1. “Weshalb das Kartellamt die Google-Beschwerde der VG Media ablehnt” (irights.info, Till Kreutzer)
Das Bundeskartellamt weist eine Beschwerde der VG Media gegen Google ab: “Die Entscheidung des Kartellamts ist ein deutlicher Rückschlag für die in der VG Media organisierten Presseverlage. Auch deshalb, weil das Bundeskartellamt sich im Schreiben nun seinerseits vorbehält, den Zusammenschluss der Verlage in der VG Media im Hinblick auf den EU-Binnenmarkt zu untersuchen.”
2. “Beckmann kann’s, der Weltspiegel nicht” (tagesspiegel.de, Richard Weber)
Richard Weber schaut “Weltspiegel extra” zum Thema “IS-Terror”: “Der Beitrag dauert 15 Minuten. Dennoch gelingt ihm das Mirakel, alles, was wissenswert wäre – die Besonderheit des Jesidentums, der tödliche Hass zwischen Sunniten und Schiiten, die Finanzierung der Terrorgruppe – völlig unerklärt zu lassen. Nicht einmal die unterschiedlichen Bezeichnungen IS für ‘Islamischer Staat’ und ISIS für ‘Islamischer Staat im Irak und in Syrien’ werden aufgedröselt.”
4. “Twitter: from free speech champion to selective censor?” (theguardian.com, James Ball, englisch)
Was ist Twitter, Verleger oder Plattform? “Like many other major companies, Twitter has long insisted it is not a publisher but a platform. The distinction is an important one: publishers, such as the Guardian, bear a far greater degree of responsibility for what appears on their sites. By remaining a platform, Twitter is absolved of legal responsibility for most of the content of tweets. But by making what is in essence an editorial decision not to host a certain type of content, Twitter is rapidly blurring that line.”
5. “Muddis Pudding” (wolfgangmichal.de)
“Traditionsunternehmen wie der Spiegel, der Suhrkamp Verlag oder die SPD” seien keine normalen Betriebe, glaubt Wolfgang Michal: “Sie fungieren als parteiische Anwälte, ja als treibende Kräfte des kulturellen und politischen Modernisierungswandels.”
1. “Im Krieg der Worte und der Bilder” (falter.at, Ruth Eisenreich)
Die Reporter Richard C. Schneider, Cathrin Kahlweit und Wolfgang Bauer erzählen, wie sie damit umgehen, wenn sie mit drastischen Bildern konfrontiert werden. “Die Dinge sind oft schwierig. Auch sorgfältig recherchierende Journalisten sind nicht davor gefeit, durch Propaganda instrumentalisiert zu werden.”
2. “Live is life” (kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Juliane Streich besucht “Die Wahl-Debatte”, ein Rededuell zwischen Stanislaw Tillich (CDU) und Rico Gebhardt (Die Linke) im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen: “Zwischen den beiden Politikern stehen die Chefredakteure der drei sächsischen Tageszeitungen und sind stolz, dass sie schaffen, was der Heimatsender MDR nicht hinbekam. Schließlich hatte sich Tillich immer geweigert, an einem TV-Duell teilzunehmen, so dass der Fernsehsender einknickte und jetzt ein Format sendet, bei dem Tillich von irgendwo, wo er es schön findet, zugeschaltet wird. (…) Ausverkauft, 450 Leser sollen hier sein. Doch wer sich umschaut, entdeckt in fast jeder Reihe leer gebliebene Plätze. Ein Großteil der Anwesenden scheinen Journalisten, Pressesprecher und Funktionäre der Dresdner Oberschicht zu sein.”
5. “Lasst die Trolle verhungern” (zeit.de, Jochen Wegner)
“Die Freiheit im Netz ist auch immer die Freiheit der Trolle”, bemerkt Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit.de: “Die Trolle in Schach zu halten, ohne die Freiheit zu opfern, ist so einfach wie mühsam: Wir müssen uns täglich selbst einmischen. Millionen von Menschen, die zivilisiert debattieren, die falschen Informationen richtige entgegensetzen, die Störer gelassen übergehen und bei seltsamen Spam-Wellen aufmerksam werden, sind unbesiegbar. Einem aufgeklärten digitalen Bürgertum ist keine Troll-Armee gewachsen.”
Nach der mutmaßlichen Enthauptung des US-Journalisten James Foley durch die Terrorgruppe “Islamischer Staat” haben sich die meisten deutschen Medien dazu entschlossen, das Video der Hinrichtung nicht zu zeigen, auch keine Ausschnitte davon.
