Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Abtreibungsgegner will Pressefreiheit abtreiben, Traumata, Weidel-Spende

1. Abtreibungsgegner Yannic Hendricks hat BuzzFeed News abgemahnt, weil wir seinen Namen veröffentlicht haben
(buzzfeed.com, Juliane Loeffler)
Der Abtreibungsgegner Yannic Lukas Hendricks hat “BuzzFeed News Deutschland” abgemahnt, weil das Portal seinen Namen veröffentlicht habe. “BuzzFeed News” nimmt dies jedoch nicht hin: “Wir wehren uns gegen die Abmahnung, weil wir die Namensnennung für rechtens halten.” Juliane Loeffler erklärt die Position des Portals und zitiert aus der anwaltlichen Erwiderung auf die Abmahnung.

2. Das Trauma klopft meist sachte an
(facebook.com/carsten.stormer)
Seit vielen Jahren berichtet Carsten Stormer aus den Krisengebieten der Welt, ob als Journalist, Buchautor oder Filmemacher. Eine Tätigkeit, die körperliche Wunden und seelische Narben hinterlässt. In einem Facebook-Post schreibt Stormer auf eindrückliche und bedrückende Weise von den Erinnerungen an Krieg, Tod und grausame Gewalt, die er in einem Buch verarbeitet hat und die ihn immer wieder verfolgen: “Das Sediment dieser Geschichten lagert sich wie toxischer Schlamm in meinem Kopf ab, Schicht um Schicht.”
Siehe dazu auch: Traumatisierte Journalisten: Es gibt zu wenig Hilfe (ndr.de, Inga Mathwig, Video, 6:31 Minuten).

3. Die fixe Idee der neutralen Berichterstattung halte ich für absurd.
(planet-interview.de, Anja Reschke)
Jakob Buhre hat die NDR-Journalistin und Buch-Autorin (“Haltung zeigen”) Anja Reschke interviewt. Es geht um ihr Verständnis von Gerechtigkeit und das Bemühen um neutrale Berichterstattung, Selbstkritik, Transparenz und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Gleichstellung innerhalb der Sender und ihre Mail-Korrespondenz mit Zuschauern.

4. Julian Reichelt still loves patriarchy
(genderequalitymedia.org)
Der Verein “Gender Equality Media” hat mit “Still <3 patriarchy" ein neues Projekt gestartet, bei dem "sexistische und patriarchale Entscheidungsträger*innen" benannt werden. "Was muss passieren, um einen Platz auf der Website zu bekommen? Ein sexistisches Bild hier, ein schiefes Wort da? Nein, wir wollen Journalist*innen nicht bloßstellen -- Fehler machen wir alle, und im besten Fall lernen wir daraus. Wir wollen die Journalist*innen zur Verantwortung ziehen, die Sexismus mit System in ihrer Arbeit einsetzen." Ganz vorne mit dabei: "Bild"-Chef Julian Reichelt. Weiterer Lesetipp: Unser Beitrag von gestern: Schülerzeitung entlockt Julian Reichelt “tiefe innere Wahrheit” mit einem Hinweis auf ein in jeder Hinsicht herausragendes Interview.

5. “Beeindruckendes Wachstum”
(faktenfinder.tagesschau.de)
Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder” beschäftigt sich mit den rätselhaften Wahlkampfspenden an Alice Weidel (AfD), mit denen wahrscheinlich der Social-Media-Erfolg finanziert und die Reichweite auf Twitter und Facebook massiv ausgebaut wurde.

6. Warum Journalisten nicht vom “Gute-Kita-Gesetz” sprechen sollten (Spoiler: Weil sie damit der Ministerin einen Gefallen tun)
(stefan-fries.com)
Aus dem “Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung” hat das Bundesfamilienministerium das “Gute-Kita-Gesetz” gemacht. Stefan Fries erklärt, warum es keine gute Idee ist, wenn Medien diesen Begriff in ihrer Berichterstattung übernehmen.

Streit um Absage, Mission Wahrheit, YouTube-Paniker

1. Wir veröffentlichen: Wie sich die AfD ihre eigene Verfassungsfeindlichkeit bescheinigen lässt
(netzpolitik.org, Andre Meister & Anna Biselli)
Die AfD will verständlicherweise vermeiden, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Auch weil dies Wählerstimmen kosten könnte. Die Partei hat deshalb ein Gutachten erstellen lassen. Dort gibt es 31 Handlungsempfehlungen, wie sich eine Beobachtung vermeiden ließe. Ohne zu viel zu verraten: Wenn sich die AfD an die Empfehlungen hält, könnte sich eine wohltuende Stille ausbreiten.

2. Margarete Stokowski zur Absage ihrer Lesung (28.11.2018)
(rowohlt.de, Margarete Stokowski)
Die Schriftstellerin und “Spiegel Online”-Kolumnistin Margarete Stokowski hat eine Lesung in einer Buchhandlung abgesagt, die auch Bücher von rechten und rechtsextremen Autoren zum Verkauf anbietet. Zwei Dinge stören sie: Die Normalisierung rechten Denkens und die finanziellen Gewinne für diese Autoren und Verlage. Die Buchhandlung reagierte auf die Absage mit einer öffentlichen Stellungnahme, auf die Stokowski nun ihrerseits öffentlich einsehbar reagiert hat.

3. YouTube-Stars verbreiten gerade massenhaft Panik ums ‘Ende von YouTube’
(motherboard.vice.com, Sebastian Meineck)
Wenn erfolgreiche YouTuber derzeit Videos verbreiten, in denen sie aufgeregt von der angeblich drohenden Stilllegung ihres Kanals berichten, liegt das an einem Missverständnis, das mit der angekündigten Urheberrechtsreform der EU zu tun hat. Es liegt aber auch daran, dass mit den überdrehten Panik-Videos massiv Klicks und Geld erzeugt werden. Sebastian Meineck erklärt die Sachlage und lässt verschiedene YouTuber zu Wort kommen.

