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Fallen, Fake, Alarm: Die Paris-Berichterstattung von Bild.de

“Sehr reibungslos und sehr schnell und sehr professionell“ sei die “Bild”-Berichterstattung über die Anschläge von Paris abgelaufen, hat Bild.de-Chef Julian Reichelt gestern im “Aufwachen!”-Podcast erzählt. Die “Bild”-Medien hätten ihren Usern und Lesern …

alles geboten, was es an Nachrichtenlage gab, ohne, das kann man jetzt mit dem Rückblick sagen, in irgendeine Falle zu tappen, irgendeinen Fake zu veröffentlichen, der kursiert hat, ohne, aus meiner Sicht, eine zu alarmistische Sprache zu verwenden, was ja in dieser Situation gerade mit der Flüchtlingskrise in Deutschland meiner Meinung nach sehr wichtig ist, da nicht auf Sprache hereinzufallen, die sozusagen dann eine Religion kriminalisiert, sondern die nah bei den Fakten bleibt, und ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen.

Es ist schon sehr bezeichnend für Julian Reichelt und sein Verständnis von Journalismus, dass er offenkundig stolz auf diese Punkte ist, aber es ist noch bezeichnender, dass keiner davon stimmt.

Fangen wir mit einem harmlosen Beispiel an:

Der Eintrag stammt aus dem Liveticker von Bild.de. Damit verbreitete das Portal einen der ersten Fakes, die nach den Anschlägen kursierten. In Wahrheit wurde die Beleuchtung des Empire State Buildings am Freitagabend ausgeschaltet. Rot-weiß-blau beleuchtet war es im Januar nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“.

Eine andere Falschmeldung, die (nicht nur) von Bild.de verbreitet wurde, ist die mit der Playstation.

Nach den Terror-Anschlägen in Paris hat Belgiens Innenminister davor gewarnt, dass die Playstation 4 sich bei Terroristen zunehmender Beliebtheit erfreut.

Grund: die Spielkonsole bietet ein eigenes Netzwerk für private Gruppen und Sprach-Chats. Zudem gibt es die Möglichkeit, direkt in Online-Spielen zu kommunizieren. (…)

Auch bei den Ermittlungen zu den Anschlägen in Paris sollen in Brüssel Beweise gefunden worden sein, die nahelegen, dass die Attentäter mindestens eine PS4-Konsole genutzt haben, berichtet „Forbes“.

Es stimmt, dass der belgische Innenminister gesagt hat, Terroristen könnten die Playstation als Kommunikationskanal benutzen. Das war allerdings am 10. November — drei Tage vor den Anschlägen in Paris.

Auch dass bei den Ermittlungen irgendwelche PS4-Beweise gefunden worden seien, ist falsch. Der Autor des „Forbes“-Artikels hat auf Nachfrage des Videospiel-Portals kotaku.com gestern eingeräumt:

“This was actually a mistake that I’ve had to edit and correct,” writer Paul Tassi told me this afternoon. “I misread the minister’s statement, because even though he was specifically saying that PS4 was being used by ISIS to communicate, there is no public list of evidence list of what was found in the specific recent raids. I’ve edited the post to reflect that, and it was more meant to be about discussing why or how groups like ISIS can use consoles. It’s my fault, as I misinterpreted his statement.”

Immerhin: Heute hat Bild.de den Artikel korrigiert.

Ein anderes Beispiel. In den ersten Stunden nach Bekanntwerden der Ereignisse verkündete Bild.de immer neue Opferzahlen:



Laut offiziellen Angaben (Stand 15. November) gab es 129 Tote.

Natürlich war die Lage in den Stunden nach den Anschlägen völlig chaotisch, niemand konnte genau sagen, wie viele Menschen getötet wurden oder was überhaupt passiert war. Aber wäre es nicht gerade in solchen Situationen die Aufgabe von Journalisten, die gesicherten Informationen zusammenzutragen, statt Gerüchte als Gewissheiten zu verkaufen und mit Ausrufezeichen in die Welt zu posaunen?

Welche Folgen so etwas unter Umständen haben kann, zeigt ein anderer Fall.

Am Samstag tauchten Berichte auf, nach denen an einem der Anschlagsorte der Pass eines syrischen Flüchtlings gefunden wurde. Wenig später teilte der griechische Minister für Migration mit, dass der Pass im Oktober von einem Flüchtling zur Einreise nach Griechenland benutzt worden sei.

Viele Medien warnten daraufhin vor voreiligen Schlussfolgerungen. Es sei „noch völlig unklar, ob es sich bei dem Mann, auf den der Pass ausgestellt ist, auch tatsächlich um den toten Attentäter handelt“, schrieb etwa sueddeutsche.de am Sonntagabend:

Zwischen all den Toten lag ein syrischer Pass. In der Nähe eines der Männer, die sich am Freitag während des Länderspiels in Paris am Stadion in die Luft sprengten, wurde das Dokument gefunden. Es wurde Anfang Oktober bei der Einreise nach Griechenland genutzt, der Besitzer ließ sich als Asylbewerber registrieren. Sollten einer oder mehrere Attentäter auf diesem Weg nach Europa gekommen sein, wäre das eine Steilvorlage für jene Politiker und Gruppen, die versuchen, das Attentat in Zusammenhang mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen zu bringen. Sie wollen die Flüchtlingsdebatte mit jener über Terrorismus verknüpfen. Doch noch ist es zu früh, um eindeutig zu sagen, ob tatsächlich ein Syrer an den Anschlägen beteiligt war.

