Failmeldung

Eine der wichtigsten Vokabeln der heutigen Internetsprache heißt “fail”. Sie ist nahezu universell einsetzbar und ersetzt Formulierungen von “Da hat aber jemand einen (großen) Fehler gemacht” bis “Herr Lehrer, ich weiß was”. “fail” steht häufig in Kurznachrichten von Twitter-Usern, wenn Politiker, Journalisten oder andere Twitter-User etwas nicht verstanden haben.

Zum Beispiel in etlichen der paar Hundert Nachrichten, die am gestrigen Nachmittag und Abend diesen Screenshot von “Focus Online” kommentierten:

Offensichtlich hatte er den Amoklauf vorher auf seinem Computer mit dem Killerspiel "The Sims" simuliert.

“Haha, diese Deppen”, lauteten die impliziten und expliziten Reaktionen nach der Veröffentlichung. “Nennen die ‘The Sims’ ein ‘Killerspiel’ …”

Sims ist jetzt Kllerspiel?! (http://bit.ly/3rl1zq ) ... (via @Zellmi) #focus ist das neue #fail - Focus Online, das ist einfach arm: Offenbar hatte er den Amoklauf vorher mit dem KILLERSPIEL the Sims simuliert! - RT: SIMS #Killerspiel ? Besteht #Lobotomiepflicht beim Focus ?

Blöd nur: Der angebliche Screenshot von “Focus Online” war wohl keiner.

Im Artikel, zu dem der angebliche Teaser gehört, fehlt jeder Hinweis auf irgendein Computerspiel. Aber klar: Der könnte nachträglich entfernt worden sein, genauso wie die Leserkommentare zum Thema “Killerspiele”, von denen jede Spur fehlt.

“Focus Online” verwendet aber auch keine Absätze in seinen Teasern. Gut, das könnte im Eifer des Gefechts passiert sein.

Aber dann stimmen auch die Zeilenabstände nicht und überhaupt benutzt “Focus Online” ganz andere Anführungszeichen:

Die üblichen Anführungszeichen von "Focus Online"

Es hätte also genug Gründe gegeben, skeptisch zu sein. Aber die Leute, die den Medien vorwerfen, unkritisch zu sein und nur aufzuschreiben, was ihnen in den Kram passt, waren unkritisch und schrieben genau das auf, was ihnen in den Kram passte: “fail” eben.

Auch jetzt – Stunden, nachdem namhafte Twitterer mit vielen Followern den Screenshot als Fake entlarvt haben – gehen immer noch neue Tweets online, die die Mär verbreiten, dass “The Sims” bei “Focus Online” als “Killerspiel” bezeichnet worden sei.

Die Medien machen zu oft Fehler und gehen zu schlecht damit um, darum bloggen wir hier. Aber nicht alles, was wie ein Fehler aussieht, ist auch einer. Unser Ziel ist nicht, dass die Leute denken, alles was in den Medien steht, sei falsch, sondern dass die Leute kritisch sind. Das betrifft aber auch den Umgang mit anderen Quellen.

Nachtrag, 12:50 Uhr: Inzwischen haben wir auch eine offizielle Bestätigung von “Focus Online” erhalten, dass es sich bei dem “Screenshot” um einen Fake handelt.

Ernüchternd

Falls Sie sich immer schon gefragt haben, was eigentlich aus dem guten, alten Spiel “Stille Post” geworden ist: Das gibt es immer noch, es heißt nur anders.

Dass die Schauspielerin Kristin Davis in früheren Jahren ein Alkoholproblem hatte, ist Interessierten spätestens seit Mai 2008 bekannt, als sie in einem Interview mit der Zeitschrift “Marie Claire” darüber sprach.

Frau Davis hat nun “In Touch”, dem People-Magazin des Heinrich-Bauer-Verlags, ein Interview gegeben, in dem sie auch noch einmal auf das Thema Alkohol zu sprechen kommt.

In der Pressemitteilung, die “In Touch” gestern verschickte, steht aber natürlich nicht, dass Davis “noch einmal” darüber gesprochen habe. Nein, unter der Überschrift “Kristin Davis exklusiv in InTouch: ‘Ich hatte ein schweres Alkohol-Problem'” heißt es:

Doch auch Kristin hat eine schwere Zeit durchgemacht, wie sie InTouch verrät: “Als Teenager hatte ich ein schweres Alkohol-Problem.”