4. Laudatio zur Verleihung der “Goldenen Kartoffel” 2018 an BILD-Chef Julian Reichelt
(neuemedienmacher.de, Sheila Mysorekar)
Die Verleihung des Negativpreises “Goldene Kartoffel” an “Bild”-Chef Julian Reichelt hatte für einigen Wirbel gesorgt, weil Reichelt zur Preisverleihung persönlich erschienen war und die Entgegennahme mit Hinweis auf einen angeblichen Rassismus gegen Deutsche verweigert hatte. Die Kartoffel-verleihenden “Neuen Deutschen Medienmacher” haben nun die komplette Laudatio zum Nachlesen online gestellt.

5. “Niemand kennt Hamburgs Straßen besser”
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio, 4:51 Minuten)
Das Hamburger Straßenmagazin “Hinz & Kunzt” wird 25 Jahre alt. Im “Deutschlandfunk” erzählt Chefredakteurin Birgit Müller, wie es zur Gründung des Magazins kam, welche Ziele man verfolgt und spricht über die zunehmende Verelendung auf Hamburgs Straßen.

6. Härtetest
(sueddeutsche.de, Holger Gertz)
Die Regisseurin Liz Garbus hat ein Jahr lang verschiedene Journalisten und Journalistinnen der “New York Times” bei ihrer Berichterstattung über Donald Trump begleitet. Herausgekommen ist die empfehlenswerte vierteilige Dokuserie “Mission Wahrheit – Die New York Times und Donald Trump”, die der Fernsehsender Arte heute Abend ausstrahlt.
Servicetipp: Man kann die Serie bis zum 5. Dezember 2018 auch online anschauen: Hier die Links:

Teil 1: Die ersten hundert Tage
, Teil 2: Aufschlag Trump, Teil 3: Zur Lage der Nation und Teil 4: Die Welt der Fakten.

“Nichts anderes als übelste Propaganda”

Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, twitterte vorgestern zur anstehenden Landtagswahl in Bayern das hier:

Screenshot eines Tweets von Robert Habeck - Sonntag wählt Bayern. Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern. Eine Alleinherrschaft wird beendet. Demokratie atmet wieder auf. Damit das möglich wird, geht zur Wahl und wählt mit beiden Stimmen Grüne Bayern!

Das ist ziemlicher Unfug. Der Satz “Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern” ist schlicht falsch. Die absoluten Mehrheiten der CSU waren immer durch Wahlen demokratisch legitimiert.

Habecks Aussage störte auch “Bild”-Chef Julian Reichelt:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Die Grünen beenden den Wahlkampf in Bayern mit einer gefährlichen Botschaft, die nichts anderes ist als übelste Propaganda: Es gäbe keine Demokratie in Bayern, sondern Alleinherrschaft. Wer so über frei gewählte Demokraten spricht, kriminalisiert sie und ihre Wähler.

Ihm missfiel offenbar beides: Habecks Behauptung, es gäbe keine Demokratie in Bayern, und der Begriff “Alleinherrschaft” — jedenfalls zitiert er ihn extra noch einmal.

Schaut man mal bei Bild.de nach, wofür Reichelt ja verantwortlich ist, findet man einen recht aktuellen Artikel, in dem etwas über eine “Alleinherrschaft” der CSU in Bayern stand:

Screenshot Bild.de - Bei der Landtagswahl 2008 musste die CSU dann nicht nur einen dramatischen Absturz von 60,7 auf 43,4 Prozent verkraften, sondern auch, was für sie noch schlimmer war, den Verlust der jahrzehntelangen Alleinherrschaft.

Sicher, es gibt einen Unterschied zwischen Habecks Aussage zur “Alleinherrschaft”, die er in den Zusammenhang mit einer vermeintlich fehlenden Demokratie bringt, und der Aussage zur “Alleinherrschaft” von Bild.de, die erstmal nur die absolute Mehrheit der CSU überspitzt umschreibt. Und dennoch: In der “Bild”-Redaktion hielten sie es offenbar mal nicht für “übelste Propaganda”, von einer CSU-“Alleinherrschaft” zu sprechen.

Robert Habeck hat bereits gestern eingeräumt, dass sein Tweet “einer zu viel” gewesen sei. Das Vorgehen der Bild.de-Mitarbeiter steht im Kontrast zu dieser transparenten Reaktion des Politikers: Sie haben — nachdem mehrere Personen Julian Reichelt auf den “Alleinherrschaft”-Artikel hingewiesen haben — einmal mehr klammheimlich gehandelt. In ihrem Text steht nun, ohne weiteren Hinweis:

Screenshot Bild.de - Bei der Landtagswahl 2008 musste die CSU dann nicht nur einen dramatischen Absturz von 60,7 auf 43,4 Prozent verkraften, sondern auch, was für sie noch schlimmer war, den Verlust der jahrzehntelangen alleinigen Regierung.

Sollte es den Leuten bei Bild.de wirklich wichtig sein, dass bei ihnen nicht von einer “Alleinherrschaft” der CSU die Rede ist, dann können sie gern auch noch mal hier

Screenshot Bild.de - In den Umfragen liegt die CSU aktuell bei 36 Prozent: Adé Alleinherrschaft!

… und hier aufräumen:

Screenshot Bild.de - Dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten ist die Rückeroberung der CSU-Alleinherrschaft spektakulär gelungen.

