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“Ich mache nur die Fotos – alles andere ist Sache der Redaktionen”

Am Sonntagnachmittag ist vor dem Hamburger Hauptbahnhof ein Mann niedergestochen worden. Er starb wenig später an seinen Verletzungen. Der Täter wurde kurz nach der Attacke in der Nähe des Hauptbahnhofs festgenommen.

Zufällig war auch ein freier Fotograf vor Ort, der einige der Szenen mit seiner Kamera festhielt. Veröffentlicht wurden seine Fotos am Dienstag in der “Bild”-Bundesausgabe, der “Bild Hamburg” und bei Bild.de.

So sah die gedruckte Version (blatthoch auf Seite 3 der Bundesausgabe) aus:

Die Beschreibung des großen Aufmacherfotos lautet:

Das blutüberströmte Opfer sitzt am Boden, die Klinge steckt in seinem Bauch. Direkt hinter ihm: der Messerstecher (blaue Jacke). Geschockte Passanten beobachten die Szene, darunter auch Kinder.

Und zu sehen ist — genau das. Die Augenpartie des sterbenden Mannes ist unkenntlich gemacht worden (in der Online-Version auch die Messerklinge in seinem Bauch), alles andere aber nicht. Im Text erfährt der Leser im Grunde nur, dass ein Mann niedergestochen, der Täter festgenommen und ein Haftbefehl wegen Mordes erlassen wurde.

Selbst für “Bild”-Verhältnisse ist das eine außerordentlich drastische Darstellung von Brutalität und Leid; entsprechend viele Leser empörten sich darüber bei uns oder in den sozialen Medien.

Wir wollten wissen, wie es zu den Fotos gekommen ist und wie sie in der “Bild”-Zeitung gelandet sind — darum haben wir dem Fotografen ein paar Fragen gestellt.

Er erklärte uns, er arbeite neben der Schule als freier Fotograf und sei an jenem Tag mit einem Kollegen auf dem Weg zur S-Bahn gewesen, als sie eine kurdische Demo entdeckten. Aus journalistischer Neugier seien sie

dort hingegangen, und ich habe angefangen, mit meiner Kamera, die ich fast immer bei mir habe, zu fotografieren.

Plötzlich gab es einen Tumult hinter der Demo, viele bewegten sich dorthin. Für mich war der Grund nicht sofort erkennbar, und so bewegte ich mich ebenfalls aber schnell dort hin. Das erste, was ich wahrnahm, war ein Mann, der offenbar verletzt auf dem Boden zusammensackte. Intuitiv hab ich dann angefangen zu fotografieren, da ich vermutete, dass das Ganze mit der Demo zu tun hatte, vielleicht eine heftigere Schlägerei nach einer Meinungsverschiedenheit, was bei Demos ja durchaus mal vorkommen kann.

Die Menschen drumherum waren sehr erregt, und ich habe weiterfotografiert, bis ich das Messer im Bauch des Mannes entdeckte. Meiner Erinnerung nach war ich kurz geschockt, dann kamen ziemlich schnell die ersten Beamten der DB-Sicherheit, drängten die Passanten weg, und auch die Bundespolizei tauchte auf, während sich die ersten Passanten bereits um den Verletzten kümmerten. Ich habe dann noch weitere herbeigeeilte Beamte der Bundespolizei und DB-Sicherheit beobachtet, wie diese die Passanten hektisch nach dem Täter fragten, und, als sie in Richtung St. Georg liefen, bin ich ihnen gefolgt und habe auch die Festnahme fotografiert und dokumentiert.

Trotz all der Schrecklichkeit dieses Ereignisses und der Anteilnahme, die ich hiermit ausdrücklich allen Beteiligten und Angehörigen ausspreche, war es für mich Teil meiner journalistischen Arbeit. So abartig das in dem Zusammenhang klingt. Fotografen dokumentieren das, was geschieht. Dass im Kontext einer Demonstration ein Mensch attackiert wird (auch wenn wir mittlerweile wissen, dass es nichts mit der Demonstration zu tun hatte), ist definitiv bedeutsam und ist es wert, dokumentiert zu werden. Ähnliche Bilder entstanden vieltausendfach in anderen Konflikten — seien sie militärischer oder ziviler Natur gewesen — und dokumentieren Zeitgeschehen, auch wenn man sie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung vielleicht noch nicht so eingeschätzt hat.

Ich bin eigentlich sogar sehr froh darüber, dass ich dank der Demo bereits im “Arbeitsmodus” war und das ganze nicht als Privatperson wahrgenommen habe, weil es für mich eine wichtige Distanz bedeutet, die mich im Nachhinein persönlich auch sehr geschützt hat, wie übrigens bei einigen anderen Ereignissen, die ich schon dokumentiert habe, auch.

Das heißt nicht, dass ich als Mensch keine Emotionen habe oder kein Mitgefühl. Ich bin trotzdem der gleiche Mensch wie vorher, nur um ein paar Erfahrungen reicher. Leider gibt es viele Menschen, die voreilig Schlüsse über mich als Privatperson ziehen, anhand der Bilder, die während meiner Arbeit und aus der Distanz heraus entstanden sind. Viele Berufe, die mit menschlich schweren Schicksalen umgehen müssen, brauchen diese professionelle Distanz: Ärzte, Sanitäter etc., also auch Journalisten.

Und wie sind die Fotos in der “Bild”-Zeitung gelandet?

