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“Bild” erwischt Cathy Hummels schon wieder auf Dating-App

Entweder haben Tanja May, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, und Cathy Hummels, Influencerin und Unternehmerin, beide ein sehr schlechtes Gedächtnis. Oder sie halten die “Bild”-Leserinnen und -Leser für so bescheuert, dass sie kein Problem damit haben, sie ganz offensichtlich zu verarschen.

Vergangenen Mittwoch berichtete May über Hummels bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Cathy Hummels auf Promi-Tinder erwischt! So lief ihr erstes Date - Wer Chancen bei ihr hat - Es handelt sich dabei laut Symbol um einen Bild-plus-Artikel

Einen Tag später schaffte es diese Entdeckung sogar auf die “Bild”-Titelseite …

Ausriss Bild-Titelseite - Cathy Hummels auf Promi-Tinder erwischt - TV-Moderatorin Cathy Hummels (35) sucht im Internet nach einer neuen Liebe

… und groß ins Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - Cathy Hummels bei Promi-Tinder erwischt! Ich habe schon ein paar Männern geschrieben

Was sagt denn Cathy Hummels dazu?

Im exklusiven BILD-Interview gibt die schöne Single-Mama zu, dass sie sich jetzt bei “Raya” tummelt: “Erwischt! Ja, das stimmt. Modernes Dating? Bin ich auch dabei.”

Dass die eine berichtet, jemanden “erwischt” zu haben, und die Erwischte sich “erwischt” fühlt, ist etwas überraschend. Denn vor mehr als acht Monaten, im Dezember 2022, berichtete Bild.de schon einmal über Cathy Hummels und die Dating-App Raya:

“Ich habe die Dating-App Raya ausprobiert”, verrät die Mama eines kleinen Sohnes (Ludwig, 4) jetzt gegenüber BILD.

Die Autorin des Artikels damals: Tanja May.

Es ist schon eine tolle Symbiose: Auf der einen Seite Prominente, die trotz der eigenen Reichweite in den Sozialen Medien offenbar immer noch das Boulevardscheinwerferlicht brauchen. Und auf der anderen eine Klatschredaktion, die mit derartigen Nichtigkeiten Online-Abos und gedruckte Exemplare verkaufen kann – zur Not sogar als aufgewärmtes “Erwischt!”-Märchen.

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Kein Spitzen(steuersatz)-Journalismus

Bei der Ursachenforschung zur Frage, warum namhafte Politiker und Politikerinnen so gern den “Bild”-Medien Interviews geben, wird meist die Reichweite als zentraler Aspekt identifiziert: Mit “Klartext”-Parolen in “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de kann man nach wie vor eine Menge Leute erreichen. Aber vielleicht spielt noch etwas anderes eine wichtige Rolle: Dass man beim Interview Leuten gegenübersitzt, die einen jeden Unsinn ohne Faktencheck erzählen lassen.

In “Bild am Sonntag” erschien gestern ein großes Interview mit CDU-Politiker Jens Spahn:

Ausriss Bild am Sonntag - Spahn fordert Pause bei völlig ungesteuerter Asyl-Migration

Spahn erklärt darin unter anderem seine Idee von einer im Grundgesetz verankerten “Belastungsbremse” für die Sozialabgaben. “Bild am Sonntag” will daraufhin wissen: “Braucht es darüber hinaus auch eine Steuerreform?” Antwort Spahn:

Leistung muss sich wieder mehr lohnen. Überstunden sollten steuerfrei sein. Zudem zahlt ein Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz. Der sollte künftig erst ab 80.000 Euro greifen.

Da könnte man als Redaktion natürlich erstmal nachfragen, nachforschen und die Info nachliefern, wie viele “Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt” es in Deutschland denn so gibt. Sicher, in der richtigen Branche und/oder mit vielen Jahren Berufserfahrung gibt es die bestimmt. Aber Jens Spahn kann beim nächsten Besuch in der Kita oder im Seniorenheim oder in der Kantine des Bundestags ja mal eine Erzieherin, einen Pfleger oder eine Köchin fragen, was die so mit ihren 62.000 Euro Jahresgehalt anstellen. Wenn er Glück hat, wird er von den Fachkräften nur ausgelacht und nicht wütend rausgejagt.

