Willemsen, Häppchenepisoden, Haiti

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Roger Willemsen
(sueddeutsche.de, Christina Maria Berr)
Roger Willemsen glaubt, “dass das Fernsehen mittlerweile einen komplett fiktiven Charakter bekommen hat. Es wird nichts mehr geglaubt. Man glaubt die Polschmelze, die Vogel- und die Schweinegrippe nicht, man glaubt auch nicht, dass die Wirklichkeit vor der eigenen Haustür stehen könnte. Es besteht ein ganz grundsätzlicher Vertrauensverlust in das, was Medien sagen.”

2. Interview mit Alexander Kissler
(tt.com, Christiane Fasching)
Bei den sogenannten Talentshows wie “Deutschland sucht den Superstar” oder “Germany‘s Next Topmodel“ geht es “letztendlich nicht darum, dass man die beste Stimme oder das hübscheste Mädchen findet – vielmehr ist alles als Soap angelegt. Von Anfang an werden bestimmte Persönlichkeiten herausgezogen, denen man Geschichten andichten kann, die wichtiger sind als die Frage, ob sie singen oder stöckeln können.”

3. “Wir brauchen eine kontroverse politische Öffentlichkeit. Keine subventionierten Zeitungen.”
(blog.kooptech.de, Nikolaus Huss)
“Wenn alle Medien von der Hand in den Mund leben und die Redaktionen so ausgedünnt sind, dass keine echten Kontroversen mehr geführt werden, brauchen wir keine 70 Bühnen. Für die Häppchenepisoden aus dem Kanzleramt, aus Kundus oder sonst woher auf denen das selbe in belanglos unterschiedlichen Varianten verkündet wird, braucht es keine Vielzahl von Tageszeitungen mehr.”

4. “Die Methode Diekmann”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier beleuchtet in einem langen Beitrag die Blog-Aktivitäten von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und seines Teams. “Man muss Diekmann dazu gratulieren, wie erfolgreich seine Strategie war und wie sehr ihm die unterhaltungssüchtigen Journalisten auf den Leim gegangen sind.”

5. “4 Magazine, für die ich auf dem iPad bezahlen würde”
(agorazein.de, Torsten Meise)
Torsten Meise denkt sich Magazine aus, die er gerne auf dem iPad lesen würde.

6. “Die Blicke der Überlebenden”
(taz.de, Hans-Ulrich Dillmann)
In einem persönlichen Bericht, in dem auch die Rolle der Medien zur Sprache kommt, schildert Hans-Ulrich Dillmann, was er nach dem Erdbeben in Haiti angetroffen hat.

Ein Kreuzzeichen machen

Im Juni 2007 verschwand in Trier die damals 21-jährige Lehramtsstudentin Tanja Gräff.

Schon im ersten Artikel über den Fall lieferte “Bild” die übliche, sehr eigene Interpretation der Formulierung “Die Polizei kann ein Verbrechen nicht ausschließen” und fragte unter einem Foto der jungen Frau:

Einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Tanja Gräff (21), seit 5 Tagen vermisst.

Nachdem vor kurzem ein belgischer Serienmörder verhaftet worden war, prüft die Polizei weitere ungeklärte Fälle, was “Bild” zu folgender Frage verleitete:

Vermisste Studentin von Serienkiller ermordet?

Der Leitende Oberstaatsanwalt sagte dem “Trierischen Volksfreund” übrigens auf Anfrage, dass es bislang keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die beiden Fälle etwas miteinander zu tun haben könnten, man “routinemäßig” (eine Einschränkung, die für “Bild” ähnlich egal ist wie “nicht ausschließen können”) aber auch in diese Richtung ermittle.

Aber nicht nur das: Obwohl die Studentin nach wie vor als vermisst gilt und ihre Angehörigen davon ausgehen, dass sie noch lebt, hat sich Bild.de für eine ganz besondere Kennzeichnung ihres Namens entschieden:

Tanja Gräff(†): Vermisste Studentin von Serienkiller ermordet?

Mit Dank an Sarah K., Ecko und Katti.