Die Deutsche Presseagentur (DPA) frisierte die Pressemitteilung ein wenig um und tickerte:

“Als Teenager hatte ich ein schweres Alkoholproblem”, verriet die 44 Jahre alte Schauspielerin dem Magazin “InTouch”.

Bei “Spiegel Online” wiederum griff man auf die DPA-Meldung zurück und sorgte auch direkt für die richtige irgendeine zeitliche Einordnung:

Als Jugendliche war sie abhängig von Alkohol, wie sie nun offenbart hat.

PS: Interessanterweise hat es Gala.de geschafft, die Meldung vom Anschein des Neuen, Exklusiven zu befreien. Ob beabsichtigt oder nicht — dort heißt es einigermaßen schlicht:

Im Interview mit der “In Touch” erzählt die 44-Jährige ganz offen von ihren Jugendsünden: “Als Teenager hatte ich ein schweres Alkoholproblem. Ich habe aus demselben Grund getrunken, aus dem ich Schauspielerin geworden bin: Ich wollte mich selbst ausdrücken und frei sein.”

Mit dem beruflichen Erfolg konnte Kristin die dunkle Vergangenheit hinter sich lassen, ein Geheimnis machte sie aus ihrer überwundenen Sucht aber nie.

Mit Dank an Sigrid N.

Spillmann, Voß, Lobo

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Markus Spillmann
(persoenlich.com, Adrian Schräder und Christian Lüscher)
Die “Neue Zürcher Zeitung” wird am 23. September einem Relaunch unterzogen. Chefredakteur Markus Spillmann: “Wir leben nicht mehr in den Neunziger Jahren. Die fetten Jahre sind vorbei! Diese Botschaft ist unterdessen hoffentlich überall angekommen.”

2. “PR-Schule – Journalisten als Aushängeschilder”
(ndr.de, Video, 8:22 Minuten)
Der ehemalige Intendant des SWR, Peter Voß, gibt sich auf der Homepage der Quadriga Hochschule Berlin als Botschafter der PR-Ausbildungsstätte und ist dort auch im Präsidium. Die medienkritische Sendung Zapp dazu: “Eine Verbindung, die sich eigentlich verbietet.”

3. “ZDF sagt ‘Berliner Runde’ ab”
(zeit.de)
Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier reicht das “TV-Duell” letzten Sonntag. Sie verweigern dem ZDF eine Teilnahme an einer “Berliner Runde” – worauf das ZDF die Sendung streicht. Chefredakteur Nikolaus Brender: “Die Verweigerung von Kanzlerin und Kanzlerkandidat beschädigt die demokratische Kultur.”

4. Interview mit Ai Weiwei
(sueddeutsche.de, H. Bork)
Der bekannte chinesische Künstler Ai Weiwei liegt in Deutschland im Krankenhaus. Ein chinesischer Polizist schlug ihm hart ins Gesicht, “auf den rechten Wangenknochen”. Seinen aktuellen Zustand dokumentiert er auf twitter.com/aiww: “Vor drei Jahren hatte ich einen Blog, aber der wurde ein halbes Jahr lang vom Netz genommen. Da begann ich, Twitter zu nutzen.”

5. “7 Ways to Make News Sites More Social”
(mashable.com, Vadim Lavrusik, englisch)
7 Wege, News-Websites mit mehr sozialen Funktionen auszustatten.

6. Gespräch zwischen Tiedje, Schumacher und Lobo
(n24.de, Video, 28:52 Minuten)
Hajo Schumacher und Ex-“Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje sprechen mit Werber Sascha Lobo über das Internet. Ein unterhaltsames Gespräch, in dem Lobo für eigentlich alles, was im Internet passiert, verantwortlich gemacht zu werden scheint.

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (2)

Am Dienstag griff das Bundeskriminalamt zu einer harten Maßnahme, mit der es aber schon einmal erfolgreich gewesen war: Nachdem es in den Besitz von kinderpornographischen Videos gekommen war, gab das BKA ein Foto des mutmaßlichen Kinderschänders an die Medien heraus und veröffentlichte eine Fahndung nach dem Unbekannten. Dabei stufte die Behörde den Fall nicht nur als “normale” Fahndung ein, sondern bewertete den Mann als eine der “meistgesuchten Personen”.

