In einem Dorf in Nordrhein-Westfalen ist vor zwei Wochen eine 61-jährige Frau getötet worden.
Für die Kölner “Bild”-Ausgabe stand der Täter schnell fest:
(Die Gesichter und Namen haben wir unkenntlich gemacht.)
Selbst ein mögliches Motiv lieferte das Blatt:
Gegen den Patensohn war zwar tatsächlich ein Haftbefehl wegen Mordes erlassen worden; er selbst schwieg aber zunächst und wies die Vorwürfe dann zurück.
Der Patensohn ist inzwischen freigelassen worden. Bei Bild.de wird er — samt Foto, abgekürztem Namen und Motiv — aber immer noch als Täter präsentiert.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Der Ekel schaltet Gehirnzellen aus” (blog.alvar-freude.de)
“Taz”-Chefredakteurin Ines Pohl schreibt in einem Beitrag für den Deutschlandfunk, dass im vergangenen Jahr “250.000 Deutsche rund 20 Milliarden Euro für Bilder und Filme mit nackten Kindern ausgegeben” hätten. “Das bedeutet: durchschnittlich 80.000 Euro, achtzigtausend Euro pro Konsument. Der Ekel hat bei Ines Pohl offensichtlich alle Gehirnzellen abgeschaltet.”
2. “Wie klingt eigentlich eine Zeitung?” (jawl.net, Christian Fischer)
Auf der Website So-klingt-die-wp.de sucht die “Westfalenpost” ein Soundlogo: “In den AGB, die liest ja eh keiner, versteckt man dann, dass der Gewinner für diese tausend Euro sämtliche Rechte an dem von ihm komponierten Logo abtritt. Die Mitmach-Aktion-Veranstalter dürfen das Soundlogo wo und wann auch immer sie wollen abspielen, sie dürfen es weiter bearbeiten, sie dürfen es sogar weitergeben und sie sind auf immer und ewig die einzigen die das alles dürfen. Schicke Sache, so für tausend Euro. Glaubt mir: das ist ziemlich günstig.”
3. “Piraten dementieren Bombergate” (taz.de, Sebastian Heiser)
Die Bundespressesprecherin der Piratenpartei sendet der “taz” per E-Mail einen “Korrekturhinweis”, doch diese will von ihrer bisherigen Berichterstattung nicht abrücken. “Wenn Anne Helm den Prozess gegen den Berliner Kurier und die taz gewinnt, ist das Verfahren für sie kostenlos und sie kann zudem Schmerzensgeld wegen der Falschberichterstattung einfordern.”
4. “Die Lanz-Stromberg-Filter-Bubble” (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Gelangweilt liest Christian Jakubetz den x-ten Verriss der ZDF-Show “Wetten, dass..?”. “Der SZ/SpOn-Leser will bestätigt wissen, wie recht er hatte, die Sendung nicht zu schauen und den Lanz doof zu finden. Wenn es also eine Art Lanz-Filter-Bubble gibt, dann tun SZ und ‘Spiegel’ gerade alles dafür, dass diese Blase ja nicht platzt.”
5. “Seitdem bewegt sich niemand mehr” (perlentaucher.de, Anja Seeliger)
“Die teilweise erstickende Uniformität und Leere im deutschen Kulturbetrieb ist genau den Bürgerkindern geschuldet, die sich jetzt die Stellen und öffentlichen Gelder teilen”, schreibt Anja Seeliger zur Personalsituation (auch) in den Feuilletons. “Frank Schirrmacher wurde mit 35 Jahren Herausgeber der FAZ und damit unkündbar. Das ist zwanzig Jahre her, gut möglich, dass noch zwanzig dazukommen. Thomas Steinfeld leitet seit 1997 als Chefredakteur erst das Literaturressort der FAZ und dann das Feuilleton der SZ. Das sind 17 Jahre. Wer jetzt noch mit einem festen Vertrag in einer Zeitungsredaktion sitzt, wird dort, wenn es irgend geht, bis zur Pensionierung ausharren. Wie kann in solchen Verhältnissen Durchlässigkeit entstehen?”
