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Milchmädchen im Festivalmüll

Wenn einer Redaktion so gar nichts mehr einfällt, wie sie die jungen Leute, die die Grünen wählen und die sich für mehr Klimaschutz einsetzen, diskreditieren kann, dann kommt sie mit sowas wie “Bild” am vorletzten Donnerstag um die Ecke:

Ausriss Bild-Zeitung - Riesen-Ärger über Müllberge nach Konzerten - Klima retten? Aber nicht bei Open-Air-Festivals!

“Bild”-Autor Sebastian Berning schreibt:

Sie wählen gern grün, wollen Klimaschutz und weniger Plastik. Doch wenn es um Naturschutz beim Freizeitvergnügen geht, nehmen die Feiernden es offenbar nicht so genau.

Berning hat dazu auch ein Beispiel und ein paar Zahlen:

Beispiel: Die Festivalplätze vom vergangenen Wochenende. Der Rasen ist übersät mit Verpackungen, Plastik, Tüten, Papp-Bechern, Flaschen, Dosen und anderen Müll-Relikten der wilden Party-Tage bei “Rock im Park” in Nürnberg. Nicht viel aufgeräumter sieht es nach anderen Festivals aus. (…)

Und das, obwohl gerade junge Menschen gerne auf Konzerten und Festivals feiern — also die Altersgruppe, die zu den größten Anhängern der Grünen gehört. Laut Statista waren ein Drittel der Konzert-/Festivalbesucher 2018 zwischen 20 und 29 Jahre alt. 33 Prozent der unter 30-Jährigen wählten bei den Europawahlen grün.

Ja, klar, die Müllberge, die auf den Fotos zu sehen sind, sind Mist und ärgerlich. Aber die Rechnung, die der “Bild”-Autor aufmacht, und seine Schlussfolgerungen daraus sind auch zum Wegwerfen.

Erstmal: Nicht 33 Prozent aller unter 30-Jährigen (wo dann auch die Nichtwähler dabei wären) haben die Grünen gewählt, sondern 33 Prozent der unter 30-jährigen Wähler. Wir sind uns ziemlich sicher, dass auch unter 30-jährige Nichtwähler auf Festivals gehen.

Aber nehmen wir mal die Zahlen, die “Bild” liefert: Wenn von den rund 33 Prozent der unter 30-jährigen Festivalbesucher wiederum 33 Prozent die Grünen gewählt haben sollten, dann geht es hier um etwa 11 Prozent aller Festivalbesucher, die unter 30 Jahre alt sind und Grün gewählt haben. Und die sollen jetzt für 100 Prozent oder zumindest einen Großteil der Müllberge verantwortlich sein? Wie kommt es, dass “Bild” sich da so sicher ist? Sebastian Berning liefert jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass junge Grünen-Wähler überproportional viel Müll liegen lassen. Und was ist mit den anderen 89 Prozent aller Festivalbesucher? Was mit den zwei Dritteln der Festivalbesucher, die älter als 30 Jahre alt sind? Was mit den 67 Prozent der unter 30-Jährigen, die eine andere Partei als die Grünen gewählt haben sollen? Die haben alle alles aufgeräumt?

Bernings Gleichung Grünen-Wähler = jung = Festivalbesucher = Müll-auf-den-Boden-Schmeißer geht nicht auf. Selbstverständlich kann es sein, dass die unter 30-jährigen Grünen-Wähler ihren ganzen Müll auf dem Festival liegen gelassen haben. Es kann genauso sein, dass sie alle ihren kompletten Müll weggeräumt haben. Und es kann irgendwas dazwischen sein. Und natürlich ist es theoretisch möglich, dass unter den vielen unter 30-Jährigen auf dem Festival exakt 33 Prozent die Grünen gewählt haben. Es kann aber auch sein, dass kaum oder überproportional viele Grünen-Wähler dort waren. “Bild” und Berning haben keine Ahnung, wie es wirklich war, bringen aber eine dicke Geschichte.

Mit Dank an Jan H., @crizcgn und @EineZeitung für die Hinweise!

Nachtrag, 25. Juni: Unsere Frage “Was mit den zwei Dritteln der Festivalbesucher, die älter als 30 Jahre alt sind?” stimmt nicht ganz. Denn die Statistik zeigt, dass ein Drittel der Festival- und Konzertbesucher 20 bis 29 Jahre alt ist. Das heißt: Die anderen zwei Drittel sind entweder 30 Jahre alt und älter oder 19 Jahre alt und jünger.

