1. Diese ganze negative Energie in etwas Positives verwandeln (netzpolitik.org, Constanze Kurz)
Constanze Kurz hat sich für netzpolitik.org mit Thomas Laschyk vom “Volksverpetzer” unterhalten: Was treibt ihn an, regelmäßig gegen Verschwörungsmythen, AfD-Unsinn und Corona-Märchen anzuschreiben? Was hat es mit dem eigentümlichen Namen “Volksverpetzer” auf sich? Und was unterscheidet den “Volksverpetzer” von anderen Faktencheck-Seiten?
2. Gesichter laufen am besten (deutschlandfunk.de)
Forschende aus den USA sind der Frage nachgegangen, warum manche Instagram-Profile von Politikerinnen oder Politikern beliebter sind als andere, und haben dazu mehr als 59.000 Instagram-Posts von etwa 160 Personen aus der Politik ausgewertet. Das Ergebnis: Die meiste Aufmerksamkeit hätten Bilder von Gesichtern erzielt. Außerdem bekämen Aufnahmen aus dem Privatleben mehr Likes als solche aus dem beruflichen Umfeld. Textgrafiken oder Bilder ohne Gesichter würden hinsichtlich der Likes und Kommentare am schlechtesten abschneiden.
3. Die Spur führt nach Peine (sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Im heutigen Spätabendprogramm des Ersten versuchen Cordt Schnibben und Peter Dörfler, die Verbindungen des Dutschke-Attentäters Josef Bachmann in die rechtsextreme Szene nachzuzeichnen. Zur Verschärfung der gesellschaftlichen Stimmung hatte damals auch die Berichterstattung der Springer-Zeitungen beigetragen. Das Dokudrama soll ab 18 Uhr in der Mediathek der ARD verfügbar sein.
4. Umfrage: Wir recherchieren zu sexuellem Missbrauch in der Medizin (buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
“BuzzFeed News” recherchiert zu sexuellem Missbrauch in der Medizin und wendet sich mit einem Aufruf an die Leserinnen und Leser: “Haben Sie Sexismus, sexuelle Belästigung oder sexualisierte Gewalt im Medizinbetrieb erlebt? Dann erzählen Sie uns von Ihren Erlebnissen.” Selbstverständlich würden die zugesandten Hinweise vertraulich behandelt, allen Quellen werde Anonymität zugesichert.
5. “Genies werden müde, wenn irgendein Idiot alles abbürstet” (dwdl.de, Alexander Krei)
Jürgen von der Lippe spricht im “DWDL”-Interview über die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise auf seine Arbeit sowie über Fernsehproduktionen damals und heute: “Als ich anfing, gab es nur einen Unterhaltungschef, der alles absegnete – und über ihm war schon der Intendant. Das führte dazu, dass die Redakteure sehr viel mehr Freiheiten hatten. Irgendwann kam dann ein Fernsehdirektor dazu und noch einer und exponentiell zum Zuwachs übergeordneten Personals sank das Budget fürs Programm. Mehr Bestimmer machen leider kein besseres Programm. In der Kunst sind Geniestreiche meist Einzelleistungen. Aber Genies werden müde, wenn irgendein Idiot immer alles abbürstet.”
6. Schämt Ihr Euch eigentlich nicht? (twitter.com, Bodo Ramelow)
Die Politikreporterin Franca Lehfeldt (RTL/n-tv) hat auf Twitter ein Smartphone-Video veröffentlicht, das Angela Merkel beim Wochenendeinkauf zeigt. Als Kritik wegen der übergriffigen Paparazzi-Methode aufkam, argumentierte Lehfeldt, es sei “journalistisch relevant”, wenn die Regierungschefin “sich beim Einkauf zeige”. Raunend fügte sie an: “Mutmaßlich beabsichtigte sie sogar die Botschaft, sich zuhause zu versorgen und nicht am Wochenende vor dem #Teillockdown rauszugehen.” Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow antwortet mit einem “Schämt Ihr Euch eigentlich nicht?” und hängt zur Erinnerung einen “Bild”-Artikel aus dem vergangenen Jahr an, der ihn ebenfalls beim privaten Einkauf zeigt.
7. Presseschau durch die Menschheitsgeschichte (mdr.de, Lorenz Meyer)
Zusätzlicher Link, da aus der Feder des “6 vor 9”-Kurators: Ich hatte die Ehre, zum 20-jährigen Bestehen des medienkritischen “Altpapiers” ein “Geschenkpapier” beizusteuern: Eine Presserundschau durch die Menschheitsgeschichte! Wie hätten die Medien von heute auf Ereignisse von damals reagiert? Wie hätte die Medienkolumne darüber berichtet, und welche Quellen hätte sie herangezogen? Hier steht es geschrieben! Von den Pharaonen, Napoleon und Hitler bis zum Wendler.
Donald Trump hat es nicht leicht. Nicht nur mit seinem Widersacher Joe Biden hat es der US-Präsident zu tun, er kämpft auch mit der liberalen US-amerikanischen Presse und mit Tech-Firmen wie Twitter. So schreibt es Alexander von Schönburg in einem Kommentar in “Bild” und bei Bild.de:
Wenn Joe Biden die Wahl gewinnt, darf er sich auch bei Tech-Giganten wie Facebook und Twitter – und der liberalen Presse – bedanken.
Genau die Leitmedien – von “Atlantic” bis “Washington Post” – die bedenkenlos jede Anti-Trump-Story verbreiten, unabhängig von Belegbarkeit und Quellenlage (man denke an Trumps angebliche Beleidigung gefallener Soldaten), haben keine Hemmung, Storys, die Biden unangenehm werden könnten, unter den Tisch zu kehren.
Nun ist es kein Geheimnis, dass Kommentare nur die Meinung des Autors widerspiegeln. Sie dürfen subjektiv und auch zugespitzt sein. Doch was Alexander von Schönburg hier macht, ist mehr als legitime Subjektivität: Er führt die Leserschaft durch Auslassungen in die Irre. Er raunt herum und setzt Verschwörungen in die Welt. Und er plappert eine Falschinformation nach.
Die Artikel, auf die sich von Schönburg bezieht, wenn er schreibt, dass “Atlantic” und “Washington Post” unabhängig von Belegbarkeit und Quellenlage Anti-Trump-Storys verbreiten, sind tatsächlich nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen. Das heißt allerdings nicht, dass sie im Umkehrschluss unplausibel sind. Für die Behauptung, Trump habe US-Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen und auf einem Friedhof in Frankreich beerdigt sind, als “Loser” und “Sucker” bezeichnet, führt “The Atlantic” durchaus Quellen an – allerdings anonyme: “vier Personen mit Wissen aus erster Hand über die Diskussionen an diesem Tag”. Recherchen anderer Redaktionen, darunter auch Trumps (einstiger) Haussender Fox News, bestätigten die Aussagen dieser Quellen. Aber es gab auch Widerspruch: Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton etwa sagte, er könne nicht bestätigen, dass Trump sich derart despektierlich geäußert hat. Bolton steht Trump inzwischen kritisch gegenüber und damit nicht im Verdacht, den US-Präsidenten blind zu verteidigen.