Das aber nur nebenbei. Eigentlich soll es um Spahns Behauptung gehen, dass man “mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz” zahle. Das ist nämlich Unsinn. Und die “Bild”-Medien verbreiten diesen Unsinn unhinterfragt.

Richtig ist, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent für das Jahr 2023 ab 62.810 Euro gilt (2022 lag diese Grenze bei 58.597 Euro). Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem von Spahn genannten Jahresgehalt und dem zu versteuernden Einkommen. Letzteres ist für die Berechnung des Steuersatzes entscheidend. Und auf dem Weg vom Jahresgehalt zum zu versteuernden Einkommen gibt es verschiedene, individuelle Möglichkeiten, Ausgaben geltend zu machen und damit die Summe zu reduzieren: Den wichtigste Posten dürften die Sozialversicherungsbeiträge bilden, beispielsweise die Beiträge zur Krankenversicherung. Dazu kommen noch weitere Vorsorgeaufwendungen, die die Summe drücken können, Freibeträge wie der Kinderfreibetrag oder der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, außergewöhnliche Belastungen wie Krankheitskosten oder Pflegekosten für die eigenen Eltern und Sonderausgaben wie Spenden oder Kinder­betreuungs­kosten.

Nur wer nach all diesen Abzügen ein zu versteuerndes Einkommen von über 62.810 Euro hat, zahlt 2023 den Spitzensteuersatz (aber natürlich nicht auf die gesamte Summe, sondern nur auf den Betrag, der über dieser Grenze liegt; der Durchschnittssteuersatz liegt deutlich darunter: bei einem zu versteuernden Einkommen von exakt 62.810 Euro beträgt er laut Rechner des Bundesfinanzministeriums 26,12 Prozent). Oder anders gesagt: Wer “62.000 Euro Jahresgehalt” bekommt, zahlt nicht den Spitzensteuersatz.

Die Leserschaft von “Bild am Sonntag” und Bild.de erfährt von all dem nichts. Wer sich selbst mit dem Thema nicht so auskennt, wird einfach glauben, was der CDU-Politiker da erzählt.

Jens Spahn war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter anderem zuständig für das Thema Wirtschaft. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass er den Unterschied zwischen Jahresgehalt und zu versteuerndem Einkommen nicht kennt. In den “Bild”-Medien kann Jens Spahn unwidersprochen seine falsche Botschaft verbreiten.

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Abos verkaufen mit dem Tod zweier Menschen

Bei einem Unfall auf dem Nürburgring sind vergangene Woche zwei Testfahrer eines Reifenherstellers ums Leben gekommen. Die “Bild”-Redaktion versuchte daraufhin, mit Details des tödlichen Unfalls ein paar “Bild-plus”-Abos zu verkaufen. Auf der Bild.de-Startseite lockte sie die potenzielle Käuferschaft mit diesem Teaser:

Screenshot Bild.de - Zwei Tote auf dem Nürburgring - Unfall-Fahrer (39, 44) starben bei Testfahrt - Um welches Bauteil es ging - Mit welchem Auto sie verunglückten - dazu ist ein Bild-plus-Symbol zu sehen

Im Artikel steht vor der Paywall:

Zwei Testfahrer starben bei Erprobungsfahrten auf dem Nürburgring.

Für wen die Männer auf der bekanntesten Rennstrecke der Welt unterwegs waren, was für ein Auto sie fuhren, lesen Sie mit BILDplus.

Dass die “Bild”-Medien Todesfälle und schwere Unfälle zum Ankurbeln des eigenen Abo-Geschäfts nutzen, ist nun wahrlich nicht überraschend, aber doch immer wieder abstoßend.

Die “eine Zeitung” feuert weiter

In der heute erschienenen Ausgabe der “Zeit” gibt es ein großes Interview mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (online nur mit Abo lesbar). “Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo fragt den Grünen-Politiker unter anderem:

Sie sind über Monate fast täglich angegriffen worden. Auch durch eine Zeitung, die selten “Heizungsgesetz” geschrieben hat, sondern stark personalisiert: “Habecks Heiz-Hammer”. Hat so ein Dauerfeuer Auswirkungen auf Ihr Leben?

