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Wahlkampf für von der Leyen: Vom “Desaster” zu “JA, JA, JA, URSULA!”

Die Empörung war dermaßen groß bei “Bild”, dass sie sich direkt an die Kanzlerin wandten:

BILD-Titelseite: Kanzlerin, so können Sie mit Wählerstimmen NICHT umgehen!

Die Nominierung Ursula von der Leyens zur “Königin Europas” (F. J. Wagner) sei ein “Desaster”, schrieb “Bild”. Und Ralf Schuler, Leiter der Parlamentsredaktion von “Bild”, schnaubte: “GetEUscht” schreibt man jetzt mit EU!

Ausriss BILD: GetEUscht! - Wie die EU den Wählerwillen missachtet

“Ihr Sieg für Deutschland ist eine Niederlage für Europa!”, schrieb Schuler:

Wenn das EU-Parlament dieses Klüngel-Karussell akzeptiert, kann es als Volksvertretung dichtmachen.

“Das geht so nicht”, kommentierte auch der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Nikolaus Blome: “Wenn das Europa-Parlament einen Funken Stolz hat, sagt es Nein. Aus Prinzip. Aus Selbstachtung.”

Die Nominierung von der Leyens werde sich “so oder so rächen”, legte er im Wochenblatt “Bild Politik” nach:

Screenshot BILD.de: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen soll EU-Chefin werden - Warum sich dieser Deal am Ende rächen wird - Eine Analyse aus dem neuen Politik-Magazin BILD Politik

Wer zu Ende denke, was da in Brüssel passiert sei — “der muss es sogar mit der nackten Wut kriegen. Ursula von der Leyens Nominierung durch die 28 Staats- und Regierungschefs annulliert de facto die Europa-Wahl. Die Folgen sind noch gar nicht absehbar.”

Fazit: Die Nominierung von der Leyens bringt in Brüssel wie in Berlin mehr Schaden als Nutzen. Sie verschiebt die Gewichte in der Europäischen Union zurück in die Vergangenheit und ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen Europa-Wähler.

Daneben lud “Bild” verschiedene Politiker ein, die nochmal ihrerseits gegen die Entscheidung wetterten: Edmund Stoiber schrieb einen Gastbeitrag

Screenshot BILD.de: Edmund Stoiber zu dem Macht-Poker in Brüssel - Unfreundlicher Akt von Macron

… Sigmar Gabriel (“sauer”) machte Vorwürfe

Screenshot BILD.de: Ex-Parteichef sauer über den von der Leyen-Deal - Gabriel wirft Merkel "schweren Vertrauensbruch" vor

… und Martin Schulz (“fassungslos”) rechnete ab:

Screenshot BILD.de: Martin Schulz (SPD) nach EU-Gipfel-Deal fassungslos - Abrechnung mit Merkel, Macron und von der Leyen - Im BILD-Interview erklärt der Ex-SPD-Chef, warum Europas Demokratie beschädigt ist

In diesem Ton ging es auch weiter. “Bild” fragte:

Ausriss BILD: Wie gefährlich wird Merkels Posten-Trickserei für Deutschland?

Und:

Screenshot BILD.de: Deutschland winkt erstmals der EU-Chef-Posten - Was haben WIR eigentlich davon?

Antwort eines Experten: Für Deutschland sei das “ein schlechtes Geschäft”.

“Es wäre besser gewesen, den Posten des EZB-Präsidenten als den des EU-Kommissionschefs zu bekommen.”

Und weiter ging die Kritik:

Screenshot BILD.de: Kritik an von der Leyens Blitzkür am 16. Juli - "Diese Wahl muss verschoben werden" - EBD-Chefin Linn Selle: Von der Leyen muss sich zuerst positionieren und Debatten stellen, sonst fühlen sich die Wähler betrogen

Screenshot BILD.de: BILD-Interview - Weber rechnet mit Macron und Orban ab - "Ich bin sehr enttäuscht" - "Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen"

Screenshot BILD.de: He was supposed to follow Juncker - Were you cheated of your victory, Mr. Weber?

Ausriss BILD: Der ehemalige EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber über den EU-Postenpoker - "Mächtige Kräfte wollten das Wahlergebnis nicht akzeptieren"

Screenshot BILD.de: Umfrage zu Ursula von der Leyen - Mehrheit traut ihr das neue EU-Amt nicht zu

Screenshot BILD.de: Wähler in BILD nach dem Brüssel-Poker - "Wir fühlen uns ausgetrickst!" - Viele Wähler sind stinksauer über das Polit-Geschacher an der EU-Spitze. In BILD machen sie ihrem Ärger Luft

Doch plötzlich — am Wochenende nach der Nominierung, gut zehn Tage vor der Wahl — schwang die Stimmung mit einem Mal um. In der Samstagsausgabe brachte “Bild” weder empörte Politikerinterviews noch wütende Wählerstimmen. Auch sonst gab es keinerlei Kritik mehr am “Postenpoker”-“Desaster”. Stattdessen:

Ausriss BILD: Von der Leyen hat schon ein Büro in Brüssel

Von der Leyen sei “gestern den ganzen Tag im Verteidigungsministerium in Berlin” unterwegs gewesen, schrieb “Bild”, schließlich sei es “wichtig” für sie, “bei den Abgeordneten selbst, aber auch bei nationalen Parteichefs zu werben”. Dazu ein Foto wie aus von der Leyens PR-Abteilung (sie, lächelnd, mit Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz, im Vordergrund die Europa-Flagge) und ein Tweet von von der Leyen, in dem sie gut gelaunt ihren neuen Schreibtisch zeigt.

Der endgültige Umschwung kam dann am nächsten Tag in “Bild am Sonntag”. Schon der Aufmacher auf der Titelseite: ein niedliches Kinderfoto.

Titelseite BILD am Sonntag: KANN SIE EU? - Das Foto links zeigt Ursula von der Leyen mit 8 in Brüssel. Dort wurde sie geboren, dort kann sie zur Chefin Europas werden. Warum, was Freunde und Feinde sagen - Seiten 4 bis 7

Auch im Innenteil klang plötzlich alles viel versöhnlicher, positiver — statt Enttäuschung nun: freudige Erwartung.