Dennoch verkündete Bild.de schon am Samstag:


Da war sie also, die Steilvorlage.



Noch einmal: Zu diesem Zeitpunkt war lediglich klar, dass der Pass eines angeblichen syrischen Flüchtlings in der Nähe des Stade de France gefunden wurde. Dass er dem Attentäter gehörte, war eine Mutmaßung, kein Fakt. Er hätte auch einem der Opfer gehören können. Oder jemand ganz anderem.

Es gab beispielsweise auch Berichte von einem ägyptischen Pass, der an einem Anschlagsort gefunden wurde. Einige Medien behaupteten auch in diesem Fall, er gehöre einem der Terroristen. Inzwischen hat der ägyptische Botschafter in Paris mitgeteilt, dass der Besitzer des Passes keiner der Attentäter sei, sondern eines der Opfer — ein Fußballfan, der bei den Anschlägen schwer verletzt wurde.

Was, wenn sich herausgestellt hätte, dass es im Fall des syrischen Passes ähnlich war?

Dieser Frage kann Bild.de jetzt allerdings locker aus dem Weg gehen, denn seit gestern gibt es neue Erkenntnisse: Die französische Staatsanwaltschaft gab bekannt, dass die Fingerabdrücke eines der Attentäter zu denen eines Mannes passen, der im Oktober als Flüchtling in Griechenland registriert wurde.

Wie wir Julian Reichelt und seine Truppe kennen, werden sie darin vermutlich den Beleg sehen, dass sie von Anfang an Recht hatten, dass sie das mit dem Flüchtling schon wussten, bevor es die Staatsanwaltschaft wusste, weil sie ja so reibungslos und schnell und professionell arbeiten. Und nicht, dass sie einfach bloß geraten haben, bevor es überhaupt irgendwelche Belege gab.

Mit Dank an Martin, Christoph und Peter W.

Eingriff durch Arbeitgeber, Polens Mediensystem, Déjà-vu im “Tatort”

1. Vertriebsverbot für BPB-Publikation: Wir veröffentlichen alle Dokumente
(blog.fragdenstaat.de)
Die “Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände” (BDA) hatte es durch eine Beschwerde beim Bundesinnenministerium (BMI) hinbekommen, die Auslieferung einer Publikation der “Bundeszentrale für politische Bildung” (bpb) zu stoppen (siehe Link Nummer 1 und netzpolitik.org). “Frag den Staat” veröffentlicht nun den dazugehörigen Schriftverkehr zwischen BDA, BMI und bpb.

2. Polen plant Umbau seines Mediensystems
(sueddeutsche.de)
Staatliche Medien sollen “wirklich staatlich” werden, ausländische Verlage sollen aus dem Zeitungsmarkt gedrängt werden: Das, was Polens neuer Kulturminister und seine Kollegen in der polnischen Regierung planen, klingt nach einer Rückeroberung des eigenen Mediensystems.

3. “Unsere Branche will Themen managen, ohne sie im Ansatz zu begreifen”
(kress.de)
Christoph Reuter berichtet seit Jahrzehnten aus Kriegs- und Krisengebieten, aktuell als “Spiegel”-Korrespondent aus der arabischen Welt. Im Interview mit “Kress” spricht er über Stringer, die “Gleichgültigkeit unserer Branche” gegenüber der Recherche und die Unterschiede im Arbeitsumfeld von Bundeswehr, US-Militär, PKK und Taliban.

4. Terror in Little Saigon
(propublica.org, Adam Clay Thompson, englisch)
Zwischen 1981 und 1990 kam es in den USA zu einer Reihe von Morden an vietnamesisch-amerikanischen Journalisten. Das FBI vermutete damals, dass es sich um politisch motivierte Taten handelte; wirklich großes Interesse erzeugten die Fälle allerdings nicht. Adam Clay Thompson hat den fünf Toten hinterherrecherchiert und bei “ProPublica” ein langes Lesestück veröffentlicht.

5. Ahnungslose Siedler im Neuland
(operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Was will der DJV eigentlich mit seiner Kritik an der Informationsstrategie des Bundespresseamtes über Facebook sagen? Ralf Heimann hat da eine Idee. Thomas Knüwer beklagt indes, dass der DJV “konservative, tradierte Werte” pflege. Und Wolfgang Luef kommentiert, der Verband der Berufstelegrafen beschwere sich, dass Politiker jetzt auch telefonieren. Der DJV sieht das alles naturgemäß anders.

6. Déjà-Vu-Erlebnisse im neuen Berlin-Tatort
(absolutobsolet.blogspot.de, Tobias Mandelartz)
Der RBB-“Tatort” vom vergangenen Sonntag glänzt mit Wiedererkennungswert: Tobias Mandelartz hat entdeckt, dass in jeder U-Bahn-Szene derselbe blonde Mann neben den Hauptdarstellern durchs Bild läuft.