Habecks Antwort:

Ja, aber anders, als man vermuten würde. Das, was ich im Moment mache, ist das Beste, was ich in meinem bisherigen politischen Leben gemacht habe. Es bedeutet mir richtig viel, und ich bin stolz darauf. Ich habe immer viel gearbeitet, aber noch nie so viel wie in den letzten zwei Jahren. Ich weiß, wofür ich das tue. Es gibt null Hadern, null Zaudern, null Bedauern, gar nichts. Ich bin ganz verschmolzen mit der Aufgabe, die ich im Moment habe.

Robert Habecks Antwort, es gebe “null Bedauern, gar nichts”, bezieht sich ganz offensichtlich auf die Auswirkungen seines Berufs und der damit verbundenen (medialen) Angriffe, denen er ausgesetzt ist, auf sein Leben. Habeck spricht über seine persönliche Situation.

Und was macht die Redaktion dieser “einen Zeitung” daraus? Bei Bild.de auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Trotz Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte - Habeck hat null Bedauern, gar nichts

“Bild” reißt Robert Habecks Aussage aus dem persönlich gemeinten Kontext und verknüpft das fehlende Bedauern neu mit “Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte”. Die Redaktion hinter dem von Giovanni di Lorenzo so beschriebenen “Dauerfeuer” feuert weiter.

Bei Twitter teasert “Bild” den eigenen Artikel wortgleich an. Das funktioniert. Die Followerschaft drischt in den Kommentar wütend auf den angesichts von “Wirtschaftskrise und Heiz-Debatte” so arrogant und ignorant wirkenden Habeck ein.

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Immer noch gesucht: Fotograf für korrektes Bild

In der gedruckten “Bild” von heute gibt es ein Suchspiel. Die Redaktion hat eine Korrektur versteckt:

Ausriss Bild-Zeitung - Übersicht über die Seite 2 der heutigen Bild-Ausgabe

Nicht gefunden? Da unten, zwischen “Faesers Anti-Clan-Plan” und Scholz’ Provence-Urlaub:

Ausriss Bild-Zeitung - 150000 Euro für Fotograf - Das Umweltministerium von Steffi Lemke (55, Grüne) sucht einen Fotografen. Auftragswert: 150000 Euro. BILD berichtete, dass die Kosten bei einer Verlängerung auf 300000 Euro steigen könnten. Richtig ist: In der Rahmen-Vereinbarung ist das maximale Auftragsvolumen auch bei einer Verlängerung auf 150000 Euro festgesetzt.

Gut, die Redaktion hat das jetzt lieber nicht “Korrektur” genannt oder sonst ein Wort gewählt, das darauf hindeuten könnte, dass in ihrer Berichterstattung irgendwas richtig schiefgelaufen ist. Und auch bei Bild.de nennen sie es lieber “Transparenzhinweis”:

Transparenzhinweis: In der ersten Fassung des Artikels hieß es, dass die Kosten bei einer zweimaligen Verlängerung noch höher ausfallen könnten. In der Rahmenvereinbarung ist festgestellt, dass das maximale Auftragsvolumen auch im Falle einer Verlängerung auf 150 000 Euro festgesetzt ist.

Damit ist immerhin ein Aspekt korrigiert. All die anderen Einseitigkeiten und Auslassungen, über die wir vergangene Woche berichtet haben, thematisiert die “Bild”-Redaktion hingegen nicht. Keine Erklärung, was “maximales Auftragsvolumen” genau bedeutet (dass nämlich nur einzelne Einsätze über Stunden- oder Tagessätze bezahlt werden – es sich also nicht um ein Festgehalt handelt -, und dieses “maximale Auftragsvolumen” von 150.000 Euro überhaupt nicht ausgeschöpft werden muss). Keine genauere Beschreibung, wer alles fotografiert werden soll (nämlich nicht nur Bundesumweltministerin Steffi Lemke, sondern auch die Staatssekretäre und die Parlamentarischen Staatssekretäre des Ministeriums). Und kein Wort in der Korrektur dazu, auf wie viele Jahre sich diese maximale Summe von 150.000 Euro verteilt (nämlich auf maximal vier).