All das lässt Alexander von Schönburg weg.
Die Geschichte, die “die Leitmedien” von Schönburg zufolge “unter den Tisch kehren”, ist ein Artikel aus dem Boulevardblatt “New York Post”, der nahelegt, dass Joe Bidens Sohn Hunter sich durch die Position seines Vaters bei Geschäftsleuten in der Ukraine und in China Vorteile verschafft haben soll. Und: Joe Biden selbst soll als Vizepräsident außenpolitisch Einfluss genommen habe, um seinem Sohn Vorteile zu verschaffen. Laut “New York Post” gehe das aus E-Mails hervor, die auf einer Kopie der Festplatte von Hunter Bidens Laptop gespeichert sein sollen. Nach Angaben der “New York Post” ist die Redaktion auf abenteuerlichem Weg an diese Kopie gekommen: Im April 2019 habe eine Person den Laptop bei einem Computerladen in Wilmington, Delaware zur Reparatur abgegeben. Der Besitzer des Ladens, der blind ist, sagt nun, er sei sich “fast sicher”, dass Hunter Biden diese Person war. Der Laptop sei allerdings nie abgeholt worden, daraufhin habe sich der Ladenbesitzer an die US-Behörden gewandt. Außerdem hat er auch Rudy Giuliani, Trumps persönlichem Anwalt, eine Kopie zukommen lassen. Der wiederum hatte sich an die “New York Post” gewandt.
Die Plausibilität der Geschichte wurde von verschiedenen Medien infrage gestellt, wobei weder “New York Times” oder “Washington Post” noch das “Wall Street Journal” die Möglichkeit hatten, das Material zu überprüfen. In einem Statement haben zahlreiche ehemalige US-Geheimdienstbeamte erklärt, die Geschichte der “New York Post” beinhalte alle klassischen Merkmale einer russischen Desinformationskampagne. Der Director of National Intelligence, John Ratcliffe, bestritt hingegen, dass es sich bei der Geschichte um eine russische Einmischung handele. Das FBI sagte dem Kongress am Mittwoch, es habe Ratcliffes Aussage zurzeit nichts hinzuzufügen. Die “New York Times” wiederum veröffentlichte einen Artikel, laut dem sich ein Redakteur der “New York Post”, der maßgeblich an der Geschichte beteiligt war, weigerte, als Autor des Textes aufgeführt zu werden. Mehrere Redaktionsmitglieder der “New York Post” hätten Zweifel geäußert, ob die Authentizität des Materials ausreichend belegt sei, und außerdem die Glaubwürdigkeit der Quellen angezweifelt. Twitter sperrte den Link zum “New York Post”-Artikel zwischenzeitlich mit der Begründung, der Artikel verletze die Privatsphäre-Richtlinien von Twitter. Zudem sei es möglich, dass das Material durch einen Hack an die “New York Post” gelangt sei und öffentlich gemacht wurde, was ebenfalls den Twitter-Richtlinien widerspräche. In der Kommunikation nach außen, warum man das Posten des Links zum “New York Post”-Artikel gesperrt hat, gab der Konzern kein gutes Bild ab.
All das lässt Alexander von Schönburg weg.
Der “Bild”-Autor erwähnt die Ungereimtheiten mit keinem Wort, nicht einmal eine kleine Bemerkung, dass es Zweifel an der Authentizität des Materials gibt, ist drin. Stattdessen stellt er die Geschichte als bombensicher dar. Und behauptet, US-amerikanische Leitmedien würden die Story, die “Joe Biden schwer belastet”, einfach “unter den Tisch kehren”. Dieser Verschwörungsmurks ist genau das: Verschwörungsmurks. Tatsächlich beschäftigten sich Medien wie die “New York Times” und die “Washington Post” ausgiebig mit dem Material, nur eben auf kritische Art und Weise.
Schließlich wendet sich von Schönburg noch der TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden zu, die heute Nacht stattfinden wird:
Morgen steigt die nächste TV-Debatte. Die zuständige Kommission hat kurzfristig die Themen der Debatte geändert. Wieder soll Corona im Mittelpunkt stehen. Und Rassenkonflikte.
Das Thema Außenpolitik – und damit China – ist gestrichen. Außerdem sollen diesmal die Debattierenden stumm geschaltet werden, wenn sie nicht dran sind. Um ein Chaos wie beim letzten Mal zu verhindern.
Alexander von Schönburg gibt hier, ob bewusst oder unbewusst, eine Falschinformation wieder, die von Trump und dessen Team verbreitet wurde. Tatsächlich wurden die Themen der Debatte nicht geändert. Vergangenen Freitag kündigte die unabhängige Debattenkommission die Themen an, die die Moderatorin Kristen Welker ausgewählt hatte. Außenpolitik stand nicht auf der Liste. Von einer kurzfristigen Änderung kann also nicht die Rede sein. Das Trump-Team hatte sich jedoch bei der Debattenkommission beschwert, dass das Thema Außenpolitik nicht mit auf der Liste stand, mit dem Verweis, in der letzten Debatte vor der Wahl gebe es traditionell einen Fokus auf außenpolitische Themen. Darauf stützt sich auch Trumps Behauptung, die Kommission habe die Themen “geändert”. Dabei hatten beide Seiten im Vorfeld zugestimmt, dass die Moderatorin die Themenauswahl bestimmt. Trumps Team behauptete nun, man habe sich schon Monate im Voraus auf die Themen geeinigt. Eine Behauptung, die Bidens Team wie auch die Debattenkommission zurückwies.
Zu den Mikrofonen, die bei der Debatte stummgeschaltet werden können, raunt von Schönburg ganz am Ende seines Kommentar, versehen mit einem unschuldigen Fragezeichen:
Um Themen wie Bidens Verstrickungen mit China auszublenden?
Es ist nicht nur von Schönburgs Scharfsinn, der Verschwörung wittert, Trumps Wahlkampfteam hatte diese Behauptung ebenfalls in die Welt gesetzt. Es zielt damit vermutlich auf Geschäfte Hunter Bidens mit chinesischen Firmen ab. Vielmehr als die Tatsache, dass Hunter Biden Geschäfte in China und mit chinesischen Firmen gemacht hat, gibt es da allerdings nicht. Außer eben das Material der “New York Post”. Diese zitiert aus einer E-Mail, dass Hunter Biden einen Vertrag mit einem chinesischen Geschäftsmann abgeschlossen habe, der ihm “allein für Bekanntmachungen” Millionen zahlen wolle. Ob das Material echt ist, ist, wie erwähnt, fraglich.
