen Moderator Moritz Wedel und Redakteur Björn Stritzel, und der eine fragt den anderen: “Björn, was kannst Du uns zu den Tätern sagen?” Stritzel antwortet, er kenne noch keine Details, und das sei alles natürlich noch Spekulation — was eine hervorragende Zusammenfassung für die kommenden eineinhalb Stunden ist.

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Die Redaktion schaltet zu Michel Milewski. Der ist eigentlich Redakteur bei “Sport Bild” und dort zuständig für den Bereich eSports, aber jetzt ist er in Halle. Wedel leitet über mit: “Michel, Du warst Augenzeuge”.

Nee, war Milewski nicht, wie er selbst sagt, sondern in einem Café “100 Meter” vom Tatort entfernt. Er habe auch gar nichts mitbekommen und erst von dem Anschlag erfahren, als der Gastronom sagte, man solle in einen Raum ohne Fenster gehen.

Jetzt ist er aber wirklich vor Ort. Und hat auch was zu berichten: Das Sondereinsatzkommando sei nämlich gerade eingetroffen. Milewski gibt das alles durch und erzählt auch detailliert, wohin das SEK so geht und was es gerade macht. Dass das möglicherweise ziemlich hilfreiche Informationen für einen flüchtigen Täter sein könnten, hält ihn nicht davon ab weiterzuerzählen. Aber gerade hat er sowieso ganz andere Sorgen: “Jetzt muss ich leider ein bisschen Platz machen”.

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Weiter zur nächsten Schalte. Dieses Mal mit “Bild”-Chefreporter Frank Schneider, der davon erzählt, dass seine neuesten Informationen sagen, dass es einen Toten in der Synagoge gegeben habe und einen Toten auf der Straße. Dass nur ein paar Minuten später ein Polizeisprecher in einem Video, das Bild.de einspielt, sagt, dass es einen Toten in einem Dönerimbiss und einen Toten auf der Straße gegeben haben soll, und dass das alles nicht zusammenpasst, kümmert bei “Bild” offenbar niemanden. Hauptsache erstmal alles raus, was man so an Informationen hat.

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Moderator Weidel verkündet, es gebe jetzt Fotos und Videos, die Augenzeugen in den Sozialen Netzwerken verbreiten würden. Verifizieren könne man das alles nicht, aber zeigen — ja, warum eigentlich nicht?

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Als neueste Entwicklung blendet die “Bild”-Redaktion ein: “REPORTER DARF LOKAL NICHT VERLASSEN”.

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Jetzt kommt das bereits erwähnte Video mit dem Polizeisprecher. Ein Reporter konfrontiert ihn mit allen möglichen Gerüchten, die zu diesem Zeitpunkt so die Runde machen. Etwa: “Kann man schon etwas sagen: Handelt es sich da möglicherweise um, wie sacht man, ein Beziehungsdrama? Oder wir das als Terroranschlag eingestuft?” Oder: “Im Polizeifunk war eben zu hören, dass man ihn [den Täter] direkt vor sich hätte.”

Auf die Frage, ob der Anschlag dem jüdischen Friedhof galt, betont der Polizeisprecher noch mal, dass das alles Mutmaßungen seien: “Das ist Spekulation. Wir wissen noch nicht, warum weshalb diese Tat hier geschehen ist.”

Das alles wirkt eher wie ein Recherchegespräch, das zufällig mit dem Smartphone mitgefilmt wurde. Der Reporter notiert sich zwischendurch auch immer wieder die Aussagen des Polizisten. “Bild”-Reporter filmen sich selbst bei der Arbeit.

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Jetzt ist Björn Stritzel wieder im Studio und erzählt noch einmal genau dasselbe wie vorhin schon (man wisse natürlich noch nichts rein faktisch über die Täter). Nur scheint er dieses Mal etwas besser zum jüdischen Feiertag Jom Kippur informiert zu sein. Beim vorangegangenen Auftritt kam er dabei etwas ins Schwimmen (man möge ihn korrigieren).

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Nun ist wieder Michel Milewski von vor Ort dran. Das SEK habe jetzt eine Straße abgesperrt, ein Panzerwagen sei auch eingetroffen. Man vermute hier wohl einen weiteren Täter. Er sei auch schon recht weit weggeschickt worden. Aber keine Sorge, er versuche, wieder ein bisschen näher ranzukommen. Man könne es hoffentlich sehen, dass auf der Straße ein vollvermummter Polizist stehe und “an der Ecke” zwei weitere Spezialeinsatzkräfte.

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Bei Moderator Weidel sind es jetzt schon drei Tote, was aber auch nur ein Versprecher sein könnte. Währenddessen ist die Einblendung zu sehen: “AUFRUF DER POLIZEI — BITTE BEWAHREN SIE RUHE”.

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Die “Bild”-Redaktion hat vier, fünf verschiedene Videos, die sie immer und immer wieder abspielt — das ist der Fluch des Fernsehens in Breaking-News-Situationen: Es gibt eigentlich kaum etwas zu berichten, aber die Sendezeit muss irgendwie gefüllt werden. Zwischendurch gibt es die Schalten und Gespräche im Studio. Jetzt ist Polizeigewerkschafter Rainer Wendt am Telefon. Frage von Moderator Weidel: “Haben Sie Hintergrundinformationen vielleicht zu den möglichen Tätern oder zur Motivlage?”