Auch in einem Tweet, den die “Bild”-Redaktion heute ungewöhnlicherweise ebenfalls veröffentlicht hat, fehlen diese Details und Differenzierungen. Praktisch: So können sich all die Halbinformierten (die zugegebenermaßen vielleicht auch gar nicht besser und differenzierter informiert sein wollen) in den Kommentaren unter dem Tweet noch einmal über die Politikerinnen und Politiker ohne “jedes Maß an Anstand” aufregen.

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Gesucht: Fotograf für korrektes Bild

Man muss den Artikel von “Bild”-Autor Dirk Hoeren über Bundesumweltministerin Steffi Lemke einmal komplett lesen, um zu verstehen, wie tendenziös und einseitig und falsch er ist. Am vergangenen Samstag schrieb Hoeren in der “Bild”-Bundesausgabe:

Plant Umweltministerin Steffi Lemke (55) eine Zweit-Karriere – als Fotomodell?

In einer Ausschreibung sucht ihr Ministerium gerade einen Fotografen. Er soll die Grüne auf offiziellen Terminen begleiten – und sie zusätzlich im Rahmen von Porträt-Shootings in Szene setzen.

“Ein oder zweimal jährlich kann ein großes Porträtshooting beauftragt werden”, heißt es in der Ausschreibung. Darin solle die Ministerin “in einem aufwändigeren Aufnahmeprozess fotografisch stärker inszeniert werden”. Die Fotos sollen “in mindestens drei verschiedenen Umgebungen, unterschiedlichen Lichtverhältnissen, mit wechselnder Bekleidung” geschossen werden. “Eine Visagistin/Ein Visagist ist einzuplanen.”

Dauer der Shootings: “vier bis sechs Stunden”.

Den Auftragswert schätzt das Grünen-Ministerium auf 150 000 Euro. Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf 300 000 Euro summieren.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel (47), sieht den Aufwand kritisch.

“Es ist den Steuerzahlern kaum zu vermitteln, dass sie auch für Visagisten und Hairstylisten von Politikern aufkommen sollen”, sagt Holznagel zu BILD. Im Zweifel müsse dafür “privat bezahlt werden”.

Überschrift:

Ausriss Bild-Zeitung - Umweltministerin sucht einen Fotografen für 150000 Euro!

Fangen wir beim Geld an.

Was die “Bild”-Leserschaft an keiner Stelle erfährt und nach dem Lesen des Artikels auch nicht ahnen kann: Die 150.000 Euro sind kein festgelegtes Honorar, das auf jeden Fall gezahlt wird, egal wieviel der Fotograf oder die Fotografin arbeitet. Es handelt sich stattdessen um das maximale Auftragsvolumen für den vertraglich festgelegten Zeitraum (dazu gleich noch mehr). So steht es auch in der “Rahmenvereinbarung”, die das Ministerium zur Ausschreibung veröffentlicht hat. Wir haben beim Ministerium nachgefragt, wie die letztendliche Höhe des Honorars zustande kommt. Die Antwort:

Die Vergütung erfolgt pro tatsächlichem Einsatz in Abhängigkeit vom Zeitbedarf nach gestuften Stundensätzen bzw. einem Tagessatz.

Was da so pro Jahr zusammenkommt? Auch darauf haben wir eine Antwort bekommen:

Die Brutto-Ausgaben im Jahr 2022 beliefen sich auf rund 9.700 €. Im laufenden Jahr betragen die bisherigen Ausgaben gut 8.800 €.

Also: bezahlt wird pro Einsatz. Und mit den Summen, die in der jüngsten Vergangenheit vom Ministerium pro Jahr ausgegeben wurden, käme man nicht ansatzweise an das maximale Auftragsvolumen von 150.000 Euro ran.

Sowieso wirft Dirk Hoeren im “Bild”-Artikel die Summen völlig durcheinander. Wenn er schreibt: “Den Auftragswert schätzt das Grünen-Ministerium auf 150 000 Euro. Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf 300 000 Euro summieren”, ist das schlicht falsch. Erstens weil eben nicht pauschal, sondern pro Auftrag bezahlt wird, siehe oben. Und zweitens: Aus der bereits erwähnten “Rahmenvereinbarung” wird klar, dass sich der Maximalwert von 150.000 Euro auf den Zweijahresvertrag und die zweimalige Verlängerung um jeweils ein Jahr bezieht:

Das maximale Auftragsvolumen (Höchstwert) beträgt über die Gesamtlaufzeit des Vertrags (inkl. Verlängerungsoptionen) 150.000 € netto.

