Suchergebnisse für ‘Klima’

Deckname Bernstein, Ökomythen, Böhmermann und die Hohenzollern

1. Deckname Bernstein
(taz.net, Alexander Nabert & Daniel Kretschmar)
Bei der “Berliner Zeitung” überschlagen sich derzeit die Ereignisse: Erst das wirre und umstrittene Manifest der neuen Verlagseigentümer, dann die Aufdeckung der Stasi-Tätigkeit und das Bekanntwerden von Interessenkonflikten von Neu-Eigentümer Holger Friedrich. Die “taz”-Redakteure Alexander Nabert und Daniel Kretschmar fassen den derzeitigen Erkenntnisstand zusammen.
Vertiefende Lesehinweise: Neuer Besitzer des Berliner Verlags spitzelte als IM für die Stasi (welt.de, Uwe Müller & Christian Meier) und “Berliner Zeitung” veröffentlicht Jubelbericht über Firma — an der der Verleger beteiligt ist (spiegel.de, Stefan Berg & Sven Röbel).
Die “Berliner Zeitung” hat auf die Vorwürfe mit einem Statement von Holger Friedrich und einem “In eigener Sache” reagiert.

2. Wir haben uns entschlossen …
(twitter.com/kugelundniere)
Die Medientage in München haben ein Panel zum Thema Podcasts ausschließlich mit Männern besetzt. Ein Umstand, der dem Podcast-Team von “Kugel und Niere” bei der Zusage nicht bekannt gewesen sei und nun zur Absage führte: “Wir haben uns entschlossen am Montag bei diesem Panel nicht dabei zu sein. Wir wussten bei Zusage nicht, dass nur Männer auf der Bühne sitzen werden. Wir haben angeboten, dass Anna oder Elli kommen. Es hieß, man wolle die Zusammensetzung so kurzfristig nicht ändern.”

3. Gemeinsam gegen Angriffe
(taz.de, Peter Weissenburger)
Journalistinnen und Journalisten, die über die rechte Szene berichten, führen ein gefährliches Leben. Das reicht von Beschimpfungen und Bedrohungen bis zu echten Angriffen. Nachdem Neonazis eine Demonstration gegen drei freie Journalisten angekündigt haben, wurde von Medien- und Gewerkschaftsseite der Aufruf “Schützt die Pressefreiheit” gestartet. Dem Aufruf sollen sich bislang bereits 20 Medienverbände, 17 Redaktio­nen und 450 Einzel­per­sonen angeschlossen haben.

4. Was ist schon politisch?
(zeit.de, Lisa Hegemann)
Im Gegensatz zu Facebook soll es auf Twitter laut Netzwerkchef Jack Dorsey keine politische Werbung mehr geben. Ab Ende der Woche sollen die neuen Richtlinien gelten. Lisa Hegemann erklärt die Hintergründe des Werbeverbots, die Schwachstellen und die Abgrenzungsprobleme. Und sie weist auf ein elementares Problem hin: “Das Netzwerk hat sich also zwar Richtlinien überlegt, aber ob die auch Konsequenzen haben, das scheint man je nach Einzelfall entscheiden zu wollen. Transparent ist das nicht.”

5. Die Arbeit an den Ökomythen
(flurfunk-dresden.de, Stephan Zwerenz)
Stephan Zwerenz beschäftigt sich in seiner Kolumne mit der medialen Sicht auf die Klimadebatte, die an vielen Stellen von “falschen Ökomythen” geprägt sei. Und von der, im wahrsten Sinne des Wortes, Fokussierung auf eine einzelne Person: “Aber was will man erwarten, wenn selbst seriös wirkende Nachrichtenmagazine wie Focus online regelrechte Hetzkampagnen starten, um den Hass auf die Fridays-for-Future-Bewegung zu schüren. Im Sommerloch dieses Jahres hatten die zuständigen Redakteure anscheinend nichts besseres zu tun, als fast jeden Tag über Greta Thunberg zu berichten, obwohl es gar keine Neuigkeiten von ihr gab.”

6. Jan Böhmermann, der Aufklärer
(sueddeutsche.de, Jörg Häntzschel)
Der Entertainer Jan Böhmermann übernimmt immer wieder Themen, denen sich eigentlich der Journalismus widmen müsste. Aktuell geht es um die Forderung der Hohenzollern nach Entschädigung, Wohnrecht in einem Schloss und “Rückgabe” von Tausenden von Kunstwerken. Böhmermann habe “für eine breite Öffentlichkeit die milde Haltung des Bundes gegenüber den Hohenzollern zum Thema gemacht. Nun werden alle darüber reden müssen, warum der deutsche Adel nicht schon in der Weimarer Republik vollständig enteignet wurde, welche Rolle die Hohenzollern davor spielten, und warum man nach der Wende wieder so sanft mit ihnen umging. Daran kommt jetzt keiner mehr vorbei.”

Ärger um “Podimo”, Mistiges Verhalten, Aus für “Familientragödie”

1. Podimo
(dervierteoffizielle.de, Axel Goldmann)
Das mit reichlich Start-up-Kapital ausgestattete Podcast-Unternehmen “Podimo” hat weite Teile der deutschen Podcast-Community gegen sich aufgebracht, indem es sich ungefragt Tausende von Podcasts einverleibte. Als Antwort auf die Kritik verwies die sich selbst als “das Netflix für Podcasts” preisende Audio-Plattform darauf, dass man sich ja per Opt-out-Verfahren abmelden könne. Eine Argumentation, die das Verhalten der Plattform in den Augen vieler Podcasterinnen und Podcaster nicht unbedingt besser machte. Podcaster Axel Goldmann hat sich den Fall genau angeschaut: Er erklärt die umstrittene Strategie des Unternehmens und rechnet die Kalkulation nach.
Weiterer Lesehinweis: Der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Stephan Dirks geht auf seinem Blog auf die juristischen Aspekte des Falls ein: Aufregung um Podcast-App #Podimo (dirks.legal).
Und wer sich an der Diskussion aktiv beteiligen (oder einfach nur mitlesen) will: Im Forum der Podcasting-Community “Sendegate” wird der Fall, auch unter Beteiligung von “Podimo”, debattiert.

2. Mit Mist vor der Haustür
(taz.de, Jost Maurin)
Weil sie mit seiner Berichterstattung unzufrieden waren, sind niedersächsische Bauern vor dem Privathaus eines Redakteurs der “Braunschweiger Zeitung” vorgefahren. Ein Verhalten, das von der Familie des Journalisten verständlicherweise als bedrohlich und “wie eine Belagerung” empfunden worden sei. Die Aktion sei umso unverständlicher, als der monierte Beitrag mit den Bauern fair umgegangen sei. Wie Jost Maurin in der “taz” berichtet, hätten die Bauern mit ihrer aggressiven Taktik gegen Journalisten bisher jedoch keinen Erfolg.