Mit Dank an Stefan für den Hinweis!

Mafia-Urteil, Polizeiliches Tarn-Twittern, Schamlose Küblböck-Stories

1. Mafia wohl wieder teurer
(taz.de, Christian Rath)
In einer Sendung des MDR über die Präsenz der Mafia in Mitteldeutschland war von einem Erfurter Gastronomen die Rede. Obwohl der Name nicht genannt wurde, sei für Eingeweihte anscheinend klar, um wen es sich dabei handelt. Der Gastwirt ging wegen der Verdachtsberichterstattung gegen den MDR vor und erwirkte nicht nur ein Unterlassungsurteil, sondern auch eine sehr weitreichende Übernahme seiner Anwaltskosten. Er hatte nämlich auch Dritte abgemahnt, die die MDR-Dokumentation über soziale Netzwerke weiterverbreitet hatten. Und die dabei entstandenen Kosten muss der MDR nun ebenfalls übernehmen.

2. Polizei Aachen twittert mit pseudonymem Account zu Klimaprotesten
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Nur durch ein Versehen kam heraus, dass die Polizei Aachen auf Twitter einen Tarn-Account unterhält. Nachdem netzpolitik.org darüber berichtet hatte, hat die Polizei Aachen mit einer Erklärung reagiert, die von den Netzexperten jedoch als wenig glaubhaft eingestuft wird.

3. Native Advertising: Erkundungen in den Grauzonen der Medienwirtschaft
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Native Advertising nennt sich die Werbeform, bei der sich Werbung als redaktioneller Beitrag verkleidet. So lukrativ die Trickserei ist, so sehr beschädigt sie auch die Glaubwürdigkeit. Trotzdem boomt die Werbeform und soll bereits in zwei Jahren für 36 Prozent des Werbeumsatzes sorgen. Rainer Stadler kommentiert das zweifelhafte Geschäft und hat dabei besonders den Schweizer Markt im Blick.

4. “Woher der Hass kommt, ist wirklich nur schwer zu begreifen”
(spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Staatsanwalt Christoph Hebbecker ermittelt hauptberuflich in Fällen von Hasspostings in sozialen Netzwerken. Im Gespräch mit dem “Spiegel” geht es unter anderem um die Fragen, warum das alleinige Löschen von Hassbotschaften nicht die Lösung ist, welche Fälle bei ihm landen und wie die Angeklagten vor Gericht reagieren. Seine Arbeit sei kein Eingriff in die Meinungsfreiheit, sondern ermögliche diese erst: “Wenn im Netz immer mehr gehetzt wird und immer mehr Straftaten begangen werden, führt das zum Beispiel dazu, dass immer mehr Medien ihre Kommentarspalten schließen. Hier sehe ich eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Nicht aber in der Durchsetzung von Strafnormen, die online wie offline gelten.”

5. Buchhändlerin über Lehrlinge: “Möchte niemandem das Grüßen beibringen”
(derstandard.at, Renate Graber)
Kann man sich mit einer Buchhandlung trotz starker Konkurrenz durch Onlineversender und Buchhandelsketten noch behaupten? Es ist schwer, aber es geht, wie das Beispiel von Hartliebs Bücher in Wien zeigt. Die Buchhändlerin und Autorin Petra Hartlieb erzählt von der Notwendigkeit des persönlichen Kundenkontakts, von erforderlichen Aktionen und Nebenaktivitäten und dem jährlichen Umsatzeinbruch: “[W]as mir zu schaffen macht, sind die Löcher, die es wegen der Umsatzentwicklung im Buchhandel jeden Sommer gibt: Da wissen wir nicht mehr, wie wir die Miete zahlen sollen, da haben wir kein Geld mehr. Früher habe ich mich geschämt, heute weiß ich, dass es allen Buchhändlern so geht. Aber ich mache mir keine Sorgen mehr: Wir haben Freunde, die uns wortlos Überbrückungsgeld überweisen, und im Dezember zahlen wir’s zurück. Das Weihnachtsgeschäft bringt uns ja ein Viertel des Gesamtumsatzes.”

6. Das schamlose Geschäft mit Daniel Küblböck
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Ein Abgrund von Geschmack- und Schamlosigket tut sich auf, wenn man sich anschaut, mit welchen Märchen- und Schauergeschichten Daniel Küblböck noch posthum ausgebeutet wird. Mats Schönauer berichtet über einen besonders widerwärtigen Fall von medialer Geschäftemacherei.