Es geht also um 150.000 Euro für vier Jahre, rechnerisch 37.500 Euro pro Jahr. Und wie gesagt: Zuletzt wurde diese Summe bei weitem nicht erreicht. Die Verdopplung der Kosten auf 300.000 Euro bei einer möglichen Vertragsverlängerung, die Dirk Hoeren bei “Bild” ins Spiel bringt, hat er sich ausgedacht.

Bei Bild.de steht inzwischen:

Bei zweimaliger Verlängerung um je ein Jahr würden sich die geschätzten Kosten sogar auf das Vielfache summieren.

Das ist aber genauso falsch. Noch einmal: Es bleiben auch bei einer Verlängerung maximal 150.000 Euro.

Was die beauftragte Person für das Honorar leisten soll, wird im “Bild”-Artikel stark einseitig beschrieben. In dem Text geht es fast ausschließlich um “‘ein großes Porträtshooting'” für Steffi Lemke. Nur an einer Stelle wird auch erwähnt, dass der Fotograf oder die Fotografin “die Grüne auf offiziellen Terminen begleiten” soll. Schaut man in die “Leistungsbeschreibung” der Ausschreibung, wird klar: Es geht hauptsächlich (“Grundlegende Anforderungen”) um Terminbegleitung und nur zusätzlich (“Optionale Leistungen”) um Porträtaufnahmen. Bei “Bild” wird dieses Verhältnis komplett umgedreht.

Und nicht nur bei der Frage, was und wie fotografiert werden soll, lässt Dirk Hoeren großzügig die Aspekte weg, die nicht in seine Erzählung passen, sondern auch bei der Frage, wer alles fotografiert werden soll. In der “Leistungsbeschreibung” ist von der “Hausleitung” des Ministeriums die Rede, die bei Terminen begleitet werden soll. Und die umfasst neben Steffi Lemke auch die Staatssekretäre und die Parlamentarischen Staatssekretäre. Bei “Bild” liest es sich hingegen so, als würde das ganze, viele Geld nur für die Bundesministerin draufgehen.

Dieser ganze “Bild”-Spin fand noch weitere Verbreitung, weil andere Redaktionen ihn dankbar abgeschrieben haben: die “Epoch Times” zum Beispiel, “De24Live” oder das Krawallportal “Nius” um den geschassten “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt. Manche Redaktionen haben ihn aber auch noch irrer weitergedreht. Die “Weltwoche” etwa titelt: “‘Für vier bis sechs Stunden’: Grüne Umweltministerin sucht einen Fotografen für 150.000 Euro”, und “Focus Online” schreibt von “150.000-Euro-Portaitshootings”.

Man kann es natürlich völlig daneben finden und darüber diskutieren, dass Bundesministerien Steuergelder für Fotoaufträge ausgeben. Aber dann sollte man in der Diskussion wenigsten fair sein und sich an die Fakten halten.

Nachtrag, 8. August: Die “Bild”-Redaktion hat eine Art Teil-Korrektur veröffentlicht.

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“Bild” verlegt Vergewaltigungen in den Görlitzer Park

Im Görlitzer Park in Berlin soll es eine Gruppenvergewaltigung gegeben haben. Die Ermittlungen dazu laufen, die Polizei hat bisher zwei Verdächtige festgenommen. Die mutmaßliche Tat soll sich bereits im Juni dieses Jahres ereignet haben, öffentlich bekannt wurde sie erst vergangene Woche. Die “Bild”-Redaktion erklärte den Görlitzer Park jedenfalls vor wenigen Tagen zu:

Screenshot Bild.de - Allein dieses Jahr acht Vergewaltigungen! Deutschlands Park der Angst

Dass die Dachzeile “ALLEIN DIESES JAHR ACHT VERGEWALTIGUNGEN!” so nicht stimmt, wird bereits beim Lesen des ersten Absatzes desselben Artikels klar:

Er ist Berlins Horror-Park: Allein acht Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe gab es von Januar bis Ende Juni im Görlitzer Park.