Von Schönburgs Geraune ist an dieser Stelle nicht mehr als unbelegtes Verschwörungsgeschwurbel: dass die unabhängige Debattenkommission Joe Biden einen Vorteil verschaffen will. In Sachen China-Verstrickungen wäre allerdings auch Donald Trumps Rolle von Interesse für die Debatte: Er selbst wie auch seine Tochter Ivanka haben während Trumps Zeit als US-Präsident Marken in China registrieren lassen. Das brachte beiden den Vorwurf ein, in Interessenskonflikte zu geraten.
Und, genau: All das lässt Alexander von Schönburg weg.
1. Die “Welt” lobt, dass Kriegsverbrecher nicht „gecancelt“ wurden (uebermedien.de, Annika Brockschmidt)
Der Chefkommentator der “Welt” hat einen verstörenden Text über einen Alt-Nazi geschrieben, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Leitung eines Kinderheims betraut wurde. Darin verteidigt er die Personalie, alles andere wäre “Cancel Culture” und inhärent undemokratisch gewesen. Annika Brockschmidt hat sich den unappetitlichen Vorgang angeschaut und widerlegt die krude Argumentation.
Weiterer Lesehinweis: Einen empfehlenswerten Text zur “Cancel Culture” gibt es beim Schweizer Digitalmagazin “Republik”: Wer oder was wird «gecancelt»? (Franziska Schutzbach).
2. Wie ich einmal versuchte, Fake-News über Tom Buhrow zu korrigieren (ohne Erfolg) (planet-interview.de, Jakob Buhre)
In unserer Reihe “Kleine Wissenschaft des Fehlers” schrieb BILDblog-Autor Ralf Heimann: “Im Umgang mit eigenen Fehlern offenbaren Journalistinnen und Journalisten ihr Selbstverständnis – und damit eben unter Umständen, dass dies nicht mehr ganz aktuell ist.” Diese Erfahrung musste gerade Jakob Buhre machen, als er verzweifelt versuchte, verschiedene Medien auf einen Fehler aufmerksam zu machen – und dabei grandios scheiterte.
3. Wir bilden die Realität auch mit (projekte.sueddeutsche.de, Theresa Hein & Stephan Anpalagan)
In der “SZ”-Serie “Was sich ändern muss” erklären Medienschaffende, wie Journalismus diverser werden kann. In der aktuellen Folge spricht der Journalist Stephan Anpalagan darüber, welche Verantwortung Medien beim Thema Rassismus tragen – und wo sie versagen. “Wir brauchen Vielfalt in den Redaktionen. Erst wenn die vorhanden ist, wird es möglich sein, so zu berichten, dass die Nachrichten die Gesellschaft repräsentieren: Wer Bevölkerungsteile ausschließt, darf sich nicht relevant nennen.”
4. Beckedahl: Technisch vorstellbar, politisch unwahrscheinlich (deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:31 Minuten)
Überraschend hat US-Präsident Donald Trump eine Begnadigung des Whistleblowers Edward Snowden in Aussicht gestellt, doch wie realistisch ist das? Markus Beckedahl von netzpolitik.org ist nicht sehr zuversichtlich, dass es tatsächlich zu einer Begnadigung kommt. Diese sei zwar technisch möglich und moralisch geboten, aus politischen Gründen jedoch unwahrscheinlich.
Weiterer Lesetipp: Trump streicht dem Open Technology Fund (OTF) die zuvor bewilligten Mittel, was sich katastrophal auf Netzprojekte wie das Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten Tor und den datensparenden und verschlüsselnden Messenger Signal auswirkt: Trump-Regierung dreht Geldhahn für OTF zu (mmm.verdi.de, Christiane Schulzki-Haddouti).
5. ORN #3 Rezo, wie können Journalist:innen Nindo nutzen? (mailchi.mp, Sebastian Meineck)
Der Youtuber Rezo hat kürzlich ein Analyse-Werkzeug für Soziale Medien veröffentlicht, das sich nicht nur für die Follower-Anzahl interessiert. Wie können Medienschaffende Nindo nutzen, wenn sie über Influencerinnen und Influencer recherchieren? In der aktuellen Ausgabe seines Online-Recherche-Newsletters hat Sebastian Meineck mit Rezo über dessen neues Tool zur Reichweitenmessung gesprochen.
6. Wollte mich vor ein paar Jahren auf ein Volo bei der @SZ bewerben … (twitter.com, Isabell Beer)
Detlef Esslinger kümmert sich bei der “Süddeutschen Zeitung” unter anderem um die Volontärsausbildung. In der “SZ”-Rubrik “Werkstatt” beklagt er sich über die Bewerbersituation: “Leider bewerben sich fast nur Menschen mit Studium. Doch eigentlich stünden einer Redaktion auch Menschen mit abgeschlossener Lehre gut an.” Die Journalistin Isabell Beer findet Esslingers Aussagen scheinheilig und erinnert ihn an seine früheren Aussagen: “Abgeschlossenes Studium muss sein, am liebsten Master-Abschluss.” Esslinger hat auf Beers Kritik geantwortet.
1. Damit ist jedes Ihrer Argumente wertlos. (planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre nimmt sich eines moralisch-ethischen Themas an, das vor allem in den Sozialen Medien immer wieder für Streit und Diskussionen sorgt: der sogenannten “Kontaktschuld”. Macht man sich schuldig, wenn man Kontakt zu jemandem hat, der zum Gegner erklärt wurde? Über diese schwierige Thematik hat Buhre mit einer betroffenen Person gesprochen. Das Interview sei anonymisiert worden, weil die interviewte Person selbst Opfer von Kontaktschuldvorwürfen sei und sich daraufhin mit dem Arbeitgeber darauf verständigt habe, sich in betreffender Causa bis auf Weiteres nicht zu äußern. Das Gespräch (sowie Buhres empfehlenswerter Begleittext) liefert viel Stoff zum Nachdenken und für etwaige weitere Diskussionen.