Nachtrag, 17.29 Uhr: … und schon hat Bild.de das Kreuz aus der Dachzeile entfernt.

AFP, ddp, Focus  

Wasserglas gestürmt

Terroristen im Flugzeug — bei diesem Schlagwort zückt unser kulturelles Gedächtnis sofort die Karteikarte Actionfilm: “Stirb langsam 2”, “Con Air”, “Air Force One”.

Wenn Terroristen im Flugzeug sind, dann muss es ordentlich rummsen: Explosionen, Schüsse — oder zumindest schwer bewaffnete Spezialkräfte mit Sturmhauben und Laser-Visieren, die rote Punkte auf die Brust des Schurken zeichnen. So etwas verkauft sich immer gut, selbst wenn es einige Zeit her ist.

So meldet die Nachrichtenagentur AFP über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen zwei Terrorverdächtige:

Ende September 2008 hatte ein Spezialeinsatzkommando kurz vor dem Start Richtung Amsterdam ein Flugzeug der niederländischen Gesellschaft KLM gestürmt und die beiden Verdächtigen, die heute 25 beziehungsweise 24 Jahre alt sind, festgenommen.

Ins gleiche Horn stößt die ddp:

Im September 2008 hatte ein Spezialeinsatzkommando ein Flugzeug gestürmt und den Deutsch-Somalier Omar D. (25) sowie den Libyer Abdirazak B. (24) festgenommen. Angeblich wollten die Extremisten in den “Heiligen Krieg” ziehen.

Übernommen haben die Agenturen diese Darstellung vom “Focus”, der die Meldung vorab an die Agenturen gegeben hatte, sie in seiner aktuellen Ausgabe aber nur klein auf Seite 13 links unten klemmt:

Ende September 2008 hatte eine Spezialeinsatzkommando in einer spektakulären Aktion ein Flugzeug gestürmt und den Deutsch-Somalier Omar D., 25, sowie den Libyer Abdirazek B., 24, festgenommen.

Allein: Diese spektakuläre Verhaftung hat es nie gegeben. Wie uns heute noch einmal die Bundespolizeidirektion Sankt Augustin versicherte, wurde weder ein Flugzeug gestürmt, noch sind Spezialkräfte im Einsatz gewesen. Zwei normale Streifenbeamte hatten die unbewaffneten Männer festgenommen, die keinerlei Widerstand leisteten.

Wie die Falschmeldung von der erstürmten Maschine so nachhaltig in den Medienkreislauf gelangen konnte, zeigt eine Meldung der Nachrichtenagentur AP vom Morgen der Verhaftung:

Unter Verweis auf die andauernden Ermittlungen wollte die Sprecherin keine weiteren Details bekanntgeben. Laut “Bild”-Zeitung wurden die beiden Männer am Freitagmorgen um 06.55 Uhr von einem Spezialeinsatzkommando in einer Maschine der Fluglinie KLM Richtung Amsterdam festgenommen.

Diese Darstellung wurde zwar bald von Polizei und Innenministerium dementiert, aber offenbar stellen sich die meisten Journalisten die Szenerie immer noch lieber so vor wie die “Rhein-Zeitung” am Tag nach der Verhaftung auf ihrer Titelseite:

Unser Foto zeigt eine entsprechende Einheit bei einer Übung in voller Kampfmontur. Der Ernstfall in Köln lief nicht ganz so spektakulär ab.

Literaturkritik, Landlust, Spenden

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1. “Wenn Berufliches und Privates verschwimmen”
(journalist.de, Svenja Siegert)
Svenja Siegert geht der Frage nach, wie Redakteure in sozialen Netzwerken publizieren sollen und wie nicht. Als Diskussionsbeispiel erwähnt wird dieser Tweet des stellvertretenden Chefredakteurs von “Welt Kompakt”, Frank Schmiechen.

2. Vernachlässigte Themen 2009
(nachrichtenaufklaerung.de)
Wie jedes Jahr kürt die Initiative Nachrichtenaufklärung die Top 10 der von Journalisten vernachlässigten Themen.