Interessant zum Beispiel die Überschriftenwahl auf der linken Seite: Dass sich die Mehrheit der Befragten “durch Postengeschacher getäuscht” fühlt, was “Bild” in den Tagen zuvor immer groß verkündet hatte, landete jetzt nur klein in der Unterzeile. Stattdessen die große Schlagzeile, dass sich 71 Prozent eine EU-Chefin aus Deutschland wünschen würden. Auch auf der rechten Seite: Statt konkreter, plakativer Kritikpunkte in der Überschrift die fast schon vorwurfsvolle Frage, was die SPD denn auszusetzen habe.

Auf der nächsten Doppelseite dann sogar eine Art Homestory:

Von der Leyen mit ihren Kindern im Schwimmbad, mit ihren Eltern beim Musizieren, als Studentin im feschen Röckchen, mit ihrem Pferd, bei ihrer Hochzeit.

“Sie spricht fließend Französisch und Englisch”, schwärmt die “BamS”-Autorin, “überhaupt neigt sie zum Perfektionismus (außer beim Kochen, da beschränkt sie sich auf einfache wie schnelle Nudeln).” Hach. Eben auch nur ein Mensch, die Ursula. Aber was für einer!

Sie hat ihre große Familie und die steile Karriere mit eiserner Disziplin vereinbart. Von der Leyen isst kaum Fleisch, trägt Kleidergröße 34, trinkt nie Alkohol. (…) Wenn der Schlager “Komm, hol das Lasso raus. Wir spielen Cowboy und Indianer” gespielt wird, singt sie textsicher mit.

“Auch wenn sie in der Öffentlichkeit nicht so rüberkommt, ist Ursula eine sensible, einfühlsame Frau”, zitiert das Blatt eine Freundin. “Ursula hat den Mut und die Stärke, mächtigen Egos klare Ansagen zu machen. Sie ist eine sehr gradlinige Frau”. Und so dürfte nach der Lektüre ziemlich klar feststehen: JA, SIE KANN EU!

Und in diesem Ton ging es dann auch weiter:

Screenshot BILD.de: Kommentar - Die Stunde der Frauen

Screenshot BILD.de: Ursula von der Leyen im Porträt - Warum sie keinen Tropfen Alkohol trinkt - Wird die in Brüssel geborene Ministerin am 16. Juli zur EU-Chefin gewählt?

Screenshot BILD.de: Ursula von der Leyen 2008 bei "Wetten, dass..?" - Warum sie für Gottschalk in eine Mülltonne kletterte - Legendärer TV-Auftritt der Frau, die bald EU-Chefin werden könnte

Screenshot BILD.de: Obwohl die SPD dagegen ist - Ex-Kanzler Schröder ist für von der Leyen als EU-Chefin

Und gestern, am Tag der Wahl, schließlich:

Ausriss BILD: "Darum sollte Europa heute Ursula wählen" - In BILD schreibt Ursula von der Leyens Freundin, Schauspielerin Maria Furtwängler

Nachdem sie dann tatsächlich gewählt worden war, gab es für die “Bild”-Medien kein Halten mehr:

Screenshot BILD.de: JA, JA, JA, URSULA! - Am 1. November tritt die Ex-Verteidigungsministerin ihren neuen Posten an

Ausriss BILD: Ursula von der Leyen - Europa steht ihr gut

Titelseite BILD: Wunderbar, Ursula! Von der Leyen mit 9 Stimmen Mehrheit zur EU-Chefin gewählt

“Sie passt zu Europa und Europa passt zu ihr”, jubelt “Bild”-Chef Julian Reichelt:

Niemand ist geeigneter für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin als von der Leyen.

Selbst Ralf Schuler, der sich ein paar Tage zuvor noch so “getEUscht” gefühlt hatte, ist plötzlich total aus dem HEUschen:

Tweet von Ralf Schuler: Ja! Ja! Ja! Ursula!

Und warum der plötzliche Sinneswandel? Warum nach der anfänglichen Empörung auf einmal Wahlkampf und schließlich großer Ursula-Jubel? Darüber können wir nur spekulieren. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass zum PR-Team von Ursula von der Leyen seit Kurzem auch niemand Geringeres gehören soll als Ex-“Bild”-Chef Kai Diekmann? Wer weiß. Vielleicht war es auch einfach ein kleines, verspätetes Dankeschön von Julian Reichelt. Der alten Zeiten wegen:

Tweet von Julian Reichelt. Darauf ein Screenshot von BILD.de: "Top Gun-Ministerin URSULA - Einsatz-Befehl im Morgengrauen" - In Jeansjacke schickte von der Leyen die Bundeswehr um 6.55 Uhr Richtung Irak". Reichelts Tweet dazu: "Mein Lieblings-Aufmacher des Tages heute auf @BILD Ursula von der Leyen schickt #bundeswehr in den #Irak

Polizei als Quelle, AfD vs. Restle, Netflix entfernt Suizid-Szene

1. “Keine per se seriöse Quelle”
(taz.de, Michael Kees)
Die Polizei sei keine per se seriöse Quelle, Pressestellen der Polizei hätten gar kein Interesse daran, neutral zu berichten … Was sich wie Aussagen von Aktivisten und Antifa anhört, stammt vom Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten. Journalistinnen und Journalisten sollten bei Schilderungen der Polizei besonders misstrauisch sein: “Sie können eigentlich nie etwas für bare Münze nehmen.”
Nachtrag: Der von der “taz” interviewte Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten scheint ein fragwürdiger Interviewpartner sein. Thomas Wüppesahl wurde wegen eines Versuchs der Beteiligung an einem Raubmord und wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz rechtskräftig verurteilt. Daraufhin wurde er aus dem Polizeidienst entlassen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten soll laut Wikipedia nur aus zwei Personen bestehen.

2. Anmerkungen zu unserer Recherche für den Artikel “Gezielte Kampagne”
(spiegel.de)
Der “Spiegel” hat einen Beitrag über die die Lobbyarbeit eines deutsch-jüdischen und eines proisraelischen Vereins veröffentlicht (“Gezielte Kampagne”) und wird dafür stark kritisiert. Der Vorwurf: Die Redaktion bediene antisemitische Klischees. In einem Betrag in eigener Sache reagiert das Magazin auf die Vorwürfe.