3. In der Berichterstattung über Gewaltverbrechen …
(twitter.com, Froben Homburger)
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) wird in ihrer Berichterstattung über Gewaltverbrechen in Familien und Partnerschaften künftig nicht mehr von “Familientragödien” oder “Beziehungsdramen” sprechen. dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger erklärt die neue Sprachregelung und schreibt, wann eine Ausnahme davon gemacht werde.

4. Millionen-Subventionen für Zeitungen geplant
(ndr.de, Daniel Bouhs)
Der Haushaltsausschuss des Bundestags will den Verlagen einen staatlichen Zuschuss von 40 Millionen Euro für die Zustellung von Abonnementzeitungen und Anzeigenblättern zukommen lassen. Die Maßnahme wird von verschiedenen Seiten kritisiert: Laut BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff löse “eine so geringe Förderung” kein einziges Problem: “Die Fördersumme mag zunächst hoch erscheinen, hätte aber pro ausgeliefertem Zeitungsexemplar weniger als einem Cent entsprochen.” Während Mario Sixtus auf Twitter kommentiert: “Whut!?! Die Verlegerlobby hat wieder zugeschlagen: Unser Steuergeld fließt bald in den klimaschädlichen Transport von bedrucktem Papier, das nach Lektüre im Müll landet. Ganz so als gäbe es kein Internet.”

5. Wef verweigert WOZ den Zutritt
(woz.ch, Yves Wegelin)
Das jährlich in Davos tagende Weltwirtschaftsforum (Wef) hat der Schweizer “Wochenzeitung” (“WOZ”) die Akkreditierung verweigert. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums habe sich die Zeitung nicht rechtzeitig angemeldet; dies wird von der “WOZ” jedoch bestritten. Yves Wegelin sieht in der Verweigerung eher andere Gründe: “Medien wie die NZZ, die das Wef artig protokollieren, werden hofiert, kritischere Stimmen wie die WOZ werden abgestraft. Das Wef behauptet von sich, den Zustand der Welt durch demokratische Debatten verbessern zu wollen. Mit seiner Verweigerung einer Akkreditierung gewinnt diese Behauptung nicht gerade an Glaubwürdigkeit.”

6. Streik macht sich im BR-Programm bemerkbar
(sueddeutsche.de)
Beim Bayrischen Rundfunk (BR) und Norddeutschen Rundfunk (NDR) kam es zu einem Warnstreik, der Folgen für das Programm hatte. Einige Sendungen wurden mit Einschränkungen ausgestrahlt, andere fielen komplett aus. Wie nicht anders zu erwarten, geht es bei der Auseinandersetzung um das liebe Geld. Die beteiligten Parteien sollen sich Ende November erneut an den Verhandlungstisch setzen.

Juristische Keule gegen “Kontext”, Merkwürdiger Satz, NPD-Bedrohung

1. Wir schweigen nicht
(kontextwochenzeitung.de)
Als die “Kontext”-Redaktion aus Facebook-Chats eines Mitarbeiters von zwei AfD-Abgeordneten zitierte, wurde dies vielfach gelobt, weil die Zitate den Rassismus, den Antisemitismus und die Demokratieverachtung dieser Kreise offenlegten. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe habe “Kontext” in dieser Sache vollumfänglich Recht gegeben. Doch nun wird die Redaktion erneut juristisch bedroht, mit einer 60.000-Euro-Schmerzensgeld-Forderung und einem sehr hohen Streitwert: “Wer den Streitwert in einem Presserechtsverfahren gegen eine spendenfinanzierte Zeitung auf 260 000 Euro veranschlagt, hat ein klares Ziel: eine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen.” “Kontext” bittet daher um finanzielle Unterstützung durch Spenden: “Lassen Sie uns gemeinsam stark und laut sein gegen den Rechtsruck und dessen juristische Keule. Diesmal zielt sie auf uns. Gemeint sind wir alle.”

2. Kommentar: der wirklich ziemlich merkwürdige Satz des Holger Friedrich
(meedia.de, Matthias Oden)
Nach ihrem langen Aufsatz in der “Berliner Zeitung” haben die Verleger Silke und Holger Friedrich nun der dpa ein Interview gegeben. Darin liefert Holger Friedrich auch eine Erklärung für seinen umstrittenen Dank an den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR Egon Krenz. Eine Erklärung, die “Meedia”-Chefredakteur Matthias Oden erschreckt aufhorchen lässt: “Man hätte man also auch dieses Thema irgendwie beiseite legen können, wenn nicht Holger Friedrich in diesem Zusammenhang einen anderen Satz hätte fallen lassen: “Ich kann es aber nicht nachvollziehen, wenn jemand, der danach geboren wurde, sich zu einem kräftigen moralischen Urteil aufschwingt, weil er zu der Zeit nicht dabei war.” Und weil die Friedrichs wichtige Themen gerne in Fragen angehen, soll an dieser Stelle auch mit einer geantwortet werden: Meint er das ernst? Wirklich jetzt?”

3. Reflexe der Redaktionen
(journalist-magazin.de, Josef Zens)
Kalkulierte Tabu-Brüche, inszenierte Skandalisierungen, “False Balance”, mangelnde Fehlerkultur, unzureichende Recherchen … In der neuen Folge von “Mein Blick auf den Journalismus” hat sich Josef Zens die Wut über aktuelle Missstände des Journalismus von der Seele geschrieben. Zum Schluss gibt es aber auch Lob, und zwar für neue (und hier auch gelegentlich verlinkte) Journalismusmodelle wie die “RiffReporter” und das deutsche “Science Media Center”.

4. “YouTubers Union” sucht den Streit mit Google
(heise.de, Torsten Kleinz)
Zwischen Youtube und den vom Netzwerk lebenden Videoproduzentinnen und -produzenten besteht ein großes Machtgefälle: Die Youtuber sind dem Netzwerk mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert und müssen sich an das halten, was ihnen Youtube vorschreibt. Der Youtuber Jörg Sprave wollte sich mit diesem Ungleichgewicht nicht abfinden und gründete die Initiative “YouTubers Union”. Mittlerweile hat er einen mächtigen Bündnispartner gewonnen, die IG Metall. Torsten Kleinz erklärt in seinem Beitrag die Streitpunkte der beiden Parteien und sagt, welche Aktionen die Youtube-Gewerkschafter planen.