Einen Tag darauf meldeten die Medien, die durch die Veröffentlichung der Fahndung und des Fotos fleißig an der Fahndung mitgewirkt hatten, stolz einen Erfolg: Der Mann wurde festgenommen. “Die Handschellen klickten”, titelte beispielsweise sueddeutsche.de, während “Welt Online” in der Überschrift auf eine Unschuldsvermutung praktischerweise gleich verzichtete und meldete: “Kinderschänder nach Fahndung gefasst”.

Und zudem im Text berichtete:

Am Mittwoch bat das BKA die Medien, die veröffentlichten Videos, Bilder und Stimmproben nicht weiter zu verwenden und aus allen Internetportalen zu entfernen.

Gelesen hat den Text in der Redaktion allerdings anscheinend wohl niemand, denn auch jetzt noch prangt das Foto bei “Welt Online” unverpixelt in voller Breite im Fahndungsartikel, bei sueddeutsche.de auch im Artikel über die “erfolgreiche Fahndung”. Auf Bild.de kann man den (nicht mehr) Gesuchten sowohl auf einem Foto, als auch im Bewegtbild ansehen — ebenso wie übrigens immer noch einen mutmaßlichen und inzwischen gefassten Kinderschänder auf Videoaufnahmen, um deren Entfernung das BKA schon vor über einem Monat gebeten hatte.

Was allerdings noch viel gravierender ist: Der Mann ist wegen der Videos, wegen derer er nun für einen Tag zu einer der “meistgesuchten Personen” wurde, längst verurteilt worden. 1994 war er zweieinhalb Jahre in einer psychiatrischen Klinik; heute lebt er in einer Einrichtung für betreutes Wohnen — und hat sich seit seiner Verurteilung vor 15 Jahren nichts mehr zuschulden kommen. Das BKA hat inzwischen auch offiziell bestätigt, was (ausgerechnet) Bild.de schon im Laufe des Nachmittags berichtet hatte. Wenn das kein Grund ist, die Fotos des Mannes besonders schnell und gründlich aus dem eigenen Archiv zu entfernen, was dann?

Und das vermeintlich seriöse Internetangebot der “Süddeutschen Zeitung” verlinkt immer noch auf seiner Startseite den Artikel mit dem unverpixelten Foto des Mannes und der Dachzeile “erfolgreiche Fahndung”. Der Hinweis, dass es diese Fahndung des BKA nie und nimmer hätte geben dürfen und es sich vielmehr um einen gravierenden Fehler des BKA gehandelt hat, findet sich nur klein und versteckt im automatisch von Agenturen befüllten “Newsticker”.

Das BKA hingegen müsste allmählich wissen, dass seine Bitte, Fahndungsbilder wieder zu entfernen, von den Medien ignoriert werden. Was sie einmal haben, das behalten sie auch und zeigen es für immer. Das ist nicht neu.

Mit Dank an Martin S., Armin E. und JB!

Nachtrag, 17.9., 10.06 Uhr: Sueddeutsche.de berichtet inzwischen ebenfalls über die Fahndungspanne. Muss man erwähnen, dass das Foto weiterhin zu sehen ist?

Lokal-Terrorismus

Es war eine sehr überraschende neue Entwicklung im Prozess gegen die sogenannte “Sauerland-Gruppe”, von der ddp und Bild.de da gestern zu berichten wussten:

Neue Aussagen im Terror-Prozess: Sauerland-Bomber wollten den Papst in die Luft sprengen

Die Gruppe habe sich in diesem Gespräch bezüglich der angedachten Ziele gegenseitig “hochgesteigert”, berichtete S. vor Gericht. Sogar der Papst sei genannt worden.

Genau genommen war die Entwicklung sogar so überraschend, dass selbst “ARD-Terrorismusexperte” Holger Schmidt, der den Prozess von Beginn an verfolgt, davon nichts mitbekommen hatte.

Inzwischen ist sich Schmidt aber sicher, woran das gelegen hat:

Nach weiteren Diskussionen um das vermeintliche Papstattentat der Sauerlandgruppe ist eine naheliegende Lösung aufgetaucht: Daniel Schneider sprach von Pubs.

(Link von uns)

Kleine Schwächen in Detailfragen

Es würde vielleicht nicht alles, aber zumindest vieles erklären: Bild.de wird offenbar in einem Paralleluniversum mit Inhalten gefüllt. Oder zumindest in einem Paralleldeutschland.

Von gestern Abend bis heute früh rief Bild.de seine Leser auf der Startseite dazu auf, einen Appell an den Bundeskanzler zu unterschreiben:

S-Bahn-Mord: BILD fordert Orden für toten Helden. Unterschreiben Sie hier den Appell an den Bundeskanzler.

