F. J. Wagner endlich wieder so alt wie Mick Jagger

Zu Ehren von “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner, der heute seinen 65. Geburtstag feiert, wiederholen wir unseren BILDblog-Eintrag von vorvergangener Woche:

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Franz Josef Wagner und die Nebel von Avon

Jedes Jahr um diese Zeit feiert Franz Josef Wagner zwei Geburtstage. Seinen eigenen und den von Mick Jagger. Eine ganz besondere Beziehung verbindet den “Bild”-Autor mit dem Sänger. Kein Wunder: Ihre Biographien weisen verblüffende Parallelen auf.

Beide sind im Sommer 1943 geboren. Beide sind Männer. Jaggers Mutter war Avon-Beraterin, Wagners Mutter Handarbeitslehrerin. Jagger macht Musik, Wagner hört sie.

Zum 60. Geburtstag Jaggers schrieb Wagner in der “Welt”:

Wenn man an 60 denkt, dann denkt man, dass die betreffende Person Schwierigkeiten beim Einparken hat und gelegentliche Unsicherheit im Personengedächtnis. Ich glaube, dass man mit 60 triumphierend jung sein kann — wenn man ein Rock ‘n’ Roller ist. Jeder Orthopäde sagt, dass das Geheimnis die Bewegung sei. Tanzen wir den Tod zum Teufel. Der 60-jährige Mick Jagger tanzt das Leben vor. In einer Woche werde ich 60.

Zum 63. Geburtstag Jaggers schrieb Wagner in “Bild”:

Rock ‘n’ Roll ist ein Lebensentwurf – es ist auch mein Lebensentwurf. Wir rocken uns den Tod weg, die Bandscheibe, die Prostata, die Röchel-Lunge. Ich liebe Mick Jagger nicht nur, weil er “Satisfaction” singt, sondern weil seine Mutter Avon-Beraterin war. Der Sohn einer Avon-Beraterin wird Mick Jagger — was für ein Traum, was für ein Märchen!

Und ein paar Tage später in der “taz”, nach einem Konzert der Stones:

Mick Jagger ist eine Woche älter als ich, er wird am 26. Juli 63, ich am 7. August. Aber es waren viele tausend noch Ältere im Berliner Olympiastadion als wir beide. Vielleicht war es das, was wir feierten: dass die Katastrophen wie Weltuntergang, Raucherkrebs, Prostata, Herz, Venen nicht eingetreten waren und auch in dieser Nacht nicht eintreten würden. (…)

“What can a poor boy do except to sing for a rock’n’roll band”, fragte Mick Jagger vor 40 Jahren in seinem Ur-Song “Street Fighting Man”. Vor 40 Jahren — wo war ich?

Vor 40 Jahren hing ich auch an den Fersen des Glücks. What can a poor boy do … Micks Mutter war Avon-Beraterin, meine Handarbeitslehrerin, sie unterrichtete Mädchen im Stricken und Tischdecken. Da war nicht viel Kohle zu holen. Also, what can a poor boy do?

Er kann Zahnarzt werden, Astronaut werden, er kann sein Leben verschlafen, er kann Mick Jagger werden, oder er kann im Drogenrausch wie der beste Rolling Stone, Brian Jones, im Swimmingpool ertrinken. Er kann ein Gesicht wie Keith Richards kriegen, er kann Bianca Jagger heiraten, Jerry Hall. Er kann sieben Kinder mit vier Frauen zeugen, er kann aber auch als PR-Gag auf eine Palme klettern und herunterfallen. Er kann Boulevard-Reporter werden, Gossen-Goethe. Er kann eigentlich alles werden, wenn er ein Street Fighting Man ist.

Und heute nun wird Mick Jagger 65. Und Franz Josef Wagner, der “Gossen-Goethe”, schreibt in “Bild”:

Sie sind eine Woche älter als ich, heute werden Sie 65, ich am 7. August. Was gibt’s für uns 65-Jährige zu feiern? Zuallererst, dass wir überlebten und Leber, Lunge, Arterien sich bisher nicht bemerkbar machen. Den Genen sei Dank!

