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30 000 Asylbewerber verschwunden? “Bild” errechnet völligen Unsinn (3)

In der “Bild”-Zeitung ist heute so etwas wie eine Korrektur erschienen:

Ausriss Bild-Zeitung - In der Donnerstag-Ausgabe titelte Bild: 30000 abgelehnte Asylbewerber spurlos verschwunden. Um die Korrektheit der Schlagzeile entbrannte heftiger Streit. Richtig ist: Die 30000 Personen, über deren Verbleib die Behörden offenbar keine zentral erfassten, gesicherten Erkenntnisse haben, sind nicht allein abgelehnte Asylbewerber. Hier hatte Bild nicht korrekt formuliert. Es sind zum Teil auch andere Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, weil zum Beispiel ihr Visum abgelaufen ist und sie sich deshalb illegal in Deutschland aufhalten würden.

Immerhin etwas Einsicht.

Nur: Das stimmt in dieser Form nun auch nicht ganz, denn das Problem bei der großen “Bild”-Titelzeile von Donnerstag war letztlich nicht die Formulierung, sondern die Unfähigkeit, das Zahlenmaterial wenigstens ansatzweise zu verstehen, und die daraus resultierende falsche Rechnung. Dazu ist in dem Text von heute kein Wort zu finden. Stattdessen tut die Redaktion so, als hätte sie etwas Großes entdeckt, alles richtig verstanden, nur eben blöderweise “nicht korrekt” formuliert:

BILD war auf die Zahl der rund 30 000 Personen gestoßen, weil das AZR [Ausländerzentralregister] (per Ende 2016) insgesamt 54 400 vollziehbar Ausreisepflichtige ausweist. Das Statistische Bundesamt führt zugleich rund 23 600 Personen, die staatliche Asyl-Leistungen erhalten.

Der Fehler, den “Bild”-Autorin Larissa Krüger gemacht hat: Diese beiden Zahlen zu verrechnen, die in dieser Form nicht zu verrechnen sind. Stattdessen hätte sie zum Beispiel die 28.000 vollziehbar ausreisepflichtigen Schutzsuchenden nehmen können, die das Statistische Bundesamt nennt. Übrig geblieben wären dann — statt 30.000 — rund 4400 Personen. Ob das für eine “Bild”-Titelgeschichte gereicht hätte?

Noch am Donnerstag hatte Bild.de darauf bestanden, dass an dem Bericht zu den vermeintlichen 30.000 verschwundenen ausreisepflichtigen Asylbewerbern nichts auszusetzen sei. Die Redaktion präsentierte sogar einen prominenten Fürsprecher mit einer angeblichen Bestätigung:

Screenshot Bild.de - Kanzleramtsminister Altmaier bestätigt Bild-Bericht - Niemand weiß, wie viele Asylsuchende abgetaucht sind

Die außergewöhnliche Logik dabei:

“Bild” schreibt: Es sind 30.000.
Peter Altmaier sagt: Keine Ahnung, wie viele es sind.
Bild.de schreibt: Altmaier bestätigt “Bild”.

Was auch nicht unbedingt für die Fehlerkultur bei “Bild” spricht: Über die, nun ja, Korrektur von heute hat die Redaktion natürlich nicht “Korrektur” geschrieben, sondern:

Ausriss Bild-Zeitung - Das alles weiß das Bundesinnenministerium nicht über ausreisepflichtige Ausländer

Dazu auch:

30 000 Asylbewerber verschwunden? “Bild” errechnet völligen Unsinn (2)

Wir hatten ja gestern bereits geschrieben, dass wir Zweifel haben, ob bei den “Bild”-Leuten überhaupt irgendetwas ankommt. Heute zeigt sich einmal mehr: Nein, kommt es nicht.

Es geht noch einmal um die heutige “Bild”-Titelgeschichte. Vorhin haben wir hier im Blog aufgeschrieben, dass die Autorin Larissa Krüger Zahlen völlig falsch einsetzt und damit zum viel zu hohen Ergebnis kommt, dass 30.000 abgelehnte Asylbewerber verschwunden seien. Wendet man die Zahlen, die Krüger nutzt, richtig an, sind es eher 3000, vermutlich sogar noch weniger.