“Bild” belästigt “letzte Hitlers”, die gar nicht Hitler heißen

Alexander Hitler heißt nicht Alexander Hitler, und dennoch nennen “Bild” und Timo Lokoschat ihn Alexander Hitler, denn andernfalls käme ihre Titelgeschichte von heute noch ein Stück dünner daher:

Ausriss Titelseite der Bild-Zeitung - Bild traf den Groß-Neffen in den USA - Letzter Hitler bricht sein Schweigen! Mit zweitem Namen heißt er Adolf

Ihre komplette Seite 3 hat die Redaktion für die Story freigeräumt:

Ausriss Bild-Zeitung - Was Alexander Hitler über Merkel und Trump denkt
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Bei Bild.de, dort hinter der Bezahlschranke, prangte sie heute lange Zeit ganz oben auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Bild traf den Groß-Neffen in den USA - Letzter Hitler bricht sein Schweigen! Mit zweitem Namen heißt er Adolf

Und auch online ist fast ausschließlich von Alexander Hitler die Rede, was — das möchten wir hier gern noch mal betonen — falsch ist, da der Mann, den Lokoschat und “Bild” aufgestöbert haben, gar nicht Alexander Hitler heißt: Er ist tatsächlich mit Adolf Hitler verwandt, um einige Ecken, laut “Bild”-Medien soll er dessen Großneffe sein. Aber den Nachnamen des Diktators trägt er nicht, hat er nie. Das schreibt auch Lokoschat:

Ihren Namen hat die Familie 1946 verändert. Zuerst in Hiller, später in einen englischen Doppelnamen.

Alexander wurde 1949 geboren. Und dennoch heißt es in dem Artikel unter anderem:

“DEAD END” steht auf dem Schild vor der Straße, in der Alexander Hitler wohnt.

Alexander Hitler lebt in einem Holzhaus

Gepflegt sind dafür die vielen Topfpflanzen, die hier stehen. Fleißiges Lieschen, Bartnelken, Eisbegonien, Funkien. Die amerikanischen Hitlers haben einen grünen Daumen.

Herr Hitler fährt Hyundai.

Er ist groß, zirka 1,85 Meter, trägt ein türkis-weiß-kariertes Hemd und eine beigefarbene Cargohose. Alexander Hitler.

“Deutsche Politik?”, wiederholt Alexander Hitler ungläubig und zieht die Augenbrauen hoch.

Und so weiter. Mehrere Dutzend Mal fällt der Name Hitler. Auch wenn seit 72 Jahren niemand mehr so heißt.

Zum Aufplustern der “Bild”-Titelgeschichte gehört auch: Es handelt sich gar nicht, wie auf Seite 1 behauptet, um den “letzten Hitler”. Es gibt noch mindestens zwei weitere — die allerdings auch nicht Hitler heißen. Bei den beiden Brüdern von Alexander, die wohl zusammenleben, stand Timo Lokoschat ebenfalls vor der Haustür. Einer von ihnen öffnete die Tür, schloß sie sehr schnell wieder, als der “Bild”-Mann sein Anliegen schilderte, und schaltete die Rasensprenger an. Viel deutlicher kann man nicht sagen: “Lass uns in Ruhe”.

Alexander sprach hingegen mit Lokoschat. Was aber nicht das rechtfertigt, was “Bild” und Bild.de mit ihm anstellen. Mal abgesehen von der hingebogenen Schlagzeile, penetrant genutzten falschen Nachnamen und den ganzen Belanglosigkeiten (Lokoschat klammert sich nicht nur an die bahnbrechenden Entdeckungen von grünen Daumen und Automarken, sondern auch an solche “kuriosen Zufälle”: “Kurioser Zufall: Die Nachbarin kommt aus Österreich!” Große Enttäuschung direkt im nächsten Satz: “Aber auch sie weiß nichts.”) ist das eigentlich Grässliche an dem Artikel: Das Eindringen in die Privatsphäre eines Menschen, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen; der nichts dazu beigetragen hat, dass die “Bild”-Redaktion sich für ihn interessieren könnte; der einfach nur das verdammte Pech hat, dass es sich bei einem entfernten Verwandten um eine der schlimmsten Personen der Menschheitsgeschichte handelt.

Und das gilt für Alexander genauso wie für seine zwei Brüder. Von dem einen — Alexander — haben “Bild” und Bild.de ein Foto veröffentlicht, ohne Verpixelung, das ganz offensichtlich aus größerer Entfernung aufgenommen wurde. Man sieht darauf noch den Maschendrahtzaun des Grundstücks, vor dem der Fotograf steht. Wir haben bei Lokoschat nachgefragt, ob der Mann wusste, dass er fotografiert wird, und ob er eingenwilligt hat, dass dieses Foto veröffentlicht wird. Der “Bild”-Redakteur wollte uns darauf nicht antworten.

Von den zwei Brüdern, von denen der eine Lokoschat per Rasensprenger deutlich gemacht hat, dass er nichts mit ihm zu tun haben will, haben die “Bild”-Medien eine Außenaufnahme des Hauses veröffentlicht. Zu ihnen steht im Text:

Sie sind die letzten Hitlers.

Das weiß in der 20 000-Einwohner-Stadt fast niemand.

Mit etwas Pech wissen es dort bald ganz viele. Die “Bild”-Redaktion feiert sich jedenfalls schon dafür, dass ihre Geschichte auch international Widerhall findet:

Screenshot Bild.de - So kommentiert die internationale Presse den Besuch bei den Hitler-Nachfahren

Bei Twitter erklärt Timo Lokoschat, dass er in seinem Text “aus Prinzip” nicht den richtigen Nachnamen von Alexander und dessen Brüdern (natürlich erst recht nicht in anonymisierter Form) verwendet hat:

Screenshot eines Tweets von Timo Lokoschat - Der Nachname ist eigentlich auch weithin bekannt, auch der Ort lässt sich leicht herausfinden. Wollte beides trotzdem aus Prinzip nicht hineinschreiben. Macht die Story nicht besser.