Damit handeln sie so, wie es auch der Presserat empfiehlt, dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns im Gespräch mit der dpa zu einem respektvollen Umgang mit den Bildern aufgerufen hat:
Die Medien sollten zurückhaltend mit der Veröffentlichung von Fotos umgehen und sich nicht als Propagandainstrument der Terroristen missbrauchen lassen.
Und wenn sie die Bilder doch unbedingt zeigen wollen, etwa die Szenen kurz vor der Ermordung, dann sollte das Opfer dabei “auf jeden Fall unkenntlich gemacht werden”, sagt Tillmanns. “Wer Bilder veröffentlicht, auf denen der Journalist erkennbar wird, macht sich ethisch angreifbar”. Die Würde Foleys stehe im Mittelpunkt. Letztlich müsse sich aber jede Redaktion selber die Frage stellen, wie sie mit solchen Fotos konkret umgehen wolle.
“Spiegel Online” beantwortete sie so: “Die Bilder zu zeigen, wäre reine Propaganda für den IS” — darum zeige das Portal sie nicht. Weder Videoausschnitte noch Fotos. Ähnlich argumentieren auch die ARD, das ZDF, die “Süddeutsche Zeitung”, die “FAZ”, die “taz”, “Zeit Online”, RTL und die dpa. Selbst die Online-Portale von “Bild” und “Berliner Kurier” haben das Gesicht des Mannes verpixelt.
“Focus Online” nicht.
“Focus Online” haut mal wieder alles raus und zeigt in mehreren Artikeln sowohl Standbilder als auch Sequenzen des Videos vor der Enthauptung. Das Gesicht des Opfers ist in keinem Fall unkenntlich gemacht worden.
Dabei schreibt das Portal selbst:
Unterstützer riefen dazu auf, das Video nicht anzuschauen oder zu teilen
Der Satz steht, fettgedruckt, genau unter dem eingebetteten Video.
Mit Dank an Karsten B.
Nachtrag, 22. August: Wir haben gestern Abend bei “Focus Online” nachgefragt, warum das Portal die Bilder unverpixelt zeigt — eine Antwort haben wir bislang nicht bekommen. Inzwischen sind sie aber gelöscht worden.
Das “heute journal” hat vorgestern ebenfalls ein Standbild aus dem Video gezeigt, Claus Kleber moderierte es aber mit klarer Einordnung an. Er sagte:
Es gehört zu den perversen Praktiken dieser Milizen, Videos von solchen Gräueltaten als Propaganda zu nutzen. Deshalb zeigen wir davon allenfalls unbewegte Bilder, bei denen die Opfer verdeckt bleiben, um ihre Menschenwürde zu schützen.
Dieses eine Mal haben wir anders entschieden, weil wir die gefasste Haltung von James Foley angesichts seines Todes eine Würde ausstrahlt, die dem fanatischen Killer neben ihm unbegreiflich geblieben sein muss.
Auch “Spiegel Online”, FAZ.net und “Zeit Online” zeigen — entgegen ihren Ankündigungen — Standbilder aus dem Video. Zumindest indirekt. Sie haben ein Reuters-Video übernommen, in dem britische Zeitungen abgefilmt werden, die die Fotos gedruckt hatten. Das Gesicht Foleys ist nicht unkenntlich gemacht worden — weder von den englischen Zeitungen noch von Reuters noch von den deutschen Medien.
Danke an Christian S., Sascha, Christoph S. und Andreas!
1. “Sehr geehrte Frau Lühmann von der FAZ” (kraftfuttermischwerk.de, Ronny Kraak)
“Eigentlich hoffte ich ja, diesen Blödsinn niemals kommentieren zu müssen.” Doch weil der Vergleich, den Hannah Lühmann zwischen der amerikanischen “Vice” und angeblich trashigen deutschen Blogs gezogen hat, gestern in sozialen Medien (und Blogs wie diesem) herumgereicht wurde, antwortet Ronny Kraak: “Sie haben sich keine drei Stunden Zeit genommen, um in den Archiven zu stöbern, sich einzulesen, beklagen aber den ‘substanzlosen’ Umgang mit dem journalistischen Gut und konterkarieren dieses im selben Absatz durch Ihr Geschriebenes.” Auch Martin Giesler und Matze Hielscher können mit Lühmanns “wertkonservativer” These nicht viel anfangen und sehen in ihrer Arroganz einen Grund für die Erfolglosigkeit der FAZ bei jungen Lesern.
