Frauenzeitschriften, Fußball-EM, Urheber

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Verlage versuchen’s mit Fashion, Style und Kohlsuppe”
(haz.de, Imre Grimm)
Imre Grimm erklärt, wie man eine neue Frauenzeitschrift auf dem Markt einführt: “1. Suchen Sie einen griffigen Titel. 2. Wagen Sie bloß nichts Neues. 3. Benutzen Sie verbale PR-Nebelbomben! 4. Vermeiden Sie komplexe Inhalte. 5. Der Ton macht die Musik. 6. Verraten Sie nie, nie, niemals, … dass seit 1994 für deutsche Frauenmagazine kein einziges Wort neu geschrieben wurde.”

2. “Keine toreschießende Wollmilchsau”
(taz.de, Michael Brake)
Michael Brake liest vom “Kicker” über “11 Freunde” bis zur “Sport-Bild” Sonderhefte zur anstehenden Fußball-Europameisterschaft.

3. “Im Paralleluniversum”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Ein Blick auf einige TV-Alternativen zur Fußball-EM: “Wie schwer das im EM-Monat Juni für die anderen Fernsehsender wird, zeigt ein Blick auf die letzte Fußball-WM. Im Juni 2010 fiel der Marktanteil von Sat 1 von 10,9 auf 9,5 Prozent, bei Pro 7 von 11,4 auf 10,2 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe, während die ARD ihren Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen dank WM-Übertragungen von 6,1 auf 12,4 Prozent mehr als verdoppelte.”

4. “Karl Valentin und die Anwälte”
(wdr.de, Insa Moog)
Zwei Personen aus Berlin erhalten Post von der Anwaltskanzlei aufgrund von beanstandeten Urheberrechtsverstößen: “Auf ihrer Webseite mit Einrichtungstipps nach Feng Shui-Prinzipien hatten sie in einem Blogeintrag einen unkommentierten Karl-Valentin-Spruch bestehend aus zwölf Worten veröffentlicht. Die Folge: ein Schreiben, in dem Anwaltskosten von insgesamt 891,31 Euro erhoben wurden. Die Summe ergab sich aus dem ‘Gegenstandswert von 10.000 Euro’.”

5. “Sind wir nicht alle ein bisschen Urheber?”
(heise.de/tp, Bettina Hammer)
Für Bettina Hammer ist “die Einteilung in Urheber und Nichturheber ist oftmals genauso willkürlich wie die in Produzent und Konsument. Gerade auch im Internet, und eine Vielzahl der Diskussionen beschränkt sich auf die digitalen Fragen des Urheberrechtes, sind diese Grenzen oft verschwommen oder nicht mehr vorhanden. Die Urheber sind gleichzeitig auch diejenigen, die von anderer Leute Inhalte profitieren und diese verwerten, sind, so diese wirtschaftlich ausgerichteten Begriffe verwenden will, Produzent und Konsument zugleich.”

6. “4 Ways the Face-Eater Zombie Craze Proves the Media’s Broken”
(cracked.com, Daniel O’Brien, englisch)

Schlecker aus dem Schneider

Wir wissen nicht, wie die wirklich arbeiten, bei der “Rheinischen Post”, aber als Arbeitshypothese halten wir seit heute zum Beispiel folgenden Ablauf für plausibel:

Antje? Sitzt du noch an dem Stück über die Schlecker-Pleite?

Ja, wieso?

Ich hätte noch ein exklusives Zitat für dich, das du einbauen könntest.

Okay, sag an.

Der Schneider lehnt staatliche Hilfen für Schlecker ab. “Es ist alles getan worden, die Abwicklung von Schlecker lässt sich jetzt nicht mehr verhindern”, sagt er. “Die Gemeinden und das Land können nichts tun: Sie haben weder die rechtlichen Möglichkeiten noch das Geld, Hilfen für einen maroden Betrieb zu zahlen. So bitter das für die Mitarbeiter ist.”

Sagt der Schneider?