3. “Warum es dicke Bücher heute schwer haben”
(jungle-world.com, Jörg Sundermeier)
Jörg Sundermeier schreibt auf, wie er die hiesige Literaturkritik wahrnimmt. “Kaum ein Kritiker liest heutzutage noch all die Bücher, über die er schreibt, von A bis Z durch. Selten liest einer mit Muße, oftmals reicht die Zeit nur, um ein Buch querzulesen. Die Inhaltsangaben in diesen Kritiken sind reichlich dünn, oft sind sie nicht nur in Details falsch. Mitunter kann man Formulierungen identifizieren, die Hinweise darauf geben, von wem der Rezensent abgeschrieben hat. Kritik sucht man abseits von kessen Behauptungen zumeist vergebens.”

4. “Provinzkritiker”
(glanzundelend.de, Lothar Struck)
Lothar Struck macht sich anlässlich eines neuen Suhrkamp-Romans Gedanken über Rezensenten, die Bücher beschuldigen, provinziell zu sein: “Bemerkenswert nur, dass sie beispielsweise ihren amerikanischen Helden diesen sogenannten Provinzialismus nicht nur verzeihen, sondern ihn gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen scheinen (was vermutlich damit zu tun hat, dass für die in der Mehrzahl eher stubenhockenden Redakteure die USA per se als Großstadt durchgeht und wo die Anschauung fehlt, wird der Zwerg schnell zum Riesen).”

5. “Im Reich des Regenwurms – Landlust”
(blog.dummy-magazin.de, Oliver Gehrs)
“Dummy”-Chef Oliver Gehrs über die “publizistische Idee der Stunde”, den “Idiotismus des Landlebens”: “Eine ungeheure Sehnsucht nach dem einfachen Leben bricht sich da Bahn, wogegen ja nichts zu sagen wäre, wenn diese nicht mit ungeheuer einfachen Rezepten gestillt würde und sich diese Art von Leser alle zwei Monate auf das kognitive Niveau eines Kaktusses begibt.”

6. “Fehlende Transparenz bei Spenden”
(youtube.com, Video, 9:02 Minuten)
Das Medienmagazin “Zapp” beleuchtet die Kooperationspartner von “Bild” bei Spendengalas und prüft die Aussage “Jeder Cent kommt an”.

Unfug bevorzugt

SIE SIND ERFOLGREICHER UND HABEN MEHR DURCHSETZUNGSKRAFT - Vorteil: blond

Studie: Leg Dich bloß nicht mit einer Blondine an!

Neue US-Studie enthüllt: Blondinen sind aggressiver als Brünette

Diese Überschriften – und die dazugehörigen Artikel – haben alle ein Problem: Sie sind falsch. In der Studie, auf die sich “B.Z.”, “Welt Online” und Bild.de angeblich berufen, (hier als PDF) geht es gar nicht um Haarfarben, das Wort “blond” (bzw. “blonde” auf Englisch) taucht dort überhaupt nicht auf.

Wie ein völlig verzerrender Artikel der englischen “Sunday Times” seine Reise um die Welt angetreten hat, hat der Wissenschaftsjournalist Marcus Anhäuser in seinem Blog Plazeboalarm aufgeschrieben:

Musikmagazine, Bratpfannen, Taliban

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1. “How To Report The News”
(youtube.com, Video, 1:59 Minuten, englisch)
Charlie Brooker zeigt auf, wie ein zweiminütiger Standardbeitrag des TV-Newsjournalismus aussieht.

2. “Vom Umgang mit Leser-Kommentaren”
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen wundert sich nicht über die Qualität der Kommentare auf den meisten Online-Portalen. “Die Integration der Leser-Kommentare lässt derzeit nicht den Eindruck entstehen, dass hier jemand wirklich an den Äußerungen der Leser interessiert sei.”

