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Keinen Respekt gezollt

Seit der sogenannten Teppichaffäre von Entwicklungsminister Dirk Niebel ist klar, dass gerade an Staatsbeamte besonders hohe moralische Maßstäbe angelegt werden, wenn es um die korrekte Verzollung hochpreisiger Gegenstände geht. Was viele noch nicht wussten, laut dieser “Bild”-Schlagzeile von gestern reicht es sogar schon, wenn man irgendwann einmal in seinem Leben einen Beamten im Fernsehen gespielt hat:

"Tatort"-Kommissar beim Schmuggeln erwischt

Die Rede ist von Mehmet Kurtuluş, der laut “Bild” …, aber lesen Sie selbst:

Der Fall: Am Freitagmittag landet in Frankfurt am Main die Lufthansa-Maschine “LH 457” aus Los Angeles. An Bord ist auch Schauspieler Kurtulus (…). An der Zollstation 6, im Terminal 1 (Halle B) dann der Zugriff: Die Beamten bitten den ARD-Star, seine Tasche zu öffnen. Sie finden: einen Laptop mit amerikanischer Tastatur! Auf die Frage, ob der Rechner neu gekauft sei, antwortet Kurtulus: “Nein, den habe ich vor etwa anderthalb Jahren gekauft, für ungefähr 1300 Dollar.” Doch einen Beleg hat er nicht. (…) Ein Strafverfahren wird eingeleitet: “Verdacht der versuchten Steuerhinterziehung”.

Gut, Mehmet Kurtuluş ist eigentlich gar kein “Tatort”-Kommissar mehr und der Fall ist so unbedeutend, dass eine Sprecherin des Zolls auf Anfrage von Welt.de erklärt:

Ob allerdings Anklage gegen den Schauspieler erhoben wird, sei unklar. “Solche Fälle passieren hier ständig”, sagte sie.

Wirklich infam ist, dass “Bild” einfach behauptet, dass der Schauspieler “beim Schmuggeln erwischt” wurde, obwohl dies überhaupt nicht erwiesen ist. Zwar wird im Artikel die Behauptung durch “scheint” und “soll” abgemildert, die Unschuldsvermutung sollte jedoch auch in der Überschrift gelten.

Manche Kommentatoren auf Bild.de kommen daher auch gar nicht erst auf den Gedanken, dass Kurtuluş womöglich gar nicht geschmuggelt hat, sondern lassen auch gleich noch ungehemmt ihrem Rassismus freien Lauf (aber das kennt man ja):

Wenn man schon so heißt……………..

Rotzfrech, dummdreist. Daran ändert auch deutsche Staatsbürgerschaft nichts.

Das ist wahre Kulturbereicherung.
Danke an Grüne und Konsorten.

ich wundere mich überhaupt nicht! Das ist nun mal deren Mentalität! Sieht man auf jedem derer Basare…jeder versucht jeden übers Ohr zu hauen.

jetzt wissen wir wenigstens dass er sich wieder in d aufhält und unser sozialsystem belastet

… in die Türkei abhauen !!!

Und damit die eigenen Leser nicht selbst versehentlich eine derartige “Basarmentalität” an den Tag legen, bietet Bild.de gleich noch den passenden Ratgeber:

 Mehmet Kurtulus beim Schmuggeln erwischt Was muss ich eigentlich alles verzollen?

Dabei zeigt sich auch die Komplexität der Zollbestimmungen:

Wer von außerhalb der Europäischen Union zurückkehrt (z. B. USA, Karibik, Afrika), darf zollfrei einführen:

(…)

• Kleidung und Wertsachen wie Schmuck oder Elektro-Artikel sind bis 300 Euro Wert zollfrei, bei Flug- und Seereisen bis 430 Euro.

(…)

Wer aus einem Nicht-EU-Land mehr mitbringt als erlaubt, muss die Ware bei der Einreise beim Zoll anmelden und eine Einfuhrabgabe zahlen.

Beispiel von “Zoll Online”

Ein Ehepaar reist auf dem Landweg (Pkw) aus der Schweiz ein, wo es 4 antike Stühle gekauft hat. Die Wertgrenze beträgt pro Reisenden 300 Euro, da sie nicht im See- oder Flugverkehr einreisen. Jeder Stuhl kostet 120 Euro. Beide Reisende können innerhalb der Wertgrenze von 300 Euro jeweils 2 Stühle (240 Euro) abgabenfrei einführen.