Der Fotograf erklärte:

Die BILD ist in Hamburg immer noch eine der großen Abnehmer, und ich habe die Fotos, wie bei freien Fotografen üblich, den Medien angeboten. Nicht nur und einzig der BILD, aber zu allem Weiteren werde ich professionelles Stillschweigen bewahren, da ich auch in Zukunft noch als Fotograf arbeiten möchte, auch wenn ich natürlich weiterhin und situationsabhängig selbst entscheide, wer, wie und wo meine Fotos nutzt oder nutzen und verbreiten darf. Vielleicht werde ich in Zukunft anders handeln bei der Verbreitung meiner Bilder. Meine persönliche Meinung, zu welchem Medium auch immer, versuche ich übrigens in solchen Momenten professionell zurückzuhalten.

Wir wollten wissen, ob er es in Ordnung findet, das Foto des sterbenden Mannes (so) zu zeigen, darauf schrieb er:

Was ich persönlich ganz und gar nicht in Ordnung finde, ist, dass Passanten, Beteiligte (also auch der Täter) und vor allem auch Kinder so deutlich erkennbar dargestellt und veröffentlicht werden! Allerdings möchte ich nochmal klarstellen, das ich einzig und allein für die Entstehung und das zur Verfügung stellen der Fotos verantwortlich bin. Alles andere ist Sache der jeweiligen Redaktion! Es ist gängige Praxis, dass Fotografen ihre Bilder relativ unbearbeitet und unverändert zur Verfügung stellen und die jeweilige Redaktion diese dann den journalistischen und ethischen Gesetzen und Grundsätzen entsprechend veröffentlicht.

Die Reaktionen, die er auf die Fotos bekommen habe, seien “großteils relativ sachlich” gewesen, doch er habe den Eindruck,

dass viele Personen sich wenig bis gar nicht mit der Arbeit eines Fotojournalisten auskennen, die Situation vor Ort und mich persönlich natürlich noch weniger, und trotzdem ihre Schlüsse auf mich ziehen oder Entscheidungen mich betreffend fällen.

Sein “persönliches Fazit”:

Durch viele zusammenhängende Zufälle habe ich, in dem Moment aus professioneller Distanz, ein schreckliches Ereigniss dokumentiert und diese bildliche Dokumentation verkauft. Diese wurde dann verbreitet. Inwieweit ich Verantwortung für die Art der Verbreitung trage und sie beeinflussen kann (es geht hier um das Unkenntlichmachen von Beteiligten), möchte und kann ich nicht an dieser Stelle klären, für mich selbst werde ich es aber zu gegebener Zeit auf jeden Fall tun, um vor allem für mich und meine Zukunft daraus zu lernen!

Sein “berufliches Fazit”:

Theoretisch hätte die Verbreitung der Bilder ein wenig anders laufen können (!), praktisch ist genau das geschehen, was die Arbeit eines Fotojournalisten bewirken soll: Im besten Fall lösen die Bilder Emotionen bei den Betrachtern aus und stoßen so eine wichtige Diskussion an. Zum Schluss würde ich mir wünschen, dass sich diese Diskussion nun mehr um das eigentliche, schreckliche Geschehen dreht, als um einen Fotografen, der eigentlich nur seine Aufgabe erfüllt hat!

PS: Unseres Erachtens verstoßen “Bild” und Bild.de mit den Artikeln gegen Ziffer 11 (“Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid”) und gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) des Pressekodex, darum haben wir Beschwerde beim Presserat eingereicht.

Nachtrag: Der Presserat sieht es auch so und hat “Bild” und Bild.de öffentlich gerügt.

Bild  

Pittelkaus Pinkelkontrolle bei Honecker

Vor zwanzig Jahren war Mark Pittelkau noch nicht Chefreporter bei der “Bild”-Zeitung. Vor zwanzig Jahren, kurz nach der Wende, war er gerade volljährig, frisch im Westen, arbeitete als Kellner und wollte, wie er selbst erzählt, …

unbedingt Journalist werden. Als Kellner war das schwierig. Ich brauchte eine große Geschichte.

Und die bekam er. Mit Anfang Zwanzig gelang es ihm, den exilierten Erich Honecker in Chile zu treffen. Mehrere Tage lang besuchte er den ehemaligen DDR-Chef und dessen Frau in ihrem privaten Zuhause. Sie verbrachten Zeit miteinander, unterhielten sich, aßen gemeinsam, posierten für Fotos. Pittelkaus große Geschichte.

Sie war seine Eintrittskarte in die Welt der “Bild”-Zeitung. Das Blatt veröffentlichte die Geschichte kurz darauf, im Sommer 1993, als dreiteilige Serie.

“BILD zu Besuch bei Honecker”. Eine Homestory aus dem Exil.

“Bild” wurde nicht müde zu betonen, dass “Bild” damit etwas geschafft habe, was “bisher keinem gelang”; dass Honecker sich “Bild” zum exklusiven Foto stellte, dass er “Bild” exklusive Dinge erzählt habe. “Bild” feierte sich selbst. Dank Mark Pittelkau.

Pittelkau und “Bild” sind heute immer noch stolz auf diese Geschichte. Vor Kurzem, zum 20. Todestag von Honecker, erinnerten sie noch mal feierlich daran, dass “der BILD-Reporter Mark Pittelkau” ja “einer der letzten Gäste des DDR-Diktators” gewesen sei:

Auch diesmal wieder als Serie:

Und wie ist es dazu gekommen? Wie hat Mark Pittelkau, der 20-jährige Kellner ohne journalistische Erfahrung, den Ex-Chef der DDR dazu gebracht, in der “Bild”-Zeitung exklusiv die Hosen runterzulassen?

Indem er ihn nach Strich und Faden belog.

Oder, wie Pittelkau es damals formulierte: Mit einer “List”. Er schrieb Honecker mehrere Briefe, in denen er sich als Jungkommunist ausgab und sich eifrig bei Honecker einschleimte — und der fiel darauf rein. Nach und nach gewann Pittelkau das Vertrauen des 80-Jährigen. Bis er schließlich, im Juni 1993, nach Chile fliegen durfte.