(Gemeint war übrigens der Bundespräsident.)

Und aus dem ohnehin spannungsarmen Wahlkampf innerhalb der großen Koalition wurde heute fast fünfzig Minuten lang ein parteiinterner:

Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (SPD) hat auch ihr SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier die Teilnahme an weiteren Fernsehdebatten vor der Bundestagswahl am 27. September abgesagt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:04 Uhr: “Angela Merkel (SPD)” stammte offenbar aus einer dpa-Meldung, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bei Bild.de allerdings schon von der Nachrichtenagentur korrigiert worden war.

Mit Dank an Stefan K.

Schächter, Kuba, Asse

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Markus Schächter
(falter.at, Ingrid Brodnig)
Auf die Frage “Gehört das Internet überhaupt noch zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?” antwortet der ZDF-Intendant Markus Schächter: “Selbstverständlich. Sowohl die EU wie auch das Bundesverfassungsgericht haben eindeutig bestätigt, dass unser Programmauftrag technologieneutral ist. Das schließt den Onlinebereich ein.” Wären bei einem technologieneutralen Programmauftrag nicht auch öffentlich-rechtliche Zeitungen denkbar?

2. “Brauchen Bundesratswahlen Wahlkämpfe?”
(politreport.ch, Andreas Hugi)
Heute wird in der Schweiz einer von sieben Bundesräten (vergleichbar mit Ministern) durch das Parlament gewählt: “Ein Einfluss der Medien auf die Vergabe der Bundesratssitze wächst stetig.”

3. “Sieben Kontroversen zur Zukunft des Journalismus”
(zeit.de, Tina Klopp)
Tina Klopp stellt mehrere Finanzierungsmöglichkeiten von Journalismus im Netz gegeneinander auf.

4. “Kubanische Blogger”
(sueddeutsche.de, Julia Woehrle)
Blogger in Kuba kämpfen gegen staatliche Überwachung und mit schlechten und teuren Internetzugängen: “Die Hoffnung auf Wandel ist klein, aber es gibt sie. Einige Blogger verweisen darauf, dass private Internetanschlüsse in Kuba nicht mehr illegal seien. Auch wenn die monatlichen Kosten von circa 45 Euro – bei einem Monatslohn von knapp 12 Euro – ohne Auslandshilfe unbezahlbar sind.”

5. Interview mit Uwe Kammann
(dradio.de, Petra Ensminger)
Der Direktor des Adolf-Grimme-Instituts zum TV-Duell: “Vier Moderatoren und zwei Kandidaten, das ist viel zu viel und die vier hatten dazu noch das Problem mit sich selber. Es ist eine Art von Markt-Schaulaufen, wer ist denn der beste, der witzigste, der frechste, und das hat den Rhythmus und die Erkenntnis, die man daraus ziehen konnte, bei den Fragen und Antworten dann sehr stark gemindert.”

6. “Das Lügengrab”
(zeit.de, Roland Kirbach)
“Schon bald könnte der niedersächsische Salzstock Asse einstürzen und Atommüll aus 126.000 Fässern freisetzen. Über Jahrzehnte haben alle, die Energiewirtschaft, die Politik und die Wissenschaft, die Öffentlichkeit getäuscht.”

Das Entführungsopfer aus dem Katalog

In der neuen Ausgabe des “Spiegel” wird ziemlich anschaulich darüber berichtet, welche Form von journalistischem Elendstourismus der Entführungsfall Jaycee Dugard in den USA vor Ort ausgelöst hat. Jeder, der was zu sagen hat, wird honoriert und zitiert. Und sogar die, die nichts zu sagen haben, kommen zu Wort — wie das eben so ist bei eher dünnen Nachrichtenlagen.

Auch die “Bild”-Zeitung will ihren Lesern keineswegs die sensationellsten Sensationen im Fall Jaycee vorenthalten. Und stellt eine interessante Frage:

Schreenshot_bild.de

Bild.de begründet diesen, nunja, Verdacht damit, dass… also… naja, die Frau ist blond, könnte in etwa in Jaycees Alter sein, außerdem hatte ihr Entführer dieses Bild auf seiner Visitenkarte — und ein Geschäftspartner des Entführers sagte: Ja, das könnte Jaycee sein! Muss erst mal reichen.