Ein anderes Ehepaar reist ebenfalls aus der Schweiz ein, wo es sich einen alten, restaurierten Bauernschrank im Wert von 320 Euro gekauft hat. Da der Schrank jedoch nicht teilbar ist, kann sein Wert nicht aufgeteilt werden. Demnach ist der Bauernschrank einem Ehepartner zuzuordnen. Sein Wert in Höhe von 320 Euro übersteigt die Freigrenze von 300 Euro. Somit fallen für den Schrank Einfuhrabgaben an.

– Ist bei nicht teilbaren Waren die Reisefreigrenze überschritten, so werden die Einfuhrabgaben auf den Gesamtwert der Ware und nicht nur auf den die Freigrenze übersteigenden Wertanteil erhoben. Dies bedeutet, dass in oben genanntem Beispiel der Schrank mit seinem Gesamtwert von 320 Euro zu verzollen ist.

So weit so richtig. Weiter im Text:

• Wer maximal 700 Euro über der Freigrenze liegt, die Ware im persönlichen Gepäck mitführt und sie für den privaten Gebrauch bestimmt ist, zahlt pauschal 17,5 Prozent des Warenwertes, der über den Grenzen liegt.

Das hingegen ist falsch. Sobald die Freigrenze überschritten wird, werden sämtliche Abgaben auf den Gesamtbetrag fällig. Das gilt auch nicht bis “maximal 700 Euro über der Freigrenze”, sondern nur bis 700 Euro Gesamtbetrag.

Bild.de weiter:

• Bei einer Überschreitung der Einfuhrgrenze um mehr als 700 Euro, oder wenn der Urlauber die pauschale Besteuerung ablehnt, berechnet der Zoll die Abgaben einzeln für jedes Produkt, abhängig vom Warenwert, Herkunftsland und der Art der Ware. Ein kompliziertes Verfahren, das Sie vermeiden sollten.

Wer dieses komplizierte Verfahren vermeiden will, sollte besser nicht auf Bild.de hören. Wie bereits oben erwähnt, kommt die Einzelberechnung für jedes einzelne Produkt bereits bei Überschreiten der Grenze von 700 Euro und nicht erst bei “Überschreitung der Einfuhrgrenze um mehr als 700 Euro”. Die 700 Euro sind schon die Grenze.

Oder, um es mit den Worten einer großen deutschen Tageszeitung zu sagen:

Bild.de beim Schmuggeln erwischt

Mit Dank an Axel Sch.

Ein Buch, sie zu knechten

Der Regisseur Peter Jackson hat gestern bekanntgegeben, dass er aus den geplanten zwei “Hobbit”-Filmen drei Teile machen will.

Bild.de erklärt das heute so:

Die ursprünglich als Zweiteiler (basierend auf den Büchern “Der Hobbit – Eine unerwartete Reise” und “Der Hobbit – Hin und wieder zurück”) geplante Saga sei angesichts des Reichtums der “Hobbit”-Geschichte, der Stärke der Charaktere und der Schauspieler besser auf drei Teile aufgeteilt, erklärte Regisseur Peter Jackson (50).

Doch die zwei Bücher, auf denen die Filme laut Bild.de basieren sollen, gibt es gar nicht — zumindest nicht in der Form: Die Vorlage ist das einzelne Buch “Der kleine Hobbit”. “Eine unerwartete Reise” und “Hin und zurück” (ohne “wieder”) sind die (Unter-)Titel der ursprünglich geplanten zwei Filme, die auf diesem einen Buch basieren. Der Name des dritten Teils ist noch nicht bekannt.

Aber die Ahnungslosigkeit von Bild.de geht noch weiter:

Fraglich, ob der neue Hollywood-Trend der Trilogie nicht nur auf ein weitere Einnahmequelle abzielt. Zum Vergleich: Die drei Bücher der “Herr der Ringe”-Saga haben je nach Publikation rund 1292 Seiten, die Bücher des “kleinen Hobbit” rund 718 Seiten. Ein deutlicher Unterschied, dennoch sind nun beide Verfilmungen Dreiteiler. Wird beim “Hobbit”-Drehbuch einfach noch etwas dazuerfunden?