Es war im Sommer 62, vor 46 Jahren, als ich Ihren Ursong “Street Fighting Man” zum ersten Mal hörte. Ich war damals ein Junge wie Sie. Ihre Mutter war Avon-Beraterin, meine Mutter war Handarbeitslehrerin. (…) Man konnte damals schnell abgleiten in die Hippie- und Kifferkultur.

Von einem Tag auf den anderen riss mich Ihr “Street Fighting Man” aus dem Kiffen heraus. “What can a poor boy do except to sing for a rock ‘n’ roll band”. (…)

Ihr Song hat mich gerettet. Ihr Song war eine Aufforderung, seine eigene Kraft zu entdecken.

Ja, so war es. Es war dieser Song. Alle, die dabei gewesen waren und heute Zahnärzte sind, Therapeuten, Rechtsanwälte, werden es bestätigen. Es war dieser Song. (…)

Rock ‘n’ Roll hat die Welt immer verbessert. Vor 46 Jahren wurde ich durch Mick Jagger Rock ‘n’ Roller – ich liebe die Freiheit.

Aber was immer Franz Josef Wagner vor 46 Jahren vom rechten Weg abbrachte und ihn veranlasste, einen Karrierepfad einzuschlagen, an dessen Ende er heute täglich einen Brief in der “Bild”-Zeitung schreibt — die Rolling Stones und “Street Fighting Man” waren es nicht. Ihr erstes Album brachten die Stones 1964 heraus. “Street Fighting Man” wurde, inspiriert von den Studentenunruhen in Paris, 1968 aufgenommen und veröffentlicht.

Wann hörte Franz Josef Wagner also mit dem Kiffen auf? Man weiß es nicht. Aber nach dem Konzert der Stones fuhr er mit dem Taxi nach Hause: “Richtung Paris Bar, um mich mit Alkohol noch ein bisschen mehr in Stimmung zu bringen.”

Mit Dank an Steffen B., Manfred L., Maren, Andreas und Map!

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Weiters gratulieren Wagner dpa, der “Kölner Stadtanzeiger”, “RP Online”, die “Berliner Morgenpost” und die Ursula.

“Bild” findet ein H in der Suppe

In einem erstaunlichen Akt hausinterner Kollegenschelte geißelt die “Bild”-Zeitung heute das Fehlen einer funktionierenden Schlusskorrektur im Schwesterblatt “Welt”.

„Erhards soziale Marktwirtschaft ist am Ende“, behauptet DGB-Chef Michael Sommer (56) in einem Beitrag für die „Welt“. Ob er nun recht hat oder nicht, seine Rechtschreibung scheint auch am Ende zu sein. Er schreibt den legendären Vater des deutschen Wirtschaftswunders gleich 6-mal falsch als „Ehrhard“.Nee, doch nicht.

Die Fehler-Expertin geißelt dann doch nur den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, weil der in einem ihr politisch suspekten Gastbeitrag für die gestrige Ausgabe der “Welt” den Namen Ludwig Erhards genauso oft falsch wie richtig geschrieben hat. “Bild” macht ihn zum “Verlierer des Tages” (siehe Ausriss rechts) und “meint”: “Setzen, 6!”

Dass das bei der “Welt” niemandem auffiel, ist allerdings kein Wunder.