3. Die Biedermänner zündeln
(djv.de, Hendrik Zörner)
Nachdem “Monitor”-Leiter Georg Restle sich kritisch zur AfD geäußert hat, dreht die Partei nun auf und antwortet mit einer Schmutzkampagne, in der sie den Journalisten als “totalitären Schurken”, “erbärmlichen Linksextremisten” und “abstoßenden Feind der Demokratie” bezeichnet. Und befeuert damit die Wut ihrer Anhänger, die Restle auf Twitter mit Beschimpfungen überziehen. Die Journalistin Anna-Mareike Krause kommentiert auf Twitter: “Was die AfD mit @georgrestle macht, ist kein Ausrutscher. Dahinter steckt die Strategie, Gegner solange mit Schmutz zu bewerfen, bis etwas hängenbleibt. Hier soll ein wichtiger Kritiker mundtot gemacht werden.”

4. Sprache im Dienst der Propaganda
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio: 10:18 Minuten)
Der Journalist Matthias Heine hat ein Buch über die sprachlichen Hinterlassenschaften der Nationalsozialisten geschrieben. Bei manchen Worten erschließt sich der historische Zusammenhang sofort, andere überraschen — wie der Begriff vom “Eintopf”. Das Wort sei auf die sogenannten Eintopf-Sonntage der 30er-Jahre zurückzuführen: “Da sollte man einmal im Monat immer nur sonntags statt des Sonntagsbratens einen Eintopf kochen und das gesparte Geld dem Winterhilfswerk, dieser Hilfsorganisation, spenden.”

5. Netflix schneidet Szene aus “Tote Mädchen lügen nicht”
(sueddeutsche.de, Jacqueline Dinser)
In der erfolgreichen Netflix-Serie “Tote Mädchen lügen nicht” geht es um die Vorgeschichte der Selbsttötung einer amerikanischen High-School-Schülerin. Auf sieben Audiokassetten erzählt die Protagonistin von den Gründen ihres Selbstmords, darunter Mobbing und sexuelle Gewalt. Diese Art der Darstellung wurde vielfach kritisiert, unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, der Bundespsychotherapeutenkammer und dem Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte. Jahre später hat Netflix reagiert und schneidet die dreiminütige Szene heraus, in der man dem Mädchen bei ihrem Suizid zuschaut.

6. CumEx-Affäre: Journalist betrieb keine Wirtschaftsspionage
(infosperber.ch)
“Correctiv” berichtete über den milliardenschweren Betrug mit Cum-Ex-Geschäften. Dies führte unter anderem dazu, dass eine Bank zu ersten Schadensersatzzahlungen in Höhe von 45 Millionen Euro verurteilt wurde. Anstatt sich bei den Aufklärern dafür zu bedanken, zeigte die Schweizer Justiz “Correctiv”-Chef Oliver Schröm bei der Staatsanwaltschaft Hamburg an. Der Vorwurf: “Verdacht der Anstiftung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen”. Nun haben die Hamburger Staatsanwälte die Akte geschlossen. Auf der “Correctiv”-Website heißt es dazu: “Nach 423 Tagen hat die Staatsanwaltschaft Hamburg aufgehört gegen den CORRECTIV-Chefredakteur Oliver Schröm zu ermitteln: Das “Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt”, teilte die Behörde in einem Einzeiler mit. Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht, der eine weitere Ermittlung oder gar Anklage rechtfertige.”

“Deutschlandstrategie” der NZZ, Die Gemälde des Bob Ross, Un-“Bunte”

1. Die neuen Freunde der NZZ
(republik.ch, Daniel Binswanger)
Daniel Binswanger kommentiert die “Deutschland­strategie” des Schweizer Traditionsblattes “NZZ”, die besonders von AfD-Anhängern gefeiert wird: “Es ist verblüffend, wie shitstorm­getrieben die Positionierung der NZZ geworden ist. Man könnte den Eindruck bekommen, sie sei nicht mehr eine Publikation mit klaren publizistischen Linien, sondern ein Unternehmen zum Austesten der Grenzen des politischen Anstands. Wenns brenzlig wird, macht man einen taktischen Rückzieher.”

2. Leider wurde mein lieber Freund…
(facebook.com, Friederike Werner)
Friederike Werner war mit dem unlängst verstorbenen Filmproduzent David Groenewold befreundet, der 2013 in Zusammenhang mit der sogenannten “Wulff-Affäre” angeklagt und freigesprochen wurde. Sie ist schwer getroffen von der Berichterstattung durch die “Bunte” und deren Redakteurin Tanja May: “Die Tatsache, dass Frau May das Haus inklusive Polizeisiegel an der Wohnungstür von David Groenewold hat fotografieren lassen, sowie das illegale Beschaffen von Polizeiakten werden ein juristisches Nachspiel haben. Ich werde außerdem niemals müde werden, die Menschen darauf hinzuweisen, wie unanständig Frau May und die BUNTE in einer solch schweren Situation für alle Angehörigen agiert haben.”

3. Hört endlich auf, euch an der Dummheit von Influencern aufzugeilen
(vice.com, Sebastian Meineck)
Immer wieder machen sich Medien über Influencer lustig, die es mit der Selbstdarstellung übertreiben. Das Bashing gehe jedoch am Thema vorbei, wenn gewöhnliche Instagrammer mit ein paar hundert Abonnenten zu Influencern aufgeblasen werden und wenn der vermeintliche Skandal bei näherer Betrachtung in sich zusammenfällt. Sebastian Meineck erzählt die Geschichte von den “dummen Influencern” und dem giftigen See.

4. DJV-Austritt aus Protest
(welchering.de)
Peter Welchering hat in einem offenen Brief seinen Austritt aus dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) verkündet. Er wirft dem Verband beziehungsweise dessen Vertretern unter anderem eine zu große CDU-Nähe vor. Außerdem habe der DJV von Facebook und Google Geld kassiert und betrachte PR als eine Unterart des Journalismus. (Sobald eine Antwort des Verbands vorliegt, werden wir sie an dieser Stelle verlinken.)