Was so eine Story offenbar “besser” macht: Leute immer wieder Hitler nennen, die gar nicht Hitler heißen und auch nicht Hitler heißen wollen, und Fotos von ihnen und ihren Häusern in Millionenauflage unter die Leute bringen. Julian Reichelt, der schon dann sauer wird, wenn jemand öffentlich nur sein Jahresgehalt schätzt, und dadurch seine Familie bedroht sieht, scheint kein Problem mit der Veröffentlichung all dieser Details zu haben.

An einer Stelle im Artikel steht zum Vater der drei von “Bild” besuchten Männer:

Den Fluch des schlimmsten Familiennamens der Weltgeschichte wollte er seinen Söhnen ersparen.

“Bild” und Timo Lokoschat wollen das offenbar nicht.

Dazu auch:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

“Lieber Punk Sänger als provokativ-dümmliche Bild Journalisten”

Bei Bild.de steht seit gestern ein sehr vernünftiger Satz, und allein das wäre ja schon eine Meldung wert:

Lieber Punk Sänger als provokativ-dümmliche, weitgehend talentfreie Bild Journalisten

Dass dieser Satz bei Bild.de steht, ist Flo Hayler zu verdanken, der 2005 in Berlin ein Ramones-Museum eröffnet und vor Kurzem ein Buch über die New Yorker Punkband geschrieben hat. Für Bild.de hat er daraus “8 überraschende Fakten” über die Ramones zusammengetragen:

Screenshot Bild.de - 8 überraschende Fakten über die legendäre Punk-Band Ramones - Julia Roberts ganz verknallt in C.J. Ramone - und Kiefer Sutherland kochte vor Eifersucht

Darin auch der oben zitierte Satz zu den “provokativ-dümmlichen, weitgehend talentfreien Bild Journalisten”, wobei er genau genommen so lautet:

Lieber (…) Punk (…) Sänger (…) als (…) provokativ-dümmliche, weitgehend talentfreie (…) Bild (…) Journalisten

Denn Hayler hat diese Botschaft in seine Ramones-Fakten eingeschmuggelt. Man muss nur richtig hinschauen:

Screenshot Bild.de - GIF-Datei vom Bild.de-Artikel, die, bei Ausblenden anderer Worte, in verschiedenen Absätzen den Satz Lieber Punk Sänger als provokativ-dümmliche, weitgehend talentfreie Bild Journalisten zeigt

Und nein, wir sind nicht völlig irre geworden und sehen Dinge, die es gar nicht gibt. Flo Hayler hat das genau so vorgehabt. Er hat “Bild” sogar bei Facebook für die Möglichkeit gedankt, “einen Gruß an die Redaktion” hinterlassen zu können:

Hallo Bild.
Vielen Dank, dass ich in eurer heutigen Online-Ausgabe ein paar Ramones-Fakten streuen durfte. Hat Spaß gemacht!

Noch mehr Spaß hatte ich aber dabei, in die Absätze einen Gruß an die Redaktion einzubauen, allen voran an Peter Tiede und Julian Reichelt — den größten Wahrheitsverdrehern und Angstschürhasen im Springer-Turm, und das nicht erst seit Chemnitz!

Für Monchi Fromm. Für Feine Sahne Fischfilet. Für K.I.Z.
#wirsindmehr #undbleibensauch

Hayler bezieht sich dabei auf den Versuch von “Bild”, Reichelt und Tiede, das Konzert #wirsindmehr in Chemnitz, bei dem unter anderem Feine Sahne Fischfilet und K.I.Z aufgetreten sind, schlecht dastehen zu lassen.

Annahme verweigert, “Bild” als AfD-Helfer, Die Fahrrad-Verschwörung

1. “Das hier ist eine PR-Veranstaltung”: Journalistin Laura Meschede lehnt Helmut-Schmidt-Journalistenpreis ab
(meedia.de, Marvin Schade)
Die Verleihung des diesjährigen Helmut-Schmidt-Journalistenpreises verlief überraschend: Die “SZ Magazin”-Autorin Laura Meschede lehnte in ihrer Rede die Annahme des ihr zugedachten Preises ab: “Das hier ist eine PR-Veranstaltung, so viel ist klar. Und deswegen stehe ich auch hier, um PR zu machen. Aber nicht für die ING Diba. Sondern für den Gedanken, dass es eine Alternative gibt, dazu, wie die Welt jetzt ist.”

2. BILD – Vorfeldorganisation der AfD
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Der Journalist Michael Spreng war 1989 bis 2000 Chefredakteur bei “Bild am Sonntag”, was seine heftige Kritik an “Bild” unter Julian Reichelt umso bemerkenswerter macht: “BILD zersetzt mit dieser Kampagne systematisch den Respekt vor den Institutionen und Repräsentanten des Staates und delegitimiert die liberale deutsche Demokratie. (…) Dieser Rückfall von BILD in ein Kampagnenblatt geschieht offenbar im Einverständnis mit dem Vorstand des Verlages Axel Springer. Denn andernfalls hätte er den Chefredakteur schon abgelöst. So kann BILD ungehemmt der AfD Schützenhilfe leisten und die Achse der Bundesrepublik nach rechts verschieben.” Spreng hatte die Wandlung von “Bild” unter Reichelt zuvor schon in der ZDF-Sendung von Markus Lanz ähnlich und ähnlich deutlich kritisiert.

3. Die Fahrrad-Verschwörung
(donaukurier.de, Johannes Hauser)
Der “Donaukurier” veröffentlichte vergangene Woche ein harmloses Bild einer Radtour. Mit dabei: Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel, in dessen Rad sich ein Ast verfangen hatte. Ihr fragt euch, warum dies der Erwähnung wert ist? Dann schaut euch die Stellungnahme der Lokalredaktion an, die sich in den Sozialen Medien heftigen Fälschungsvorwürfen und Verschwörungstheorien ausgesetzt sah.