2. “Am falschen Ort” (anousch.de, Anousch Mueller)
Im Literaturbetrieb würden Autorinnen benachteiligt, deshalb sei auch dort ein #Aufschrei fällig, so bilanzierte Dana Buchzik in der “Welt”. Anousch Mueller sieht das anders: “[Es mag] Sexismus und Männerbünde geben, aber in den Sozialen Netzwerken herrscht mitunter eine spezifische Missgunst, die mindestens genauso beschissen ist.”
4. “Foleys Tod ist ein Grund mehr für mich, in dieses Gebiet zu reisen” (watson.ch, Kian Ramezani)
Der Schweizer Kriegsreporter Kurt Pelda (twitter.com) berichtet seit mehreren Jahren aus Syrien und will sich von der Hinrichtung James Foleys nicht abschrecken lassen: “Die Terroristen wollen uns Journalisten Angst einflössen, damit wir nicht mehr nach Syrien oder Irak gehen. […] Ich aber weigere mich, mich von solchen Leuten terrorisieren zu lassen.” Wie von Pelda und seinem Kollegen Daniel Etter (zeit.de) gefordert verzichten die meisten Medien (tagesschau.de) auf Bilder und Videos, um der IS-Propaganda keine Bühne zu geben.
5. “Warum ich den stern verlassen habe” (erlerskibbetoensmann.com, Johannes Erler)
[Anmerkung: Johannes Erler hat den Blogpost inzwischen gelöscht, “aus freien Stücken”, wie er betont.]
Vorgestern begann der Prozess gegen den mutmaßlichen “Manga-Killer” (“Bild”), der im Verdacht steht, ein 14-jähriges Mädchen erstochen zu haben (BILDblog berichtete).
Und so sieht der Verdächtige laut “Bild am Sonntag” aus:
(Unkenntlichmachung von uns. Im Original liegt ein Alibi-Balken über seinen Augen.)
Das Foto hat die “BamS” kurzerhand bei Facebook besorgt:
Allerdings: Sie hat sich im falschen Profil bedient. Das Foto zeigt gar nicht den Verdächtigen. Die beiden heißen nur gleich.
Auf Anfrage erklärte uns der Abgebildete, nennen wir ihn Paul, dass er am Sonntag von vielen Leuten darauf hingewiesen worden sei, dass die “BamS” sein Foto zeige. Sofort teilte er bei Facebook mit, dass er nichts mit der Tat zu tun habe und ging zur Polizei.
Er habe sich nicht nur geärgert, sondern auch Angst bekommen, sagt Paul, allein wenn er daran denke, was in Emden passiert sei. Dort hatte sich vor zwei Jahren ein Mob versammelt, um sich an einem Verdächtigen zu rächen, den “Bild” zuvor ebenfalls abgebildet und als (mutmaßlichen) Täter bezeichnet hatte. Später stellte er sich als unschuldig heraus (BILDblog berichtete).
Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die Fotobeschaffer von “Bild” im falschen Facebook-Profil bedienen: 2012 schrieb das Blatt über den Mord an Hanna K. — und druckte ein Foto von Hannah W., die quicklebendig war und nichts mit der Sache zu tun hatte (BILDblog berichtete auch hier).
Um wenigstens im Umkreis von Pauls Wohnorts klarzumachen, dass er nicht der “Manga-Killer” ist, soll in der Lokalzeitung ein entsprechender Hinweis erscheinen. Gegen die “Bild am Sonntag” (verfasst wurde der Artikel übrigens von den Pietäts-Experten Nils Mertens und Bastian Schlüter) hat Paul rechtliche Schritte eingeleitet.
Mit Dank an Kai L.
Nachtrag, 21. August: Heute Abend hat sich die “BamS” per Facebook entschuldigt: Danke an @vierzueinser für den Hinweis!
2. “Virale Propaganda der Terroristen” (sueddeutsche.de, Hakan Tanriverdi)
Vor laufender Kamera hat die IS-Miliz den amerikanischen Fotojournalisten James Foley enthauptet (tagesschau.de). Das Video haben die Terroristen auf YouTube veröffentlicht, nun kursiert es in den sozialen Netzwerken. Wegen mangelnder Filtermöglichkeiten hat insbesondere Twitter Probleme, solch grausame Propaganda sofort zu löschen. Nutzer rufen deshalb mit dem Hashtag #ISISMediablackout dazu auf, das Video nicht weiter zu verbreiten. Wer mehr über James Foley erfahren will: Die “Vanity Fair” hat bereits im Mai 2014 ein ausführliches Portrait veröffentlicht.