Belästigung durch Journalisten, Angriff auf Redaktion, Rufmord

1. Journalisten belästigen Wallenfelser
(infranken.de, Corinna Igler)
Im fränkischen Wallenfels sind in einem Haus acht Babyleichen gefunden worden, viele Medien berichten ausgiebig. “Durch den Ort fahren Autos mit Kennzeichen aus München, Köln und sämtlichen anderen großen Städten, Kleinbusse mit Filmteams sind auch zwei Tage nach dem grausigen Fund noch vor Ort”, schreibt Corinna Igler. Die Journalisten bedrängten einige Anwohner derart, dass diese die Polizei rufen mussten.

2. “Freie Presse”-Redaktion in Glauchau angegriffen
(freiepresse.de, Julia Lappert)
Gestern Abend wurde die Lokalredaktion der “Freien Presse” in Glauchau (Sachsen) angegriffen. Bislang unbekannte Täter warfen mehrere Ziegelsteine in die Redaktion und die Geschäftsstelle. “Die Angreifer müssen von der Straße aus zumindest einen der Reporter gesehen haben, da noch Licht brannte. Dass Personen bei dem Angriff zu Schaden hätten kommen können, haben sie offenbar in Kauf genommen.”

3. Roland Tichy und die Neue Rechte
(starke-meinungen.de, Alan Posener)
In der “Welt” verteidigt sich Roland Tichy gegen Vorwürfe, er sei Teil der “Neuen Rechten”. Alan Posener hält seine Entgegnung für “ein Dokument des Rechtspopulismus” — und zwar wegen eines einzigen Satzes, der Tichy als Rechtspopulisten entlarve: “Wo ist die Entscheidung darüber gefallen, in Rekordzeit die Bevölkerungsstruktur in Deutschland in vielfacher Hinsicht zu verändern?”

4. Rhetorisches Rudern eines Rufmörders
(taz.de, Joseph Wälzholz)
Der Germanistikprofessor und Bachmannpreis-Juror Klaus Kastberger warf Autor Daniel Kehlmann im Oktober vor, “Wikipedia abzuschreiben und daraus Romane zu basteln”. Kehlmann forderte daraufhin Belege. Nun habe Kastberger eine beachtenswerte Kehrtwende hingelegt: Er habe das ganz anders gemeint, außerdem sei es völlig legitim, als Romanautor aus Wikipedia abzuschreiben, und mit Wikipedia habe er letztlich auch gar nicht Wikipedia gemeint.

5. “You won’t read about this in the media, but…”
(medium.com, Martin Belam, englisch)
Nach den Anschlägen in Paris und der breiten Berichterstattung dazu kamen recht schnell die ersten anklagenden Stimmen, dass über die Anschläge in Beirut wenige Tage zuvor niemand berichtet hatte. Grundsätzlich könne er eine Debatte über die Verhältnismäßigkeiten nachvollziehen, schreibt Martin Belam. Zum Vowurf an sich sagt er allerdings: “But it’s just blatantly untrue.”

6. Social Media Rumours About The Paris Attacks That You Shouldn’t Believe
(buzzfeed.com, Tom Phillips, Adrien Sénécat und Jim Waterson, englisch)
Nein, das Empire State Building erstrahlte nicht blau-weiß-rot. Nein, Uber erhöhte nach den Terroranschlägen in Paris seine Preise nicht. Nein, ein tausendfach geteiltes Bild zeigt keine Solidaritätskundgebung in Deutschland (sondern eine Pegida-Demo in Dresden). “Buzzfeed” hat zwölf Falschinformationen und Gerüchte gesammelt, die sich am Wochenende in den sozialen Medien verbreiteten — und teilweise sogar von großen Medien wie der “New York Post” in die Welt gesetzt wurden.

Zur Berichterstattung über die Anschläge von Paris veröffentlichen wir im Laufe des Tages noch eine gesonderte Link-Übersicht.

Der Hofnarr des Kaisers

Eins muss man Alfred Draxler lassen: So langsam erkennt der Chefredakteur der “Sport Bild” den Mist, den er selbst gebaut hat:

So viel mehr, als sich beim “Spiegel” und dessen Chefredakteur Brinkbäumer für den Hitler-Tagebücher-Vergleich, den Polterauftritt beim “Sport1”-Fußballtalk “Doppelpass” und all die anderen Sticheleien zu entschuldigen, blieb ihm allerdings auch nicht übrig. Denn inzwischen scheint recht klar, dass Draxlers Kumpel Franz Beckenbauer, den er stets verteidigt hat, bei der Vergabe der Fußball-WM einen Bestechungsversuch zumindest geplant hat. Ein Vertragsentwurf mit Beckenbauers Unterschrift lässt das vermuten.

Das sieht seit heute auch Alfred Draxler ein:

Er klingt zerknirscht:

Ich hätte es mir nie vorstellen können. Ich habe immer daran geglaubt, dass wir die WM 2006 auf saubere Art bekommen haben.

Heute früh musste ich aber bei BILD.de berichten, dass beim DFB ein Vertragsentwurf aufgetaucht ist, der möglicherweise als Bestechungs-Versuch benutzt werden sollte. Schon das Datum sagt viel aus: Vier Tage vor der WM-Vergabe am 6. Juli 2000!