5. “Ein sehr starker Versuch der Einschüchterung”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:42 Minuten)
Die NPD will in Hannover anscheinend eine Demonstration gegen drei Journalisten durchführen, die im rechtsextremen Milieu recherchieren. Antje Allroggen hat sich im Deutschlandfunk mit dem Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit unterhalten, der das Vorgehen für bundesweit einmalig und für einen Teil einer neuen Einschüchterungsstrategie hält. Speit fürchte, “dass manches Mal Kolleginnen und Kollegen dann doch so ein wenig überlegen: ‘Ja, Mensch, muss ich mir das antun, wenn ich über die berichte, wenn das solche Folgen haben könnte?'”
Weiterer Lesehinweis: Die andere Pressefreiheit oder: Wie ich mit der AfD Bekanntschaft machte: “Nach der Abwahl des Rechtsausschuss-Vorsitzenden Stephan Brandner wegen Antisemitismus stellte ich nahe liegende Fragen und bekam unverschämte Antworten. Mir ist das eine Lehre. Sollte die AfD mal regieren, bleibt von der von ihr reklamierten Meinungsfreiheit vermutlich nicht viel übrig.” (rnd.de, Markus Decker).
Und noch ein Lesehinweis: Gericht untersagt NPD Falschbehauptungen gegen NDR Mitarbeiter.

6. Rezo hat ein kleines Meisterwerk geschaffen
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Die Deutsche Umwelthilfe hat den Youtuber Rezo mit dem UmweltMedienpreis in der Kategorie Online ausgezeichnet. In seiner Laudatio betont netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl, wie wichtig Rezos Video für das Entstehen einer gesellschaftlichen Klimadebatte war: “In Kombination mit den aufkommenden Protesten der Fridays-for-Future-Bewegung wurde “Die Zerstörung der CDU” ein weiteres bedeutendes Puzzlestück in der Sensibilisierung und Mobilisierung vieler, vor allem junger Menschen gegen die Klimakrise. Klimafragen waren auf einmal cool, was auch an der Darreichungsform von Rezos Video und seiner Vermittlung lag.”

Verlogene Kampagne, Merkwürdiges Manifest, Poschardts lautes Servus

1. Print wirbt: Burdas verlogener Kampf für das gedruckte Wort
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Medienkonzern Burda hat eine Imagekampagne für das gedruckte Wort aufgesetzt, die fremdschämverdächtig zwischen Unverfrorenheit und Unverschämtheit mäandert. Ganz abgesehen von verstörend dümmlich klingenden Slogans und “interessanten” Behauptungen (laut Burda sei Print auch digital …). Stefan Niggemeier schreibt über die Kampagne eines Medienkonzerns, der schon oft durch sein schäbiges Verhalten aufgefallen ist und nun von Menschenrechten und Werten schwadroniert. Und dafür allerlei Prominente bis hin zum Bundestagspräsidenten einspannt.

2. So viel, so schnell, um uns herum
(spiegel.de, Stefan Kuzmany)
Das merkwürdige Manifest der neuen Eigentümer von Berliner Verlag und “Berliner Zeitung” Silke und Holger Friedrich beschäftigt weiterhin die Branche. Stefan Kuzmany kommentiert: “Jetzt gehört ihnen der Verlag und damit die Zeitung, und man darf annehmen, dass das der einzige Grund dafür ist, dass ihre “Berliner Botschaft” gedruckt wurde: Nackte Angst der ihnen nun untergebenen Journalistinnen und Journalisten. Niemand traute sich offenbar, die Chefs zu redigieren.” Zur Ehrenrettung der “Berliner Zeitung” muss man jedoch erwähnen, dass dort mittlerweile eine Art partielles Gegenstatement erschienen ist: Egon Krenz danken? Wohl eher nicht (berliner-zeitung.de, Frederik Bombosch).

3. Ulf Poschardt sagt zum Abschied laut Servus
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 4:44 Minuten)
Der “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt hat sich mit großer Geste von Twitter verabschiedet, das er als einen “Brandbeschleuniger sowieso hitziger Debatten” bezeichnet. Ein Klima, zu dem er selbst viel beigetragen habe, wie Michael Borgers im Deutschlandfunk kommentiert. Oder um es mit den Worten des “6 vor 9”-Kurators zu sagen: “Nein, Ulf #Poschardt macht nicht “den Habeck”. Poschardt macht den 13-Jährigen, der aus Spaß Katzen am Schwanz zieht, in Ameisenhaufen pinkelt und Sachen kaputt macht, um sich zu spüren. Und der damit nicht aus Einsicht aufhört, sondern weil es ihn nicht mehr kickt.”

4. Die Videos und Fotos zu unserer Konferenz
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Im September hielten die Kollegen und Kolleginnen von netzpolitik.org ihre sechste Konferenz in Berlin ab. Wer dort nicht dabei sein konnte, braucht nicht traurig sein: Ein Großteil der Talks wurde per Video aufgezeichnet.

5. Fakes über Belit Onay
(tagesschau.de, Konstantin Kumpfmüller)
In der Stichwahl um das Amt des Hannoveraner Oberbürgermeisters konnte sich der Grünen-Politiker und Sohn türkischer Einwanderer Belit Onay durchsetzen. Anlass für rechte und ganz rechte Kreise, in den Sozialen Medien gegen ihn zu hetzen und allerlei Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen. Konstantin Kumpfmüller erklärt, mit welchen Falschbehauptungen und frisierten Belegen die Hetzer gegen Onay im Netz vorgehen.

6. Die beste Werbung? Donald Trump
(sueddeutsche.de, Christian Zaschke)
Der “New York Times” geht es wirtschaftlich so gut wie lange nicht, und das liegt wohl ausgerechnet an einem ihrer größten Feinde, dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump: Seit Beginn seiner Präsidentschaft verzeichnet das Blatt steigende Leserzahlen und gewinnt beständig neue Abonnentinnen und Abonnenten hinzu. Dank der üppig angewachsenen Cash-Reserven kann die “New York Times” nun sogar ihr Stammhaus zurückkaufen, von dem sie sich vor einiger Zeit aus wirtschaftlicher Not trennen musste.

“Bild”s Ruckzuck-Staat, Luftnummer Flugreisen, Meinungsfreiheit

1. Wirbel um Flugreisen an Schulen in Hamburg
(t-online.de, Tim Ende)
Werden an Hamburger Schulen tatsächlich zu viele Klassenfahrten mit dem Flugzeug unternommen, wie “Bild” mit einem Verweis auf die Schulbehörde berichtete? Es ist zumindest nicht die ganze Wahrheit, wie Tim Ende auf t-online.de schreibt. So handele es sich bei einer der kritisierten Schulen beispielsweise um eine interkulturelle Schule, und viele Flüge seien Austauschprogrammen geschuldet. “Wenn es zeitlich geht, nehmen wir die Bahn, zum Beispiel nach Kopenhagen oder Sylt”, so der Schulleiter. “Aber nach Shanghai oder Neu-Dehli, wo wir einen Austausch pflegen, geht es nicht anders. Wir können keine tagelangen Bahnreisen dorthin unternehmen.”