Ja, der Schneider.

Ich bau’s ein. Wär auch was für die Unterzeile, oder?

Ja, und gib eine Vorabmeldung an die Agenturen.

Und so — oder ganz anders — kam es, dass die “Rheinische Post” am heutigen Montag meldete, dass der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider staatliche Beihilfen für Schlecker ablehne, obwohl die entsprechende Aussage in Wahrheit von Bernd Jürgen Schneider stammte, dem Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen.


Um kurz nach Mitternacht veröffentlichte die “Rheinische Post” die Falschmeldung stolz als Pressemitteilung. Von dort fand sie ihren Weg in den Dienst der Nachrichtenagentur dapd, die am frühen Morgen meldete:

SPD-Minister will keine Staatshilfe für Schlecker

Düsseldorf (dapd). Der Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider, lehnt finanzielle Unterstützung für den insolventen Schlecker-Konzern durch die öffentliche Hand ab. “Die Gemeinden und das Land können nichts tun: Sie haben weder die rechtlichen Möglichkeiten noch das Geld, Hilfen für einen maroden Betrieb zu zahlen, so bitter das für die Mitarbeiter ist”, sagte Schneider der in Düsseldorf erscheinenden “Rheinischen Post” (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Eine Zukunft der Drogeriemarkt-Kette sieht Schneider nicht. “Es ist alles getan worden. Die Abwicklung von Schlecker lässt sich nicht mehr verhindern”, sagte er.

Im Laufe des Vormittages fiel der Fehler auf, und dapd zog die Meldung zurück:

Die Rheinische Post hat ihren Vorabbericht zurückgezogen und dies mit einer Verwechslung begründet. Verwechselt wurden NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider und der NRW-Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Bernd Jürgen Schneider.

Nicht jedes Nachrichtenangebot kam der Aufforderung nach, die Meldung nicht (mehr) zu verwenden: Bei “Welt Online” etwa steht sie immer noch unverändert. Auch die eigene Pressemitteilung hat die “Rheinische Post” nicht gelöscht.

Im eigenen Online-Angebot hat die Zeitung die falsche Passage unauffällig aus Überschrift und Inhalt des Original-Artikels herausoperiert — ohne irgendeinen Hinweis, eine Erklärung oder eine Korrektur für diejenigen Leser, die auf den peinlichen Fehler, der vorher da stand, hereingefallen sind.

Vermutlich muss man, anderseits, anerkennen, dass die “Rheinische Post” wenigstens nicht Bernd, Wolf, Martin, Helge oder Romy mit in die Sache gezogen hat.

Nachtrag, 6. Juni. “Welt Online” hat die Meldung korrigiert; die “Rheinische Post” ihre Pressemitteilung gelöscht.

Fußball-Experten unter sich

Am Freitag beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Bild.de möchte die Leser mit einem “großen EM-Quiz” darauf einstimmen und schreibt:

Das EM-Fieber steigt, Fußball-Deutschland wünscht sich den dritten EM-Titel nach 1972 und 1996. Doch was wissen die Fans eigentlich über die EM-Geschichte?

Wer sich auch nur rudimentär für Fußball interessiert, weiß zumindest schon mal mehr als die Redaktion von Bild.de: Deutschland hat nämlich schon drei EM-Titel — den von 1972, den von 1996 und den von 1980.

Mit Dank an Dirk B.

Nachtrag, 14.26 Uhr: Bild.de hat sich … zu korrigieren versucht:

Das EM-Fieber steigt, Fußball-Deutschland wünscht sich den dritten EM-Titel nach 1972, 1980 und 1996.

Nachtrag, 16.10 Uhr: Jetzt hat es Bild.de doch noch geschafft, bis vier zu zählen.