Wendt antwortet, dass er die nicht habe. Da könnte man auch “nur spekulieren”, und dafür sei jetzt nicht der richtige Moment. Spätestens wenn Rainer Wendt neben einem wie ein besonnener Medienethiker wirkt, solltest man mal überlegen, ob das alles richtig läuft.

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Nächste Schalte zu Reporter Milewski, bei dem nun eine Anwohnerin steht, die aber nicht gezeigt werden und anonym bleiben möchte, “ja, aus Angst”, wie Milewski sagt.

Die Zeugin sagt, dass sie mit sowas wie dem Anschlag gerechnet habe. Warum, wird aber nicht so richtig klar. Auf die Frage des Reporters, ob das jetzt ein Grund für sie sei wegzuziehen, sagt sie: “Nein.” Dann ist die Anwohnerin, die aus Angst anonym bleiben möchte, auch schon wieder weg, und Michel Milewski erzählt noch schnell, wo und in welcher Straße die Frau arbeitet.

Wirklich Neues weiß der “Bild”-Reporter auch nicht zu berichten. Außer Schreie, die er während der Schalte hört. Aber warum es die gab, wisse er nun auch nicht.

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Im Studio steht jetzt Karl von Guttenberg, der bei “Bild” der Waffenkenner sei. Auf die Frage, was das denn für eine Waffe sei, mit der der Attentäter in einem Video zu sehen ist, sagt der Kenner: “Im Moment noch etwas schwer zu sagen.” Und zum Täter: Das könnte vielleicht ein Sammler sein, der die Waffe zu Hause hatte; vielleicht hat er sie auch selbst gebaut. Das sei jetzt noch völlig unklar.

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“Bild”-Chefreporter Frank Schneider spekuliert auch weiter: Es könnte sein, dass einer der Täter sich noch im Nahbereich aufhalte, sich vielleicht in einem Haus verschanzt habe. Vielleicht habe er sogar Geiseln genommen in einer der Wohnungen. Ja, vielleicht.

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Michel Milewski ist zwar wieder mit einer Schalte dran, aber richtige Neuigkeiten hat er immer noch nicht: Viel könne er leider gar nicht sagen. Es habe sich nicht viel geändert. Die größte Neuigkeit sei, dass ein zweiter Polizeihubschrauber im Einsatz ist.

Aber er nennt mal wieder einen Namen einer Straße, in der das SEK angeblich gerade alle Häuser durchsucht. Das passt auch gut zu einer Meldung im Liveticker bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - SEK kurz vor Sturm einer Wohnung
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Währenddessen bittet die Polizei Sachsen bei Twitter darum, “bitte keine Fotos und Videos von Einsatzkräften, deren Ausrüstung oder Standorten” zu verbreiten.

Plötzlich sagt ein Beamter zu Milewski: “Das ist hier ein Gefahrenbereich. Wenn Sie das geil macht hier …” Aber der “Bild”-Reporter sagt, dass er von der Presse sei, und muss während der Schalte seinen Presseausweis vorzeigen.

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Waffenexperte von Guttenberg ist weiterhin im Studio und sagt, er möchte jetzt nicht weiter spekulieren, aber es deute — und dann spekuliert er ein bisschen zur Munition und zur “Selbstladerszene”. Und er hat auch eine Theorie: Es könnte sich doch um einen “aus einem Hobby heraus entstandenen Anschlag” handeln.

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Die beste Nachricht verkündete Moderator Moritz Wedel um 15:26 Uhr. “Das soll’s gewesen sein mit unserer BILD-live-Sondersendung”.

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Nachtrag, 10. Oktober: Drüben bei “Übermedien” habe sie sich das gestrige Spekulationsfernsehen von n-tv angeguckt.

“Bild” und die Kinderporno-Ermittlungen (2)

Das Landgericht (LG) Köln hat die “konkrete identifizierende Verdachtsberichterstattung” der “Bild”-Medien über einen ehemaligen Profifußballer verboten. “Bild” und Bild.de hatten Anfang September exklusiv und riesengroß über einen “Kinderpornografie-Verdacht” berichtet. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:

In Ihrem Beschluss hebt die Kammer (…) maßgeblich auf die durch die konkrete Gestaltung der Berichterstattung gegebene Vorverurteilung und den Umstand ab, dass es für eine derartige Verdachtsberichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehle, die für die Richtigkeit des vermittelten Verdachts sprechen könnten.

Auch “Bild” berichtet heute online und in der gedruckten Ausgabe über die Gerichtsentscheidung:

Ausriss Bild-Zeitung - Verdacht der Verbreitung kinderpornographischer Schriften - Gericht verbietet Bild Berichte über M.
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Die Redaktion schreibt dazu:

Das Landgericht Köln hat BILD mit einer einstweiligen Verfügung verboten, über die Ermittlungen gegen Ex-Fußball-Nationalspieler [M.] identifizierend zu berichten.