Die Erhard-Ehrhard-Schwäche
der “Welt”:

  • “… für Ludwig Ehrhard, jedenfalls …”
    (“Welt”, Leitartikel, 7.5.2007)
  • “… nur Ludwig Ehrhard und …”
    (“Welt”, 20.12.2006)
  • “… gab Ludwig Ehrhard die …”
    (“Welt am Sonntag”, 13.11.2005)
  • “… im Ludwig-Ehrhard-Haus …”
    (“Welt”, 14.10.2005)
  • “… aus. Ehrhard war …”
    (“Welt”, 20.3.2005)
  • “… auf Ludwig Ehrhard hätte …”
    (“Welt”, Leserbrief, 17.3.2005)
  • “… Ludwig Ehrhard, Ordnungspolitiker …”
    (“Welt”, Bildtext, 19.2.2005)
  • “… der Ludwig-Ehrhard-Stiftung …”
    (“Welt am Sonntag”, 22.7.2001)
  • “… Ludwig Ehrhard wusste …”
    (“Welt am Sonntag”, 17.6.2001)
  • “… Millerntor, Ludwig-Ehrhard-Straße …”
    (“Welt”, 5.6.2001)
  • “… Vorgänger Ludwig Ehrhard ein …”
    (“Welt”, 29.6.2000)
  • “… von Ludwig Ehrhard hat …”
    (“Welt”, 14.2.2000)
  • “… Gründergeneration Ludwig Ehrhards geht …”
    (“Welt”, 2.7.1999)
  • “… ohne Ludwig Ehrhard zu …”
    (“Welt”, 22.3.1999)
  • “… ins Ludwig-Ehrhard Haus …”
    (“Welt”, 4.2.1999)
  • “… dem Ludwig-Ehrhard-Haus …”
    (“Welt”, 22.9.1998)
  • “… mit Ludwig Ehrhard die …”
    (“Welt am Sonntag”, 12.7.1998)

Die ausgeprägte Erhard-Ehrhard-Schwäche der “Welt” führte dazu, dass selbst Bundeskanzerlin Angela Merkel in einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2006 “Erhard” laut “Welt” mit zwei H sprach.

Nachtrag, 8. August: In der Aachener Ausgabe der “Bild”-Zeitung findet sich zwei Seiten hinter der “Verlierer des Tages”-Meldung folgende Karte:

Mit Dank an Sebastian G. und seine Freundin!

6 vor 9

1. “Journalisten fallen auf Steinmeiers PR herein”
(ndr.de, Video, 5:27 Minuten)
Die mit dem deutschen Aussenminister Frank-Walter Steinmeier nach Afghanistan mitreisenden Journalisten berichten unkritisch über dessen symbolische Aktionen. So wurde eine Schule für Armeefahrer schon zum dritten Mal eröffnet, ein Trinkwasserprojekt eingeweiht, das seit Jahren in Betrieb ist und eine Altstadt-Sanierung verkündet, die aber nur einen kleinen Teil davon abdeckt.

2. Will tagesschau.de Google News zensieren?
(blog.jan-filter.de)
Der tagesschau.de-Artikel “Wie braune Propaganda zur Nachricht wird” sorgt bei mehreren Bloggern für Unmut. Das Filterblog fragt sich, “wie man sich mit den Positionen der politischen Ränder auseinandersetzen soll, wenn sie totgeschwiegen” werden. “Vielleicht sollen wir uns auf das verlassen, was uns die Tagesschau zu diesem Thema liefert?”. Die Öffentlich-Rechtlichen nennt er “8.000.000.000 Euro teure Pay-TV-Sender, deren Abo keiner von uns legal kündigen kann”.

3. “Transparenz: Glücksache” bei den Rundfunkgebühren
(fr-online.de, Daniel Bouhs)
Ein Journalist verklagt den WDR, um Transparenz bei der Ausgabenpolitik zu erhalten: “Er will wissen, mit welchen dieser Firmen der WDR Geschäfte macht, welche Honorare vereinbart wurden und ob die Aufträge ausgeschrieben wurden.”