Die Wulff-Enthüllung, die keine war (2)

Am Samstag erschien auf Seite 2 der “Bild”-Zeitung folgende Gegendarstellung:

Gegendarstellung: In der BILD vom 18.02.2012, S. 5 schreiben Sie unter der Überschrift: "So deckte BILD die Wulff-Affäre auf" über mich folgendes: "8. Februar 2012: () BILD enthüllt: Der Filmproduzent David Groenewold hat 2007 für Wulff einen Luxusurlaub im "Hotel Stadt Hamburg"(HSH) auf Sylt gebucht und bezahlt." Hierzu stelle ich fest: BILD hat dies nicht enthüllt. Vielmehr haben meine Anwälte bereits am 24.1.2012 meine Buchung und Zahlung des gemeinsamen Sylt-Aufenthaltes im Jahr 2007 gegenüber dem NDR offengelegt und der Fernsehsender hat noch am selben Tag darüber berichtet. Berlin, 29.2.2012. Rechtsanwältin Julia Bezzenberger für David Groenewold. Zum Abdruck dieser Gegendarstellung sind wir gesetzlich verpflichtet - (die Redaktion)

Der Hinweis “Zum Abdruck dieser Gegendarstellung sind wir gesetzlich verpflichtet” ist blanker Hohn, denn “gesetzlich verpflichtet” wäre die Redaktion schon vor drei Monaten gewesen, als der Antrag auf Gegendarstellung bei ihr einging. Am 1. März erging sogar eine einstweilige Verfügung gegen “Bild” und Bild.de, die es beiden Redaktionen verbot, weiterhin zu behaupten, sie hätten dieses Detail “enthüllt”. Doch die Juristen der Axel Springer AG gingen durch die Instanzen — und scheiterten (BILDblog berichtete).

Ende Mai informierte das Berliner Kammergericht die Springer-Anwälte, dass es sich der Entscheidung des Landgerichts anzuschließen gedenke:

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach durch die Mitteilung “Bild enthüllt: Der Filmproduzent David Groenewold hat 2007 für Wulff einen Luxusurlaub im “Hotel Stadt Hamburg” (HSH) auf Sylt gebucht und bezahlt.”, beim Durchschnittsleser der Eindruck entsteht, die Buchung und Bezahlung des Urlaubs auf Sylt sei erstmals durch die Recherchen der Antragsgegnerin [“Bild”] bekannt geworden. Dies ergibt sich schon aus der Stellung der Worte “BILD enthüllt:” vor der genannten Mitteilung. Denn der Antragsteller [David Groenewold] hat dargelegt, dass er der [sic!] bereits am 24. Januar gegenüber dem NDR Angaben zu der Buchung und Bezahlung des Urlaubs auf Sylt gemacht habe.

Bei Springer haben sie jetzt also schriftlich, dass die Formulierung “BILD enthüllt” so zu verstehen ist, dass “Bild” den nachfolgenden Sachverhalt tatsächlich auch enthüllt hat.

dapd  

Gemischtes Doppel (2)

Die Pressestelle des Hessischen Statistischen Landesamtes hatte offenbar bereits den einen oder anderen Clown gefrühstückt, als sie am Freitag diese Pressemitteilung veröffentlichte:

Mineralwasser für Mathematiker
Mineralwassererzeugung auf Rekordniveau

Nein, auch in Zukunft wird Mineralwasser natürlich nicht nur von Mathematikern getrunken. Doch in Hessen wurde 2011 so viel Mineralwasser getrunken, dass es dem Inhalt eines Würfels mit der Kantenlänge von knapp 114 Metern entspricht; eine Seite dieses Würfels hätte die Fläche von zwei nebeneinander liegenden Fußballfeldern, oder dem Inhalt einer Kugel mit dem Durchmesser von 141 Metern – der Durchmesser der Kugel hätte die Höhe des City-Hochhauses (früher Selmi–Hochhaus genannt) am Platz der Republik in Frankfurt am Main. Auf diese Weise lässt sich die in Hessen gewonnene Mineralwassermenge veranschaulichen.