Bei Androhung einer Geldstrafe von bis zu 250 000 Euro — “oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten” — wird es BILD verboten, “über den Antragsteller im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Schriften in einer diesen durch Nennung seines Namens und Veröffentlichung seines Bildnisses identifizierenden Weise zu berichten”.

Aber verstößt “Bild” mit diesem Bericht über die einstweilige Verfügung nicht schon gegen die einstweilige Verfügung? Wir haben bei Medienrechtlern nachgefragt.

Zunächst stelle sich die Frage, ob die einstweilige Verfügung bereits ordnungsgemäß zugestellt wurde, erklärt Lucas Brost von der Kanzlei Höcker, denn erst dann sei sie für “Bild” bindend. Es sei beispielsweise denkbar, dass der Anwalt des früheren Fußballprofis die “Bild”-Redaktion vorab, etwa per E-Mail, über die Verfügung informiert hat, und “Bild” daher die Kenntnis habe. Allerdings, so Brost:

Für eine bereits erfolgte Zustellung könnte sprechen, dass die alten BILD-Beiträge offensichtlich bereits gelöscht wurden und die einstweilige Verfügung ausweislich der Pressemitteilung des LG Köln bereits am 19.09.2019 erlassen wurde.

Tatsächlich sind bei Bild.de alle alten Artikel zum Fall verschwunden.

Der Medienrechtler Dominik Höch sagt zum “Bild”-Bericht von heute:

BILD wird sich darauf berufen, dass es sich um einen Fall der sogenannten referierenden Berichterstattung handelt. Gerichte haben mehrfach entschieden, dass Medien über ein Verbot gegen sie selbst berichten dürfen, ohne gegen die einstweilige Verfügung zu verstoßen. Voraussetzung ist allerdings, dass für den Leser erkennbar ist, dass nur sachlich referiert wird, was nun untersagt wurde. Und: Es darf sich nicht um einen Vorwand handeln, um das Verbot zu umgehen und die Behauptung erneut aufzustellen.

Wäre er der Anwalt des Ex-Fußballers, so Höch, würde er ihm raten, “ein Ordnungsgeld wegen Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung, so diese denn schon formal zugestellt ist, zu beantragen”:

Zwei Gründe: Alleine im Text der BILD wird fünfmal der konkrete Vorwurf (“Verbreitung kinderpornographischer Schriften”) erneut aufgestellt. Dazu kommt die eingeblendete Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft. Das geht weit über eine sachliche Mitteilung hinaus, was der BILD verboten wurde. Man hat den Eindruck, man wollte dem Antragsteller hier noch mal “einen mitgeben”. Zum Zweiten liefe der Anonymitätsschutz im Ermittlungsverfahren komplett leer, wenn auf diese Weise solche existenzvernichtenden Vorwürfe, deren Mitteilung gerade ein Gericht verboten hat, doch weiter ventiliert werden.

Auch Lucas Brost sieht in dem aktuellen “Bild”-Bericht einen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung, “wenn wir die Zustellung annehmen”:

Denn das LG Köln hat in seiner Pressemitteilung festgestellt, dass es für eine identifizierende Berichterstattung an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehlt, das heißt auf Grund der derzeitigen Sach- und Rechtslage darf Herr [M.] unter Nennung seines Namens und der Ablichtung eines Bildnisses nicht mehr mit den Vorwürfen in Verbindung gebracht werden.

Die “Bild”-Redaktion kündigt in ihrem Bericht von heute an, dass sie gegen die einstweilige Verfügung juristisch vorgehen wolle. Dabei beruft sie sich auch auf eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg, die darin ebenfalls den kompletten Namen des Verdächtigen genannt hatte. “Bild” schreibt:

Dennoch besonders bizarr: BILD wurde nun vom Kölner Landgericht verboten, über den Fall zu berichten, obwohl die Hamburger Staatsanwaltschaft selbst die Öffentlichkeit darüber informiert hatte!

Erstens hat der Bundesgerichtshof längst festgestellt, dass die Mitteilung einer Staatsanwaltschaft nicht einem Persilschein für Redaktionen gleichkommt:

Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf. Dies beruht auf der Erwägung, dass Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind und Amtsträger, wenn sie vor der Frage stehen, ob die Presse über amtliche Vorgänge informiert werden soll, die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vorzunehmen haben. (…) Daher ist regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat. Auch das entlastet die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist.

Und zweitens ist der zeitliche Ablauf in dem Fall interessant: Die Hamburger Staatsanwaltschaft veröffentlichte ihre Pressemitteilung samt Namen des Verdächtigen im Laufe des 4. September. Da lag die “Bild”-Ausgabe mit Foto und Namen des Verdächtigen auf der Titelseite längst an allen Kiosken Deutschlands. Der erste identifizierende Bericht von Bild.de erschien bereits am Vorabend.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Bild” und die Kinderporno-Ermittlungen

Seit gestern berichten die “Bild”-Medien riesengroß über einen ehemaligen Profifußballer, gegen den wegen des Verdachts der Verbreitung von kinderpornografischen Materials ermittelt wird. Gut ein Dutzend Artikel und zwei Titelgeschichten hat “Bild” bereits dazu veröffentlicht, unter voller Namensnennung, mit vielen Fotos und Details aus den Ermittlungen. Zweifel an der Schuld des Mannes lässt das Blatt dabei nur wenige: Die Ermittler seien sich “sicher, dass [M.] über kinderpornografische Fotos verfügt”.