2. Bundesregierung will Whistleblower schützen lassen
(sportschau.de, Anne Armbrecht & Hajo Seppelt)
Bei der ARD-Dopingredaktion ist eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Whistleblowerschutz im Sport aufgetaucht. Anne Armbrecht und Hajo Seppelt haben sich angeschaut, was dort geschrieben und was dort vor allem nicht geschrieben steht.

3. “Bild” findet den deutschen Rechtsstaat unerträglich
(uebermedien.de, Eckhard Stengel)
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheidet demnächst über den Asylantrag eines in Abschiebehaft sitzenden, mehrfach vorbestraften Mitglieds eines kurdisch-libanesischen Clans aus Bremen. Für “Bild” eine unerträgliche Vorstellung. Die Redaktion wolle aus dem Rechtsstaat Deutschland lieber einen “Ruckzuck-Staat” machen, so Eckhard Stengel in seiner Aufarbeitung des Falls.

4. Leugnen, Twittern, Panik schieben? Klimadebatten im Netz sind vielschichtiger als ihr Ruf
(berlinergazette.de, Sabine Niederer)
Onlinedebatten zum Klimawandel haben in erheblichem Umfang zur Bewusstwerdung des Problems und der Entstehung einer Bewegung beigetragen. Die Medienwissenschaftlerin Sabine Niederer beobachtet seit mehr als zehn Jahren diese Entwicklung und weiß um Auslöser und Verstärker. Dabei geht es ausdrücklich um beide Seiten, also auch um die Klimawandelleugner und “Klimaskeptiker”.

5. Die CDU hat mich nicht verklagt
(zeit.de, Rezo)
In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Rezo mit der Art und Weise, wie die AfD das Thema Meinungsfreiheit für sich ausbeutet, eine angebliche Bedrohung herbeikonstruiert, und wie Medien darauf reinfallen: “Wenn große Zeitungen auf ihre Titelseiten nun Slogans wie “Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?” schreiben und dann das Tun und Lassen der AfD in einen Kontext setzen mit der Tatsache, dass Vorlesungen des AfD-Gründers Bernd Lucke von Antifa-Aktivistinnen gestört werden, kann man natürlich behaupten, dass man doch nur eine spannende Frage in den Raum stellt. Aber der Effekt ist, dass sich nun ein paar mehr Leser fragen, ob sie noch alles sagen dürfen und ob die über 20 Prozent Feinde der Meinungsfreiheit, die nun aus einigen Landtagen heraus die Verrohung der Debatte betreiben, nur ein Problem unter vielen sind.”

6. “Das amerikanische Publikum ist fürchterlich falsch informiert”
(deutschlandfunk.de, Sinje Stadtlich, Audio: 4:47 Minuten)
Neue Studien belegen den verzerrten Blick von US-Medien auf das Thema Abtreibung. Teilweise werde mit hanebüchenen Falschbehauptungen und Zuspitzungen operiert, um Stimmung gegen Abtreibungen zu machen. Der Deutschlandfunk zitiert die Forscherin Katie Woodruff von der University of California mit den Worten: “Das amerikanische Publikum ist fürchterlich falsch informiert über Abtreibungen. Unsere Medienlandschaft ist — wie unsere Politik — extrem parteiisch und gespalten. Und Fox News erzählt seinen Zuschauern die Geschichte, die sie hören wollen. Eine Geschichte von Bedrohung, Zwang und allen möglichen düsteren Praktiken, von denen keine einzige in diesem Land wirklich stattfindet.” Leider werden die Studienergebnisse wohl geringe Auswirkungen haben, denn keines der großen US-Medienhäuser habe darüber berichtet.

Schlechtwetter bei Wetterexperten, Airbus-Pöbel-Beauftragter, Fortnite

1. “Frei erfunden”? Jörg Kachelmann streitet mit dem rbb übers Wetter
(uebermedien.de, Constantin Pläcking)
Wenn im Wetterbericht von “aktuellen Temperaturen” die Rede ist, gehen viele davon aus, es handele sich um tatsächlich erhobene, also gemessene Daten. Oftmals basieren die Werte jedoch nicht auf Messstationen, sondern werden rechnerisch per Interpolation erhoben. Über die Seriosität dieser Methode ist zwischen Meteorologe Jörg Kachelmann und dem rbb ein heftiger Streit entbrannt. Constantin Pläcking von der Initiative für glaubwürdiges Radio “Fairradio” sortiert auf “Übermedien” Positionen und Argumente.

2. Warum wir vom “sogenannten Wirtschaftsnobelpreis” sprechen
(deutschlandfunk.de, Tanja Köhler)
Dieser Tage wurde in den Medien viel über die Verleihung des “Wirtschaftsnobelpreises” berichtet. Das Problem: Einen “Wirtschaftsnobelpreis” gibt es nicht. Es handelt sich vielmehr um einen Preis, der parallel zu den Nobelpreisen verliehen wird. Anlass für den Deutschlandfunk, einige grundsätzliche Überlegungen zur Nachrichtensprache anzustellen. Und im konkreten Fall? Da spricht man lieber vom “sogenannten Wirtschaftsnobelpreis”.

3. Airbus’ Lobby-Chef bedroht Aktivisten
(taz.de, Malte Kreutzfeld)
Auf Twitter kam es zu einem irritierenden Pöbelanfall des PR-Chefs Public-Affairs-Chefs von Flugzeughersteller Airbus: Der Öffentlichkeitsarbeiter Lobbyist bedrohte und beleidigte Aktivistinnen und Aktivisten der Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion. Sie mögen sich ihm besser nicht in den Weg stellen. Bei einer Blockade würde er “alles tun, was nötig sei”. In weiteren Tweets verglich er die bislang stets friedlich auftretenden Klimaschützer mit Nazis und antwortete einem Kritiker mit: “Komm her, wenn Du Eier hast”.
Nachtrag: Bei der “taz” hieß es zuerst, es handele sich um den PR-Chef von Airbus. Das hatten wir hier so übernommen. Inzwischen hat die Redaktion sich korrigiert: Es handelt sich um den Verantwortlichen für “die sogenannten Public Affairs des Konzerns in Deutschland — das sind die Kontakte zu Regierungen, Parteien und politischen Organisationen, also die Lobby-Aktivitäten des Unternehmens.”

4. Sprachverschmutzung: “Ethnische Säuberung”.
(kohlenspott.de, Lothar Lange)
Kohlen(s)pott-Blogger Lothar Lange ist entsetzt, dass in einem Interview bei Tagesschau.de in Zusammenhang mit der Vertreibung der Kurden von einer “ethnischen Säuberung” die Rede ist: “Wie verroht muss man sein, wenn man die gewaltsame Vertreibung von Menschen, die sie in unvorstellbar größte Ängste und Nöte bringt, als “Säuberung” bezeichnet — wie das Entfernen von Schmutz, Dreck oder Müll? Menschendreck also? Wie kann man es zulassen, dass sich ein solch menschenverachtender Begriff, wie “Ethnische Säuberung” so etablieren konnte?”