4. “John Miller”, Redakteur eines staatlichen chinesischen Mediums
(zeit.de, Steffen Dobbert)
Ein unter dem Namen “John Miller” verdeckter chinesischer Redakteur gibt Auskunft und ernüchtert gleich mal die zum Teil missionarischen Texte vieler westlicher Medien. “ZEIT ONLINE: Kommt vom Protest der westlichen Medien gegen die Zensur etwas in China an? – Miller: Wo denken Sie hin? Das wird hier nicht wahrgenommen und auch nicht gelesen.”

5. “Internet killed the Kochzeitschrift?”
(antsinp.antville.org, herr paulsen)
“Sind Kochzeitschriften also tatsächlich die ersten ‘Print-Opfer’ des Internets?”

6. Norbert Neininger zu news1.ch
(shn.ch, Erwin Küenzi)
Norbert Neininger wird von der Zeitung, der er als Chefredaktor vorsteht, zu seinem neuen Projekt befragt. News1.ch sei mit mehreren 100.000 Franken finanziert: “Der Return on Investment wird durch Onlinewerbung erzielt. Nach einem Jahr sollte die Investitionsphase abgeschlossen sein.”

“Bild”-Reporter bei mieser Recherche erwischt

Ein BILDblog-Leser schilderte uns vorgestern folgendes Erlebnis:

Am heutigen Montag, dem 4. August, hatte ich einen handgeschriebenen Zettel im Briefkasten auf dem stand “Lieber            , bitte ruf mich an Jörg Bergmann” und eine Handynummer (siehe Ausriss). Mein Vater hatte den Zettel gefunden, und weil ich keinen Jörg Bergmann kenne, rief mein Vater die Handy-Nummer an. Er gab sich zunächst als ich aus, reichte das Telefon aber kurz darauf an mich weiter. Der Mann am anderen Ende erklärte kurz, er sei Journalist, und sagte, es ginge um einen gewissen Stefan B. und ob ich mit ihm befreundet sei. Auf meine Frage, für welche Zeitung er denn arbeitet, antwortete der Mann zunächst nur, er sei freier Journalist. Aber ich wollte es genauer wissen und bekam etwas zögerlich zur Antwort: “Konkret für die ‘B.Z.’ und ‘Bild’.”

Ich gab dem Mann deutlich zu verstehen, dass er nichts von mir erfahren wird, und dass er keine Zitate von mir veröffentlichen darf. Daraufhin sagte der Mann, dass das dann so am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde. Mir kam das ein wenig wie eine Drohung vor. Ich sagte dem Mann, dass ich auf keinen Fall Bestandteil der Berichterstattung werden möchte und dass er nicht mehr anrufen soll. Damit war das Gespräch beendet und ich kontaktierte noch einige Leute, die Stefan B. auch kannten, und riet ihnen, nicht mit Journalisten über Stefan B. zu reden. Zum Wohle Stefans, seiner Eltern und ihrem eigenen.

Soweit die Schilderung unseres Lesers.

Gestern fand sich dann folgende Meldung in der “Bild”-Zeitung:

"Abiturient (20) rast gegen Baum – tot!"

Abiturient Stefan B. (20) ist im grünen Skoda seiner Eltern unterwegs. Er ist mit der Schule fertig, wartet auf einen Studienplatz. Medizin oder Psychologie will der Musterschüler (Abischnitt 1,6) vom            -Gymnasium in             studieren. Doch dann rast der junge Mann gegen einen Straßenbaum. (…)

Bergmann in “Bild”:

  • “Sex-Unfall: Foto-Model (20) tot nach Fessel-Spielen”
    (31.7.2008)
  • “Anna (11) in diesem Keller vergewaltigt – Straßenmusiker festgenommen”
    (23.7.2008)
  • “Ihr Herz schlägt jetzt in der Brust eines 7-Jährigen: Michelle (15) totgerast”
    (16.2.2008)
  • “Mädchen (6) auf Schulweg vergewaltigt – Polizei jagt Mann mit weißen Schuhen”
    (31.1.2008)
  • “Liebes-Terror! Anna (13) schickte Prügel-Bande zu ihrem Ex”
    (29.1.2008)

Es ist keine besonders große Geschichte. Vielleicht gab es nichts übermäßig Aufregendes oder gar Skandalöses über Stefan B. zu berichten. Vielleicht hatte Bergmann bei anderen Mitschülern von Stefan B. genauso wenig Glück wie bei unserem Leser. Vielleicht gab es aber auch Wichtigeres.