Oder wie es der “Postillon” gestern formulierte:

Mann (38) ohne Verfahren öffentlich hingerichtet

Düsseldorf (dpo) – Ein 38-jähriger Deutscher ist innerhalb der letzten Stunden ohne gerichtliches Verfahren öffentlich hingerichtet worden. Die für die öffentliche Hinrichtung nötige Aussetzung der Unschuldsvermutung wurde zuvor unrechtskräftig von Boulevard-Journalisten und mutmaßlichen Informanten von Staatsanwaltschaft oder Polizei beschlossen.

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Gestern Abend wurde das Thema auch in der ARD-Sendung “Maischberger” angesprochen. Zu Gast war unter anderem FDP-Politiker und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki.

Maischberger: Es ist heute eigentlich zu früh, darüber zu reden, aber Sie haben vor der Sendung gesagt, dass Sie ihn kennen: [M.], der Mann, der heute auf der großen Titelseite einer sehr großen Zeitung in Deutschland …

Kubicki: Was ich unverschämt finde.

Maischberger: … wegen des Verdachts der Verbreitung von kinderpornografischem Material steht. Dann hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich gesagt: Ja, es gibt ein Ermittlunsgsverfahren. Kann man das machen in dem Moment schon?

Kubicki: Nein. Der Begriff Unschuldsvermutung heißt, jemand ist so lange unschuldig, bis die Schuld durch ein gerichtliches Verfahren nachgewiesen ist. Das Problem — ich mache ja Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, das ist einigermaßen harmlos –, aber wenn Sie als Vergewaltiger oder als Kinderschänder gebrandmarkt werden, auch wenn sich hinterher rausstellt, da ist nichts dran, das werden Sie in Ihrem Leben nie wieder los. Die Staatsanwaltschaft hat einen Anfangsverdacht bejaht. Sie ermittelt jetzt logischerweise, das muss sie tun, sie ist zur Legalität verpflichtet. Aber dass eine Zeitung so groß schon so tut, als sei das erwiesen, das zieht mir die Schuhe aus.

Über Kubickis Aussagen berichtet heute auch Bild.de. Und zwar so:

Screenshot BILD.de: Kubicki: [M.]-Ermittlungen sind eine "Unverschämtheit"

Auch im Text heißt es:

Die Ermittlungen gegen den Ex-Nationalspieler [M.], mit dem er persönlich bekannt ist, nennt Kubicki eine “Unverschämtheit!”

Denn: “Wenn Sie als Vergewaltiger oder als Kinderschänder gebrandmarkt werden — auch wenn sich hinterher herausstellt, da ist nichts dran: Das werden Sie in Ihrem Leben nie wieder los!”

So geht “Bild” mit Kritik an “Bild” um: Sie wird einfach weggelogen.

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“Immerhin”, schreibt der “Postillon” noch: “Nach der öffentlichen Hinrichtung soll nun in einem ordentlichen Gerichtsverfahren herausgefunden werden, ob die Anschuldigungen gegen den Hingerichteten gerechtfertigt waren.”

Vielleicht — hoffentlich — wird dabei auch die Rolle der “Bild”-Zeitung näher beleuchtet. Zum Beispiel die Frage, woher die Reporter genau wussten, wann und wo der Verdächtige von den Fahndern aufgegriffen wird (“Bild” war mit mehreren Leuten dabei und hielt dem Mann Kameras vors Gesicht).

Interessant auch die Frage, wie genau die Ermittlungen zustande kamen. “Bild” schrieb gestern:

Nach BILD-Informationen meldete sich vor drei Wochen eine Frau bei der Hamburger Polizei. Sie legte den Ermittlern mindestens 15 kinderpornografische Fotos vor, die ihr per WhatsApp geschickt worden sein sollen. Der mutmaßliche Absender der Bilder: [M.]. [Er] soll seit über einem Jahr eine Beziehung mit der Hamburgerin gehabt haben und vertraute ihr offenbar.

Die Staatsanwaltschaft erklärte gegenüber Medienvertretern später jedoch, dass nicht die Frau, sondern ein Tippgeber die Ermittlungen ins Rollen brachte:

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft erhielt die Polizei von einer dritten Person den Hinweis, dass eine Frau kinderpornografische Dateien von dem Ex-Fußballer erhalten habe. Die Polizei habe die Frau daraufhin kontaktiert und als Zeugin befragt.

Nach unseren Informationen kam dieser Hinweis von: der “Bild”-Zeitung.

Auch der Sprecher der Hamburger Polizei teilte mit: “Die Bild-Zeitung ist an die Polizei Hamburg mit einem Sachverhalt herangetreten, bei dem sofort strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten waren.”