Wobei “Zitat” nicht ganz richtig ist, denn — ist Ihnen was aufgefallen? Die schließenden Anführungszeichen fehlen. Nun, vielleicht hat sie einfach jemand vergessen.
Wahrscheinlicher aber ist, dass die Leute von “Bild” sie mit Absicht nicht gesetzt haben. Vermutlich ist das ihre Kennzeichnung dafür, dass Klopp es “so in der Art” gesagt hat. Oder dass er es unter Umständen so gesagt haben könnte. Oder dass er es so sagen wollte, aber nicht mehr genug Zeit war. Oder was auch immer. Jedenfalls: dass er es so nicht gesagt hat.
Hat er nämlich nicht.
“Wir stürzen den HSV noch tiefer in die Krise!” Soll Jürgen Klopp gesagt haben. Hat er aber nicht. Das weiß jeder, der bei der gestrigen Pressekonferenz anwesend war, wer den Livestream gesehen hat – oder sich die Aufzeichnung ansehen möchte.
Das stellt der BVB jetzt auf seiner Internetseite klar. Und tatsächlich zeigt die Aufzeichnung, dass Klopp nichts gesagt hat, was auch nur annähernd in die Richtung der “Bild”-Überschrift geht. Im Text hat “Bild” den Satz dann auch sicherheitshalber komplett ohne Anführungszeichen gedruckt:
Klopp knallhart: Wir stürzen den HSV noch tiefer in die Krise!
Und bei Bild.de wurde das Schein-Zitat nachträglich und unauffällig aus der Überschrift entfernt.
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1. “Fragwürdiger Recherche-Multi” (cicero.de, Petra Sorge)
Petra Sorge zeigt Probleme des Rechercheverbunds auf, den NDR, WDR und die “Süddeutsche Zeitung” bilden. “Die Süddeutsche profitiert natürlich auch von nicht-monetären Vorteilen – etwa Recherchekapazitäten oder dem Zugriff auf den öffentlich-rechtlichen Korrespondentenpool.”
3. “Wer hat Angst vorm ‘Schwarzen Freitag’?” (handelsblatt.com, Jörg Hackhausen)
Ein “Chart of Doom” wird im Netz und in den Medien verbreitet, so fragt etwa Focus.de: “‘Chart of Doom’: Kommt heute der große Börsen-Crash?”. Jörg Hackhausen bemerkt dazu: “Anders als der ‘Chart of Doom’ suggeriert, verlief die Rally in den 1920er-Jahren ganz anders als heute, und zwar deutlich steiler. Das erkennt man aber erst, wenn man die Skalierung ins richtige Verhältnis setzt.”
4. “Quellenschutz: Fatales Signal des Bundesgerichts” (dominiquestrebel.wordpress.com)
Das Schweizer Bundesgericht zwingt eine Journalistin, den Namen eines von ihr porträtierten Cannabishändlers offenzulegen. “Dieser Entscheid des Bundesgerichts führt zu grosser Rechtsunsicherheit und wird weit über diesen Einzelfall hinaus Wirkung haben: Die Medien werden sich zwei Mal überlegen, Recherchen auch nur in der Nähe solcher Themenbereiche anzustellen.” Siehe dazu auch “‘Basler Zeitung’ geht nach Strassburg” (nzz.ch, ras.).
Die Reporter der “Bild”-Zeitung haben am Rande der Olympischen Spiele in der Bilddatenbank von “Getty Images” eine erstaunliche Entdeckung gemacht:
Bei einem Sport-Event in Nizhnekamsk (Tatarstan) hielt die Sportgymnastik-Olympiasiegerin (2 Mal Gold) am Wochenende stolz ihren Ehering in die Kameras. Putin trug gestern bei der Skilanglauf-Staffel der Herren auf der Ehrentribüne in Sotchi das gleiche Modell.