3. “Die neuen Herausgeber”
(konitzer.wordpress.com, Michael Konitzer)
Michael Konitzer fragt sich, warum “Produzenten von Bratpfannen (oder anderer hochwertigerer Konsumentenprodukte) nicht in Qualitätsjournalismus investieren” – es würden doch auch Medienunternehmen Wein, DVDs oder Bratpfannen verkaufen. “Warum sollen sie den Kontakt zu ihren Kunden nicht durch gut gemachte Medien – also Journalismus – zurück zu gewinnen versuchen?”

4. “Einerseits die Pest – und anderererseits auch: die Autorisierung von Interviews”
(interviewsfuehren.wordpress.com, Christian Thiele)
Christian Thiele erinnert daran, dass die “Autorisierung von Interviews, also deren Vorlage beim Interviewten vor Abdruck” nicht gesetzlich geregelt ist. Trotzdem ist sie Alltag in deutschen Redaktionen. “Für Interviewer, die dafür bezahlt werden, auch mal am Lack zu kratzen, auch mal einen Blick hinter die Kulissen einer Person zu erhaschen, ist die Autorisierung die Pest. Und für das Publikum auch.”

5. “Nudeln oder Currywurst”
(fr-online.de, Klaus Raab)
Schwierige Zeiten für Musikmagazine: “Der Axel-Springer-Verlag feierte soeben in einem Desinformationsschreiben die im vergangenen Jahr gestiegenen Auflagen. Seit Ende 1999 aber ist die Auflage des Musikexpress von 75.000 auf etwa 55.000 Exemplare gefallen, die des Rolling Stone von 85.000 auf knapp 54.000.”

6. “Zu Gast bei Feinden”
(zdf.de, Video, 15:51 Minuten)
Ein afghanischer Reporter war zehn Tage lang “mitten unter Taliban”. Ein Bericht des ZDF-Auslandsjournals.

Der/Die/Das iPad im Wandel der Zeit

Gestern Abend unserer Zeit hat die Computerfirma Apple ihr “iPad” vorgestellt, ein nach Meinung einiger Beobachter revolutionäres Gerät. Dieser historische Moment musste auf der Startseite von Bild.de natürlich gebührend gewürdigt werden.

Die folgende Galerie von Teaser-Grafiken, die alle (nacheinander) auf Bild.de zu sehen waren, ist möglicherweise unvollständig:

Apple-Präsentation im LIVE-Ticker: Tablet-PC wird iPad heißen! ... und gewinnen Sie eins der spektakulären Geräte!

Apple-Präsentation im LIVE-Ticker: Tablet-PC wird iPad heißen! Gewinnen Sie hier eins der spektakulären Geräte!

Apple-Präsentation im LIVE-Ticker: Tablet-PC wird iPad heißen! Gewinnen Sie hier eins der spektakulären Geräte!

Apple-Präsentation im LIVE-Ticker: Steve Jobs zeigt den iPad - Mitspielen und den neuen Tablet-Computer gewinnen!

Apple-Präsentation im LIVE-Ticker: Steve Jobs zeigt das revolutionäre iPad - Mitspielen und den neuen Tablet-Computer gewinnen!

Apple-Präsentation: Steve Jobs zeigt das revolutionäre iPad - Mitspielen und den neuen Tablet-Computer gewinnen!

Apple präsentiert Tablet-Computer: Was der magische iPad alles kann - Mitmachen und den neuen Tablet-Computer gewinnen!

Apple präsentiert Tablet-Computer: Was das magische iPad alles kann - Mitmachen und den neuen Tablet-Computer gewinnen!

Mit großem Dank an Marcus!

Verletzung der Rückpassregel

Zoran Tosic spielt ab sofort für den 1. FC Köln. Die Verhandlung zwischen dem serbischen Nationalspieler, dem Bundesligaverein und Tosics Club Manchester United, der ihn bis Saisonende ausleiht, waren allem Anschein nach kompliziert und langwierig — und somit Anlass für allerlei Spekulationen. Und an denen beteiligten sich die Medien mal wieder, als gehe es im Journalismus ausschließlich um Schnelligkeit und nicht um Zielgenauigkeit.