2. Warum der Bund mit der Presse-Förderung einen gewaltigen Fehler begeht (meedia.de, Gregory Lipinski)
Die Große Koalition wolle in den nächsten Jahren die Zeitungsbranche mit 220 Millionen Euro fördern. Eigentlich eine gute Idee, findet Gregory Lipinski, doch die Sache habe einen Haken: Das Geld solle mehrheitlich in die Digitalisierung fließen, von den ursprünglich eingeplanten 40 Millionen Euro Zuschuss für die Auslieferung von Printprodukten sei keine Rede mehr. Ein Fehler, so Lipinski. Zusammen mit dem steigenden Mindestlohn mache es der Bund den Verlagschefs quasi unmöglich, die Zustellung ihrer Zeitungen dauerhaft wirtschaftlich zu betreiben: “Vor allem in vielen ländlichen Regionen drohen rasch weiße Flecke. Denn hier sind die Zustellkosten aufgrund größerer Wegstrecken am höchsten.”
3. Kontrollversuche im Lokaljournalismus (ndr.de, Daniel Bouhs)
Der Wunsch, Berichterstattung zu kontrollieren, zeigt sich unter anderem in der Autorisierungspraxis von Interviews. Viele Promis, Politikerinnen und Politiker lassen sich nach einem Gespräch mit überregionalen Medien oder Magazinen das jeweilige Interview zur Freigabe vorlegen. Diese Praxis scheint sich auch im Lokaljournalismus auszubreiten. “Wir haben es ständig mit Leuten zu tun, die den Text vorher lesen wollen – wohlgemerkt: Amateure, ganz normale Bürger”, so der Chefredakteur der “Ostfriesen-Zeitung”, Joachim Braun, gegenüber dem Medienmagazin “Zapp”. “Das nimmt seit zwei, drei Jahren zu.”
4. Der traurige Zustand des deutschen Techjournalismus am Beispiel Shopify (indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Der deutsche Gründer Tobias Lütke hat mit Shopify ein Unternehmen geschaffen, das einen Marktwert von Daimler und Volkswagen habe – wohlgemerkt: zusammen. Dennoch werde über diese Erfolgsgeschichte in deutschen Medien so gut wie nicht berichtet. Ein Versäumnis, für das Thomas Knüwer deutliche Worte findet: “So lange die versammelte Autorenschaft der großen Medienmarken solch ein Thema verschläft, muss sie sich die Frage gefallen lassen, wofür die Redakteure bezahlt werden – und wofür der Leser sie bezahlen sollte.”
5. Schlechte Zeiten für fiktionales Fernsehen? (uebermedien.de, Wilfried Urbe)
Die Corona-Krise ist auch eine Krise des fiktionalen Fernsehens und Films. Laut dem europäischen Film- und TV-Produzentenverband CEPI hätten zwei Drittel aller Produktionsfirmen in Europa ihre Produktionen zumindest vorübergehend stoppen müssen. Außerdem erlitten die privaten Sender erhebliche finanzielle Verluste durch den Rückgang der Werbeeinnahmen. Bei der ProSiebenSat.1-Gruppe ist von einem Minus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum die Rede. Wilfried Erbe hat sich in der angeschlagenen Branche umgesehen, dabei aber auch Krisengewinnler entdeckt.
6. Kritik an SWR-Sportsendung: Freundschaftsinterview mit Jürgen Klopp (ondemand-mp3.dradio.de, Christoph Sterz, Audio: 2:07 Minuten)
Im SWR-Fernsehen wurde ein Interview mit dem Fußballtrainer Jürgen Klopp ausgestrahlt, bei dem es recht freundschaftlich und fast privat zuging. Kein Wunder, denn die Reporterin Lea Wagner und Klopp kennen sich gut: Wagner ist die Tochter des Fußballtrainers David Wagner, die Familien Klopp und Wagner seien miteinander befreundet (Jürgen Klopp ist laut “FAZ” sogar der Patenonkel von Lea Wagner). Im Hinblick auf kritische Distanz sind derlei persönliche Verflechtungen problematisch. Doppelt problematisch wird es, wenn die Beziehung, wie im vorliegenden Fall, nicht angesprochen wird.
1. Eine polnische Firma schafft gerade unsere Anonymität ab (netzpolitik.org, Daniel Laufer & Sebastian Meineck) “Toll, endlich eine elektronische Suche für Gesichter”, mögen manche etwas unbedarfte Zeitgenossinnen und Zeitgenossen denken, wenn sie auf Pimeyes stoßen. Doch Fachleute erkennen in der kostenlos abrufbaren Datenbank mit mehr als 900 Millionen Gesichtern ein enormes Missbrauchspotenzial. Daniel Laufer und Sebastian Meineck sind der Sache in einer aufwändigen Recherche nachgegangen.
2. Pressefreiheit überwiegt (taz.de, Christian Rath)
Das “Manager Magazin” hat 2011 über den einschlägig bekannten Ulrich Marseille berichtet, den Chef der bundesweit tätigen Marseille-Kliniken AG (heute MK-Kliniken AG). In dem Porträt wurde auch eine für Marseille leicht peinliche Anekdote erwähnt: Der Konzernleiter sei 1984 im juristischen Staatsexamen bei einem Täuschungsversuch ertappt worden und habe das Studium ohne Abschluss abbrechen müssen. Marseille klagte, zunächst erfolgreich, gegen die Berichterstattung, musste jetzt jedoch eine Niederlage hinnehmen: Der Bericht über die Jugendverfehlung sei zulässig gewesen, so das Verfassungsgericht. “Es gebe zwar eine ‘Chance auf Vergessenwerden’, so die Verfassungsrichter, bei einer Abwägung im Fall Marseille überwiege aber das Recht der Presse, wahrheitsgemäß zu berichten. Schließlich sei Marseille stets öffentlich tätig gewesen und habe auch die Öffentlichkeit gesucht.”
3. Korrekt gendern – wie geht das? (genderleicht.de, Christine Olderdissen)
Anlässlich des einjährigen Bestehens von Genderleicht.de hat Projektleiterin Christiane Olderdissen einen lesenswerten Beitrag zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch verfasst, der für mehr Gelassenheit wirbt: “Die Weiterentwicklung der Sprache ist ein hoch demokratischer Prozess, denn die Mehrheit entscheidet, was funktioniert und was so zur Sprachnorm wird. Wir müssen zum Beispiel hinnehmen, dass der Genitiv zunehmend vom Dativ verdrängt wird. Diesen Prozess können wir sprachliebend beweinen und persönlich mit korrektem Einsatz des Genitivs gegenhalten. Aufhalten lässt sich die Entwicklung nicht. Genauso wenig wie ‘das Gendern’.”