Stimmung ohne Limit

Wie könnte die Bild.de-Redaktion über das Ergebnis einer Forsa-Umfrage berichten, nach dem sich eine Mehrheit der Befragten (57 Prozent) für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ausspricht, ohne dabei ihre Stimmungsmache gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen aus den Augen zu verlieren?

Sie probiert es mal so:

Selbst vor dem Auto macht der Klima-Wahn nicht halt!

Jetzt will der “Klima-Wahn” uns schon das Rasen wegnehmen! Es kommt im Moment aber auch eine ganze Menge für die “Bild”-Leute zusammen: Im Insa-Meinungstrend “verdrängen die Grünen die Union vom ersten Platz, Supermärkte schmeißen Plastik aus ihren Regalen und jeden Freitag trommeln Schüler für den Klimaschutz.” Und “plötzlich”:

Screenshot Bild.de - Umfrage-Hammer - Mehrheit der Deutschen plötzlich für ein Tempolimit

Ganz so überraschend, wie Bild.de hier tut, ist dieser “UMFRAGE-HAMMER” dann aber doch nicht. Erstmal: Die Forsa-Umfrage fand nicht etwa vor ein paar Tagen oder vor einer Woche statt, sondern schon vor zwei Monaten, zwischen dem 5. und 15. April. Da lagen beispielsweise die Grünen noch in keinem bundesweiten Meinungstrend vor der Union. Außerdem gab es bereits im Januar dieses Jahres mehrere Umfragen zum Thema Tempolimit, bei der sich eine Mehrheit für eine generelle Beschränkung ausgesprochen hat (bei Welt.de sogar “eine klare Mehrheit von 63 Prozent”). 2012 gab es eine Umfrage von infratest dimap, bei der 53 Prozent für eine “Einführung eines generellen Tempolimits von 120 oder 130 km/h auf den deutschen Autobahnen” waren. Und bereits 2007, als ein generelles Tempolimit ebenfalls diskutiert wurde, war in verschiedenen Umfragen eine Mehrheit “zwischen 54 und 60 Prozent” für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h.

Diese Mehrheiten, die es also seit mindestens zwölf Jahren gibt, versucht die Bild.de-Redaktion heute als neueste Auswüchse des “Klima-Wahns” abzutun.

Mit Dank an David M. für den Hinweis!

Nachtrag, 17. Juni: Vom “Klima-Wahn”, der “selbst vor dem Auto” nicht halt mache, ist bei Bild.de inzwischen nicht mehr die Rede. Stattdessen:

Selbst vor dem Auto macht das Klima-Bewusstsein nicht halt!

Mit Dank an @MeiersKaettche für den Hinweis!

LinkedIn mit Gendersternchen, Tim Wolffs Titanic-Years, Graslutscher

1. Nachrichtennutzung über soziale Medien nimmt zu: Deutsche Ergebnisse des “Reuters Institute Digital News Report 2019” zur Nachrichtennutzung im internationalen Vergleich veröffentlicht
(hans-bredow-institut.de)
Die Ergebnisse des “Reuters Institute Digital News Report 2019” basieren auf etwa 75.000 Befragungen in 38 Ländern. Für den deutschen Teil war das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg zuständig. Die Nachrichtennutzung der Deutschen sei auf einem hohem Niveau geblieben, wobei ein großer Anteil der 18- bis 24-jährigen Onliner seine Nachrichten von Instagram beziehe. Weiter erstaunlich: Das Interesse an Videonachrichten sei eher gering. Die kompletten Ergebnisse für Deutschland gibt es hier (PDF).

2. The most popular social media networks each year, gloriously animated
(twitter.com/thenextweb)
In der Tat “gloriously animated”: Die Entwicklung der populärsten Sozialen Netzwerke über die vergangenen anderthalb Jahrzehnte verpackt in einer anderthalbminütigen Animation.

