“Bild” überrumpelt verletzten Fußballer am Krankenhausbett

Am Wochenende wurde in der Fußballbundesligaregionalliga der Torwart von Greuther Fürth schwer am Kopf verletzt und musste im Uniklinikum Erlangen operiert werden.

Kurz nachdem er am Sonntag von der Intensivstation in die Neurochirurgie verlegt worden war, bekam er Besuch. Von der “Bild”-Zeitung:

Das Interview gibt’s auch online, aber nur gegen Bezahlung.

Heute haben die Verantwortlichen der SpVgg Greuther Fürth eine Stellungnahme zu der Berichterstattung veröffentlicht:

Boulevard-Journalismus ist sicherlich polarisierend. Schwarz und Weiß, verkürzte Darstellungen – diese Form der Berichterstattung wird seit jeher immer wieder kontrovers diskutiert, aber eben auch von vielen Menschen konsumiert. Am Montag wurde allerdings im Fall Bastian Lerch eine Grenze überschritten, die die Verantwortlichen der SpVgg Greuther Fürth nicht hinnehmen wollen. Ein BILD-Reporter hat in der Uniklinik Erlangen den am Kopf operierten Bastian Lerch besucht oder besser gesagt überrumpelt. Zwar mit der Zustimmung des in dieser Situation wohl überforderten Spielerberaters, der unter Schock stehenden Eltern und des letztlich verdutzten Spielers, der gerade von der Intensivstation in eine normale Abteilung verlegt wurde.

Der Verein, der zuvor als Ansprechpartner diente, wurde über diesen Besuch erst nachträglich informiert und erfuhr erst am Nachmittag davon. Für die Verantwortlichen ist damit eine klare, moralische Grenze überschritten worden. Einen jungen Menschen, der erst Samstagnacht am Kopf einen neurochirurgischen Eingriff über sich ergehen lassen musste, und zwei geschockte Personen so zu überrumpeln, wollen wir als Verein nicht hinnehmen und werden deshalb unsere Konsequenzen daraus ziehen. Wir waren in unserer Kommunikation sehr offen, haben schon seit Sonntag diverse Medienanfragen ausführlich beantwortet und auch und gerade die dieses Reporters. Er wusste also, in welchem Zustand sich der Spieler befand. Warum man einen Spieler unmittelbar nach dessen Entlassung von der Intensivstation und gegen das Anraten der anwesenden Krankenschwestern dennoch mit dem Besuch unter Druck setzt, ist menschlich extrem fragwürdig. Noch am Montagabend wurde versucht, die Sichtweise des Vereins dem betreffenden Journalisten mitzuteilen. Eine Einsicht war dabei leider nicht zu erkennen.

Es geht hierbei – und das wollen wir ausdrücklich hervorheben – nicht um eine kritische Berichterstattung, die der Vereinsseite nicht gefällt. Es geht rein um moralische Fragen. Und was würde es bedeuten, wenn wir diese Form der Berichterstattung zulassen, beziehungsweise uns nicht dagegen zur Wehr setzen? Stimmen wir dann nicht indirekt diesem Vorgehen zu? Jeder Mensch, der schon mal in dieser Lage war, wird nachvollziehen können, dass in dieser Phase Besuch sicherlich gern gesehen ist: Familie, engste Angehörige und gute Freunde können einem Kraft geben. Aber will man in dieser Phase einem Medienvertreter Fragen beantworten und ein Foto machen? Kann man die Tragweite in dieser Phase einschätzen? Sorry, liebe BILD, diese Form des Sensationsjournalismus geht in unseren Augen überhaupt nicht. Spieler und Trainer werden immer nur als Hochleistungs-Maschine gesehen, in Hochzeiten bejubelt, in schlechten Phasen kritisiert. Damit muss man im Profifußball leben. In diesem Fall wollen wir das nicht. Es gibt Grenzen und die wurden dieses Mal deutlich überschritten.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 19.30 Uhr: Auch “Bild” hat eine Stellungnahme veröffentlicht:

Die SpVgg Greuther Fürth verbreitete in einer Stellungnahme, dass BILD-Reporter Martin Funk den am Kopf operierten Torwart Bastian Lerch angeblich mit einem Besuch im Krankenhaus „überrumpelt“ und eine „moralische Grenze überschritten habe“.