Wem da noch nicht der Schädel brummte, der bekam anschließend noch ein paar konkretere Informationen zu lesen, wie etwa diese hier:

Nach Angaben des Hessischen Statistischen Landesamtes haben die hessischen Quellenbetriebe im Jahr 2011 insgesamt 1,467 Milliarden Liter natürliches Mineralwasser gewonnen, ein Plus von 42 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor.

Leider geriet die Pressemitteilung nicht nur in die Hände von Mathematikern, sondern auch an den Hessischen Landesdienst der Nachrichtenagentur dapd.

Und der machte einen durchaus beliebten Denkfehler:

Die hessischen Quellbetriebe haben im vergangenen Jahr fast doppelt so viel Mineralwasser gewonnen wie im Jahr zuvor. Mit 1,467 Milliarden Litern wurde ein Plus von 42 Prozent verzeichnet, wie das Statistische Landesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte.

Mit Dank an Alan Smithee.

Bild am Sonntag, UEFA, Bottrop

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Verlag muss wegen werblicher Vereinnahmung fiktive Lizenz für Veröffentlichung eines Promi-Fotos zahlen”
(beck-aktuell.beck.de)
2008 zeigte die “Bild am Sonntag” Gunter Sachs beim Lesen dieser Zeitung, worauf Sachs den Axel-Springer-Verlag verklagte. Nun fällte der Bundesgerichtshof sein Urteil. “Der beklagte Verlag könne sich demgegenüber nicht auf ein überwiegendes Informationsinteresse berufen. Vielmehr habe das Persönlichkeitsrecht des Klägers Vorrang gegenüber dem nur als gering zu veranschlagenden Interesse der Öffentlichkeit an der Neuigkeit, dass der Kläger auf seiner Jacht die Zeitung ‘Bild am Sonntag’ liest. Dabei sei auch berücksichtigt worden, dass der beklagte Verlag mit der Veröffentlichung des Fotos in unzulässiger Weise in die Privatsphäre des Klägers eingegriffen habe.”

2. “Die Herren des Weltbilds”
(faz.net, Harald Staun und Peter Körte)
Ein Ausblick auf die Fußball-Europameisterschaft mit einer Analyse der UEFA-Reglemente: “Alles ist mehr oder minder klar geregelt: Wann und wie oft etwa während des Spiels Zeitlupenwiederholungen gesendet werden, wie lange der Jubel auf den Rängen dauert, in welchen Spielsituationen ein Umschnitt von der Totalen in die Halbnahe fällig wird.”

3. “Der Igel frisst keine Artikel”
(sueddeutsche.de, Heribert Prantl)
Wenn das geistige Eigentum konsequent geschützt werde und geschützt bleibe, könne man auf ein zusätzliches Leistungsschutzrecht verzichten, schreibt Heribert Prantl in einem historischen Exkurs zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger: “Es soll Leistungen honorieren, die nicht dem Urheberrecht unterliegen. (…) Wer die Informationsfreiheit verteidigen will, darf das Leistungsschutzrecht ablehnen. Das Urheberrecht muss er verteidigen, weil es den kenntnisreichen und geistreichen Umgang mit Information schützt.”

4. “Toter Bottroper Rocker – Presse berichtet fast richtig über Bottroper Verhältnisse”
(bottblog.de, Werner Boschmann)
Werner Boschmann liest verschiedene Berichte zu einem in Bottrop tot aufgefundenen Mann.

5. “Skizze für die Zeit nach ARD und ZDF”
(vocer.org, Lorenz Matzat)
Lorenz Matzat malt sich aus, wie eine “neu geschaffene öffentlich-rechtliche Internet & Medien Anstalt IMA” aussehen könnte.

