Österreich, Jahrtausendwinter, Udo Reiter

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Wetten dass’: Geheimauftritt von ‘Take That'”
(politblogger.eu)
Die Sonntagsausgabe der Boulevardzeitung “Österreich” titelt “So rockte Robbie Gottschalk” und “Gottschalk: Robbie holte Show aus Koma”, obwohl Robbie Williams am Samstagabend gar nicht in der Sendung “Wetten, dass..?” auftrat. Wegen eines Unfalls bei einer Wette wurde die Sendung vorzeitig abgebrochen. Siehe dazu auch “‘Österreich’: Wenn Kaltschreiben pietätlos wird” (kobuk.at, Yilmaz Gülüm)

2. “Die Jahrtausendwinter – Ente”
(wissenslogs.de, Stefan Rahmstorf und Olivia Serdeczny)
Der polnische Wissenschaftler Michał Kowalewski sieht von ihm getätigte Aussagen zu einem Artikel vermengt, “der so geschickt seine Worte mit einigen meiner Sätze ohne ihren Kontext vermischte, dass eine ganz neue Bedeutung entstand. Eine absolut absurde These. Meine Zitate sind für sich genommen aber korrekt, daher konnte ich keine Richtigstellung verlangen.” Stefan Rahmstorf und Olivia Serdeczny zeigen auf, wie sich die Meldung fortpflanzt.

3. “Reiter: MDR-Intendant löscht Twitter-Account, Nachspiel im Rundfunkrat”
(flurfunk-dresden.de, owy)
Peter Stawowy kommentiert den Rückzug von MDR-Intendant Udo Reiter (@mdrreiter) aus Twitter: “Es war ein schlechter Witz, ja, Reiter hat sich gleich darauf entschuldigt – so what? Diese und ähnliche Erfahrungen werden eins zur Folge haben: Wir werden in Deutschland noch sehr lange warten müssen, bis sich Politik und andere Entscheiderkreise an Twitter und Co. herantrauen.”

4. “Niebel: ‘Spiegel’ hat keinen verantwortungsvollen Journalismus betrieben”
(lvz-online.de, Dieter Wonka)
Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel ist unzufrieden mit der Aufarbeitung der ihn betreffenden Wikileaks-Diplomatendepeschen durch den “Spiegel”: “Nachdem ich den Originalbericht über meine Person gelesen habe, kann ich die Aufarbeitung des ‘Spiegel’ nicht als verantwortungsvollen Journalismus bezeichnen. Auch durch Weglassen kann man falsche Informationen streuen.”

5. “Facie prima”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Roberto J. De Lapuente beschreibt von den Medien ausgewählte Bilder von Julian Assange: “Die Manipulationsmacht, die ein Bild verströmen kann, selten ist sie so zielgerichtet, wie im Falle Assanges; selten wird so manipulativ auf solche Fotos zurückgegriffen, auf denen die Person, über die man berichtet, so unvorteilhaft zur Geltung kommt.”

6. “Medien machen Geschichte(n)”
(heise.de/tp, Wassilis Aswestopoulos)
Nicht nur in Neapel stapelt sich der Müll, sondern auch in Griechenland. Wassilis Aswestopoulos über den aktuellen Zustand des Lands.

Anmerkung: Wegen Serverüberlastung ist Link 1 zwischenzeitlich deaktiviert.

Schlagzeilen aus einer anderen Welt

Der Medienzirkus um Wikileaks geht weiter. Am Freitag antwortete Wikileaks-Gründer auf der Webseite der britischen Zeitung “Guardian” auf Leserfragen. Julian Assange erläuterte, dass er derzeit nicht in sein Heimatland Australien zurückkehren könne, erklärte die Wikileaks-Quellen zu Helden und wies eine Frage nach der Verantwortung für diplomatische Kollateralschäden zurück. Ach ja — ein ganz anderes Thema kam auch zur Sprache:

achanth: Mr Assange, have there ever been documents forwarded to you which deal with the topic of UFOs or extraterrestrials? Julian Assange: Many weirdos email us about UFOs or how they discovered that they were the anti-christ whilst talking with their ex-wife at a garden party over a pot-plant. However, as yet they have not satisfied two of our publishing rules. 1) that the documents not be self-authored; 2) that they be original. However, it is worth noting that in yet-to-be-published parts of the cablegate archive there are indeed references to UFOs.