Hierzu stellen wir fest: Vergangenen Sonntag hat BILD-Reporter Funk mit dem Berater von Bastian Lerch Kontakt aufgenommen. Herr Funk fragte an, ob er den Spieler im Krankenhaus besuchen dürfe. Dabei bat er explizit darum, das Einverständnis des Spielers und dessen Eltern für einen Besuch einzuholen.

Am Montag gaben Spieler und Eltern über den Berater dann ihr Einverständnis für einen Besuch. Der Spielerberater von Bastian Lerch versicherte auf BILD-Nachfrage, dass niemand überrumpelt und der Krankenhausbesuch wie abgesprochen ablief.

Boulevardmäuse in Klickfabriken, Windows-Mythen, Plagiate

1. Der Journalismus im Internet ist eine Enttäuschung. Denn damit Du diesen Text liest, brauchst Du so eine Schlagzeile.
(medienwoche.ch, Ronnie Grob)
Ronnie Grob ist enttäuscht vom Onlinejournalismus: “Vielleicht muss ich einigen Kritikern des Internets recht geben. Denn die großen, mit der Explosion von Möglichkeiten im Internet geschmiedeten Träume konnten bisher nicht erfüllt werden.” Trotz der grenzenlosen Möglichkeiten des Internets seien viele Online-Journalisten “kleine Boulevardmäuse geblieben, bemitleidenswerte Klickfabrik-Arbeiter”. Der “große Teil des wertvollen Journalismus” finde immer noch offline statt, “und zwar oft auf Papier”. Der Beitrag ist der Auftakt einer Serie, in der die “Medienwoche” beleuchten will, wie das Internet den Journalismus verändert hat.

2. Tagebau von Presse befreit
(taz.de, Malte Kreutzfeld)
Am Samstag demonstrierten in Garzweiler rund 1000 Menschen gegen Braunkohleabbau. Journalisten, die über die Protest-Aktion berichten wollten, wurden dabei offenbar massiv behindert und eingeschüchtert: “Eine Reporterin, die für die Tageszeitung Neues Deutschland und das Online-Magazin klimaretter.info schreibt, wurde nach eigenen Angaben im Tagebau ohne erkennbaren Grund aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht und konnte ihre Arbeit nicht fortsetzen.” Auch eine Redakteurin der dänischen Tageszeitung Dagbladet Information habe stundenlang gefesselt in einem Polizeikessel ausharren müssen. Die betroffenen Medien haben sich nun beim nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger beschwert und eine Stellungnahme eingefordert.

3. Plagiarismus, getarnt als Recherche
(faz.net, Frank Fischer und Joseph Wälzholz)
Der Autor und Bachmannpreisträger Tex Rubinowitz hat sich anscheinend nicht nur für seinen Text im “SZ Magazin” vom Metafeuilleton “Der Umblätterer” inspirieren lassen, sondern auch ganze Absätze seines aktuellen Buches aus der Wikipedia abgeschrieben: “Jedenfalls könnte man ‘Irma’ streckenweise auch ‘Irmapedia’ nennen, denn was darin zum Haussperling, zu ‘Deep Space Nine’, zu Mary Hopkin, zu Bruce Dickinson, zu den Najaden und noch zu ein paar anderen Sachen steht, ist wieder satzweise und ohne Quellenangabe aus der Wikipedia rausgeklaubt.”