5. Wie Klaus Hermann und Christoph Dichand …
(twitter.com/florianklenk)
“Falter”-Chefredakteur Florian Klenk ist in einer Kolumne der österreichischen “Kronen Zeitung” auf unsägliche Weise angegriffen und beleidigt worden. Nun haben sich die “Kronen”-Chefs in einem Schriftstück hinter ihre Austria-Version des “Bild”-Kolumnisten Franz Josef Wagner gestellt. Und mit weiteren Angriffen nachgelegt.

6. Einfach mal selbst abschalten
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Spielehersteller Epic habe im vergangenen Jahr stolze drei Milliarden Dollar Profit erwirtschaftet. Ein großer Teil davon beruhe auf dem Erfolg des mittlerweile 250 Millionen Mal heruntergeladenen Spiels Fortnite. Angesichts des wirtschaftlichen Erfolgs ist es besonders bemerkenswert, wenn auf einmal die Spieleserver nicht erreichbar sind. Doch es spricht einiges dafür, dass Epic die Zwangspause aus Kalkül eingelegt hat, wie Jürgen Schmieder in der “Süddeutschen” berichtet.

Bild  

Vom “Messermann” zur Verschwörungstheorie

Am vergangenen Freitag ist in Berlin ein Mann über die Absperrung vor einer Synagoge gestiegen. Laut Polizeimeldung lief er mit einem Messer in der Hand auf die Wachleute zu und soll dabei etwas gemurmelt haben. Die Wachleute zogen sofort ihre Dienstwaffen, richteten sie auf den Mann und forderten ihn auf, das Messer fallen zu lassen. Der Mann blieb stehen und sprach mehrfach mit ruhiger Stimme und mutmaßlich auf Arabisch etwas vor sich hin. Die Wachleute setzten schließlich Pfefferspray ein, um den Mann zu überwältigen.

In einer ersten Befragung ließ sich das Motiv des Mannes nicht feststellen. Auch eine richterlich angeordnete Durchsuchung seiner Wohnung brachte keine Klärung. Da auch ein politisches Motiv in Frage kam, beschlagnahmte die Polizei mehrere Datenträger und Unterlagen, die zurzeit ausgewertet werden. Haftgründe gegen den Mann lagen nicht vor, weshalb er am darauffolgenden Morgen aus dem Polizeigewahrsam entlassen wurde.

So. Und dann kam “Bild”.

“Horror in Berlin-Mitte”, schrie die Zeitung am Montag: “Synagoge angegriffen”!

Der Mann sei Syrer und solle “Allahu Akbar” und “Fuck Israel” gerufen haben, schrieben die Autoren des Artikels. Ob das stimmt, ist unklar; in der Polizeimeldung steht es nicht, und andere Medien schreiben es nur mit Verweis auf die “Bild”-Zeitung.

Der eigentliche Skandal ist für “Bild” aber ohnehin etwas anderes.

DAS UNFASSBARE: MOHAMAD M. WIRD AM NÄCHSTEN TAG FREIGELASSEN.

“Wo er jetzt ist? Unbekannt.”, gruselte sich “Bild”-Redakteur Timo Lokoschat im dazugehörigen Kommentar:

Was bleibt, ist das bedrückende Gefühl, dass da draußen jemand herumläuft, der voller Hass ist und auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.

Und “Bild”-Chef Julian Reichelt twitterte:

Tweet von Julian Reichelt: Solange man von den Behörden laufen gelassen wird, wenn man mit einem Messer bewaffnet eine Synagoge überfällt, solange soll bitte kein Politiker behaupten, Antisemitismus habe in Deutschland keinen Platz. Hat er. Und zwar in seiner gefährlichsten Form. In unserer Hauptstadt.

Vielleicht ist es an der Zeit, diese Sache mit dem Laufenlassen nochmal zu erklären, “Bild” hatte da ja schon immer gewisse Verständnisprobleme.

Der deutsche Rechtsstaat sieht vor, dass es gute Gründe braucht, jemanden ohne ein Urteil ins Gefängnis zu stecken. Die Untersuchungshaft sei “die ultima ratio”, erklärte uns Anfang des Jahres in einer ähnlichen Sache der Strafverteidiger Carsten Hoenig. Der Erlass eines Haftbefehls müsse sich “an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Unschuldsvermutung messen lassen”. Zur Untersuchungshaft komme es nur, “wenn gar nichts mehr anderes geht”.

Laut Strafprozessordnung muss zunächst einmal dringender Tatverdacht bestehen. Zudem gibt es bestimmte Haftgründe, etwa die Fluchtgefahr, die Wiederholungsgefahr oder die Gefahr, dass Beweismittel vernichtet werden (Verdunkelungsgefahr). Liegen solche Gründe aus Sicht der Behörden nicht vor, gibt es keinen Haftbefehl.

Man kann also nicht mal so eben jemanden einsperren, auch wenn der “Bild”-Chefredakteur es gerne hätte:

Tweet von Julian Reichelt: Bei der Kombination aus Synagoge, Messer, „Allahu Akbar“ und „Fuck Israel“ könnte man auch von einem politisch/terroristischen Hintergrund ausgehen und den Täter erstmal einsperren. Oder man kann das alles ganz entspannt sehen wie @polenz_r und die Stadt Berlin.

Natürlich ist es möglich, dass ein politisches/terroristisches Motiv dahintersteckte. Aber es ist auch möglich, dass es einen anderen Hintergrund gab. Sogar “Bild” selbst schrieb in einem der Artikel zu dem Fall:

Haben Objektschützer vor der Neuen Synagoge in Mitte ein Blutbad verhindert? Oder haben sie am Freitagabend einen geistig verwirrten Mann gestoppt, der in Selbstmordabsicht mit einem Messer auf die bewaffneten Wachmänner zulief?

Julian Reichelt und Timo Lokoschat aber erwecken den Eindruck, als gebe es nur einen einzigen zulässigen Schluss.

Und als würden die Berliner Behörden die Sache gezielt vertuschen. In seinem Kommentar schrieb Lokoschat:

Erst vergangene Woche hatte ein Mann in Paris vier Menschen mit einem Keramikmesser erstochen. Ein Islamist, wie die Behörden erst nach langem Herumdrucksen bestätigten.

Auch in Berlin formuliert die Polizei, dass das Motiv des überwältigten Syrers “unklar” sei. Wie bitte? Was will jemand, der laut Zeugen “Allahu akbar” und “Fuck Israel” gerufen hat, mit einem Messer in einer Synagoge? In Ruhe reden? Nein, er will Juden verletzen oder ermorden.

Wer den grassierenden Antisemitismus bekämpfen will, muss sich auch trauen, ihn beim Namen zu nennen.