Dort angekommen, spielte Pittelkau weiter den harmlosen Freund aus der Heimat. Er kaufte Blumen, sagte an der Tür sein “Sprüchlein vom Jungkommunisten aus Deutschland auf”, und Honecker empfing ihn “mit offenen Armen”.

„Ach, der junge Genosse aus Deutschland … Komm rein!“

So verschaffte sich Mark Pittelkau, der “liebe Genosse Mark Pittelkau”, Zugang zu den “letzten Geheimnissen” von Erich Honecker. So gelangte er auf die Terasse der Honeckers, in ihr Wohnzimmer, an ihren Esstisch. Fünf Tage lang, von Anfang bis Ende, hielt er seine Tarnung — seine Lüge — aufrecht. “Bild” war in Wahrheit also nicht “zu Besuch”, “Bild” ist eingedrungen und hat spioniert.

Sicher: Wallraff macht das auch immer — sich verkleiden, sich irgendwo einschleichen und dann stolz darüber berichten. Aber bei Wallraff geht es um wichtige Dinge. Um Missstände. Um Informationen, die unbedingt an die Öffentlichkeit gehören.

Bei Pittelkau ging es einzig und allein um Honeckers Privatsphäre. Darum, wie er lebt. Wie gesund oder krank er ist. Welche Marmelade er zum Frühstück mag. Wann er seine Mittagsschläfchen hält. Wie oft seine Kinder ihn besuchen. Was in seinem Einkaufskorb liegt. Welche Farbe sein Füller hat. Wie viele Zigaretten seine Frau raucht. Wie oft er pinkeln geht. Alles sorgfältig protokolliert und abgedruckt in der “Bild”-Zeitung. Aussagen zu Politik, zu Privatem, zum Gesundheitszustand, Größe, Gewicht, Adresse, Höhe der Rente, Länge des Rasens, Name des Pförtners — alles. Alles, was Mark Pittelkau in den fünf Tagen aufsaugen konnte.

Der Pressekodex sagt:

Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.

Auch deutsche Gerichte verlangen in der Regeln ein erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit, wenn es um die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen geht.

Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum die Honecker-Serie damals anonym erschien. Über den Artikeln stand lediglich: “Von XXX”. (Und vielleicht ist das wiederum der Grund dafür, warum Pittelkau heute so erpicht darauf ist, den Ruhm für damals zu ernten, aber das nur am Rande.)

Jedenfalls dürfte auch Pittelkau gewusst haben, dass er seine Undercover-Recherche irgendwie legitimieren musste, dass sein Artikel einen triftigeren Grund brauchte als die bloße Sensationsgier der Leute. Er schrieb:

Ich wollte wissen: Ist [Honecker] wirklich so krank, wie seine Ärzte behaupten? Oder ist er ein fröhlicher Rentner, der sich auf unsere Kosten einen schönen Lebensabend macht?

Eine “List” im Sinne des Volkes also. Investigativjournalismus zum Schutze des Steuerzahlers.

Und es kann ja tatsächlich sein, dass die deutsche Öffentlichkeit damals unbedingt wissen musste, ob Honecker ihr Geld zum Fenster rauswirft. Aber muss man sich dafür tagelang in sein Leben einschleichen? Muss man eine ganze Artikelserie daraus machen und gnadenlos alles veröffentlichen, was man sieht und hört? Und muss man auch 20 Jahre später immer noch damit rumprahlen?

Pittelkau beantwortete die Frage, ob Honecker “wirklich so krank” sei, damals jedenfalls so:

Nach 5 Tagen verabschiede ich mich von den Honeckers. Erich hat einen festen, klammerhaften Händedruck. Für einen 80jährigen ist dieser Mann trotz seiner Krankheit zweifellos sehr rüstig. Zäh. Mumien sterben langsam.

Am Abend bummle ich allein durch die Gassen von Santiago. Aus kleinen Restaurants schwappt würziger Peperoni-Duft. Ich sehe Straßenmusikanten mit Gitarren und Mädchen in knappen Miniröcken.

Eine beschwingte Stadt. Sie lebt.

Aber oben auf dem Hügel der Millionäre stirbt ein Mann langsam vor sich hin.

Er ist traurig.

Er hat verloren.

Ich gehe in eine Bar und bestelle ein kaltes Bier. Ein Mädchen lächelt mich an.

Verdammt noch mal, das Leben ist so schön (vor 4 Jahren lebte ich noch hinter Honeckers Mauer).

ENDE

Pittelkau hatte damals immer wieder erwähnt, dass Honecker ein “greiser, grauer, krebskranker” Mann sei, dass sein Haus “langsam zu seiner Gruft” werde. Kein Skandal also, keine Verschwendung von Steuergeldern, nur ein sterbender Mann. Elf Monate später war Honecker tot. Und Pittelkau “Bild”-Reporter statt Kellner.

Mich ekelt das an. Dass Pittelkau dermaßen schamlos in die Privatsphäre einer ahnungslosen Familie eingedrungen ist. Und dass er heute immer noch so stolz, ja fast schon amüsiert davon erzählt. Als ginge es um einen Streich oder gar eine journalistische Heldentat — und nicht darum, zur bloßen Befriedigung der Leserneugier, zur Gewinnmaximierung der “Bild”-Zeitung und zum Antrieb der eigenen Karriere das Vertrauen eines alten Mannes zu missbrauchen und sein gesamtes Privatleben bis ins kleinste Detail an die Öffentlichkeit zu zerren.

Eichhörnchen, Daniel Ellsberg, Literaturclub

1. “#Heftigstyle: Bitte hört auf mit der Prostitution!”
(tobiasgillen.de)
Tobias Gillen warnt journalistisch arbeitende Titel davor, dem Clickbaiting-Erfolg “wie ein Eichhörnchen auf Speed seinen Nüssen” hinterherzurennen: “Qualitativ hochwertige Themen finden ihre Leser auch ohne solche Teaser. Und sie werden auch geteilt.”

