Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Zwischen den Zeilen, Hedonismus in Filmbewertungen, Schimpfdesaster

1. Aufklärungsarbeit und viel Häme gegen “Bild”
(deutschlandfunk.de, Michael Meyer, Audio: 3:38 Minuten)
Der Axel-Springer-Verlag hat den “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt wegen eines laufenden Compliance–Verfahrens freigestellt. In den vergangenen Tagen ergoss sich Spott und Häme über den Konzern, dessen Stellungnahme von vielen als unglaubwürdig empfunden wurde.
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter interpretiert ein Anwalt das Springer-Schreiben. Zwischen den Zeilen erkenne er wenig Chancen für Reichelt: “Die kleinen Signale. Das, was eben nicht gesagt wird. Kein Ausdruck des Vertrauens, kein ‘Der Bitte sind wir im Interesse von Redaktion, Verlag und Aktionären gerne nachgekommen’, sondern ein ‘ist erfolgt’. Das Eingeständnis, dass Hinweise vorliegen und diese sogar ‘konkret’ sind. Sie müssen die ‘Glaubwürdigkeit und Integrität’ aller Beteiligten bewerten, also auch von JR? Wenn ich nicht komplett falsch liege, wird es keine Rückkehr geben.”

2. Rund 40 Publisher starten eigenen Newsletter bei Steady
(steadyhq.com)
Viele Publisher nutzen Steady zur Abwicklung von Mitglieder-Abos. Auch wir beim BILDblog tun dies (dabei gleich die Erinnerung: Wer noch nicht BILDblog-Unterstützer oder -Unterstützerin ist, kann dies ganz einfach werden). Nun hat der Dienst ein Tool entwickelt, mit dem die Publikation und Vermarktung von Newslettern möglich ist. Zum Start sind rund 40 Medienschaffende dabei (Transparenzhinweis: Dazu zählt auch der “6 vor 9”-Kurator).
Hörtipp: Bei “Unter Zwei” spricht Levin Kubeth mit Steady-Gründer Sebastian Esser darüber, wie Steady den Newsletter-Markt aufmischen will (1:22:46 Stunden).

3. Ja, Nice! Wie junge Menschen auf Filme schauen
(meedia.de, Sabine Trepte)
Sabine Trepte ist Professorin für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim. In ihrem Beitrag bei “Meedia” geht es um die Frage, wie Menschen Filme bewerten. Forscher hätten 35.000 Filmreviews ausgewertet und seien vor allem auf Hedonismus gestoßen: “Wenn also Menschen Filme bewerten, dann teilen sie mit: Ich bin außer mir, euphorisch, fröhlich und begeistert. Ich finde das lustig, ich habe gelacht und mich amüsiert, denn es ging und Liebe, Freundschaft, Familie, Menschen. Es war Horror, hart, böse und deshalb wunderbar. Hedonismus ist das wichtigste Bewertungskriterium!”
Weiterer Lesehinweis: Schatten im Schlaraffenland: Ist der Kunde bei Netflix gar nicht König? (rnd.de, Tilmann P. Gangloff)

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4. Das sind die Nominierten für die Goldenen Blogger 2021
(die-goldenen-blogger.de)
Ende April werden erneut die “Goldenen Blogger” verliehen. Unter den Nominierten in 16 Kategorien finden sich der Wissenschaftspodcast “Methodisch Inkorrekt”, der Unterhaltungskünstler El Hotzo, aber auch etablierte Mediengrößen wie Moderator Kai Pflaume, der für seinen Youtube-Kanal “Ehrenpflaume” nominiert ist. Überraschend: Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kann auf einen “Goldenen Blogger” hoffen – in der Kategorie “Beste BloggerIn ohne Blog”.

5. Das Schimpfdesaster
(uebermedien.de, Christian Meier)
Christian Meier kritisiert den teilweise überhitzten Ton in der derzeitigen öffentlichen Debatte. Meier denkt dabei an Begriffe wie “Staatsversagen”, die seiner Meinung nach weit über das Ziel hinausschössen: “Wie die ‘Querdenker’ verkennen die Nutzer des Begriffes ‘Staatsversagen’ die Dimension der Gefahr durch das Virus. Ohne einen funktionierenden Staat wäre die Gesellschaft wohl längst an dieser Seuche zerbrochen. Man braucht einen Staat, um das Wüten des Virus zu zügeln. Ungebremst hätte es das Gesundheitssystem kollabieren lassen und einer halben Million Menschen das Leben gekostet.”

6. Erwähne Memphis und dein Account ist gesperrt
(spiegel.de)
Am Sonntag kam es bei Twitter zu einem rätselhaften Phänomen: Wer den Namen der Stadt Memphis erwähnte, egal in welchem Kontext, musste damit rechnen, gesperrt zu werden. Wie es zu dem rätselhaften Fehler kam, sei derzeit nicht bekannt.

Spahn und die Presse, Netzsperren gegen Streaming, Bundesabkanzler

1. Spahn will Presse-Auskünfte aus Berliner Grundbüchern einschränken lassen
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Jens Spahn hat anscheinend ein spezielles Verhältnis zu Transparenz und Pressefreiheit – jedenfalls, wenn es die eigenen Belange betrifft: “Nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen Grundbuchämter in Berlin recherchierenden Journalistinnen und Journalisten künftig nicht mehr ohne weiteres Auskünfte zu seinen privaten Immobiliengeschäften erteilen dürfen. Das geht aus einer Beschwerde von Anwälten des Ministers an die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.”

2. “Triumphgeheul verbietet sich”
(fr.de, Bascha Mika)
Bascha Mika hat sich mit dem Medienethiker Tanjev Schultz über “Bild” und den “Bild”-Chef Julian Reichelt unterhalten, gegen den derzeit ein Compliance-Verfahren läuft: “Ich sehe einen öffentlichen Impuls, jetzt mit Häme und Vorverurteilungen an die Sache heranzugehen. Ich selbst habe ja auch kritische Worte gewählt. Aber man muss sich vor Selbstradikalisierung schützen, vor Schadenfreude und Häme. Man braucht die aktuellen Vorgänge nicht, um die Bild-Zeitung als problematisch einzustufen. Triumphgeheul verbietet sich.”