Mal davon ab, dass Jackson bei der “Herr der Ringe”-Trilogie vieles aus der Buchvorlage weggelassen hat, hat die neueste Ausgabe von “Der Hobbit” (die irritierenderweise den Untertitel “Oder: Hin und zurück” trägt) 382 Seiten.

“Einfach noch was dazuerfinden” musste Jackson wohl dennoch nicht: In seine (jetzt dreiteilige) “Hobbit”-Geschichte lässt er auch die 125-seitigen Notizen einfließen, die “Hobbit”-Autor J.R.R. Tolkien dem dritten Buch seiner “Herr der Ringe”-Trilogie angehängt hatte.

Außerdem: Warum sollte Jackson aus einem Buch nicht drei Filme machen, wenn Bild.de aus “NICHTS” jede Menge Artikel machen kann?

Mit Dank an Volker K. und Mirko P.

Hinweis/Korrektur: Die Neuübersetzung des “Hobbit”-Buchs heißt nur noch “Der Hobbit”, nicht – wie ursprünglich geschrieben – “Der kleine Hobbit”.

Nachtrag, 17.30 Uhr: Bild.de hat den Artikel an den entsprechenden Stellen überarbeitet.

Milchmädchen verlieren mehr Geld

Statt auf “Pleite-Griechen” einzudreschen, befasste Bild.de sich gestern zur Abwechslung einmal mit den Folgen einer möglichen “Griechen-Pleite”. Dabei wurde unter anderem folgende Rechnung angestellt:

• Wie viel Geld verliert Deutschland bei einer Griechen-Pleite?
Aus Deutschland sind bislang nach Berechnungen des ifo-Instituts 50,4 Mrd. Euro nach Griechenland geflossen – das Geld wäre weg. Hinzu kommen 27 Mrd. Euro, mit denen Griechenland bei der Europäischen Zentralbank in der Kreide steht – für die haftet Deutschland teilweise. Macht zusammen 119,7 Milliarden Euro!

Die 50,4 Milliarden Euro tauchen tatsächlich in einer aktuellen Berechnung des ifo-Instituts (pdf, Summe der Posten 1 bis 5) auf. Das gleiche gilt für die 27 Milliarden Euro (Posten 6). Wie jedoch die Summe aus 50,4 Milliarden und 27 Milliarden stolze 119,7 Milliarden Euro betragen kann, das wissen wohl nur die Milchmädchen.

Das ifo-Institut jedenfalls kommt – je nachdem ob Griechenland in der Eurozone verbleibt oder nicht – auf 88,7 bzw. 82,2 Milliarden Euro. Und so steht es heute auch in “Bild” sowie in einer Agenturmeldung auf Bild.de.

Mit Dank an Katrin H.

Alles im Fluss

Vor dem Beginn der Olympischen Sommerspiele in London am Freitag sind die Sicherheitsvorkehrungen angeblich noch einmal verstärkt worden, berichtet Bild.de.

Dabei sind die ohnehin schon besonders streng:

Gehört derzeit zum Stadtbild von London: Ein Kriegsschiff auf der Themse.

Diese Aussage ist theoretisch nicht falsch (ein Flugzeug- bzw. Hubschrauberträger der britischen Marine ankert seit Monaten im Stadtteil Greenwich), praktisch aber ein denkbar sinnloses Beispiel: Dieses Kriegsschiff da gehört schon seit über 40 Jahren zum Stadtbild von London.

Es ist die HMS Belfast, die heute Teil des Imperial War Museums ist.

Mit Dank an die Hinweisgeber.

Nachtrag, 12.25 Uhr: Bild.de hat das Foto vom Kriegsschiff auf der Themse aus der Bildergalerie entfernt.

Darauf einen Absacker!

Als die Boeing 757 von United Airlines am Sonntag von Washington, D.C. nach London von der Startbahn abhob, ahnten die 50 Passagiere an Bord vermutlich noch nicht, dass sie Zeugen und Opfer einer Beinahe-Katastrophe werden würden, die in deutschen Medien so aufbereitet wurde:

Bild.de:

Flugzeug sackt 6000 Meter ab – Notlandung!