3. “Schwache Argumente für eine Veröffentlichung” (medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Schweizer Medien haben offensichtlich nicht allzu viel aus den Persönlichkeitsverletzungen bei der sensationsheischenden Berichterstattung (watson.ch) über die “Porno-Sekretärin” gelernt. Zwei Wochen später skandalisiert die “Schweiz am Sonntag” die “Nackt-Selfies” des Nationalrats Geri Müller; sogar Chefredakteure wie Roger Köppel, sonst nicht unbedingt als vehementer Privatsphäre-Verfechter bekannt, wundern sich über die “unappetitliche Story” (persoenlich.com).
4. “Die Ironie macht alle gleich” (faz.net, Hannah Lühmann)
Deutsche Blogs wie Amy & Pink, Schlecky Silberstein oder Das Kraftfuttermischwerk orientieren sich angeblich am “Vice”-Magazin – eine schlechte Idee, findet zumindest Hannah Lühmann: “Der Versuch aber, schnoddrig und cool wie das Vorbild zu sein, lässt sie alle gleich werden, die Blogs, die über Musik, Partys und Mode informieren wollen. […] Alles wird eingemeindet in eine fröhliche Welt der lässigen Redundanz, von Menschen, die sich selbst dabei wohl ziemlich lässig vorkommen.”
5. “Last Call – The end of the printed newspaper.” (medium.com, Clay Shirky, englisch)
“Have a look at this chart. Do you see anything unclear about the trend line?”, fragt Clay Shirky angesichts der Entwicklung der Werbeerlöse US-amerikanischer Zeitungen. “If you are a journalist at a print publication, your job is in danger. Period. Time to do something about it.”
6. “Eine ‘menschliche’ Katastrophe?” (udostiehl.wordpress.com)
Irak, Syrien, Gaza, Ukraine – die Nachrichten sind derzeit voll von Gewalt und Krieg. “In der Berichterstattung bahnt sich in solchen Fällen eine ‘menschliche Katastrophe’ an”, beschreibt Udo Stiehl die Praxis seiner Kollegen und warnt: “So ausgedrückt jedoch handelt es sich leider um eine ‘sprachliche Katastrophe’.”
Im November vergangenen Jahres wurde bei Berlin ein 14-jähriges Mädchen mit mehreren Messerstichen getötet. Der mutmaßliche Täter wurde kurz darauf festgenommen.
“Bild” berichtete damals — wie gewohnt — ohne Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Opfers …
… oder die des Verdächtigen:
(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
Die Fotos stammten offensichtlich von Facebook. Dem Verdächtigen spendierte “Bild” zwar einen schwarzen Augenbalken, nannte aber gleichzeitig so viele persönliche Informationen, dass sich an der Identifizierbarkeit kaum etwas geändert haben dürfte.
Beim Durchstöbern des Facebook-Profils des jungen Mannes stießen die Reporter aber noch auf etwas anderes, woraufhin die Berichterstattung (auch in der “B.Z.”) plötzlich eine ganz neue Stoßrichtung bekam — sie fanden nämlich: Manga-Zeichnungen.
“Bild” beschrieb den mutmaßlichen Täter fortan konsequent als “Manga-Killer” oder “Manga-Freak”, als “dicklichen” “Außenseiter”, als “Einzelgänger” und “versponnenen Sonderling”, der in einer “Wahn-Welt” lebe, wie man ja schon an den “brutalen Manga-Bildern” erkennen könne.
Die Freunde, die [M.] (20) zu Hause in seinem Jugendzimmer besuchen, haben riesige Kulleraugen und Kindchen-Gesichter. Sie kämpfen mit Schwertern, es geht um Leidenschaft und Tod. […]
In seiner Internet-Welt ist [M.] so wie seine Manga-Helden. Gut aussehend, groß, bewundert. Verlässt er das Haus seiner Eltern in einer Kleinstadt im [Kreis XY], schrumpft er wieder zum Außenseiter.
Und auf der anderen Seite das “bildschöne und intelligente” Mädchen, das “Kulleraugen-Girl”, das ausgesehen habe, “wie aus der Fantasie-Welt” des mutmaßlichen Täters entsprungen.
