Am Samstag erschien auf Seite 2 der “Bild”-Zeitung folgende Gegendarstellung:
Der Hinweis “Zum Abdruck dieser Gegendarstellung sind wir gesetzlich verpflichtet” ist blanker Hohn, denn “gesetzlich verpflichtet” wäre die Redaktion schon vor drei Monaten gewesen, als der Antrag auf Gegendarstellung bei ihr einging. Am 1. März erging sogar eine einstweilige Verfügung gegen “Bild” und Bild.de, die es beiden Redaktionen verbot, weiterhin zu behaupten, sie hätten dieses Detail “enthüllt”. Doch die Juristen der Axel Springer AG gingen durch die Instanzen — und scheiterten (BILDblog berichtete).
Ende Mai informierte das Berliner Kammergericht die Springer-Anwälte, dass es sich der Entscheidung des Landgerichts anzuschließen gedenke:
Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach durch die Mitteilung “Bild enthüllt: Der Filmproduzent David Groenewold hat 2007 für Wulff einen Luxusurlaub im “Hotel Stadt Hamburg” (HSH) auf Sylt gebucht und bezahlt.”, beim Durchschnittsleser der Eindruck entsteht, die Buchung und Bezahlung des Urlaubs auf Sylt sei erstmals durch die Recherchen der Antragsgegnerin [“Bild”] bekannt geworden. Dies ergibt sich schon aus der Stellung der Worte “BILD enthüllt:” vor der genannten Mitteilung. Denn der Antragsteller [David Groenewold] hat dargelegt, dass er der [sic!] bereits am 24. Januar gegenüber dem NDR Angaben zu der Buchung und Bezahlung des Urlaubs auf Sylt gemacht habe.
Bei Springer haben sie jetzt also schriftlich, dass die Formulierung “BILD enthüllt” so zu verstehen ist, dass “Bild” den nachfolgenden Sachverhalt tatsächlich auch enthüllt hat.
Sinisa Mihajlovic, neuer Trainer der serbischen Fußballnationalmannschaft, hat seinen Mittelfeldspieler Adem Ljajic aus dem Kader geschmissen, weil der vor einem Testspiel am Samstag nicht die serbische Nationalhymne hatte mitsingen wollen. So berichteten es am Montag die Deutsche Presseagentur (dpa) und der Sportinformationsdienst (sid).
Bild.de veröffentlichte die dpa-Meldung im Newsticker und versah sie mit einer neuen Überschrift:
Es ist nicht falsch, dass Adem Ljajic nicht bei der EM spielen wird — nur hat das nichts mit den Ereignissen vom Samstag zu tun: Die gesamte serbische Nationalmannschaft hatte sich schlichtweg nicht für das Turnier qualifizieren können.
Wenn Medien etwas berichtet haben, was in den Augen der Betroffenen nicht stimmt, haben diese das Recht auf eine Gegendarstellung. Je nach Thema, Person und Medium kann die Veröffentlichung einer solchen Gegendarstellung schon mal mehrereMonate dauern.
Es geht aber auch schneller.
So hatte “Bild” am Freitag über die Hochzeit von “Rüpel-Rapper” Bushido (O-Ton “Bild”) berichtet:
Das war offenbar falsch, wie “Bild” schon gestern schrieb:
8.52 Uhr: Viele Journalisten und Fotografen warten darauf, dass die angeklagten Geschwister in den Gerichtssaal geführt werden. Vor dem Beginn der Verhandlung darf für einige Minuten fotografiert werden. Einzige Bedingung, die Gesichter der Angeklagten müssen vor Veröffentlichung in den Medien unkenntlich gemacht werden.
Und so (also ohne die gelben Kleckse, die sind von uns) berichtet die “Bild”-Zeitung heute über den Prozess:
P.S.: Außer “Bild” (und Bild.denatürlich) ist uns kein anderes Medium untergekommen*, das sich nicht an die Bedingung des Gerichts gehalten hätte.
Mit Dank an Martin V.!
*) Nachtrag, 16.18 Uhr(mit Dank an Tim): Während das ZDF am Mittwoch in der “drehscheibe deutschland” die Angeklagten noch unkenntlich gemacht hatte, verzichtete der Sender darauf in späteren Sendungen ebenfalls.
Seit Wochen wird darüber spekuliert, ob die Sängerin Britney Spears Jurorin in der US-Castingshow “X Factor” werden könnte. Nachdem der Deal schonmehrfach unter Dach und Fach schien, ist es jetzt endlich soweit. Also: irgendwie, wahrscheinlich.
Das kurze Video (!), das dapd dazu produziert hat, beginnt mit den triumphierenden Worten:
Nun also doch: Nach langen Spekulationen wird Popstar Britney Spears offenbar Jurorin bei der US-Castingshow “The X Factor”. Aus dem Umfeld der Sängerin hieß es, der Vertrag sei unterschrieben.