4. Das (zu) späte Erwachen der Medienverbände (ndr.de, Daniel Moßbrucker)
Durch ein von netzpolitik.org veröffentlichtes Leak wurde bereits im März 2019 bekannt, dass deutsche Geheimdienste nicht nur Schwerstkriminelle und Terroristen abhören beziehungsweise “hacken” dürfen, sondern in Einzelfällen auch Medien. Doch erst jetzt scheinen die Medienverbände das Thema entdeckt und mit einer Stellungnahme (PDF) darauf reagiert zu haben. Der Einspruch komme spät – vermutlich sogar zu spät, so Daniel Moßbruckers Einschätzung.
5. Wo stehen die Verlage jetzt? (deutschlandfunk.de, Christopher Ophoven, Audio: 4:48 Minuten)
Die Corona-Pandemie hat viele Medien- und Verlagshäuser schwer getroffen, trotz gestiegener Onlinenutzung und Zuwachs beim Verkauf von Digitalabos. Wie wird es weitergehen? Experten sind nicht allzu optimistisch: “Wenn jetzt Werbekunden sich entschieden haben, ich verzichte erstmal auf Werbung in der Zeitung, dann ist durchaus nicht ausgemacht, dass nur wenn die wirtschaftliche Situation für die Werbekunden wieder besser wird, sie auch wieder mehr Geld für Werbung in der Zeitung ausgeben. Vielleicht geben sie dann auch für Werbung in anderen Werbeformen aus, also, dass sie dauerhaft weg sind.”
6. Facebook entfernt Accounts von Hassgruppe und Trump-Vertrautem (zeit.de)
Facebook habe mehr als einhundert Konten gesperrt, die mit Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro und Donald Trumps Berater Roger Stone in Verbindung gebracht wurden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des brasilianischen Präsidenten hätten ein “Desinformationsnetzwerk” erschaffen, das spalterische politische Botschaften verbreitet habe. Der langjährige Trump-Berater Roger Stone und dessen Partner hätten 50 persönliche und geschäftliche Seiten betrieben und gefälschte Konten und Follower genutzt, um Stones Bücher und Beiträge anzupreisen.
Dazu eine Guckempfehlung des “6 vor 9”-Kurators für das Wochenende: Die gleichermaßen unterhaltsame wie fassungslos machende Netflix-Doku: “Get me Roger Stone” (Dazu Jürgen Schmieder auf Süddeutsche.de: “Gegen den US-Politikberater Roger Stone wirkt selbst Frank Underwood aus ‘House of Cards’ wie ein Pimpf mit zu vielen Skrupeln.”)
1. Schluss mit Peter Lustig (sueddeutsche.de, Johannes Nebe)
“Princess of Science”, so lautet der Name des neuen Kika-Wissensmagazins. In insgesamt acht Folgen geht es darum, wie sich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik im Alltag von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Wer sind die drei Moderatorinnen des Wissensmagazins, die allesamt aus der Wissenschaft kommen? Und sind Sendungstitel und Aufmachung tatsächlich zu kritisieren, wie es vor allem auf Twitter der Fall gewesen sei?
2. Buch: Leiser Abschied vom Journalismus (medienwoche.ch, Lothar Struck)
Birk Meinhardt war lange Zeit ein etablierter und preisgekrönter Reporter der “Süddeutschen Zeitung”, doch irgendwann “entfremdeten” sich Medium und Journalist. Über eben jene Entfremdung hat Meinhardt ein Buch geschrieben (“Wie ich meine Zeitung verlor”). Rezensent Lothar Struck kann die Ansichten des Autors an vielen Stellen nicht teilen: “Meinhardt dokumentiert einen leisen Abschied von einem Ideal, das es vielleicht so nie gegeben hat.”
3. Er will’s wirklich wissen (taz.de, Peter Unfried)
Der Chefreporter der “taz”, Peter Unfried, hat eine Art Liebeserklärung an den ZDF-Moderator Markus Lanz verfasst. Er geht dabei auch auf die vielfach geäußerte Kritik an Lanz ein (wie zum Beispiel am Gespräch mit Sahra Wagenknecht ) beziehungsweise versucht, sie zu entkräften. Es ist einer dieser Texte, bei denen es sich lohnt, auch andere Stimmen zu hören (oder diesen immer noch aktuellen Text von Stefan Niggemeier aus dem Jahr 2012 zu lesen).
Weiterer Lesehinweis aus der Feder des “6 vor 9”-Kurators (Archiv): Die Moderationskarten von Markus Lanz für die Gottesmutter (Teil des satirischen Adventskalenders auf “Übermedien”).
4. Warum Rechtschreibung in der Kultur der Digitalität an Bedeutung verliert (schulesocialmedia.com, Philippe Wampfler)
Die Digitalisierung und die damit verbundenen Einsparmaßnahmen wirken sich gelegentlich an überraschenden Stellen aus, wie man gerade in der Schweiz sehen kann. Dort hätten Schweizer Medienkonzerne damit begonnen, Korrektorate zuerst ins Ausland auszulagern, dann ganz abzuschaffen. Mit fatalen Folgen hinsichtlich der Orthografie, wie die Korrektoratsleiterin der “Schaffhauser Nachrichten” Jaqueline Preisig auf Twitter an einem Beispiel festgemacht hat. Philippe Wampfler kommentiert: “Korrekturabteilungen einzusparen ist eine (falsche) Antwort auf die Frage, [wie] mit dem (vermeintlichen) Produktionsgewinn umgegangen werden soll.”
Weiterer Lesehinweis: “Bei grossen Schweizer Medienkonzernen, allen voran bei der TX Group, werden Korrektorinnen zur bedrohten Spezies. Wie lange kann beim Korrektorat gespart und abgebaut werden, ohne dass die Qualität leidet?” Daniel Meyer schreibt in der “Republik” über “Die Lücke, die uns ersetzt”.
5. Panama Papers: Anonyme Suchmaschine für Journalisten (heise.de, Stefan Krempl)
Das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten hat eine Schweizer Universität mit der Entwicklung eines “Datashare Networks” beauftragt, eines nach eigenen Angaben “vollständig anonymen dezentralen Forschungs- und Informationsaustauschsystems”. Damit solle es den mehr als 200 Mitgliedern in 70 Ländern leichter gemacht werden, über das Internet zusammenzuarbeiten und umfangreiche Datenpakete mit Data-Mining-Techniken zu analysieren. Stefan Krempl erklärt, wie das innovative System funktioniert.
6. Spotify reagiert auf Kundenkritik und löscht rechtsextreme Musik von Plattform (rnd.de)
Nach zahlreichen Protesten hat der Musikstreamingdienst Spotify die Songs des als Rechtsextremist eingestuften Musikers Chris Ares von der Plattform entfernt. Bei Amazon Music und Deezer seien die Ares-Lieder gar nicht erst abrufbar gewesen. Doch beim, im Vergleich zu Spotify wesentlich kleineren, Anbieter Apple Music stünden die Titel noch immer zum Download bereit.