4. Fünf falsche Windows 10 Mythen: Wenn für Klicks die Journalistenethik mit Füßen getreten wird
(wprea.de, Albert Jelica)
Vor genau drei Wochen wurde Windows 10 veröffentlicht, und seitdem reißt die Kritik nicht ab. Verbraucherschützer warnen vor der “Datenschleuder”, Tech-Blogs und Online-Medien sind voll mit Ratgebern, “wie Sie Windows 10 am Spionieren hindern”, viele Kunden sind mittlerweile ernsthaft verunsichert und zögern das Update heraus. Doch ist Microsoft wirklich daran interessiert, seine Nutzer zu überwachen und mit den Daten Geld zu verdienen? “Manche Kritik ist sicher berechtigt”, bilanziert Albert Jelica, nachdem er fünf weit verbreitete Mythen näher beleuchtet hat. Doch bei der “Dichte an Falschmeldungen ist an Flüchtigkeitsfehler mittlerweile schwer zu glauben. Die neue Währung im Online-Journalismus heißt Click und um diese zu generieren, treten viele Journalisten ihre Berufsethik mit Füßen.”

5. Warum wir über “Nazi-Patrouillen in Dortmund” nicht berichtet haben
(deutschlandfunk.de, Marco Bertolaso)
“Es ist immer eine Gratwanderung und keine leichte Abwägung. Über wichtige Themen müssen und wollen wir berichten. Wir machen aber keine PR. Erst recht nicht für Rechtsextreme in Dortmund.”

6. Julian Reichelt, der gute Mensch von bild.de
(leogfischer.com, Leo Fischer)

Krebserkrankung als Clickbait

Der Autor und Moderator Roger Willemsen ist an Krebs erkrankt und hat alle Auftritte in diesem Jahr abgesagt, wie sein Büro heute mitteilen ließ.

Die zur Bauer Media Group gehörende Fernsehzeitschrift “TV Movie” hatte die folgende Idee, wie man aus dieser Meldung maximales Kapital schlagen könnte:

Und nein, das ist leider kein Fake.

Mit Dank an @SvenRuoss.

Nachtrag, 23.15 Uhr: „TV Movie“ hat den Post gelöscht und eine Entschuldigung veröffentlicht:

Interessant, dass die Redaktion jetzt bemerkt, wie geschmacklos diese “Posting-Art” ist. Denn seit Monaten macht sie auf ihrer Facebook-Seite kaum etwas anderes. Hier nur eine minimale Auswahl:





Und permanent benutzt die „TV Movie“ den Tod berühmter Menschen, um die Leute auf ihre Seite zu locken:



























Und das sind nur die Todes-Postings der letzten sechs Wochen (mehr konnten wir uns nicht antun).

Immer wieder haben Leser dieses Clickbaiting in den vergangenen Monaten kritisiert. Aber erst jetzt fällt der “TV Movie” auf, dass da etwas dran sein könnte.

Nachtrag, 19. August, 15.40 Uhr: Die Redaktion hat sich jetzt noch einmal für den Willemsen-Post entschuldigt. Auf die anderen Einträge geht sie aber mit keinem Wort ein:

Nachtrag, 19. August, 16.40 Uhr: Im Wikipedia-Eintrag zur “TV Movie” steht seit gestern folgender Abschnitt:

Heute Mittag hat ein Wikipedia-Nutzer mehrmals versucht, diesen Abschnitt zu löschen. Seine IP ist registriert auf die Bauer Systems KG. Auf seiner Benutzerseite steht:

Der Abschnitt wurde inzwischen wiederhergestellt, der Nutzer wegen Manipulationen vorerst gesperrt.

Mit Dank an @AlexElvers!

Nachtrag, 9. August 2018: Günther Jauch, der auch im Posting abgebildet war, ist gegen “TV Movie” vorgegangen und hat nun, drei Jahre später, recht bekommen. Das Landgericht Köln stellte fest, dass die Verwendung von Jauchs Foto in diesem Zusammenhang “ungehörig” und rechtswidrig war. Außerdem stehe ihm eine Lizenzgebühr zu, weil der Verlag das Foto für kommerzielle Zwecke ausgenutzt habe.

Sportjournalismus, Lokalmedien, “Wahrheit” über Cannabis

1. Hetzt die “Bild”-Zeitung gegen Flüchtlinge?
(de.nachrichten.yahoo.com, Jan Rübel)
Ex-Springer-Mitarbeiter Jan Rübel hat sich einige differenzierte Gedanken zu unserer Auseinandersetzung mit Bild.de-Chef Julian Reichelt gemacht.