Bei Twitter auf diesen Fehler angesprochen, schreibt Ralf Schuler, Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros:

Die vermeintliche Bestätigung durch Kanzleramtsminister Peter Altmaier gibt es jetzt bereits bei Bild.de. Und es ist ganz bestimmt keine vollumfängliche Bestätigung der “Bild”-Geschichte von heute, auch wenn Bild.de das in der Dachzeile weismachen will:

Screenshot Bild.de - Kanzleramtsminister Altmaier bestätigt Bild-Bericht - Niemand weiß, wie viele Asylsuchende abgetaucht sind

Die Redaktion wiederholt noch einmal dieselbe falsche Zahl von 30.000 abgelehnten Asylbewerbern, was sie nicht richtiger macht, und zitiert dann Altmaier:

BILD fragte im Kanzleramt nach, wollte von Angela Merkels Kanzleramtsminister wissen, wie so etwas entstehen kann. Und Peter Altmaier bestätigte den BILD-Bericht zu den verschwundenen Flüchtlingen.

Seine Antwort: “Bis­lang weiß nie­mand genau, wie viele Asyl­su­chen­de Deutsch­land und Eu­ro­pa wie­der ver­las­sen haben, ohne sich ab­ge­mel­det zu haben oder viel­leicht in die Schwarz­ar­beit ab­ge­taucht sind.”

Zusätzlich “hat ver­mut­lich noch eine er­heb­li­che Zahl an Per­so­nen un­ab­hän­gig von staat­li­chen Maß­nah­men frei­wil­lig das Land ver­las­sen, die in kei­ner Sta­tis­tik auf­tau­chen”, so Altmaier.

“Bild” schreibt: 30.000 sind verschwunden.
Altmaier sagt: Niemand weiß, wie viele verschwunden sind.
Bild.de schreibt: Altmaier bestätigt “Bild”.

Tja.

Wie fatal eine falsche Schlagzeile auf der “Bild”-Titelseite ist, zeigen nicht nur die Reaktionen von rechten Scharfmachern, die diese gern aufgreifen, sondern auch die Reaktionen von Politikern. Sie glauben “Bild” den Unsinn einfach und plappern ihn nach.

Im Bild.de-Artikel kommen verschiedene Parlamentarier zu Wort. Es ist zum Heulen:

Der BILD-Bericht über die rund 30 000 verschwundenen Flüchtlinge hatte bei Politikern Entsetzung und Empörung ausgelöst — die Opposition sprach sogar von „Staatsversagen“. FDP und CSU forderten Zentren für Ausreisepflichtige, “aus denen denen das Entweichen unmöglich ist”.

Wolfgang Kubicki fordert aufgrund des “Bild”-Berichts zum Beispiel spezielle “Abschiebeeinrichtungen”:

FDP-Vize Wolfgang Kubicki zu BILD: “Ob 30 000 oder nur 20 000 Menschen, die unser Land verlassen müssen, verschwunden sind, ist völlig egal. Dass sowas überhaupt möglich ist, straft die Aussage lügen, in unserem Staat würden die Behörden die Sicherheit bestmöglich gewährleisten.”

Seine Forderung: “Wir brauchen dringend Abschiebeeinrichtungen, aus denen das Entweichen unmöglich ist.”

“Ob 30 000 oder nur 20 000 Menschen” ist also egal. Und nur 3000?

Und auch Burkhard Lischka übernimmt einfach die falschen 30 000:

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka: “30 000 Menschen können nicht einfach verschwinden. Es ist allerdings ein dramatischer Kontrollverlust, wenn die zuständigen Behörden keine Ahnung haben, wo sie sind. Mich wundert nicht, dass solche Zustände immer wieder im Bereich von Innenminister Thomas de Maizière zu finden sind. Er war es doch, der in den letzten Monaten etwa 3 000 Stellen beim BAMF abgebaut hat.”

“Bild”-Oberchef Julian Reichelt soll neulich bei einem Auftritt gesagt haben:

Wenn man einen Fehler gemacht hat, ist das beste Wort “Entschuldigung”.

Ja. Oder einfach so tun, als hätte man keinen Fehler gemacht.

Nachtrag, 4. November: Trotz der vermeintlichen Bestätigung aus dem Bundeskanzleramt schreibt nun auch die “Bild”-Zeitung, dass die Zahl von 30.000 nicht richtig war.

30 000 Asylbewerber verschwunden? “Bild” errechnet völligen Unsinn

Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte sich die “Bild”-Redaktion als Speerspitze der deutschen Willkommenskultur inszenieren. Den Slogan “Wir helfen” ließ sie damals Politiker auf Pappschildern hochhalten und Fußballprofis auf deren Ärmeln tragen.

