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Von Wagner und Werther

Seit Jahren warnen Experten davor, dass die Berichterstattung über Suizide gefährlich sein, und der sogenannte Werther-Effekt zu Nachahmungstaten und somit zu weiteren Suiziden führen kann. Es gibt reichlich Forschungsergebnisse zu dem Thema. Und dennoch missachten Redaktionen diese Erkenntnisse immer wieder.

Franz Josef Wagner macht es in “Bild” heute besonders schlimm. Sein Brief richtet sich an ein 11-jähriges Mädchen, das sich das Leben genommen hat. Es wurde in der Schule offenbar heftig gemobbt. Während die Überschrift erstmal nur pietätlos ist, und Wagner aus dem tragischen Fall das boulevardesk gekoppelte “Mobbing-Mädchen” kreiert …

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Liebes Mobbing-Mädchen, 11

… ist sein Brief gefährlich. Direkt zu Beginn schreibt er:

Du bist nun dort, wo es keine Schule gibt, keine Klassenkameraden/innen, die gemein sind, Dich ärgern. Du bist dort, wie ich hoffe, wo nur Engel sind.

Und am Ende:

Die Einsamkeit des 11-jährigen Mädchens rührt uns nach ihrem Tod. Sie hat die Welt des Bösen nicht ertragen. Lebe bei den Engeln glücklich!

Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

Der Suizid als scheinbarer Weg zum Glück und zu den Engeln; als vermeintliche Erlösung von der Qual, von der “Welt des Bösen”. Das ist exakt die Art der Berichterstattung, vor der die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” und die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention” warnen. Beide haben Leitfäden für Medien herausgegeben, in denen sie zeigen, wie Redaktionen über Suizide berichten sollten. Darin heißt es unter anderem:

In der Berichterstattung sollte alles vermieden werden, was zur Identifikation mit den Suizidenten führen kann, z.B. (…)

• den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen bzw. den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe “in den Suizid getrieben”. (“Für ihn gab es keinen Ausweg”).

• den Suizid romantisierend oder idealisierend darzustellen (“Im Tod mit seiner Liebsten vereint”).

… so die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention” (PDF). Die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” schreibt (PDF):

Nachahmung setzt Identifikation voraus. Diese Gefahr steigt, wenn: (…)

• der Suizid positiv bewertet, glorifiziert oder romantisiert wird

• der Suizid als nachvollziehbare Reaktion oder als einziger Ausweg bezeichnet wird

Die Nachahmungsgefahr sinke hingegen, wenn “der Suizid als Folge einer Erkrankung (z.B. Depression) dargestellt wird, die erfolgreich hätte behandelt werden können” und wenn “alternative Problemlösungen und Fälle von Krisenbewältigung aufgezeigt werden”.

Der gegenteilige Effekt entstehe, wenn eine Redaktion “einen Suizid auf der Titelseite oder als ‘TOP-News’ erscheinen” lasse und “die Begriffe Selbstmord, Suizid und Freitod in der Überschrift vorkommen”.

So sieht die “Bild”-Titelseite von heute aus:

Ausriss Bild-Titelseite - Mobbing bis zum Selbstmord - So erkennen Sie, ob Ihr Kind gefährdet ist

Bild  

Familien wehren sich gegen “Bild”

In Nürnberg sind am vergangenen Wochenende zwei Jugendliche von einer S-Bahn überfahren worden. Die beiden 16-Jährigen waren in einer Disco und warteten am Bahnsteig der Haltestelle Frankenstadion auf ihren Zug nach Hause. Sie wurden dann offenbar, das zeigen laut Polizei Überwachungsvideos, von anderen Jugendlichen auf die Gleise gestoßen. Eine einfahrende S-Bahn konnte nicht mehr rechtzeitig stoppen, die zwei Jugendlichen starben noch am Unfallort.

Die “Bild”-Zeitung berichtete am Dienstag über den Fall und zeigte auf ihrer Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - dazu zwei unverpixelte Fotos der verstorbenen Jugendlichen
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns.)

Im Innenteil waren diese Bilder noch einmal groß zu sehen.