Zu deutsch:

achanth: Herr Assange, wurden ihnen jemals Dokumente übermittelt, die sich mit UFOs oder Außerirdischen befassten?

Julian Assange: Viele Wirrköpfe schicken uns E-Mails über UFOs oder wie sie erkannten, dass sie der Antichrist sind, als sie sich mit ihrer Ex-Frau über eine Topfpflanze unterhielten. Wie dem auch sei, erfüllen diese Einsendungen zwei unserer Veröffentlichungeregeln nicht. Erstens: Dokumente dürfen nicht selbst geschrieben sein. Zweitens: Die Dokumente müssen Originale sein.
Aber es ist erwähnenswert, dass in einigen noch zu veröffentlichenden “Cablegate”-Dokumente auch auf unidentifizierte Flugobjekte Bezug genommen wird.

Angesichts von andauernden Drohnen-Einsätzen und Spionageflugzeugen sind unbekannte Objekte am Himmel kein besonders überraschendes Thema für die internationale Diplomatie, aber Assange verriet nicht wirklich, was in den Dokumenten zu lesen sein wird. Doch das Wort “Wirrköpfe” macht auch deutlich: Enthüllungen über außerirdisches Leben sind von Wikileaks nicht zu erwarten.

Für Schlagzeilen-Schreiber, die ihre Superlative in den letzten Tagen verschossen hatten, war es jedoch mehr als genug.

Bild.de:

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“Welt Online”:

Julian Assange kündigt Enthüllungen über Ufos an  Der Wikileaks-Aktivist bricht sein Schweigen: Julian Assange stellt sich Lesern des "Guardian". Der Ansturm legte zwischenzeitlich die Seite lahm.

abendblatt.de:

WikiLeaks: Assange will UFO-Dokumente veröffentlichen

augsburger-allgemeine.de:

Enthüllungs-Plattform Assange: WikiLeaks hat Dokumente, in denen es um Ufos geht

Und sueddeutsche.de:

Julian Assange chattet beim Guardian Todesangst und Ufo-Akten - 2010-12-03 16:48:52   Wikileaks-Kopf Julian Assange beantwortet Fragen von Lesern des "Guardian" - und macht Verschwörungstheoretiker mit einem Hinweis auf Außerirdische neugierig.

Mit Dank an Ralf D. und Tobi R.

Nachtrag, 6. Dezember: Süddeutsche.de hat die Außerirdischen aus dem Vorspann entfernt und fragt auf Twitter: “War die Schlagzeile tatsächlich zu sehr aufgebrezelt?”

Das dümmste anzunehmende Symbolfoto

Irgendjemand bei “RP Online” muss es für eine gute und naheliegende Idee gehalten haben, einen Artikel über falsche Rechenschaftsberichte bei der rechtsextremen NPD mit diesem Foto zu bebildern:

Sympathisanten der NPD bei einer Demonstration in Duisburg.

Ein Mann mit grünen Haaren und dem Wort “Punk” auf dem T-Shirt. Ein Plakat der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands. Die Chancen, dass es sich dabei tatsächlich um “Sympathisanten der NPD” handelt, dürften ungefähr bei Null liegen.

Mit Dank an Hanna.

Nachtrag, 18.35 Uhr: “RP Online” hat das Foto ausgetauscht — und die Bildunterschrift sicherheitshalber gleich mit.

Redakteure, Dokumentationen, Wikileaks

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1. “Rigide redigierende Redakteure”
(journalist.de, Timo Rieg)
Timo Rieg kümmert sich in einem weitgehend unredigierten Text um den redigierenden Redakteur, dem “ein hierarchieärmeres Berufsverständnis” gut stehen würde: “Redakteure erziehen ihre Autoren, nicht so zu schreiben, wie sie selbst schrieben, wenn sie könnten, wollten, müssten – sondern sie suchen Autoren, die eigene Themen, Sichtweisen und Darstellungen ins Blatt bringen.”