3. Liebe Leser*innen: Warum wir ab sofort das Gendersternchen benutzen
(linkedin.com, Sara Weber)
Die deutschsprachige Redaktion des Geschäftskontakt-Netzwerks LinkedIn erklärt, warum sie sich für die Verwendung des sogenannten Gendersternchens entschieden hat: “Für viele von Ihnen mag das Sternchen ungewohnt sein, einige wird es womöglich sogar verärgern. Doch gendergerechte Sprache verändert tatsächlich etwas: Kinder trauen sich eher zu, bestimmte Berufe ergreifen zu können, wenn sie gendergerecht dargestellt sind. Frauen werden als geeigneter für Führungsposten angesehen, wenn ein/e Projektleiterin/Projektleiter gesucht wird, nicht nur ein Projektleiter.”

4. Wie eine ARD-Doku absurdes Zeug über Elektromobilität verbreitet und dadurch den Klimawandel verstärkt
(graslutscher.de, Jan Hegenberg)
Der “Graslutscher” ärgert sich über eine ARD-Doku über Elektroautos: “Nachdem ich die Hälfte der ARD-Dokumentation “Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten” gesehen hatte, rechnete ich schon fast damit, dass Elektroautos am Ende der Sendung nicht nur für eine Menge Umweltschäden, sondern schlussendlich auch beim Einspielen düsterer Musik für die Ermordung Kennedys, die achte Staffel von Game of Thrones und den Prager Fenstersturz verantwortlich gemacht werden.”

5. “Der Polizeischutz war wirklich Wahnsinn!” Tim Wolff im Gespräch – Die Titanic-Years
(kaput-mag.com, Linus Volkmann)
Linus Volkmann hat sich mit dem langjährigen “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff über dessen Zeit bei dem Satiremagazin unterhalten. Ein spannendes und unterhaltsames Gespräch, bei dem man viel erfährt, was sonst nicht bekannt ist. Zum Beispiel von den Schwierigkeiten des Satirikers im Brennpunkt des öffentlichen Interesses: “Auf öffentlichen Aufruhr zu reagieren machte mir eigentlich sogar Spaß, du hast die vielen, größtenteils inkompetenten Reaktionen auf ein Geschehnis oder auf einen Skandal und du kannst damit spielen. Wobei es vor Kameras nie leicht ist, seine eigene Version durchzubekommen. Man erzählt dann vor der Kamera seine drei gut vorbereiteten Gags und dann kommen immer wieder Rückfragen und irgendwann sagt man dann doch mal einen ernsten Satz — und der wird dann gesendet! Schriftliche Interviews waren mir deswegen immer viel lieber.”

6. Ministerium erwägt Influencer-Gesetz
(tagesschau.de)
Das Justizministerium erwägt ein Gesetz, das es Influencern vorschreibt, etwaige Werbung klar zu kennzeichnen. Zur Zeit sei Werbung in den Sozialen Medien vielfach eine rechtliche Grauzone (tagesschau.de, Audio: 2:39 Minuten).
Ein derartiges Gesetz könnte auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner helfen, bei der es anscheinend an Bewusstsein für diese Thematik mangelt. Siehe dazu auch: Blamiert: Klöckners werbliches Video mit Nestlé (ndr.de, Caroline Schmidt & Tim Kukral).

Recherchieren? Nein, danke!

Filipp Piatov sitzt bei “Bild” in der Politikredaktion, und man muss das einmal aufschreiben, denn man würde sonst nicht auf die Idee kommen, dass er in einer Politikredaktion sitzt.

In einem Kommentar über die Grünen schrieb Piatov gestern:

Screenshot Bild.de - Kommentar zum Habeck-Hype - Regieren? Nein, danke! - Warum sich die Grünen jetzt nicht wegducken dürfen

Niemand hat so dringende Sorgen wie die Grünen: Das Klima muss gerettet, die Welt vor dem Untergang bewahrt und der Jugend ihre Zukunft zurückgegeben werden.

Doch die Grünen sind wie ein Beifahrer, der über den Fahrstil meckert, aber bloß nicht selbst ans Steuer möchte. Warnen, mahnen und die Regierung kritisieren, das können sie — aber regieren wollen sie nicht. (…)

Wer so dringende Sorgen wie die Grünen hat, müsste das nutzen: Neuwahlen fordern, Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken! Und vor allem: keine Zeit verlieren.

Dass Piatov behauptet, die Grünen würden nicht regieren wollen, ist etwas überraschend, schließlich sitzt die Partei aktuell in neun Bundesländern in der Regierung: in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. In Baden-Württemberg stellt sie mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten. Und das seit mehr als acht Jahren, was dafür spricht, dass auch Filipp Piatov das mal mitbekommen haben könnte.