Die Familien der Verstorbenen haben der “Bild”-Redaktion allerdings nicht erlaubt, die Fotos zu verwenden und die zwei Jugendlichen zu zeigen. Daher gehen sie nun gegen die Veröffentlichung vor, wie nordbayern.de berichtet. Und sie waren damit offenbar auch schon erfolgreich, denn die Titelseite im “Bild”-E-Paper sieht nun so aus:

Ausriss Bild-Titelseite - F (16) und L (16) von S-Bahn überrollt - zwei 17-Jährige in U-Haft - Nach Disco in den Tod gestoßen - ohne irgendwelche Fotos der verstorbenen Jugendlichen

Die Seite im Innenteil, auf der die Aufnahmen ebenfalls zu sehen waren, ist komplett aus dem E-Paper verschwunden. Genauso lief es neulich bei einem ganz ähnlichen Fall.

Dass sich die Familien wehren, ist aus unserer Sicht völlig richtig. Dass sie sich wehren müssen, ist schrecklich. Denn natürlich haben sie derzeit viele andere Sorgen, und dann kommt eben noch eine rücksichtslose “Bild”-Redaktion obendrauf, mit der man sich, neben der Trauer, rumschlagen muss.

Wir hatten bereits am Montagabend, als das E-Paper erschienen war, bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Familien der verstorbenen Jugendlichen der Redaktion erlaubt haben, die Fotos unverpixelt zu drucken, und wenn nicht: warum sie es dann dennoch macht. Trotz mehrerer Nachfragen und drei Tagen Zeit haben wir bis heute keine Antwort bekommen.

  • Ebenfalls nordbayern.de berichtet, dass die Menschen aus Heroldsberg, wo die Jugendlichen wohnten, entsetzt seien über das Verhalten der Medien vor Ort. Reporter hätten Jugendliche bis vor die Haustür verfolgt, Kamerateams hätten Trauernde beschimpft. Und einen “Bild”-Comic, der die Szene am Bahnsteig nachstellte, hätten Schülerinnen und Schülern als Lächerlichmachen der Opfer empfunden.

Mit Dank an @nonfixum, @KaiSteger, @maulwerfers, @Hockey365_ und @athloni für die Hinweise!

Seenotretter wehren sich gegen “Bild”

Vergangene Woche twitterte die Dresdner Seenotrettungsorganisation “Mission Lifeline”:

Screenshot eines Tweets von Seenotrettung - Ihr seid noch nicht verheiratet? Vielleicht verliebt Ihr Euch zufällig in einen Menschen, der*die hier noch kein Bleiberecht hat. Könnte passieren, oder? Bleibt offen!
Screenshot eines weiteren Tweets von Seenotrettung - und wenn Ihr glücklich seid, denkt auch an Menschen auf der Flucht! Es macht noch glücklicher, etwas Gutes zu tun

Oder in den Worten der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Mission Lifeline auf Twitter - Seenotretter werben für Ehen mit Flüchtlingen

Und:

Ausriss Bild-Zeitung - Die Wahrheit über Scheinehen in Deutschland

Nun bedarf es natürlich einer gewissen Interpretation, um in den Tweets einen handfesten “Aufruf zum Eingehen von Scheinehen” zu erkennen. Doch hat “Bild” hier nicht nur großzügig skandalisiert — sondern auch schlichtweg Falsches behauptet. So heißt es im Artikel:

Kapitän Claus-Peter Reisch (57) steht derzeit in Malta wegen des Vorwurfs der Schleuserei vor Gericht.

Das stimmt nicht. Vorgeworfen wird ihm nicht Schleuserei, sondern dass er sein Schiff fehlerhaft registriert habe.

Gegen die falsche Behauptung gehen die Seenotretter nun vor (es gebe auch andere falsche Darstellungen, sagte uns ihr Sprecher Axel Steier auf Anfrage, doch diese müssten sie hinnehmen, weil es Meinungsäußerungen seien). Sie fordern Unterlassung und eine Gegendarstellung — auch von der “Welt” und der “Kronen Zeitung”, die die falsche Tatsachenbehauptung (im TV beziehungsweise online) ebenfalls verbreitet hätten.

Den Vorwurf, hier werde zu Scheinehen aufgerufen, weist der Sprecher zurück. Gegenüber der Nachrichtenagentur epd betonte er, die Formulierung sei “im Grunde streng christlich” gemeint gewesen: “Wir finden die Institution der Ehe wirklich wichtig.” In Zukunft werde man aber “alles dreimal gegenlesen und noch eindeutiger formulieren”.

Mit Dank auch an @Shiba60203906 für den Hinweis.