2. “Der ‘Literaturclub’ und die ‘Besserwisser'”
(medienblog.blog.nzz.ch, Rainer Stadler)
Das Schweizer Fernsehens reagiert auf das von Elke Heidenreich erfundene Heidegger-Zitat mit dem Vorwurf an den (inzwischen von seiner Leitungsposition entbundenen) Moderator Stefan Zweifel, er habe sich “lehrerhaft und besserwisserisch” verhalten. “Ist jemand besserwisserisch, wenn er auf ein falsches Zitat mit heiklem Inhalt aufmerksam machen will? Nein, er nimmt in einem solchen Fall bloss seine journalistische Pflicht wahr.”

3. “‘Snowden würde direkt ins Gefängnis wandern'”
(freitag.de, Daniel Ellsberg)
Whistleblower Daniel Ellsberg begründet, warum er glaubt, dass Whistleblower Edward Snowden in den USA keinen fairen Prozess erhalten würde.

4. “‘Was bei Google unauffindbar ist, existiert für viele nicht'”
(tagesanzeiger.ch, Reto Hunziker)
Für 90 Franken die Stunde sucht Alexander Wenger nach Menschen: “Ich musste zum Beispiel herausfinden, wo ein Mann 1975 gewohnt hat. Das elektronische Archiv des Einwohnermeldeamtes reichte allerdings nur bis ins Jahr 2002 zurück. Teilweise haben die Beamten selbst keine Ahnung, dass ältere Daten beispielsweise im Keller des Gemeindehauses aufbewahrt werden.”

5. “Vergewaltigungswitz der @Bild-Zeitung kein Fall für den Presserat. Ihr erinnert euch?”
(upgrademeblog.com)
Andreas Weck erhält Post vom Presserat. Ein von ihm beanstandeter Witz in “Bild” sei kein Verstoß gegen den Pressekodex.

6. “Tankstelle überfallen: ‘Bild’-Sportreporter muss 13 Monate in JVA Landsberg einsitzen”
(der-postillon.com, Satire)

Der falsche Täter und andere Rügen

Die Beschwerdeausschüsse des Presserats haben in ihren jüngsten Sitzungen sechs Rügen, 20 Missbilligungen und 16 Hinweise ausgesprochen. Die Hälfte der Rügen ging an die “Bild”-Gruppe.

Etwa hierfür:

(Unkenntlichmachungen von uns.)

So hatten die Kölner “Bild”-Ausgabe und Bild.de Anfang des Jahres über ein Verbrechen in einem Dorf in Nordrhein-Westfalen berichtet. Die Redaktionen nannten den Vornamen, den abgekürzten Nachnamen sowie persönliche Details des Patensohns und zeigten ein Foto von ihm, das lediglich mit einem kleinen Alibi-Balken versehen war. Kurz darauf erwies sich der Mann jedoch als unschuldig (BILDblog berichtete).

Nach Ansicht des Presserats ist die Berichterstattung vorverurteilend und identifizierend und verstößt damit gegen Ziffer 13 (Unschuldsvermutung) des Pressekodex. “In Anbetracht des Ermittlungsstandes hätte über ihn nicht identifizierend berichtet werden dürfen”, befand der Ausschuss und sprach gegen “Bild” und Bild.de eine Rüge aus. Bei Bild.de ist der Artikel übrigens immer noch unverändert online.

Eine weitere Rüge erhielt Bild.de für die Berichterstattung über den Mord an einem zwölfjährigen Mädchen. Das Portal hatte den Artikel mit einem Foto des Kindes bebildert, obwohl Opfer von Verbrechen — insbesondere Minderjährige — laut Pressekodex besonderen Schutz genießen (Richtlinien 8.2 und 8.3). Die Redaktion argumentierte später, die Familie habe in der Lokalzeitung selbst eine Todesanzeige mit Foto veröffentlicht. Dieses Argument ließ der Presserat jedoch nicht gelten:

Aus einer Todesanzeige in einem anderen Medium, die sich an einen kleineren Personenkreis richtet, lässt sich nicht auf eine grundsätzliche Einwilligung zu einer identifizierenden Abbildung schließen. Zudem war in der Todesanzeige nicht die Rede von einem Gewaltverbrechen. Diesen Zusammenhang stellte erst BILD Online in der Berichterstattung her. Besonders schwer wog aus Sicht des Gremiums zudem, dass das Mädchen unmittelbar neben seinem Mörder abgebildet wurde. Dies verletzt die Gefühle der Angehörigen.

Die Nürnberger “Bild”-Redaktion wurde gerügt, weil sie über ein laufendes Strafverfahren wegen eines Drogendelikts berichtet und dabei viele Details zu dem Betroffenen genannt hatte. Der Presserat erkannte darin einen schweren Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit). Ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse an der identifizierenden Berichterstattung habe nicht bestanden. Dass sich die Redaktion auf die Beschwerde hin zwar bei dem Betroffenen, nicht aber bei den Lesern entschuldigt hatte, sei keine “ausreichende Wiedergutmachung im Sinne des Pressekodex”.

Doppelt gerügt wurde die Berichterstattung von Welt.de über den Suizid einer Nachwuchssportlerin. Die Redaktion hatte in zwei Artikeln (darum auch zwei Rügen) ausführlich über persönliche Details der jungen Frau geschrieben — etwa über ihre psychischen Probleme und die Beziehung zu ihrem Freund — und damit “tiefgreifend” in ihre Privatsphäre eingegriffen, wie der Presserat befand. “Zudem spekulierte die Redaktion über die Beziehung zwischen Eltern und Tochter und stellte hierdurch indirekt Schuldzuweisungen für den Suizid in den Raum.” Die Berichterstattung verstoße gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) und insbesondere Richtlinie 8.7 (Selbsttötung), nach der die Berichterstattung über Suizide Zurückhaltung gebietet — vor allem mit Blick auf mögliche Nachahmer.