Vor allem auf diese angebliche “auffällige Ähnlichkeit” zwischen den Zeichnungen und dem mutmaßlichen Täter bzw. dem Opfer wiesen die Boulevardmedien immer wieder hin:
Das passt natürlich hervorragend: Der “Manga-Killer”, der sein Opfer wenige Wochen vor der Tat als “düstere Comic-Figur” zeichnet — mit Wunden, die später auch bei dem getöteten Mädchen gefunden werden.
Doch so sehr es sich die Medien auch wünschen: Es stimmt nicht. Die Bilder, die den Täter und das Opfer zeigen sollen, stammen aus dem Kunstportal “deviantArt” und wurden von einer Frau gezeichnet, die mit der Tat nicht das Geringste zu tun hat. Die sogenannten Fan-Arts zeigen auch keine realen Personen, sondern Figuren aus den Mangas “Black Rock Shooter” und “Naruto”.
Die Zeichnerin beschwerte sich schon im November darüber, dass ihre Bilder ohne Genehmigung abgedruckt und als “persönliche Mord-Motive” missbraucht worden waren. Sie erstattete auch Strafanzeige gegen “Bild” und “B.Z.”, doch die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das Ermittlungsverfahren ein.
In ihrer Begründung verwies die Staasanwaltschaft auf §50 UrhG, wonach in der “Berichterstattung über Tagesereignisse” auch die Vervielfältigung von Werken erlaubt ist, “die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden”. Diese Vorschrift trage, so die Staatsanwaltschaft, dem Umstand Rechnung, dass “die rechtzeitige Einholung bei aktuellen Ereignissen kaum möglich” sei und gestatte daher “ausnahmsweise eine zustimmungsfreie Nutzung”.
Eine seltsame Begründung. Denn die Zeichnungen wurden auch mehrere Tage nach dem Mord noch gedruckt; die Redaktionen hätten also durchaus Zeit gehabt, den Ursprung der Bilder zu klären und eine Zustimmung einzuholen. Dass sie später nicht mehr behaupteten, der Mann habe die Figuren selbst gezeichnet, sondern lediglich schrieben, er habe sie “auf sein Internet-Profil geladen”, deutet außerdem darauf hin, dass sie sich im Klaren darüber waren, dass er nicht der Urheber der Zeichnungen ist. Und: Die Staatsanwaltschaft schreibt selbst, dass mit “Berichterstattung” die “sachliche Schilderung tatsächlicher Geschehnisse” gemeint sei. Was an “Die schwarze Kunst des Mädchen-Killers” sachlich sein soll, schreibt sie allerdings nicht.
Wie dem auch sei: Spätestens seit Ende November — damals wandte sich die Mutter der Zeichnerin mit einer Beschwerde direkt an “Bild” und “B.Z.” — wissen die Redaktionen, dass die Zeichnungen nicht vom mutmaßlichen Täter stammen. Sie wissen auch, dass die angeblichen Ähnlichkeiten höchstens Zufall sein können. Und dass die Zeichnerin nicht mit der Verwendung ihrer Bilder einverstanden ist.
Tatsächlich hat die “B.Z.” die Zeichnungen mittlerweile aus ihren Online-Artikeln gelöscht, und auch als vor wenigen Tagen der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter begann, verzichtete die “B.Z.” auf den Abdruck der Manga-Bilder.
Die “Bild am Sonntag” nicht.
Diese Zeichnung hat der Täter auf sein Internet-Profil geladen. Die Manga-Figur sieht [dem Opfer] ähnlich, zeigt ein zierliches Mädchen mit traurigem Blick. Auf seinem Bauch hat es zwei lange Narben
Darüber, dass die Zeichnung von jemand anderem stammt und die Figur — inklusive Narben — ein gängiges Motiv in der Manga-Szene ist, verliert die Redaktion mal wieder: kein Wort.
2. “Angebliche Gerichtsaffäre wird zur Petitesse” (mainpost.de, Manfred Schweidler)
Ein Blick zurück auf die Auswirkungen des Berichts “Verdacht auf Parteilichkeit und Vetternwirtschaft bei Bußgeldvergabe” des ARD-Politmagazins “Report Mainz”: “Eine Reihe von Opfern blieb zurück – und nicht zuletzt ein Stück journalistischer Glaubwürdigkeit. Nur wenige Schlagzeilen-Formulierer kamen später zu der Einsicht: Der Richter hatte vielleicht ein wenig unbekümmert Bußgelder vergeben, was zu einem falschen Eindruck führen konnte. Aber von Mauschelei konnte nie die Rede sein.”
