Ein schlechter Clausewitz

Vom preussischen General Carl von Clausewitz ist die Begriffsbestimmung überliefert, Krieg sei “eine bloße Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel”. Wenn es allerdings nach dem US-amerikanischen Autor Daniel Pipes ginge, dann wäre Krieg die Beschwichtigung innenpolitischer Widersacher und die Ablenkungen von wirtschaftspolitischen Problemen durch einen militärtaktisch sehr fragwürdigen Angriff — zumindest wenn man Pipes’ mittlerweile aus dem Netz genommenen Beitrag bei “Welt Debatte” (der im Google Cache und auf Pipes’ Homepage weiterhin zu finden ist) beim Wort nimmt:

BRENNPUNKT NAHOST - Barack Obama sollte den Iran bombardieren. Von Daniel Pipes. Barack Obamas Umfragewerte stürzen in den Keller. Bei den Themen Arbeitslosigkeit und Gesundheitssystem ist er gescheitert, zudem hat er drei Nachwahlen verloren. Eine dramatische Geste ist nötig, um die öffentliche Wahrnehmung zu ändern. Er muss Befehl geben, die iranischen Atomwaffen zu zerstören.

Nun sollte man von dieser Stellungnahme nicht sonderlich überrascht sein: Daniel Pipes, Gründer und Leiter des konservativen amerikanischen Think Tanks “Middle East Forum”, ist nicht eben dafür bekannt, sonderlich ausgewogene, differenzierte Urteile von sich zu geben — eher im Gegenteil. Vor Kurzem erklärte Pipes dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders seine Solidarität. Und 2008 hatte er nahegelegt, Barack Obama sei früher Moslem gewesen (wenn auch ohne es zu wissen).

Die Leser von “Welt Online” allerdings mussten von diesem Kommentar durchaus irritiert sein: Mit keinem Wort wurde der umstrittene Autor des Textes vorgestellt. Und auch dass der Text ursprünglich für die konservative US-amerikanische “National Review” geschrieben wurde, war auf “Welt Online” nicht in Erfahrung zu bringen.

Noch erstaunlicher waren nur Pipes Forderungen: Barack Obama, schrieb Pipes, solle nämlich dringend den Iran bzw. dessen Atomprogramm bombardieren. Aber nicht etwa um Israel zu unterstützten oder zu verhindern, dass die autokratisch-religiöse Führung in Teheran zur Atommacht wird, nein. Sondern um Barack Obamas Popularität in den USA einen Schub zu verpassen:

So, wie 9/11 die Wähler das Umherirren der ersten Monate George W. Bushs vergessen ließ, würde ein Schlag gegen die iranischen Anlagen Obamas schwaches erstes Jahr in der Versenkung verschwinden lassen und die innenpolitische Szene umgestalten. Es würde die Gesundheitsreform zur Seite schieben, die Republikaner veranlassen mit den Demokraten zusammenzuarbeiten, Netroots kreischen, Unabhängige umdenken und Konservative in Verzückung geraten lassen.

Selbst wenn man Pipes im Hinblick auf die Gefährlichkeit einer “Atommacht Iran” folgen mag: Trotz der von Pipes herbeizitierten Umfragen erscheint es eher fraglich, dass Obama tatsächlich gerade dadurch an Zustimmung gewinnen würde, dass er einen weiteren Militäreinsatz vom Zaun bräche. Überhaupt scheint Pipes mit seiner Forderung, von innenpolitischen Problemen durch einen Militärschlag abzulenken, das Drehbuch von “Wag the Dog” in Sachen Zynismus in den Schatten stellen zu wollen. Pipes Ausführungen sind derart krude, dass selbst unter den Kommentatoren auf Welt Online der Verdacht aufkam, es könne sich bei dem Beitrag eigentlich nur um einen schlechten Scherz handeln.

Als wäre das aber nicht genug, gibt sich Daniel Pipes auch militärisch äußerst unwissend, wenn er über die Rahmenbedingungen eines solchen Angriffs schreibt:

Es gibt eine solche Gelegenheit: Obama kann dem US-Militär den Befehl geben die iranische Atomwaffen-Kapazitäten zu zerstören. […]

Würde der US-Schlag auf die Ausschaltung der iranischen Atomanlagen begrenzt und keinen Regime Change anstreben, würde er wenig “Personal vor Ort” benötigen und relative wenige Verluste mit sich bringen, was einen Angriff politisch verdaubarer macht.