Die “Bild”-Zeitung stößt also Ermittlungen an, über die sie selbst dann exklusiv berichtet, mit mutmaßlich durchgesteckten Infos aus Ermittlerkreisen und ohne große Rücksicht auf die Unschuldsvermutung. Da zieht es nicht nur Wolfgang Kubicki die Schuhe aus.

Mit Dank auch an den anonymen Hinweisgeber!

Razzia bei “Öko-Test”, Mit Rechten reden?, FaceApp in der Kritik

1. “Arglistig getäuscht”
(sueddeutsche.de, Christoph Giesen & Klaus Ott)
Verantwortliche des zur Medien-Holding der SPD gehörenden Verbraucher­magazins “Öko-Test” stehen unter dem Verdacht, im Zusammenhang mit einer Expansion nach China Firmengelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Die Verdachtsmomente wiegen so schwer, dass bei einer Razzia mehr als 40 Beamte zum Einsatz kamen. Die “Süddeutsche Zeitung” erzählt die ganze Geschichte, die sich streckenweise wie ein Medienkrimi liest.

2. Digitaler Helpdesk für Medienschaffende
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen startet einen digitalen Helpdesk mit Informationen zu Themen wie Verschlüsselung, Anonymisierung und Account-Sicherheit sowie dem professionellen Umgang mit Hassrede und Falschnachrichten. Ein Angebot, dass der ROG-Geschäftsführer für unbedingt erforderlich hält: “Digitale Gefahren gehen in der journalistischen Arbeit längst einher mit physischen Bedrohungen. Dennoch wissen viele Journalistinnen und Journalisten nicht genug, um sich selbst und ihre Quellen zu schützen”.

3. Frauen auf dem Schirm
(tagesanzeiger.ch, Walter Niederberger)
In den USA gibt es bei den großen TV-Sendern ABC, NBC und MSNBC mehr Frauen in Spitzenpositionen. Das liege daran, dass weibliche TV-Hosts bei den Zuschauerinnen und Zuschauern besser ankämen, es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass etliche prominente Fernsehmänner in den vergangenen Jahren wegen sexueller Übergriffe ihre Plätze räumen mussten.

4. Ein Spiel als Impfung gegen Fake News
(heise.de, Sascha Mattke)
Forscher der University of Cambridge haben ein Onlinespiel entwickelt, bei dem man in die Rolle eines Fake-News-Verbreiters schlüpfen und mit allerlei schmutzigen Tricks darauf hinarbeiten muss, möglichst viele Follower zu generieren. Anschließend seien die Probanden besser in der Lage gewesen, Falschnachrichten zu erkennen, es ist gar von einem Immunisierungseffekt die Rede.

5. Warum reden Sie mit Rechten, Herr Augstein?
(belltower.news, Fabian Schroers)
Es ist eine hierzulande oft diskutierte Frage: Darf oder soll man mit Rechten reden? Jakob Augstein hat dies im Mai getan, als er sich mit Karlheinz Weißmann, einem der Vordenker der Neuen Rechten, auf Schloss Ettersburg bei Weimar traf. Augstein hat dies vor ein paar Tagen im “Tagesspiegel” erklärt und begründet. Erklärungen, denen Fabian Schroers wenig bis nichts abgewinnen kann: “So hat das Gespräch auf Schloss Ettersburg herzlich wenig gebracht, außer der “neurechten” Publizistik Gelegenheit zu geben, vollmundig über “demokratischen Dialog” zu schwadronieren und sich in einem hübschen Schloss wichtig zu fühlen. Sowohl “neurechtes” Personal als auch dessen Positionen sind weiter legitimiert und normalisiert worden”.

6. Tausche lustiges Foto gegen meine Daten
(spiegel.de, Caspar von Allwörden)
Mit der Bildmanipulationssoftware FaceApp kann man sich in ein jüngeres oder älteres Ich verwandeln lassen. Weil dies erstaunliche Effekte hervorbringt, geistern die derart gepimpten Bilder gerade quer durch die sozialen Medien. Nun gibt es Kritik am unzureichenden Datenschutz und an dem Umstand, dass die App aus Russland stamme. Ein führender Demokrat im US-Senat sieht in der App gar “ein Risiko für die nationale Sicherheit und die Privatsphäre von Millionen US-Bürgern”. Die Daten könnten einer “gegnerischen Macht” in die Hände fallen. In Anbetracht des Umstandes, dass es unzählige datensammelwütige Apps gibt und dass die us-amerikanischstämmigen sozialen Netzwerke wohl zu den weltweit größten Datenhortern zählen, eine erstaunliche Sichtweise.

Weg mit den Weisheiten, Trick am Newsdesk, Altpapier “Motorwelt”

1. Weg mit den Weisheiten, her mit den Zwischentönen
(journalist-magazin.de, Barbara Hans)
Barbara Hans leitet “Spiegel Online” und gehört der Chefredaktion des “Spiegel” an. Sie hat in ihrem Leben schon viele ungebetene Ratschläge bekommen und vermeintliche Weisheiten über den Journalismus gehört. Ein paar davon hat sie sich notiert, um sie nun genüsslich zu demontieren. Und dabei fallen ein paar tatsächliche Wahrheiten ab.