Ein entscheidender Punkt in der Berichterstattung von “Bild” ist, dass sie nicht das zum zentralen Thema macht, was passiert ist — ein Mann klettert mit einem Messer über die Absperrung einer Synagoge und wird gestoppt –, sondern das, was der Fantasie der Redaktion nach hätte passieren können.

Nochmal zur Erinnerung: Es ist nicht erwiesen, dass der Mann “Juden verletzen oder ermorden” wollte. Es könnte — wie “Bild” selbst schrieb — auch ein “geistig verwirrter Mann” mit “Selbstmordabsicht” gewesen sein. Oder etwas anderes. Die Behörden werden sich bemühen, die Motive herauszufinden. Während die “Bild”-Leute so tun, als hätten sie selbst den Fall schon gelöst.

Gestern dann die nächste Eskalationsstufe: Titelseitenwut.

BILD-Titelseite: Was uns wütend macht! - Politiker sagen: DDR war kein Unrechtsstaat - Staatsanwalt lässt Messer-Angreifer laufen - Klima-Kämpfer stellen unsere Demokratie infrage

“Wie kann das sein?”, fragte “Bild” immer noch fassungslos — und warf sogar die Frage auf, ob der Staatsanwalt “für seine Entscheidung, einen offenbar gefährlichen Täter freizulassen” “belangt werden” könne.

“Bild”-Redakteur Filipp Piatov erklärte den “Skandal um den Messerangreifer” dann noch mal nachdrücklich zu einer “Schande” für die Berliner Regierung. Der Fall beweise: Das “Engagement des Regierenden Bürgermeisters gegen Antisemitismus” sei “eine Luftnummer”.

BILD-Ausriss: Die Berliner Regierung ist eine Schande!

Nun ist [der Syrer] auf freiem Fuß, unauffindbar — und gewaltbereit. Denn was für jeden Bürger mit gesundem Menschenverstand nach einem versuchten antisemitischen Terrorangriff aussieht, ist für Berliner Behörden leider kein Haftgrund. Verrückt!

Anstatt den Mann in Gewahrsam zu nehmen und intensiv zu prüfen, ob er nicht in ein Flugzeug gen Heimat gehört, darf er durch Berlins Straßen laufen. Es ist amtlich: Die deutsche Hauptstadt drückt nicht nur bei Drogendealern, sondern auch bei antisemitischen Gewalttätern beide Augen zu.

Gestern Vormittag meldete sich die Generalstaatsanwaltschaft Berlin zu Wort — und widersprach so ziemlich allem, was die “Bild”-Leute behauptet hatten.

Zunächst einmal stellte sie klar: “Die Voraussetzungen für einen Haftbefehl liegen nicht vor”: Es bestehe “kein dringender Tatverdacht einer Straftat, lediglich der Anfangsverdacht eines Hausfriedensbruchs.” Der Verdächtige sei “strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten”. Und: Derzeit lägen “keine Erkenntnisse zu einer möglichen islamistischen Motivlage vor”, die Ermittlungen dazu würden “mit Hochdruck fortgeführt”. “Durch Berlins Straßen”, wie die “Bild”-Kommentatoren geschrieben hatten, läuft der Mann auch nicht: Er befinde sich, so die Generalstaatsanwaltschaft, “derzeit in der Psychiatrie”.

Und wie reagierte der “Bild”-Chef? “Sorry, dass wir so viele voreilige Schlüsse gezogen haben?” Aber nicht doch.

Tweet von Julian Reichelt: Die Berliner Staatsanwaltschaft macht sich komplett lächerlich und wirft die Frage auf, ob man politisch/terroristische Straftaten bewusst ignoriert, weil sie politisch unbequem sind und nicht zur Ideologie der Berliner Regierung passen.

Das muss man sich mal vorstellen: Wegen des Verzichts auf einen Haftbefehl aufgrund fehlender Voraussetzungen dafür unterstellt er jetzt den Berliner Behörden, aus ideologischen Gründen terroristische Straften bewusst zu ignorieren. Woanders würde man sowas Verschwörungstheorie nennen, bei “Bild” nennen sie es Journalismus.

Reichelt scheint fest entschlossen zu sein, aus dem Vorfall vor der Synagoge eine Kampagne gegen die Berliner Regierung und deren “Ideologie” zu machen.

Heute wird es persönlich. Groß auf Seite 2 der Bundesausgabe: ein Foto der Berliner Generalstaatsanwältin.

BILD-Ausriss: Warum fürchtet die Politik das Wort Terror?

Im Artikel listet “Bild”-Redakteur Ralf Schuler mehrere islamistische Anschläge der vergangenen Jahre auf und — als gäbe es keinen Zweifel daran, dass es sich dabei ebenfalls um islamistischen Terror gehandelt hat — nennt dabei auch den Vorfall vor der Synagoge vom Wochenende. Es sei “IRRE”, dass der Mann wieder freigelassen wurde, schreibt auch Schuler nochmal. Und dann schreibt er, in bester AfD-Manier:

Die Politik drückt sich noch immer vor dem Eingeständnis, dass mit der Massenmigration seit 2015 auch Kriminelle nach Deutschland gekommen sind und spricht deshalb lieber über Einzelfälle als über das Terror-Problem.

Was haben wir also gelernt? Der Synagogen-“Messermann” ist hundertprozentig ein islamistischer Terrorist, denn während die Ermittlungsbehörden nur aufwendig rumermitteln, hat “Bild” einfach eins und eins zusammengezählt. Die Berliner Behörden stecken aber alle unter einer Decke und wollen das mit dem Terror geheimhalten. Und dass viele Flüchtlinge Terroristen sind, will die Politik ebenfalls vertuschen. Und von “Terror” sprechen sollte man sowieso nicht erst, wenn alle Beweise gesichtet, wenn die Datenträger ausgewertet und die Ermittlungen abgeschlossen sind, sondern gefälligst dann, wenn die “Bild”-Zeitung es verlangt.

Ein Teaser, dem man keine Beachtung schenken sollte

Schon Politiker in den höchsten Ämtern hatten mit der englischen Sprache zu kämpfen: deutsche Außenminister, Bundespräsidenten oder EU-Kommissare für Digitales. Manche der legendärsten Fauxpas (“Equal goes it loose”) sind zwar bloß Erfindungen von Journalisten, halten sich aber hartnäckig im kollektiven Gedächtnis.

Bei der Kombination aus Englischübersetzungen und Erfindungen von Journalisten sind wir auch schon bei Welt.de. Die Redaktion teaserte am vergangenen Donnerstag einen Artikel über einen Tweet von Greta Thunberg so an:

Screenshot Welt.de - Als Reaktion auf Hass und Spott hat Greta Thunberg ihren Kritikern geantwortet. Wer ihr Vorgehen zum Klimaschutz nicht billigt, sei keiner Beachtung wert, schrieb sie. Wichtiger sei es, Gutes zu tun, als jugendliche Klimaschützer mit Verachtung zu verfolgen.