6. “Günter Grass – Was gesägt werden muss”
(welt.de, Hans Zippert)

Bild  

Royal Mail from Wagner

Es ist eine Art Service am Leser. Immer wenn in “Bild” ein Beitrag erscheint, der noch schlechter recherchiert ist, als es der ohnehin schon niedrige Standard des Blattes erwarten lässt, dann wird dieser Beitrag mit einem Warnlogo versehen, damit der Leser gleich weiß, dass er den Inhalt nicht für voll nehmen darf. Dieses Warnlogo sieht so aus:

Liebe Queen Elizabeth II,

Immerhin, glaubt Wagner, der der englischen Königin anlässlich ihres Thronjubiläums schreibt, zu wissen, was sich gehört:

ich weiß, ein Brief an Sie hat mit “Madame” zu beginnen. “Liebe Queen” ist ungebührlich, zu nah.

Äh, nein. Ein formeller Brief an die Queen hat mit “Your Majesty” oder “Ma’am” bzw. “Madam” zu beginnen. Allerdings geht es laut der offiziellen Webseite der englischen Monarchie auch anders:

This traditional approach is by no means obligatory. You should feel free to write in whatever style you feel comfortable.

Wagner fährt in seinem ganz eigenen “style” fort:

Madame, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem diamantenen Thron-Jubiläum. Morgen, am 2. Juni vor 60 Jahren, wurden Sie in der Westminster Abbey zur Königin gekrönt. Sie waren 26. Heute sind Sie immer noch Königin.

Immerhin, wir wurden ja gewarnt (s.o.). Richtig ist, dass Elisabeth II. in diesem Jahr 60 Jahre als Königin regiert und aus diesem Grunde wird morgen auch das 60-jährige Thronjubiläum gefeiert. Königin ist sie aber bereits seit dem 6. Februar 1952, dem Todestag ihres Vaters. Offiziell gekrönt wurde sie erst über ein Jahr später am 2. Juni 1953, also morgen vor 59 Jahren.

Oh, und apropos “Sie waren 26”: Elisabeth II. war 25, als sie am 6. Februar 1952 Königin wurde, und 27, als sie gekrönt wurde.

Wagner schließt nach einer Aufzählung, was die Queen schon alles erlebt hat, und der eher befremdlichen Frage “Ich würde so gern wissen, wonach Sie riechen. Nach Rosen, Orangen, Zitronen?” so:

Herzlichst,

oder Englisch:

Yours sincerely,

F. J. Wagner

Die formal korrekte Schlussformel wäre übrigens diese gewesen:

I have the honour to be, Madam, Your Majesty’s humble and obedient servant

Mit Dank an Soe und Vera H.

Vision, Ihr Luschen!

Zugegeben: Das mit Europa, das ist unübersichtlich. Es gibt die Europäische Union (EU), die auf die Europäischen Gemeinschaften (nicht zu verwechseln mit der Europäischen Gemeinschaft) zurückgeht, den Europarat (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat oder dem Rat der Europäischen Union), den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof der Europäischen Union, obwohl genau das immer wieder geschieht), das Europäische Parlament und die Europäische Kommission, die wiederum Teil der EU sind, außerdem die Europäische Rundfunkunion, die UEFA und die Band Europe. Da kann man schon mal durcheinander kommen.

Soweit wir selbst vor rund anderthalb Jahren, als es mal wieder darum ging, dass nicht alles, wo “Europa” drauf steht, auch gleichzeitig mit der Europäischen Union (EU) zu tun hat. Diesmal wird es noch komplizierter, denn nicht auf allem, was im weiteren Sinne mit Europa zu tun hat, steht auch “Europa” drauf.

Die oben bereits eingeführte Europäische Rundfunkunion (EBU) richtet seit 1956 alljährlich eine Veranstaltung aus, die seit 1992 offiziell “Eurovision Song Contest” heißt und am vergangenen Samstag im aserbaidschanischen Baku stattfand. Auch in den Jahren davor trug sie schon oft diesen Titel, auch wenn sie im Volksmund immer noch als “Grand Prix Eurovision de la Chanson” oder schlicht “Schlager-Grand-Prix” bekannt ist. Nie, hingegen, hieß sie “European Song Contest” — was auch ziemlicher Quatsch wäre, da zu den EBU-Mitgliedern auch Staaten in Nordafrika und Vorderasien gehören.