2. Alter Trick am Newsdesk
(twitter.com, Jonas Leppin)
Jonas Leppin zeigt anhand von zwei Screenshots, wie Clickbait geht: “Alter Trick am Newsdesk: Wenn die Geschichte nicht so läuft, einfach mal die Zeile drehen.” Ein Fall von kühl kalkuliertem Populismus, den sich Journalistenschulen abspeichern sollten. Als Negativbeispiel.

3. SZ-Postfach: “Securedrop kann eine Art Lebensversicherung für Whistleblower sein.”
(get.torial.com, Stefan Mey)
Stefan Mey hat Vanessa Wormer von der “Süddeutschen Zeitung” interviewt, die dort das Darknet-Postfach für Whistleblower betreut. Um den Hinweisgebern ein hohes Maß an Anonymität zu bieten, ist eine Menge technischer Aufwand nötig. Trotzdem sollten die Whistleblower ein paar grundlegende Dinge beachten: “Das Wichtigste ist, uns nicht mit Geräten des Arbeitgebers zu kontaktieren, sondern private Geräte zu nutzen. Es macht auch immer Sinn, nicht das Netzwerk in der Privatwohnung oder am Arbeitsplatz zu nutzen, sondern in ein Café oder einen sonstigen Ort mit öffentlichem WLAN zu gehen.”

4. Deal.
(twitter.com/rezomusik)
Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli hat auf Twitter angeregt, den Tweets des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Rezo ist einverstanden: “Deal. Ab jetzt gibt ihm keiner mehr Reichweite und jede Zeitung, die ihn mit Reichweite pusht, wird 4 Wochen von uns allen nicht mehr gekauft. Hart für uns, weil er so erstaunlich dumme Sachen sagt. Hart für die Zeitungen, weil dumme Statements Klicks bringen. Aber schaffen wir.”

5. #40 Gutes Reden, schlechtes Reden – ein Talkshow-Talk
(deutschlandfunkkultur.de, Christine Watty, Audio: 48:55 Minuten)
Eine illustre Runde hat sich beim Kulturpodcast “Lakonisch Elegant” zum Meta-Talk über Talkshows zusammengefunden: die Medienprofis Eva Horn, Ferda Ataman, Arno Frank und Dirk von Gehlen. Es geht um die störenden Aspekte des Talkformats und um die Frage, was man besser machen könnte.

6. Für Selbstabholer
(sueddeutsche.de, Laura Hertreiter & Uwe Ritzer)
Das ADAC-Magazin “Motorwelt” ist nicht nur Europas auflagenstärkste Zeitschrift, sondern auch das führende Flachblatt für Treppenlifte, Flusskreuzfahrten und Seniorenbedarf. Aus Kostengründen soll das Magazin nur noch viermal im Jahr erscheinen. Der lustigste Satz des Artikels bei Süddeutsche.de: “Intern geht man beim ADAC davon aus, dass ein Viertel der Empfänger die Motorwelt ungelesen wegwirft.” (Lustig, weil es eigentlich fünf Viertel sein müssten.)

AfD-Talkshows, “Mad”-Aus, Harald Schmidts Dieter-Nuhrisierung

1. “Öffentlich-rechtliche Talkshows sind Werbeträger für die AfD”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 8:30 Minuten)
Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister spricht im Deutschlandfunk über die Rolle von Talkshows in Bezug auf politische Berichterstattung. Hachmeister nennt das Format ein “Ritual der Politiksimulation”, das durch Taktung und Inszenierung der AfD in die Hände spiele: “Man muss eigentlich dieses System austrocknen, man müsste diesen Talkshow-Sumpf, um es mal so hart zu sagen, trockenlegen. Und das gelingt nur, indem man ihm insgesamt weniger Beachtung schenkt, auch über die sozialen Medien, über Twitter. Es kommt ja noch dazu, dass diese Talkshows in den Tageszeitungen zum Teil rezensiert werden wie Theateraufführungen, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Beispiel, die macht das regelmäßig, auch online. Und damit bekommt das Ganze ja noch mehr Gewicht, und das ist insgesamt für die Temperatur der gesellschaftlichen Debatte kein guter Zustand.”

2. Die Dieter-Nuhrisierung von Harald Schmidt
(blogs.faz.net, Martin Benninghoff)
Der “FAZ”-Autor Martin Benninghoff ist über einige Äußerungen von Harald Schmidt im Interview mit dem ORF verwundert und fragt: “Kann es sein, dass Schmidt eine Dieter-Nuhrisierung durchmacht? Indem er aus einer Position der Selbstgefälligkeit heraus den bräsigen Mainstream bedient?”