Vom “Unwort des Jahres” zu einer Bedrohung für die Meinungsfreiheit

Seit 28 Jahren wird in Deutschland das “Unwort des Jahres” gewählt — sehr zum Gefallen der “Bild”-Zeitung, die seit vielen Jahren gerne darüber berichtet, oft sogar auf der Titelseite.

Ausriss Bild-Zeitung - Unwort des Jahres - Zum Unwort des Jahres 2009 hat eine Jury den Begriff betriebsratsverseucht gewählt. Ein Mitarbeiter einer Baumarkkette hatte das Wort im TV verwendet
(“Bild”, 2010, Titelseite)

Screenshot Bild.de - Gesellschaft für deutsche Sprache - Alternativlos ist das Unwort des Jahres 2010 - Es war Angela Merkels Kommentar zur Griechenland-Hilfe
(Bild.de, 2011)

Ausriss Bild-Zeitung - Döner-Morde ist das Unwort des Jahres
(“Bild”, 2012, Titelseite. Dass sie selbst zur Verbreitung des Begriffs beigetragen hatte, ließ die Redaktion natürlich lieber unerwähnt.)

Ausriss Bild-Zeitung - Schlecker-Frauen Unwort des Jahres?
(“Bild”, 2013, Titelseite)

Screenshot Bild.de - Aus über 1300 Einsendungen gewählt - Sozialtourismus ist Unwort des Jahres
(Bild.de, 2014)

Ausriss Bild-Zeitung - Lügenpresse ist Unwort des Jahres
(“Bild”, 2015, Titelseite)

Ausriss Bild am Sonntag - Jury sucht Unwort 2015
(“Bild am Sonntag”, 2016)

Ausriss Bild-Zeitung - Umvolkung und Rapefugee sind Favoriten - Endspurt für Unwort 2016
(“Bild Frankfurt”, 2017)

Ausriss Bild-Zeitung - Volksverräter Unwort des Jahres
(“Bild”, 2017, Titelseite)

Screenshot Bild.de - Jury aus Sprachwissenschaftlern hat entschieden - Alternative Fakten ist Unwort des Jahres 2017
(Bild.de, 2018)

Ausriss Bild-Zeitung - Unwort des Jahres 2017: Alternative Fakten
(“Bild”, 2018, Titelseite)

Auch über die jüngste Wahl zum “Unwort des Jahres 2018” hat “Bild” vor ein paar Tagen wieder berichtet. Diesmal aber mit einer, nun ja, leichten Änderung im Ton. Die Zeitung schreibt:

Ausriss Bild-Zeitung - Große Debatte um das Unwort des Jahres - Sprach-Polizei verordnet Deutschland Sagbarkeits-Regeln

Die Jury der sogenannten „Sprachkritischen Aktion“ aus Sprachwissenschaftlern hat die Formulierung „Anti-Abschiebe-Industrie“ von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (48) zum „Unwort des Jahres 2018“ gekürt – und löst damit kritisches Nachfragen aus.

Und zwar in erster Linie bei den Autoren des “Bild”-Artikels, Filipp Piatov und Ralf Schuler, die empört fragen: “Wer ist die Sprachpolizei überhaupt?” “Was hat die Sprach-Jury auszusetzen?” Und vor allem: “Wer soll das noch verstehen?”

“Niemand hat diese Jury legitimiert”, zitieren sie einen Sprachprofessor. Die Jury stehe “immer auf der sicheren Seite der politischen Korrektheit”. Diese ganze Sache sei “eine Farce”.

Man dürfe, so das bittere Fazit der “Bild”-Autoren, in diesem Land eben nicht mehr öffentlich sagen, was man möchte:

Nach der Kritik von Sport-Star Stefan Kretzschmar (45) diskutiert Deutschland, ob man eigentlich noch öffentlich sagen kann, was man möchte. Erkenntnis seit gestern: Ja, darf man. Es sei denn, es passt der Sprachpolizei nicht…

Über diese Kretzschmar-Sache hatte “Bild” schon in den Tagen davor groß berichtet:

Ausriss Bild-Titelseite - Darf man nicht mehr sagen, was man denkt? Die Debatte über Meinungsfreiheit geht weiter - was Prominente sagen

Die Antwort dürfte den “Bild”-Lesern spätestens seit dem “Unwort”-Artikel klar sein. Stichwort: Political Correctness! Stichwort: Sprachpolizei!