Anscheinend hat Bergmann aber immerhin ein Foto des tödlich Verunglückten auftreiben können, wie sich aus einem Foto-Nachweis ergibt. Es ist ein wenig unscharf, und Bergmann könnte es aus einem Internet-Angebot wie StudiVZ oder SchülerVZ haben. Das sind bekanntlich beliebte und ergiebige Quellen für “Bild”-Mitarbeiter auf der Suche nach privaten Fotos von Unfall-Opfern. Und bei StudiVZ beispielsweise gibt es tatsächlich diverse Abi-Fotos des Abschlussjahrgangs von Stefan B.

Allerdings ist der junge Mann auf dem “Bild”-Foto, das einen kleinen Ausschnitt eines Gruppenfotos vom Abi-Ball zeigt, nicht der tödlich verunglückte Abiturient Stefan B. Es ist nur ein junger Mann aus demselben Jahrgang. Stefan B. war nach unseren Informationen überhaupt nicht anwesend, als das Foto entstand.

P.S.: Interessanterweise steht nirgends in der “Bild”-Meldung explizit, dass das Foto Stefan B. zeigt. Wir hoffen, das liegt nicht daran, dass man bei der “Bild”-Zeitung wusste, dass das Foto nicht Stefan B. zeigt.

Nachtrag, 18.44 Uhr: Jörg Bergmann teilt uns auf Anfrage mit, er habe das Foto nicht aus dem Internet, sondern aus dem Umfeld von Stefan B. bekommen. Den Umständen nach habe er keine Zweifel gehabt, dass Stefan B. darauf zu sehen sei. Sonst fände er das sehr schlimm.

Nachtrag, 7.8.2008: “Bild” veröffentlicht heute diese Gegendarstellung:

"Gegendarstellung"

Tote Links zu toter Frau

Nachdem die Potsdamer Staatsanwaltschaft am Dienstag vergangener Woche bekannt gegeben hatte, dass eine junge Frau tot aufgefunden wurde und gegen einen Mann wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werde, berichtete auch “Bild” – und zwar…

… am Mittwoch vergangener Woche, am Donnerstag vergangener Woche, am Freitag vergangener Woche, am Samstag vergangener Woche sowie am Montag dieser Woche und am Dienstag dieser Woche.

Alle diese Berichte, verfasst u.a. von “Bild”-Reporter Jörg Bergmann, waren illustriert mit allerlei Fotos, die “Bild” offenbar aus Internetseiten zusammengesucht hatte: “Bild” jedenfalls nannte als Quelle einfach nur “Web”. Und ab Tag 2 der Berichterstattung zeigten alle diese Fotos das Opfer (das mit der Preisgabe privater Daten im Internet – StudiVZ, MySpace etc. – leider nicht zimperlich gewesen ist) ohne jede Unkenntlichmachung. Wollten wir indes die vielen “Bild”-Berichte ohne irgendeine Urheber- und Persönlichkeitsrechtsverletzung zeigen, bliebe davon wohl nicht mehr viel übrig (siehe Beispielausriss).

Heute nun berichtet “Bild” wieder über den Fall, wieder fast seitenfüllend. Aber anders als bisher wird der heutige Bericht nicht mit Fotos des Opfers illustriert. Anders als bisher wird die junge Frau heute auch nicht mehr bei ihrem richtigen Vornamen und abgekürzten Nachnamen genannt, sondern plötzlich:

"Katja Z. (21, Name und Alter geändert)"

Und bei Bild.de sind die bisherigen Veröffentlichungen zum Thema (außer ein paar, in deren URL die, ähm, unbeachtete Aufforderung “ACHTUNG… PIXELN” steht) vollständig aus dem Angebot entfernt.