3. Hans-Ulrich Jörges zittert um Angela Merkel
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier wundert sich, wie “Stern”-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges es schafft, eine ganze Seite mit Geraune und Spekulationen über Angela Merkels Gesundheitszustand zu füllen: “Er weiß, um es vorwegzunehmen, nichts über den Gesundheitszustand von Angela Merkel. Er sieht die Bilder, die wir alle gesehen haben, und dann geht er zum Recherchieren in seinen Kopf und lässt uns staunend teilhaben an den Abgründen, die sich dort auftun.”

4. Kriminalisierung von Tor-Servern stoppen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen kritisiert die Bestrebungen des Bundesinnenministeriums, Tor-Server und Anonymisierungsdienste zu kriminalisieren. Die Organisation wäre davon selbst betroffen: “Wir wehren uns gegen die Kriminalisierung unseres Einsatzes für Anonymität im Internet. Nur weil wir Tor-Knoten betreiben, sind wir nicht kriminell. In unseren Trainings zur digitalen Sicherheit erleben wir täglich, wie wichtig ein VPN oder der Tor-Browser für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten geworden ist. Solche Angebote gilt es im Zeitalter zunehmender Überwachung zu stärken, anstatt zu kriminalisieren.”

5. LKA ermittelt nach tausenden Hass-Kommentaren zu Lübcke
(hessenschau.de, Heike Borufka & Tobias Lübben)
Im Zusammenhang mit dem Mord am früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke tut sich ein Abgrund von Hass und Häme im Internet auf. Das Landeskriminalamt Hessen will der geballten Hasskriminalität nun mit einer eigens dafür eingerichteten Arbeitsgruppe begegnen. Man rechne mit mehreren tausend Strafverfahren.
Weitere Lesetipps: t-online.de berichtet über die Initiative HateAid: Opfer erzählt: So half mir die neue Shitstorm-Feuerwehr. Siehe dazu auch den Facebook-Eintrag von HateAid-Mitgründer Gerald Hensel.
Außerdem einen Blick wert: der Bericht zur neuen Hate-Speech-Studie: Eine massive Einschränkung der Meinungsvielfalt (belltower.news, Oliver Saal & civic.net).

6. Regular Issue Mad Covers
(madcoversite.com, Dough Gilford)
Das amerikanische “Mad”-Magazin steht nach 67 Jahren kurz vor dem Aus und füllt die nächsten Ausgaben nur noch mit Alt-Material. Vielleicht ein Anlass, einen wehmütigen Blick auf Dough Gilfords Website zu werfen, auf der alle “Mad”-Cover seit 1952 abgebildet sind.

Kampf der “NZZ” gegen PC, Staatshumor, Klarnamenpflicht

1. Verteidigung der Missionarsstellung
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Andreas Tobler hat bei der “NZZ” so etwas wie ein eigenes Genre entdeckt: den Artikel gegen die “politische Korrektheit”. Allein im vergangenen Jahr seien in der “NZZ” über hundert dieser Anti-PC-Beiträge erschienen. Tobler kommentiert: “Gehegt und gepflegt wird das Phantasma der politischen Korrektheit nicht zuletzt, um sich ja nicht mit der schlichten Tatsache zu beschäftigen, dass Normalität schon immer einer gesellschaftlichen Aushandlung unterlag.”

2. Zuhause ist, wo die Männer sind
(tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Das kommende Herbst- und Winterprogramm des Rowohlt-Verlags bestehe zu 90 Prozent aus Titeln von Männern, kritisiert Gerrit Bartels. Sein Unmut darüber mündet in einem langen Satz: “Man muss kein Feminist sein, um das seltsam und unbedacht zu finden, gerade in Zeiten, in denen der Verlag Klett-Cotta in seiner Vorschau bei der Ankündigung eines Buches von Lady Bitch Ray das “Trendthema Feminismus” entdeckt hat; in denen in den sozialen Medien alle halbe Jahre sorgfältig gezählt wird, wieviel Titel die Verlage von Frauen und Männern veröffentlichen; in denen, genau, das interessiert Verlage, junge Feministinnen nicht nur wie Stokowski, sondern auch wie Sophie Passmann oder Jagoda Marinic mit “Alte weiße Männer” und “Sheroes” gerade Bestseller veröffentlicht haben; in denen, auch das ist bekannt, Frauen mehr zu Büchern greifen als Männer, zu Belletristik überdies.”

3. Rezo-Video: Trend vom Lesen weg zum Vorlesen wie im Mittelalter
(infosperber.ch)
“Infosperber” greift ein “Deutschlandfunk”-Interview des Medienwissenschaftlers Christoph Engemann auf, das dieser anlässlich des Rezo-Videos (“Die Zerstörung der CDU”) gegeben hat. Wie ist diese Art der “Vorlesung” einzuordnen, was bedeutet dies für die Kommunikationskultur, und wie soll man darauf reagieren? Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer erklärt, warum sich die CDU so schwer mit einer Reaktion tut: “Das ganze politische System ist stark formalisiert und strukturiert. Man kennt sich. Das war bisher eine gut geölte Maschine. Wenn da plötzlich irgendein Akteur aus dem Nichts kommt, den man auch nicht richtig einordnen kann, nicht ein Parteiakteur, keiner der für irgendwelche Interessengruppen steht, eher so ein Halbprominenter in einer bestimmten Generation, der sehr massiv, sehr fundiert und eben sehr gut sichtbar seine Meinung äussert — das irritiert die Politiker natürlich.”