2. Der Sportjournalismus trägt Mitschuld an der Doping-Problematik
(andreasgriess.de, Andreas Grieß)
Auf die jüngsten Doping-Enthüllungen der ARD reagierten viele Vertreter der Leichathletik-Verbände empört. Das deute “eklatant darauf hin, dass diese Menschen kritischen Journalismus gar nicht gewohnt sind”, glaubt Andreas Grieß. Es sei kein Zufall, dass der Doping-Skandal von einem “kritischen Außenstehenden” aufgedeckt wurde, und nicht etwa von einem Leichtathletik-Journalist. Sein bitteres Fazit: “Damit passiert auch im Sport, was bereits im Lokalen geschieht: Es wird kaputt gespart. Es gibt in Deutschland Sportberichterstattung, aber kaum Sportjournalismus.”

3. Bitte, kein Kommentar!
(de.ejo-online.eu, Fabian Prochazka und Patrick Weber)
Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim wollen herausgefunden haben, dass sich das Niveau der Leserkommentare auf Nachrichtenseiten auf die wahrgenommene Qualität der Artikel auswirkt: Je mehr Trolle, desto schlechter werden auch die Texte beurteilt. Besonders erstaunlich: “Auch höfliche Kommentare und solche mit Argumenten verschlechtern die wahrgenommene Qualität eines Artikels im Vergleich zu einer Version ganz ohne Kommentare.”

4. Trennung zwischen Arm und Reich wirkt sich auf Lokalnachrichten aus
(netzpiloten.de, Laura Hazard Owen)
Wohlhabende Städte haben besseren Zugang zu Lokaljournalismus, dort werden die Bewohner häufiger und umfassender informiert, als in ärmeren Städten. Allerdings ist die Stichprobe der Rutgers-Untersuchung sehr klein, nur drei Städte im US-Bundesstaat New Jersey wurden untersucht. Trotzdem müsse man anhand dieser Ergebnisse annehmen, dass die demokratischen Werkzeuge nicht gleichmäßig verteilt sind, sagt Philip M. Napoli, Professor für Journalismus und Leiter der Studie – “was uns Sorgen machen sollte”.

5. Germanwings: Klage gegen “Österreich” wegen falschem Co-Piloten
(derstandard.at)
Nach dem Germanwings-Unglück hatten unter anderem die “Kronen Zeitung” und “Österreich” das unverpixelte Foto eines Mannes gedruckt, das aber nicht, wie angegeben, den Co-Piloten Andreas L. zeigte, sondern einen Unbeteiligten. Mit der “Krone” gab es eine außergerichtliche Einigung, “Österreich” steht nun vor Gericht.

6. Sagt die Bild wirklich “die Wahrheit über Cannabis”?
(vice.com, Michael Knodt)
“Zugegeben, ein wenig mehr Mühe als sonst hat die Redaktion sich im Rahmen der Recherche schon gegeben. Aber man muss nicht lange lesen, um zu verstehen, dass die Bild immer noch keine Ahnung von Weed hat.”

Krümel und der böse Wolf

Die Wölfe sind wieder da, und jetzt fressen sie schon unsere Hündchen.

Ein Hundehalter behauptete vor zwei Wochen, dass sein Chihuahua Krümel (5) in einem Wald bei Celle in Niedersachsen von drei Wölfen gerissen wurde, und “Bild” machte die Sache bundesweit ganz groß auf:

Der “Bild”-Grafiker stellte sich die Szene so vor:

Die “Bild”-Online-Redaktion so:

Die Regionalausgabe Hannover legte am folgenden Tag noch nach:

Mit seinem Hund Gassi gehen und dabei von einem Rudel Wölfe gestellt werden. Dieses Horrorszenario ist Jörg M. (54) aus Wietze passiert.

Der Niedersächsische Landesbetrieb Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz gab eine Untersuchung in Auftrag und hatte schon weniger als eine Woche später ein Ergebnis: In einer Pressemitteilung gab er bekannt, dass der Wolfsverdacht “ausgeräumt” sei. Gen-Untersuchungen des Labors für Wildtiergenetik Senckenberg hätten keinen Hinweis auf den “Canis lupus lupus” (europäischer Wolf) ergeben.