Es begann vergangenen Montag damit, dass klar war, dass nichts klar war. So meldete der Kölner “Express” in seinem Internetauftritt:

Der Serbe mit dem lustigen Spitznamen “Bambi” (so tauften ihn in Belgrad einst die Mitspieler, weil er Kekse in Form der Disney-Figur verschenkte) soll sich Gerüchten zufolge schon in Köln aufhalten.

Bestätigen will das beim FC aber noch niemand. Co-Trainer Michael Henke beim Training zum EXPRESS: “Nein, dazu gibt es noch nichts zu sagen.”

Am Dienstag vermeldete Bild.de dann “exklusiv“:

Köln klar mit Tosic: BILD.de exklusiv: Der 1. FC Köln wird Zoran Tosic (22) von Manchester United ausleihen. Der serbische Nationalspieler wird bis Saisonende für 500 000 Euro ausgeliehen. Die Kölner haben sich eine Kaufoption für Tosic gesichert.

Während Express.de auf den Zug aufsprang, taten die im selben Verlag und selben Haus arbeitenden Kollegen des Kölner Stadtanzeigers etwas sehr Ungewöhnliches — und befragten einfach die Verantwortlichen des 1. FC Köln zum Stand des Tosic-Transfers.

Das Ergebnis des Gesprächs klang dann auch gleich – wie vor Vertragsunterzeichnungen allgemein üblich – ein bisschen weniger euphorisch als die Meldungen von Bild.de und Express.de:

“Es wird noch immer zäh verhandelt”, sagte ein Sprecher des 1. FC Köln dem “Kölner Stadt-Anzeiger”. Einer der umstrittenen Punkte ist offenbar die Kauf-Option. Falsch seien Berichte, wonach Tosic 500.000 Euro Leihgebühr bis zum Saisonende koste.

Auch die Deutsche Presse-Agentur bekam vom FC eher zurückhaltende Antworten, berichtete unter Berufung auf den “Express” aber schon mal:

Nach Informationen der Zeitung “Express” wechselt Fußball-Profi Zoran Tosic von Manchester United zum Bundesligisten 1. FC Köln. FC-Vereinssprecher Christopher Lymberopoulos sagte am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa allerdings, das könne nicht bestätigt werden.

Diese Meldung landete ironischerweise auch bei Bild.de, wo man den Wechsel ja ursprünglich als Erstes und “exklusiv” verkündet hatte:

Zeitung: Fußball-Profi Tosic kommt nach Köln

Am Mittwoch schließlich bestätigte der 1. FC Köln den Transfer tatsächlich.

Die Erleichterung bei den Mitarbeitern von Express.de muss groß gewesen sein — im Gegensatz zum Schuldbewusstsein jedenfalls. Denn aus Sicht des “Express” hatte das Hin- und Her über den Transfer von Tosic nichts mit der unbedingten Jagd nach der schnellsten Schlagzeile zu tun.

Und so hieß es auf Express.de:

Das Verwirrspiel um Zoran Tosic – Mittwoch hatte es ein Ende. Um 14.03 vermeldete der FC das Leihgeschäft offiziell. Bis zuletzt wurde um eine Kaufoption im Sommer gefeilscht – die Manchester aber letztlich ablehnte.

Oder wie Express.de selbst am Vortag gemeldet hatte:

FC-Manager Michael Meier sicherte sich zudem eine Kaufoption für das Balkan-Juwel.

Mit Dank an Dominik H. und Christoph W.

Apple, Afghanistan, Augstein

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Steve Jobs als Messias einer Branche”
(netzwertig.com, Peter Sennhauser)
Peter Sennhauser hat schon viele Ankündigungen der Firma Apple miterlebt, so nun auch das iPad: “Was mich immer befremdet hat, war das Verhalten der Presseleute – meiner Kollegen und Kolleginnen. Wenn die auf eine der sorgfältig inszenierten Ankündigungen von Steve Jobs mit Applaus oder sogar Jubel reagierten (“Boom! Copy, und Paste! Auf dem iPhone!”), als ob gerade ein Impfstoff gegen Krebs und nicht die längst überfällige Korrektur an einem Produkt präsentiert worden wäre, dann lief es mir jedesmal kalt den Rücken runter: Das sind Leute, die (größtenteils) dafür bezahlt werden, kritisch zu denken. Dinge zu hinterfragen. Die Vergangenheit im Kopf zu haben und die Relationen zu wahren.”