3. Viele Fakten, wenig Kritik
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio: 6:33 Minuten)
Martin Fritz arbeitet seit 20 Jahren als Korrespondent in Japan und kennt daher die Schwächen der japanischen Medienlandschaft recht gut: “Die meisten Journalisten verstehen Journalismus als Beruf und weniger als Berufung. Sie legen eher eine Angestelltenmentalität an den Tag und halten ihre politische Meinung zurück. Die fassen dann die Fakten zusammen – fertig ist der Artikel.” Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk findet Fritz aber auch lobende Worte für eine andere Sorte von Journalistinnen und Journalisten.
Weiterer Lesehinweis: Das bereits gestern empfohlene Interview mit ARD-Korrespondent Peter Kujath: 10 Jahre Atomkatastrophe Fukushima: ARD-Reporter blickt zurück (br.de, Konstantin König).

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4. Ist Gendern der “Tod der Sprache”? (Spoiler: Nein)
(arminwolf.at)
Der ORF-Journalist und Moderator Armin Wolf bemüht sich um eine geschlechtergerechte Sprache und erntet dafür teilweise empörte Reaktionen: “Ich bin ja immer wieder erstaunt, welche Emotionen dieses Thema auslöst. Auch bei Menschen, die sehr aufgeregt fragen: ‘Haben wir denn keine anderen Probleme ???’ und anscheinend keine anderen Probleme haben als eine gesprochene Mini-Pause in Politiker innen. Möglicherweise sind sie auch davon überzeugt, dass alle anderen Probleme verschwänden, würde ich nur wieder die Politiker sagen.”

5. Darum gibt es jetzt Netzsperren gegen Streamingportale
(spiegel.de, Torsten Kleinz)
Neben den legalen, aber kostenpflichtigen Streamingportalen existieren im Netz kostenlose, aber illegale Streamingportale, die sich oft über Pornowerbung oder allerlei obskure Angebote und Klick-Fallen finanzieren. Die Clearingstelle Urheberrecht im Internet will diesen Seiten ein Ende bereiten und setzt dabei auf das Instrument der Netzsperre. Torsten Kleinz erklärt die diffizile Situation und zeigt, warum das Vorgehen der Clearingstelle nicht überall auf Zustimmung trifft.
Weiterer Lesehinweis: Bei netzpolitik.org kommentiert Markus Beckedahl: “Die Musikindustrie verkündet die Rückkehr der Netzsperren. Das Instrument hat gefährliche Nebenwirkungen und wird in autoritären Staaten zum Aufbau einer Zensurinfrastruktur missbraucht. Seht es endlich ein: Netzsperren schaffen mehr Probleme, als sie lösen.”

6. Der Bundesabkanzler Dieter Bohlen macht Schluss bei “DSDS” – es war höchste Zeit
(rnd.de, Imre Grimm)
Dieter Bohlen steigt als Chefjuror bei “Deutschland sucht den Superstar” aus. Für Imre Grimm ein guter Anlass, auf die TV-Karriere des “Poptitanen” zurückzublicken: “Ausgerechnet Bohlen, der eiskalte Ausbeuter von Teenie-Träumen, gerierte sich knapp zwei Jahrzehnte lang als Anwalt der Chancenlosen. Das war natürlich immer grober Unfug. Sein sozialdarwinistisches Kulturverständnis, wonach der plötzliche Durchbruch auf der Bühne als Blitzausweg aus Plattenbau, Berufsschulelend und Prekariat bedeutet, war nur eine nützliche Lüge.”

Aufsteigergeschichten, Emoji-Sprache der Rechten, Suche nach Rechnung

1. “Medien lieben Aufsteigergeschichten”
(taz.de, Timo Stukenberg)
Klassismus bezeichnet laut Wikipedia “Vorurteile oder Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position und richtet sich überwiegend gegen Angehörige einer ‘niedrigeren’ sozialen Klasse”. Die Autorin Brigitte Theißl beschäftigt sich in ihrem Buch unter anderem mit klassistischen Narrativen in den Medien: “Medien lieben Aufsteigergeschichten, also die klassischen Hollywoodgeschichten. Diese Geschichten handeln von individuellen Anstrengungen und Erfolgen, aber es werden selten Geschichten erzählt über die Hürden und warum man es nicht oder trotzdem geschafft hat. Klassismus ist eine strukturelle Diskriminierungsform, die ganz individuelle Auswirkungen hat, auf Lebenserwartung, Bildungsabschlüsse oder Gesundheit.” Im “taz”-Interview geht es unter anderem darum, wie eine diskriminierungsfreie und respektvolle Berichterstattung aussehen könnte.

2. Welche Emojis sind bei Nazis, Rechtsradikalen, Rassist*innen beliebt?
(belltower.news, Simone Rafael)
Simone Rafael ist studierte Publizistin und Kunsthistorikerin und hat deshalb vielleicht ein besonderes Auge für die Bildsprache der extremen Rechten. In ihrem Beitrag beschreibt sie, wie Abwertung durch Emojis funktioniert und welche der Piktogramme sich bei Nazis, Rechtsradikalen und Rassisten besonderer Beliebtheit erfreuen.

3. 10 Jahre Atomkatastrophe Fukushima: ARD-Reporter blickt zurück
(br.de, Konstantin König)
Als es vor zehn Jahren zur Atomkatastrophe im japanischen Fukushima kam, war Peter Kujath als ARD-Korrespondent vor Ort. Im BR-Interview erinnert er sich an das Unglück: “Als ARD-Korrespondent war ich für alle Radio-Programme zuständig und es riefen alle Sender an. Ich war nur noch mit Telefongesprächen beschäftigt. Gleichzeitig haben wir überlegt, wie wir – meine Frau, die Mitarbeiterinnen und ich in dem kleinen Studio – mit der Katastrophe umgehen.”

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4. Klimajournalismus neu denken
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Brigitte Baetz, Audio: 6:52 Minuten)
Zur Klima-Thematik gibt es bereits verschiedene journalistische Angebote (einige davon sind im Artikel verlinkt), ein weiteres stammt von Lorenz Matzat, dem Macher des neuen “Klimajournalismus”-Newsletters. Im Interview mit dem Deutschlandfunk weist Matzat auf die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel hin: “Wenn wir wüssten, dass in 20, 30 Jahren regelmäßig ein Schwarm von Meteoriten auf der Erde einschlagen würde, dann wäre wahrscheinlich einiges mehr los in der aktuellen Berichterstattung: Wie gehen wir damit um? Wie bereiten wir uns vor? Und den Eindruck habe ich beim Thema ‘Klimawandel’ nicht wirklich.”