Also: bisher “acht Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe” im Görlitzer Park im Jahr 2023 laut “Bild”. Diese Zahl taucht in aktuellen Berichten der Redaktion immer wieder auf:

Allein von Januar bis Ende Juni gab es im Görlitzer Park acht schwere Taten unter dem Stichwort “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff”

Laut einer aktuellen Polizeistatistik gab es von Januar bis Ende Juni im Görlitzer Park acht schwere Taten unter dem Stichwort “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff”.

Doch auch das ist falsch.

Die Polizeistatistik, die die “Bild”-Redaktion erwähnt, findet man in einer Antwort der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport (PDF) auf eine Anfrage der Linken-Politiker Niklas Schrader und Ferat Koçak. Darin geht es um “Neue Entwicklungen am sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort ‘Görlitzer Park/Wrangelkiez'”. Tatsächlich findet man in der Statistik die acht Fälle von “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff”, die sich von Januar bis einschließlich 26. Juni ereignet haben sollen. Aber längst nicht alle im Görlitzer Park.

Die Bezeichnung “kriminalitätsbelasteter Ort” (“kbO”) geht auf eine Einordnung der Berliner Polizei zurück, die in der Stadt insgesamt sieben solcher Gebiete als Kriminalitäts-Hotspots sieht. Dort gelten für die Beamten besondere Befugnisse. Sie können beispielsweise verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen. Der Name “kbO Görlitzer Park/Wrangelkiez” deutet ja schon an, dass das Gebiet, um das es in der Polizeistatistik geht, nicht nur den Görlitzer Park umfasst. Dieser ist etwa 140.000 Quadratmeter groß; die gesamte von der Polizei Berlin als “kbO Görlitzer Park/Wrangelkiez” deklarierte Fläche umfasst aber mehr als 300.000 Quadratmeter. Wo genau die Grenzen verlaufen, verrät die Berliner Polizei aus taktischen Gründen nicht. Auf jeden Fall gehört aber ein beachtlicher Teil des belebten Wrangelkiezes, in dem es viele Wohnhäuser, Hostels und Firmen gibt, zum “kbO”.

Unter den acht Fällen von “Vergewaltigung/sexuelle Nötigung/sexueller Übergriff” befinden sich laut Polizeistatistik sechs Vergewaltigungen oder versuchte Vergewaltigungen. Dazu hat “taz”-Redakteur Erik Peter bei der Polizei genauer nachgefragt. Mit dem Ergebnis:

Einzig die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung aus dem Juni fand tatsächlich im Görlitzer Park statt. Sie ist zudem die einzige der registrierten Vergewaltigungen, die im öffentlichen Raum geschah.

In den fünf anderen Fällen vergewaltigten die mutmaßlichen Täter demnach in Privaträumen im umliegenden Kiez: Laut der Polizei kam es demnach zu einer versuchten Vergewaltigung in einem Gewerbebetrieb, zwei Vergewaltigungen in Hostels sowie zwei Vergewaltigungen in Wohnhäusern. Nähere Auskünfte zu den Ermittlungsständen gab die Polizei mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren nicht.

Natürlich macht der Ort einer Vergewaltigung diese nicht weniger schrecklich. Aber wenn die “Bild”-Redaktion schreibt: “Allein acht Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe gab es von Januar bis Ende Juni im Görlitzer Park”, ist das grob falsch. Sie heizt damit eine eh schon hitzige Debatte mit falschen Behauptungen weiter an.

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DOCH VERÖFFENTLICHT !!!!!!!!!!!!!!

Es gibt die verschiedensten Varianten: Ein Mensch stirbt, die “Bild”-Redaktion besorgt sich ein Foto der Person, berichtet über den Fall, und die Familie des oder der Verstorbenen wehrt sich juristisch gegen die Berichterstattung. Oder: Ein Mensch stirbt, “Bild” veröffentlicht ein Foto, das aber eine völlig andere Person zeigt, und die beschwert sich anschließend. Oder: Ein Mensch stirbt, “Bild” berichtet, niemand wehrt sich, weil niemand die Nerven und die Kraft dazu aufbringen kann oder weil die möglichen Rechtsmittel nicht bekannt oder zu kostspielig sind oder weil niemand es mitbekommen hat oder auch weil die Familie mit der Berichterstattung einverstanden ist.