2. “Schweinegrippe – ein großer Bluff?”
(tagesschau.de, Martin Durm)
Martin Durm berichtet von einer Anhörung im Europarat zur Frage, wie es möglich war, “wegen eines offenkundig harmlosen Grippevirus die Weltbevölkerung in die größte Impfkampagne aller Zeiten zu schicken”.

3. “Vertuschen in Afghanistan”
(ndr.de, Video, 7:40 Minuten)
Unter Verteidigungsminister zu Guttenberg setzt sich teilweise fort, was sein Vorgänger Jung forderte, nämlich, nur “gute” Nachrichten aus Afghanistan zu verbreiten. Journalisten werden von Presseoffizieren begleitet, die unter dem Druck stehen, ihren Job zu verlieren, wenn “schlechte” Nachrichten an die Öffentlichkeit gelangen.

4. “Schlecht abgeschrieben, Mitteldeutsche Zeitung”
(blog.beliebte-vornamen.de, Knud Bielefeld)
Knud Bielefeld entdeckt in der “Mitteldeutschen Zeitung” Passagen aus Texten, die er für seine Homepage verfasste. Online ist der MZ-Artikel inzwischen nicht mehr abrufbar.

5. Interview mit Jakob Augstein
(derstandard.at, Michael Kremmel)
Jakob Augstein, Verleger von “der Freitag”, glaubt, dass von Amateuren noch zu wenige Themen abgedeckt werden. “Wenn ich mir überlege, wie viele Leute an spannenden Sachen arbeiten, oder spannende Dinge erleben, sei es bei ihrer Arbeit, bei Reisen, oder mit grenzüberschreitenden Projekten in Unternehmen und Universitäten. Oder sie entdecken Missstände in Behörden und Abteilungen. Das sind doch alles Themen, die mich als Leser unheimlich interessieren würden.”

6. “Rund um Bilderstürmer”
(kaidiekmann.de)
“Bild”-Chef Kai Diekmann fragt sich nach der Lektüre eines Artikels im “Tagesspiegel”, warum dem TV-Zuschauer Bilder von “Leichen und Leichenbergen” zuzumuten seien, dem Leser von Printprodukten aber nicht.

Bild  

Verpulverschnee von heute

Für die Axel Springer AG ist die ARD im Internet plötzlich ein Konkurrent. Der Verlag schäumt, dass der Senderverbund mit seinen “kostenlosen”, durch die Rundfunkgebühren finanzierten Angeboten Springers eigene Versuche erschwert, Geld für informationen zu nehmen.

Deshalb arbeitet sich “Bild” gerade mal wieder an den öffentlich-rechtlichen Sendern ab — heute z.B. mit der Schlagzeile:

So werden unsere TVGebühren verpulvert - 1 Minute "Anne Will" kostet 3164 Euro - 610 Millionen Euro für Online-Portale - 2,3 Milliarden Euro für Pensionen

Am Montag hatte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ihren 17. Prüfbericht (PDF) vorgestellt und “Bild” hat sich für die heutige Ausgabe viel Mühe gegeben, “die wichtigsten und skurrilsten Fakten” des Berichts herauszusuchen — also, die öffentlich-rechtlichen Sender in einem möglichst schlechten Licht erscheinen zu lassen:

So erwähnt “Bild”, dass die KEF die Reduzierung der Personalkosten bei der ARD als “völlig unzureichend” betrachtet, unterschlägt aber im Gegenzug dazu den Hinweis, dass das ZDF die Vorgaben “durch Reduzierung des Personalaufwands um 18 Mio. Euro im Aufwand vollen Umfangs” umgesetzt hat.