Erfahrungsgemäß machen “Bild” und Bild.de sowas nicht freiwillig.

Und dass “Bild” nach einer Woche täglicher Berichterstattung auf einmal von selber zur Besinnung gekommen wäre, ist unwahrscheinlich: Über den Mann, gegen den im Zusammenhang mit dem Todesfall ermittelt wird, berichtet “Bild” auch heute wieder ausführlich, vorverurteilend und identifizierbar — und (seit gegen ihn auch wegen Mordes ermittelt wird) auch ohne schwarze Balken oder sonstige Unkenntlichmachung.

Mit Dank auch an die zahlreichen Hinweisgeber.

Allgemein  

Bild.de verliert beim Memory mit Maddie

Selbst wenn man sie Tag für Tag liest, die ganzen unrecherchierten, unredigierten Artikel auf Bild.de, deren Fehler wir in der Masse längst aufgehört haben zu korrigieren — manchmal ist es trotzdem schockierend zu sehen, welche Gleichgültigkeit und Verachtung die Redaktion Tatsachen entgegenbringt. Wie sie nicht einmal das Minimum an Arbeit und Sorgfalt investiert, um bei Artikeln, die sie nur aus anderen Boulevardzeitungen abschreibt oder übersetzt, den Originaltext wenigstens im Kern verstanden zu haben.

Vielleicht ist es auch so, dass Bild.de-Mitarbeiter in diesen Fällen in einer Art redaktionsinternem Memory-Spiel die jeweilige Quelle nur eine Minute gezeigt bekommen und dann mit verbundenen Augen aufschreiben müssen, was sie behalten haben.

Jedenfalls glaubt Bild.de, diese Neuigkeiten über den Fall Maddie aus der britischen Zeitung “Daily Mail” übernommen zu haben:

Aber das Foto, das Bild.de zeigt, ist nicht von der Polizei geheim gehalten worden. Es ist nicht in einem “Supermarkt in Holland” aufgenommen worden. Es wurde auch nicht “nur Stunden nach dem Verschwinden von Madeleine McCann (5) aus der Ferienanlage in Portugal in einem Amsterdamer Geschäft gefilmt”. Und das behauptet auch nicht die “Daily Mail”.

Das Foto, das Bild.de zeigt, ist einen halben Tag nach Maddies Verschwinden in einer Tankstelle in Portugal aufgenommen worden. Es ist ihren Eltern noch am selben Tag gezeigt worden, die sofort ausschlossen, dass es sich um ihre Tochter handele. So berichtet es die “Daily Mail”.

Die “Daily Mail” berichtet in ihrem Artikel auch davon, dass einige Tage später ein Mädchen in einem Geschäft mit Partyartikeln in Amsterdam gesehen worden sei, bei dem es sich um Maddie gehandelt haben könnte. Davon gibt es aber keine Videoaufnahmen oder Fotos. Der “Daily Mail”-Artikel ist also ein Artikel über mehrere Vorfälle.

Die gedruckte “Bild”…

hat es übrigens geschafft, das Foto dem richtigen Land, Zeitpunkt und Vorfall zuzuordnen, fügt aber hinzu: “War es Maddie?” — eine Frage, die die Eltern laut “Daily Mail” längst mit Nein beantwortet haben.

Das ist schon zuviel für die Aufmerksamkeitsspanne der Bild.de-Mitarbeiter. Sie haben die Fakten der beiden Fälle so gründlich durcheinander gewürfelt, dass im Ergebnis nichts mehr stimmt. Sie sind schon an der Aufgabe gescheitert, auf der Grundlage eines Artikels einen eigenen Artikel zu schreiben.

Mit Dank an Vengo für den sachdienlichen Hinweis.