5. Die Journalistin, die Jeffrey Epstein überführte
(sueddeutsche.de, Alan Cassidy)
Der US-Milliardär Jeffrey Epstein hat wahrscheinlich mehr als 80 Mädchen missbraucht und wäre damit wahrscheinlich davongekommen, denn er hatte mächtige Freunde in Justiz und Regierung. Dass der Fall nun neu aufgerollt wird, ist der amerikanischen Lokaljournalistin Julie K. Brown zu verdanken, die das übernommen hat, was Sache der Justiz gewesen wäre: “Eineinhalb Jahre verbrachte Brown damit, Epsteins Opfern nachzuspüren, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu überreden, ihr von den Übergriffen zu erzählen, die sie erlitten hatten. Sie sprach mit Polizisten, die gegen den Financier ermittelt hatten, aber von ihren Vorgesetzten ausgebremst wurden. Sie wühlte sich durch Berge von Akten, flog von Florida nach New York, um vor Gericht Einsicht in Dokumente zu erkämpfen, und bezahlte manche Reise aus eigener Tasche.”

6. Where Are All the Bob Ross Paintings? We Found Them.
(nytimes.com, Larry Buchanan & Aaron Byrd & Alicia DeSantis & Emily Rhyne, Video: 10:49 Minuten)
“The Joy of Painting” hieß der legendäre TV-Malkurs, in dem der US-amerikanische Maler Bob Ross mit sanfter Stimme erklärte, wie man ein Landschaftsbild malt. Wo sind all die Bilder geblieben, die im Rahmen der vielen hundert Fernsehsendungen entstanden? Die “New York Times” hat sich auf Spurensuche begeben und einen sehenswerten zehnminütigen Videobeitrag produziert.

7. Liebe “BILD”-Leute, hier liegen gleich mehrere Missverständnisse vor. Ich erkläre Euch das gerne.
(facebook.com, Lorenz Meyer)
Extralink außerhalb der Reihe, da vom Kurator selbst: Auf Facebook erkläre ich “Bild”, warum von einer “Zitter-Zensur” der CDU keine Rede sein kann und räume mit einigen Missverständnissen auf: “Das letzte Missverständnis betrifft Euch, Eure Arbeit und Euer Arbeitsethos. Was Ihr macht, hat nämlich weder was mit Journalismus, noch mit Anstand zu tun.”

Falsche Richtung

Erst klaut der Mann reichlich Tulpen aus einem öffentlichen Beet, dann prügelt er auf einen Passanten ein, der ihn dabei filmt, und dann, bei der Gerichtsverhandlung, laut “Bild” und Bild.de auch noch das:

Ausriss Bild-Zeitung - Prügelnder Tulpendieb verhöhnt das Gericht
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Gestern zeigte der polnische Räuber, was er von dem Prozess gegen ihn hält — zeigte im Gerichtssaal den Stinkefinger.

Wir haben allerdings starke Zweifel, dass der “Tulpendieb” mit dem Mittelfinger tatsächlich das Gericht verhöhnen wollte: Erstens muss das Foto vor der Gerichtsverhandlung entstanden sein, denn während eines Prozesses darf nicht fotografiert werden. Und zweitens saß in der Richtung, in die der Mann seinen Mittelfinger streckte, nicht der Richter. Der befand sich aus Sicht des Angeklagten auf der linken Seite, wie man in einem Bericht des MDR sehen kann. Den Mittelfinger hielt er aber nacht rechts. Und da stand wer? Genau: der “Bild”-Fotograf.

Mit Dank an Frank für den Hinweis!

Polizei als Nacktbild-Verbreiter, MDR-Reichsbürger Steimle, Twitter-Urteil

1. Für Likes tun wir alles, ihr Freund und Helfer
(dasnuf.de, Patricia Cammarata)
Vor einigen Tagen stoppte die brandenburgische Polizei einen Zweiradfahrer, der nur mit Helm und Sandalen bekleidet war. Die Beamten machten Fotos von dem Nackten, die sie auf Twitter für eine Mitmach-Aktion verwendeten: “Wie würden Sie dieses Bild betiteln?” Überhaupt nicht witzig, findet Patricia Cammarata: “Ich finde den Tweet in diesem Kontext, veröffentlicht von einer staatlichen Institution für moralisch höchst zweifelhaft und genauso zweifelhaft finde ich jede weitere Verbreitung, v.a. durch Stellen, die in irgendeiner Form neutrale Öffentlichkeit repräsentieren. Und die Verbreitung ist enorm. Ich habe den Tweet heute z.B. im Guardian verlinkt entdeckt. Glaubt ihr wirklich, dass dieser Herr, der sich morgens in Brandenburg entschieden hat, nackt auf seinen Roller zu steigen, mit dieser Öffentlichkeit gerechnet hat? Rechnen musste? Ihr zuckt mit den Schultern? Wie würdet ihr den Fall sehen, wenn es um euch selbst, euren Vater, euren Onkel oder sonst eine Person geht, der ihr nahe steht?”

2. Grenzen der Satire? Der MDR und Uwe Steimle
(ndr.de, Nadja Mitzkat)
Gegen Geflüchtete hetzen, das Reichsbürgermärchen von Deutschland als besetztem Land und Merkel als “Marionette” verbreiten und mit “Kraft durch Freunde”-T-Shirt provozieren. Für all dieses hat der MDR einen Mann: den Schauspieler und Kabarettisten Uwe Steimle. Seit Jahren gibt es begründete Kritik an den Äußerungen Steimles, doch der MDR hat eine geschickte Politik entwickelt, um an dem Mann festzuhalten: Man verteidigt ihn und distanziert sich gleichzeitig.

3. Fake News auf Staatskosten
(taz.de, Reinhard Wolff)
Die staatliche PR-Agentur in Norwegen hat sich eine zweifelhafte Idee einfallen lassen, um das Land ins Gespräch zu bringen. Angeblich würden die Bewohner einer Insel eine “zeitlose Zone” errichten. Mehr als 1000 Medien weltweit übernahmen die Meldung, schließlich handelt es sich bei der staatlichen Informationsagentur “Innovasjon Norge” eigentlich um eine seriöse Quelle.