4. Demokratie in Zeiten der Desinformation
(sueddeutsche.de, Carolin Emcke)
Die 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Autorin Carolin Emcke macht sich Gedanken über demokratische Entscheidungsprozesse in Zeiten der Desinformation. Mit Blick auf das Vereinigte Königreich fragt Emcke: “… wie naiv ist es, eine existenzielle Entscheidung wie den Brexit als vermeintlich informierten Wählerwillen umzusetzen — wenn dieser Wille durch Desinformationskampagnen zersetzt wurde? Wie prekär ist es, Meinungen und Stimmungen zu folgen, die auf einem Zerrbild der Wirklichkeit beruhen? Wäre es so undenkbar, dass eine Regierung auch einmal zurücktritt, weil sie ein Votum zwar als legitim, aber fehlgeleitet einstuft?”

5. Landtag muss Auskunft in Abgeordnetenaffäre geben
(nordbayerischer-kurier.de)
Das Bundesverwaltungsgericht hat ein Urteil gefällt, das grundsätzliche Bedeutung haben dürfte und die Rechte der Medien stärkt: Der bayerische Landtag muss dem früheren Chefredakteur des “Nordbayerischen Kuriers”, Joachim Braun, das Gehalt nennen, das der ehemalige Bayreuther CSU-Abgeordnete Walter Nadler auf Steuerzahlerkosten seiner Ehefrau im Abgeordnetenbüro zukommen ließ. Dem Auskunftsanspruch der Presse gebühre “Vorrang gegenüber der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit des Mandats und dem Schutz personenbezogener Daten des Abgeordneten und seiner Ehefrau”, so das Gericht.

6. Geschlechterklischees, Nein Danke!
(buzzaldrins.de, Linus Giese)
Buchhändler Linus Giese wird von Kunden und Kundinnen immer wieder explizit nach Büchern für Jungen oder für Mädchen gefragt. Weil ihm Rollenerwartungen und Geschlechterklischees nicht behagen, hat er ein paar Kinderbuchempfehlungen zusammengestellt, die ohne die typischen Prinzessinen und Feuerwehrmänner auskommen.

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“Die ‘Bild’-Zeitung ist heute wieder ein Kampagnen- und Kampfblatt”

Michael Spreng war mal Redakteur bei “Bild”, auch in leitender Funktion, später dann viele Jahre Chefredakteur von “Bild am Sonntag”, kurz darauf Wahlkampfmanager von Edmund Stoiber (CSU) und Medienberater von Jürgen Rüttgers (CDU). Kurzum: Michael Spreng steht nun wirklich nicht im Verdacht, ein linker Irrer zu sein.

Gestern saß er in der Sendung von Markus Lanz und sprach dort auch über die “Bild”-Zeitung von heute, die “Bild”-Zeitung unter Julian Reichelt (ab Minute 27:36). “Ziemlich furchterregend” finde er sie, sagt Spreng. “Bild” sei wieder zum “Kampagnen- und Kampfblatt” geworden.

Diese Bewertung finden wir so bemerkenswert, dass wir Sprengs Aussagen hier protokollieren wollen:

Heute, muss ich sagen, haben natürlich auch Massenblätter eine hohe Verantwortung. Und da muss ich sagen, finde ich zurzeit, Herr Wallraff wird mir wahrscheinlich zustimmen, die “Bild”-Zeitung ziemlich furchterregend.

Günter Wallraff, der ebenfalls in der Runde bei Lanz saß, antwortet …

Ja, wieder geworden.

… und Spreng führt fort:

Weil die “Bild”-Zeitung jede kriminelle Tat eines Ausländers oder Asylanten zur Schlagzeile macht. Wenn ein Deutscher einen Syrer ersticht, sind das ein paar Zeilen auf Seite 5. Und wenn mal kein Ausländer kriminell ist, dann kommen Aufmacher und Kampagnen gegen die lasche Justiz, gegen den unfähigen Staat, gegen die faulen oder untätigen Politiker oder unfähigen Politiker. Und diese seit vielen Monaten andauernde Kampagne wirkt auf Dauer, sie zersetzt den liberalen freiheitlichen Staat. Und das ist das Schlimme heute an der “Bild”-Zeitung.

Sie hatte zwischendurch eine Phase, in der zweiten Hälfte von Kai Diekmann, dem damaligen Chefredakteur, da hat sie sich geöffnet, da wurde sie für ihre Verhältnisse geradezu liberal.

Auf Markus Lanz’ Frage “Was ist dann passiert?” antwortet Spreng:

Es hat ja der Chefredakteur gewechselt. Jetzt ist da ein neuer Chefredakteur, der das offenbar völlig anders sieht. Ich finde, die “Bild”-Zeitung ist heute wieder ein Kampagnen- und Kampfblatt. Und das hat Auswirkungen nicht nur auf ihre Leser, sie hat ja immer noch, trotz aller Verluste, ein paar Millionen Leser, sondern damit auch auf die Politik. Denn die Politiker sagen: Was die “Bild”-Zeitung schreibt, ist Volkes Meinung. Wir müssen uns an Volkes Meinung orientieren. Und damit verändert es auch die Politik. Und das macht mir wirklich große Sorgen. Dass also diese Veränderung unserer Gesellschaft, diese Verschiebung nach rechts, dass die auch dadurch gefördert wird.

Es kann doch nicht sein, dass bei “Bild” unter dem neuen Chefredakteur praktisch eine Gruppe von Kriegern sitzt, die glaubt, sie sitzen gemeinsam im Schützengraben und müssten von dort aus einen Feldzug gegen Frau Merkel und gegen den liberalen Rechtsstaat führen. Das ist auf Dauer zersetzend. Und mir tun die anständigen “Bild”-Redakteure leid, muss ich wirklich sagen.