5. Habe ich das Kind mit dir gezeugt?: Fast 80 Journalistinnen beklagen Sexismus und Einschüchterungen bei Tamedia
(kress.de, Marc Bartl)
Bei Tamedia handelt es sich um ein großes Schweizer Medienhaus, das zahlreiche Zeitungen verlegt (unter anderem den “Tages-Anzeiger”) und Druckereien besitzt. In einem Brief an Geschäftsleitung und Chefredaktion beklagen sich 78 Journalistinnen über Einschüchterungen und Sexismus und stellten konkrete Forderungen. Mittlerweile liegt auch ein Solidaritätsschreiben von Männern aus der Tamedia-Redaktion vor.

6. »Wo finde ich denn die Rechnungen?«
(twitter.com, Tim Pritlove)
Nur am Rande ein Medienthema, aber es zeigt exemplarisch, wie ausbaufähig das Verhältnis vieler Medien zu ihren Nutzern und Nutzerinnen ist: Tim Pritlove besitzt ein “Spiegel+”-Premium-Abo und steigert sich auf der Suche nach den Rechnungen in einen unterhaltsamen Rant: “Wenn man Eure Dienste nutzen soll, dann müsst ihr das EINFACH und ATTRAKTIV machen. Aber ich habe einfach keine Lust, für jedes mir rechtlich zustehende Dokument einmal zu Kafka und zurück zu reisen.”

7. Victim Blaming und Julian Reichelt: Vorwürfe gegen Bild-Chef erreichen Politik
(berliner-zeitung.de, Philippe Debionne)
Als siebter und damit zusätzlicher Link, weil unter anderem auch der “6 vor 9”-Kurator im Artikel vorkommt: “Peter Altmaier, CDU-Politiker und Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel, werden Victim Blaming und Sexismus in Zusammenhang mit den Anschuldigungen gegen Reichelt vorgeworfen. Auslöser des Shitstorms ist ein Tweet von Minister Altmaier. In diesem zitiert der Politiker aus der Lore-Ley von Heinrich Heine aus dem Jahre 1824.”

Machtmissbrauch bei “Bild”?, Hoppsala, Royale Millionendeals

1. Interne Ermittlungen gegen »Bild«-Chefredakteur Reichelt
(spiegel.de, Isabell Hülsen & Alexander Kühn & Martin U. Müller & Anton Rainer)
Gegen Julian Reichelt, Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, wurde innerhalb des Springer-Konzerns ein sogenanntes Compliance-Verfahren eingeleitet. Unter anderem gehe es bei der Untersuchung um Machtmissbrauch und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Außerdem sei von möglichen Vorwürfen der Nötigung und des Mobbings die Rede. Das gesamte Ausmaß der Compliance-Untersuchung sei derzeit noch unklar.

2. Wie Sexismus Journalistinnen bedroht
(reporter-ohne-grenzen.de)
Zum gestrigen Internationalen Frauentag hat Reporter ohne Grenzen einen Themenbericht zu Sexismus im Journalismus veröffentlicht (PDF, englisch). Vorstandssprecherin Katja Gloger kommentiert: “Anlässlich des Weltfrauentags möchten – und müssen – wir erneut deutlich machen, dass für Journalistinnen überall auf der Welt die Ausübung ihres Berufes oft schwieriger und gefährlicher ist als für ihre Kollegen. Sie müssen sich gegen sexuelle Belästigung wehren, wenn sie einfach nur ihren Job machen wollen. Sie müssen damit rechnen, dass eine Welle des Hasses über sie hereinbricht, wenn sie sich in den sozialen Netzwerken äußern. In manchen Ländern wie Pakistan oder Indien riskieren sie sogar ihr Leben.”

3. Zu große Nähe? Das ZDF, Jochen Breyer und die TSG Hoffenheim
(ndr.de, Daniel Bouhs)
“Sind das ZDF und sein Moderator Jochen Breyer zu gefällig geworden, wenn es um den Bundesligisten und dessen Mäzen geht?” Daniel Bouhs geht noch einmal einem Fall nach, der vor rund einem Jahr für Schlagzeilen sorgte und der Breyer, den Fußballklub TSG Hoffenheim sowie Dietmar Hopp betrifft (siehe dazu: Knallhart am Journalismus vorbei (taz.de, Andreas Rüttenauer) und Perfekt inszenierte Hetze (spiegel.de, Daniel Montezari)). Anlass für das neuerliche Aufflammen des Themas ist eine vom ZDF angekündigte Doku, von der sich Bouhs schon vorab einen Eindruck machen konnte.

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4. turi2 schafft das Gendersternchen wieder ab – und setzt aufs generische Femininum.
(turi2.de, Peter Turi)
Über ein Jahr habe das Branchenportal “turi2” das Gendersternchen verwendet, doch damit sei nun Schluss. Viele Leser und Leserinnen hätten das Sternchen in den Texten als störend empfunden – man schaffe es daher ab. Überraschend: Die Redaktion kehrt nicht etwa zur alten Schreibweise zurück, sondern setzt auf das generisches Femininum. Chefredakteur Markus Trantow: “Wir Männer dürfen uns ganz selbstbewusst mitgemeint fühlen.”

5. Perspektive in Wartestellung
(out-takes.de, Elisabeth Nagy)
In der Kategorie “Perspektive Deutsches Kino” will die Berlinale dem Filmnachwuchs eine Chance geben. Zu Corona-Zeiten ist es jedoch für alle etwas schwieriger. Die ausgewählten Filme soll es zum Beispiel erst im Sommer zu sehen geben. Elisabeth Nagy stellt die sechs Stücke vor, die von der Jury aus 225 Einreichungen dafür auserkoren wurden.

6. Morddrohungen und Millionendeals
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Christine Heuer & Mirjam Kid, Audio: 7:15 Minuten)
Prinz Harry und Herzogin Meghan haben der Talk-Milliardärin Oprah Winfrey ein weltweit beachtetes Interview gegeben. Anlass für den Deutschlandfunk, sich die Medienstrategie des royalen Ehepaars anzuschauen – weg vom Beobachtungsgegenstand der Medien, hin zu aktiven Medienplayern mit lukrativen Netflix- und Spotify-Deals.