“Bild”:

“B.Z.”:

United-Jet sackt 6000 Meter ab: Notlandung

“Focus Online”:

United-Airlines-Maschine muss notlandenBoeing 757 stürzt 6000 Meter in die Tiefe...
United-Airlines-Maschine muss notlanden: Boeing 757 stürzt 6000 Meter in die Tiefe

“Berliner Kurier“:

Flug-Schock
Notlandung! Flugzeug fällt 6000 Meter in die Tiefe

Die deutschen Medien berufen sich dabei auf Artikel ihrer englischen Kollegen, denn zuvor hatten etwa die “Daily Mail” und der “Daily Mirror” über den Zwischenfall berichtet.

Hätten die Journalisten jedoch selbst ein wenig recherchiert (oder einfach mal in ihren zahlreichen Leserkommentaren nachgeschaut), wären sie schnell darauf gestoßen, dass das Flugzeug nicht “gestürzt”, “gefallen” oder “abgesackt” war, sondern die Piloten – weil es Probleme bei einem Triebwerk gab – aus Sicherheitsgründen bewusst niedriger geflogen sind.

Dementsprechend klingt die Version des “Aviation Herald” auch um einiges nüchterner:

Eine United Boeing 757-200, Kennzeichen N14118, Flug UA-130 von Washington Dulles, DC (USA) nach London Heathrow, EN (UK) mit 50 Passagieren und 9 Crew-Mitgliedern, war auf dem Weg auf Flugfläche 390 über den Atlantischen Ozean etwa 500 Nautische Meilen östlich von St. John’s, NL (Kanada), als die Crew über das Notfallmeldesystem erklärte, dass sie ein Triebwerk (RB211) abgeschaltet habe und auf Flugfläche 280 gesunken sei. Das Flugzeug kehrte um und steuerte St. John’s an, wo es etwa 130 Minuten später sicher auf Landebahn 29 landete.

Der Rest des Fluges wurde gestrichen.

Die Airline teilte mit, es sei ein technisches Problem mit einem Triebwerk aufgetreten. Als Vorsichtsmaßnahme sei das Triebwerk abgeschaltet worden. Die Passagiere wurden auf andere Flüge in Richtung London umgebucht.

(Übersetzung von uns).

Wie uns das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf Anfrage erklärte, ist es völlig normal, die Flughöhe zu reduzieren, wenn eines von zwei Triebwerken ausfällt oder abgeschaltet werden muss. Nur so kann in vielen Fällen der nächste Flughafen erreicht werden. Und das ist seit knapp 50 Jahren für zweistrahlige Flugzeuge wie die Boeing 757 sogar Vorschrift.

Davon abgesehen ist das Flugzeug laut “Aviation Herald” von Flugfläche 390 (etwa 39.000 Fuß/11.900 Meter) auf Flightlevel 280 (etwa 28.000 Fuß/8.500 Meter) gesunken – also nicht um 6.000 Meter, sondern um “nur” 3.400.

“Spiegel Online” immerhin hat die ursprüngliche Überschrift “Boeing sackt um 6.000 Meter ab” mittlerweile in “Triebwerksprobleme zwingen Boeing zum Umkehren” geändert.

Unter dem Artikel heißt es:

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Meldung wurde der Eindruck erweckt, die Boeing sei nach einem Triebwerksausfall um 6000 Meter unkontrolliert abgesackt. Tatsächlich handelte es sich um ein kontrolliertes Manöver des Piloten. Wir bitten um Entschuldigung.

Mit Dank an Chris K., Stephan Sch. und Wolfgang.

Norden ist da, wo der Daumen links ist

Mit Wolkenkratzern ist es wie mit Journalisten: Es ist quasi unmöglich, einen zu finden, der nicht irgendeine Auszeichnung trägt.

Neben ca. sieben Milliarden Journalistenpreisen gibt es auf der Erde auch ungefähr 828 verschiedene Ranglisten für das wirklich allerhöchste Hochhaus (mit und ohne Antenne auf dem Dach, mit und ohne Wohnungen im Gebäude, nach nutzbaren Etagen, nach Etagen insgesamt, …). Doch während die Journalisten den Hochhäusern reichlich egal sind, ist es umgekehrt anders. Und weil Journalisten auch Zahlen und Listen ganz besonders mögen, bauen sie gerne Artikel mit Bildergalerien, in denen dann Sätze wie dieser stehen:

Immer höher hinaus geht es, die durchschnittliche Höhe der zehn höchsten derzeit im Bau befindlichen Wolkenkratzer beträgt stolze 566 Meter.