Unterschrieben hat dieses Papier mein langjähriger Freund FRANZ BECKENBAUER!!

Bisher dachten wir, Draxlers “Intensivrecherche” fuße einzig auf langen und intensiven Gesprächen mit guten und sehr guten Freunden, die gleichzeitig auch die Beschuldigten in der Affäre sind, zu der Draxler recherchiert hat. Es ist aber noch viel trauriger: Sie fußt vor allem auf Glauben und Nicht-Vorstellen-Können.

Dafür war Draxlers Caps-lock-Ankündigung in seinem “Das Sommermärchen war nicht gekauft”-Kommentar vom 22. Oktober ausgesprochen mutig:

ICH BIN MIR BEWUSST, DASS ICH MIT DIESEM ARTIKEL MEINE REPUTATION ALS JOURNALIST UND REPORTER AUFS SPIEL SETZE.

Höchstwahrscheinlich wird dieses Ausdemfensterlehnen keine beruflichen Konsequenzen für Alfred Draxler haben. Es wird nur heiße Luft gewesen sein, die er in diese Zeilen gepackt hat. Nächste Woche wird er vermutlich schon wieder irgendwo “Nachgehakt” haben und mit seiner “Sport Bild” über den “Lohnzettel eines Schalke-Stars” oder die “Fehler-Schiris” sinnieren, als hätte seine “REPUTATION ALS JOURNALIST UND REPORTER” keinen Schaden genommen.

Hätte sich Alfred Draxler nicht freiwillig mit vollem Anlauf und Radschlag-Flickflack-Salto laut flatschend in den selbst aufgestellten Fettnapf geschmissen, könnte man fast Mitleid mit ihm haben. Wenn es tatsächlich so war, dass Franz Beckenbauer Draxler vesichert hat, bei der WM-Vergabe sei alles mit rechten Dingen zugegangen, wurde er von seinem langjährigen Freund belogen.

Wir hatten Alfred Draxler vor zwei Wochen als “DFB-Außenverteidiger” bezeichnet. Das gefiel ihm irgendwie:

Inzwischen zeigt sich: Er war nicht mal das. Draxler war offenkundig nur eine willige Marionette, die Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer benutzen konnten, um über “Bild”, Bild.de und “Sport Bild” ihr eigenes Narrativ des Skandals unter die Leute zu bringen und so ihre persönlichen Positionen zu stärken. In diesem “Sommermärchen” wirkt Alfred Draxler wie der Hofnarr des Kaisers.

Ähnlich närrisch wie Draxlers Verhalten rund um die WM-Affäre waren die Reaktionen seiner Kollegen aus dem Axel-Springer-Verlag. Die ganze “Bild”-Bande hatte dem “Sport Bild”-Chef auf die Schulter geklopft, als der vor zweineinhalb Wochen verkündete: Alles in Ordnung bei der WM-Vergabe. Es schien, als hielten sie Draxlers Artikel tatsächlich für das Ergebnis einer ordentlichen Recherche. Sie feierten ihn als großen Enthüller und taten so, als wäre die ungefilterte Wiedergabe von Aussagen der Beschuldigten Journalismus.

Marion Horn zum Beispiel, Chefredakteurin der “Bild am Sonntag”, hatte zu der Zeit die Hoheit über den Twitteraccount der “Zeit”. Und nutzte die Gelegenheit, um mitzuteilen, dass sie keinen Grund sehe, an Draxlers Recherche zu zweifeln:

Matthias Müller, stellvertretender “Bild”-Sportchef, verbreitete Draxlers Kolumne ebenfalls:

Tobias Holtkamp, Chefredakteur von Springers Fußballportal transfermarkt.de, lobte Alfred Draxlers “Fakten”:

Und “Bild”-Chef Kai Diekmann musste gleich doppelt twittern:

Heute twitterte Diekmann wieder über eine Enthüllung Draxlers:

So kann man natürlich auch versuchen, aus der Nummer rauszukommen.

Thomas de Maizière, Verschwörungsparanoikerin, Zensur

1. Wie de Maizière sich verkalkulierte
(n-tv.de, Christoph Herwartz)
Kein Familiennachzug mehr für syrische Flüchtlinge? Oder doch? Bundesinnenminsiter Thomas de Maizière hat mit Aussagen während seines Albanienbesuchs für Verwirrung gesorgt. Christoph Herwartz hat de Maizière bei der Reise begleitet und rekonstruiert dessen Vorpreschen und Zurückrudern aus medialer Sicht. Sein ernüchterndes Fazit für die eigene Arbeit: “Das Interview de Maizières mit n-tv.de, das an diesem Samstag erscheinen sollte, ist damit schon veraltet, bevor es autorisiert wurde.”

2. Eine Nacht im Notlager
(faz.net, Timo Frasch, Jens Gyarmaty, Georg-Wilhelm König)
Über die Zustände in deutschen Flüchtlingsunterkünften wird derzeit viel geschrieben. Doch die wenigsten Journalisten sind wirklich vor Ort, und wenn überhaupt, dann ist es meist nur eine kurze Stippvisite unter Aufsicht eines Ministers oder anderer Offizieller. “Ein bisschen helfen dürfte aber, wenn man längere Zeit am Stück in einer Unterkunft verbringen könnte, vielleicht sogar dort übernachten.” Genau das haben Timo Frasch, Jens Gyarmaty und Georg-Wilhelm König getan.