Vielmehr wiesen die Speichelreste des Angreifers, die unter anderem am Geschirr des toten Hundes sichergestellt wurden, das genetische Profil eines Hundes mit Verdacht auf Wolfhund auf.

Auch die Spuren eines zweiten Angreifers deuteten auf einen Hund, vermutlich einen Wolfhund, hin.

Gut, ein Hund, aber andererseits: ein Wolfhund. Ein WOLFhund! Ein WOLFHUND! Und so verkaufte die “Bild”-Zeitung die Erkenntnis der Experten am vergangenen Samstag (sehr klein im Innenteil) als “Rätsel”:

Laut des Labors für Wildtiergenetik Senckenberg gibt es keine genetischen Spuren bei der tödlichen Attacke durch eine in Europa ansässige Wolfsgattung. Ungewöhnlich: Es war aber auch kein normaler Hund!

Und in der Regionalausgabe Hannover versteckte “Bild” die Auflösung, dass es sich bei dem bösen Wolf von Seite 1 ein paar Tage zuvor um einen Hund handelte, verblüffenderweise so:

Am Ende einer Meldung über Wölfe; unter der Überschrift, dass es ein neues Wolfsrudel gibt; unter einem Bild von einem Wolfsrudel; neben einem Bild von einem Wolf.

Wie “Bild” den Hass gegen Flüchtlinge schürt (2)

“Bild”-Online-Chef Julian Reichelt hat unseren Beitrag “Wie ‘Bild’ den Hass gegen Flüchtlinge geschürt” gelesen und bei Facebook einen langen Kommentar dazu geschrieben, der von den vielen guten Taten der “Bild”-Zeitung außerhalb der “Bild”-Zeitung handelt.

Reichelt schreibt zum Beispiel:

In der syrischen Provinz Aleppo betreiben wir mit „Ein Herz für Kinder“ mehrere Schulen, in denen nahezu ausschließlich Flüchtlingskinder betreut werden. Wir bezahlen Lehrer, Schulbücher, Zelte, Heizkosten, um das letzte bisschen Alltag aufrecht zu erhalten, das diesen Kindern geblieben ist.

Und:

Eines der letzten Krankenhäuser in Aleppo, das unter schlimmsten Umständen Patienten behandelt, darunter unzählige Flüchtlinge, arbeitet mit Geräten, die ich in dieses Krankenhaus gebracht habe. Als ich das letzte Mal dort war, wurde einer jungen Frau ein Tumor aus der Brust entfernt. Sie war aus einer Nachbarstadt nach Aleppo geflüchtet, weil die medizinische Versorgung in ihrer Heimatstadt komplett zusammengebrochen war. Beatmet wurde sie mit einem mechanischen Beatmungsgerät der Bundeswehr aus den 60er-Jahren, das wir über einen Mittelsmann beschafft und persönlich nach Aleppo geliefert hatten. Diese Geräte sind bei den Ärzten in Aleppo besonders beliebt, weil sie keinen Strom brauchen.

Und:

Letzte Woche kam ein junger Mann aus Syrien in Berlin an. Zwei wundervolle Kollegen von mir haben ihn beherbergt, die nächsten Nächte haben wir ihn im Hotel einquartiert, dann ist meine Kollegin mit ihm erst zum Anwalt und anschließend zur zuständigen Behörde gegangen. Wir haben uns darum gekümmert, dass er nicht zurück nach Ungarn muss, wo er misshandelt worden ist. Auf Kurzwahl hat er in seinem Handy eine Nummer von uns, die er rund um die Uhr anrufen kann, falls er Probleme hat – egal ob mit Behörden oder (ohne das in irgendeiner Weise gleichsetzen zu wollen) mit Fremdenfeindlichkeit.

Und:

Es gibt zahlreiche solcher Fälle, in denen wir bei BILD uns für Flüchtlinge eingesetzt haben, weit über unsere Berichterstattung hinaus. Niemand bei BILD erwartet dafür einen Dank. Wir tun es, weil es das Richtige ist. Was ich persönlich allerdings erwarte, ist, dass wir dafür nicht von Schreibtisch-Ideologen wie Mats Schönauer und Stefan Niggemeier verunglimpft und als Flüchtlingshasser verleumdet werden.