Es ist noch gar nicht so lange her, aber es hat sich seitdem viel geändert. Auch und vor allem ist die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de über Flüchtlinge und Asylbewerber eine ganz andere geworden. Die “Bild”-Medien meinen, sie seien nur ehrlich, sprächen nur Wahrheiten aus und Probleme an. Aber das ist falsch. “Bild” und Bild.de bringen immer wieder auch völlig falsche Informationen und Zahlen in Umlauf. Heute etwa mit dieser Titelgeschichte:

Ausriss Bild-Zeitung - 30000 abgelehnte Asylbewerber spurlos verschwunden!

Schon im Anreißer auf Seite 1 klingt es dramatisch:

Neuer, unfassbarer Behördenskandal: Von gut 30 000 abgelehnten, sofort ausreisepflichtigen Asylbewerbern wissen die Behörden nicht, wo sie stecken. Zum Teil haben sie Deutschland wohl einfach verlassen — oder sind hier untergetaucht.

Auf Seite 2 breitet Autorin Larissa Krüger den “ABTAUCH-SKANDAL” dann so richtig aus:

Ausriss Bild-Zeitung - Der Abtauch-Skandal - 30000 abgelehnte Asylbewerber sind spurlos verschwunden

Das darf doch nicht wahr sein. BILD deckt die nächste Behörden-Panne im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise auf.

Regierung und Behörden wissen nicht, wo gut 30 000 abgelehnte und vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber derzeit sind.

In Deutschland — warum auch immer — untergetaucht? Außer Landes? Keine Ahnung!

Nur: “Bild” deckt hier gar nichts auf. Außer die eigene Ahnungslosigkeit und die eigene Unfähigkeit, die richtigen Zahlen rauszusuchen.

Krüger schreibt:

Die Fakten: Laut Bundesregierung waren Ende Dezember 2016 genau 54 437 Personen vollziehbar ausreisepflichtig (inzwischen sind es rund 65 000). Aber laut Statistischem Bundesamt bezogen im Jahr 2016 nur 23 617 dieser Personen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Über den Verbleib des Restes von 30 820 Personen (Stichtag 31.12.2016) haben die Behörden und Statistiker KEINE Informationen.

Die zwei Zahlen von der Bundesregierung beziehungsweise dem Statistischen Bundesamt mögen stimmen. Aber sie passen nicht zueinander. Denn die 54.437 vollziehbar ausreisepflichtigen Personen, die die Bundesregierung nennt, sind nicht nur Asylbewerber, sondern auch andere Ausländer, die ausreisepflichtig sind, zum Beispiel Urlauber mit abgelaufenen Visa. Diese Gruppe ist — Überraschung — gar nicht in der Lage, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu bekommen, und kann daher auch nicht in den Zahlen des Statistischen Bundesamts auftauchen (oder dort fehlen).

Und es sind nicht nur ein paar wenige visalose Urlauber, die Larissa Krüger in ihrer Apfel-Birnen-Rechnung übersieht. Das Bundesinnenministerium schreibt uns in einer Stellungnahme zum heutigen “Bild”-Bericht:

Die Differenz zwischen der Zahl der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und der Zahl der im Ausländerzentralregister (AZR) erfassten ausreisepflichtigen Ausländer ohne Duldung lässt nicht den Schluss zu, dass sich die genannte Personengruppe allein aus abgelehnten Asylbewerbern zusammensetzt.

So verkennt der Artikel schon grundsätzlich, dass es sich überhaupt nur bei etwa 49 % aller im AZR als ausreisepflichtig registrierten Ausländer um Personen handelt, zu denen auch die Ablehnung eines Asylantrages im AZR eingetragen ist.

51 Prozent der Personen, die Krüger in ihre Asylrechnung einbezieht, gehören dort überhaupt nicht rein, weil sie nicht abgelehnte Asylbewerber sind, sondern beispielsweise Urlauber ohne Visa. Das heißt: Statt mit 54.437 Personen müsste die “Bild”-Autorin mit 26.674 Personen rechnen. Diese Zahl passt auch viel besser zu der Statistik, die das Statistische Bundesamt heute rausgegeben hat und nach der 28.000 Schutzsuchende am Stichtag 31. Dezember 2016 vollziehbar ausreisepflichtig waren.