Wüste Sammlung, Papageno-Effekt, Der MDR und das Glyphosat

1. Medien kaufen Uni wüste Materialsammlung als brisante Corona-Studie ab
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Journalist Felix Huesmann hat es auf Twitter recht gut zusammengefasst: “Ein fachfremder Professor stellt wissenschaftliche Texte und Zeitungsartikel zusammen, fügt dem ganzen ein paar bunte Markierungen hinzu und die @unihh verkauft das dann als ‘Studie’. Mitten in der von Desinformation begleiteten Corona-Pandemie. Unfassbar.” Medienkritiker Stefan Niggemeier ist der Frage nachgegangen, wie das umstrittene Papier derart viel Medienaufmerksamkeit erfahren konnte. Außerdem verlinkt er mehrere Faktenchecks, die allesamt zu ähnlichen, wenn nicht übereinstimmenden Ergebnissen kommen.

2. Zu viele nehmen sich das Leben – darüber müssen wir reden
(krautreporter.de, Martin Gommel)
Der Werther-Effekt besagt, dass das öffentliche Sprechen über Suizide weitere Suizide provoziert. Ganz so einfach ist es jedoch nicht, findet die Soziologin Ellen von den Driesch: “Der Werther-Effekt ist eine umstrittene These, denn es gibt auch einen Papageno-Effekt. Hier geht man davon aus, dass es eine Schutzfunktion haben kann, wenn wir über Suizid in Verbindung mit Hinweisen auf Hilfsangebote sprechen.” Martin Gommel schreibt über psychische Krisen, den medialen Umgang damit und unsere gesellschaftliche Verantwortung für Menschen in Not.
(Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 und 116 123) erreichen kannst.)

3. Fast jeden zweiten Tag schrieb der Boulevard 2020 etwas Negatives über Menschen aus Afghanistan
(kobuk.at, Benjamin Steiger)
Benjamin Steiger hat die Berichterstattung der österreichischen Presse über Menschen aus Afghanistan untersucht und dabei Missverhältnisse festgestellt, die “die Realität grob verzerren und Vorurteile verfestigen können”. Beispielsweise sei 2020 in fast jeder zweiten Ausgabe der “Kronen Zeitung” zumindest ein Negativ-Artikel über Afghaninnen oder Afghanen erschienen.

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4. MDR gewinnt in Glyphosat-Streit
(meedia.de)
Im Jahr 2015 hatte das ARD-Magazin “Fakt” über das Glyphosat-Gutachten einer Behörde berichtet und damit in Zusammenhang stehende Dokumente veröffentlicht. Das betroffene Bundesinstitut ging dagegen juristisch vor, angeblich seien die Urheberrechte der Autoren verletzt worden. Nun hat das Oberlandesgericht Köln die Klage des Instituts abgewiesen. MDR-Programmdirektor Klaus Brinkbäumer kommentiert: “Das Gericht hat diesen Versuch, Zensur über den Umweg des Urheberrechts auszuüben, ganz klar zurückgewiesen. Der Fall zeigt aber, dass die Rundfunkfreiheit auch in unserem Land jeden Tag aufs Neue verteidigt und erstritten werden muss.”

5. JournalistInnen, wir müssen reden
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Thomas Knüwer hat sich das aktuelle “Edelman Trust Barometer” angeschaut. Dabei handelt es sich um eine jährliche Umfrage zum Vertrauen in Regierungen, Unternehmen, Medien und Nichtregierungsorganisationen. Knüwer fordert: “JournalistInnen müssen sich endlich den Fehlentwicklungen ihrer Branche stellen, sie müssen bereit sein, Kritik zu ertragen und auszutragen. Und sie müssen sich ändern.”

6. Der Mann, der BILD zur Kriegsmaschine macht
(youtube.com, Walulis Story SWR3, Video: 15:00 Minuten)
Philipp Walulis wirft einen satirischen Blick auf das Aufmerksamkeits-Business von “Bild”-Chef Julian Reichelt. Ein unterhaltsames und kurzweiliges Psychogram, bei dem man manchmal nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll.

Amazons peinliche “Bild”-Doku, Abmahnwesen, “Goldenes Brett”

1. So toll ist es also bei der “Bild”
(faz.net, Oliver Jungen)
Die ab heute abrufbare Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” verspricht “exklusive Einblicke in die Redaktion von Deutschlands bekanntester und größter Medienmarke”. Oliver Jungen hat sich das Werk angeschaut. Sein Fazit: “Amazons eingebettete, kritikfreie Reportage über die ‘Bild’-Zeitung ist journalistisch eine Nullnummer. Ein Kniefall. Peinlicher geht es kaum.”
Weiterer Lesehinweis: Bei der “taz” kritisiert Peter Weissenburger besonders zwei Dinge: “Die Postproduktion, die immer wieder dramatisch das Springer-Haus im Zeitraffer zeigt und sich bei Einblendungen am Design der Bild orientiert, als wäre es ein Imagefilm. Und die Recherche, die kaum andere Stimmen zu Wort kommen lässt, als Bild-Leute.” (Rumsitzen im Krawallklub, taz.de)
Weitere Hör-Empfehlung: Die Journalistin Ferda Ataman hat sich Amazons “Bild”-Beobachtung für Deutschlandfunk Kultur angesehen. Ihr Urteil: “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt habe sich mit der Serie keinen Gefallen getan. (Kampf mit allen Mitteln, deutschlandfunkkultur.de, Audio: 7:29 Minuten)

2. “Vielleicht Seite schließen?” – Troll-Kommentare aus dem RBB-Netz auf Planet Interview
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre ist nicht nur für seine gut vorbereiteten Interviews, sondern auch für seine nachfassenden Fragen bei Pressekonferenzen der Öffentlich-Rechtlichen bekannt. Sein kritisches Hinterfragen und seine wohltuende Unbequemlichkeit haben ihm dort anscheinend nicht nur Freunde beschert: Buhre berichtet, wie sich allerlei Negativkommentare verschiedenster Nutzerinnen und Nutzer auf seinem Blog ergießen. Allesamt von der IP-Adresse 192.108.72.0 versendet – ein Adressraum, der dem öffentlich-rechtlichen rbb zugeordnet ist.