Wer die ganzen 40 Sekunden, die mit Musikvideoausschnitten und Archivmaterial gefüllt sind, anschaut, erfährt allerdings, dass im Grunde genommen alles immer noch so offen ist wie zuvor. Denn:
Der Sender Fox hat die Meldung jedoch bislang noch nicht bestätigt.
Kein Grund für die Medien, die Meldung jetzt nicht trotzdem schon/noch einmal zu bringen.
Für Britney ist es der erste TV-Job – abgesehen von einer peinlichen Reality-Show über Britney und ihren Ex Kevin Federline, die 2005 kurzzeitig im US-Fernsehen lief.
Ja — und abgesehen vom “Mickey Mouse Club”, in dem Spears im Alter von elf Jahren regelmäßig zu sehen war und der als Startpunkt ihrer Karriere gilt.
Mit Dank an Sebastian W.
Hinweis, 18.59 Uhr: In der ersten Fassung dieses Eintrags hatten wir das bizarre Kurzvideo der Agentur AP zugeordnet, weil deren Logo am Ende erscheint. Konkret stammt es aber aus der Videoschmiede von dapd.
Der Online-Auftritt der “Süddeutschen Zeitung” hat eine wunderbar treffende Formulierung gebraucht:
Es ist das Halbsatz gewordene Klingeln von Alarmglocken. Die “Daily Mail” ist eine zuverlässig unzuverlässige Quelle. Man muss von allen guten Geistern verlassen sein, einer Geschichte zu glauben, die exklusiv von der “Daily Mail” verbreitet wird.
Deutsche Journalisten, vor allem bei Online-Medien, tun es trotzdem regelmäßig. Und auch der Mitarbeiter von sueddeutsche.de überhörte die Alarmglocken und verbreitete munter die Geschichte von der polnischen Zahnärztin, die ihren Ex-Freund, als er sich von ihr behandeln ließ, betäubte und ihm dann alle Zähne zog.
Die Geschichte ist, wie berichtet, bloß ein Märchen. Die “Daily Mail” hat sie längst von ihrer Website gelöscht. Auf sueddeutsche.de steht sie immer noch, und natürlich auch bei Bild.de. Und jede Wette: Es wird nicht die letzte Ente sein, auf die reinfallen, weil sie glaubten, was das britische Boulevardblatt “Daily Mail” als erste Zeitung berichtete.
(Bevor Sie fragen: Nein, wir können nicht sagen, ob wenigstens die Meldung stimmt, die Bild.de mit der Zahn-Geschichte kombiniert hat — dass eine Frau in China einem Mann nach einem Streit um einen Parkplatz so heftig die Hoden gequetscht habe, dass er starb. Anscheinend war sie aber jedenfalls nicht mit dem Auto unterwegs, wie Bild.de behauptet, sondern mit dem Motorroller.)
Nachtrag, 12. Mai. sueddeutsche.de hat sich korrigiert und bei seinen Lesern entschuldigt. In einer ausführlichen Erklärung heißt es u.a.:
Dank der Kollegen von MSNBC ist aus der scheinbaren Mahnung an untreue Partner von Zahnmedizinern nun eine Mahnung an uns Journalisten geworden, trotz des Drucks und der Verlockungen der entgrenzten Nachrichtenwelt, die journalistische Sorgfaltspflicht nie schleifen zu lassen.
Klingt wie eine Komödie, ist aber nicht lustig: Eine komplette Klasse einer Waldorfschule in Hildesheim muss die Abitur-Prüfung im Leistungsfach Deutsch wiederholen. In diesem Fall ist tatsächlich allein der Lehrer schuld.
Denn dieser hatte die als Thema vorgegebene Pflichtlektüre “Die Physiker” von Friedrich Dürrenmatt einfach nicht behandelt. Als dann in der Abitur-Prüfung die Deutsch-Aufgaben verteilt wurden, staunten die 13 Waldorfschüler nicht schlecht. Denn sie hatten die Dürrenmatt-Komödie nie gelesen.
Es wäre allerdings hilfreich gewesen, wenn einer in der Redaktion “Die Physiker” mal gelesen – oder wenigstens kurz in der Wikipedia nachgeschlagen – hätte:
“Die Physiker” ist nämlich kein Roman, sondern ein Theaterstück, wie die Bezeichnung “Komödie” schon nahelegt.
Mit Dank an Guido W., Barbara und Horst.
Nachtrag, 11. Mai: Bild.de hat den Fehler korrigiert und den Artikel mit einem Hinweis versehen:
• Fälschlicherweise bezeichnete BILD.de das Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt in einer vorangegangenen Version dieses Artikels als Roman. Wir haben diesen Fehler korrigiert.
Seit zwei “Bild”-Artikel zur Affäre um den Bald-darauf-Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff für den Henri-Nannen-Preis nominiert wurden, ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Berichterstattung der Zeitung preiswürdig sei.
Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer schrieb in einem Gastbeitrag für die “Frankfurter Rundschau”:
Die Tatsache, dass dies alles auch nur die Chance hat, in die Nähe eines Henri-Nannen-Preises zu kommen, ist ein Alarmsignal. Nicht einmal Axel Springer hätte das zu träumen gewagt.
Heute hielt Gabor Steingart, Chefredakteur des “Handelsblatts”, in einem Newsletter dagegen. Das Internetportal “Meedia” zitiert ihn mit den Worten, die “Bild”-Geschichte werde “im Geschichtsbuch unserer Kinder stehen”.
Und Fakt ist zweierlei: Die Bild-Geschichte war sauber recherchiert. Und sie war, da das Staatsoberhaupt schließlich zurücktrat, die wirkungsmächtigste Enthüllung des Jahres 2011.
Eine Meinung, die “Bild” teilen dürfte: Am 18. Februar, einen Tag nach dem Rücktritt von Christian Wulff, schaute die Zeitung zurück und feierte sich ganzseitig für ihre Berichterstattung.
Die Onlinefassung dieses Artikels, die man heute bei Bild.de aufrufen kann, unterscheidet sich ein wenig von der ursprünglichen Version, die auch in der gedruckten “Bild” zu lesen war.
In der Chronologie der Enthüllungen kam damals noch der 8. Februar vor:
8. Februar 2012: Der Bericht, der letztendlich zum Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und zum Rücktritt des Bundespräsidenten führt. BILD enthüllt: Der Filmproduzent David Groenewold hat 2007 für Wulff einen Luxusurlaub im “Hotel Stadt Hamburg” (HSH) auf Sylt gebucht und bezahlt.
Die Verbreitung dieser Behauptung ist “Bild” und Bild.de im April vom Landgericht verboten worden. Das Gericht bestätigte damit eine Einstweilige Verfügung vom 8. März. Der Grund: “Persönlichkeitsrechtsverletzung aufgrund einer unwahren Tatsachenbehauptung”.
Der Clou dabei: Groenewold bestreitet gar nicht, den Urlaub gebucht und (zunächst) bezahlt zu haben. Sein Anwalt hatte es sogar in einer E-Mail vom 24. Januar an den NDR mitgeteilt.
Im Urteil heißt es dazu:
Der Antragsteller hatte dieses Detail daher selbst “enthüllt”. Die BILD konnte danach insoweit nichts mehr “aufdecken”.
Der NDR selbst hatte daran am 8. Februar, dem Tag der neuerlichen “Enthüllung” durch “Bild”, in einer Pressemitteilung etwas trotzig zu erinnern versucht:
Nach der Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über einen Aufenthalt des heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff in einem Sylter Hotel hat der Anwalt Wulffs am Mittwoch (8.2.) betont, der Sachverhalt sei “längst bekannt” und auf einen Bericht des NDR verwiesen. Am 24. Januar hatte das NDR Fernsehen in der Sendung “Menschen und Schlagzeilen” über zwei Aufenthalte Wulffs auf Sylt berichtet, darunter der Urlaub im Jahr 2007 im Hotel Stadt Hamburg.
Man kann den Beitrag bei ndr.de ansehen, der Hinweis auf den Hotel-Aufenthalt kommt ganz am Ende.
Das Landgericht Berlin führt dazu in seinem Urteil aus:
Die Persönlichkeitsrechtsverletzung ist auch nicht belanglos, da es einen Unterschied macht, ob der Antragsteller, wenn auch auf Rechercheanfrage eines Redakteurs des NDR hin, bereitwillig Auskunft über den Sylt-Aufenthalt erteilt hat und dies der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, oder ob die Geschichte erst durch eine Zeitung “enthüllt” werden musste, also nach dem Verständnis des Lesers ohne Zutun der Betroffenen. Dies gilt zumal in dem gegebenen Kontext, in dem Vorgänge, für die der Antragsteller [David Groenewold] verantwortlich sein soll, zum [sic!] einem abrupten Ende einer Bundespräsidenten-Karriere geführt haben.
“Bild” und Bild.de haben nach unseren Informationen Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Nachtrag, 18 Uhr: ndr.de hat – schon vor der Veröffentlichung unseres Eintrags – einen eigenen Artikel zu der Entscheidung des Gerichts veröffentlicht, in dem auch die Urteile im Wortlaut verlinkt sind:
Griechische Behörden haben Namen und Fotos von elf Prostituierten veröffentlicht, die HIV-positiv sein sollen und im Verdacht stehen, Freier mit dem HI-Virus infiziert zu haben.
“Bild”, die es auch schon mal legitim fand, die HIV-Infektion einer Popsängerin öffentlich zu machen, findet die Aktion in diesem Fall nicht gut und empört sich auf der Titelseite:
Bei Bild.de ist der Artikel, den Paul Ronzheimer, “Pleite-Griechen”-Beauftragter von “Bild”, aus Athen geschickt hat, ein wenig länger.