3. Was darf ein Interviewer im ORF?
(facebook.com, Armin Wolf)
Susanne Winter ist aus der FPÖ geflogen, ihren Job im österreichischen Parlament will sie aber behalten. Armin Wolf spricht mit ihr im ORF und nennt Winter unter anderem “eine islamfeindliche, rassistische Verschwörungsparanoikerin”. Darf er das? Manche meinen: nein. Armin Wolf hat sich bei Facebook ausführlich zu seinem Interview geäußert.

4. Trollhaus
(profil.at, Ingrid Brodnig)
“Jede Form von Kritik, Gegenrede oder Moderation wird gern als ‘Zensur’ verunglimpft, weil die ‘Meinungsfreiheit’ dadurch abgeschafft werde.” Und das sei, so Ingrid Brodnig, natürlich Unsinn. Sie fordert, sich Begriffe wie “Zensur” für echte Beschneidungen der Meinungsfreiheit aufzuheben — etwa das Urteil gegen den Blogger Raif Badawi in Saudi Arabien. Das entscheidende Missverständnis: “Viele glauben, die Meinungsfreiheit gebe ihnen auch das Recht, immer und überall Gehör finden zu müssen.”

5. Facebooks Instant Articles sind nicht so erfolgreich, wie du glaubst
(mrtnh.de, Martin Hoffmann)
Facebook will Verlage dazu bringen, vollständige Texte auf dem sozialen Netzwerk zu posten, statt mit einem Link auf die eigene Webseite zu verweisen. Diese “Instant Articles” werden wahlweise als Rettung oder als Untergang der Medienbranche gesehen. Martin Hoffmann hat die bislang öffentlich zugänglichen Daten analysiert: “Auf den ersten Blick sorgen die Instant Articles wider Erwarten NICHT für ein höheres Engagement bei den einzelnen Link-Posts.” Er hält die Funktion deshalb nicht für “die großen Heilsbringer”. (Anmerkung: Es ist allerdings durchaus möglich, dass Facebook noch gar nicht begonnen hat, Instant Articles bevorzugt zu behandeln. Sobald der Algorithmus ihnen eine erhöhte native Reichweite zugesteht, wie das etwa bei direkt hochgeladenen Videos der Fall ist, könnten die Interaktionen schnell ansteigen.)

6. Jetzt spricht der Youtuber, den niemand kennt – ja, genau der
(rp-online.de, Sebastian Dalkowski)
Gronkh, Bibi mit ihrem “Beauty Palace” und LeFloid haben ein Millionenpublikum bei Youtube. Aber was sagt eigentlich ein Youtuber, der eher 600 als 600.000 Views pro Video hat? Sebastian Dalkowski hat einen interviewt. Zum Thema: Dalkowskis Gespräch mit Millionen-Youtuber Sami Slimani.

Reschersche – nein danke!

“Für die reinen Nachrichten muss der User nichts bezahlen. Aber das, was nur BILD kann und nur BILD hat, die exklusiven Geschichten, die besonderen Interviews und Hintergründe, die einzigartigen Fotos – das sind zukünftig BILDplus-Inhalte.”

(Bild.de bei der Vorstellung von „Bildplus“)

Nehmen wir ein Beispiel.

Das ist die reine Nachricht. Die gibt’s kostenlos. Zahlen muss man für den Premium-Weiterdreh, für das, was nur „Bild“ kann und nur „Bild“ hat, und das sieht so aus:

Wenn Tätowierungen so richtig weh tun und zwar nicht nur beim Stechen, sondern hinterher noch viel, viel mehr, dann ist das für die Bemalten zwar eine Katastrophe, für andere aber zum Lachen: BILD zeigt die 22 übelsten Tattoo-Katastrophen der Welt!

Jahaha, die hier zum Beispiel:

Und weil wir hier ja in der Kernkompetenz-Abteilung von “Bild” sind, ist die Sache gleich doppelt falsch.

Das ist keine Frau, sondern ein echter Gangster:

Aber kein echtes Tattoo. Sondern aus einem Film.

Die Überschrift für diese „Tattoo-Katastrophe“ lautet übrigens:

Na dann mal los, „Bildplus“.

Nachwuchs beim DJV, Adblocker, Piratenradio

1. Aufruf zum Gemeinsamen
(medienwoche.ch, René Zeyer)
Angesichts der Angriffe auf Journalisten fordert René Zeyer, dass Medien zusammenstehen: Es sei nun nicht mehr die Zeit für Schuldzuweisungen, für gegenseitige Einteilungen in “rechtskonservativer Kampfjournalist” versus “linker Gutmensch”. Nun gehe es um die Verteidigung der Pressefreiheit. Wobei auch der Staat durchgreifen sollte: “Sonst versagt er in seinem Kern.” Siehe dazu auch die “Blogrebellen” über Angst und eine “Schere im Kopf”. Einen Überblick zur Gewalt gegen Journalisten gibt es bei n-tv.de und faz.net.