Oder liegt nur ein Fluch auf der “Bild”-Zeitung?

Ein “FLUCH” liegt auf dem Batman-Film, glaubt “Bild”, weil es — spätestens seit dem Autounfall des Schauspielers Morgan Freeman am vergangenen Sonntag — eine “unheimliche Häufung von Unglücksfällen in der Crew des neuen ‘Batman’-Films ‘The Dark Knight'” gebe.

Begonnen hatte die Unglücksserie im September 2007. Bei einem Stunt wurde der Spezialeffekt-Experte Conway Wickliffe (+ 41) aus Versehen erschossen.

“Erschossen”? Wickliffe kam ums Leben, als er im September vergangenen Jahres am Set mit einem Auto in einen Baum fuhr.

Wie kommt “Bild” dann darauf, dass er erschossen wurde? Der Bild.de-Artikel zum Thema gibt einen guten Hinweis. Dort ist ein “Sun”-Artikel verlinkt, in dem es heißt:

Last September special effects technician CONWAY WICKLIFFE, 41, was killed during shooting of a truck stunt near Chertsey, in Surrey.

So gesehen ist es ein Wunder, dass bei den ganzen Schießereien, zu denen es bei der Produktion von Filmen im Englischen regelmäßig kommt, nicht viel mehr passiert.

Mit Dank an Niklas V., Malte L., Jens K., Mutlu Y., Michael M., Jonas G., Robin D., Konstantin, Sven, Axel L., Eugen, Sebastian F. und Tobias R.!

6 vor 9

1. Schweizer Armee im Video-Fieber
(sf.tv, Video, 7:31 Minuten)
Die schweizer Armee kann es nicht verhindern, dass Soldaten immer wieder Videos vom lustigen Armeebetrieb auf YouTube hochladen (Beispiel: “Duschen mit Gasmaske“). Selbst bietet sie auf mediathek.admin.ch (mit Steuergeldern produzierte) PR-Clips in Hollywood-Manier an (Beispiel: “Der Grenadier – semper fidelis“).

2. Ueli Haldimann zur Affäre Schmid/Nef
(cr.blog.sf.tv, Ueli Haldimann)
Der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens stellt drei Hypothesen auf, “woher wohl all die Informationen kamen, mit denen die Story während zwei Wochen am Kochen gehalten wurde. Schon beim ersten Artikel in der SonntagsZeitung fragte ich mich: Wer hat den Kollegen diese Geschichte gesteckt?”

3. “Sie wollen jetzt aber nicht allen Ernstes über meine Haare reden?”
(falter.at, Nina Horaczek und Julia Ortner)
Fernsehjournalistin Ingrid Thurnher muss im Interview mit dem Falter Auskunft geben über ihren Pony, über Groupies und über ihre eventuelle Eitelkeit. Ausserdem beantwortet sie die Frage, ab wann man als Journalist “verhabert” ist: “Ich würde nie mit einem Politiker über Urlaubspläne reden oder beim Heu­rigen versacken.”

4. “Keine Olympia-Filme im Internet”
(tagesschau.de, Sabine Klein)
Tagesschau.de befragt den ARD-Rechtsexperten Christian Blankenburg, warum “Zusammenfassungen der Wettkämpfe, die in der Tagesschau und in den Tagesthemen zu sehen sind, nicht im Internet gezeigt werden” dürfen.

5. “Andys Liebling”
(jetzt.sueddeutsche.de, Andrian Kreye)
“Warhols Zeitschrift ‘Interview’ wieder in der Hand seiner Freunde”

6. “24 mal aufs Auge: internationale Magazincover”
(linksoben.biz, Florian Köppe)
“Ich habe hier eine kleine Auswahl von bekannten Publikumszeitschriften und eher unbekannten Kultur, sowie Designmagazinen zusammengestellt, die durch ein interessantes Äußeres glänzen und uns Inspiration und Lust zum Entdecken neuer Magazine in diesem undurchsichtigen Dschungel geben können.”