Jahrelang hielt die “Bild”-Zeitung die Wahl zum “Unwort des Jahres” für eine berichtenswerte Nachricht, sie widmete ihr prominente Plätze auf der Titelseite, machte regelrecht Werbung dafür: Diese Begriffe stehen zur Auswahl! So können Sie Vorschläge einreichen! Das sind die Gewinner!

… und auf einmal ist sie das Werk der “Sprachpolizei”, die mit ihrer “politischen Korrektheit” die Meinungsfreiheit in diesem Land einschränken will.

Ganz neu sind diese Argumente und Begrifflichkeiten freilich nicht. 2017 schrieb die AfD zum Unwort des Jahres, hier schwinge sich “eine Gesellschaft zur Sprachpolizei” auf. 2018 schrieb “Compact”: “Das Unwort des Jahres 2017 steht fest. Na, toll – und jetzt? Was soll dieser Zirkus eigentlich? Will uns die Sprachpolizei hier rhetorisch einnorden? Alles frei nach Orwell: ‘Wer die Sprache beherrscht, beherrscht das Denken?'” Und “Tichy’s Einblick” erklärte vor ein paar Tagen, die Wahl zum “Unwort” diene “Linksintellektuellen” lediglich dazu, “Andersdenkende lächerlich zu machen und zu diffamieren”. Überschrift: “Jährlich meldet sich die linke Sprachpolizei”.

Und “Bild” marschiert — mal wieder — munter mit.

Der Rytmus, Rhytmus und Rythmus, bei dem man mit muss

Ausriss Bild-Zeitung - Barbara Schöneberger - Mit Leuten, die Rhythmus nicht schreiben können, breche ich den Kontakt ab

… sagt Schöneberger im Gespräch mit “Bild”. Dann war das wohl ihr letztes Interview mit den “Bild”-Medien.

Wenn Luna (11) auf dem Parkett tanzt, merkt man: Sie hat Rytmus im Blut!

(Bild.de am 10. Januar 2019)

Brungs: “Ishak ist leider immer bisschen verletzt, deshalb findet er nur schwer seinen Rythmus, obwohl er ein guter Spieler ist.”

(Bild.de am 6. Dezember 2018)

Eröffnet werden die Einzel ab 12:05 Uhr im 12-Minuten-Rhytmus, wobei das finale Match von Tee 1 um 14:17 Uhr starten soll.

(Bild.de am 29. September 2018)

Saracchi: “(…) Dort wird im Vierjahres-Rythmus von Olympia zu Olympia gedacht.”

(Bild.de am 4. September 2018)

Noval Djokovic hat dagegen direkt einen guten Rhytmus und erspielt sich einen Breakball.

(Bild.de am 19. August 2018)

Für Slovan Bratislava ist es bereits das dritte Spiel in der Europa League Qualifikation. Ein bisschen europäischen Rythmus haben sie also schon in den Beinen.

(Bild.de am 9. August 2018)

Das bringt die Eisbären aus dem Rythmus — Ausgleich!

(Bild.de am 24. April 2018)

Pella setzt zum slice an und stört damit den Rhytmus vom Schweizer, der prompt nur mit dem Rahmen den Ball trifft und verzieht.

(Bild.de am 15. Juni 2018)

Comeback-Weltmeister Nigel de Jong bei Sky: “(…) Ich brauche jetzt den Rythmus, brauche Spiele.”

(Bild.de am 13. Januar 2018)

Das Angebot richtet sich speziell an Frauen, im 30-Minuten-Rythmus wird per Zirkeltraining der Körper in Schwung gebracht.

(Bild.de am 6. Oktober 2017)

Der ungarische Coach nimmt eine Auszeit, um den Rhytmus der deutschen Aufschlägerin zu unterbrechen.

(Bild.de am 24. September 2017)

Auf dem Kurs in Spa fand Vettel im Training nicht zu seinem Rhytmus.

(Bild.de am 25. August 2017)

Das Beste: Das Rekordschiff bleibt Hamburg treu und wird im 12-Wochen-Rhytmus immer wieder bei uns festmachen.

(Bild.de am 5. August 2017)

Darmstadts Verteidiger Fabian Holland (26) leidet unter dem Wolff-Parkinson-White-Syndrom, das kann zu Herz-Rhytmus-Störungen führen kann.