Übrigens hatten auch andere Medien detailliert über den Suizid berichtet und über die Hintergründe spekuliert. Beim Presserat gingen aber nur Beschwerden über Welt.de ein.

“Focus Online” schließlich wurde mit einer Rüge belegt, weil das Portal “unangemessen sensationell” über einen Überfall in Ecuador berichtet hatte. Auf einem Video war unter anderem ein blutüberströmtes Opfer zu sehen, das aus einem Bus stürzte. Aus Sicht des Presserats verstößt die Darstellung der sterbenden Menschen gegen Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. “Focus Online” argumentierte zwar, das Video sei zu Fahndungszwecken der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, doch das ließ der Beschwerdeausschuss nicht gelten. Die Täter seien zum Zeitpunkt der Berichterstattung bereits gefasst, der Fahndungszweck also nicht mehr gegeben gewesen.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Von den 20 Artikeln, die missbilligt wurden, erschienen sieben in “Bild” bzw. bei Bild.de.

Ein Brief von Franz Josef Wagner wurde missbilligt, weil er darin den Ex-Präsidenten der Ukraine als “egoistisches, luxuriöses Schwein” bezeichnet hatte. Diese Herabwertung verstoße gegen Ziffer 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde), entschied der Beschwerdeausschuss.

Missbilligt wurden außerdem das Foto von einer privaten Trauerfeier, das Foto eines flüchtenden Ladendiebes und der Screenshot eines Facebook-Profils, auf dem persönliche Details zu Täter und Opfer einer Straftat zu erkennen waren (alles bei Bild.de erschienen; jeweils Verstöße gegen Ziffer 8).

Außerdem zeigte Bild.de ein Foto, auf dem ein Feuerwehrmann ein lebloses Kind in den Armen hält. Zwar war der Körper des Jungen einigermaßen verpixelt worden, dennoch wertete der Presserat die Darstellung als unangemessen sensationell (Ziffer 11), vor allem auch, weil die Bildunterschrift suggerierte, dass es sich um ein totes bzw. sterbendes Kind handele.

Gleich zwei Missbilligungen gab es für die Berichterstattung über einen mutmaßlichen Piraten aus Somalia, der von Bild.de vorverurteilt (Ziffer 13) und von der gedruckten “Bild” ohne Unkenntlichmachung gezeigt wurde (Ziffer 8).

Weitere Missbilligungen gingen an “Bunte” und Bunte.de (für die Weight-Watchers-PR-Geschichte mit Julia Klöckner), “Playboy”, “Fränkischer Tag Online”, taz.de, “Buxtehuder/Stader Tageblatt”, Derwesten.de, “Hundeleben”, “Express”, Ruhrbarone.de und Tagesspiegel.de.

Man könnte sich das selbst nicht ausmalen

Immer dann, wenn ein Mensch von einer Heuballen-Maschine zerschreddert wird oder sich beim Kitesurfen aus Versehen selbst erdrosselt, wenn jemand überfahren, ertränkt, vom Blitz erschlagen, erschossen, verbrannt, in Stücke gehackt oder auf eine andere brutale oder “bizarre” Weise getötet, verletzt oder gedemütigt wird, immer dann ärgert sich die “Bild”-Zeitung, dass sie nicht mit dabei war.

Aber sie weiß sich zu helfen. Statt grausamer Fotos gibt’s dann eben so etwas:

(Nachtrag, 13. September: Wir haben die erste Zeichnung — “Bauernsohn von Heumaschine zerschreddert” — ausgetauscht, weil sie vom Presserat missbilligt wurde.)

Immerhin kann man den “Bild”-Zeichnern nicht vorwerfen, sie würden sich keine Mühe geben. Beim “Express” dagegen, wo sie sich am Wochenende ebenfalls an einer Illustration versucht haben, wurden nicht nur die moralischen (sofern vorhanden), sondern gleich auch alle ästhetischen Ansprüche mit Schmackes über Bord geworfen:Ausriss:

“Haut endlich ab!”

Gestern Nachmittag schrieb Bild.de im MH370-Liveticker:

Bei den Angehörigen kochen die Emotionen hoch. Im Pekinger Lido Hotel kommt es zu Tumulten. Wütende Verwandte gehen auf wartende Medienvertreter los. Eine Frau schlägt mit der Tasche auf Kameras ein. “Haut ab!”, schreit sie.
Zuvor waren mehrere Verwandte mit tränenüberströmten Gesichtern aus dem Raum gekommen und von Reportern gejagt worden. Einige brachen vor laufenden Kameras auf dem Weg zusammen. Mehrere mussten mit Krankenwagen weggebracht werden.

Und was macht man bei Bild.de mit Menschen, die voller Verzweiflung auf Kameras einprügeln, weil sie endlich in Ruhe gelassen werden wollen, die von Reportern gejagt werden und vor laufenden Kameras tränenüberströmt zusammenbrechen? Genau: Man zeigt ohne Ende die unter diesen Umständen gemachten Fotos von ihnen.

Drei Stunden nach der Ticker-Nachricht veröffentlichte Bild.de über ein Dutzend solcher Aufnahmen — in einem einzigen Artikel.