2. “Das Erste im Talkshow-Wahn”
(stern.de, Bernd Gäbler)
Ab Herbst 2011 bietet ARD fünf Talkshows an – dafür keine Dokumentationen mehr vor 22 Uhr. “Tatsächlich ist es so, dass das Erste wie die Dritten Programme die Prime Time inzwischen mit Populärem durchformatieren. Nun wäre das alles verständlich, würden die Dokumentationen so aussehen wie die ARD-Verantwortlichen es suggerieren: absurde, elitäre Selbstverwirklichung zu bulgarischen Kauderwelschthemen. Jedoch haben die Dokumentationen gerade im Fernsehen außerordentliche Relevanz und auch Resonanz.”

3. “Peinlich: OZ kopiert beim SZ-Magazin”
(blog.17vier.de)
Das Fleischervorstadt-Blog vergleicht Textbausteine eines Artikels der “Ostsee-Zeitung” vom 29. November mit dem “SZ-Magazin” vom 16. September.

4. “Now leaking: The one and only Ich”
(print-wuergt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris fragt, ob wir mit drei sich extrem voneinander unterscheidenden Wahrheiten leben wollen: “Bisher leben wir selbstverständlich damit, dass es irgendwo ‘eine Wahrheit’ gibt, die wir nie erfahren (in den Dokumenten, hinter den Kulissen), eine ‘öffentliche Wahrheit’, nämlich das, was offen gesagt wird, das, was in der Zeitung steht – und unsere private Wahrheit, mit der wir leben und arbeiten.”

5. “The moral standards of WikiLeaks critics”
(salon.com, Glenn Greenwald, englisch)
Glenn Greenwald glaubt, dass es bisher keine Anhaltspunkte gibt, dass Wikileaks-Veröffentlichungen tatsächlich Personen geschadet haben. Dagegen hätten US-Journalisten die opferreichen Kriege der USA immer wieder verteidigt. Die Kommentare gegen Julian Assange seien überzogen: “The ringleaders of this hate ritual are advocates of — and in some cases directly responsible for — the world’s deadliest and most lawless actions of the last decade.”

6. “Der Überfall”
(zeit.de, Susanne Leinemann)
Die 41-jährige Susanne Leinemann wird in Berlin-Wilmersdorf von Jugendlichen überfallen und bewusstlos geschlagen: “Ich kenne diese drei Typen nicht, ich habe keine Geschichte mit ihnen, keinen Konflikt gehabt, nichts. Alles, was uns verbindet, ist die Tatsache, dass sie mich fast umgebracht haben.”

Untertauchen für Anfänger

Wo ist Julian Assange? Und: Ist er auf der Flucht? Der Wirbel rund um die Whistle-Blower-Plattform Wikileaks sorgt für immer neue Höhepunkte im weltweiten Medienzirkus. Kein Wunder, dass Bild.de da mitspielen will:

Jagd auf Wikileaks-Chef Julian Assange: Entkommt er wegen einer Behörden-Schlamperei?

Doch nicht nur Behörden schlampen, wenn es um Julian Assange geht. Zur Frage nach dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers schreibt Bild.de zunächst dies:

Scotland Yard sei sein Aufenthaltsort bekannt, berichtet die britische Tageszeitung “The Independent”. Der Australier wird von Schweden wegen Vergewaltigungsverdachts gesucht, steht inzwischen auf der internationalen Fahndungsliste von Interpol. (…)

Nach dem Bericht des “Independent” habe der Australier der Polizei bereits im Oktober nach seiner Ankunft im Land seine Kontaktdaten zur Verfügung gestellt.

Ein paar Absätze weiter sieht es ganz anders aus:

Doch bereits seit Monaten treibt Assange ein Versteckspiel mit den Behörden, gibt seinen Aufenthaltsort nicht preis und operiert aus dem Untergrund.

Und auch zum Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers hat Bild.de noch ein paar ganz exklusive Informationen:

Assange weist die Vorwürfe zurück; er sieht sich als Opfer eines Komplotts und ist deshalb im August 2010 abgetaucht. Angeblich versteckt er sich jetzt in Australien, doch sein genauer Aufenthaltsort ist weiterhin unbekannt.