3. “BILD Plus und das Geschaeft mit ‘exklusiven Fotos’ eines Fakes des iPhone 6” (mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
Fotos hinter der “Bild-Plus”-Paywall, die angeblich ein Apple iPhone 6 zeigen: “Es handelt sich bei all diesen vermeintlichen Fotos des echten iPhone 6 um immer wieder die gleichen Modelle eines Fakes auf Android Basis, den man bereits seit Wochen auf Aliexpress.com bestellen kann.”
4. “Bomben auf Gaza: Ohne deutsche Medien – Jung & Naiv in Israel: Folge 192” (youtube.com, Video, 40:17 Minuten)
Im Interview mit Tilo Jung fragt sich der freie Journalist Martin Lejeune, der die Bombardierungen des Gazastreifens durch die israelische Armee bei einer Familie dort erlebt hatte, warum öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland kaum mit ihm zusammenarbeiten wollen. Zur Sprache kommt auch die Frage nach seiner Unabhängigkeit.
FOCUS Online ist eines der erfolgreichsten Online-Nachrichtenmedien in Deutschland. Mit schnellen Nachrichten und präzisen Analysen ist das Portal eine feste Adresse für Qualitätsjournalismus im Netz. FOCUS Online steht für hervorragenden Nachrichtenjournalismus.
(Zitat der Tomorrow Focus AG.)
Mein persönlicher Rekord im Surfen auf “Focus Online” liegt bei etwa zehn Minuten. Länger halte ich es da nicht aus.
“Focus Online” ist der Ein-Euro-Laden des deutschen Journalismus. Die ramschige Resterampe, auf der man alles findet, was selbst Klickfängern wie Bild.de zu billig war. “Focus Online” haut alles raus. Raus, raus, raus, irgendwer wird schon draufklicken.
Gerade bei medialen Großereignissen setzt “Focus Online” — hartnäckig wie kaum ein Medium sonst — auf die So-viel-wie-geht-Taktik.
Anfang vergangenen Jahres, nach dem Amoklauf im US-amerikanischen Newtown, veröffentlichte “Focus Online” in der ersten Woche nach der Tat 45 Artikel — nicht mal Bild.de hatte mehr zu bieten. Und dann diese Schlagzeilen: “Mutter des Amokläufers hatte Angst vor dem Weltuntergang”. “Schulkrankenschwester sah den Killer auf sich zukommen”. “Amokläufer nannte seine Mutter nur ‘Excuse Me'”. Solcher Quatsch, permanent.
Oder dieser unfassbare Live-Ticker zum Gesundheitszustand von Michael Schumacher, in dem dann verkündet wurde, dass der Verkäufer des Krankenhauskiosks nichts dazu wisse. Niemand sonst blies so lange und so ambitioniert irgendwelche Schumacher-Gerüchtefetzen in die Welt wie “Focus Online”.
Oder auch jetzt, nach dem Tod von Robin Williams. Allein in den ersten vier Tagen hat das Portal über 70 (!) Artikel dazu veröffentlicht:
Robin Williams stirbt im Alter von 63 Jahren
Fans trauern in Hollywood
Tod von Robin Williams
Schock und Trauer in Hollywood
Die Welt trauert um einen ihrer größten Schauspieler: Robin Williams ist tot
Robin Williams ist tot
Hollywood-Star Robin Williams ist tot
Williams’ langer Kampf gegen Alkohol und Depressionen
So emotional nehmen Freunde und Kollegen Abschied von Robin Williams
“Wir haben dich geliebt”: So trauert Hollywood um Robin Williams
Islamisten verhöhnen toten Schauspieler Robin Williams
Seine Tochter Zelda schreibt den wohl berührendsten Tweet
Sein letzter Tweet galt seiner Tochter
Zelda Williams’ rührender Abschieds-Tweet an ihren Vater
Sah Robin Williams den Suizid als letzten Ausweg?
Oscar-Academy verabschiedet sich mit herzzerreißendem Tweet von Robin Williams
Zitate zum Tod von Robin Williams
Video: Hollywood trauert um Robin Williams
Robin Williams – “Erfolg schützt nicht vor Depressionen”
Fragen und Antworten: “Erfolg schützt nicht vor Depressionen”
Warum wollte Robin Williams nicht mehr leben?