Am vergangenen Freitag kam eine neue Variante hinzu, die uns so bisher noch nicht begegnet ist:

Screenshot Bild.de - Nicht veröffentlichen - es folgen vierzehn Ausrufezeichen - Trauer um 41-jährigen Mediziner - Nicht publizieren - Witwe will es nicht - Augsburger Oberarzt stirbt im Kroatien-Urlaub - Bruder sammelt für die Familie spenden - dazu ist ein unverpixeltes Foto des verstorbenen Mannes zu sehen, das wir vor der Veröffentlichung hier im BILDblog unkenntlich gemacht haben

Ein Mann stirbt, “Bild” will berichten und erstellt einen entsprechenden Bild.de-Beitrag, die Witwe macht aber schon vor der Veröffentlichung klar, dass sie damit nicht einverstanden ist, die “Bild”-Redaktion erfährt das ganz offensichtlich auch, und dann wird der Artikel doch veröffentlicht, mit unverpixeltem Foto des Verstorbenen (die Unkenntlichmachung stammt von uns).

Auf unsere Anfrage, warum der Artikel bei Bild.de publiziert wurde, obwohl die Familie des Verstorbenen dies offenbar nicht wollte, antwortete uns eine “Bild”-Sprecherin:

Wie am internen Hinweis in der Überschrift und der Dachzeile zu erkennen, wurde der Artikel versehentlich publiziert. Es handelt sich um einen bedauerlichen Fehler, der sehr schnell bemerkt wurde. Der Artikel war am frühen Morgen des 28. Julis für wenige Minuten online, wurde umgehend depubliziert und seither nicht erneut veröffentlicht.

Zu unseren weiteren Fragen, warum sich der Artikel überhaupt noch im Redaktionssystem befunden hat, obwohl die Witwe sich so deutlich geäußert hatte, ob die “Bild”-Redaktion noch auf irgendeine Entwicklung bei der Geschichte gewartet hat, beispielsweise dass die Frau doch noch einer Veröffentlichung zustimmt, und warum Bild.de ein unverpixeltes Foto des Mannes verwendet hat, bekamen wir keine Antwort.

Mit Dank an Jens L. für den Hinweis!

“Unser Urlaub”

Sommer 2016, in Spanien, in Portugal, in Frankreich, in Griechenland, auf Madeira und auf den Kanaren kämpfen die Menschen gegen heftige Waldbrände. Es gibt Tote und Verletzte, Menschen verlieren ihre Häuser und Lebensgrundlagen. Und Bild.de titelt:

Screenshot Bild.de - Hier fackelt unser Urlaub ab - Waldbrände lodern auf Madeira, den Kanaren, in Frankreich, Spanien, Portugal

Sommer 2017, in Kroatien, in Montenegro, in Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Portugal brennen die Wälder. Ein Mann kommt in der Nähe von Neapel ums Leben, viele verlieren alles, was sie haben. Und Bild.de titelt:

Ausriss Bild.de - Waldbrände in Italien, Kroatien Frankreich - Hilfe, unser Urlaub brennt - Sind Sie auch betroffen? Schicken Sie uns Ihre Urlaubsfotos aus der Flammenhölle

Und jetzt, im Sommer 2023, wo in den Urlaubsregionen in Griechenland, in Kroatien, in Portugal, in Italien und in Frankreich wieder riesige Waldbrände wüten, mit Toten und Verletzten und zerstörten Existenzen, ist die “Bild”-Redaktion wieder ganz bei sich und “uns”:

Screenshot Bild.de - Waldbrände in Griechenland, Landminen-Explosionen in Kroatien - Hier brennt unser Urlaub!

Kennt “Bild” einen Clan-Einbruch, kennt “Bild” alle

Im November 2022 wurden bei einem Einbruch im Kelten-Römer-Museum im bayerischen Manching 483 keltische Goldmünzen und ein goldener Gusskuchen – der Kelten-Goldschatz von Manching – gestohlen. Seit dieser Woche, acht Monate nach dem Einbruch, sitzen vier Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Zwei von ihnen wurden bei einer Übergabe von Goldstücken festgenommen, deren Legierung zum Kelten-Goldschatz passen soll. Alle vier Tatverdächtigen sollen bislang zu den Vorwürfen schweigen.