4. Was soll der Müll
(freitag.de, Hannah Schlüter)
Hannah Schlüter beschäftigt sich mit dem erfolgreichen Genre der Aussteiger- und Reisefilme. Die Protagonisten seien oft Influencer oder würden es durch ihre Filme werden wollen: “Der blinde Fleck der Filme bleibt die eigene Herkunft, die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Protagonisten auf ihre Reisen gehen können (und anschließend auf Kinotour durch Deutschland). Und der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die sie auf ihren Reisen treffen: Sie können am Ende wieder nach Hause. Sich doch wieder den Ballast eines Hauses gönnen und sesshaft werden.”

5. Das Problem heißt Hass
(taz.de, Johanna Roth)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Eine derartige Pflicht wäre jedoch wenig hilfreich, findet “taz”-Redakteurin Johanna Roth: “Eine Klarnamenpflicht verhindert keine Hasskommentare. Facebook fordert seine User schon lange dazu auf, sich mit echten Namen zu registrieren, auch wenn eine entsprechende Verpflichtung im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt wurde. Das hält Nutzer aber nicht davon ab, Beleidigungen und Morddrohungen zu posten. Das Problem heißt nicht Anonymität, das Problem heißt schlicht: Hass.”

6. Hoch lebe der Staatshumor
(heise.de, Wolf Reiser)
Wolf Reiser hat einen Artikel über die Humor- und Kabarettsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender geschrieben und dabei reichlich Ohrfeigen verteilt. Den ARD-Satiriker Dieter Nuhr beschreibt er wie folgt: “Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.” Das ZDF mit seiner “heute show” kommt nur wenig besser weg: “Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern.”
Nachtrag: Der Beitrag ist ein wildes Rumgebashe in viele möglichen Richtungen, manchmal auch in die falschen. Eine Leseempfehlung in den “6 vor 9” bedeutet nicht automatisch, dass der Kurator sich die Aussagen in den verlinkten Texten zu eigen macht. Dies gilt für diesen Text ganz besonders.

Fotos Getöteter zeigen? Für Ernst Elitz “eine richtige Entscheidung”

E. Behrendt (“Bild”-Leser) hatte neulich eine ziemlich gute Frage:

Nach dem Mord an einer jungen Frau in Thailand schrieb Leser E. Behrendt: “Können Sie mir erklären, warum Bilder des Opfers in unverpixelter Form gezeigt werden?”

Von dieser Zuschrift berichtete “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz am vergangenen Samstag im Blatt und bereits am Abend zuvor bei Bild.de. Der Leser bezieht sich auf die Berichterstattung von Anfang April über den Tod einer 26-Jährigen, für die die “Bild”-Medien mehrere Fotos von der Facebookseite des Opfers genommen und ohne jegliche Unkenntlichmachung veröffentlicht haben.

Natürlich findet Ombudsmann Elitz auch für diese Schweinerei eine Erklärung, damit er am Ende seines Textes einmal mehr verkünden kann, dass die Redaktion alles richtig gemacht habe:

Hier die Erklärung: Das Foto war aus dem öffentlichen, für jeden einsehbaren Sektor von Facebook, nicht aus einer geschlossenen Community übernommen worden. Es zeigt die Frau glücklich und lebensfroh. So wie sie sich selber sah.

Die Redaktion wollte, dass sie mit dieser sympathischen Ausstrahlung und nicht als anonymes Opfer eines Verbrechers in Erinnerung bleibt. Deshalb wurde sie auf dem Foto nicht unkenntlich gemacht.

Für mich war das eine richtige Entscheidung.

Nur spielt es bei den beiden Rechten, die in solchen Fällen wichtig sind — dem Persönlichkeits- sowie dem Urheberrecht –, überhaupt keine Rolle, ob das abgebildete Opfer “glücklich und lebensfroh” aussieht oder nicht. Es ist egal, wie sympathisch dessen Ausstrahlung auf den Fotos sein mag. Nicht die ästhetische Abwägung der “Bild”-Redaktion ist bei der Frage, ob die Aufnahmen gezeigt werden dürfen, relevant, sondern die Entscheidung der Familie.

Aus Erzählungen wissen wir, dass das Zeigen von Fotos, dazu noch unverpixelt, einen zusätzlichen, tiefen Schmerz bei Angehörigen hinterlassen kann — auch wenn die Personen auf Titel- und Startseiten “glücklich und lebensfroh” ausschauen. Den Familien wird von “Bild” die Kontrolle darüber entrissen, wie ihre Söhne und Töchter wahrgenommen werden. Manche von ihnen bringen die Kraft auf und wehren sich gegen diese Methoden von “Bild”. Erst vor wenigen Monaten hatten wir über zwei Fälle berichtet. In beiden hatten die Abgebildeten eine ausgesprochen “sympathische Ausstrahlung”. Und dennoch sind die Angehörigen gegen die Veröffentlichungen vorgegangen.

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