4. Gerichtsurteil: Twitter muss Account von Dietrich Herrmann freischalten
(flurfunk-dresden.de, Peter Stawowy)
Twitter hat unlängst strittige Regeln eingeführt, um Wahlmanipulationen zu unterbinden, darunter fallen auch satirische Bemerkungen. Eines der Opfer des neuen Twitter-Hausrechts war der Grünen-Politiker Dietrich Herrmann, der für einen Tweet gesperrt wurde (Herrmann hatte einen oft gemachten Witz gepostet, in dem AfD-Wähler dazu aufgefordert werden, bei der Wahl die Unterschrift auf dem Wahlzettel nicht zu vergessen). Das Landgericht Dresden hat Twitter nun dazu verurteilt, den Account wieder freizugeben.

5. Finde es so witzig…
(twitter.com/ohhellokathrina, Kathrin Weßling)
Kathrin Weßling verschafft sich auf Twitter mit einem Stoßseufzer etwas Luft: “Finde es so witzig, wie einige Seiten in diesem Internet einfach fast ausschließlich von eingebetteten Tweets leben oder FB Screenshots, nix davon vergüten und sich schön die Taschen vollmachen. Und mit “witzig” meine ich asozial. Aber was rede ich von “Vergütung” — wenn es nicht mal Standard ist zu fragen, ob es okay ist, aus fremden Inhalten mit ein paar banalen Zwischenheadlines vermeintlich eigenen Content zu kreieren.” Der “6 vor 9”-Kurator schließt sich dem Seufzer aus aktuellem Erleben an. #PerlendesLokaljournalismus

6. “Katastrophe biblischen Ausmaßes für die deutsche Branche”
(golem.de, Peter Steinlechner)
Für Computerspieleentwickler waren 2019 noch staatliche Unterstützungen von 50 Millionen Euro vorgesehen. Viele Studios erwarteten für 2020 eine ähnliche Förderung, doch dies erscheint nach derzeitigem Stand sehr unwahrscheinlich.

Kopftuchklischees, Söders “Youtuber-Festival”, Rechte Debatten-Tricks

1. So verschieben Sie eine Debatte nach rechts
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo hat eine Polemik über rechte Kommunikation verfasst. In einer Anleitung in 20 Schritten geht er die entscheidenden Debatten-Tricks der extremen Rechten durch.

2. So organisieren sich Rechtsextreme seit Wochen in neuen Telegram-Gruppen
(buzzfeed.com, Pascale Mueller & Marcus Engert & Juliane Loeffler & Rolf Regner)
“BuzzFeed News Deutschland” liegen Unterlagen vor, wie sich rechtsextreme Personen in Chatgruppen austauschen, darunter “NPD-Politiker, bekannte Neonazi-Größen und organisierte Rechtsradikale mit Kontakten in die rechtsextreme Kampfsport- und Musikszene sowie zu einschlägigen, teils verbotenen Organisationen.” Dabei geht es um 250 Personen, die dort ihr radikales Gedankengut teilen.
Weitere Leseempfehlung: Wer zu Neonazis recherchiert, muss sehr mutig sein. “Vice” hat bei zwei dieser mutigen Personen nachgefragt, was sie antreibt und was sie bei der täglichen Arbeit erleben: Mordfall Lübcke: Diese Menschen machen die Arbeit, die der Verfassungsschutz nicht macht (vice.com, Matern Boeselager).

3. Wem gehört… The Missing Manual
(medium.com, Astrid Csuraji & Jakob Vicari)
Das Recherchekollektiv “Correctiv” hat mit seiner Aktion “Wem gehört Hamburg?” den Wohnungsmarkt ein Stückchen transparenter gemacht und ist dafür jüngst mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet worden. Daran anknüpfend haben Journalisten eine ähnliche Aktion für eine Stadt in Niedersachen ins Leben gerufen: “Wem gehört Lüneburg”. Im “Missing Manual” berichten sie über ihre Erfahrungen mit einem derartigen journalistischen Projekt.
Nachtrag: Mit “Wem gehört Lüneburg” knüpft die “Landeszeitung” nicht an die “Correctiv”-Aktion an — vielmehr führt sie das Projekt in Kooperation mit “Correctiv” durch.

4. Söder will “Youtuber-Festival” veranstalten
(sueddeutsche.de, David Steinitz)
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will ein “Youtuber-Festival” samt “Influencer-Preis” etablieren. Außerdem verlangt er eine Reform der deutschen Filmförderung, sprich mehr staatliche Unterstützung und Steuervorteile für Filmproduzenten.
Anmerkung des “6 vor 9”-Kurators: Siehe dazu auch Wikipedia: “Stupid German Money (engl.: dummes deutsches Geld) ist ein ursprünglich von der US-amerikanischen Filmwirtschaft geprägter Begriff für Gelder aus geschlossenen Medienfonds des deutschlandspezifischen grauen Kapitalmarkts. Diese Fonds wurden wegen hoher Abschreibungsmöglichkeiten als Steuersparmodell genutzt. Die Gelder flossen größtenteils in amerikanische Filmproduktionen.”

5. Maut-Verträge öffentlich machen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert den Bundesverkehrsminister auf, die Maut-Verträge Journalistinnen und Journalisten zur Einsicht zur Verfügung zu stellen: “Dass der Verkehrsminister auf das gerichtliche Verbot der Pkw-Maut mit Geheimniskrämerei reagiert, ist völlig unangemessen. Wenn es stimmt, dass ein zweistelliger Millionenbetrag aus Steuergeldern verbraten wurde, müssen Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit bekommen, darüber zu berichten.”

6. Falsche Ehre für Kopftuchklischees
(taz.de, Hilal Szegin)
“Eine befremdliche Entscheidung” nennt Hilal Szegin den Entschluss des Journalistinnenbunds, die Cartoonistin Franziska Becker für ihr Lebenswerk auszeichnen. Szegin stört sich vor allem an Stereotypen und Chiffren wie dem Kopftuch, das in einigen Becker-Cartoons auftaucht: “Aufgrund von Äußerlichkeiten werden einer Menschengruppe innere Einstellungen und Befähigungen zu- oder eben abgesprochen. Das führt zu weniger, nicht zu mehr Handlungsfreiheit von verschleierten Musliminnen. Und das ist weder einer Auszeichnung wert noch feministisch.”
Interessant ist die Reaktion der “Emma”-Redaktion auf die Kritik an ihrer Cartoonistin. Bei Twitter fragt sie: “Findet ihr diese Karikatur von Franziska Becker “islamfeindlich-rassistisch”?” Und dies wird von den allermeisten Lesern und Leserinnen absolut eindeutig bejaht. Die Linken-Politikern Anke Domscheit-Berg kommentiert fassungslos: “Ich kann kaum glauben, dass das eine ernstgemeinte Frage sein soll.”