Hätte “Bild” sich ein wenig Zeit für Recherche genommen… ach, was reden wir denn da. Die Antwort lautet: nein. Wer diese junge Frau ist, wissen wir zwar auch nicht genau, aber dafür, woher das Foto stammt: von einer CD “Art Explosion”  (250.000 Images), einer Bilder- und Grafiksammlung, wie man sie über unzählige Agenturen bestellen kann und die in erster Linie dann dafür da ist, optische Elemente in Katalogen zu setzen. Oder auch auf Webseiten wie beispielsweise in Online-Shops:*


*) Inzwischen — warum auch immer — entfernt.

Nun könnte man sagen: Missverständnis, kann man ja nicht ahnen — und steht ja auch so ähnlich in anderen Medien … aber “Bild” weiß spätestens seit Montag, dass es sich unmöglich um Jaycee handeln kann. Am Montag nämlich meldete sich eine Leserin bei “Bild” mitsamt zwei Fotos von der CD — und bat “Bild” um eine Stellungnahme. Die kam nicht, stattdessen hat “Bild.de” die vermeintliche Jaycee jetzt auch noch in eine Bildergalerie eingebaut:

Mit Dank an Alicja!

dpa  

Lehren aus Bluewater

Die Nachrichtenagentur dpa hat Konsequenzen aus dem “Bluewater”-Debakel der vergangenen Woche gezogen. Sie war in der vergangenen Woche erstaunlich treuherzig und hartnäckig auf die Falschmeldung von einem echten oder vorgetäuschten Selbstmordanschlag in einer amerikanischen Kleinstadt hereingefallen (BILDblog berichtete: Teil 1, Teil 2).

Vor allem wurde der einfache journalistische Grundsatz missachtet: Eine Story, die zu gut ist, um wahr zu sein, ist vermutlich genau dies: nicht wahr.

Wolfgang Büchner

Der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Büchner, der erst vor wenigen Monaten von “Spiegel Online” zu der Agentur gewechselt ist, formulierte “sechs Lehren aus Bluewater”, die im Intranet von dpa veröffentlicht wurden und BILDblog vorliegen. Zum Teil handelt es sich um bloße Erinnerungen an klassische journalistische Grundsätze wie den, dass Richtigkeit vor Schnelligkeit geht. Büchner stellt aber auch dezidierte Regeln auf, wie mit exklusiven Informationen und zweifelhaften Quellen zu verfahren sei. Außerdem sollen die dpa-Redakteure in Zukunft ein Werkzeug an die Hand bekommen, das ihnen helfen soll, die Authentizität einer Internetseite richtig einzuschätzen.

Sechs Lehren aus Bluewater

Bei der Berichterstattung über den erfundenen Terroranschlag von Bluewater sind uns schwere Fehler unterlaufen.

Vor allem wurde der einfache journalistische Grundsatz missachtet: Eine Story, die zu gut ist, um wahr zu sein, ist vermutlich genau dies: nicht wahr. Es ist absolut unplausibel, dass die dpa als einziges Medium exklusiv von einem Terroranschlag in den USA erfährt und dort nur ein lokaler TV-Sender darüber berichtet. Je größer und unwahrscheinlicher eine Story ist, desto gründlicher müssen wir sie überprüfen.

Wir haben darüber hinaus organisatorisch nicht angemessen auf die Lage reagiert. Eine Nachricht dieser Potenz darf niemals nebenbei von einem Slot bearbeitet werden.

Daher gelten ab sofort schärfere Regeln für den Umgang mit exklusiven Informationen:

Im Wettbewerb mit der Konkurrenz geht Richtigkeit immer vor Geschwindigkeit.

Organisation: bei exklusiven Informationen, die das Potenzial haben, zur Nachricht des Tages zu werden, werden künftig sofort vom CvD/Ressortleiter mindestens zwei Mitarbeiter zur Verifizierung von Informationen und Recherche freigestellt. Diese Taskforce widmet sich dann ausschließlich der Berichterstattung über dieses Thema. Das gilt auch in dem Fall, dass der dpa ein schwerer Fehler unterlaufen ist und dieser aufbereitet und gegenüber den Kunden dokumentiert werden muss.

Ortskompetenz: Der ortsansässige Korrespondent wird immer hinzugezogen – unabhängig von der Uhrzeit.