Nach einem nur mittelmäßig geglückten Witz von Markus Lanz sagt Spreng noch:

Ab und zu kommen dann Alibi-Geschichten über ein paar erfolgreiche Flüchtlinge oder über die schlimmen Zustände in einem Flüchtlingslager auf Lesbos. Aber das sind Alibi-Geschichten. Ich verstehe das auch nicht: Wir haben uns im Journalismus schon weiterentwickelt. Die Zeit der großen ideologischen Schlachten und der Missionare, wie sie auch zur Zeit der Ostpolitik noch war, diese große Zeit der ideologischen und auch fanatisierten Schlachten ist vorbei. Und das ist so eine Rückentwicklung. Ich habe manchmal das Gefühl, wir fallen in eine Zeit zurück, die wir eigentlich zivilisatorisch schon überwunden haben.

Vorlagengeber

Bei Pegida München freuen sie sich, dass sie keine Plakate drucken müssen, sondern einfach “Bild”-Doppelseiten aufhängen können.

Und bei der AfD Bayern freuen sie sich, dass sie für ihre Parolen jetzt nur noch aus den Kommentaren von “Bild”-Chef Julian Reichelt abschreiben müssen.

Reichelt gestern Abend bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Kommentar von Bild-Chef Julian Reichelt - Das macht umso deutlicher: Es ging nie um Maaßen. Es ging um Macht und gigantische Egos in einer maroden Großen Koalition, die zu nichts wahrlich Großem imstande ist.

Die AfD Bayern heute früh bei Twitter:

Screenshot eines Tweets der AfD Bayern - Es ging nie um Maaßen. Es ging um Macht, Machterhalt um jeden Preis und um gigantische Egos in einer großen Koalition, die zu nichts mehr imstande ist. Wir sagen es immer wieder: Wo CSU draufsteht, ist Merkel drin!
Daher AfD zur Landtagswahl in Bayern wählen

Wie schwer die Aussagen von “Bild” und AfD auseinanderzuhalten sind, kann jeder selbst testen — in unserem neuen Quiz: Wer hat’s gesagt: “Bild“ oder AfD?

“Bild” bringt Geflüchtete mit Clan-Kriminalität in Zusammenhang

Bei ihrem Versuch, Geflüchtete mit negativen Geschichten und Schlagzeilen in Verbindung zu bringen, entfaltet die “Bild”-Redaktion ihre ganze kreative Energie. Erst gestern wieder, in diesem Artikel:

Screenshot Bild.de - Bild fordert - Endlich null Toleranz gegenüber arabischer Clan-Kriminalität!

“BILD FORDERT” scheint die nächste Stufe zu sein nach “Das meint BILD”, dem Kommentar der gesamten Redaktion, den Julian Reichelt eingeführt und den Julian Reichelt für gut befunden hat. “BILD FORDERT” jedenfalls erstmal auf einer falschen faktischen Grundlage:

Die Clan-Kriminalität in der deutschen Hauptstadt und im ganzen Land ist außer Kontrolle.

Mehrere Hunderttausend (!) Menschen werden ihr zugerechnet. Sie hat sich zum Staat im Staat entwickelt.

Die Redaktion hat das ganz ähnlich schon mal behauptet:

Ausriss Bild-Zeitung - Ermittlungen des BKA - 200.000 kriminelle Clan-Mitglieder in Deutschland

Doch weder “mehrere Hunderttausend (!)” noch “200.000” stimmt. Stefan Niggemeier hat das bereits vor einem Monat drüben bei “Übermedien” ge- und erklärt. Und auch Martin Klingst erläuterte in der “Zeit” vom 9. August: Das Bundeskriminalamt schätzt nicht, dass 200.000 Clan-Mitglieder kriminell sind, sondern dass die Clans, die in Deutschland immer wieder kriminell auffällig sind, insgesamt etwa 200.000 Familienmitglieder haben. Ein Teil davon ist kriminell, ein anderer Teil nicht. “FORDERT” “Bild” etwa auch die Rückkehr zur Sippenhaft?

Apropos “Kennste einen, kennste alle” — “Bild” und Bild.de schrieben gestern weiter:

Die Entstehung der arabischen, organisierten Kriminalität in Deutschland war das Ergebnis von Flucht und Zuwanderung aufgrund eines Krieges in einem arabischen Land (Libanon).

Viele Politiker sehen solche Szenen [von Clan-Mitgliedern, die die Gesetze nicht achten,] einige wenige Male im Jahr, wenn sie — wie jetzt — in der Zeitung gedruckt sind.

Aber für viele Menschen in deutschen Großstädten gehören sie zum Stadtbild. Natürlich macht das Angst.

Natürlich schmälert das den Glauben an den Rechtsstaat und daran, dass wir weitere Hunderttausende Menschen, die bei uns Zuflucht gefunden haben, erfolgreich integrieren werden.

Krieg in einem arabisches Land, Flucht, Kriminelle in Deutschland. Das ist die dünne wie toxische Logik, die die “Bild”-Medien verbreiten: Wenn die Personen der Gruppe A als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und hier kriminell geworden sind — wieso sollen dann die Personen der Gruppe B nicht auch kriminell werden? Die sind doch schließlich auch als Flüchtlinge gekommen.

Dazu passt dann auch die bemerkenswerte Verkürzung bei der Entstehungsgeschichte der Clan-Kriminalität: Als wäre zwischen der Flucht vor dem libanesischen Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 dauerte, und dem Schutzgeldeintreiben, dem Drogengeschäft, dem Menschenhandel einiger Großfamilien Jahre und Jahrzehnte später nichts weiter passiert; als wäre das eine (Clan-Kriminalität) die unausweichliche Folge des anderen (Flucht).