Bild  

“Bild” senkt den Steuersatz drastisch falsch

Fabio De Masi macht etwas Besonderes: Der Linken-Politiker veröffentlicht jedes Jahr seinen Steuerbescheid. So ist für jeden einsehbar, wie viel De Masi verdient und wie viel Einkommensteuer er bezahlen muss. Auch für “Bild”-Mitarbeiter:

Ausriss Bild-Zeitung - Politiker stellt eigenen Steuererklärung ins Netz

Dieser Abgeordnete lässt beim Geld die Hosen runter: Fabio De Masi (39, Linke).

Als Finanzexperte sitzt er seit fast zwei Jahren im Bundestag, nun hat er seinen kompletten Steuerbescheid für 2017 ins Netz gestellt: Laut Finanzamt Hamburg-Altona verdiente De Masi 104 380 Euro und musste dafür 9391 Euro Einkommensteuer zahlen. Hinzu kamen für ihn 453,14 Euro Soli und 741,51 Euro Kirchensteuer (katholisch).

Für alle, die sich jetzt darüber wundern oder wütend sind, dass De Masi bei Einkünften von 104.380 Euro im Jahr nur 9391 Euro Einkommensteuer zahlen müsse: Nein, es gibt keinen besonderen Steuersatz für Politikerinnen und Politiker von unter 10 Prozent. Das Problem liegt woanders: “Bild” arbeitet hier im besten Fall extrem schlampig und im schlimmsten bewusst verzerrend.

Fabio De Masi sitzt erst seit der Wahl im September 2017 als Abgeordneter im Bundestag. Vorher war er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Die 104.380 Euro brutto sind eine Mischung aus Einkünften aus diesen beiden Posten, wobei das Einkommen aus seiner Tätigkeit als EU-Abgeordneter (85.350 Euro brutto) den viel größeren Teil ausmacht. Die 9391 Euro Einkommensteuer, die “Bild” erwähnt, tauchen tatsächlich in De Masis Steuerbescheid für 2017 (PDF) auf. Allerdings ist das der Wert, den De Masi noch zahlen muss, nachdem der Linken-Politiker bereits 18.751 Euro an EU-Steuer bezahlt hat. “Bild” nennt also die Bruttoeinkünfte für die Tätigkeit als Bundestags- und als EU-Abgeordneter, stellt diesen aber die Einkommensteuer ohne den EU-Teil gegenüber — was ein erstaunlicher Fehler ist, schließlich stand das alles klar und deutlich in De Masis Pressemitteilung, auf der der “Bild”-Text basiert.

Tatsächlich zahlte De Masi für sein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 86.649 Euro (ergibt sich nach Abzug von Spenden, Kinderfreibetrag, Kosten für die Krankenversicherung und so weiter von den Bruttoeinkünften in Höhe von 104.380 Euro) 28.142 Euro Einkommensteuer. Das entspricht in etwa 32,5 Prozent.

Das Hauptanliegen von Fabio De Masi hat es übrigens auch nicht in den “Bild”-Artikel geschafft:

Aus meinem Steuerbescheid für das Jahr 2017 wird sichtbar, dass Spitzenverdiener wie ich keineswegs über Gebühr belastet werden.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Skandal-Reise”: “Bild”-Reporter führt Leserschaft in die Irre

Wenn ein Grünen-Politiker und ein Linken-Politiker in Russland sind, und dann auch noch ein AfD-Politiker eine Rolle spielt, dauert es nicht lange, bis die “Bild”-Medien “SKANDAL” schreien:

Ausriss Bild-Zeitung - Skandal-Reise - AfD-Politiker führt Trittin und Gysi durch Moskau
Screenshot Bild.de - Skandal-Reise - AfD-Politiker führt Trittin und Gysi durch Moskau

Diese Artikel erschienen am Montagabend bei Bild.de und am Dienstag in der “Bild”-Zeitung. Und es ist bemerkenswert, wie großzügig “Bild”-Chefreporter Peter Tiede entscheidende Informationen weglässt, um auf diesen Spin zu kommen.

Erstmal: Es handelt sich nicht, wie man bei den Überschriften von “Bild” und Bild.de direkt denken könnte, um irgendeine Reise eines AfD-Politikers, der sich Jürgen Trittin und Gregor Gysi überraschend angeschlossen haben. Es geht um einen offiziellen Besuch der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe (zu der mehr Leute gehören als nur die drei). Peter Tiede schreibt dazu:

Sieben Bundestagsabgeordnet aller Fraktionen für fünf Tage auf Russland-Besuch — organisiert vom AfD-Abgeordneten Robby Schlund (52), einem bekennenden Kreml-Lobbyisten und Putin-Fan!

Es ist der erste Russland-Besuch der Deutsch-Russischen-Parlamentsgruppe seit der Bundestagswahl. Dank Schlunds Planung: Der Besuch der Deutschen ist trotz Krim-Besetzung und Ukraine-Krieg ein Propaganda-Erfolg für Kreml-Führer Wladimir Putin (66)! Die Abgeordneten sind seit Sonntagabend in Russland, offiziell begann die Reise am Montag.

Ganz vorn dabei neben Schlund: Grünen-Urgestein Jürgen Trittin (64) und Linke-Ikone Gregor Gysi (71).

Das Besuchsprogramm fasst Tiede so zusammen:

Nach BILD-Informationen plante Schlund die wesentlichen Termine — an der deutschen Botschaft vorbei — mit Kreml-Hilfe!

Geplanter Propaganda-Höhepunkt ist der Donnertag (sic):

► Vormittags: Besuch beim Kreml-Konzern Gazprom (Nord-Stream/Altkanzler Schröder) — inklusive Mittagessen auf Gazprom-Kosten!

► Nachmittags: Staats-TV-Holding “Rossija Sewodnja” (betreibt u. a. den deutschen Hetzsender “Sputnik”). Generaldirektor Kisseljow (“Europa atomar Auslöschen!”) steht unter EU-Sanktionen! Trotzdem gibt die Bundestags-Truppe ausgerechnet dort ihre Pressekonferenz!