Wenn’s denn so einfach wäre. Was Pipes offenbar vorschwebt, ist ein Angriff nach Vorbild der “Operation Opera” aus dem Jahr 1981. Damals hatte das israelische Militär an einem Sonntagnachmittag mit acht Kampfflugzeugen das gesamte irakische Atomprogramm ein für allemal zerstört.

Was Pipes allerdings unterschlägt: Der Iran 2010 ist nicht der Irak ’81. Und vor allem hat die Führung im Iran von dem Einsatz gegen den Irak gelernt. Erst Ende des vergangenen Jahres wurden unterirdische Atomanlagen im Iran in der Nähe der Stadt Qom bekannt. Israelische Experten, schreibt etwa der “Economist”, gehen davon aus, dass das iranisch Atomprogramm nicht nur dezentral organisiert ist, sondern zudem auch maßgeblich unterirdisch vollzogen wird. Und damit vor exakt der Art von Luftschlag gefeit ist, den Pipes vorschlägt.

Selbst wenn Barack Obama also glauben würde, dass ausgerechnet ein Militäreinsatz seine Beliebtheit steigern würde, und wenn es zudem strategisch schlau wäre, nach dem Irak auch noch den Iran und damit die zweite Großmacht im Nahen Osten zu destabilisieren -– es wäre mehr als fraglich ob der von Pipes geforderte Angriff militärisch überhaupt möglich wäre.

Dass Pipes’ Beitrag außerdem eher schlecht als recht aus dem Englischen übersetzt wurde, macht die Angelegenheit nur noch verworrener: Wo Pipes über Obamas Politik im Original “his counterterrorism record barely passes the laugh test” schrieb, stellt er auf Deutsch fest:

Seine Bilanz bei der Terrorbekämpfung besteht kaum einen Albernheitstest.

Was auch immer so ein Albernheitstest sein mag: Daniel Pipes’ Forderungen bestünden ihn mit Sicherheit nicht. Den Verantwortlichen bei “Welt Online” immerhin scheint das Lachen schnell vergangen zu sein.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Die kleinere Hälfte

Ein alter Schüler-Witz:

Verzweifelt steht ein Mathematiklehrer vor seiner Klasse: “Wie oft soll ich Euch noch erklären, dass es keine kleinere und keine größere Hälfte gibt?”, fragt er erbost. “Aber warum sage ich Euch das – die größere Hälfte von Euch wird es eh nie verstehen!”

Was soll diese lahme Pointe an dieser Stelle? Nun: Vor zwei Wochen berichteten wir über die irreführenden Berichte nach der Wahl eines Republikaners in den US-Senat.

Doch zumindest die kleinere Hälfte der Journalisten hat immer noch nicht verstanden, dass die Partei des US-Präsidenten Obama damals zwar einen wichtigen Sitz im Senat verloren hat, aber immer noch über die weitaus größere Hälfte der Sitze in dem Parlament verfügt. Dass Obama zwar nicht mehr mit einer strategischen 60-Prozent-Mehrheit legislative Störmanöver der politischen Gegner von vornherein unterbinden kann, aber dennoch mit 59 von 100 Sitzen über eine komfortable absolute Mehrheit im US-Senat verfügt.

tagesschau.de berichtet über ein Treffen der radikalen Rechten:

So haben sie beispielsweise Scott Brown, den republikanischen Kandidaten für das Senatorenamt in Massachussetts, unterstützt. Mit Erfolg: Die Demokraten haben seitdem ihre Mehrheit im US-Senat verloren.

Ins gleiche Horn stößt der “Tagesspiegel”, als er sich der US-Klimapolitik widmet:

Nachdem die Partei des amerikanischen Präsidenten Barack Obama bei einer Nachwahl vor kurzem ihre Mehrheit im Senat verloren hat, ist es noch schwerer geworden, dort das ohnehin nicht besonders ambitionierte Klimagesetz durchzubringen

Bei “20 Minuten” hat man sich immerhin erinnert, dass etwas Besonderes an der verlorenen Mehrheit war. Nur was das war, das hat man vergessen:

Das ist umso wichtiger, seit Barack Obama die absolute Mehrheit im Senat verloren hat.