Recherche: Bei zweifelhafter Quellenlage ist die Berichterstattung über einen zusätzlichen “Ring der Überprüfung” abzusichern. Nicht nur die lokale Behörde, sondern mindestens eine übergeordnete Stelle muss die Information bestätigen können (z.B. in den USA die Heimatschutzbehörde oder der jeweilige Bundesstaat). Bei Auslandsthemen sind unbedingt die großen nationalen Medien zu beobachten. Bestehen Zweifel an der Identität eines Anrufers oder an der Richtigkeit einer Telefonnummer, lohnt parallel der Weg über die Auskunft.

Internetquellen: Jeder Mitarbeiter soll in die Lage versetzt werden, die Echtheit von Domains kompetent zu überprüfen. Die dpa-infocom entwickelt ein neues, einfach zu bedienendes Überprüfungs-Tool, mit dem jeder Mitarbeiter einen ersten Plausibilitätscheck vornehmen kann.

Transparenz: Tauchen Zweifel an der Korrektheit gesendeter Meldungen auf, sind unsere Kunden von Anfang an per Achtungshinweis zu informieren. Auch wenn vielleicht noch viele Fragen ungeklärt sind – die Bezieher des dpa-Dienstes werden so früh wie möglich in einem Achtungshinweis informiert. Dieser kann nach folgendem Strickmuster formuliert sein: “Es gibt berechtigte Hinweise, dass … Bitte verwenden Sie die Meldung 0000 deshalb vorerst nicht. Die dpa prüft … und wird Sie informieren, sobald es neue Erkenntnisse gibt.” (…)

Wolfgang Büchner
11.09.2009

TV-Duelle, Kamera-Kriege, Krisen-Thesen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “TV-Duell: Eine journalistische Katastrophe “
(blog.zeit.de, Jörg Lau)
Jörg Lau ist mit den Moderatoren des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier nicht zufrieden: “Statt die Kontrahenten zu den Inhalten zu befragen, wurde sofort auf die Metaebene ausgewichen: Sind Sie nicht ein altes Ehepaar? Wann wird der Wahlkampf endlich unterhaltend? (Als ginge es darum!) Wollen Sie nicht in Wahrheit eine zweite Große Koalition gründen? (Als wäre das nicht dem Wähler vorbehalten.)”

2. “Haben Sie doch Interesse!”
(faz.net, Jürgen Kaube)
Jürgen Kaube bemerkt: “Maybrit Illner und Frank Plasberg unterbrachen die Kandidaten mitunter nachgerade, als hätten die Moderatoren sich nicht nur die Fragen, sondern auch gleich noch die richtigen Reaktionen notiert und stellten nun unwirsch fest, dass das Personal falsch antworte.”

3. “Der TV-Journalismus hat verloren”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Und auch Robin Meyer-Lucht sieht den Journalismus als Verlierer des Abends: “Das ‘Duell’ war nicht die Feier einer Fernsehkultur, wie es sich die Veranstalter erhofft hatten. Es war der Bankrott eines TV-Journalismus, der sich in den letzten Jahren zum dominanten Paradigma der Bewegtbild-Politikvermittlung hochgedient hat.”

4. “Der Krieg der Kameras”
(blogs.sueddeutsche.de/schaltzentrale, Johannes Boie)
Johannes Boie kritisiert die Veröffentlichung eines nicht-anonymisierten Videos (das kurzzeitig auch bei ihm zu sehen war, wie er in den Kommentaren zugibt): “Auf den Videos, die vor allem von Datenschutzaktivisten verbreitet werden, ist zum Beispiel keine Person anonymisiert. So sehr man den Polizisten beim Anblick der Schläge auch eine harte Bestrafung wünscht, hätte es nicht gereicht, den Ermittlungsbehörden die Gesichter des Polizisten zu zeigen?”

5. 5 Krisen-Thesen
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen liefert fünf ausführliche Thesen zur Zeitungskrise: “1. Der Leser wird zum Nutzer, 2. Zeitungen sind viel mehr als bloße Mittler zwischen Anzeigenkunden und Lesern, 3. Erfolgreiche Zeitungen verkaufen nicht nur Nachrichten, 4. Es geht um Zugang, nicht um Content” und “5. Der aktive Rezipient wird zum (zahlenden) Mitglied.”

6. “Eleven Things I’d Do If I Ran a News Organization”
(mediactive.com, Dan Gillmor)
Und Dan Gillmor zählt 11 Dinge auf, die er tun würde, wenn er ein Nachrichtenunternehmen führen würde.

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