Williams hinterließ vier unfertige Filmprojekte
Fernsehsender ändern zum Tod von Robin Williams ihr Programm
Mehrere Fernsehsender ändern ihr Programm
Der Clown, der uns zum Weinen brachte: Robin Williams
Hintergrund: Seine wichtigsten Rollen
Dieses Grimassen-Gesicht werden wir vermissen!
Auf Tischen stehend: So nimmt das Netz Abschied von Robin Williams
Robin Williams und seine Susan – Ende einer großen Liebe
Oscar-Preisträger Robin Williams ist tot
Robin Williams – sein großes Leben in Bildern
Internet-Verwechslung von Robin und Robbie Williams
Fans verwechseln Robin und Robbie Williams
Robin Williams hat […]
Tod von Robin Williams erschüttert Hollywood
Tod von Robin Williams – Polizei schließt Fremdverschulden aus
Tod von Robin Williams: Polizei sieht kein Fremdverschulden
“Tagesthemen” ehren Williams mit “Dichter”-Anmoderation
‘Hannoversche Allgemeine Zeitung’ zu Robin Williams
So fand sein Assistent den toten Robin Williams
“Robin Williams hatte das Bedürfnis, alle in Schenkelklopf-Ekstase zu versetzen”
Jetzt sprechen Robin Williams’ Kinder
Matt Damon: “Ich werde Robin Williams nie vergessen”
“Auf meinem Grabstein wird 1951-2014 stehen”
So moderierte Miosga die “Tagesthemen” für Williams auf dem Tisch
“O Captain! My Captain!” wird zum Twitter-Trend
So sorgte Robin Williams für seine Kinder vor
Pharell Williams trauert um Robin Williams
Die ergreifende Trauer seiner Kinder
Antisemitische Posts zum Tod von Robin Williams: Verroht das Internet?
Weltweit Betroffenheit nach Tod von Robin Williams
Robin Williams wird in “World of Warcraft” verewigt
“Was schuldet man einem derartigen Menschen? Alles!”
Robin Williams war kurz vor seinem Tod bei der Suchtberatung
Michael Mittermeier: “Wir machen mit einem Bruchteil seiner Möglichkeiten Comedy”
Abschied von Robin Williams: “Der Soldat hat die Waffen niedergelegt”
Wie Robin Williams’ Gorilla-Freundin trauert
Wurde Robin Williams am Set von “The Crazy Ones” rückfällig?
Kurz vor seinem Tod war Williams bei der Suchtberatung
Was dann folgte, war einmalig in meiner Laufbahn…
Twitter will auf Belästigung von Williams’ Tochter reagieren
Das Netz diskutiert: Durfte Miosga auf den Tisch steigen?
Darum stieg Caren Miosga auf den “Tagesthemen”-Tisch
Video: Broadway knipst für Robin Williams Lichter aus
Robin Williams litt an Parkinson im Frühstadium
Ehefrau: Robin Williams litt an Parkinson
Ehefrau offenbart: Robin Williams hatte Parkinson
Robin Williams hatte Parkinson: Das emotionale Statement seiner Frau im Wortlaut
Warum zerbrechen so viele Stars am Ruhm?
Robin Williams litt an Parkinson
User zwingen Zelda Williams, Twitter-Account zu löschen
(Details zu den Begleitumständen haben wir rausgekürzt.)
Vieles davon ist Agenturmaterial, oft zusammengeschwafelt von “Spot on”, der von der dapd gegründeten Promi-Klatsch-Agentur. Aber auch solche Artikel werden auf der Startseite von “Focus Online” mitunter angeteasert wie eigene Beiträge:
Jetzt mal ehrlich. Ein Gorilla, der den Schauspieler vor 13 Jahren mal getroffen … Als Nachricht? Auf der Startseite?
Aber das ist das redaktionelle Konzept von “Focus Online”. Und es scheint zu funktionieren — die Williams-Artikel, egal wie bescheuert, zählten in den vergangenen Tagen immer zu den meistgelesenen auf “Focus Online”.
Bei dieser Artikelflut verlieren selbst die, die sie verantworten, den Überblick. Da kann es dann auch mal passieren, dass es zuerst heißt, der Tweet von Williams’ Tochter sei der “wohl berührendste Tweet des Jahres” — und nur drei Stunden später wird der Tweet der Oscar-Academy zum “emotionalsten” und “wahrscheinlich herzzerreißensten” Tweet hochstilisiert. Ein banales Beispiel zwar, aber bezeichnend dafür, wie “Focus Online” mit der gedankenlosen Raushau-Taktik auch noch den Rest der eigenen Seriosität aufs Spiel setzt.