Um die “Bild”-Redaktion zu zitieren: “Natürlich macht das Angst.”

K.I.Z: Die “Gewalt-Verherrlicher”, die bei “Bild” Kultstatus haben

Nach gerade mal 50 Sekunden im Song “Wir” erklärt Nico von K.I.Z eigentlich alles, was “Bild”-Mitarbeiter über die Berliner Hip-Hop-Gruppe wissen muss:

Es liegt an eurem geistigen Fassungsvermögen,
wenn ihr bei K.I.Z nicht lacht, ihr Amöben.

“Bild”-Chefreporter Peter Tiede lacht ganz offenbar nicht bei K.I.Z. Stattdessen schreibt er solche Artikel:

Ausriss Bild-Zeitung - Beim Chemnitz-Konzert - 27 Minuten Hass auf Veranstaltung gegen Hass - gemeint ist der Auftritt von KIZ

Es geht um den K.I.Z-Auftritt am Montagabend beim Konzert #wirsindmehr in Chemnitz vor 65.000 Menschen. Tiedes Text ist auch bei Bild.de hinter der Paywall erschienen:

Screenshot Bild.de - Ich ramm die Messer-Klinge in die Journalisten-Fresse - 27 Minuten Hass beim Chemnitz-Konzert gegen Hass

In Deutschland gibt es kaum eine Band, die in ihren Songs so viel Ironie, Sarkasmus, Satire, maßlose Übertreibungen und Parodien einbaut wie K.I.Z. Keine Frage, ihre Texte sind provokant. Aber eben immer mit mehreren Ebenen versehen. Die kann oder will Peter Tiede nicht erkennen.

Er macht es sich dabei ziemlich einfach. Zum Beispiel mit einer Zeile aus dem Song “Urlaub fürs Gehirn”, die “Bild” groß zitiert:

Ich schleich mich ein bei den Sarrazins, sechs Uhr, alles pennt noch,
Selbstmordattentat!

Tiede übersetzt das alles eins zu eins:

In Bezug auf Thilo Sarrazin rappen sie von einem “Selbstmord-Attentat”.

Und wie wollen die Jungs von K.I.Z dieses Selbstmordattentat begehen, Peter Tiede? Mit einem Sprengstoffgürtel? Einer Autobombe? Oder vielleicht doch durch eine geschickte Selbstexplosion, die durch ein ausgetüfteltes Gemisch von Cola und Mentos-Bonbons herbeigeführt wird?

Die Textstelle, die “Bild” und Tiede zitieren, endet nämlich gar nicht mit einem Ausrufezeichen nach “Selbstmordattentat”, sondern geht noch weiter:

Ich schleich mich ein bei den Sarrazins, sechs Uhr, alles pennt noch,
Selbstmordattentat, ich trink drei Liter Cola mit Mentos

Wer darin ernsthaft die Ankündigung eines Selbstmordattentats erkennt, denkt auch, dass “Titanic”-Mitarbeiter immer alles ernst meinen und beim “Postillon” richtige Nachrichten zu finden sind.

Tiede zitiert noch weitere Textpassagen von K.I.Z:

“Ich ramm die Messerklinge in die Journalisten-Fresse”

Und:

“Eva Herman sieht mich, denkt sich: ‘Was’n Deutscher!’/Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer/Ich fick sie grün und blau, wie mein kunterbuntes Haus/Nich alles was man oben reinsteckt, kommt unten wieder raus.”

Wie gesagt: Die Texte sind zweifelsohne provokant.

Beide zitierten Stellen stammen aus dem Song “Ein Affe und ein Pferd”. Ein Lied, das mit einer Pippi-Langstrumpf-Melodie beginnt, bei dem es im Refrain heißt: “Ich war in der Schule und habe nix gelernt, doch heute habe ich einen Affen und ein Pferd, eine Pferd und einen Affen, ein Pferd und einen Affen, ratatatatatatata, wer will was machen?” Im Video hüpft ein Pippi-Double rum, die K.I.Z-Mitglieder Nico, Tarek, Maxim und DJ Craft ziehen mit anderen “Taka-Tuka-Ultras” durch Berlin.

Viel deutlicher kann man nicht in andere Rollen schlüpfen. Aber das erkennt man natürlich nur, wenn man sich nicht dagegen wehrt, es zu erkennen.

Stattdessen legt Tiede zum Ende seines Artikels noch mal richtig los:

Der K.I.Z.-Auftritt: symptomatisch: “Gegen rechts” dürfen auch Linksradikale und Gewalt-Verherrlicher ran!

Wieder die Spaltung: rechts und links. Die richtige Antwort? Gab die SPD-Geschäftsführerin für Südwest-Sachsen, Sabine Sieble. Im Partei-Blatt “vorwärts” bemängelt sie schon vor dem Skandal-Auftritt: “eine militante Antifa”, dass “eine Band mit ihren Songtexten und Ansprachen alles tat, um das Motto ins Gegenteil zu verkehren”. Sieble: “Da habe ich geweint. (…) Ich habe aber in dem Moment geweint, als mir bewusst wurde, dass Chemnitz zu einem bloßen Austragungsort im Kampf um die Deutungshoheit eines tragischen Ereignisses wurde.”

Na, gemerkt? Sabine Sieble schriebt gar nicht über den Montag in Chemnitz und den Auftritt von K.I.Z. Peter Tiede deutet das an (“bemängelt sie schon vor dem Skandal-Auftritt”), gibt sich aber auch keine große Mühe, es zu verdeutlichen und klarzustellen, worüber Sieble wirklich schreibt. Ihr Text, aus dem der “Bild”-Chefreporter zitiert, ist schon am Montagmittag erschienen — also einige Stunden bevor K.I.Z sie zum Weinen hätte bringen können. Tatsächlich äußert sich Sieble über die Veranstaltung “Herz statt Hetze”, die bereits am Samstag in Chemnitz stattfand. Die Band, die sie erwähnt, muss eine andere sein, vermutlich Egotronic.