2. DJV-Treffen: “Ah, die Schülerzeitung ist auch da”
(ndr.de, Sabine Schaper)
Zwei “Zapp”-Reporterinnen waren beim Verbandstreffen des DJV. Und nicht nur wegen des Zitats aus der Überschrift können sie sich “über Nachwuchssorgen beim DJV nicht mehr wundern”. Offensichtlich trauen die überwiegend (mittel)alten männlichen Anwesenden zwei jungen Frauen nicht zu, dass diese mehr als “ein schönes, lustiges Stück”, vielleicht “fürs Kinderradio” machen. Thomas Otto Jenny Genzmer nimmt das beim “Deutschlandfunk” zum Anlass, über das “Politikum Frau” nachzudenken, und verlinkt unter anderem die Reaktionen von DJV- und BJV-Verantwortlichen.

3. Wie junge Menschen über Adblocker denken
(statista.com, Andreas Grieß)
“Statista” hat 1002 Personen zwischen 18 und 35 Jahren gefragt, was sie von Adblocker halten — mit einem Ergebnis, das vielen Medien nicht gefallen dürfte: “Von den Befragten gaben mehr als die Hälfte an (53 Prozent), Adblocker zu verwenden.” Außerdem sagen 43 Prozent, dass betroffene Webseiten am besten “An den Ausgaben sparen” sollten, wenn ihnen durch Adblocker Einnahmeverluste entstehen.

4. Gekündigte Pädagogin: Auch “Krone” druckte Namen von Magistratsbeamtin
(horizont.at, Timo Niemeier)
Der Ablauf: Die “Kronen Zeitung” schreibt Quatsch über eine gekündigte Kindergartenmitarbeiterin. Das Medienwatchblog kobuk.at kritisiert die “Krone” dafür. Ein “Krone”-Redakteur kritisiert daraufhin kobuk.at, weil ein Name einer beteiligten Magistratsbeamtin nicht geschwärzt wurde. Eben dieser kritikfreudige “Krone”-Redakteur veröffentlicht einen Artikel, in dem er den Namen einer Magistratsbeamtin nicht schwärzt. Und dafür gibt’s jetzt Kritik von horizont.at und kobuk.at.

5. Anti-ALDI-Rant aus dem SPIEGEL-Kindergarten
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Torsten Dewi nimmt einen “Bento”-Artikel über Aldi Satz für Satz auseinander. Am Ende bleibt davon nicht viel übrig: “Leider habe ich mittlerweile festgestellt, dass bento gerne auch banal, oberflächlich, großmäulig und pubertär auf der Klaviatur nicht des SPIEGELs, sondern der Huffington Post und Buzzfeed spielt.”

6. Illegaler Sender: Radioanarchie an der Grenze
(ndr.de, Joop Wösten, Video, 4:50 Minuten)

Angriffe auf Journalisten, Todsünden, “The Westport Independent”

1. Tagesspiegel-Autor Helmut Schümann angegriffen
(tagesspiegel.de)
Der “Tagesspiegel”-Kolumnist Helmut Schümann ist von hinten niedergeschlagen worden, der Angreifer rief offenbar: “‘Du bist doch der Schümann vom Tagesspiegel, du linke Drecksau'”. Schümann hatte sich in der Flüchtlingsdiskussion zuvor deutlich positioniert. Bei Facebook schreibt er, dass er sich nicht einschüchtern lassen wolle, in der “taz” äußert er sich ebenfalls zum Angriff. Dazu auch “Meedia”: Gestern ist ein Videoteam der “Welt” bei einer Neonazi-Demo attackiert worden.

2. “Bild”, de Maizière und ein Schinkenteller auf Mallorca
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Innenminister Thomas de Maizière ist gerade von einer schweren Grippe genesen, hat wochenlang mehr oder weniger durchgearbeitet und saß mit hohem Fieber auf Flüchtlingsgipfeln. Jetzt macht er einen Kurzurlaub auf Mallorca. Für die “Bild”-Zeitung ist das ein Grund zur Empörung. Angeblich “flüchtet” de Mazière vor der Krise, der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Béla Anda kommentiert: “instinktlos!” Claudia Tieschky fragt: “Ist das noch Bericht oder schon Kampagne?”

3. Die “sieben Todsünden” der Nachrichten
(deutschlandfunk.de, Marco Bertolaso)
Die Nachrichtenredaktion des “Deutschlandfunks” will mit den Hörern in Kontakt kommen und sich der Kritik stellen — “per Post und per Mail, über die sozialen Medien, am Telefon und manchmal tatsächlich sogar noch per Fax”, nur Brieftauben seien etwas aus der Mode gekommen. Bestimmte Vorwürfe werden dabei besonders oft geäußert. Marco Bertolaso relativiert sieben dieser Anschuldigungen.

4. Instagram: Märchenstunde im Bayerischen Rundfunk
(buggisch.wordpress.com, Christian Buggisch)
Christian Buggisch hält das BR-Computermagazin für “naiv und wirklichkeitsfremd”. Zuhörer bekämen den Eindruck, dass Soziale Medien “gefährlicher Unfug” seien. Die Redakteure würden die Welt mit der “Brille des Datenschützers” betrachten und die Realität nur schwarz und weiß sehen: “Datenschutz ist gut, alles andere böse.” Seine Beobachtung belegt er an einer Sendung über Instagram, die “nicht nur tendenziös, sondern auch schlecht recherchiert” sei. Buggischs Fazit: “Aber eher fährt ein Fisch Fahrrad als dass im Computermagazin des BR mal ausgewogen über soziale Medien berichtet wird.”