Auftritt deutsche Medien:

“Express”, 15. Mai:

In Baku (Aserbaidschan) gab es bei einer Demo von Regierungsgegnern gegen Zwangsenteignungen Verletzte und 10 Festnahmen. In Baku sind seit 2009 4000 Gebäude abgerissen worden. In der Stadt findet am 26. Mai der European Song Contest statt.

“Hamburger Abendblatt”, 16. Mai:

Ob die gefühlvolle Ballade “Standing Still” des deutschen Teilnehmers Roman Lob, 21, ankommt, wird vom Umfeld abhängen. Das Lied, das der englische Ausnahmekünstler Jamie Cullum komponierte, hat unbestritten internationales Pop-Potenzial, so wie der Song “Euphoria” der Schwedin Loreen, die bei den englischen Buchmachern als Favoritin geführt wird – beim European Song Contest 2012, diesmal eben aus Absurdistan.

tagesspiegel.de, 16. Mai:

Aserbaidschan: Vor dem European Song Contest in Baku

“Rheinische Post”, 19. Mai:

Bei der Vorbereitung für den European Song Contest in Aserbaidschan war das Know-how von Gardemann-Arbeitsbühnen gefragt. In Alpen sitzen die Fachberater für Auslandseinsätze.

“Welt am Sonntag”, 20. Mai:

Welt am Sonntag: Herr Schreiber, Herr Urban, haben Sie die Gewinner des vergangenen European Song Contest in Düsseldorf noch in Erinnerung?

(In dem Interview mit ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber und dem ESC-Kommentator der ARD, Peter Urban, wird den beiden ESC-erfahrenen Gesprächspartnern mehrfach die Formulierung “European Song Contest” in den Mund gelegt.)

“Nürnberger Zeitung”, 21. Mai:

Schon vor dem Halbfinale des European Song Contest hat sich die NZ die wichtigsten Beiträge im Internet angesehen.

AFP, 24. Mai:

Baku:
– Zweites Halbfinale beim European Song Contest (21.00 Uhr)

Reuters, 24. Mai ff:

NEU-ULM/ULM – Aktionen von Amnesty International in NEU-ULM (10:40) unter dem Motto “0 Points für Menschenrechte in Aserbaidschan” anlässlich des European Song Contest und in ULM (11:30) unter dem Motto “Hände hoch für Waffenkontrolle – Für einen starken ‘Arms Trade Treaty'”

“Handelsblatt”, 25. Mai:

In Aserbaidschans Hauptstadt Baku findet morgen das Finale des European Song Contest (ESC) statt.

n-tv.de, 25. Mai:

Oslo oder Düsseldorf mögen sich für den European Song Contest mächtig ins Zeug gelegt haben – gegen das, was in Baku aufgefahren wird, waren das allenfalls Sandkastenspiele.

“Westfälische Nachrichten”, 25. Mai:

Peter von Wienhardt ist Pianist und Komponist – aber der Professor an der Musikhochschule Münster hat auch ein gutes Gespür für die Chancen der Kandidaten beim European Song-Contest.

br.de, 25. Mai:

In Baku, der Haupstadt von Aserbaidschan, findet in diesem Jahr der European Song Contest statt. Die Opposition des Landes nutzt die Chance, um die Stimme gegen das autoritäre Regime zu erheben.

Auch an diesem Samstag werden wieder Millionen Fans des European Song Contests (ESC) vor den Fernsehern sitzen, um sich mehr oder weniger gelungene Lieder und deren Interpreten anzuschauen. Mit Spannung verfolgen die Menschen die Entscheidung, wer das Finale gewinnt.

“Spiegel Online”/”Perlentaucher”, 25. Mai:

In einem Pro und Contra widmen sich Jan Feddersen und Stefan Niggemeier der Frage, wie deutsche Journalisten vom European Song Contest aus Aserbaidschan berichten sollen und ob es Heuchelei wäre, wenn sie über dortige Menschenrechtsverletzungen schreiben.