Aber offenbar hat er ja nicht mal die Sondierungsgespräche zu einer möglichen Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl 2017 mitbekommen. Denn die sind am Unwillen der FDP gescheitert und nicht am vermeintlichen Nicht-Regieren-Wollen der Grünen. Und nun ist es auch historisch gesehen nicht so, dass sich die Grünen noch nie an einer Regierung beteiligt hätten.

Dass die Grünen entgegen seiner Aussage durchaus schon mal Neuwahlen ins Spiel gebracht haben, hätte Piatov mit einer recht einfachen Google-Suche (“Grüne Neuwahlen”) herausfinden können. FAZ.net berichtete beispielsweise vor gut einer Woche:

Screenshot FAZ.net - Bundesregierung - Grüne wollen Neuwahl bei Scheitern der Koalition

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sagte zu möglichen Neuwahlen:

Wenn diese Bundesregierung keine Kraft mehr hat, dann muss die Gesellschaft, dann müssen die Bürgerinnen dieses Landes neu entscheiden

Da steckt dann auch ein entscheidender Punkt drin: Die amtierende Regierung aus CDU/CSU und SPD müsste entscheiden, ob sie weitermachen will oder nicht. Und nicht die Grünen. Neuwahlen gibt es in Deutschland in der Regel nicht durch das Fordern von Neuwahlen durch eine Partei, die in aktuellen Umfragen bei ordentlich über 20 Prozent liegen mag, die im Bundestag allerdings nach wie vor mit den 8,9 Prozent aus der Wahl 2017 vertreten ist. Das ist, zum Glück, dann doch ein etwas komplexerer Vorgang. Es mag Piatov überraschen, aber nicht mal die Grünen in ihrem derzeitigen Höhenflug haben die Möglichkeit, den Bundestag im Alleingang aufzulösen.

Wenn man sich mal die Mühe macht und sich hinsetzt, um Filipp Piatov das alles einmal in Ruhe zu erklären, dann fängt er einfach wieder von vorne an.

Schock! Es ist kein völlig ausgetrocknetes Flussbett!

Für einen Artikel über eine “Schock-Prognose” …

Screenshot Bild.de - Australische Forscher warnen vor dem Nichts-tun - Schock-Prognose zur Klimakatastrophe

… braucht Bild.de selbstverständlich auch ein Schock-Foto samt Schock-Bildunterschrift. Et voilà:

Screenshot Bild.de - das Foto zeigt eine Brücke mit ein bisschen Wasser. Ansonsten große Trockenheit - Bildunterschrift: Ein völlig ausgetrocknetes Flussbett in Hessen: Klima-Forscher prophezeien der Menschheit ein nahes Ende, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß nicht bald extrem verringert wird
(Hier klicken für eine größere Variante.)

Hessen passt. Und trocken sieht das auch aus. Allerdings zeigt das Foto kein “völlig ausgetrocknetes Flussbett”, sondern den Edersee, bei dem es sich um einen Stausee handelt, aus dem seit Jahrzehnten im Sommer regelmäßig kontrolliert große Mengen Wasser abgelassen werden, um den Binnenschiffsverkehr auf der Oberweser garantieren zu können. Die Edertalsperre wurde 1914 fertiggestellt. Wenn der Pegel des Edersees weit genug sinkt, kommt das “Edersee-Atlantis” zum Vorschein — zum Beispiel die Aseler Brücke, die auf dem Foto oben zu sehen ist. Als Symbol für das prophezeite “nahe Ende” der Menschheit taugt das Bild also nicht so richtig.

Über diesen ganzen Vorgang (Wasser ablassen für die Schifffahrt auf der Weser, das Erscheinen des “hessischen Atlantis” und den Ärger von Anwohnern und Gastronomen, weil man für längere Zeit auf dem Edersee nicht mehr tauchen oder segeln kann) hat im vergangenen Jahr unter anderem ein Portal namens Bild.de berichtet.

Mit Dank an Nico für den Hinweis!

Nachtrag, 18:37 Uhr: Klammheimlich und ohne irgendeinen Korrekturhinweis hat die Bild.de-Redaktion das Foto ausgetauscht. Die Bildunterschrift zum neuen Aufmacherbild lautet nun:

Ein Blitz entlädt sich in der Nähe von Laverne, Oklahoma, während eines Tornados. Die Studie sagt für Nordamerika extreme Wetterereignisse im Jahr 2050 voraus

Wer wissen will, wie es aktuell am Edersee aussieht, kann sich hier verschiedene Webcam-Streams anschauen.