Diesen Satz verwendete Bild.de bereits in mehreren Artikeln, richtiger wird er dadurch aber nicht. Assange ist keinesfalls seit August abgetaucht: Damals hielt er sich nämlich noch in Schweden auf. Erst im September durfte er das Land verlassen und gab schon im Oktober wieder eine große Pressekonferenz in London.

Doch England oder Australien, behördlich gemeldet oder auf der Flucht — Hauptsache, es gibt irgendwas zu spekulieren.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

AFP  

Bringt ihm den Kopf von Julian Assange!

Hat Mike Huckabee, einer der republikanischen Favoriten für die nächste US-Präsidentschaftswahl, die Ermordung Hinrichtung von Wikileaks-Gründer Julian Assange gefordert?

Es scheint so. Die Nachrichtenagentur AFP meldet nämlich:

Der Gründer der umstrittenen Internetplattform Wikileaks, Julian Assange, muss nach Ansicht eines Sprechers um sein Leben fürchten. Die Sicherheit des 39-Jährigen sei nach der Veröffentlichung von brisanten Dokumenten des US-Außenministeriums in Gefahr, sagte Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson in London. (…) “Es gab sogar Rufe nach einer Ermordung von Julian Assange.” Deshalb fürchte Assange zurecht um seine Sicherheit, sagte Hrafnsson. Er reagierte offensichtlich auf Aussagen aus Nordamerika. In den USA hatte der frühere republikanische Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee, Medienberichten zufolge gefordert, dass der Verantwortliche für die Wikileaks-Enthüllungen wegen Verrats angeklagt und hingerichtet werden solle.

Der erste Teil davon stimmt. Und der zweite Teil auch. Nur der Zusammenhang zwischen beiden — der stimmt nicht. Gesagt hatte Huckabee nämlich (Video):

“Whoever in our government leaked that information is guilty of treason, and I think anything less than execution is too kind a penalty. (…) And anyone who had access to that level of information was not only a person who understood what their rules were, but they also signed, under oath, a commitment that they would not violate.”

(Wer auch immer aus unserer Regierung diese Informationen weitergegeben hat, hat sich des Hochverrats schuldig gemacht, und ich glaube, alles andere als die Hinrichtung wäre eine zu milde Strafe. … Und jemand, der Zugang zu diesem Grad von Informationen hatte, kannte nicht nur ihre Regeln, sondern hat — unter Eid — eine Verpflichtung unterschrieben, sie nicht zu verletzen.)

Es ist unmissverständlich: Huckabee spricht nicht von Assange, sondern von der Quelle im amerikanischen Staatsdienst.

Lingener Tagespost, Wikileaks, Gentrifizierung

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1. “Man muss nur die richtige Frage stellen”
(faz.net, Melanie Mühl)
Melanie Mühl spricht in der “FAZ” von einer Kampagne gegen den von Stephanie zu Guttenberg präsidierten Verein “Innocence in Danger”: “Der Verein ‘Innocence in Danger’ hat sich nicht geweigert, seine Zahlen zu veröffentlichen. Er hat das Interesse, dass über ihn hereingebrochen ist, einfach unterschätzt und das Ultimatum eines Journalisten nicht eingehalten. (…) Am Ende bleibt von allen Vorwürfen nichts.”

2. “Journalismus”
(robertkoop.wordpress.com)
Robert Koop sieht eine CDU-Pressemitteilung nahezu unverändert in der “Lingener Tagespost” abgedruckt.

3. “Wikileaks”
(weltwoche.ch, Roger Köppel)
Anders als Privatpersonen haben Staaten keine schützenswerte Intimzone, findet Roger Köppel: “Es ist bizarr, wenn sich Journalisten für Geheimhaltung und Verschleierung im Namen der Staatsräson einsetzen. Menschen, Bürger, im Privatsektor tätige Unternehmer und Angestellte sind vor der Macht des Staates und der Medien im Zweifelsfall zu schützen, aber sicher nicht das Machtmonopol selber, das in Schach zu halten und zu durchleuchten die nobelste Aufgabe der Journalisten ist.”