3. Amtsgericht Hamburg: Abmahnungen von Christoph Scholz durch Rechtsanwalt Lutz Schroeder waren rechtsmissbräuchlich
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Der Creative-Commons-Foto-Abmahner Christoph Scholz hat lange Zeit ein lukratives Geschäft betrieben, doch nun habe das Amtsgericht Hamburg vier nahezu gleich lautende Urteile gegen ihn gesprochen. Das Gericht sehe in seinem Handeln einen Rechtsmissbrauch. Die Art und Weise der Organisation des Abmahnwesens habe das “Gepräge einer Einkommensgenerierung durch provozierte Rechtsverletzungen”. Der Jurist Markus Kompa fasst zusammen: “Herr Scholz hat damit weder Anspruch auf Ersatz eines Lizenzschadens noch auf Ersatz von Anwaltskosten. Umgekehrt muss Herr Scholz dem Abgemahnten die Kosten vorgerichtlicher Abmahnabwehr ersetzen sowie alle Prozesskosten.” Kompas Fazit: “Diese aktuellen Urteile sind weitere Sargnägel für das Abmahn-Business der Urheberrechtsfallensteller.”

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4. Floskel des Monats: durchstarten
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl sind die Initiatoren des sprach- und medienkritischen Projekts “Floskelwolke”, in dem sie Floskeln, Phrasen und Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten analysieren. Im Fachmagazin “journalist” stellen sie regelmäßig die “Floskel des Monats” vor. Aktuell: “durchstarten”.

5. In der Druckkammer
(taz.de, Anne Fromm)
Die Corona-Pandemie hat viele Medienhäuser in Bedrängnis gebracht. Die “Süddeutsche Zeitung” begegnet dem mit einem rigorosen Sparprogramm. Trotz steigender Abozahlen und erhöhtem Arbeitsaufkommen sei die Redaktion in Kurzarbeit geschickt worden. Nun wolle der Verlag sich von 50 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen trennen. Gleichzeitig ändere sich die Unternehmenskultur: Die Chefs würden neuerdings duzen und sprächen von “Town Hall Meetings” und “Lunch mit Christian”.
Weiterer Lesehinweis: “Süddeutsche”-Autorin Aurelie von Blazekovic hat sich in der Medienbranche umgehört, ob und wie die Verlage ihre Mitarbeitenden in dem Corona-Jahr unterstützt haben. Bei Condé Nast habe es in Deutschland eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.000 Euro gegeben, bei der “Süddeutschen Zeitung” soll eine “Corona Beihilfe” von 100 Euro ausgezahlt werden (Ein freier Tag und schönen Dank, sueddeutsche.de).

6. Das Goldene Brett 2020 für Sucharit Bhakdi: “Noch nie gab es einen passenderen Kandidaten”
(blog.gwup.net)
Mit dem Negativpreis “Das goldene Brett” prämiert die Gesellschaft für kritisches Denken Personen oder Institutionen, die “mit wissenschaftlich widerlegten oder unsinnigen Behauptungen Medienpräsenz anstreben, Angst machen oder Geld verdienen wollen.” Diesjähriger Preisträger ist der Arzt Sucharit Bhakdi, der für seine Äußerungen zur Corona-Pandemie, nun ja, ausgezeichnet wird: “Es gab vielleicht noch nie einen Kandidaten, auf den das ‘Goldene Brett vorm Kopf’ so perfekt gepasst hat wie auf ihn.” Der Preis fürs “Lebenswerk” geht an Ken Jebsen und dessen Kanal KenFM. Dieses Jahr fand die Verleihung nicht live statt, es gibt jedoch ein Video mit den Laudationen von Katharina Nocun (Ballweg), “Hoaxilla” (Hildmann) und Krista Federspiel (Bhakdi) (youtube.com, 44:35 Minuten).
(Transparenzhinweis: Der “6 vor 9”-Kurator war im Jahr 2016 selbst Laudator des “Goldenen Bretts”.)

***

Dies ist die letzte “6 vor 9”-Ausgabe in diesem Jahr (mit dem sonstigen BILDblog-Programm geht es noch ein paar Tage weiter). Wir bedanken uns für Eure Treue und verabschieden uns in die “6v9”-Winterpause. Allen Leserinnen und Lesern unserer morgendlichen Medienrundschau frohe Festtage und ein gesundes Wiedersehen im kommenden Jahr!

Bild.de lässt sich eine Story nicht von sowas wie Fakten kaputtmachen

Spätestens seit in Großbritannien gegen Boris Becker ein Insolvenzverfahren läuft, hat sich die “Bild”-Redaktion auf den ehemaligen Tennisstar eingeschossen (zum Beispiel: “Jetzt wird’s ernst für Boris! Diese Horror-Liste kann ihn in den Knast bringen”). Und Becker schießt zurück: Er lasse es nicht zu, dass “Julian Reichelt und sein Blatt” versuchen, “einen Menschen kaputt zu machen …mich!”

Ende November hatte “Bild” den nächsten Knaller ausgegraben:

Screenshot Bild.de - Britischer Rechtsexperte erstaunt - Boris Becker fährt Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand

Was für ein Auto wird Boris Becker wohl wie so ein richtiger Dax-Vorstand fahren? Den größten BMW, den man kriegen kann? Den dicksten Audi auf dem Markt? Einen Ferrari wie der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess? “Bild”-Chefreporter John Puthenpurackal schrieb:

Auch nach der Privatinsolvenz gibt Boris Becker privat weiter Gas – mit einer Luxus-Limousine.

Vor und nach der Verhandlung wurde die Tennis-Legende in einer anthrazit-farbenen E-Klasse der Marke “Mercedes-Benz” gesichtet. Das Fahrzeug gehört laut Experten hinter der S-Klasse zur oberen Kategorie der Limousinen.

Die E-Klasse, die in der einfachsten Ausstattung aktuell knapp unter 50.000 Euro kostet, ist für die meisten sicher ein teurer Spaß. Möglich, dass es auch Dax-Vorstände gibt, die E-Klasse fahren. Allerdings dürfte sich jeder von ihnen auch deutlich teurere Modelle (eine S-Klasse ist erst ab etwa 95.000 Euro zu haben) leisten können: 2019 lag das Durchschnittsgehalt eines Mitglieds im Vorstand eines im Dax gelisteten Unternehmens bei 3,4 Millionen Euro. Ob man also wirklich sagen kann, dass Boris Becker ein “Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand” fährt?

Zumal Becker auf dem Foto, auf das sich Bild.de bezieht, gar nicht in einer E-Klasse sitzt, sondern in einer kleineren C-Klasse. Die ist ab knapp 35.000 Euro zu haben und ein Modell der Mittelklasse.