Mehr als ein liebes Lied für Heather Mills

Die britische “Daily Mail” berichtet heute über das Lied “My Soul” von Paul McCartney. Offenbar eine Art Liebeslied an seine Ex-Frau Heather Mills. Über den “Rosenkrieg” zwischen McCartney und Mills hatte die britische Boulevardpresse stets ausführlich berichtet – und “Bild” hatte sich stets ausführlich an der Berichterstattung bedient.

"Nach Horror-Scheidung: Paul McCartney. Liebeslied für Heather Mills"Heute berichtet Bild.de, unter Berufung auf die “Daily Mail” über McCartney’s neues Lied “My Soul”. Der Produzent des Liedes sagte der “Daily Mail”:

“Paul hat ein Lied über seine Gefühle zu Heather gemacht und darüber, wie das mit den Paparazzi war, weil niemand seine Version von alldem gehört hat – das wird also das erste mal sein, dass jemand ein Lied über dieses Thema hört. Es ist ein sehr emotionaler und starker Song.”

“My Soul”:

“How could this steal all these feelings? How could they lie to this world? A picture away from your smile. One song displaced. One heart replaced. Feelings defaced. Invade our space. No one left to give us back our time”

Entsprechend erklärt die “Daily Mail” ihren Lesern einige Textzeilen so:

McCartney beklagt sich, dass Fotografen in ihre Privatsphäre eingedrungen sind und dass Lügen über ihre Beziehung verbreitet wurden.

Bild.de indes hat den Teil mit den Lügen und den Fotografen einfach weggelassen – und das Zitat des Produzenten so umgedichtet:

“Es ist ein sehr emotionaler und starker Song – nicht, was die Leute sonst von Paul McCartney gewöhnt sind.”

Mit Dank an Felix F. für den sachdienlichen Hinweis.

Selber doof!

Nicolaus Fest, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, ist jemand, der sich schnell mal ein bisschen in Rage schreibt. Und man muss nicht sein Therapeut sein, um zu ahnen, dass das gestern, als er den “Bild”-Kommentar für heute verfasste, wieder passiert ist.

Doof wie Rogge

Leider verliert Nicolaus Fest mit der Contenance auch gern den Überblick über die Fakten. Und so schreibt er heute über die Versprechungen von Jacques Rogge, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, und die Zensur des Internets durch China:

Statt des versprochenen „freien“ gibt es für die Journalisten am Ort nur den „größtmöglichen“ Internet-Zugang. „Größtmöglich“ ist ein dehnbarer Begriff. Wie die Sperrung der Internet-Seiten von „Frankfurter Allgemeine“, Deutsche Welle oder des britischen Staatssenders BBC zeigt, legen ihn die Chinesen in Richtung „kleinstmöglich“ aus.

Mal abgesehen davon, dass es sich bei der BBC (im Gegensatz zum chinesischen Fernsehen) nicht um einen “Staatssender” handelt, ist das falsch. Die Internetseiten der “FAZ”, der Deutschen Welle und der BBC sind nicht gesperrt — wie unsere heute morgen um 9 Uhr Ortszeit in Peking entstandenen* Screenshots beweisen:

Genau das ist der in der vergangenen Woche erreichte Kompromiss, den Jacques Rogge als “größtmöglichen” Internetzugang bezeichnet hat (und den man mit gutem Recht kritisieren darf): dass diese und viele andere internationale Nachrichtenseiten nicht mehr gesperrt sind und sich die Zensur fast nur noch auf Homepages zum Beispiel von Dissidenten, Tibet-Gruppen und manchen Menschenrechtsorganisationen bezieht.

Und wenn uns jetzt noch ein passendes Wortspiel mit dem Namen des erregt-erratischen “Bild”-Kommentators einfiele, wäre es uns ein Fest.

*) Ja, wirklich.

Mit Dank an Jens W.!

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