Statt um 30.820 geht es also lediglich um 3057* Personen. Und auch das dürfte noch nicht die endgültige Anzahl “spurlos verschwundener” abgelehnter Asylbewerber sein, wie “Bild” sie nennt. Denn nicht alle ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerber beziehen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Wenn der Betroffene etwa selbst über ein ausreichendes Vermögen verfügt, oder Angehörige zum Unterhalt verpflichtet sind, tauchen diese Personen nicht in der Statistik auf, die Larissa Krüger herangezogen hat.

Dazu kommt, dass auch die Verantwortlichen im Statistischen Bundesamt sagen, dass ihre Zahl, die Krüger für die Rechnung genutzt hat, dafür nicht taugt. Gudula Geuther vom “Deutschlandfunk” hat mit ihnen gesprochen (Audio, 2:57 Minuten). So notieren zum Beispiel die Kommunen, die die Gelder auch an die ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerber auszahlen, nicht immer deren genauen aufenthaltsrechtlichen Status dazu. Die Zahl der 23.617 ausreisepflichtigen Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dürfte tatsächlich also noch mal etwas höher sein, was die Differenz noch mal etwas kleiner werden lassen dürfte als 3057.

Oder in Kurzform und ohne die vielen Zahlen und Rechnungen: Die heutige Schlagzeile von “Bild” ist kompletter Unsinn, auf wenn die Kollegen von Larissa Krüger das Zahlenwirrwarr für eine “tolle Recherche” halten.

Krügers Geschichte hat bereits eine ordentliche Populisten- und Hetzerrunde gedreht. Bei Bild.de ist sie hinter der Bezahlschranke gestartet

Screenshot Bild.de - Der Abtauch-Skandal - 30000 abgelehnte Asylbewerber sind spurlos verschwunden

… von dort aus in Facebook-Gruppen wie dem “Viktor Orban Fanclub Deutschland” gelandet …

Screenshot Facebook des Postings in der Gruppe Viktor Orban Fanclub Deutschland

… und bei faktenfeindlichen Anheizern wie Claus Strunz …

Screenshot Facebook des Postings von Claus Strunz

… und David Berger:

Screenshot Facebook des Postings von David Berger

“Wir helfen”, haben “Bild” und Bild.de mal behauptet. Heute helfen sie vor allem rechten und noch rechteren Gruppen mit Vorlagen für deren Stimmungsmache.

*Nachtrag, 18:46 Uhr: Durch einen Rechenfehler unsererseits war in einer früheren Version von 4146 Personen die Rede. Tatsächlich ist die Differenz zwischen der “Bild”-Zahl und der Zahl, die die Statistiken wirklich hergeben, noch größer.

Nachtrag, 22:14 Uhr: Die Geschichte geht weiter: Bild.de behauptet nun, Kanzleramtschef Peter Altmaier bestätige den “Bild”-Bericht. Dabei sagt Altmaier nur, dass niemand wisse, wie viele abgelehnte Asylbewerber verschwunden sind.

Nachtrag, 4. November: Inzwischen sieht auch die “Bild”-Redaktion ein, dass es nicht 30.000 verschwundene abgelehnte Asylbewerber sind.

“The European” wärmt den “Sex-Mob-Alarm” auf

Peter Harzheim, der Präsident des “Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister” (BDS) hat in der “Rheinischen Post” neulich folgenden Vorschlag gemacht: Man könnte doch eine gewisse Zahl Geflüchteter zu Bademeistern ausbilden.

“Uns fehlen Fachkräfte. Darum wäre es fahrlässig, diese Ressourcen nicht zu nutzen”, betonte der BDS-Chef. Außerdem könnten zum Schwimmmeister ausgebildete Flüchtlinge dazu beitragen, dass es in den Bädern seltener zu interkulturellen Konflikten kommt.

Klingt nach einer Idee, die zumindest nichts schlimmer machen würde und vielleicht ein paar Probleme im Schwimm- und Freibadalltag lösen könnte. Sprachschwierigkeiten von ausländischen Badegästen zum Beispiel.

Joachim Nikolaus Steinhöfel, unter anderem Anwalt von Akif Pirinçci und Matthias Matussek, scheint kein Unterstützer von Harzheims Einfall zu sein. Er schreibt bei “The European”:

Full disclosure: Ich bin jetzt nicht mehr dazu gekommen, abschließend zu recherchieren, ab welcher Überdosis Chlorwasser mit nachhaltigen Schädigungen des Denkvermögen zu rechnen ist. Oder beim Springen vom Beckenrand, wenn das Wasser vorher abgelassen wurde.