Es ist bezeichnend, wie die “Bild”-Redaktion mit ihrer falschen Darstellung umgeht.

Ein Twitter-User wies John Puthenpurackal auf den Fehler hin, wofür sich der “Bild”-Autor bedankte. Er habe seinen Artikel aktualisiert, schrieb Puthenpurackal.

Tatsächlich hat Bild.de den Fehler transparent korrigiert (“Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand anstelle der C-Klasse die E-Klasse als Fahrzeugtyp. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.”), was gut ist. Der Rest ist schlecht. Trotz der deutlich veränderten Faktenlage bleibt die “Bild”-Redaktion einfach bei ihrer Überschrift “Boris Becker fährt Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand” und bei ihrer “Luxus-Limousinen”-Geschichte:

Auch nach der Privatinsolvenz gibt Boris Becker privat weiter Gas – mit einer Luxus-Limousine.

Denn: Vor und nach der Verhandlung wurde die Tennis-Legende in einem anthrazitfarbenen Mercedes-Benz, einer C-Klasse, gesichtet.

Das Fahrzeug gehört hinter der S-Klasse und der E-Klasse zu der höheren Kategorien der Limousinen. Listenpreis: mindestens 34.000 Euro.

Dass preislich zwischen E- und C-Klasse einiges liegt – na und? Und dass damit die ursprüngliche Grundannahme futsch ist – egal. Von sowas wie Fakten hat sich die “Bild”-Redaktion noch nie eine Geschichte kaputtmachen lassen.

Mit Dank an @nutzwerker für den Hinweis!

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“Bild TV” ohne 20 Millionen, Fonds für Pressefreiheit, Browser Ballett im TV

1. Presserat rügt SZ
(sueddeutsche.de)
Der Presserat hat einen Online-Text der “Süddeutschen” über den Mord an fünf Kindern in Solingen gerügt, in dem zunächst Zitate aus einem Whatsapp-Chat des sechsten Kindes zu lesen waren. Später hatte die Redaktion diese Zitate gelöscht, ist nun jedoch für die Ursprungsversion gerügt worden. Anstatt das unangenehme Thema zu ignorieren, reagiert die “SZ”, wie man es sich von manch anderem gerügten Medium wünschen würde: “Die Chefredaktion der SZ hält die Rüge für gerechtfertigt und bedauert den Fehler.”

2. Renner: Springer verweigert “Bild TV” zusätzliche Gelder.
(turi2.de, Andreas Grieß)
Laut einem Bericht der “Berliner Zeitung” (Bezahlartikel) hatte “Bild”-Chef Julian Reichelt fest damit gerechnet, weitere 20 Millionen Euro für den Ausbau von “Bild TV” zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Springer-Aufsichtsrat habe ihm die Mittel jedoch verweigert. Ein Grund: Die größtenteils kläglichen Zuschauerzahlen. Bei der Verleihung des Axel-Springer-Awards an Tesla-Chef Elon Musk hätten beispielsweise nur 260 Menschen zugeschaut.
Nachtrag: Die “Berliner Zeitung” musste ihren Artikel um folgenden Hinweis ergänzen: “In einer vorherigen Version schrieben wir, am 17. November habe der Springer-Aufsichtsrat beschlossen, ‘Mittel in Höhe von mindestens 20 Millionen Euro für Bild Live’, würden ‘nicht fließen’. Inzwischen teilte Axel Springer mit, dass am 17. November in einer Vorstandssitzung ‘für das Jahr 2021 für Bild Live ein Investitionsvolumen von ca. 22 Millionen Euro bestätigt worden’ sei. Zudem ist uns im ursprünglichen Text eine Verwechslung unterlaufen: Nicht die Verleihung des Axel-Springer-Awards sahen bei Bild Live im Schnitt 260 Zuschauer. Tatsächlich hatte diese Quote ein Interview mit dem Tesla-Chef im Vorfeld der Preisverleihung.”

3. Die Top-Listen 2020 der besten Videos des Jahres stehen fest
(blog.youtube)
Youtube hat seine Bestenlisten für Deutschland veröffentlicht: die “Top Trending Videos”, die “Top-Musikvideos”, die “Top Creator” und die “Breakout Creator” (größte Durchstarter des Jahres) des Jahres 2020. In der Video-Bestenliste wurden keine Musikvideos, Trailer und Kindervideos einbezogen. Sie wird angeführt vom Corona-Video der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, einem Video über die Belästigung von Frauen (“Männerwelten” von Joko und Klaas) und Bibis Haus-Tour. Wer sein Medien-Universum erweitern oder einfach nur erfahren will, was derzeit so angesagt ist, bekommt hier eine gute Übersicht.

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4. Twitter will mehr Gruppen vor »Entmenschlichung« schützen
(spiegel.de)
Twitter hat seine “Richtlinie zu Hass schürendem Verhalten” überarbeitet. Verboten ist nun auch die “Entmenschlichung einer Gruppe” aufgrund von “Kaste”, “nationaler Herkunft” oder “ethnischer Zugehörigkeit”. Inwieweit sich die überarbeiteten Regeln in der Praxis auswirken werden, ist noch unklar. Ähnlich unklar wie die Konsequenzen bei Verstößen gegen die Twitter-Richtlinie, die vom Einzelfall anhängen würden. Arisha Michelle von der US-Menschenrechtsorganisation Color of Change sagt, die Ankündigung falle in die “wachsende Kategorie von zu unbedeutenden, zu späten PR-Stunts”.

5. Ein Fonds für die Pressefreiheit
(verdi.de, Sarah Schäfer)
Beim jüngsten Medien-Meeting der Gewerkschaft dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) ging es um den Druck, der durch Klagen auf Redaktionen ausgeübt wird. Dass juristische Mittel eingesetzt werden, um eine ungewünschte Berichterstattung zu beeinflussen oder zu verhindern, sei längst keine Ausnahme mehr. In dem Beitrag geht es auch um den “Prinzenfonds”, der Menschen unterstützt, die wegen Aussagen über das Haus Hohenzollern abgemahnt oder verklagt werden.