Völlig unerwähnt bleibt, dass die Kommission davon ausgeht, “dass die Anstalten zusätzliche Einsparungen in einem Umfang erwirtschaften, der ausreicht, zum Ende 2012 ein ausgeglichenes Finanzergebnis zu realisieren”. “Bild” fasst die 388 Seiten des Berichts lieber in einem Satz zusammen:

Besonders die ARD wird von den Prüfern für ihren geringen Sparwillen gerügt.

Den Begriff “Grundversorgung”, den das Bundesverfassungsgericht 1986 als Anforderung an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geprägt hatte, versteht “Bild” – wie alle anderen Kritiker des öffentlich-rechtlichen Systems – sowieso nicht im Sinne einer alles umfassenden Versorgung, sondern einer Minimalversorgung. Dass der von “Bild” kritisierten Verdreifachung der Kosten für die ZDF-Digitalkanäle eine Reduzierung der Kosten bei 3sat und Kinderkanal gegenübersteht, erfährt nur, wer in den Bericht schaut. “Bild” unterschlägt auch dieses Faktum.

Laut “Bild” explodieren die Online-Kosten und “verdoppeln sich auf mehr als 610 Millionen Euro”. Von einer Verdopplung ist auch im Bericht die Rede, allerdings ist die Summe vielleicht schon nicht mehr ganz so beeindruckend, wenn man weiß, dass sie sich über einen Vierjahreszeitraum erstreckt — oder, dass die Zahl der Visits (Besuche) bei ARD Online beispielsweise “sogar um 119,1 % ” angestiegen ist.

Die Behauptung von “Bild”, dass der ARD-Videotext “den Gebührenzahler in diesem Jahr stolze 78 Mio. Euro.” koste, ist gleich völlig falsch, denn die Zahl von 78 Millionen Euro bezieht sich auf die Kosten für “Telemediendienste” (etwa die Streaming-Angebote) der einzelnen Landesrundfunkanstalten. Für Radio- und Videotexte wollen diese Landesrundfunkanstalten dieses Jahr 12,3 Millionen Euro ausgeben — knapp 300.000 Euro mehr als im Vorjahr.

Dass die Kosten pro Sendeminute bei “Anne Will” doppelt so hoch sind wie bei “Menschen bei Maischberger” kann man natürlich “merkwürdig” finden und auch noch mal in die Überschrift auf Seite 10 schreiben:

SO WERDEN UNSERE GEBÜHREN VERPULVERT: Anne Will kostet doppelt so viel wie Maischberger!

Mindestens ebenso merkwürdig ist aber wohl, dass “Bild”-Autor Nikolaus Harbusch gestern beim NDR nachgefragt hat, warum die Minutenkosten so unterschiedlich seien, auf die Verwendung der Antwort des Pressesprechers dann aber doch verzichtete.

Zur Erhellung veröffentlichen wir sie gerne an dieser Stelle:

1. “Anne Will” ist eine komplette Auftragsproduktion, während “Menschen bei Maischberger” in WDR-eigenen Studios mit eigener Technik produziert wird. Die internen Produktionskosten sind in dem Ihnen vorliegenden Minutenvergleich nicht berücksichtigt.

2. “Menschen bei Maischberger” ist 75 Minuten lang, “Anne Will” nur 60 Minuten. Die Fixkosten schlagen bei längerer Sendezeit naturgemäß geringer zu Buche.

Stattdessen darf SWR-Intendant Peter Boudgoust, derzeit ARD-Vorsitzender, im “Bild”-Interview die Frage beantworten:

Bei den Fragen liegt die Erklärung nicht nur in völlig unterschiedlichen redaktionellen Konzepten, die einen unterschiedlichen Programmaufwand erfordern, sondern auch in der völlig unterschiedlichen Herstellung, manche Sendungen werden komplett eigen- andere komplett fremdproduziert. Anders gesagt: Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
(Hervorhebung von uns.)

Auf tagesschau.de sagt Peter Boudgoust heute über die “Bild”-Titelgeschichte:

Das ist ein Stück Kampagnenjournalismus. Ich finde das sehr schade, weil es auch alte Vorurteile bestätigt, was die Seriosität dieser Zeitung angeht.

Mit Dank auch an Christoph.

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