Aber eigentlich geht es Steinhöfel auch gar nicht um die Sache mit den möglichen neuen Bademeistern. Er will viel lieber über ein anderes Thema sprechen. Das macht er schon im Teaser des Artikels klar, direkt unter der “Mohammad”-Überschrift:

Im Text führt er weiter aus:

Was gibt es bei diesen Temperaturen schöneres, als eine sachkundig ausgeführte Arschbombe in einem öffentlichen Schwimmbad. Sie muss ja nicht unbedingt vom sympathischen Peter Altmaier demonstriert werden, dem 16-Tonner unter den Bundespolitikern. Nur muss ich da gleich etwas Wasser in den Wein kippen. Denn die Meldungen über einem enormen Anstieg sexueller Übergriffe in Schwimmbädern häufen sich. Laut Auskunft der Kriminalpolizei insbesondere Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch von Kindern. Die Täter seien in erster Linie “Zuwanderer”, zitiert die “Bild” aus einem internen Polizeidokument.

Folgendes Problem: Es ist längst bekannt, dass der “Bild”-Artikel, auf den Steinhöfel sich bezieht, und der damit verbundene “Sex-Mob-Alarm” völliger Unsinn sind.

Dass Joachim Nikolaus Steinhöfel die “Bild”-Geschichte dennoch vor wenigen Tagen aufgreift, obwohl sie schon längst entkräftet ist, verdeutlicht das Folgeproblem an unsauberer Berichterstattung über Geflüchtete und Zuwanderer: Einmal veröffentlicht, werden die Artikel von Leuten herangezogen, die populistische Thesen in die Welt jagen wollen und die sich nicht sonderlich dafür interessieren, ob eine Meldung stimmt oder nicht, solange sie eine Quelle haben, die zur eigenen Position passt. Da kann man noch so viel richtigstellen.

Mit Dank an @Sancho_P für den Hinweis!

Nachtrag, 27. Juli: Joachim Nikolaus Steinhöfel hat sich zu diesem Beitrag geäußert und führt fünf Punkte an, warum doch alles in Ordnung ist mit seinem Text:

1. Fehler in der Berichterstattung unterlaufen jedem Medium. Sogar der „Süddeutschen“, „Neues Deutschland“ und der „Frankfurter Rundschau“. Ob man das „bildblog“ hier ausnehmen muss, kann ich nicht sagen, da ich ihn in der Regel nicht lese. Es genügt in jedem Falle journalistischen Standards auch der MSM, wenn man sich zum Beleg für eine Behauptung auf andere seriöse journalistische Quellen bezieht. Diese Arbeitsweise genügt auch den rechtlichen Anforderungen an Berichterstattung im Bereich des Persönlichkeits- und Presserechts. Wenn dieselbe Tatsache in der „Bild“ und im übrigen auch in der „Welt“ veröffentlicht wird, besteht kein Anlaß, sie ohne begründete Zweifel nochmals zu überprüfen. „bildblog“ gehört nicht zur notwendigen Lektüre eines Journalisten. Ob dort tatsächlich etwas entkräftet wurde, kann man durch Zufall erfahren. Eine Recherchepflicht auf gerade diesem Medium existiert nicht. Die erkennbare ideologische Schlagseite des Blogs macht es auch in der Regel verzichtbar.

2. Die Quellen hatten den Zweck, die Zunahme an Delikten, insb. Sexualdelikten durch „Flüchtlinge“, insb. in Schwimmbädern zu belegen. Hierbei ist der Tatort Schwimmbad nachrangig, da massenhafte Sexualdelikte durch „Flüchtlinge“, egal wo verübt, grundsätzlich kein Qualifikationskriterium für die Bademeisterschaft zu sein scheinen.

3. Wenn diese Masse an Sexualdelikten von „Flüchtlingen“ aber gegeben ist, ist es für die Zielrichtung des Artikel nachrangig, ob die Quelle stimmt. Stimmt die Behauptung trotzdem, wäre eine falsche Quelle unerfreulich, aber sekundär. Denn die aufgestellte Behauptung ist wahr.

4. Öffentlich zugänglichen Quellen wie Presseberichten und Angaben der Polizei sind mindestens 747 sexuelle Übergriffe, 107 (auch versuchte) Vergewaltigungen und 600, auch sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche durch „Flüchtlinge“ zu entnehmen.