(Bild.de am 11. Mai 2017)

“Bild” wirft Nebelkerzen ins Diesel-Durcheinander

Wenn ein “Bild”-Artikel schon so anfängt, sollte man schnell in Deckung gehen:

Die Diesel-Debatte dröhnt durch Deutschland, ohne dass man wirklich weiß, was man nun glauben soll: Sich widersprechende Experten, Ärzte, Politiker — viel Meinung, aber oft wenig Wissen. BILD bringt Ordnung ins deutsche Diesel-Durcheinander. Hier 10 Fakten, die jeder zur Kenntnis nehmen sollte

Tom Drechsler, Chefredakteur Auto der “Bild”-Gruppe sowie Schutzpatron der Pendler, und Stefan Voswinkel, stellvertretender Chefredakteur Auto der “Bild”-Gruppe, haben “Mitrede-Fakten zum Diesel-Durcheinander” zusammengetragen:

Screenshot Bild.de - Feinstaub, Messstationen, Tempolimits - Zehn Mitrede-Fakten zum Diesel-Durcheinander

… die am vergangenen Freitag auch in der gedruckten “Bild” erschienen sind:

Ausriss Bild-Zeitung - Bild bringt Ordnung ins Diesel-Durcheinander

Wie wenig Interesse Drechsler und Voswinkel jedoch an tatsächlicher Aufklärung haben, zeigen sie zum Beispiel in ihrem “Fakt” Nummer 8:

8. Kalifornien hat die strengsten Umweltgesetze der Welt. Trotzdem gilt dort ein NOx-Grenzwert von 58 µg/m³ Luft als nicht gesundheitsgefährdend, bei uns sind es 40 µg. Hätten wir die US-Grenzwerte, gäbe es in keiner einzigen deutschen Stadt ein Dieselfahrverbot!

Wer jetzt glaubt, dass keine deutsche Stadt bei den Stickoxiden (NOx) über dem kalifornischen Grenzwert liegt, ist auf den Trick der beiden “Bild”-Redakteure reingefallen. Geschickt vermischen sie verschiedene Vorgaben und lassen ein wichtiges Detail weg: Der Grenzwert in Kalifornien und die “US-Grenzwerte” sind nämlich zwei sehr unterschiedliche Dinge. Während in Kalifornien (und in einigen US-Bundesstaaten, die sich angeschlossen haben) ein Grenzwert von 57 µg/m³ (und nicht, wie “Bild” schreibt, 58 µg/m³) gilt, liegt er im Rest der USA bei 100 µg/m³. Die Aussage “gäbe es in keiner einzigen deutschen Stadt ein Dieselfahrverbot!” bezieht sich also auf einen deutlich höheren Grenzwert und hat nichts mit den Vorschriften in Kalifornien zu tun. Im Gegenteil: Auch bei Anwendung des kalifornischen Grenzwertes würde es in Deutschland Fahrverbote geben (PDF).

Weiter zu “Fakt” 6, wo Drechsler und Voswinkel aus einer Korrelation eine Kausalität machen:

6. 2010 überschritt die Zahl der Autos auf der Erde erstmals die Milliardengrenze, bis 2020 werden es 1,3 Milliarden sein. Die Lebenserwartung der Menschen steigt aber jedes Jahr. Laut WHO in den letzten 50 Jahren um 20 Jahre. Deutschland gehört zu den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung: 80,8 Jahre.

Jeden Erwachsenen, der in einer Diskussion diese Nebelkerze als “Mitrede-Fakt” verkaufen wollte, würde man auslachen.

Oder “Fakt” 5, wo Tom Drechsler und Stefan Voswinkel als Argument gegen Elektroautos den Umstand anführen, dass diese — wie alle anderen Autos auch — Reifen haben, bremsen müssen und über Straßen fahren, auf denen Dreck liegt:

5. E-Autos sind nicht die Rettung. Sie fahren zwar emissionsfrei. Allerdings führen auch beim E-Auto Reifen- und Bremsabrieb zu Feinstaubbildung, außerdem der Dreck auf der Straße, den sie aufwirbeln.

Im vergangenen Jahr hat das Duo Drechsler/Voswinkel bereits ein “BILD-MANIFEST” mit Falschem und Verdrehtem aus der “Diesel-Hölle” veröffentlicht. Dass “viel Meinung, aber oft wenig Wissen” in der durch Deutschland dröhnenden Diesel-Debatte steckt, dürfte auch das Verdienst der zwei “Bild”-Auto-Chefs sein.