Mit Dank an @joergprante für den Hinweis!

Klöckners Nestlé-Video, Heiße Luft um Wetterkarten, Assistenzwanzen

1. Viel heiße Luft um die Wetterkarte
(tagesschau.de. Patrick Gensing)
AfD-Verbände stellten “Tagesschau”-Wetterkarten mit ähnlichen Temperaturen von 2009 und 2019 mit unterschiedlicher Farbgebung gegenüber: die von 2009 im freundlichen Grün und jene von 2019 im bedrohlichen Glutrot. Die Unterstellung: Die “Tagesschau” würde die Zuschauer manipulieren und die Auswirkungen des Klimawandels gezielt übertreiben. Es handelt sich jedoch um zwei völlig verschiedene Wetterkarten, die sich nicht miteinander vergleichen lassen, so Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder”.

2. Klöckner wegen Nestlé-Video in der Kritik
(spiegel.de)
Das Landwirtschaftsministerium hat auf Twitter ein Video veröffentlicht, in der Landwirtschaftsministerin und CDU-Vizechefin Julia Klöckner mit Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch allerlei lobpreisende Dinge über Nestlé-Produkte in die Kamera plaudert. Kritiker gaben daraufhin zu Bedenken, die Ministerin lasse sich von dem Lebensmittelkonzern für PR-Zwecke ausnutzen. Klöckner verteidigt das Video und bezeichnet die Kritiker als “Hatespeaker”. Die Twitterin @dasnuf fragt in einem Kommentar: “Fällt das Video nicht unter Schleichwerbung @mabb_de ? Warum gelten für ein Ministerium andere Regeln als beispielsweise für YouTuber?” Die angesprochene Medienanstalt Berlin-Brandenburg will den Fall nun prüfen.

3. Die Mär von “Social Bots”
(background.tagesspiegel.de, Florian Gallwitz & Michael Kreil)
Immer wieder wird vor sogenannten “Social Bots” gewarnt, die automatisiert in den Sozialen Medien Stimmung machen würden. Die Erhebungen dazu sind jedoch äußerst zweifelhaft, wie Medieninformatiker Florian Gallwitz und Datenjournalist Michael Kreil ausführen. Das traurige Resümee: “Die sogenannte “Social-Bot-Forschung” hat sich in wenigen Jahren zu einem Forschungsfeld mit prall gefüllten Fördertöpfen entwickelt, sich dabei allerdings von der Realität entkoppelt. Politik und Fördermittelgeber sollten diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen.”

4. Umbruch bei der “Kronen Zeitung”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:34 Minuten)
Im berühmten Ibiza-Video malte sich der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aus, wie man bei der “Kronen Zeitung” die Herrschaft an sich reißen könne. Er schlug einer vermeintlichen Investorin vor, Anteile an der “Krone” zu erwerben, und wollte danach allerlei Personaländerungen im Sinne seiner Partei vornehmen. Welchen Einfluss hat dies auf die “Kronen Zeitung”? Wie wird es dort weitergehen? Der “Deutschlandfunk” hat mit dem ORF-Redakteur Stefan Kappacher gesprochen. Und der äußert sich auch zur Beteiligung des Investors René Benko: “Jetzt wird natürlich vermutet, dass es Absprachen zwischen Politik und dem Investor gegeben haben könnte”.

5. Persona non grata
(taz.de, Benno Stieber)
In der “Badischen Zeitung” erschien ein Artikel über die NS-Vergangenheit eines Freiburger Unternehmens, der den Unmut des Chefredakteurs auslöste. Von journalistischen Mängeln war die Rede. Man muss jedoch auch wissen, dass es sich bei dem kritisierten Unternehmen um einen guten Anzeigenkunden handelt. Mehr als zehn Monate später bot der freie Autor der Freiburger Lokalredaktion einen Text über ein anderes Kaufhaus an. Zunächst kam die Zu-, dann die Absage.

6. Alexa & Co.: Innenminister wollen Zugriff auf Daten aus dem “Smart Home”
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Amazons Alexa zählt zur “Smart Home”-Technologie, doch der Begriff “Assistenzwanze” beschreibt es auch ganz gut. Auf diese Wanzen wollen nun die Innenminister zugreifen können, wie netzpolitik.org mit Hinweis auf eine entsprechende Meldung berichtet.