5. Vor dem geschilderten Tatsachenhintergrund den von mir verfassten Artikel zu kritisieren, ist tatsächlich „unsaubere Berichterstattung“. Oder, um in der Terminologie des Autoren des „bildblog“ zu bleiben: Linke Hetze.

Joar.

Koalitionsvertrag, Rundfunkbeitrag, Pro Quote

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Taifun Haiyan – war da was?”
(weltreporter.net, Hilja Müller)
Hilja Müller mit einem Re­sü­mee zum Taifun Haiyan: “Eine Woche hieß es ‘Spot on’. Nun liegen die Taifungebiete wieder im tiefen Dunkel (buchstäblich, denn Strom soll es erst um Weihnachten wieder geben). Wie es dort weitergeht, ob die von der Regierung versprochenen neuen Behausungen gebaut werden, was mit den vielen Millionen Spenden passiert, wie die Menschen ihr Leben wieder in den Griff bekommen – wer will das wissen? Die Fallschirm-Journalisten jedenfalls nicht. Sie sitzen bereits wieder im Flieger zum nächsten Krisengebiet und lesen sich rasch an, worüber sie eigentlich berichten sollen.”

2. “Absichtserklärungen, die das Gesetzgebungsverfahren ersetzen”
(ad-sinistram.blogspot.de, Roberto De Lapuente)
“Was im Koalitionsvertrag steht, scheint für die Journalisten unserer kleinen postdemokratischen Republik schon so gut wie bewilligt und eingeführt zu sein”, wundert sich Roberto De Lapuente. Doch: “Diese Vereinbarung zwischen Koalitionspartnern meint, dass man versuchen wird, die Abgeordneten der Fraktionen auf den Regierungskurs zu lotsen. Der Koalitionsvertrag ist also nur die Absicht, die eigenen Parlamentarier in Versuchung zu führen.”

3. “Ich zahl’ nicht mehr!”
(fernsehkritik.tv)
Holger Kreymeier zahlt ab sofort keinen Rundfunkbeitrag mehr: “Es müssen viel härtere Maßnahmen her, die ARD und ZDF programmatisch die Fesseln anlegen. Es kann nicht sein, dass die Jagd nach Quoten inzwischen wichtiger ist als der Wille, den Bildungs- und Kulturauftrag zu erfüllen.”

4. “Die Sendungs-Bewussten”
(heutigentags.de, Dennis, 21. November)
Eine Auswertung der “großen Talkshows bei ARD und ZDF” vom 1. Januar bis zum 20. November 2013. Bisher acht Mal und öfters zu sehen waren Wolfgang Kubicki, Wolfgang Bosbach, Jürgen Trittin, Peter Altmaier, Renate Künast und Sahra Wagenknecht.

5. “TV-Asyl für ägyptischen Satiriker”
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Die Deutsche Welle verhandelt mit dem ägyptischen Satiriker Bassem Youssef “über eine Übernahme seiner Sendung ‘Al-Barnameg’ (‘Die Show’)”.

6. “Das Netz für die Chefinnen”
(taz.de, Annette Bruhns)
Annette Bruhns fasst die bisherigen Erfolge der Initiative Pro Quote zusammen: “Es geht nicht nur um Macht, sondern auch um Jobs und Geld. Es gleicht einem Wunder, wenn Frauen aufsteigen, während überall in den Medien Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Frauen müssen oft als Erste gehen. Ein Grund ist das fehlende Netzwerk: Ober-Buddys halten die Hand über gefährdete Unter-Buddys. ProQuote bietet statt internem Netzwerk ein externes.”

Hin und Beck (2)

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einer Online-Redaktion und bekommen eine Agenturmeldung auf den Tisch, die mit diesem Absatz beginnt:

Schon vor der ersten Sendung sorgt die Show für jede Menge Schlagzeilen: Jetzt hat Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) seine Teilnahme an Stefan Raabs neuer Polit-Talkshow überraschend abgesagt. Das sagte ein Sprecher des Ministers am Donnerstag “Handelsblatt Online”. Hintergrund sei die Begründung für die Ausladung des Grünen-Fraktionsgeschäftsführers Volker Beck aus der Sendung.

Jetzt müssen Sie nur noch ein Foto von Volker Beck raussuchen, einen eigenen Vorspann und eine Überschrift basteln und fertig ist die Laube.