Aber auch solche:

Neun der zukünftigen Top-10-Wolkenkratzer stehen in Asien. Besonders hoch hinaus möchte China: Dort werden derzeit sechs der zukünftig wahrscheinlich höchsten Wolkenkratzer errichtet, gefolgt von Südkorea, das zwei Wolkenkratzer bauen wird.

Die Nordhalbkugel wird nur einen einzigen Wolkenkratzer mit einer Höhe von über 500 Metern haben: das One World Trade Center in Lower Manhattan, New York (USA).

Als Nordhalbkugel bezeichnet man den Teil der Erde nördlich des Äquators. Die aktuell im Bau befindlichen Wolkenkratzer in China, Saudi-Arabien und Südkorea, die über 500 Meter hoch werden sollen, liegen damit ebenfalls alle auf der Nordhalbkugel.

Was Bild.de meint, ist die Westliche Hemisphäre, also der Teil der Welt westlich des Nullmeridians in Greenwich.

Mit Dank an Bernd M. und Anonym.

Presserat rügt Opferfoto

Es war eine dieser Überschriften, von der Boulevardjournalisten nachts träumen:

Banker von diesem Ketten-Cop zerhackt und gekocht

Die Geschichte allerdings auch: Das Opfer hatte seinen späteren Mörder im Internet kennengelernt. Die beiden Männer trafen sich zum Sex in der Wohnung des Täters, dabei kam das Opfer zu Tode. Der Täter zerstückelte sein Opfer und kochte dessen Kopf.

“Bild” druckte ein Porträtfoto des Opfers, daneben ein Bild des Täters.

Bild.de berichtete unter anderem so:

Der spektakuläre Berliner-Foltermord: Gruselig, wie im Kino-Schocker "Hannibal"

Die Parallelen zum Film “Hannibal” sahen dabei so aus:

Im Film muss das Opfer Teile seines Gehirns essen. Im realen Fall fanden die Ermittler den gekochten Kopf des Opfers in einem Topf.

Wollte der Mörder sein Opfer vielleicht verspeisen, zögerte aber dann doch? “Es liegen uns keine kannibalistischen Anzeichen vor”, sagt Justizsprecher Martin Steltner.

Ein Leser beschwerte sich beim Presserat. Die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem das Opfer deutlich zu erkennen ist, sei im Zusammenhang mit den entwürdigenden Umständen seines Todes überflüssig. Er bemängelte weiter, dass auch der Täter eine Zeitlang auf der Startseite von BILD Online ungepixelt zu sehen war und dass seine HIV-Infektion erwähnt wurde.

Die “Bild”-Rechtsabteilung erwiderte, die Abbildung des Opfers stelle keinen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex dar, da sie im öffentlichen Interesse sei. Der Beitrag befasse sich immerhin mit einem “spektakulären und aufsehenerregenden Kapitalverbrechen”.

Der Artikel sei eine “Folgeberichterstattung zu den Berichten über die polizeiliche Suche nach dem Vermissten”. Medien dürften laut Pressekodex vermisste Personen zeigen, wenn dies in Absprache mit den zuständigen Behörden erfolge. In diesem Vermisstenfall habe die Polizei das Foto im Rahmen eines Fahndungsaufrufs öffentlich gemacht, mit der erneuten Veröffentlichung sollte ein Bezug dazu hergestellt werden.

Die zeitweise Veröffentlichung des ungepixelten Fotos des Täters auf der Startseite von Bild.de hingegen sei ein bedauerliches Versehen gewesen, für das sich die Redaktion entschuldige, erklärte die Rechtsabteilung.

Davon ab habe Bild.de den Täter aber auch zeigen dürfen: Das öffentliche Interesses überwiege das Persönlichkeitsrecht des Täters. Es handele sich um einen spektakulären Kriminalfall, bei dem sich der Ablauf und die beteiligten Personen von anderen Kriminalfällen unterscheiden würden (sic!). Selbst wenn man von einem Verstoß ausginge, wäre dieser nicht schwerwiegend, weil der Teaser nur kurz, nämlich zwischen 0.22 und 9.26 Uhr, zu sehen gewesen sei.