Bild.de lässt Greta Thunberg ein ganzes Jahr schwänzen

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg wird für ein Jahr nicht in die Schule gehen. Sie wolle sich in dieser Zeit voll auf ihren Kampf für das Klima konzentrieren und erst anschließend aufs Gymnasium wechseln. Die meisten Redaktionen bekommen es hin, das auch so zu berichten. “Zeit Online” schriebt zum Beispiel: “Greta Thunberg setzt die Schule für ein Jahr aus”. Oder Süddeutsche.de: “Greta Thunberg macht ein Jahr Schulpause”.

Bei Bild.de klingt das anders:

Greta Thunberg (16) wird das kommende Schuljahr ganz schwänzen — um sich dem Kampf gegen die Klima-Krise zu widmen!

… steht gleich am Anfang des Artikels. Und auch wenn man ihn bei Facebook oder Twitter verbreitet, erscheint direkt der Vorwurf, Thunberg schwänze das kommende Schuljahr:

Screenshot eines Facebook-Posts - Greta Thunberg: Klimaaktivistin wird ein Jahr lang die Schule schwänzen
Screenshot eines Tweets der Bild-Redaktion -

Doch das ist kompletter Unsinn. Die Schule “schwänzen” kann man nur, wenn man eigentlich zur Schule gehen müsste. Aber das muss Thunberg bald nicht mehr: In Schweden endet nach den neun Jahren in der Grundschule, die sie gerade abschließt, die Schulpflicht.

Das weiß auch die Bild.de-Redaktion. In ihrem Artikel, der zu großen Teilen auf einer dpa-Meldung basiert (in der die Passage mit dem “schwänzen” allerdings nicht vorkommt), steht:

Um ihre Schulzeit mache sie sich keine Sorgen, sagte Thunberg. Sie werde einfach ein Jahr später aufs Gymnasium wechseln. Normalerweise stünde für die junge Schwedin im August der Wechsel auf eine weiterführende Schule an. In den ersten neun Jahren gilt Schulpflicht.

Obwohl es einige Hinweise an die Redaktion gibt, dass das mit dem “schwänzen” nicht stimmt, lässt sie den Absatz weiter im Text.

Die “Bild”-Medien können aber auch anders, wenn eine 16-Jährige ihrem großen Ziel folgt, statt dem Schulunterricht. Für Laura Dekker, die als Jugendliche allein die Welt umsegelte, gab es Anerkennung statt Schwänzvorwürfe:

Screenshot Bild.de - Laura Dekker - Das Mädchen, das stärker war als tausend Stürme

Einen Schulabschluss hat Laura nie gemacht. Bis sie 16 Jahre alt wurde und der Schulpflicht unterlag, musste sie den Lehrplan der sogenannten Weltschule absolvieren. “Ich habe mich da durchgequält”, sagt sie, “diese ganze Theorie war fürchterlich.” Ab dem sechzehnten Geburtstag lebte Laura nach ihrem eigenen Lehrplan: Sie spielte Gitarre und Flöte, studierte Fliegende Fische, die immer wieder an Bord landeten, hörte Metallica, las Segelbücher, fotografierte, skypte, tauschte über SSB-Funk Erfahrungen aus: “Es war toll, mit den Seglern aus anderen Ländern in Kontakt zu stehen. Einsam habe ich mich nie gefühlt.”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Was Grüne und AfD und alle anderen gemeinsam haben

In der “Bild”-Zeitung gab es am Dienstag einen bemerkenswerten Vergleich:

Ausriss Bild-Zeitung - Mit Gefühlen zum Erfolg - Was Grüne und AfD gemeinsam haben

WIE sie für ihre Themen kämpfen, WIE sie den Gegner attackieren und WIE sie in bestimmten Teilen Deutschlands von der GroKo-Müdigkeit profitieren — das haben beide Parteien gemeinsam. Vor allem die Betonung von GEFÜHLEN.

Damit ihre These irgendwie passt, greifen die “Bild”-Autoren Nikolaus Blome und Florian Kain zu fragwürdigen Mitteln. Zum Beispiel beim Punkt “WIE sie den Gegner attackieren”. Blome und Kain schreiben dazu:

AfD wie Grüne verteufeln sich gegenseitig, leben aber auch von der gemeinsamen Feindschaft. Die AfD verunglimpft die Grünen als verantwortlich für eine (vermeintlich) “rot-grün versiffte” Republik. (…) Viele Grüne meinen die AfD, wenn sie “Nazis raus” rufen, und mobilisieren mit dem “Kampf gegen Rechts”. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach wegen der AfD-Wahlerfolge vom “Dammbruch für Demokratie und Rechtsstaat”.