Aber warum sagen wir das — die kleinere Hälfte wird eh schreiben, was sie will.

Mit Dank auch an David K.

Nachtrag, 6. Februar: Tagesschau.de hat den Fehler inzwischen korrigiert.

Dokusoaps, Neandertaler, Neda

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Schluss mit den Grundrechten”
(fernsehkritik.tv/blog)
Fernsehkritik.tv präsentiert Auszüge aus einem mit einer Dokusoap-Produktionsfirma abgeschlossenen Vertrag. Einer der Punkte lautet: “Der Vertragspartner soll während des Produktionszeitraumes frei agieren und dabei lediglich mit der Kamera begleitet werden. Der Produzent wird dem Vertragspartner dementsprechend keine von ihm zu sprechenden Texte vorgeben. Der Produzent wird dem Vertragspartner bei Bedarf inhaltliche Vorschläge unterbreiten. Nimmt der Vertragspartner diese Vorschläge an, so geschieht dies auf rein freiwiliger Basis.”

2. “Freie Journalisten bekommen nur selten Journalistenpreise. Warum?”
(freischreiber.de)
Freischreiber, ein Berufsverband von freien Journalisten, glaubt, dass “freie Journalisten bei Preisverleihungen meistens leer ausgehen” und stellt dazu Vermutungen an.

3. “Digitale Neandertaler”
(sueddeutsche.de, Stephan Weichert und Leif Kramp)
Die “Süddeutsche Zeitung” startet eine neue Serie zur Zukunft des Journalismus und stellt fest, dass viele Journalisten noch nicht im Internet angekommen sind: “Gemessen daran, wie wenig die Potenziale der Netzkommunikation heute erst genutzt werden, sind Journalisten die Neandertaler der digitalen Ära.”

4. “Nie war Gewinnen so einfach”
(narragonien.de)
Narragonien.de nimmt die Gewinnerin des Tages von “Bild” unter die Lupe. (Hinweis: Dieser Link war vorübergehend nicht erreichbar.)

5. “Das zweite Leben der Neda Soltani”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, David Schraven)
Eine Untersuchung zur Verwechslung der beiden Iranerinnen Neda Soltan und Neda Soltani: “Wer als Erstes die lebende Dozentin Neda Soltani mit der toten Studentin Neda Soltan verwechselt, lässt sich später nicht mehr rekonstruieren.”

6. “Aufmerksamkeitsspanne bei Zeitungsartikeln kurz”
(der-postillon.com)
Eine “Studie” zur Aufmerksamkeit beim Lesen von Zeitungsartikeln – “im Auftrag des Postillions”.

Geile gebührenpflichtige Jungfrauen

Die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (GEZ) hat seit einigen Tagen ein eigenes Diskussionsforum, in dem über die Notwendigkeit von Rundfunkgebühren diskutiert werden soll.

Und damit man sich besser vorstellen kann, wie es aussieht, wenn Menschen im Internet diskutieren, hatte Der Westen, das Online-Portal der WAZ-Gruppe, seinen Artikel zum Thema mit einem Bild illustriert, auf dem Menschen im Internet diskutieren.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass das Bild tatsächlich das GEZ-Forum zeigte:

Screenshot: derwesten.de

weißt du, ich bin schwarz
das ist okay
okay
bist du jungfrau?
ja
ist das okay?

okay
ja, ist mir egal
gut
aber hast du ein bild?
ja, im haus meines vaters, auf dem computer da
okay
wo wohnt der?

Nach zwei Leserkommentaren zum Foto wurde es inzwischen durch ein unverfänglicheres ersetzt:

Screenshot: derwesten.de

Mit Dank an KiMasterLian

Nur in Begleitung Erwachsener

Bild.de hat einen neuen schockierenden, brutalen, ja gar perversen Trend entdeckt:

Sie schlagen sich, prügeln brutal aufeinander ein: Junge Mädchen in Amerika liefern sich gnadenlose Kämpfe und stellen die Prügel-Videos ins Internet – ein lebensgefährlicher Trend.

Illustriert wird das – wie sollte es auch anders sein? – mit einem Video aus der Bild.de-Redaktion: Einem Zusammenschnitt der besten brutalsten Szenen, in denen Mädchen hemmungslos aufeinander einschlagen, sich ins Gesicht treten, sich auf dem Boden wälzen.