Außerdem liege auch noch eine Situation vor, für die Richtlinie 8.1 Abs. 4 sogar ausdrücklich eine Ausnahme von dem generellen Verbot der Abbildung von Tatverdächtigen vorsehe.

Diese Stelle im Pressekodex lautet übrigens:

Die Nennung des vollständigen Namens und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liegt und Haftbefehl beantragt ist oder wenn das Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird.

Ob sie sich nun auf die Verbrechensaufklärung berufen (der Täter hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Geständnis abgelegt, bei dem er von einem “Sex-Unfall” als Todesursache gesprochen hatte) oder auf die Öffentlichkeit (das Opfer kam in der Zweizimmerwohnung des Täters zu Tode), ließen die Springer-Juristen offenbar offen.

Die Erwähnung der HIV-Infektion des Täters stelle ebenfalls keinen Verstoß gegen den Pressekodex dar. Sie ermögliche dem Leser eine Erklärung, warum der Mann sexuelle Dienste im Internet angeboten habe und es zu einem Treffen mit dem Opfer gekommen sei. Die Angabe trage damit dazu bei, dem Leser ein umfassendes Bild von der Tat zu ermöglichen.

Der Beschwerdeausschuss des Presserats hingegen kam zu der Einschätzung, dass Bild.de gegen den Pressekodex, Ziffer 8, verstoßen habe. Danach haben Opfer von Straftaten Anspruch auf besonderen Schutz. Bild.de aber habe das Opfer identifizierbar dargestellt, auf einem unverfremdeten Foto gezeigt, seinen Geburtsort und seinen letzten Wohnorts genannt und den Mann so für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar gemacht. Dazu habe es keinen Anlass gegeben.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Umstand, dass es um einen zunächst vermissten Mann gehe, rechtfertige keinen späteren Gebrauch des Fahndungsfotos (eine Tatsache, die “Bild” und Bild.de nicht akzeptieren).

Dass der Täter zunächst unverpixelt gezeigt wurde, sei aus Sicht des Beschwerdeausschusses presseethisch ebenfalls nicht vertretbar. Da Bild.de jedoch zeitnah reagiert hat, falle das nicht ins Gewicht. Dass der Täter in der gedruckten “Bild” dauerhaft unverpixelt zu sehen war, ist in diesem Fall unerheblich, da sich die Beschwerde gegen einen konkreten Artikel von Bild.de richtete.

Die Einschätzung des Presserates endet mit dem Satz:

Bei ausreichender Anonymisierung ist auch die Erwähnung einer HIV-Infektion nicht zu beanstanden.

Gemeint ist womöglich: “… wäre auch die Erwähnung einer HIV-Infektion nicht zu beanstanden gewesen”.

Der Beschwerdeausschuss urteilte, Bild.de habe ohne überwiegendes öffentliches Interesse tief in die Privatsphäre des Opfers und seiner Angehörigen eingegriffen. Er sprach eine öffentliche Rüge aus und bat die Redaktion traditionell, “die Rüge gemäß Ziffer 16 Pressekodex zeitnah zu veröffentlichen”.

Bild.de ist dieser Bitte nachgekommen.

Unter dem gerügten Artikel steht nun:

Hinweis der Redaktion:

Der Deutsche Presserat hat BILD.de für diese Veröffentlichung eine Rüge erteilt, weil das Opfer namentlich genannt, im Foto abgebildet und Stationen seines Lebens erwähnt wurden. Diese weitgehende Identifizierbarkeit ist nach Auffassung des Deutschen Presserates nicht mehr vom öffentlichen Interesse an dem spektakulären Mordfall gedeckt. Es lägen keine besonderen Begleitumstände vor, in denen eine Identifizierung in Einzelfällen erlaubt sei. Auch die Tatsache, dass es hier um einen zunächst vermissten Mann geht, rechtfertigt nach Meinung des Deutschen Presserates weder die Veröffentlichung des Fahndungsfotos noch die Abbildung eines anderen Fotos.

Über dem Artikel prangt weiterhin das beanstandete unverpixelte Foto des Opfers.

Betongeflüster

Schauen Sie mal, was man so alles im Internet findet:

“Heilige Scheiße”, ruft der junge Mann im Video.