Oder so ähnlich:

15:46 NACH AUSLADUNG VON KURT BECK: Altmaier sagt überraschend Teilnahme an Raabs Talkshow ab. Auf Wunsch des Umweltministers soll Kurt Beck bei Raab-Show ausgeladen worden sein. Altmaier dementiert - und sagt seine Teilnahme ab.

Das Foto zeigt eindeutig Peter Altmaier. Doch darunter prangt diese formvollendete Bildunterschrift:

Peter Altmaier widersprach den Vorwürfen, Kurt Beck sei auf seinen Wunsch hin wieder ausgeladen worden: "Die Behauptung ist schlicht falsch. Ich bin mit Volker Beck befreundet, war mit ihm in vielen Talkshows und werde das gerne auch wieder tun."

Aber Kurt Beck kennt das ja schon.

Nachtrag, 9. November: Bereits gestern Abend hat abendblatt.de Kurt in Volker Beck verwandelt.

Und das beinahe vollständig:

15:46 NACH AUSLADUNG VON KURT BECK

Ines Pohl, Regionalzeitung, Einschaltquote

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘taz’ entschuldigt sich für Altmaier-Outing – zu Unrecht!”
(queer.de, Micha Schulze)
Jan Feddersen spekuliert in einem Kommentar unter dem Titel “Pseudobarockes Geschwurbel” über die sexuelle Orientierung von Peter Altmaier. Daraufhin entschuldigt sich Ines Pohl, Chefredakteurin der “taz”, für den in der Montagsausgabe gedruckten Beitrag und lässt ihn von taz.de entfernen (“politisch wie moralisch ist die sexuelle Orientierung eines Menschen irrelevant. Sie ist Privatsache”). Micha Schulze sieht das anders: “Homo, hetero oder bi zu sein, ist kein Tabu und nichts, was man verheimlichen oder für das man sich schämen müsste. Darüber zu reden oder zu schreiben, ist weder eine Bedrohung noch eine Beleidung und schon gar keine ‘Hetzjagd’, wie selbst in der schwulen Blogosphäre zu lesen war. Mit dem bewussten Verschweigen unterstützt man stattdessen ein Klima, das es manchen Teenagern noch immer schwer macht, ihr Coming-out problemlos anzugehen.”

2. “Der ewige Junggeselle Peter Altmaier und die Selbstzensur der ‘taz'”
(stefan-niggemeier.de)
Auch Stefan Niggemeier findet es “legitim, darüber zu spekulieren”. “Peter Altmaier ist entweder jemand, der glaubt, dass seine Homosexualität etwas ist, dass er verschweigen muss. Oder er wird für schwul gehalten, obwohl er es gar nicht ist. Wenn er selbst nicht bereit ist, für Aufklärung zu sorgen, muss man wenigstens darüber diskutieren dürfen.”

3. “Programmier-Crashkurs für Journalisten”
(digitalerwandel.de)
“Dieser Beitrag erklärt erst die Grundlagen und die Grundausstattung der Web-Entwicklung und bietet dann einen Überblick über aktuelle Web-Techniken und Frameworks, die man als Journalist zumindest einmal gehört haben sollte.”

4. “Seinen Leser lieben – ein paar Gedanken zur Zukunft der Zeitung”
(ankommen.nordbayerischer-kurier.de, Joachim Braun)
Die Verlagserlöse im Printgeschäft seien “wieder auf dem Stand von Anfang der 1990er Jahre”, bemerkt Joachim Braun in einem Beitrag zur Zukunft der Regionalzeitung. “In einer Zukunft, in der jeder User Zugang hat zu allen Informationen, zählen nur noch: Qualität, Unabhängigkeit und Kundennähe.”

5. “Eine Währung veraltet”
(sueddeutsche.de, Simon Feldmer)
Durch die Veränderung der Nutzungsgewohnheiten sinkt die Bedeutung der klassischen Einschaltquote.

6. “Wissenschafts-PR ist auch nur PR”
(scilogs.de, Peter Zekert)
Peter Zekert bezweifelt die These von Florian Aigner, wonach Universitäten, die Forschungserfolge nach außen tragen, keine Werbung, sondern Information produzieren. “Am Ende handelt es sich auch hier um interessengeleitete Kommunikation (selbst wenn man der Meinung ist, die eigene Institution gehöre zu den ‘Guten’)”.

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