Das Zitat der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock reißt das “Bild”-Duo für seine Beweisführung ordentlich aus dem Zusammenhang: Baerbock hat tatsächlich mal von einem “Dammbruch für Demokratie und Rechtsstaat” gesprochen. Sie meinte damit allerdings nicht, wie Blome und Kain behaupten, die Wahlerfolge der AfD, sondern eine mögliche Koalition der CDU mit der AfD. Komplett lautete ihre Aussage in einem Interview mit dem “Tagesspiegel”:

Was würde es für die Chancen von Schwarz-Grün im Bund bedeuten, wenn die CDU im Osten mit der AfD koalierte?

Die CDU hat einstimmig — mit den Stimmen der Delegierten aus den ostdeutschen Bundesländern — Koalitionen mit der AfD ausgeschlossen. Da nehme ich die Partei beim Wort, namentlich die Parteichefin und die Kanzlerin. Alles andere wäre ein Dammbruch für die Demokratie und den Rechtsstaat — Österreich zeigt das. Das muss den Verantwortlichen in der Union klar sein.

Und was ist das angebliche grundlegend verbindende Element “MIT GEFÜHLEN ZUM ERFOLG” überhaupt für eine Kategorie? Welche Partei versucht nicht, Gefühle anzusprechen? Was anderes macht etwa die CDU, wenn sie zum Europawahlkampf plakatiert: “Wir wählen Sicherheit. Du auch?”?

Natürlich sprechen Parteien Gefühle an, auch die AfD, auch die Grünen. Die Frage ist dann, wie irrational dieses Vorgehen ist. Und ist der Kern der heutigen Klimaschutzbewegung nicht ausgesprochen wissenschaftsbetont? Es macht doch einen Unterschied, ob man vor einer drohenden Klimakatastrophe warnt, vor der auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit warnen, und damit Gefühle anspricht, oder ob man vor einer angeblichen Islamisierung Deutschlands warnt und damit Gefühle anspricht. Für die “Bild”-Autoren ist das aber alles gleichwertig:

Die Grünen und ihre Anhänger warnen vor dem Untergang der Welt und rechtfertigen damit maximalen (“Es gibt nichts Wichtigeres!”) Klimaschutz. Die AfD und ihre Anhänger warnen vor dem Untergang des “christlichen Abendlandes” und rechtfertigen damit maximalen Grenzschutz vor jedweder Zuwanderung.

Nun haben Blome und Kain ja auch einen Professor gefunden, der sie in diesem Punkt bestärkt:

Professor Eckhard Jesse (Uni Chemnitz) zu BILD: “Wer Klimawandel ignoriert und wer die Massenzuwanderung zum Maß aller Dinge macht, lässt sich ebenso von Gefühlen treiben wie derjenige, der Klimawandel zum Maß aller Dinge macht und Massenzuwanderung ignoriert.”

Eckhard Jesse setzt auch gern mal die rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz, bei denen es unter anderem Angriffe auf Journalisten von hitlergrüßenden Neonazis gab, mit linken Waldbesetzern im Hambacher Forst gleich, die Polizisten mit Exkrementen beschmeißen (was wahrlich eklig und bescheuert, aber eben nicht lebensbedrohlich ist). Und Jesse schrieb — zugegebenermaßen vor knapp 30 Jahren — unter anderem, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus teilweise “mehr Phantom als Realität” seien und dass jüdische Organisationen “Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung” bräuchten, “um für ihre Anliegen Gehör zu finden und ihre legitimen Interessen besser zur Geltung zu bringen.” Und: “Auf Dauer dürfte Judenfeindlichkeit nicht zuletzt gerade wegen mancher Verhaltensweisen von Repräsentanten des Judentums an Bedeutung gewinnen”. Wie passt so ein Experte zur “Bild”-Redaktion, die am Montag noch eine Kippa zum Ausschneiden auf ihre Titelseite druckte, um ein Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland zu setzen?

Aber das ist dann vielleicht auch alles egal, wenn man auf Biegen und Brechen einen Vergleich zwischen Grünen und AfD hinbekommen will.

Mit Dank an Eva für den Hinweis!

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