Wenn Nils nicht Nils hieße

Nils ist 31, Baumaschinist und laut “Bild” ein echter Glückspilz:

Nils Heinecke (31) lebt ein Leben, von dem viele Männer vielleicht insgeheim träumen: Er teilt Tisch und Bett mit zwei Frauen. Er liebt sie beide, die beiden lieben einander, und alle gemeinsam ziehen sie drei Kinder groß.

Ist doch super, wenn alle damit einverstanden sind. Seine Familie stellte Nils gestern bei Bild.de vor:

Screenshot Bild.de - Nils (31) stellt seine ungewöhnliche Familie vor - Ich lebe mit zwei Frauen - Und die lieben auch einander

Und auch in der Sachsen-Anhalt-Ausgabe der gedruckten “Bild” präsentierte er sein Glück:

Ausriss Bild-Zeitung - Nils (31) - Ich lebe mit zwei Frauen und drei Töchtern
(Unkenntlichmachung der Kinder durch uns.)

“Es ist die wohl außergewöhnlichste Dreiecksbeziehung Deutschlands!”, schreibt Autorin Doreen Beilke. Wir fragen uns ja, wie “Bild” wohl berichten würden, wenn Nils nicht Nils hieße, sondern beispielsweise Abdul, und nicht aus Halle käme, sondern beispielsweise aus Kandahar. Und wenn die Redaktion dann noch entdecken würde, dass die eine Freundin aktuell 19 Jahre alt ist, und “die wohl außergewöhnlichste Dreiecksbeziehung Deutschlands” vor “rund zwei Jahren” begonnen haben soll — na, da wär’ aber was los!

Gesehen bei @AnjaReschke1, mit Dank an @GeorgAlbrecht1 für den Hinweis!

“Bild” schenkt hochgefährliche Aufmerksamkeit

Bei Bild.de geht es heute mal wieder um “Internet-Klicks”, aber diesmal etwas anders:

Screenshot Bild.de - Wahnsinn-Aktionen - Für Internet-Klicks riskieren sie ihr Leben

“sie”, das sind die Roofer in Frankfurt am Main, also zumeist junge Leute, die auf hohe Gebäude oder Kräne in der Stadt klettern und sich dabei selbst filmen oder filmen lassen. “Hochgefährlich und illegal” sei das, mahnt “Bild”-Reporter Stefan Schlagenhaufer in seinem Text. Er zitiert Polizeisprecher Andrew McCormack:

“Dieses Verhalten ist nicht nachvollziehbar, nicht nachahmungswürdig, das ist lebensgefährlich. Wir haben Anzeigen wegen Hausfriedensbuch eingeleitet, wegen Einsatz der Drohnen wird ermittelt.”

Und zur Motivation der Roofer schreibt Schlagenhaufer:

Alles nur für Likes bei YouTube und Instagram.

Diese jungen Leute setzen also ihr Leben aufs Spiel, um Aufmerksamkeit für ihre Fotos und Videos zu bekommen. Und was macht Bild.de? Schenkt diesen jungen Leuten reichlich Aufmerksamkeit für ihre Fotos und Videos. Die Redaktion garniert ihren Artikel mit insgesamt zehn Aufnahmen der “Wolkenkraxler”. Als Aufmacher erstmal ein Bild, das einen jungen Mann “mit blanken Händen ohne Sicherung (…) am 240 Meter hohen Kran des Omniturms” zeigt. Dann noch zwei Bilder. Und dann noch …

Screenshot Bild.de - Weitere Fotos der Roofer

Viele davon sind Standbilder aus deren Youtube-Videos, die Bild.de mit so zurückhaltenden Bildunterschriften versehen hat wie:

Todesmutig springt einer der Roofer über den Vorsprung, der andere filmt es mit der Mega-Selfie-Stange

Oder:

Auf- bzw. Abstieg vom Ausleger des Krans — der Roofer sieht aus wie Spiderman

In der Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung ist der Text ebenfalls erschienen, mit etwas weniger Bildern, dafür aber riesengroß:

Ausriss Bild-Zeitung - Polizei jagt Wolken-Kraxler - Illegal am Abgrund
(Unkenntlichmachung durch uns.)

“Roofer (Dachspitzen-Kletterer) erobern Frankfurts Hochhäuser”, schreibt Stefan Schlagenhaufer dort. Gut, das hat “Bild” ziemlich genau vor vier Jahren schon einmal verkündet, aber warum nicht noch mal? Schließlich kann man dann so heiße Fotos zeigen.

Mit Dank an Michael I. für den Hinweis!