4. “Überfordert von Transparenz?”
(notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz fragt angesichts der Medienberichterstattung zu Wikileaks: “Ist das zu viel Transparenz für uns?”: “Wo sind die Mechanismen, die echte Skandale von Banalitäten, die Hörensagen von Fakten und Recherche unterscheiden? Wo sind die Leser, die mehr lesen wollen als ihre eigene Meinung?” Anhand einer falschen Meldung über den Schauspieler Mark Ruffalo zeigt er auf, wie mühsam erarbeitete Transparenz ignoriert wird.

5. “Instyle Men vs. Gala Men”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
“Instyle Men” lässt James Dimon, CEO von JPMorgan Chase & Co., 13 Milliarden Euro im Jahr verdienen. “Wenn Spiegel Online die Quelle ist, kann’s nicht falsch sein, hat sich der Redakteur wohl gedacht. Ein paar Klicks mehr hätten gezeigt: Spiegel Online lässt Jamie Dimon nicht Milliarden verdienen, sondern ‘nur’ 13 Millionen Euro.”

6. “Vom Argwohn gegenüber der eigenen Saturiertheit”
(blog.dummy-magazin.de, Oliver Gehrs)
Gentrifizierung in Berlin: Oliver Gehrs fragt sich, “warum denn all diese Reporter, die dem authentischen Osten so nachweinen nicht nach drüben gehen, wie es früher bei Springer hieß. Zum Beispiel nach Schwedt an der Oder. Da gibt’s den Osten nämlich noch.”

Innocence in Danger, Talkshows, Wikileaks

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1. “geheimes budget in danger”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Der Verein “Innocence in Danger” kündigt an, “wegen verleumderischer Aussagen” gegen den DuMont-Verlag vorzugehen. Felix Schwenzel und auch Bettina Winsemann auf “Telepolis” recherchieren Hintergründe zur Transparenz der Spenden.

2. “Talkshow-Overkill”
(medien-monitor.com, Fabian Schwane)
“Wer keine Talkshows mag, der dürfte die ARD in Zukunft nur schwerlich mögen”, schreibt Fabian Schwane zum zukünftigen Programm im “Ersten”. Stefan Niggemeier zeigt im Fernsehblog schon mal “das bislang noch geheime Ergebnis der Programmreform”.

3. “Im Geheimraum”
(fr-online.de, Arno Widmann)
Arno Widmann begrüßt das Aufbrechen von Geheimräumen durch Wikileaks: “Die Bevölkerung hat keinen Grund, den Regierenden zu vertrauen. Sie tut gut daran, immer wieder auf Offenlegung und Veröffentlichung zu dringen.”

4. “Polit-Gossip in der Redaktions-Soap”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz fragt sich, warum deutsche Redaktionen “nur über teflonbehaftete Kanzlerinnen” schreiben und wartet auf das erste Ranking: “So beliebt sind unsere Politiker in Amerika! Man spürt ja schon förmlich das Durchhecheln nach den geheimen Zeugnisnoten, die unsere Politiker vom großen Lehrer drüben bekommen.”

5. “Sexkritik: Ich will niemals geleakt werden”
(jetzt.sueddeutsche.de, Penni Dreyer)
Penni Dreyer fragt sich, was wäre, wenn Wikileaks “ausnahmsweise mal nicht die geheimen Akten amerikanischer Diplomaten und hochrangiger Regierungsmitglieder veröffentlichen, sondern auf einmal lauter Daten, in denen es um mein Liebesleben geht”.

6. “iPhone-Erziehung”
(nzz.ch, Thomas Böhm)
“Wie kommt eigentlich das iPhone in die Hände der Kleinen? Warum widerstehen meine Frau und ich nicht der Versuchung, durch Übereignung unserer Erziehungshoheit an ein Unterhaltungsmedium ein paar Minuten Schlaf zu gewinnen?”