Bereits kurz nach der Tat hatte die “Bild”-Redaktion einen Verdacht, wer hinter dem Einbruch stecken könnte:

Screenshot Bild.de - Goldschatz im Manchinger Museum geklaut - Führt die Spur ins Clan-Milieu?

Auch andere Medien, etwa der “Tagesspiegel” oder die “Berliner Zeitung” (dort führten in der Überschrift die Spuren sogar ohne Fragezeichen “ins Berliner Clan-Milieu”), brachten eine mögliche Clan-Verbindung ins Spiel. Aber keine Redaktion gab sich dabei so viel Mühe wie “Bild”. In dem Artikel vom 23. November hieß es unter anderem:

Der Tatort ist neu, aber die Vorgehensweise der Einbrecher bei dem Raub des Goldschatzes erinnert an jüngste Clan-Coups …

Und:

Nach Angaben der Ermittler könnte die Spur ins Clan-Milieu führen.

Und:

Die Fahnder stehen im engen Kontakt mit Kollegen aus Berlin und Dresden. Sie erhoffen sich Hinweise zum Vorgehen der Täter bei ähnlichen Einbruchsdiebstählen 2017 im Bode-Museum und 2019 im Grünen Gewölbe. Damals wurden in beiden Museen Ausstellungsstücke im Wert von mehr als 100 Millionen Euro geklaut. Die Spuren führten zu Tätern aus dem Clan-Milieu.

Vor allem hat “Bild” einen KriminalKunstexperten aufgetan, der von “Barbaren” spricht und von Goldgeschäften, die sich “in der Hand von arabischen und türkischen Großfamilien” befänden:

“Da werden Erinnerungen an das Grüne Gewölbe wach”, erklärt auch Kunstexperte Robert Weis (54) vom Auktionshaus Hermann Historica BILD. “Auch in Dresden wurde zuerst die Alarmelektrik lahmgelegt. Da sind Leute am Werk, die wissen, was sie tun. Das werden Barbaren sein, die das Gold einschmelzen. Das ist kein Problem. Der Goldankauf ist in der Regel in der Hand von arabischen und türkischen Großfamilien. Die sind bestens vernetzt. In Berlin gab es keine Probleme, die große Münze kleinzumachen und weiterzuverkaufen. Es können auch Nachahmungstäter gewesen sein. Um in Museum einzubrechen, braucht man ein gewisses Maß an organisierter Kriminalität und Fachwissen. Da liegt der Gedanke nah, dass es sich bei den Tätern um Clans handeln könnte.”

Gestern gab es eine Pressekonferenz zur Festnahme der Tatverdächtigen in dem Fall. Die “Süddeutsche Zeitung” schreibt über die Erkenntnisse der Ermittler:

Zumindest die Theorie, wonach der Museumseinbruch im vergangenen November von einem kriminellen Berliner Clan begangen wurde, räumen sie am Donnerstag vom Tisch. Bei den vier festgenommenen Tatverdächtigen handelt es sich demnach um vier Deutsche “ohne Migrationshintergrund” zwischen 42 und 50 Jahren. “Berufseinbrecher”, sagt [Bayerns] Innenminister Herrmann. Drei von ihnen sollen jahrelang als kriminelle Bande umhergezogen sein und in mehreren Bundesländern sowie in Österreich Einbrüche begangen haben. Seit 2014 sollen sie in elf Fällen Casinos, Supermärkte und eine Kfz-Zulassungsstelle geplündert haben, berichtet der Ingolstädter Staatsanwalt Nicolas Kaczynski. Dabei sei ein Beuteschaden von mehr als einer halben Million Euro entstanden. […] Die Vierergruppe besteht aus einem Fernmeldetechniker, einem Buchhalter, einem Filialleiter im Einzelhandel und einem Mitarbeiter einer Abbruchfirma.

Auch Bild.de berichtet über die Festnahmen. In einem Artikel erfährt man, dass die vier Männer, die nun in Untersuchungshaft sitzen, Alexander, Robert, Jörn und Maximilian heißen sollen. Von der eigenen, falschen Clan-Verdächtigung erfährt man in dem Text hingegen nichts.

Mit Dank an @zeitungsboy für den Hinweis.

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