Wir beschränken uns hier auf die Bildunterschriften:
Schreie der Verzweiflung Viele Angehörige brechen nach der Todesnachricht im Hotel Lido zusammen Wut bei diesem Angehörigen Ein Hinterbliebener nach der Hiobsbotschaft Nach zwei Wochen verlassen gebrochene Angehörige das Hotel Lido in Peking Verwandte von vermissten Passagieren rücken in ihrer Trauer zusammen Unerträglichen Leid Verzweifelt schlägt die junge Frau die Hände vor das Gesicht Tränen bei dieser Hinterbliebenen
 Schmerz
 Eine Angehörige bricht zusammen Eine ohnmächtige Frau wird zu einem Rettungswagen geschoben Trauer
Bild.de ist nicht das einzige Medium, das darin offenbar keinen Widerspruch sieht — oder ihn schlicht ignoriert. Auch “RP Online” schrieb gestern Abend:

Empörung lösen auch die vielen Medienvertreter aus. Sie machen in dem Hotel geradezu Jagd auf die trauernden Verwandten, sobald sie aus dem Saal herauskommen. Es kommt zu Tumulten zwischen verärgerten Angehörigen und Reportern. Mehrere Verwandte schlagen auf Kamerateams ein. “Haut ab, haut ab, haut endlich ab!”, kreischt eine Frau mit verweintem Gesicht. Sie schlägt mit der Tasche gegen eine Kamera. “Lasst uns endlich in Ruhe!”, ruft wütend eine andere Frau.

… und als hätte es diesen Absatz niemals gegeben, werden in der dazugehörigen Klickstrecke auf sieben von acht Fotos trauernde Angehörige gezeigt. Auch “T-Online”, “FR Online”, N24.de, die Münchner “Abendzeitung” und viele andere Medien haben solche Klickstrecken veröffentlicht.

Sicher: Fotos von Trauernden sind nicht per se zu verurteilen. Der Presserat befand etwa nach dem Amoklauf von Winnenden, dass die Veröffentlichung eines Fotos von zwei weinenden Schülerinnen nicht gegen den Pressekodex verstoße — es dokumentiere, im Gegenteil, “auf eindrucksvolle Weise die Trauer und die Verzweiflung”, die nach der Tat herrschten (PDF, S. 20).

Aber gleich zig Bilder von verzweifelten Menschen zeigen, von denen man genau weiß, dass sie nicht fotografiert werden wollen?

Selbst die “Tagesschau” hat damit kein Problem. In der Ausgabe am gestrigen Abend waren fast 30 Sekunden am Stück ausschließlich trauernde und zusammenbrechende Angehörige zu sehen, und Menschen, die sich verzweifelt dagegen wehren, gefilmt zu werden, was offenbar besonders reizvoll-dramatische Aufnahmen produziert. Screenshot: "Tagesschau" vom 24. März 2014, 20 Uhr
Die Sequenz endet damit, wie der Kameramann mit einem hektischen Zoom versucht, noch einen letzten Blick ins Innere des Hotels zu erhaschen, bevor die Tür endlich zugemacht wird.

Mit Dank auch an Daniel.

Nachtrag, 26. März: Auf Anfrage erklärte uns “Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke: “Wir haben in der Nachbesprechung der Sendung diese Szene kritisch diskutiert. Im Nachhinein fanden wir es problematisch, diese Menschen zu zeigen unmittelbar nachdem sie die Todesbestätigung ihrer Angehörigen erhalten haben. In einer vergleichbaren Situation würden wir die Szene wesentlich kürzer zu zeigen und auf Großeinstellungen der Trauernden verzichten.”

Gala  

Grenzüberschreitung mit Kleinwagen

Für ihre vorige Ausgabe hatte die “Gala” — das Gruner+Jahr-People-Magazin, das gerne mit seinen “ehrlichen Interviews” wirbt — zwei “Top-Stars in Film und Fernsehen” zum Gespräch gebeten. Mit Nadja Uhl und Karoline Herfurth plauderte das Blatt über “falsche Klischees und echte Wahrheiten, über kleine Zicken und große Gefühle”. Und über Opel. Insbesondere über Opel.

Denn der Anlass für das Interview war nicht etwa ein neuer Kinofilm, sondern

die neue Image-Kampagne “Umparken im Kopf” des Autokonzerns Opel, in der Uhl und Herfurth an der Seite von weiteren deutschen Stars mitwirken.

Passend zum Slogan unterhalten sich “Gala”, Uhl und Herfurth also erst mal über Vorurteile (“Nadja, Sie sind blond und haben blaue Augen, sehen toll aus. Da ist man doch prädestiniert für bestimmte Vorurteile, oder?”), um dann elegant zum PR-Teil überzuleiten:

Nun sind Sie beide in der Opel-Kampagne “Umparken im Kopf” zu sehen. Hatten Sie denn selbst auch Vorurteile gegen diese Automarke?

Und so erfahren wir, dass Karoline Herfurth es bis heute “doof” findet, dass sie sich nie einen Opel Corsa gekauft hat. Und dass sie ja gar nicht wusste, dass der Manta auch von Opel ist. Und dass sie “total überrascht” war, als sie zum ersten Mal einen Opel Ampera gefahren ist, der übrigens “keinen Lärm” macht und “die Umwelt nicht” verschmutzt, und wussten Sie eigentlich schon, dass Opel “den ersten alltagsgebräuchlichen E-Wagen auf den Markt gebracht” hat?

Nadja Uhl hingegen war sich angeblich “bis vor Kurzem” gar nicht im Klaren darüber, “dass es Opel überhaupt noch gibt!” Inzwischen weiß sie es und findet “den Adam sehr süß”, also den Opel Adam. “Vor allem die ‘Rocks’-Version, die im Herbst rauskommt”. Ein Fahrzeug übrigens, das sich Uhl “auch privat kaufen würde! Es ist für mich authentisch, weil man es sich leisten kann.”