5. “Straßengezwitscher”: Twitterprojekt erhält Auszeichnung für Zivilcourage
(tagesschau.de, Siegbert Schefke, Video, 1:43 Minuten)
Mit ihrem Twitter-Account “Straßengezwitscher” berichten zwei Dresdner seit einigen Monaten von “Pegida”-Aufmärschen. Gestern haben sie für ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus den “Preis für Zivilcourage” verliehen bekommen.

6. Lügenpresse als Spiel
(dradiowissen.de, Thomas Ruscher, Audio, 5:33 Minuten)
Nachrichten auswählen, Überschriften drübersetzen — das Computerspiel “The Westport Independent” simuliert die Arbeit in der Redaktion einer Tageszeitung. Allerdings in einem Staat, der am Rande eines Bürgerkriegs steht. Jede Schlagzeile kann das Land weiter in die Krise führen. Die Stärke dieses “politischen Games” ist laut Thomas Ruscher der ständige Zwiespalt: “Befolgt der Spieler seine Anweisungen und Befehle, oder handelt er nach seinem Gewissen?”

Lügenpresse, Russland Task Force, Dunja Hayali

1. “Stern”-Umfrage zeigt: Mittelgroße Zahl von Deutschen findet irgendwas mit Lügenpresse
(stefan-niggemeier.de)
44 Prozent der Deutschen stimmen den “Lügenpresse”-Vorwürfen von “Pegida” zu. Das titelt jedenfalls der “Stern” über einer eigenen Umfrage, die in den vergangenen Tagen die große Runde machte. Stefan Niggemeier kritisiert, dass nicht klar sei, welche Frage den Befragten dabei genau gestellt wurde. Gerd Bosbach, Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung, spricht im “Deutschlandfunk”-Interview ebenfalls von Problemen bei der Wahl der Methodik und Fragestellung. Und Stefan Fries wundert sich, dass eine ähnliche Umfrage des WDR ergab, dass deutlich weniger Leute den “Lügenpresse”-Vorwürfen zustimmen.

2. Die Propaganda-Offensive der EU wird das Misstrauen gegenüber den Medien stärken
(heise.de, Florian Rötzer)
Um der “‘Desinformationspolitik’ Russlands” etwas entgegenzustellen, will die EU mit einer Task Force für ihre eigene Politik werben und Netzwerke aus Medienvertretern aufbauen. Florian Rötzer gibt zu bedenken: “Die Propagandaoffensive der EU droht aber auch, das Vertrauen in die unabhängige Berichterstattung der nichtstaatlichen Medien noch weiter auszuhöhlen, wenn ausdrücklich ‘unabhängige und pluralistische Medien’ gefördert werden sollen, die dann nicht mehr unabhängig sind.” (Zu der 44-Prozent-“Lügenpresse”-Umfrage siehe Link 1.)

3. Zeitungen sind zäh. Sie sterben langsam
(12app.ch, Michael Marti)
“Es gibt wohl nur sehr wenige Menschen, die so intensiv und kompetent über die Zukunft des Journalismus nachdenken wie Emily Bell.” So beginnt die Einleitung des Interview mit der Medienprofessorin und ehemaligen Digital-Chefin des “Guardian”. Das folgende Gespräch untermauert die eingangs aufgestellte Behauptung.

4. Traduced by all sides, who will defend the BBC?
(theguardian.com, Nick Cohen)
Druck von rechts, Druck von links, ständig drohende Haushaltskürzungen: Die britischen Politiker spielen ein gefährliches Spiel mit der BBC, findet Nick Cohen. Ihr größtes Problem sei dabei ihre große Qualität — die unabhängige Berichterstattung: “In good times, many mainstream politicians would have defended the BBC. But our rolling constitutional and economic crises are, unsurprisingly, producing ideological movements that cannot bear to have their ‘solutions’ questioned or ‘facts’ challenged.”

5. Dunja Hayali: Ein Glücksfall fürs deutsche Fernsehen
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff ist “kein Freund des ZDF-Morgenmagazins”. Trotzdem erwischt er sich “in jüngster Zeit immer öfter mal dabei, doch morgens die Kiste anzuschmeißen”. Der Grund ist: “Dunja Hayali, eine Moderatorin, eine Journalistin, eine Persönlichkeit.”

6. Blattkritik: Tim Wolff, Chefredakteur “Titanic”, über “Tichys Einblick”.
(turi2.de, Tim Wolff)
1. “‘Tichys Einblick’ ist eine sehr aufgeräumte Website.” 2. “Die Anzahl der Beiträge ist übersichtlich, wenn auch nicht so übersichtlich wie die Anzahl der Ansichten.” Das sind zwei von sechs positiven Dingen, die Tim Wolff an der “liberal-konservativen Meinungsseite” des ehemaligen “Wirtschaftswoche”-Chefredakteurs Roland Tichy auffallen. Der Rest seiner Blattkritik fällt weniger gnädig aus.