Wie “Bild” das Schicksal des zweijährigen Julen ausschlachtet

In Spanien ist ein kleiner Junge in einen rund 110 Meter tiefen Schacht gefallen. Seit neun Tagen läuft die Rettungsaktion für den zweijährigen Julen nun. Und fast genau so lang belagern Reporter nun den Ort Totalán, wo das Unglück passierte und wo die Rettungskräfte versuchen, einen Tunnel zu dem Jungen zu bohren.

“Bild” ist natürlich mit dabei, aber auch andere Knallportale berichten fleißig, Stern.de zum Beispiel, “Focus Online”, RTL.de und so weiter.

Heute meldete Bild.de:

Screenshot Bild.de - Mediziner über das Bohrloch-Unglück - Es ist nur theoretisch möglich, dass Julen lebt

… was nicht besonders überraschen dürfte, angesichts der Tatsache, dass ein Zweijähriger erst einen sehr tiefen Brunnenschacht hinunterstürzt und anschließend viele Tage ohne Essen und Trinken verbringen muss. Aber wie hätte man ohne Hoffnung dem gierigen Klickvolk die vielen Akte dieses Dramas verkaufen sollen?

Screenshot Bild.de - Rettung sehr gefährlich - Junge (2) stürzt 110 Meter tief in Brunnen
Screenshot Bild.de - Junge in 110 Meter tiefen Brunnenschacht gestürzt - 2017 starb sein Brüderchen - Das Schicksal schlug schon einmal zu
Ausriss Bild-Zeitung - Junge (2) stürzt in 110 Meter tiefen Schacht
Screenshot Bild.de - Junge in 100-Meter-Schacht gestürzt - Gibt es noch Hoffnung für den kleinen Julen?
Screenshot Bild.de - Julen stürzte in 110-Meter-Loch - Das furchtbare Warten auf ein Wunder
Screenshot Bild.de - Ganz Spanien bangt um Jungen im Schacht - Bagger und Bohrer sollen Julen retten
Ausriss Bild-Zeitung - Das furchtbare Warten auf ein Wunder
Screenshot Bild.de - Junge stürzte in 110 Meter tiefes Brunnenloch - Julen und das Prinzip Hoffnung
Ausriss Bild-Zeitung - Kinder beten für Jungen im Schacht
Screenshot Bild.de - Beklemmende Kamerafahrt in das Brunnenloch - Hier stürzte der kleine Julen hinein
Screenshot Bild.de - Wie die Helfer zu dem Jungen im Brunnenloch vordringen wollen - Neuer Rettungsversucht für den kleinen Julen
Ausriss Bild-Zeitung - Vor der Haustür steht noch Julens Dreirad
Screenshot Bild.de - Kleiner Julen seit Sonntag verschüttet - Vor der Haustür steht noch das Dreirad
Screenshot Bild.de - Seit Sonntag im Schacht gefangen - So wollen sie den kleinen Julen retten
Screenshot Bild.de - Kleiner Julen im Brunnenschacht - Nur noch wenige Stunden, bis es regnen soll
Screenshot Bild.de - Junge stürzt in 110 Meter tiefes Loch - Dieser Bohrer ist Julens letzte Hoffnung
Ausriss Bild am Sonntag - Retter bohren endlich Schacht zu kleinem Julen
Screenshot Bild.de - Retter kämpfen um Julen in Schacht - Bohrer schafft drei Meter pro Stunde
Screenshot Bild.de - Kleiner Junge stürzte vor einer Woche in 100 Meter tiefen Bohrschacht - Retter müssen sich per Hand zu Julen durchgraben
Screenshot Bild.de - Kleiner Julen fiel vor einer Woche in Bohrschacht - Retter stoßen auf fünf Meter Granit
Screenshot Bild.de - Julen fiel vor acht Tagen in Bohrschacht - Jetzt beginnt die kritische Phase
Ausriss Bild-Zeitung - Julen soll mit Käfig geborgen werden
Screenshot Bild.de - Julens Eltern am Unglücksort in Totalan - Acht Tage Albtraum
Screenshot Bild.de - Kind im Brunnenschacht - Heute wollen sie Julen finden
Screenshot Bild.de - Vor mehr als einer Woche fiel der Junge in einen Bohrschacht - Retter wollen heute Mittag zu Julen vordringen
Screenshot Bild.de - Bild sprach mit dem Feuerwehr-Chef der Rettungsmission am Bohrloch - Ich gehe erst wieder heim, wenn wir Julen haben
Screenshot Bild.de - Julen fiel vor neun Tagen in ein Bohrloch - Wiederholt sich das Schicksal des kleinen Alfredo?
Screenshot Bild.de - Schon wieder Verzögerung bei Drama um Julen - Parallel-Schacht einsturzgefährdet

Gnadenlos und ohne Rücksicht auf irgendwas oder irgendwen schlachten sie das Schicksal eines Zweijährigen aus.