Da fehlt nun wirklich einiges.

Erstmal ein paar nicht ganz unwichtige Informationen zu den bi- und multilateralen Parlamentariergruppen: Von denen gibt es aktuell 47. Die Abgeordnete können frei wählen, zu welchen sie gehören möchten. Und so kommen dann zum Beispiel zustande: eine Deutsch-Schweizerische Parlamentariergruppe, eine Deutsch-Pazifische, eine Deutsch-Brasilianische, eine Deutsch-Indisch. Und eben auch eine Deutsch-Russische. Dort ist der AfD-Abgeordnete Robby Schlund Vorsitzender, was aber nicht auf eine Wahl oder ähnliches zurückzuführen ist. Bei den Parlamentariergruppen bestimmt der Ältestenrat des Bundestages “unter Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen”, wer Vorsitzende oder Vorsitzender wird. Aus jeder andere Fraktion wird eine Stellvertreterin beziehungsweise ein Stellvertreter festgelegt.

Für die Grünen ist Jürgen Trittin bei der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe stellvertretender Vorsitzender. Als Antwort auf den Artikel von “Bild”-Reporter Tiede schreibt er, dass das Programm “von allen stellvertretenden Vorsitzenden und dem Vorsitzenden in Kenntnis der Wünsche der russischen Seite vorbereitet” worden sei:

Verschiedenste Programmpunkte wurden im Vorfeld sehr strittig besprochen. Gegen den expliziten Wunsch der russischen Seite und teilweise auch des Vorsitzenden wurden von den stellvertretenden Vorsitzenden aus CDU, SPD, FDP, Linken und Grünen gemeinsam durchgesetzt:

Gespräch mit den deutschen politischen Stiftungen vor Ort — darin eingebettet ein ausführliches Gespräch mit der kriminalisierten russischen Zivilgesellschaft und Menschrechtsorganisationen.

Gespräch mit Pawel Grudinin, erfolgreichster Gegenkandidat zu Putin bei der Präsidentschaftswahl 2016

Teilnahme am Pressefest der deutschen Botschaft, zu dem auf unseren Wunsch hin auch oppositionelle Medien wie Meduza und deren Reporter Iwan Golunow eingeladen werden (auch wenn seine Teilnahme aus bekannten Gründen eher unwahrscheinlich ist). Die Delegation will sich so einen Eindruck den Bedrohungen für Presse, Journalist*innen und Blogger*innen machen. (…)

Außerdem standen auf dem Programm u.a. Gespräch mit der russischen Delegation der russisch-deutschen Parlamentariergruppe, dem Auswärtigen Ausschuss der Duma, dem stellv. Russischen Außenminister Titow und der Besuch des VW-Werkes in Kaluga sowie auf expliziten Wunsch der russischen Seite ein Besuch bei der Moskauer Niederlassung von Gazprom auf dem Programm.

Abgesehen von dem Besuch bei Gazprom ist von all diesen Punkten bei “Bild” nichts zu lesen.

Zur Pressekonferenz, die auch Peter Tiede thematisiert, schreibt Jürgen Trittin:

Unser expliziter Wunsch, dass die Pressekonferenz bei der Nachrichtenagentur TASS stattfinden solle, wurde von der russischen Seite abgelehnt. Ein Besuch in den Redaktionsräumen von Russia Today wurde von uns abgelehnt. Die jetzt beim Medienhaus Rossija Segodnya geplante Pressekonferenz wird deshalb ohne Beteiligung der stellvertretenden Vorsitzenden stattfinden.

Und der Grünen-Politiker liefert auch noch die Antwort auf eine Frage, die “Bild” ihm nie gestellt hat:

Die von der BILD aufgeworfene Frage, warum wir überhaupt in einer Delegation unter dem formellen Vorsitz eines AfD-Abgeordneten nach Moskau reisen, hätte ich der Redaktion gerne beantwortet — allerdings hat sie nie gefragt.

Aber die Antwort ist klar: wären alle stellvertretenden Vorsitzenden bzw. weiteren Mitglieder der Parlamentariergruppe zu Hause geblieben, hätte die Reise des Vorsitzenden trotzdem stattgefunden. Allerdings ohne Treffen mit Stiftungen, unabhängige Medien und Opposition — und mit mindestens einem Auftritt bei Russia Today. Das zu verhindern war die klare Übereinkunft aller weiteren Mitglieder der Delegation.

So eine Antwort hätte Peter Tiede und der “Bild”-Redaktion aber natürlich die Geschichte kaputtgemacht.

Mit Dank an Theo für den Hinweis!

Nachtrag, 21. Juni: Bei der Pressekonferenz, die am Donnerstagnachmittag stattfand, waren mit Doris Barnett, Michael Georg Link und Gregor Gysi doch stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe dabei.

Merkels Zittern, GOA-Preisträger, Abgeknallte Drohne

1. Preise für die besten Seiten im Netz
(wdr.de, Susanne Schnabel)
Gestern ist in Köln der begehrte Grimme Online Award vergeben worden. Zu den Ausgezeichneten zählen unter anderem der “Krieg und Freitag”-Zeichner Tobias Vogel, das “Techniktagebuch”, die “Krautreporter” und “Wem gehört Hamburg”. Insgesamt gab es 1.200 Vorschläge und 28 Nominierte.
Weiterer Lesetipp: Das Grimme-Institut kritisiert das zu geringe Angebot von geeigneten Online-Angeboten für Kinder: Wenig Auswahl für junge Mediennutzer (deutschlandfunk.de, Annika Schneider).

2. Wer spielt denn schon mit Mädchen?
(faz.net, Axel Weidemann)
Vor ein paar Jahren bestand die Hoffnung, dass in Computerspielen Frauen nicht nur als schmückendes Beiwerk auftauchen, sondern tragende Rollen übernehmen. Von dem leisen Wandel ist jedoch nicht viel übrig geblieben, wie aus einem Bericht für das “Wired”-Magazin hervorgeht.

3. Das große Zittern
(taz.de, Ambros Waibel)
“Warum zum Teufel wollen fast 280.000 Leute etwa auf dem YouTube-Kanal von RT Deutsch sehen, wie Merkel zittert?” Ambros Waibel schreibt über den fragwürdigen Nachrichtenwert des kleinen Schwächeanfalls von Angela Merkel.