Wir halten also fest: Weil die beiden Schauspielerinnen gerade überall Werbung für Opel machen, dürfen sie auch in der “Gala” Werbung für Opel machen. Und später im Blatt darf Opel selbst auch noch mal Werbung für Opel machen:
opel_anzeige_gala

Das riecht doch … Aber nein, es handele sich “natürlich nicht um Schleichwerbung”, sagte “Gala”-Chefredakteur Christian Krug gegenüber dem “Tagesspiegel”. Und warum? Weil “wir schon im ersten Absatz den Lesern erklären, dass der Anlass des Gesprächs mit den beiden Schauspielerinnen ihr ungewöhnliches Engagement für einen Autohersteller ist”. Aha.

Der Leser werde nicht in die Irre geführt, sondern “von uns im Gegenteil darüber aufgeklärt, warum die Schauspielerinnen bei dieser Kampagne mitwirken. Denn das wird sich der ein oder andere Leser von uns gefragt haben. Wir geben Antworten auf diese Frage.” Und diese Antworten lauten nun mal (zusammengefasst): Opel ist supertoll.

Aber natürlich hat der Konzern “in keiner Weise Einfluss auf die Gesprächsführung genommen”, wie Krug beteuert. Solche Kooperationen habe die “Gala” auch nicht nötig, schließlich stehe sie “wirtschaftlich sehr gut” da.

Der Presserat sieht die Sache aber kritisch. Sprecherin Edda Kremer sagte dem “Tagesspiegel”: “Wenn Prominente für ein Produkt werben, darf darüber durchaus berichtet werden. Problematisch ist es allerdings, wenn sie ausgiebig über die Produktpalette schwärmen dürfen, für die sie selbst werben”. Das “Gala”-Interview sei also “sehr kritikwürdig” und verstoße möglicherweise gegen den Pressekodex (Ziffer 7: Trennung von Werbung und Redaktion). Mindestens eine Beschwerde liegt dem Presserat bereits vor.

Ironischerweise lautet die Überschrift des kritisierten Artikels:
opel_titel
Ein bisschen ehrlicher scheint uns da doch die Artikel-Ankündigung im Inhaltsverzeichnis der “Gala”, wo es heißt:

“Wir sind mit Grenzüberschreitungen vertraut!”

Von “Gipsy-Banden” und “Terror-Transen”

Vor einem halben Jahr wurde bei einer griechischen Roma-Familie ein blondes Mädchen entdeckt und von den Behörden in Obhut genommen. Schnell stand für viele Medien fest, dass das Kind entführt worden war und nun “aus den Fängen einer Roma-Bande befreit” wurde (Bild.de). Kurz darauf kehrte das Mädchen jedoch wieder zu seiner Familie zurück — der Verdacht der Kindesentführung hatte sich nämlich als unbegründet herausgestellt.

Genauso verhielt es sich in einem weiteren Fall, diesmal in Irland, der sich kurze Zeit später abspielte. Polizisten hatten auch dort ein blondes Kind aus einer Roma-Familie geholt, später belegte aber ein DNA-Test, dass es tatsächlich zur Familie gehörte.

Und obwohl der Verdacht schon ausgeräumt war, schrieb Bild.de:

[…] am Dienstag wurde ein Mädchen aus einer Siedlung nahe Dublin gerettet. Wie viele blonde und blauäugige Mädchen leben noch bei Roma-Familien in Europa – und warum?

Nach Ansicht des Presserats ist diese Bildunterschrift diskriminierend. Die Formulierung “gerettet” sowie die Suggestivfrage seien “dazu geeignet, Vorurteile gegen die Volksgruppe der Roma zu schüren” (Ziffer 12 des Pressekodex). Der Beschwerdeausschuss, der vergangene Woche getagt hat, sprach deshalb eine Rüge gegen das Portal aus.

Inzwischen hat Bild.de das Wort “gerettet” durch “geholt” ersetzt und unter der Bildunterschrift sogar die Rüge veröffentlicht. Am Titel der Klickstrecke hat sich aber nichts geändert — der lautet weiterhin: “Polizei rettet Mädchen vor Gipsy-Bande”.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Presserat kritisierte noch einen weiteren Bild.de-Artikel, darin ging es um einen Gerichtsprozess in Berlin. Die Überschrift lautete:

Stöckelte Terror-Transe einer Frau das Auge kaputt?

Insbesondere der Begriff “Terror-Transe” könne Vorurteile schüren und Transsexuelle herabwürdigen, befand der Ausschuss und sprach einen “Hinweis” gegen Bild.de aus.

Insgesamt verteilte der Presserat fünf Rügen, 14 Missbilligungen und 15 Hinweise.

Eine Rüge bekam der Online-Auftritt der niedersächsischen Zeitung “Die Harke”. Das Portal hatte ein Foto der Privatwohnung von Sebastian Edathy veröffentlicht, das ein Reporter während der polizeilichen Durchsuchung durch das Fenster geschossen hatte. Der Presserat wertete die Veröffentlichung als einen schweren Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit (Ziffer 8). Der private Wohnsitz genießt nach Richtlinie 8.8 des Pressekodex besonderen Schutz.

Eine weitere Rüge erging an FAZ.net, weil die Redaktion über eine mögliche psychische Erkrankung des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst spekuliert hatte. Der Bruder des Bischofs habe darüber angeblich mit “Vertrauten” gesprochen, schrieb FAZ.net. Eine Stellungnahme des Bischofs oder seines Bruders enthielt der Artikel aber nicht. Damit habe die Redaktion die Privatsphäre des Bischofs verletzt und gegen den Pressekodex verstoßen, befand der Presserat. Über Krankheiten dürfe nur mit Zustimmung der Betroffenen berichtet werden (Richtlinie 8.6). Der Artikel stand übrigens auch in der Print-Ausgabe der “FAZ”, aber über die hat sich offenbar niemand konkret beim Presserat beschwert.