“Geiler Scheiß”, mögen die Leute bei Bild.de gedacht haben. Sie schnitten das Video neu zusammen und legten einen erläuternden Text darunter:

Das hält selbst der stärkste Bus nicht aus: Eine 2.500 Kilo schwere Betonplatte kracht mit voller Wucht auf das Fahrzeug, fallengelassen von einem Kran im Amsterdamer Stadtzentrum. Schrecksekunde für den Skater, der seinem filmenden Kumpel eigentlich nur seine neuesten Tricks zeigen wollte — doch dann passiert das! Verletzt wurde bei dem Unfall glücklicherweise niemand. Leidtragender nur der Bus, der jetzt mit einem Totalschaden dasteht.

Leidtragende sind allerdings auch die Besucher von Bild.de, denen die Redaktion dieses Video als Dokument eines echten Unfalls verkauft.

In Wahrheit handelt es sich – man hätte es ahnen können – um ein gestelltes Video, wie verschiedene belgische Webseiten seit heute Mittag berichten:

Dass eine Kamera bereitstand und dass der Skater Jaasir Linger Zeuge des Unfalls war, ist kein Zufall. Der ganze Film ist inszeniert. Er ist der Start einer Kampagne gegen die Unsicherheit auf Baustellen in den Niederlanden.

(Übersetzung von uns.)

Weiter heißt es in den Artikeln, dass die Macher der Kampagne jetzt Ärger mit der Verkehrsgesellschaft hätten: Die hatte den Bus abgeschrieben und verkauft, im Video ist aber noch ihr Logo zu sehen, das die Käufer hätten entfernen müssen.

Dass Bild.de wegen der Geschichte Ärger bekommt, ist eher unwahrscheinlich.

Mit Dank an “Mutti”.

Nachtrag, 16. Juli: Auch der Online-Video-Dienst “Zoom In” verkauft seinen Zuschauern den Unfall als echt — zumindest denen, die beim Off-Kommentar nicht sofort eingeschlafen sind. Zu sehen z.B. auf t-online.de.

Mit Dank an Sven K.

Wer ist hier der Chef?

Seit die Menschheit denken kann, wird sie von existenziellen Fragen gequält: “Was ist der Sinn des Lebens?”, “Gibt es ein Leben nach dem Tod?”, “Was ist in der Big-Mac-Sauce eigentlich drin?”, …

Immerhin auf eine dieser Fragen hat Bild.de die Antwort gefunden:

Millionen Hamburger-Fans wollten es schon immer mal wissen: Was ist in der Big-Mac-Sauce eigentlich drin? Nun erreichte diese Frage auch McDonald’s in Kanada — und die Antwort gibt es per Video im Netz: Der Chef persönlich steht in der Küche und erklärt, dass es eigentlich gar kein Geheimrezept ist, denn alles stehe schon lange im Internet.

Mal davon ab, dass die genaue Zusammensetzung der Sauce auch nach dem Betrachten des Videos ein Betriebsgeheimnis bleibt: Der Mann ist nicht “der Chef persönlich” — jedenfalls nicht das, was man in Deutschland gemeinhin unter dem Chef eines Unternehmens versteht.

Wenn Sie mal schauen wollen:

Fastfood für zuhause: McDonald

In der Bauchbinde des Videos steht zwar “executive chef”, aber das ist ein “falscher Freund”. Machen wir doch einfache eine kurze Reise durch verschiedene Sprachen, Jahrhunderte und Küchen:

Das französische “chef” (abgeleitet vom lateinischen “caput” = “Kopf”), das im 17. Jahrhundert ins Deutsche übernommen wurde, steht für einen Vorgesetzten oder Leiter einer Organisation. Der “chef de cuisine” ist entsprechend der “Leiter der Küche”. Dieser Begriff wurde im Englischen auf “chef” gekürzt, so dass “chef” dort nun sehr allgemein für “Koch” steht.

Dan Coudreaut, der Mann im Video, ist der “executive chef”, also der leitende Koch, von McDonald’s in Nordamerika. Er ist verantwortlich für die Entwicklung neuer Produkte und Rezepte.

Mit Dank an KiMasterLian und Andreas H.

Nachtrag, 13. Juli: Bild.de hat Dan Coudreaut im Text und in der Überschrift zum “Koch” gemacht, im Video ist er immer noch “Chef”. (In der URL war interessanterweise von Anfang an von einem “Koch” die Rede.)

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