Im Mai 2017, nach dem Terroranschlag in Manchester, verteidigte Ombudsmann Ernst Elitz die Berichterstattung der “Bild”-Redaktion, die Fotos von verstorbenen Kindern und Jugendlichen gezeigt hatte, so:

Viele Mitarbeiter haben Kinder im Alter der Ermordeten. Und so wurde die Auswahl der Fotos eben nicht nur von Journalisten getroffen, sondern von Müttern und Vätern, die sich fragten: Würde ich mein Kind so zeigen, wenn meine eigene Familie von diesem Grauen betroffen wäre? (…)

Die Auswahl eines jeden Fotos war eine Gewissensentscheidung. Ich finde, das Gewissen der Mütter und Väter in der Redaktion hat bei der Auswahl der Fotos aus Manchester richtig entschieden.

Auch vor diesem Hintergrund kann man den Beitrag des “Postillon” von heute sehen: “Bild-Chef Reichelt: ‘Wenn mein 2-jähriges Kind in ein 100-Meter-Loch fällt und wahrscheinlich tot ist, hätte ich auch gern, dass die gesamte Welt live daran teilnimmt’.”

Mit Dank an Sebastian E. und Olaf für die Hinweise!

Mit Spatzen auf Polizisten schießen

Es könnte sein, dass bald fallschirmspringende Hasen, Schildkröten mit Gewehren und Hunde mit Kanonen die Polizei am oder im Hambacher Forst angreifen. Möglich, dass dann auch die Ameisen mit ihren Grubenhelmen dabei sind und für Bürgerrechte demonstrieren, und die Fledermäuse auf ihren Schildern einmal mehr klarmachen, dass nichts zu verkaufen ist. “Bild” und “Bild”-Redakteur Peter Poensgen sind jedenfalls einer ganz heißen Sache auf der Spur:

Ausriss Bild-Zeitung - Bildunterschrift - Eine Gruppe aus der Waldbesetzer-Szene studiert eine Art Schlachtplan gegen die Polizei

Das Foto und die Bildunterschrift stammen aus einem Beitrag, der am vergangenen Freitag in der Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschienen ist. Und auch Bild.de zeigt die Aufnahme, mit einer leicht anderen Zeile darunter:

Screenshot Bild.de - Bildunterschrift - Gewaltschauplatz Hambacher Forst: Anhand einer riesigen Karte werden Strategien gegen die Polizei geplant

Überschrift in der Onlineversion: “Die ‘Gewalt-Uni’ der Hambach-Aktivisten” (die bereits im ersten Satz des Artikels nur noch “fast wie eine Uni für Gewalt und Krawall” sei). Gemeint sind die Skill-Sharing-Camps, in denen Aktivisten anderen Aktivisten auch Fähigkeiten vermitteln, die für zivilen Ungehorsam nützlich sein können.

In einem dieser Camps steht also ein Mann an einem großen Plakat und soll mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern “Strategien gegen die Polizei” planen. Doch dazu taugt die “riesige Karte” überhaupt nicht. Es handelt sich dabei nämlich um einen Druck des Wimmelbilds “The True Cost of Coal”, gezeichnet vom Beehive Design Collective. Dieses Netzwerk aus Künstlerinnen und Künstlern stellt Aktivisten große Illustrationen für deren Arbeit etwa in Skill-Sharing-Camps zur Verfügung. Auf dem Exemplar, das “Bild” und Bild.de zeigen, sind der fallschirmspringende Hase, die Schildkröte mit dem Gewehr, der Hund mit der Kanone, die Ameise mit dem Grubenhelm, die Fledermaus mit dem Protestschild und viele weitere Tiere zu sehen, deren Lebensraum vom Kohlebergbau, von Baggern und Planierraupen zerstört wird.

Das ist der “Gewaltschauplatz Hambacher Forst”, den “Bild” ausruft.

Mit Dank an @SoliFur für den Hinweis!

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