(Im verlinkten Artikel auf taz.de schreiben Feddersen und Niggemeier nur vom “Eurovision Song Contest”.)

“Spiegel Online”/”Perlentaucher”, 26. Mai:

So langsam scheint es, als müsse man den European Song Contest ernst nehmen, staunt Wolfgang Michal auf Carta.

(Im verlinkten Artikel auf carta.info schreibt Wolfgang Michal auch nur vom “Eurovision Song Contest”.)

“Mannheimer Morgen”, 26. Mai:

Mehr als 100 Millionen Zuschauer werden heute Abend vor dem Fernseher sitzen, wenn der European Song Contest ins Finale geht.

“Berliner Morgenpost”, 26. Mai:

Die Berichterstattung in den deutschen Medien zur Lage Aserbaidschans kritisiert der PR-Berater. Viele Journalisten würden nicht fair und objektiv recherchieren. Beispielsweise bei den Umsiedlungen der Menschen, die dem Bau der neuen Konzerthalle für den European Song Contest weichen mussten.

dapd, 27. Mai:

Hamburg (dapd). NDR-Intendant Lutz Marmor hat Anke Engelke für ihre kritischen Äußerungen beim Finale des European Song Contest gelobt. “Ein besonderes Kompliment hat sich Anke Engelke verdient”, erklärte Marmor am Sonntag. “Bei der Punktevergabe live von der Grand-Prix-Party in Hamburg hat sie genau den richtigen Ton getroffen. Danke, Anke!”

(In seiner Pressemitteilung hatte der NDR selbstverständlich “Eurovision” geschrieben.)

neuepresse.de, 27. Mai:

ESC: Schweden gewinnt European Song Contest in Baku

“Euphoria” in Baku: Zum fünften Mal gewinnt Schweden den Eurovision Song Contest. Die Sängerin Loreen ist die Siegerin des wohl politisch brisantesten Grand Prix der Fernsehgeschichte.

dapd, 27. Mai:

Spektakulärer Auftritt von Anke Engelke beim European Song Contest (ESC): Bei der Verlesung der deutschen Punktwertung für die anderen ESC-Teilnehmer kritisierte sie von der Hamburger Reeperbahn aus vor einem 100-Millionen-Publikum die Regierung des ESC-Gastgeberlandes Aserbaidschan. (…)

Nach dem ESC-Erfolg von Sängerin Loreen darf Schweden den Eurovision Song Contest 2013 ausrichten.

“Berliner Morgenpost”, 27. Mai:

Der 57. European Song Contest bietet Unterhaltung und manche Überraschung

dapd, 29. Mai:

Die 28-Jährige ist laut eigener Aussage noch zu haben. “Ich bin Single, leider auch sehr schüchtern.” Loreen gewann am Samstag beim European Song Contest in Baku mit dem Lied “Euphoria”.

“Spiegel Online”/”Perlentaucher”, 29. Mai:

Und: Gerrit Bartels stellten sich beim European Song Contest die Nackenhaare auf: “So viel unfassbare schlechte Musik, die da über drei Stunden zu hören war!”

(Auch hier gilt natürlich: Gerrit Bartels schreibt im verlinkten Artikel auf tagesspiegel.de nur vom “Eurovision Song Contest”.)

dpa, 30. Mai:

Aserbaidschan: Anschläge vor European Song Contest verhindert

Baku/Moskau (dpa) – Aserbaidschanische Sicherheitskräfte haben nach eigenen Angaben vor dem Finale des Eurovision Song Contest (ESC) in der vergangenen Woche mehrere Terroranschläge verhindert.

n-tv.de, 31. Mai:

Jetzt, wo der European Song Contest vorbei ist – haben Sie Angst, dass die Regierung sich rächen wird für all die Kritik, die Sie veröffentlicht haben, und für all die Proteste, die Sie und andere organisiert haben?