Der Veröffentlichungswahn macht aber nicht nur anfällig für Widersprüche und Ungenauigkeiten. Gerade im aktuellen Fall widerspricht das Dauerfeuer der Berichterstattung eben genau dem, was Medienforscher bei Suiziden von Prominenten immer wieder fordern: Zurückhaltung.
“Focus Online” hält sich nicht zurück. “Focus Online” arbeitet stattdessen, wie andere auch, eifrig daran, die Selbstmordrate in die Höhe zu treiben. Das Portal berichtet sehr prominent, sehr detailliert und sehr emotional über den Suizid und missachtet (nicht nur) damit die wichtigen Richtlinien zur Verhinderung von Nachahmungstaten.
Dass “Focus Online” und andere Medien die Berichte um Williams’ Tod ganz selbstverständlich mit Werbung zuballern, ist dabei noch das geringste Übel:
“Focus Online” setzt auf Masse. Auf Emotionalisierung, Skandalisierung und Buzzfeedisierung — und ähnelt immer mehr dem, was “Bild” und andere Schundmedien in ihren Online-Portalen veranstalten. Nur dass die Leute von “Focus Online” immer noch so tun, als gebe es bei ihnen “Qualitätsjournalismus im Sekundentakt”.
Mit Dank auch an Karl-Heinz U.
Betroffene von Depressionen können sich rund um die Uhr und anonym bei der Telefon-Seelsorge beraten lassen: 0800-1110111 oder 0800-1110222 (beide kostenfrei)
1. “Jede vierte Rüge des Presserats betraf ‘Bild'” (ndr.de, Fiete Stegers)
Fiete Stegers wertet Rügen des Deutschen Presserats aus: “Mit 157 Rügen seit 1986 liegen Deutschlands auflagenstärkste Zeitung und ihre Ableger unübersehbar vorn. (…) Im Auswertungszeitraum gab es nur 1989 und 1990 keine Rüge für einen ‘Bild’-Titel. In fast jedem anderen Jahr war ‘Bild’ dagegen negativer Spitzenreiter und kassierte manchmal mehr als 40 Prozent der insgesamt ausgesprochenen Rügen.”
2. “‘Jetzt kann ich die blöden Fragen selbst stellen, statt sie beantworten zu müssen'” (abzv.de, Mario Müller-Dofel) Thomas Helmer berichtet von seinen Erfahrungen mit “Bild” und “Spiegel”: “Der Spiegel-Beitrag war leider die größte Fehleinschätzung, die ich je über mich lesen musste. Da wurden zum Beispiel Aussagen von mir verdreht und in falschen Kontexten zitiert, sodass sie nachteilhaft für mich waren. Und es wurden stilistische Mittel benutzt, um Thesen zu belegen, die nur der subjektiven Sicht des Journalisten entsprachen, ohne meine Sicht der Dinge ausgewogen einzubeziehen.”
4. “Die Presse echauffiert sich” (opalkatze.wordpress.com, Vera Bunse)
Vera Bunse nennt die Reaktion auf die Vorwürfe an die deutsche Presse, sie sei “gleichgeschaltet”, “eine wahre Ignoranzallianz”: “Hinter scheinbar unsachlichem Meckern vermuten die Beleidigten nicht einmal begründete Kritik. Den ernsten Hintergrund nehmen sie nicht wahr.”
5. “Verletzte Gefühle” (wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas Steinschneider)
Wie steht es um den Vorwurf, “deutsche Journalisten beteiligten sich an einem Propagandafeldzug”? Thomas Steinschneider prüft “drei kleine Einzelfälle”: “Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie bei einem tragischen Versehen ums Leben gekommen sind, wurden laut Spiegel also ‘ermordet’. Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie ermordet wurden, sind laut Tagesschau ‘ums Leben gekommen’. Und eine ‘unstreitig demokratisch legitimierte’ Regierung ist in der Tagesschau auch mal ein ‘Regime’.”
6. “Wer beim Tagesspiegel die Befehle erteilt” (tagesspiegel.de, Johannes Schneider)
Johannes Schneider skizziert “einen hyperrealistischen Tagesablauf” der “Tagesspiegel”-Redaktion, “für alle Verschwörungsfans”.