Na sowas! Und wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass diese Dame laut “Bild” seit fünf Jahren “die angebliche Geliebte von Russlands Präsident” ist, stellt sich natürlich ruckzuck die Frage:Das fragen sich — angestachelt von “Bild” — inzwischen auch einigeandereMedien. Der Grund für die Spekulationen ist ein ganz bestimmtes Foto, das “Bild” als Beleg für die Theorie auch groß über dem Artikel abgedruckt hat: Kleiner Haken an der Geschichte: Das ist gar nicht Putins Ring. Das ist nicht mal seine Hand. Sie gehört dem Mann, der neben ihm sitzt. Putin selbst hat gar keinen Ring getragen.
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1. “Limburger Enten” (faz.net, Daniel Deckers)
Daniel Deckers listet Ungereimtheiten und Fehler auf in der Berichterstattung von “Spiegel”, “Focus” und “Süddeutscher Zeitung” über den Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst.
2. “Schleichwerbeverdacht in der ‘Bunten'” (tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
“Im schönsten Werbesprech” berichtet die “Bunte”, dass Julia Klöckner mit Hilfe von Weight Watchers an Gewicht verloren habe. “‘Hätte Frau Klöckner mit Gemüsesuppe abgenommen, hätten wir auch das geschrieben – und sogar das ganze Rezept abgedruckt’, teilt ‘Bunte’-Chefredakteurin Patricia Riekel mit, die offensichtlich nicht zwischen Suppen und werbenden Unternehmen unterscheiden will.”
4. “Warum ich mich gegen PR abgrenze” (ottohostettler.wordpress.com)
Soll ein Lobbyist an einem Recherchetag von Journalisten teilnehmen? Otto Hostettler ist dagegen: “Lobbyisten sind wichtige Input-Geber für Journalisten. Aber meiner Meinung nach gibt es keine ‘guten’ oder ‘bösen’ Lobbyisten. Deshalb sollten wir auch eine gesunde Distanz zu dieser Branche wahren. Die Lobbyisten machen es genauso.”
5. “Eine riesige klaffende Wunde” (schneeschmelze.wordpress.com, Jürgen Fenn)
Jürgen Fenn antwortet auf den Beitrag “Braucht es uns noch?” (carta.info, Wolfgang Michal): “Ich brauche keine der von Wolfgang Michal benannten Spießerblätter zu zitieren, um mein Blog zu füllen. Das mag an meiner Art zu bloggen liegen. Das mag daran liegen, daß mich der professionelle Journalismus immer weniger interessiert und ich insoweit wählerischer geworden bin, indem ich Debatten und Themen verfolge, statt Zeitungen zu abonnieren.”
Vor zwei Jahren berichtete “Bild am Sonntag” über einen “dubiosen” und “beispiellosen Vorgang” in den Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU: Ein Beamter der Bundespolizei, der für das BKA Handydaten ausgelesen hatte, solle diese im Dezember 2011 “nach Dienstschluss” “heimlich” und “systematisch” vernichtet haben (BILDblog berichtete):
“Experten” äußerten dem Blatt gegenüber sogleich den Verdacht, “dass das BKA Informanten im Umfeld der Neonazi-Bande schützen will.” Und Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur der Zeitung, bezeichnete es in einem Kommentar als “offenkundig”, dass hier Beweismittel manipuliert oder gar zerstört wurden.
Das BKA wies die Vorwürfe noch selben Tag zurück und teilte mit:
Alle in der Berichterstattung der Bild am Sonntag vorgenommenen Mutmaßungen und getroffenen Schlussfolgerungen sind unzutreffend.
Richtig ist, dass dem BKA die ausgelesenen Handy-Daten weiterhin vollständig und unverändert für die Ermittlungen des Generalbundesanwaltes und des BKA zur Verfügung stehen.
Erst nach der Übergabe der Daten an das BKA habe man die Bundespolizei gebeten, die dort vorhandenen Kopien zu löschen. Der Vorwurf, man habe Beweismittel vernichtet und unterdrückt, sei “absurd”.