Die “Dithmarsche Landeszeitung” wurde für die Veröffentlichung eines Leserbriefs gerügt, der unter anderem Antisemitismus und staatliche Euthanasie in der NS-Zeit relativiert hatte.

Die fünfte Rüge kassierte schließlich “Das goldene Blatt” aus dem Funke-Verlag. Die Redaktion hatte einen Artikel, der 2009 entstanden und in mehreren Zeitungen erschienen war, fast vier Jahre später einfach noch mal veröffentlicht — ohne Zustimmung der Betroffenen. Die Lebensumstände der Frau, um die es in dem Text geht (“‘Ich lebe im Wohnmobil'”), hatten sich in der Zwischenzeit aber grundlegend verändert. “Das goldene Blatt” habe damit gegen den Schutz der Persönlichkeit verstoßen, befand der Presserat: Vor einer neuen Veröffentlichung hätte die Redaktion die Fakten überprüfen und eine erneute Einwilligung der Frau einholen müssen.

Nicht geahndet wurde hingegen das “Titanic”-Cover zu Michael Schumacher. Das Satire-Magazin hatte getitelt:

Erstes Foto nach dem Unfall: So schlimm erwischte es Schumi

… und dazu ein Foto von Niki Lauda gezeigt.

Der Presserat bewertete das Cover als “eine kritische Auseinandersetzung mit dem Medienrummel um Michael Schumachers Gesundheitszustand und der Jagd der Reporter nach Fotos von dem Verunglückten” (BILDblog berichtete). Weil das Foto neutral sei und die Unfallverletzungen von Lauda nicht in den Mittelpunkt gestellt würden, sei es nicht herabwürdigend.

Werben mit den Opfern

In der vergangenen Woche sind bei einem Wohnungsbrand in Mannheim drei kleine Kinder gestorben. Bundesweit wurde über den traurigen Fall berichtet, natürlich auch in “Bild”, blatthoch in der Bundesausgabe:

Reporterin Janine Wollbrett schildert, wie “qualvoll” die Kinder ums Leben gekommen sind, lässt Zeugen, Feuerwehr und Oberbürgermeister zu Wort kommen und spekuliert über die Brandursache. Im Grunde tut sie also das, was auch andere Medien tun — mit einem Schuss mehr Sensationsgeilheit, versteht sich, und mit der Besonderheit, dass auch die Namen der Opfer genannt werden, das ist für das Blatt ja üblich in solchen Fällen und macht “Bild” nun mal zu “Bild”.

Genau wie das, was ein paar Tage später passierte. Gestern nämlich erschien in der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de Folgendes:

Stolz präsentiert Janine Wollbrett “eines der letzten Fotos der 3 toten Kinder”, das sie offenbar im Verwandten- oder Freundeskreis der Familie aufgetrieben hat. “Witwenschütteln” hieß das früher mal, das Blatt selbst umschreibt es aber lieber so:

Jetzt sprach BILD erstmals mit der bulgarischen Familie über die Tragödie!

Mit wem genau sie gesprochen hat, verrät die Reporterin nicht. Zitiert werden lediglich “eine Verwandte” und “eine Freundin” — mit der Mutter aber, die “Bild” ebenfalls im Foto zeigt, hat sie sich offenbar nicht unterhalten. Wie auch? Sie “steht bis heute unter Schock”, wie “Bild” selbst schreibt, “muss starke Medikamente nehmen” und liegt vermutlich noch im Krankenhaus. Es ist also sehr fraglich, ob die Mutter ihr Einverständnis für die Veröffentlichung der Fotos gegeben hat. Es ist ja sogar fraglich, ob sie überhaupt davon wusste.

Dabei gibt es, gerade in solchen Fällen, strenge Regeln für Journalisten. Erst im vergangenen Jahr hat der Presserat Ziffer 8 des Pressekodex (“Schutz der Persönlichkeit”) überarbeitet, um die Opfer von Straftaten und Unglücken besser vor identifizierender Berichterstattung zu schützen. Es wurde sogar extra eine neue Richtlinie (8.3) hinzugefügt, in der die Journalisten darauf hingewiesen werden, “dass insbesondere bei der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle Kinder und Jugendliche in der Regel nicht identifizierbar sein sollen”.

Generell gilt:

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Ob “Bild” in diesem Fall die Erlaubnis hatte, die Namen und Fotos zu veröffentlichen, wissen wir nicht. Wir gehen aber — schon allein aus Erfahrung — eher nicht davon aus.

Mit den Fotos lässt sich dann, wenn man genügend wenig Skrupel hat, sogar für den Verkauf des eigenen Blattes werben, nämlich so:

via @KaeptnEmo.

Zum Täter gemacht

In einem Dorf in Nordrhein-Westfalen ist vor zwei Wochen eine 61-jährige Frau getötet worden.

Für die Kölner “Bild”-Ausgabe stand der Täter schnell fest:Patensohn schlägt liebe Oma (†61) tot

(Die Gesichter und Namen haben wir unkenntlich gemacht.)

Selbst ein mögliches Motiv lieferte das Blatt:Sie soll ihn auf frischer Tat beim Klauen erwischt haben

Gegen den Patensohn war zwar tatsächlich ein Haftbefehl wegen Mordes erlassen worden; er selbst schwieg aber zunächst und wies die Vorwürfe dann zurück.

Jetzt stellte sich heraus: Er ist offenbar unschuldig. Vergangene Woche wurde nämlich ein anderer Mann verhaftet, der die Tat gestanden hat.

Der Patensohn ist inzwischen freigelassen worden. Bei Bild.de wird er — samt Foto, abgekürztem Namen und Motiv — aber immer noch als Täter präsentiert.

Mit Dank an Eva.

Nachtrag: “Bild” und Bild.de sind für die Berichterstattung vom Presserat gerügt worden.

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