Brutaler Trend in den USA - Prügelmädchen in Netzvideos

Mit sonorer Stimme betont der Off-Sprecher die Gefährlichkeit dieser Netz-Videos — denn die Mädchen sind nicht aus eigenem Antrieb so brutal:

Meist wollten sie damit Aufmerksamkeit erhaschen, so die Experten. Und spätestens im Netz bekommen die Ausrasterinnen das auch. Millionen Klicks verstärken damit den Trend.

Wie recht diese Experten haben, kann man derzeit auf der Startseite von Bild.de betrachten:

Meistgeklickte Videos

Warum Bild.de bei diesem offensichtlich so perversen Trend mitmacht? Es liegt nicht etwa an den Millionen Klicks, die man damit ergattern kann — Nein, die Kinderfreunde haben alleine pädagogische Gründe:

Für Kinder und Jugendliche sind brutale, gewalttätige Szenen heute leicht zugänglich. Deshalb rät Dr. Jennifer Harstein: Eltern sollten wissen, was sich ihre Kinder ansehen und offene Gespräche darüber führen. Stellen sie viele Fragen, forschen sie, statt sofort zu bestrafen oder kategorisch zu verbieten. Eltern sollten ihre Kinder ermutigen, verstörende Videos anzuzeigen, möglicherweise auch anonym. Internet-Experten halten diese Methode für die beste, um den gefährlichen Trend abzuwenden.

Diesem Rat können wir uns nur anschließen. Sollten Eltern ihre Kinder beim Ansehen der “meistgeklickten Videos” auf Bild.de ertappen, sollten sie nicht sofort mit Strafen und Verboten, sondern mit Verständnis und penetranter Neugier reagieren.

Sprechen Sie mit ihnen darüber, wie sie auf die Webseite gelangt sind. Wollten sie vielleicht nur sehen wie ein weiblicher Fußball-Fan “blank zieht”, sich den “voll krassen” Redaktionsbesuch von Bushido anschauen? Oder hofften sie Nachrichten, wenn nicht gar verantwortungsvollen Journalismus auf der Webseite zu finden?

Reden Sie darüber! Denn nur so können wir unsere Kinder vor den Perversionen des Internets bewahren.

Apple, Binnen-I, Le Canard enchaîné

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Kostenlos-Werbung für Apple”
(ndr.de, Video, 6:24 Minuten)
Ein Video-Bericht, der danach fragt, warum die Medienwelt, allen voran “Bild” und “Bild am Sonntag”, eine “Fanmeile für Apple-Produkte” geworden ist.

2. “Das iPad ist nur eine Fernbedienung”
(faz.net, Jörg Kantel)
Blogger Jörg Kantel ist “ein begeisterter Nutzer der Apple-Computer”. Er glaubt aber, dass das Internet anders aussähe, “hätte es die App-Stores schon in den neunziger Jahren gegeben: keine alternativen Browser wie Firefox, keine Wikipedia, keine Weblogs und kein YouTube, und auch Google wäre mit seiner spartanischen Suchmaschine sicher nicht am Torwächter der App-Stores vorbeigekommen.”

3. “Zur Karriere eines missbrauchten Buchstabens”
(heise.de/tp, Marcus Hammerschmitt)
Marcus Hammerschmitt begrüsst das Verschwinden des Binnen-I: “Wie alle anderen Formen von Politial Correctness handelt es sich bei der orthographischen um eine Ersatzstrategie, die mangelnde Erfolge in der Hauptsache durch Stellvertreterkriege auf Nebenschauplätzen kaschieren will.”

4. “Zehn gute Gründe, warum man 2009 Blogs lieber gelesen haben sollte”
(carta.info)
Carta antwortet Nico Lumma und nennt seinen Text eine “oberflächliche Provokation”: “Man könnte von Stern bis Welt kompakt sehr viele Medien aufzählen, die man nicht gelesen haben muss, um keinen wichtigen Beitrag zu verpassen. Im Vielgeschrei des Medienbetriebs ist das ein fast schon strukturell verankertes Phänomen: Es gibt ohnehin fast nichts, was man unbedingt gelesen haben muss.”