Lobschummelei bei Bild.de

Bei Bild.de platzen sie gerade fast vor Stolz:

Günter Wallraff hat dem “SZ Magazin” für die aktuelle Ausgabe ein großes Interview gegeben (kostenpflichtig). Darin erzählt der Investigativjournalist nicht nur, dass er geplant hatte, sich für einen ehemaligen US-Soldaten als “IS”-Geisel eintauschen zu lassen, sondern auch über sein Verhältnis zur “Bild”-Zeitung.

Er habe neulich per Zufall “den Artikel eines jungen Kollegen entdeckt”, der ihm gefallen habe, sagt Wallraff im Laufe des Gesprächs. Es geht um einen Text von “Bild”-Reporter Daniel Cremer, der unter falschem Namen an einem sogenannten “Entschwulungskurs” in den USA teilgenommen und darüber berichtet hat.

Wallraffs Aussage zitiert Bild.de so:

Jubel in der Redaktion:

Großes Lob von Günter Wallraff (73) — für BILD!

Das Problem dabei: Bild.de hat einen nicht ganz unwesentlichen Teil von Wallraffs Aussage weggelassen (von uns gefettet):

Der hätte eine reißerische Kolportage daraus machen können, aber seine Reportage war einfühlsam und überzeugend, und er hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektiert, was ansonsten ja nicht gerade Bild-typisch ist. Diese Selbsterfahrung hätte genauso in der Zeit oder der Süddeutschen erscheinen können. Ich bin immer wieder froh, wenn ich in meiner Grundhaltung irritiert werde.

Auch vor und nach dieser Stelle singt “Bild”-Kritiker Wallraff kein Loblied auf das Boulevardblatt. Mit freundlicher Genehmigung des “SZ Magazins” zitieren wir hier (ganz ohne Kürzungen) die Passagen, in denen sich Günter Wallraff über die “Bild”-Zeitung äußerst:

Sie klingen andererseits immer wieder so versöhnlich. Gibt es jetzt bald Frieden mit dem Springer-Verlag?
Nachdem ich die Bild-Zeitung mit einem gemeingefährlichen Triebtäter verglichen hatte, rief mich deren Chefredakteur Kai Diekmann an und rechtfertigte sich, dass Bild nicht mehr so sei wie damals, als ich den Aufmacher veröffentlichte. Ich hatte den Eindruck, der will etwas ändern. Vielleicht ist aus dem Boulevard-Heroin inzwischen Methadon geworden. Früher war das Blatt ja mit Hetze gegen Ausländer, Linke und Minderheiten jeder Art durchtränkt. Seitdem gab es gab Wellenbewegungen, gelegentlich waren da Chefredakteure, die etwas weniger sensationsgierig, politisch etwas weniger rechts ausgerichtet waren. Dann produzierte Bild etwas weniger Hass, etwas weniger Frauenverachtung, etwas weniger Minderheitenhetze und dergleichen. Die Bild ist heute vorsichtiger geworden, das liegt sicher auch am Zeitgeist, der vulgären Sexismus oder dumpfen Rassismus nicht besonders mag.

Wie finden Sie die Berichterstattung der Bild-Zeitung über Griechenland?
Das war systematische Hetze mit Schlagzeilen wie: “Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen und die Akropolis gleich mit!” Ich kaufe die Bild ja nicht, aber in Zügen oder Restaurants liegt sie manchmal rum. Da habe ich neulich zu meiner Überraschung den Artikel eines jungen Kollegen entdeckt. Der Autor bekennt sich als schwul und hat sich in den USA undercover in eine dieser obskuren Selbsthilfegruppen begeben, die Homosexualität “heilen” wollen.

Jetzt beschäftigt sogar die Bild-Zeitung Wallraff-Schüler?
Der hätte eine reißerische Kolportage daraus machen können, aber seine Reportage war einfühlsam und überzeugend, und er hat die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektiert, was ansonsten ja nicht gerade Bild-typisch ist. Diese Selbsterfahrung hätte genauso in der Zeit oder der Süddeutschen erscheinen können. Ich bin immer wieder froh, wenn ich in meiner Grundhaltung irritiert werde. Ich brauche Irritationen.

Die Wandlungsfähigkeit des Bild-Chefs Kai Diekmann dürfte Ihnen doch gefallen. Der tritt mal mit, mal ohne Bart auf, mal im Anzug und mal im Kapuzenpulli.
Die Auflage von Bild ist den letzten Jahren gewaltig eingebrochen. Vielleicht ist seine äußerliche Verwandlung ja Ausdruck für den Versuch einer Neuorientierung. Ich habe Bild schon vor einiger Zeit zum Ansporn attestiert: Es gibt sehr wohl eine Sorte von Triebtätern, die noch therapierbar ist. Das müssen sie aber erst unter Beweis stellen.

Nachtrag, 20.23 Uhr: Bild.de gibt das Zitat jetzt doch vollständig wieder und schreibt unter dem Artikel:

*Das Zitat wurde nachträglich ergänzt, nachdem es in einer vorherigen Version nicht vollständig wiedergegeben war.

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