Der beschuldigte Bundespolizist ging gegen die Berichterstattung vor und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer AG. Im April 2012 veröffentlichten “Bild am Sonntag” und Bild.de zwei Gegendarstellungen des Mannes, später wurden beide Medien außerdem dazu verurteilt, bestimmte Behauptungen zu unterlassen und eine Richtigstellung zu veröffentlichen.
Die “Bild am Sonntag” hat die Richtigstellung in ihrer aktuellen Ausgabe auf Seite 3 abgedruckt — ziemlich genau zwei Jahre nachdem sie das Märchen vom BKA-Nazi-Lösch-Skandal in die Welt gesetzt hatte:
Laut der Gewerkschaft der Polizei ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Bonn “wegen diverser Straftatverdachte” weiter, weil aus dem “dienstlichen verschlossenen E-Mail-Postfach” des Bundespolizisten “eine E-Mail entwendet und […] in der BamS abgedruckt wurde.” Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten habe außerdem gegen einen der Autoren des “BamS”-Artikels einen rechtskräftigen Strafbefehl erlassen.
Ob der Verlag dem Beamten der Bundespolizei auch Schmerzensgeld zahlen muss, ist noch nicht entschieden.
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2. “Es gibt keine Gesetzeslücke im Fall Edathy” (notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz bewertet die Forderung nach einem generellen Verbot käuflicher Nacktfotos von Kindern. “Schließt man die vermeintliche ‘Gesetzeslücke’ müssten die Strafverfolger Tausende von Verfahren gegen Leute einleiten, die niemals zu Kindesmissbrauch beigetragen haben. Denn Gesetze haben keine Fußnote: ‘Diesen Paragraphen bitte nur auf böse Menschen anwenden’.”
3. “Verloren in der Twitter-Wüste” (gefaelltmir.sueddeutsche.de)
Ein Tweet einer CNN-Moderatorin führt andere zum Glauben, ein vierjähriger Junge durchquere die jordanische Wüste, um seine Familie zu finden.
4. “Freischreiber für die Zeit” (freischreiber.de, Videos)
Fünf freie Journalisten ergänzen die Videos von fünf Journalisten und Autoren, mit denen die “Zeit” in eigener Sache wirbt.
5. “Braucht es uns noch?” (carta.info, Wolfgang Michal)
“Heute sind es die Blogs, die alt aussehen”, konstatiert Wolfgang Michal – “die im Netz Sozialisierten” würden “den Altmedien förmlich an den Lippen” hängen. Und kommt zu diesem Schluß: “Also sperren wir den Laden doch einfach zu. In der Welt der Medien macht es keinen Sinn, etwas am Leben zu halten, was nicht mehr gebraucht wird.”
6. “‘Ich find‘ die Frage blöd'” (taz.de, Sascha Frischmuth)
Politiker Christopher Lauer gibt ein Interview mit der “taz” nur ungekürzt und in vollständigem Wortlaut frei – und so wird es auch veröffentlicht.
Hinter diesen Überschriften steckt eine AFP-Meldung, die am vergangenen Wochenende die Runde gemacht hat. Dabei ging es um Folgendes:
Die US-Bevölkerung hat einer Umfrage zufolge teilweise gravierende Lücken beim wissenschaftlichen Grundwissen. Der am Freitag veröffentlichten Erhebung der Nationalen Wissenschaftsstiftung der USA zufolge weiß ein Viertel der Amerikaner nicht, dass sich die Erde um die Sonne dreht.
Und das stimmt tatsächlich. (Die ganze Studie gibt’s hier als PDF.) Was in den Meldungen aber nicht zu lesen ist: Die gleichen Fragen wurden vor einiger Zeit auch Bürgern aus anderen Ländern und Regionen gestellt. Zum Beispiel aus der EU. Und die schnitten in einigen Fällen noch viel schlechter ab als die US-Amerikaner. Etwa bei der Frage nach Sonne und Erde: Süddeutsche.de hat das sogar von ganz allein herausgefunden. AFP offenbar nicht. Ob aus Doofheit oder aus Faulheit, ist wieder eine andere Frage.