Thunberg will also ihren Kritikern keine Beachtung schenken? Wie ignorant und totalitär ist das denn!? Nur: Hat sie das wirklich so gesagt? Mitnichten.

Thunberg, schwedische Muttersprachlerin, 16 Jahre alt, hält ihre Reden auf Englisch und wird anschließend häufig von ihren Gegnern in deren Muttersprache kritisiert, beleidigt oder verhöhnt. Die Vorwürfe lauten unter anderem Unbedarftheit, Unverschämtheit und Überheblichkeit.

Auf all den Hass, der ihr entgegenschlägt, hat Greta Thunberg bei Twitter geantwortet, auf Englisch. Das ist der Tweet, um den es im Artikel bei Welt.de geht:

Screenshot zweier Tweets von Greta Thunberg - I honestly don't understand why adults would choose to spend their time mocking and threatening teenagers and children for promoting science, when they could do something good instead. I guess they must simply feel so threatened by us. But don’t waste your time giving them any more attention. The world is waking up. Change is coming wether they like it or not. See you in the streets this Friday!

Ins Deutsche lässt sich das so übersetzen:

Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum Erwachsene sich dazu entscheiden, ihre Zeit damit zu verbringen, Teenager und Kinder, die sich für die Wissenschaft einsetzen, zu verspotten und zu bedrohen, anstatt selber etwas Gutes zu tun. Ich vermute, sie fühlen sich einfach bedroht von uns. Aber verschwendet eure Zeit nicht damit, ihnen weiterhin Beachtung zu schenken.

Anders als die “Welt”-Redaktion behauptet, will Thunberg also nur jene nicht beachten, die spotten und drohen. Komisch, dass daraus im Welt.de-Teaser wird: “Wer ihr Vorgehen zum Klimaschutz nicht billigt, sei keiner Beachtung wert”. Passierte das aufgrund von Schlampigkeit, von Sprachschwierigkeiten oder einfach aus Bock auf einen geileren Teaser? Im dpa-Text selbst, auf dem der Welt.de-Artikel basiert, wird Thunbergs Tweet jedenfalls richtig wiedergegeben.

Greta Thunbergs vermeintliche Aussage im Teaser, die die “Welt”-Redaktion ihr dort unterjubelte, reichte aber, um die Leserschaft zu empören:




Nachtrag, 18:49 Uhr: Die “Welt”-Redaktion hat auf unsere Kritik reagiert und den Teaser angepasst. Dieser lautet nun:

Als Reaktion auf Hass und Spott hat Greta Thunberg ihren Kritikern geantwortet. Wer Spott und Bedrohungen gegen Kinder und Jugendliche verbreite, sei keiner Beachtung wert, schrieb sie. Wichtiger sei es, Gutes zu tun.

Einen Hinweis auf diese Korrektur gibt es nicht.

Fossile Anzeigen, Bilder aus Doha, “Bild”-Glotze

1. Maaßen wechselt zu Anwaltskanzlei
(tagesschau.de, Georg Mascolo & Katja Riedel)
Der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen ist seit heute als sogenannter “Of counsel” bei der Kölner Anwaltskanzlei des Medienrechtlers Ralf Höcker beschäftigt. Darunter versteht man laut Wikipedia “Rechtsanwälte, die außerhalb der Hierarchie von Partnern/Sozien und angestellten Anwälten (“Associates”) bei bestimmten Mandaten herangezogen werden”. Maaßen und Höcker eint die Mitgliedschaft in der sogenannten “Werte-Union”, ein Zusammenschluss von etwa 3.000 besonders konservativen CDU-Anhängern, der von der Partei jedoch nicht als offizielle Parteiorganisation geführt wird.

2. “Sport soll positive Bilder liefern”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen)
Der Deutschlandfunk hat sich anlässlich der Leichtathletik-WM in Doha mit der Kommunikationswissenschaftlerin Stephanie Heinecke über die Besonderheiten der Berichterstattung unterhalten. Der Veranstalter nehme starken Einfluss auf die visuelle Darstellung des Sportspektakels. Einerseits sorge er für umstrittene, als übergriffig empfundene Bilder, andererseits unterdrücke er Bilder von Athleten, die unter den besonderen klimatischen Bedingungen des Wüstenstaats zusammenbrechen.

3. Deutsche-Presse Agentur kämpft um Auftraggeber
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier & Stefan Mayr)
Den Medienwandel bekommen nicht nur Zeitungen zu spüren, sondern auch ihre Zulieferer, die Nachrichtenagenturen. Die Deutsche Presse-Agentur sieht sich nun zu Umstrukturierungen gezwungen, die nicht nur eine stärkere Zentralisierung, sondern auch Stellenabbau vorsehen.

4. “Bild”, “BamS” – jetzt Glotze
(spiegel.de, Isabell Hülsen & Alexander Kühn)
Seit einiger Zeit deutet sich an, dass der Einstieg des Finanzinvestors KKR bei Axel Springer ein Runterfahren des Printsektors bei gleichzeitiger Stärkung des Onlinegeschäfts nach sich zieht. Nun wird bekannt, dass der Verlag “Bild” und “Bild am Sonntag” zusammenlegen und um einen TV-Sender ergänzen will. Geld für das neue “Bild-TV” dürfte vorhanden sein: Springer will bei “Bild”, “BamS” und “B.Z.” insgesamt 20 Millionen Euro einsparen.

5. “Lieber Geschichte schreiben statt Artikel”: Wie Leitmedien von “Zeit” bis “FAS” sich am Phänomen Greta Thunberg abarbeiten
(meedia.de, Franz Sommerfeld)
Greta Thunberg und die von ihr ins Leben gerufene Fridays-For-Future-Bewegung sind ein Thema, das von Medien sehr unterschiedlich wahrgenommen und dargestellt wird. Der Publizist Franz Sommerfeld hat sich angeschaut, durch welche Brillen Leitmedien wie “Zeit”, “Welt” oder “FAZ” das Phänomen betrachten.

6. Flüge fliegen raus
(taz.de, Reinhard Wolff)
Die als grün-rot geltende schwedische Tageszeitung “Dagens ETC” will keine “fossilen Annoncen” mehr annehmen. Damit soll vermieden werden, dass neben Artikeln über die Klimapolitik Anzeigen für klimaschädliche Flugreisen oder Verbrenner-Autos präsentiert werden. Chefredakteur Andreas Gustavsson lobt und kritisiert die Branche: “Viele Medien haben ihren Klimajournalismus in letzter Zeit deutlich ausgebaut, teilweise gibt es jetzt eigene Klimaredaktionen, aber man meint auf der Anzeigenseite nichts opfern zu müssen.” Seine Zeitung wolle sich finanziell unabhängig von den Branchen machen, die man kritisiere: “Alles andere ist Heuchelei.”

Den Lomborg zum Gärtner machen

This article is misleading.