5. “Die süsse Revanche des Volkes”
(tagesanzeiger.ch, Oliver Meiler)
Oliver Meiler schreibt über die werbefreie Zeitung “Le Canard enchaîné”: “Unbeeindruckt von den Entwicklungen in der Branche. Unverändert seit bald 100 Jahren. Relevanz auf nur 8 Seiten in einem anachronistischen Layout mit einem lustigen Mix von Schriften auf etwas dickerem Zeitungspapier. Immer am Mittwoch, 1.20 Euro.”

6. “Kritik an der Kritik: Aufmerksamkeitsdefizitstörung”
(katrinschuster.de)
Katrin Schuster beobachtet Literaturkritiker, die Bücher überschwänglich loben. Sie glaubt, es rühre daher, “dass sie sich bewusst oder unbewusst auch als Agenten der Literatur im Allgemeinen – und damit auch des Buchmarktes – sehen. Dass sie also glauben, sie müssten ihre Leser vom Lesen (i.e. Kaufen) an sich überzeugen, weil das ja keiner mehr tue (im Gegensatz zum Fußballspielegucken und Autofahren).”

Bild  

Mathias Döpfners Zwischenruf

Es kommt einigermaßen selten vor, dass sich Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, in der “Bild”-Zeitung zu Wort meldet. Es bedarf schon einer besonderen Gelegenheit: Der Tod Michael Jacksons beispielsweise oder die Entscheidung des Papstes, einen Bischof in die Kirche zurückgeholt zu haben, der den Holocaust leugnet, (BILDblog berichtete). Heute ist wieder so ein seltener Tag.

Doch von Anfang an: Nachdem bekannt geworden war, dass der deutschen Bundesregierung eine CD-Rom zum Kauf angeboten wurde, die gestohlene Daten von 1500 mutmaßlichen Steuerhinterziehern enthält, forderte “Bild” am Montag lautstark:

Kauft Euch die reichen Steuer-Betrüger!

“Bild”-Kolumnist Hugo Müller-Vogg riet: “Kaufen, aber schnell!”, und Wirtschaftschef Oliver Santen feierte die “klare Botschaft von Merkel”.

Kurzum: Die Bundesregierung kauft zum zweiten Mal “Hehlerware”, um Steuerhinterzieher zu enttarnen, und “Bild” findet das seit zwei Tagen gut. Mathias Döpfner findet das schlecht — ja, gefährlich.

Oder wie er es selbst in seinem “Bild”-Kommentar formuliert:

Die Bundesregierung kauft zum zweiten Mal Hehlerware, um Steuerhinterzieher zu enttarnen. BILD findet das seit zwei Tagen gut. Ich finde das schlecht – ja, gefährlich.

Der Staat darf Recht nicht brechen!Bleibt die Frage, ob Döpfners Kommentar nur eine Meinungsäußerung im neuen Meinungspluralismus von “Bild” ist oder hier der Vorstandsvorsitzende eines Medienkonzerns nach Belieben in die redaktionelle Unabhängigkeit einer seiner Zeitungen eingreift. Die Antwort dürfte “Bild” schon morgen liefern.

Verirrt im Orient

Sunniten oder Schiiten, Naher Osten oder Wilder Westen, Irak oder Iran – wer soll da noch den Überblick behalten?

Eil+++ Irak lenkt im Atomstreit ein Teheran (dpa) - Die iranische Führung will im Atomstreit mit der internationalen Gemeinschaft offenkundig einlenken. Das kündigte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad am Abend in Teheran an.

Offenbar hat der Fehler seinen Ursprung in einer falschen dpa-Meldung, im Gegensatz zu fast allen anderen Medien hat Bild.de den Fehler aber auch 14 Stunden später nicht korrigiert.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Schutzrechte, Karneval, Gaschke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wenn der Leser nicht will, wie die Verlage wollen”
(carta.info, Andreas Moring)
Andreas Moring wundert sich, wie die Mitarbeiter der Printverlage mit dem Medienwandel umgehen, der sie bedroht. “Bevor sich das eigene Weltbild und Selbstverständnis ändert, soll sich die Welt den (Wert-)Vorstellungen der Journalisten und Medienmanager aus den klassischen Massenmedien anpassen. Nach dieser eigentümlichen Logik wären es also die Nutzer, die sich den Zielen der Medienmacher anzupassen hätten – und nicht umgekehrt. Das aber tun sie nicht, darum muss Zwang her, werden ‘Schutzrechte’ verlangt und der Versuch unternommen, die Nutzer zum Bezahlen zu zwingen.”