1. Auferstanden aus der Anonymität (sueddeutsche.de, Willi Winkler)
In den USA gibt es mittlerweile annähernd 100.000 Opfer der Corona-Pandemie. Die “New York Times” veröffentlichte auf der Frontseite ihrer Wochenendausgabe die Namen von Hunderten von Toten, um sie aus der Anonymität herauszuholen. Eine puristisch gehaltene Namensübersicht ohne Fotos und Grafiken, jedoch ergänzt um teilweise berührende Anmerkungen.
Weitere Lesehinweise: Der Zeitstrahl samt Gedenken an die Corona-Toten als schier endloser Digitalfriedhof zum Scrollen: An Incalculable Loss (nytimes.com). Und der Hintergrundbericht: The Project Behind a Front Page Full of Names (nytimes.com).
In diesem Zusammenhang ebenfalls lesenswert: Wo bleibt die Titelseite für Internet-Seiten? (dirkvongehlen.de).
2. Kritik an rassistischer Werbung ist kein “Shitstorm” (uebermedien.de, Said Rezek)
Volkswagen veröffentlichte jüngst einen Werbeclip, der wegen seiner rassistischen Begleitbotschaft heftige Kritik nach sich zog. Nach anfänglichem Herumlavieren und Abstreiten bat der Konzern um Entschuldigung und löschte das Video. Handelte es sich bei den Reaktionen in den Sozialen Medien um einen “Shitstorm”? Keineswegs, findet der Politikwissenschaftler und freie Journalist Said Rezek: “Wir haben es mit einer klassischen Täter-Opfer-Umkehr zu tun, die gerade bei rassistischen und sexistischen Übergriffen weit verbreitet ist. Denn wer die vielen Twitter-, Facebook- und Instagram-Nutzer:innen in der Causa VW eines Shitstorms beschuldigt, macht sie kollektiv zum Täter und VW zum Opfer.”
3. “Wer an Verschwörungen glaubt, ist nicht verloren” (zeit.de, Eike Kühl)
“Zeit Online” hat sich mit dem Autor, Journalisten und Aktivisten Cory Doctorow über Verschwörungserzählungen in Corona-Zeiten unterhalten. Wie entstehen derartige Mythen, wie werden sie befördert, und wie kann man ihnen begegnen? Doctorows hoffnungsvolle Sicht: “Ich finde, wer an Verschwörungen glaubt, ist nicht per se verloren. Viele sind bloß im letzten Moment der Wahrheitssuche falsch abgebogen. Und leider können sie sich heutzutage nicht immer auf die Institutionen verlassen, die ihnen dabei helfen sollen, zwischen guter und schlechter Recherche zu unterscheiden.”
Weiterer Lesehinweis: Verschwörungstheorien in sozialen Medien: Die Pandemie der Unwahrheiten (taz.de, Carolina Schwarz).
4. Alles lässt sich immer so oder so (oder sogar so!) sehen (spiegel.de, Arno Frank)
Aron Frank hat sich die Meinungs-App “The Buzzard” (“Der tägliche Perspektivwechsel im Mediendschungel”) angeschaut: “The Buzzard setzt ganz auf die Kraft des Arguments und voraus, dass weltanschauliche Vorprägungen sich damit mühelos aushebeln lassen. Könnten wir nur lesen, was die jeweils ‘andere Seite’ liest, würde gegenseitiges Verständnis sich schon von selbst einstellen. Der Wunsch ist fromm, zeugt aber auch von einer Selbstüberschätzung. Und einem entleerten Begriff von Journalismus.”
5. Datteln IV und der Journalist als Störer (verdi.de, Helma Nehrlich)
Der freie Fotograf Björn Kietzmann habe eine Protestaktion gegen das Kraftwerk Datteln IV dokumentiert und dafür einen Strafbefehl von 900 Euro wegen Hausfriedensbruchs erhalten. Außerdem sei er vom Polizeipräsidium Recklinghausen mit einem Betretungs- und Aufenthaltsverbot für das Kraftwerksgelände belegt worden. Dagegen wolle er sich nun auf juristischem Wege wehren.
6. Der Begriff “Journalist” ist nicht mehr zu gebrauchen (dwdl.de, Hans Hoff)
Der Begriff “Journalist” ist keine geschützte Berufsbezeichnung und werde oft von Menschen für sich in Anspruch genommen, die nichts mit Journalismus am Hut haben. Es mangele an Trennschärfe, so Hans Hoff in seinem Rant bei “DWDL”: “Es gibt Mistschleudern wie ‘Der Westen’, Dumpfportale wie ‘Express’, Hetzblätter wie ‘Bild’ und Lügenorgane wie ‘Die Aktuelle’. Überall dort arbeiten Menschen, die sich als Journalisten bezeichnen. Sie zeichnen sich mehrheitlich dadurch aus, dass ihnen komplett egal ist, was sie transportieren, so lange sie mit ihrem Output genügend Deppen einfangen und am Ende die Zahlen stimmen. Sie optimieren ihre Produkte der Form nach und scheren sich einen Dreck um Inhalte.”
1. Das ist dran an Ken Jebsens großer Gates-Verschwörung (t-online.de, Jonas Mueller-Töwe)
Ken Jebsen hat auf seinem Youtube-Kanal “KenFM” einen halbstündigen Monolog veröffentlicht, der innerhalb von wenigen Tagen rund drei Millionen Mal angeklickt wurde. Das Opus heißt “Gates kapert Deutschland” und gibt damit bereits die Marschrichtung vor. Jonas Mueller-Töwe hat sich die Mühe gemacht, das Video einem Faktencheck zu unterziehen. Sein Fazit, nachdem er viele der im Video erhobenen Behauptungen als falsch entlarvt hat: “Jebsen ist — anders als er behauptet — kein Journalist. Er ist ein politischer Aktivist mit einer radikalen Agenda, die Links- und Rechtsradikale vereinen soll.”
2. Gegen das Virus der Falschinformation (tagesschau.de, Marcel Kolvenbach)
Internationale Ärzte, Virologen und Wissenschaftlerinnen wehren sich mit einem Offenen Brief gegen “das Virus der Falschinformation”. Das Thema sei auch in Deutschland evident: Dem SWR liege eine “NewsGuard”-Studie vor, die sich mit den “Superspreadern” in Deutschland beschäftige. Dort habe man elf Facebook-Seiten identifiziert, die Falschinformationen zur Corona-Pandemie an eine besonders große Gefolgschaft verbreiten würden. Konkret erwähnt: RT Deutsch, “Der Wächter”, “Frieden Rockt”, Dr. Ruediger Dahlke, “Compact”, “Anonymous Deutschland”, “Augen Auf”, “Freidenkerkollektiv”, “Medizin Heute”, “Anonymous Offiziell” und “Russische Nachrichten”.