I think the article misrepresents statistics and cherry picks some facts to support its position while ignoring relevant ones.

The author misleads the audience with flawed logic, omission of important information, and cherry-picked examples.

The article contains numerous scientific errors, does not provide references for some of its key claims, and ignores much of the published literature on the subjects discussed.

Diese nicht gerade schmeichelhaften Urteile stammen von Professoren, Assistenzprofessoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und sie alle gelten Björn Lomborg.

Der Däne ist Politologe und Statistiker und schreibt immer wieder in verschiedenen englischsprachigen Medien Artikel zum Thema Klimawandel. Das führt wiederum zu Urteilen wie oben, die auf der Plattform “Climate Feedback” erscheinen, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Medienberichte aus ihren Fachgebieten kommentieren und bewerten. Lomborgs Texte wurden durchweg als “biased” und “misleading” eingestuft. Diese Einschätzungen bestätigt auch der Abschnitt “Rezeption” seiner Wikipedia-Seite, die eine illustre Sammlung von kleineren und größeren wissenschaftlichen Katastrophen ist: Da findet man den Vorwurf, Lomborg nutze öfter nicht-peer-reviewte Arbeiten anstatt die entscheidende wissenschaftliche Literatur, er soll mit schiefen Vergleichen und irreführendem Zahlenmaterial soziale und ökologische Probleme verharmlosen und habe Daten erfunden.

Dieser Björn Lomborg schreibt jetzt für “Bild” und Bild.de. Das passt doch.

Screenshot Bild.de - Björn Lomborg versus Greta Thunberg - Forscher rechnet mit Klima-Greta ab

Nun könnte man erstmal auf den Kniff der Bild.de-Redaktion hinweisen, Lomborg auf der Startseite als “Forscher” zu bezeichnen und nicht etwa als Politologen oder Statistiker. “Forscher” erinnert im allgemeinen Sprachgebrauch vermutlich stärker an “Naturwissenschaftler”, der sich in Klimafragen auskennen könnte. Allerdings muss man auch sagen, dass in der Politikwissenschaft ebenfalls geforscht wird. Interessanter ist da eigentlich zu gucken, wie sehr Lomborg denn überhaupt forscht in einem wissenschaftlichen Sinne. Und da sieht es recht mau aus: Fast alle seiner Veröffentlichungen seien Meinungsstücke, die von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern so gut wie nie zitiert werden, so die Kritik.

Unter der Überschrift “Ja, die Erderwärmung ist real, ABER …” stellt Björn Lomborg also heute in “Bild” die “Thesen von Greta Thunberg infrage”. Zum Beispiel so:

CO2 STEHT FÜR WOHLSTAND

Wir stoßen CO2 nicht aus Böswilligkeit aus. CO2 hat Menschen aus der Armut geholt. Noch vor 100 Jahren war unser Leben mit Knochenarbeit verbunden. Unsere Situation hat sich erheblich dadurch verbessert, dass große Mengen an Energie zur Verfügung stehen. Unsere Lebenserwartung hat sich verdoppelt. In den letzten 25 Jahren hat Energie mehr als eine Milliarde Menschen aus der Armut befreit.

Es ist ein rasanter Sprung, den Lomborg innerhalb von wenigen Zeilen hinlegt: Erst schreibt er von “CO2”, rasch ist er bei “Energie”, und schon wirkt es so, als wollte irgendjemand generell die Energiegewinnung statt den CO2-Ausstoß stoppen. Eine derartige Forderung von Vertretern von Fridays For Future, ernstzunehmenden Wissenschaftlerinnen oder seriösen Forschern ist uns nicht bekannt.

Weiter geht’s bei Lomborg mit:

WENIGER TODESFÄLLE

Tatsache ist, dass wetterbedingte Katastrophen vor 100 Jahren jedes Jahr eine halbe Million Menschen getötet haben. Aufgrund von zurückgehender Armut und besserer Klimaresistenz kommen heute nur 20 000 Menschen durch Dürren, Überflutungen und Hurrikans ums Leben.

Neben “zurückgehender Armut und besserer Klimaresistenz” dürften noch andere Gründe für den Rückgang verantwortlich sein, schreibt ein Klimawissenschaftler dazu, etwa das deutlich verbesserte weltweite Gesundheitswesen. Außerdem merkt er an, dass Todesfälle durch Hitzewellen durchaus steigen.

Nimmt man einen anderen Bezugspunkt als “vor 100 Jahren”, sieht es auch schon anders aus als in Lomborgs Darstellung: Einem UN-Bericht zufolge haben die Schäden durch klimabedingte Naturkatastrophen zwischen 1998 und 2017 im Vergleich zum vorangegangenen 20-Jahres-Zeitraum deutlich zugenommen.

Am Ende schreibt Björn Lomborg noch:

WAS MENSCHEN WIRKLICH WOLLEN

Als die UN zehn Millionen Menschen weltweit befragten, was ihre Prioritäten seien, waren die Antworten: Gesundheit, Bildung, Jobs und Nahrung. Das Klima wurde als letzte von 16 Antwortmöglichkeiten genannt. Nicht, weil es unwichtig ist, sondern weil für große Teile der Menschheit andere Themen viel dringlicher sind.

Wie in seinem gesamten “Bild”-Artikel gibt Lomborg auch hier keine Quelle an. Wir vermuten, er bezieht sich auf die MyWorld Survey der UN von 2015. Damals haben 9,74 Millionen Menschen Themen genannt, die für sie von Bedeutung sind. Tatsächlich landete dabei “Action taken on cliamte change” auf Platz 16.

Zu der groß angelegten Umfrage sei angemerkt, dass die verschiedenen Länder der Erde nicht gerade proportional in den Ergebnissen vertreten sind: 48,4 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus nur zwei Ländern (Nigeria und Mexiko). Der Grund dafür dürfte sein, dass die Partnerorganisationen der UN dort besonders fleißig waren.

Vor allem aber gibt es inzwischen eine neuere Auflage dieser MyWorld Survey, die noch bis 2030 laufen soll. Daran haben zwar noch nicht zehn Millionen Menschen teilgenommen, aber immerhin schon knapp 500.000. Der Aspekt “Climate Action” liegt nun auf Rang 8 der Prioritäten. Die Daten, mit denen Lomborg argumentiert, sind schlicht überholt.

Als “Bild” vor knapp drei Wochen Björn Lomborgs Thesen schon einmal groß im Blatt präsentierte (“Was ist schlimmer — Greta oder die Zukunft, Herr Professor?”), gab es direkt Widerspruch und Gegenargumente von zwei Professoren. Die Redaktion verkaufte das Ganze am nächsten Tag als große Debatte (“Die Klima-Debatte wird immer heißer”). Und sie fand auch Unterstützer für Lomborgs Aussagen: zwei FDP-Politiker.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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