Küssen verboten

“Die 25 verrücktesten Sex-Gesetze” versprach Bild.de am Donnerstag – selbstverständlich immer mit Blick auf den Bildungsauftrag gegenüber dem Leser – und lieferte dazu eine 25-teilige Klickstrecke. Viel Zeit für Recherche dürfte dabei nicht draufgegangen sein, denn ausnahmslos alle Beispiele geistern zum Teil schon seit den späten Neunzigern in zahllosen Sammlungen und häufig sogar im gleichen Wortlaut durchs Internet oder erschienen schon einmal auf Bild.de.

Noch leichter macht man es sich da nur noch beim Online-Auftritt der Schweizer Boulevardzeitung “Blick”, wo die 25 verrückten “Sex-Gesetze” von Bild.de einfach zwei Tage später als “Verrückte Erotikgesetze” im selben Wortlaut erschienen. Einzige nennenswerte Eigenleistung: blick.ch sortiert nach Ländern.

Bei vielen dieser Gesetze ist es auch aufgrund des komplizierten angelsächsischen Fallrechts nahezu unmöglich zu überprüfen, ob sie immer noch gültig sind oder ob sie überhaupt jemals existiert haben. Zwar lässt sich ein Teil der Gesetze auf der Seite dumblaws.com wiederfinden, aber auch dort fehlt häufig eine Quellenangabe.

Ganz sicher falsch sind jedoch folgende:

Nr. 17 (Bild.de):

Auf Hawaii darf ein Mann nicht mit einer Unter-18-Jährigen zusammen sein. Verstößt er gegen das Gesetz, müssen die Eltern des Mädchens drei Jahre ins Arbeitslager, weil sie ihre Tochter “freizügig” erzogen haben.

Abgesehen davon, dass es im US-Bundesstaat Hawaii keine “Arbeitslager” gibt, findet sich dieses Gesetz weder auf dumblaws.com, noch erscheint es realistisch, wenn man bedenkt, dass auf Hawaii selbst “Unter-18-Jährige” für eine Abtreibung keine elterliche Zustimmung benötigen.

Nr. 20:

Im US-Bundesstaat Connecticut dürfen Kondome offiziell nicht verkauft werden.

Tatsächlich ist der Kondomverkauf in Connecticut seit einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (Griswold v. Connecticut) im Jahre 1965 zulässig.

Nr. 21:

Und in Indiana ist es nur Frauen verboten, Kondome zu kaufen.

Kondome werden in Indiana sowohl geschlechts- als auch altersunabhängig verkauft — und zwar in Drogerien, Apotheken, Supermärkten und online.

Nr. 22:

Wenn Sie nach Irland fahren, nehmen Sie lieber einen großen Vorrat an Kondomen mit: Auch im streng katholischen Inselstaat sucht man vergeblich nach Lümmeltüten.

Ja, die Mehrheit der Iren ist katholisch. Deshalb sind Kondome auf der grünen Insel auch erst seit 1979 nicht mehr verschreibungspflichtig. Und erst seit 1993 können sie auch von Jugendlichen unter 17 Jahren legal erworben werden. Aber wenn Sie am Flughafen jemanden sehen, der wegen eines Koffers voller “Lümmeltüten” Übergepäck anmelden muss, handelt es sich sicher um Redakteure von Bild.de oder blick.ch.

Andere “verrückte” US-Gesetze wie etwa die gesetzliche Beschränkung auf maximal “zwei Dildos pro Haushalt” in Arizona (Nr. 24) versuchte der amerikanische Jurist Daniel Enevoldsen zu verifizieren — erfolglos. Ihm gebührt das Schlusswort, das wohl auf den Großteil der Gesetze aus der Liste zutreffen dürfte:

Ich glaube, dass es sich dabei irgendwann tatsächlich um Gesetze gehandelt hat, die aber inzwischen nicht mehr angewendet werden. Sie sind vermutlich so alt, dass sie nicht in Online-Datenbanken aufgezeichnet sind. Möglich ist auch, dass die Gesetze nie existiert haben und einfach von irgendwelchen Leuten erfunden wurden. Wie auch immer: Es scheint sie nicht mehr zu geben.
(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an Michael und einen anonymen Helfer!

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