3. Brief des ARD-Freienrats wegen der Corona-Krise (ard-freie.de, Christoph Reinhard)
Der sogenannte ARD-Freienrat versteht sich als Interessenvertretung für freie Journalistinnen und Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er mache sich derzeit große Sorgen um die nach seinen Angaben rund 18.000 Freien, denen aufgrund der Corona-Krise die Einnahmen wegbrächen. Nun hat sich die Organisation mit einem Offenen Brief an die Verantwortlichen gewandt: “Wenn sich die Situation nicht bald ändert, gehören auch wir als Journalist*innen zu den Verlierern in der Corona-Krise. Das Programm in Hörfunk und Fernsehen sowie online und auf Social Media-Kanälen wird weitgehend von Freien gestemmt. Indirekt laufen die Sender damit also auch Gefahr, ihrem Informations- und Bildungsauftrag nicht mehr gerecht werden zu können.”
4. Overblocking: YouTube muss entsperren (kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Medienanwalt Markus Kompa berichtet von Löschvorgängen bei Youtube im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Davon betroffen sei auch ein Video eines seiner Mandanten gewesen, das eine Aufforderung zum Widerstand enthalten habe. Dagegen habe sich dieser erfolgreich juristisch zur Wehr gesetzt: “Zwar hat ein privater Konzern grundsätzlich Hausrecht und kann sich aussuchen, wen er reinlässt. Nun ist YouTube/Google aber marktbeherrschend. Daher strahlen die Grundrechte auch auf einen Konzern aus, sogenannte mittelbare Drittwirkung. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit ist daher nur gerechtfertigt, wenn dieser nicht willkürlich geschieht. Sofern die Hausregeln und die Gesetze beachtet wurden, muss YouTube daher den Nutzer gewähren lassen.”
5. Links zugespitzt (sueddeutsche.de, Tobias Obermeier)
In den USA sei das Magazin “Jacobin” eines der einflussreichsten Meinungsmedien der demokratischen Sozialisten. Nun erscheint es auch in deutscher Sprache. Tobias Obermeier über die erste Ausgabe: “Die Texte scheuen sich nicht vor Zuspitzungen. Besonders schön sind Illustrationen und grafische Aufarbeitungen wie zu den ‘sozialdemokratischen Verbrechen’ oder eine Übersicht deutscher Milliardäre, die zusammen locker ein Klimaschutzprogramm der Vereinten Nationen finanzieren könnten und immer noch Milliardäre wären.”
6. Ein völlig verkehrtes Signal (taz.de, Malte Kreutzfeldt)
Als “völlig verkehrtes Signal” bezeichnet Malte Kreutzfeldt die Entscheidung des Robert-Koch-Instituts, seine regelmäßigen Pressekonferenzen bis auf Weiteres einzustellen: “Das Robert-Koch-Institut sollte seine Entscheidung (…) schnell revidieren. Gerade jetzt, wo die Beschränkungen weiter gelockert werden und der Bund die Verantwortung weitgehend an die Länder überträgt, ist eine qualifizierte Bewertung des aktuellen Geschehens besonders wichtig.”
2. “Träumen Sie süß” (sueddeutsche.de, Nadia Pantel & Nicolas Richter)
Die WDR-Journalistin Ann-Kathrin Stracke wirft dem früheren französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing vor, sie Ende 2018 nach einem Interview-Termin sexuell belästigt zu haben. Eine vom Sender beauftragte Kanzlei sei in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis gekommen, Strackes Schilderungen (und die ihres Kameramanns) seien “insgesamt glaubhaft und legen den Schluss nahe, dass der Sachverhalt sich genau so zugetragen hat wie beschrieben”.
3. Attila Hildmanns Krisenmanagement (belltower.news, Thilo Manemann)
Der Koch und Verschwörungsideologe Attila Hildmann spielt bereits seit Jahren mit den Medien und weiß, mit welchen Provokationen und großspurigen Auftritten er Aufmerksamkeit generieren kann. Derzeit inszeniere er sich als martialischer Widerstandskämpfer, als “Hüter der Wahrheit in einer Welt der Lüge und Manipulation”. Thilo Manemann hat sich angeschaut, wie Hildmann seine “Desinformationen und Maulheldenpostings” unters Volk bringt und versucht, dabei Werbung für seine Produkte zu machen. Was mal mehr und mal weniger gelingt, denn ein großes Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen habe Hildmanns Produkte bereits ausgelistet.
4. Hass und Angriffe auf Medienschaffende (mediendienst-integration.de, Jennifer Pross)
Eine neue Studie des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zu Hass und Angriffen auf Medienschaffende (PDF) berichtet von besorgniserregenden Zahlen. 62 Prozent der anonym befragten Journalisten und Journalistinnen sähen die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Deutschland in Gefahr. Mehr als die Hälfte habe Verständnis dafür, wenn Kolleginnen und Kollegen aus Sorge vor Angriffen nicht über bestimmte Themen berichten würden.
Weiterer Lesehinweis: ARD-Kamerateam auf Demonstration angegriffen (spiegel.de). Siehe auch das etwa zweiminütige Video, das einen Angriff bei einer Anti-Corona-Demo von Verschwörungstheoretikern rund um Attila Hildmann dokumentiert (twitter.com/democ_de).
5. Sich schön inkorrekt durchamüsieren (zeit.de, Johannes Schneider)
Johannes Schneider hat einen lesenswerten Beitrag über das Kabarett im Allgemeinen und die Kabarettistin Lisa Eckhart im Besonderen, der er “unmoralische Boshaftigkeit” vorwirft, verfasst: “Diese Grenzverletzungen fördern keinerlei Erkenntnis, demaskieren weder Macht noch kulturelle Vorurteile, reproduzieren sie vielmehr. Komisch finden kann das nur ein verklemmtes Publikum, das denkt: Hihi, darüber macht man doch keine Witze. Dieses verklemmte Publikum gibt es natürlich, und wer gelernt hat, seinen Erfolg in Applaus und Aufmerksamkeit zu messen, findet hier gewiss dankbare Goutanten von Gratismut. Satire darf ja schließlich alles, und also muss sie auch auf den Gräbern der Ermordeten und den Nerven der Lebenden rumtrampeln dürfen.”
Weiterer Lesetipp: Antisemitismus-Vorwürfe: WDR verteidigt Kabarettistin Lisa Eckhart (rnd.de).