6. Browser Ballett
(ardmediathek.de, Video: 29:38 Minuten)
Auf Youtube hat der Satire-Kanal “Browser Ballett” etwa 300.000 Abonnenten gewinnen können. Das öffentlich-rechtliche Format aus der Funk-Familie hat nun den Sprung aus dem Internet ins klassische ARD-Programm geschafft. Highlight der Sendung aus unserer Sicht: Ein satirischer Einblick in den “Bild”-Redaktionsalltag mit Julian-Reichelt- und Paul-Ronzheimer-Doubles, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Die geschilderten Szenen scheinen bei aller Überzeichnung durchaus vorstellbar (ab Minute 1:20).
Weiterer Lesehinweis: Nur mit indirektem Medienbezug, aber sehr lesenswert: Der Bericht “Ich war in der Psychiatrie und es war die beste Zeit meines Lebens” vom “Browser Ballett”-Gründer Schlecky Silberstein.

Bei “Bild” wird wieder denunziert

Was die “Sorge vieler Bürger” ist, das weiß die “Bild”-Redaktion:

Die Sorge vieler Bürger: Werde ich nun von einem Nachbarn verpfiffen, weil ich mich für fünf Sekunden nicht an die Mindestabstandsregel gehalten habe oder er durch sein Fenster beobachtet hat, wie meine Freundin oder mein Freund bei mir auf dem Sofa sitzt?

Und so fragte sie im März in der Überschrift:

Screenshot Bild.de - Meldungen bei Kontaktverbotsverstößen - Werden wir Deutschen jetzt zu Corona-Verpetzern?

Drei Wochen später meldete Bild.de:

Screenshot Bild.de - Vermehrt Corona-Beschwerden - In Berlin wird wieder denunziert

Pfui!

Das fand auch “Bild”-Chef Julian Reichelt im Juni, nachdem Holger Kliem, der bei der TSG Hoffenheim die Öffentlichkeitsarbeit leitet, ein Foto twitterte, auf dem ein “Bild”-Reporter (von Kliem unkenntlich gemacht) auf der Tribüne des Fußballbundesligisten arbeitet und dabei seinen Mund-Nasen-Schutz zu einem Kinn-Kinn-Schutz umfunktioniert hat. Reichelt empörte sich über die Denunziation:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Gleich zwei deutsche Volkssportarten in einem Stadion: Fußball und Denunziation.

Kurzum: Wenn “Bild” eins nicht leiden kann, dann ist es das um sich greifende Corona-Denunziantentum.

So sieht heute die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus:

Ausriss Bild-Titelseite - 60 Minuten nach seiner knallharten Lockdown-Rede - Laschet ohne Maske im Flieger!

Und auch bei Bild.de ist der am Ohr baumelnde Mund-Nasen-Schutz des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet großes Aufregerthema auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - 60 Minuten nach seiner knallharten Lockdown-Rede - Lascher ohne Maske im Flieger - ein Fluggast fotografierte die Szene

Laschets Staatskanzlei sagt zu dem Foto, der Politiker habe die Maske nur “für einen kurzzeitigen Moment zum Verzehr von Speisen und Getränken” abgenommen – was man bei Bild.de allerdings nur erfährt, wenn man ein “Bild plus”-Abo hat.

Mit Dank an @felixsschulz für den Hinweis!

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Jetzt mal “Klartext”: “Bild” reißt ordentlich aus dem Zusammenhang

Karl Lauterbach war gestern zu Gast in der “Bild”-Sendung “Die richtigen Fragen”. Und natürlich könnte man nun einfach mit den Schultern zucken und sagen: “Tja, selbst schuld”. Doch wie die “Bild”-Redaktion in diesem Fall Aussagen des SPD-Gesundheitsexperten aus dem Kontext reißt, Versatzstücke neu zusammenwürfelt und es am Ende so wirken lässt, als wäre Lauterbach zum “Klartext”-Politiker mutiert, der gegen arabische Großfamilien poltert, ist schon besonders frech.

Screenshot Bild.de - Explodierende Corona-Infektionszahlen - Lauterbach spricht Klartext über Clan-Hochzeiten

titelt gestern Abend Bild.de auf der Startseite und heute die gedruckte “Bild” auf Seite 3. Die Kombination aus Dach- und Schlagzeile lässt nicht viel Spielraum für Interpretationen: Karl Lauterbach klartextet, dass die “Clan-Hochzeiten” schuld seien an den “explodierenden Corona-Infektionszahlen”. Nur sowas hat Lauterbach in der “Bild”-Sendung nicht gesagt.

Das Thema an sich brachte auch nicht Lauterbach in die Gesprächsrunde ein, sondern der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer. Als Moderator fragte Ronzheimer erst den per Videostream zugeschalteten FDP-Politiker Wolfgang Kubicki:

Wir reden viel über Feiern. Herr Kubicki, eine Frage an Sie gerichtet: Wenn man über diese Feiern spricht, was ist aus Ihrer Sicht da der tatsächliche Hintergrund? Und was bedeutet es eigentlich, dass jetzt die Kanzlerin und der Regierungssprecher aktuell zum Beispiel in einer Videobotschaft auch vermehrt mit arabischen Untertiteln arbeiten, um sozusagen auch Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen? Sehen Sie da eine Problematik, die bislang zumindest in der Öffentlichkeit wenig diskutiert wurde?

Feiern, arabische Untertitel, zwinkerzwinker, sagen Sie doch mal, Herr Kubicki, was ist da der “tatsächliche Hintergrund”?

Anschließend wandte sich Ronzheimer an Karl Lauterbach:

Herr Lauterbach, sehen Sie, ähnlich wie Herr Kubicki, ein besonderes Problem und die Frage, ob es einer besonderen Aufklärung bedarf für Menschen mit Migrationshintergrund? Oder ist das Quatsch?

Das sind eigentlich drei Fragen auf einmal: 1. “besonderes Problem”, 2. “besondere Aufklärung” und 3. “Quatsch”. Lauterbach scheint auf die Fragen 2 und 3 zu antworten:

Das ist kein Quatsch. Das muss man schon natürlich einräumen, weil kulturelle Unterschiede und auch Sprachbarrieren bei der Ansprache spielen hier natürlich eine große Rolle. Von daher wäre es falsch, das nicht einzuräumen.

Es geht ihm offenbar um die gesonderte Aufklärung über die Corona-Pandemie für Menschen, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen.

Dann kommt der “Klartext”. Lauterbach sagt direkt im Anschluss:

Ich will aber in einem Punkt hier Klartext sprechen. Der Punkt, wo wir das noch in den Griff hätten bekommen können, also wir kämen aus dem exponentiellen Wachstum raus, indem wir einfach nur die Feiern verbieten, der ist leider weg. Das hätte man vor zwei oder drei Wochen vielleicht noch machen können.