Dass K.I.Z in “Bild” und bei Bild.de nun als Hass-Botschafter und “Gewalt-Verherrlicher” dargestellt werden, ist übrigens etwas überraschend. Früher haben die “Bild”-Medien völlig anders über die Band geschrieben. Zum Beispiel als sie 2015 bei “Rock am Ring” aufgetreten ist:

★ Noch ein Gewinner des Wochenendes ★

Die deutsche Musik! Vor allem der Freitag zeigte, wie beliebt deutschsprachige Musik bei den Kids ist. (…)

Auch Acts wie “K.I.Z.”, “Trailerpark” und “Deichkind” bewiesen, dass wir in Deutschland absolute Weltspitze sind

Oder 2016 in der Sammlung

Screenshot Bild.de - Protest in der Musik - Diese Künstler sind politisch

K.I.Z — “Hurra, die Welt geht unter” ft. Henning May

Vor allem im Deutschrap tut sich politisch gerade etwas. Die Band K.I.Z. ist schon länger dafür bekannt, sich zu Gesellschaftsthemen zu äußern. Auf ihrem letzten Album “Hurra, die Welt geht unter” machen sie das sehr deutlich — vor allem zum Thema Flüchtlinge.

Oder als ein “Bild”-Reporter 2015 zum K.I.Z-Konzert ging:

Screenshot Bild.de - Die Rüpel-Rapper KIZ und ihre Aktion zum Frauentag - Für Berlins versautestes Konzert musste ich mich als Frau verkleiden

Die Berliner Hip-Hop-Band K.I.Z. hat Kultstatus. Unter anderem auch wegen ihrer Texte, die oft ziemlich weit unter die Gürtellinie gehen.

Als all diese Artikel erschienen sind, waren die K.I.Z-Songs “Ein Affe und ein Pferd” und “Urlaub fürs Gehirn” längst veröffentlicht. Die Texte der Lieder hat die “Bild”-Redaktion damals offensichtlich nicht gestört.

Dass das nun anders ist, liegt vielleicht aber auch gar nicht an den Texten. Der Artikel von heute ist nur der nächste in einer Reihe von Beiträgen, die das #wirsindmehr-Konzert am Montag in Chemnitz schlecht dastehen lassen.

Für die “Bild”-Redaktion und ihren Chef Julian Reichelt scheint es momentan kaum etwas Bedrohlicheres zu geben als eine Handvoll Bands und ein paar Solo-Musiker, die sich gegen rechten Hass und Neonazis stellen. Seit Tagen versuchen sie bei “Bild” und Bild.de krampfhaft, #wirsindmehr und die mitwirkenden Künstler zu diskreditieren.

Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf seinem Facebook-Account #wirsindmehr bewarb, fragte “Bild” am Montag:

Ausriss Bild-Zeitung - Warum wirbt Bundespräsident Steinmeier für Linksradikale Rockband?

Gemeint war die Band Feine Sahne Fischfilet.

Während des Konzerts, bei dem 65.000 Menschen eine gute, friedliche Zeit hatten, ging es bei Bild.de um Probleme rund um das Konzert:

Screenshot Bild.de - Wir sind mehr legt Chemnitz lahm! Schon 50000 Leute da - Öffentlicher Nahverkehr eingestellt - Polizei warnt vor Rückreise Chaos

Nach dem Konzert verbreitete Julian Reichelt bei Twitter ein Gerücht über Jan Gorkow, den Sänger von Feine Sahne Fischfilet:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Auf Twitter kursiert ein Foto von Feine-Sahne-Sänger Gorkow, der in Chemnitz den Hitlergruß zeigen soll. Allerdings weist das Foto am Handansatz zwei auffällige Pixel auf, die auf Montage hindeuten könnten. Handelt es sich um eine Fälschung? Wer kann helfen?

Der Tweet, auf den sich Reichelt dabei bezieht, stammt von einem NPD-Funktionär und Neonazi (über diese problematische Herkunft klärt der “Bild”-Chef natürlich nicht auf). Dieser hatte das Gerücht gestreut. Tatsächlich hat er das Foto, um das es geht, völlig aus dem Zusammenhang gerissen: Es ist ein Standbild aus einem Video, das die Band bei Instagram hochgeladen hat. Jan Gorkow zeigt dort nicht den Hitlergruß.

Nun könnte es sein, dass Julian Reichelt nicht in der Lage ist, zweieinhalb Minuten selbst zu recherchieren, sodass er bei Twitter um Hilfe bitten muss. Es kann aber auch sein, dass er sich lediglich dumm stellt, und es sich um einen in eine unschuldige Frage gekleideten Versuch handelt, ein bisschen mitzündeln zu können.

Am Dienstag fragte “Bild” dann noch einmal:

Ausriss Bild-Zeitung - Wie kann der Bundespräsident bloß eine radikale Band empfehlen?

Gemeint war wieder Feine Sahne Fischfilet. In der Zwischenzeit titelte Bild.de:

Screenshot Bild.de - Für diese Punkrocker warb der Bundespräsident - Die Akte Feine Sahne Fischfilet

Und heute dann eben die K.I.Z-Geschichte.

Wenn das so weitergeht, erfahren wir morgen noch, dass Casper, der ebenfalls in Chemnitz aufgetreten ist, in seinem Song “Sirenen” rappt: “Denn zehn Flaschen Wein könnten zehn Waffen sein”. Und übermorgen, dass Campino vor drei Jahren mal einen Strafzettel nicht bezahlt hat.

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