6. Zeugen des Krieges – Kriegsfotografie im Wandel (3sat.de, Christiane Schwarz, Video: 58:34 Minuten)
Die Art und Weise, wie Kriege geführt werden, hat sich über die Jahrzehnte verändert und parallel dazu auch die professionelle Kriegsfotografie. In einer 3sat-Doku berichten vier Kriegsfotografinnen und -fotografen über ihre Einsätze in Krisenherden und Kriegsgebieten rund um den Globus. Dabei geht es auch um die Fotografien von Augenzeugen in den Sozialen Medien: “Der Kampf um die Hoheit des Bildes ist entbrannt wie noch nie zuvor. Gehen damit der künstlerische Anspruch und die journalistische Neutralität verloren? Ersetzt das primäre Augenzeugen-Foto heute gewissermaßen den Blick der Fotojournalist*innen?”
Wann ist man eigentlich Deutscher? Also so richtig deutsch, akzeptiert sogar von der “Bild”-Redaktion? Braucht man dafür einen deutschen Namen, deutsche Vorfahren, ein irgendwie geartetes deutsches Aussehen? Muss man in Deutschland geboren sein? Oder reicht die deutsche Staatsbürgerschaft?
In Leipzig soll ein Mann seine Ex-Freundin getötet haben. Der 30-Jährige ist Deutscher mit deutschem Pass und lebt seit knapp 25 Jahren in Deutschland. Als 6-Jähriger flüchteten er und seine Familie aus Afghanistan, was bei dieser Geschichte eigentlich keine Rolle spielen sollte. “Bild” und Bild.de sehen das offenbar anders. Denn wenn man möglicherweise zum Straftäter geworden ist, dann kann man noch so lange schon in Deutschland leben und einen noch so deutschen Pass haben. Dann ist man direkt: einstiger “Vorzeigeflüchtling”, wie die “Bild”-Redaktion in einem Facebook-Teaser schreibt.
Mehrere Tage berichteten die “Bild”-Medien in der vergangenen Woche über den Fall. In ihrer Leipzig-Ausgabe titelte die “Bild”-Zeitung am Mittwoch:
Man kann nur mutmaßen, was der Leserschaft eine solche Überschrift sagen soll — hängen bleibt aber irgendein Zusammenhang zwischen Migration und Gewaltverbrechen. Und dann noch nicht mal von irgendeinem sowieso schon kriminellen Dahergelaufenen verübt, sondern von einem “Musterbeispiel gelungener Integration”. Wenn jetzt die sogar schon …
Die Onlineversion des Artikels wurde über 4000 Mal bei Facebook geteilt, von AfD-Politikern und -Ortsverbänden, von der NPD, von “Pegida”, von Facebookgruppen mit Namen wie “Büdingen wehrt sich — Asylflut stoppen”, “Klartext für Deutschland — FREI statt bunt” und “Aufbruch deutscher Patrioten”. Sie alle stürzen sich auf die Bezeichnungen “Vorzeigeflüchtling” und “Musterbeispiel gelungener Integration”. Die “Bild”-Redaktion weiß sehr genau, für wen sie schreibt.
Den viel passenderen größeren Zusammenhang lässt sie hingegen außen vor: Gewalt gegen Frauen. Der Tod der Frau in Leipzig reiht sich ein in die zahlreichen Frauenmorde, die hierzulande und überall auf der Welt eine traurige Alltäglichkeit haben. Wegen Fällen wie diesem gab es in letzter Zeit Debatten zu verharmlosenden Bezeichnungen in Medien wie “Beziehungsdrama”: Gewalttaten in Beziehungen sollen nicht mehr als einzelne “Tragödien” beschrieben werden, sondern als strukturelles Problem. Die dpa kündigte beispielsweise an, künftig auf Begriffe wie “Familientragödie” verzichten zu wollen.
Anders Bild.de. Als die genauen Hintergründe der Tat in Leipzig noch nicht bekannt waren, titelte die Redaktion:
War der Mordversuch eine Beziehungstat?
Kolumnistin Katja Thorwarth schrieb vergangenes Jahr in der “Frankfurter Rundschau” darüber, “warum Mord keine ‘Beziehungstat’ ist”. Solche Überlegungen scheinen an “Bild” spurlos vorbeizugehen.
Das gilt auch für Überlegungen zu Persönlichkeitsrechten: Regelmäßig veröffentlichen die “Bild”-Medien unverpixelte Fotos von Tatopfern und von bisher nicht verurteilten Tatverdächtigen. Die Unschuldsvermutung ist der Redaktion eher lästig. Und so lässt “Bild” auch diese Gelegenheit nicht aus und zeigt sowohl ein Foto der Getöteten als auch eines des mutmaßlichen Täters ohne jegliche Unkenntlichmachung.
Das Foto der Getöteten hat “Bild” vom Facebook-Account der Frau:
Facebookeintrag kein Freibrief für Verwendung von Opferfotos
Konkret ging es damals um einen Fall, bei dem Bild.de ein Foto einer getöteten Frau von Facebook gezogen und veröffentlicht hatte — für den Presserat ein Verstoß gegen den Opferschutz. Der Ehemann des Opfers sei in den Sozialen Netzwerken zwar offen mit dem Tod seiner Frau umgegangen, so das Gremium, trotzdem hätte die “Bild”-Redaktion eine Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder einholen müssen:
Die Veröffentlichung von Fotos und Angaben zu Opfern durch die Angehörigen in sozialen Netzwerken ist nicht gleichzusetzen mit einer Zustimmung zu einer identifizierenden Darstellung in den Medien.
Gab es für die “Bild”-Berichterstattung aus Leipzig so eine Zustimmung? “Bild”-Sprecher Christian Senft wollte sich dazu nicht äußern: Man kommentiere, “wie üblich”, keine redaktionellen Entscheidungen. Nach unserer Anfrage hat die Redaktion die Fotos des Opfers bei Bild.de verpixelt.
Mit Dank an Maria T. und anonym für die Hinweise!
Nachtrag, 23:24 Uhr: Mit dem Herauskramen der Bezeichnung “Vorzeigeflüchtling” ist die “Bild”-Redaktion nicht allein. Auch Sächsische.de bezeichnet den Tatverdächtigen in einem später erschienenen Artikel so.
Nachtrag, 21. April: Auch die “Leipziger Volkszeitung” berichtet von dem Fall und schreibt über den Tatverdächtigen, er sei ein “Musterbeispiel gelungener Integration” gewesen.
“Tag24” bekommt es hin, den Mord an der Frau sprachlich auf ganz besondere Weise zu verharmlosen: Die Redaktion schreibt vom “dramatischen Höhepunkt einer toxischen Liebe im Sozialarbeiter-Milieu”.