Bild, EBU, Holocaust

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Verschweigen, was ist”
(freitag.de, Jakob Augstein)
Jakob Augstein schreibt angesichts des anstehenden 60. Geburtstags über die Rolle, die die “Bild”-Zeitung heutzutage spielt. Er streift dabei unter anderem das Verhältnis von “Bild” und “taz”, die Arbeit von BILDblog-Mitbegründer Stefan Niggemeier und die Bemühungen von “Bild”, “ganz normalen Journalismus” zu machen: “Das macht die Zeitung noch gefährlicher. Aber nicht wegen der Artikel, die dort erscheinen. Sondern wegen derjenigen, die nicht erscheinen.”

2. “Vorstoß für ESC-Ausschluss”
(blog.prinz.de, Matthias Breitinger)
Der Eurovision Song Contest könnte vor einem Umbruch stehen, denn ihr Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion (EBU), plant angeblich Reformen: “Eine Reihe von Mitgliedern der Rundfunkgemeinschaft will nicht länger hinnehmen, dass in manchen EBU-Ländern die Meinungs- und Pressefreiheit und demokratische Mindeststandards verletzt werden und die EBU nichts unternehmen kann. Neue Regeln sollen etwa die Möglichkeit erlauben, solchen Ländern die Teilnahme am Eurovision Song Contest zu verweigern.” Treffen könnte es z.B. Ungarn und den diesjährigen ESC-Ausrichter Aserbaidschan.

3. “Stille Post mit Holocaust”
(pannor.de, Stefan Pannor)
Am Montag hat Stefan Pannor bei “Spiegel Online” darüber geschrieben, dass in der aktuellen Ausgabe von “Micky Maus Comics” in einer Sprechblase das Wort “Holocaust” relativ unmotiviert auftaucht. Nun dokumentiert er, wie die Geschichte ihre Runde um die Welt machte — und wie sie sich dabei veränderte.

4. “ZEIT Online und die Urheber”
(blogonade.de, Lukas Bischofberger)
Lukas Bischofberger entdeckt auf “Zeit Online” ein Foto, das er selbst bei photocase.de hochgeladen hatte. Gemäß der dortigen Regeln hätte “Zeit Online” ihn entweder als Urheber nennen oder sehr viel mehr Geld bezahlen müssen. Getan haben sie offenbar beides nicht. (Nachtrag: Der Hinweis auf die Urheber war nur gut versteckt.)

5. “Schöne Heimat Internet”
(dasmagazin.de, Astrid Herbold)
Kurzporträts von drei Menschen, die im Internet “wohnen”: Patricia Cammarata, Gero Nagel und Felix Schwenzel.

6. “Der Kuzy”
(stefan-niggemeier.de/blog)
Stefan Niggemeier flicht Stefan Kuzmany, Redakteur bei “Spiegel Online”, einen Kranz. Kuzmany habe eine neue journalistische Textgattung erschaffen: den sich von sich selbst distanzierenden Text.

Ohne Ljajic fahr’n wir zur EM

Sinisa Mihajlovic, neuer Trainer der serbischen Fußballnationalmannschaft, hat seinen Mittelfeldspieler Adem Ljajic aus dem Kader geschmissen, weil der vor einem Testspiel am Samstag nicht die serbische Nationalhymne hatte mitsingen wollen. So berichteten es am Montag die Deutsche Presseagentur (dpa) und der Sportinformationsdienst (sid).

Bild.de veröffentlichte die dpa-Meldung im Newsticker und versah sie mit einer neuen Überschrift:

Hymne nicht gesungen - EM-Aus für Serben Ljajic

Es ist nicht falsch, dass Adem Ljajic nicht bei der EM spielen wird — nur hat das nichts mit den Ereignissen vom Samstag zu tun: Die gesamte serbische Nationalmannschaft hatte sich schlichtweg nicht für das Turnier qualifizieren können.

Mit Dank an Marc S.

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