4. Verschärftes Vorgehen gegen Exil-Blogger
(reporter-ohne-grenzen.de)
Anscheinend will Bahrain auf der Rangliste der Pressefreiheit noch weiter nach hinten rutschen (derzeit Platz 167 von 180): Nach Angaben von “Reporter ohne Grenzen” geht das Land auch gegen im Exil lebende Bloggerinnen und Blogger vor. Das betreffe beispielsweise den in Deutschland lebenden Exil-Blogger Sajed Jusif al-Muhafdha. “Offensichtlich will Bahrain die letzten Nischen für Kritik an der Regierung schließen und sogar Bloggerinnen und Blogger im Exil mundtot machen. Bahrains Behörden gehen schon lange mit großer Brutalität gegen regierungskritische Medienschaffende vor. Jetzt nehmen sie die einfachen Internetnutzerinnen und -nutzer ins Visier. Künftig muss dort jeder und jede mit Verfolgung rechnen, die sich über soziale Medien aus unabhängigen Quellen informieren will.”

5. “Viele lesen Haaretz, weil sie keine Alternative haben”
(sueddeutsche.de, Alexandra Föderl-Schmid)
Die israelische Tageszeitung “Haaretz” ist dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. “SZ”-Korrespondentin Alexandra Föderl-Schmid hat dem Blatt einen Besuch abgestattet und mit dem Chefredakteur über Rolle, Funktion und Leserschaft der Zeitung gesprochen. Und es geht um die Ausrichtung des oftmals als politisch links wahrgenommenen Mediums. Wobei es nicht von der nach eigener Definition rechtesten Regierung Israels profitiere: “Wir haben keine Trump-Blase.”

6. Anwohner durfte Drohne mit Luft­ge­wehr abschießen
(lto.de)
Eine Meldung mit indirektem Medienbezug, denn Drohnen spielen in unserer Medienwelt eine immer größer werdende Rolle. Und werden auch dafür genutzt, gegen das geltende Recht Aufnahmen zu produzieren. Nun hat das Amtsgericht Riesa einen Mann freigesprochen, der die 1.500 Euro teure Drohne seines Nachbarn mit seinem Luftgewehr abgeschossen hat.

Das rechte Auge, Mit “Bento” auf Kaffeefahrt, Heiles Kunstwerk

1. “Eine gewisse Sprachlosigkeit”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Es ist schwierig: Journalismus soll nicht vorverurteilen, entsprechend umsichtig und verantwortungsvoll muss in Fällen von Verdachtsberichterstattung vorgegangen werden. Medien täten sich mit Berichten über Rechtsextremismus jedoch besonders schwer, so der ehemalige “Spiegel”-Kolumnist Georg Diez: “Das ist eine deutsche Pathologie, denke ich: Es darf nicht sein, was ist.”
Weiterer Lesetipp: Kritik am Verfassungsschutz: Warum bleibt die NSU-Akte 120 Jahre unter Verschluss? (t-online.de, Lars Wienand).

2. Sagt mal, @bento_de, meint ihr das eigentlich ernst?
(twitter.com/PaulBartmuss)
Der Journalist Paul Bartmuss ist über einen “Bento”-Beitrag gestolpert, der einer Art digitaler Kaffeefahrt gleicht: “Sagt mal, @bento_de, meint ihr das eigentlich ernst? Einen “Artikel” mit 29 (!) Affiliate-Links zu @amazonDE zuzuklatschen und das am Ende als Journalismus zu verkaufen? Geht es @SPIEGELONLINE wirklich finanziell so schlecht?”

3. Nach Berichterstattung: Donald Trump wirft New York Times Landesverrat vor
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Donald Trump hat die “New York Times” auf gewohnt trumpeske Weise beschimpft und ihr Landesverrat vorgeworfen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass in den USA auf Landesverrat die Todesstrafe steht. Markus Beckedahl kommentiert den Fall und erinnert an ein ähnliches Geschehen in Deutschland. Vor gar nicht so langer Zeit hatte nämlich der damalige Verfassungsschutzpräsident, Hans-Georg Maaßen, versucht, mit ähnlicher Argumentation die netzpolitik.org-Macher mundtot zu machen.
Weiterer Lesetipp: Auf der CNN-Website reagiert Chefredakteur Chris Cillizza auf Donald Trumps jüngstes Interview beim Fernsehsender ABC. Er hat sich dazu 78 besonders bemerkenswerte Aussagen herausgesucht, die er mit viel Süffisanz und Galgenhumor kommentiert: The 78 wildest lines in Donald Trump’s epic ABC interview .

4. Mit Podcasts die eigene Bibliothek bereichern
(inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Es gibt mittlerweile einige Podcasts zum Thema Lesen und Literatur. Nicola Wessinghage hat sich durch das Angebot gehört und stellt ihre fünf Favoriten vor.

5. WhatsApp will Newsletter kicken
(taz.de, Lilly Schlagnitweit)
WhatsApp wird nicht nur zum Austausch von privaten Nachrichten, sondern auch zum Versand von Newslettern benutzt. Doch mit Letzterem könnte bald Schluss sein: Das Unternehmen will den massenhaften Versand von Nachrichten unterbinden und begründet dies unter anderem mit der Verbreitung von Fehlinformationen zu politischen Zwecken. Die Entscheidung hat aber auch einen wirtschaftlichen Aspekt: WhatsApp will Unternehmen zur “WhatsApp Business App” rüberlotsen.

6. Kunstmesse dementiert Zerstörung von Kunstwerk durch Dreijährige
(spiegel.de)
Es war eine Meldung ganz nach dem Geschmack von “Bild”: “So schnell kann es passieren: Auf der “Art Basel”, wo bis zu 20 Millionen Dollar teure Gemälde verkauft werden, wo angesichts Tausender Kunstwerke höchste Sicherheitsstufe gilt, hat am Wochenende ein Kleinkind ein 50 000 Euro teures Kunstwerk zerstört!” Auch “Spiegel Online” berichtet darüber (und bezog sich dabei auf “Bild”). Das Problem: An der Geschichte scheint wenig bis gar nichts dran zu sein.

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