Er erwähnt an dieser Stelle also nicht “Clan-Hochzeiten”, sondern “Feiern” allgemein. Und er sagt: Das Verbieten von Feiern ist heute schon gar nicht mehr das entscheidende Thema:

Daher hat Merkel Recht gehabt, indem sie auf die Kontakte abgehoben hat. Vor zwei, drei Wochen hätte es wahrscheinlich noch gereicht, wenn wir einfach die Feiern, die privaten Feiern begrenzt hätten. Da gab es Modellierungen auf 25 Leute maximal. Das wäre möglicherweise noch gegangen. Aber jetzt haben wir so viele Fälle in der breiten Bevölkerung, dass die ganz gewöhnlichen Kontakte, am Arbeitsplatz, im Restaurant, dass die auch schon reichen, sozusagen die Pandemie zu unterhalten.

Auch hier: keine explizite Erwähnung der “Clan-Hochzeiten”, sondern “Feiern, die privaten Feiern”. Paul Ronzheimer grätscht dazwischen:

Das heißt, Sie wollen wieder alles dichtmachen?

Lauterbachs Antwort:

Nein, das will ich nicht. Ich will nur erklären, dass wir jetzt, jeder Einzelne, die Kontakte reduzieren müssen. Und ich halte es für extrem gefährlich, also folgenden Irrgedanken zu haben. Das wäre, sagen wir mal, ein Fehler. So könnte man falsch denken. Falsches Denken wäre in diesem Moment wie folgt: Ich mache keine privaten Feiern, ich bin nicht betroffen. Ich gehe zu keiner Hochzeitsfeier. Ich kann das machen, was ich in den letzten drei Wochen gemacht habe. Ich verändere mich nicht. Ich gehöre nicht zu diesen Großfeiern und so weiter. Vor ein paar Wochen hätte das gereicht. Die Zeit ist vorbei, das ist abgefahren. Also jetzt ist die Zahl mittlerweile so hoch, und es hat sich so stark verbreitet, dass wir jetzt tatsächlich an die, ich sag’ mal, Nicht-Feier-Kontakte ran müssen. Und das müssen wir schnell machen. Solche Feiern sind in Frankreich schon lange verboten. Und trotzdem sind die mehr oder weniger im Lockdown. Weil wenn ich einmal eine gewisse Zahl von Infizierten erreicht habe, dann sind die Früchte, die tief hängen, der Ökonom spricht ja von den tiefhängenden Früchten, die tiefhängenden Früchte, die Feiern, also die Großveranstaltungen und so weiter, die Clan-Hochzeiten, die tief hängenden Früchte, die sind jetzt alle nicht mehr relevant. Jetzt muss ich an die höheren Früchte ran. Und daher wird das schwieriger werden. Und ich will einfach der Illusion entgegenwirken, dass wir jetzt sagen können: Wenn die Feiern jetzt erstmal beendet sind, dann sind wir aus dem Schneider. Der Punkt ist nicht mehr.

Nun also die “Clan-Hochzeiten”. Weit entfernt vom “Klartext” und nur als ein Beispiel neben “Feiern” und “Großveranstaltungen”. Vor allem aber: Das alles sei jetzt “nicht mehr relevant”, denn eine Begrenzung oder ein Verbot von Feiern griffe viel zu kurz. Weitergehende Maßnahmen wären stattdessen nötig.

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Von dieser Forderung ist in den Artikeln der “Bild”-Medien nichts zu lesen (bei Bild.de ist auch kein Video mit den im Beitrag thematisierten Zitaten Lauterbachs eingebettet). Stattdessen würfelt die Redaktion die Aussagen Lauterbachs zusammen:

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (57) spricht sogar offen aus, dass Clan-Hochzeiten mitverantwortlich für den rasanten Anstieg der Corona-Infizierten sind.

Im BILD-Talk “Die richtigen Fragen” sagte Lauterbach über die steigenden Zahlen: “Der Punkt, wo wir das noch hätten in den Griff bekommen können, indem wir einfach nur Feiern verbieten, ist leider weg. Das hätte man vor zwei oder drei Wochen vielleicht noch machen können.” Die “kulturellen Unterschiede” und “Sprachbarrieren” spielten natürlich eine Rolle.

Das geschickte Zusammensetzen lässt es für die Leserinnen und Leser so wirken, als bezöge Lauterbach die “kulturellen Unterschiede” und die “Sprachbarrieren” auf die Feiern, wodurch sich der Rückschluss auf die “Clan-Hochzeiten” ergibt. Er erwähnte sie aber im Zusammenhang mit der besonderen Aufklärung über die Corona-Pandemie – siehe oben.

Im selben Artikel schicken die “Bild”-Autoren Ralf Schuler und Sebastian Geisler neben Karl Lauterbach übrigens auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die ganze Bundesregierung in den Kampf gegen “große Familienfeiern” von Türken und Arabern:

Die Videobotschaft von Kanzlerin Angela Merkel (66, CDU) am vergangenen Wochenende wurde mit Untertiteln gezeigt: auf Türkisch und Arabisch. Damit gibt auch die Regierung zu, dass große Familienfeiern Ursache zahlreicher Masseninfektionen waren und sind.

Diese bewusst hergestellte falsche Kausalität und die Verdrehungen zu Karl Lauterbachs Aussagen passen wunderbar zur Linie, die die “Bild”-Redaktion und ihr Chef Julian Reichelt in letzter Zeit verfolgen. Vor eineinhalb Wochen schrieb Reichelt in einem Kommentar zu den Corona-Maßnahmen:

Wir erleben keine Explosion der Unvernunft in Deutschland, sondern immer noch vermeintlich coole Partys in Berlin-Mitte und Familienfeste, die dann Millionen Menschen in Restriktionen zwingen. Bei den “Familienfesten” geht es viel zu oft um eben jene Hochzeiten, die vor Corona durch Autocorsos und Tänze auf Kreuzungen und In-die-Luft-Schießen deutlich machten, dass sie von Regeln des Zusammenlebens nichts halten.

Es ist schon erstaunlich, wie viele Zeilen Julian Reichelt braucht, um seine simple wie gefährliche Botschaft loszuwerden: Die Ausländer sind schuld.

Dazu auch:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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