2. “Ja da geht´s humba, humba, humba, täterä…”
(blogmedien.de, Horst Müller)
Karneval wird dieses Jahr fast ausschliesslich von den öffentlich-rechtlichen Sendern übertragen – dort dafür fast achtzig Stunden lang: “In der ersten Februarhälfte bis einschließlich Rosenmontag werden allein in den abendlichen Hauptsendezeiten 33 Prunk- und Festsitzungen übertragen.”

3. “Wozu noch Verlage? Die Wirtschaft kann den Journalismus retten!”
(yuccatree.de, Jürgen Vielmeier)
Jürgen Vielmeier stellt Blogs vor, die von Hosting-Anbietern, Softwareherstellern und Internet und IT-Dienstleistern betrieben werden. “Das Prinzip kann funktionieren, wenn sich die Unternehmen an eine Selbstverpflichtung halten, nicht auf die Inhalte der Redaktion einzugreifen.”

4. “susanne gaschkes strategien gegen verdummung”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Felix Schwenzel rezensiert ein Buch der netzkritischen “Zeit”-Journalistin Susanne Gaschke. “ist die zeitungskrise nicht eher ein qualitätsproblem, als ein technologieproblem? warum lesen junge menschen rowling, aber nicht gaschke? ich war siebzehn, als ich neil postmans ‘wir amüsieren uns zu tode’ gelesen habe. wieso kann ich mir heute keinen siebzehnjährigen vorstellen der gaschkes ‘strategien gegen die digitale verdummung’ liest? richtig. weils kreuzöde und flach wie ein bügelbrett ist.”

5. “Die Rohwedder-Verwechslung”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Für Ex-“Bild”-Mitarbeiter Michael Spreng gehört die Rohwedder-Verwechslung zu den peinlichsten Geschichten, die er in seiner Zeit bei der Zeitung erlebte.

6. “Blogs in Deutschland sind nett”
(lumma.de, Nico Lumma)
Nico Lumma kennt kein deutschsprachiges Blog, auf das er nicht auch verzichten könnte.

Mehr recht als “schlecht”

Umfragen sind für Online-Medien eine feine Sache: Sie suggerieren Leserbindung, liefern Klicks und lassen sich mit geringem technischen und intellektuellen Aufwand erstellen. Außerdem kann man sie meistens einfach unbegrenzt online lassen, weil das Ergebnis eh niemanden interessiert — zumindest niemanden in den Redaktionen.

Die Online-Ausgabe der “Berliner Morgenpost” hat sich zum hunderttägigen Jubiläum der Bundesregierung dazu entschieden, ihre Leser die einzelnen Kabinettsmitglieder “benoten” bzw. “beurteilen” zu lassen.

Während Kanzlerin Merkel und alle übrigen Minister die Noten “sehr gut”, “gut”, “es geht so”, “nicht so gut”, “schlecht” und “sehr schlecht” bekommen können, hat sich Morgenpost.de bei Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen – die in der Umfrage noch als “Bundesfamilienministerin” geführt wird – für ein etwas anderes Notenspektrum entschieden:

Ursula von der Leyen (CDU) ist Familienministerin. Wie beurteilen Sie ihre bisherige Arbeit? sehr gut, gut, es geht so, nicht so gut, gut, sehr gut

Überraschend, dass trotz der vielen positiven Optionen das Urteil eher mittelzufrieden ausfällt:

Umfrageergebnis: sehr gut: 3%, gut: 13%, es geht so: 25%, nicht so gut: 34%, gut: 4%, sehr gut: 20%

Weiterhin überraschend, dass man unter der Überschrift “Mehr zum Thema” auch über Bundesarbeitsminister Franz Josef Jung befinden kann, der bekanntlich seit dem 27. November 2009 nicht mehr im Amt ist. Aber die Umfrage ist auch vom 24. Oktober — und somit wohl einfach unbegrenzt online gelassen.

Mit Dank an Alfons Sch.

Nachtrag, 3. Februar: Die “Morgenpost” hat Frau von der Leyen jetzt zur “Arbeitsministerin” ernannt und die Optionen “schlecht” und “sehr schlecht” zugelassen.

Blättern:  1 ... 730 731 732 ... 1158