Wenn Mats Schönauer und Stefan Niggemeier auch nur einen Funken von dem Anstand hätten, den sie uns absprechen, würden sie sich für ihre üblen, völlig haltlosen Unterstellungen entschuldigen. Aber das wird nicht passieren.

Stimmt: wird es nicht. Aber nicht aus mangelndem Anstand, sondern weil Julian Reichelt unseren Text offenkundig nicht verstanden hat. Wir werfen „Bild“ und ihm ja nicht vor, „Flüchtlingshasser“ zu sein. Sondern den Hass zu schüren, indem sie bewusst Fakten verschweigen oder verdrehen, um aufregende Schlagzeilen präsentieren zu können — die dann wiederum in Sozialen Netzwerken und den Köpfen vieler Leser die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizen.

Es geht nicht um das persönliche Engagement von Reichelt und seinen Kollegen. Es geht um die publizistische Verantwortung der „Bild“-Zeitung.

Da das ja offenbar so schwer zu verstehen ist, hier nochmal ein Beispiel. Vor ein paar Monaten schrieb „Bild“, in Bautzen müssten die Sanitäter jetzt schon kugelsichere Westen tragen — „AUS ANGST VOR ATTACKEN IM ASYL-HOTEL“. Der Artikel ist (wie BILDblog-Leser wissen) in mehrerer Hinsicht falsch, zum Beispiel ist das Haus keine „Vier-Sterne-Herberge“ mehr, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne Schnickschnack. Vor allem aber wurden die Westen laut DRK nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft, sondern zum generellen Schutz der Sanitäter.

Flüchtlingshassern dient der Text seitdem als schlagkräftiges „Argument“. Julian Reichelt weiß das alles, und im BILDblog-Eintrag, den er jetzt kritisiert, fragen wir, warum der Artikel trotzdem seit Monaten unverändert online ist. Darauf ist er leider mit keinem Wort eingegangen.

Genauso wenig wie auf diesen Artikel, den wir im Eintrag ebenfalls kritisiert haben:

So stand es in der Hamburger “Bild”-Ausgabe und so steht es immer noch auf Reichelts Bild.de. Was beide jedoch verschweigen: Diese Kulanz-Regel gilt nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für alle anderen, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich mit ungültigem Ticket unterwegs sind.

Aber davon bekamen die besorgten “Bild”-Leser nichts mit – und reagierten so:


Und was steht heute in der Hamburger “Bild”?

Flüchtlinge kontrolliert der HVV mit Augenmaß.

Was bedeutet, er lässt sie laufen, wenn sie ohne gültigen Fahrausweis sind, an den komplizierten Automaten und dem undurchsichtigen Tarifsystem scheiterten.

Mit so viel Nachsicht kann der nur sporadisch und deshalb ebenso kenntnisarme einheimische HVV-Nutzer nicht rechnen. Der hat zwar keine Sprachschwierigkeiten, steht aber oft verständnislos vor den unbemannten Bahnhöfen.

Ich würde wirklich gerne glauben, dass es dem Bild.de-Chef und seinen Kollegen ein Anliegen ist, die Situation der Flüchtlinge in Deutschland zu verbessern. Aber mit solchen Geschichten bewirken sie genau das Gegenteil. Auch wenn Julian Reichelt diesen Zusammenhang einfach nicht erkennen will.

Von “Meedia” auf die “unterschiedlichen Tonalitäten in der Bild-Berichterstattung” angesprochen, sagte Reichelt übrigens:

Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, Sachverhalte zu verschweigen oder gar aus dem Internet zu tilgen. Wir berichten über das, was ist.

Eben nicht. Wenn es sich verkaufen lässt, weil es die Ressentiments der Leute bedient, berichtet “Bild” über das, was nicht ist. Und genau das ist das Problem.

Pegida-Lügen, Journalisten als Aktivisten, Ai Weiwei

1. Warum macht ihr nicht den Mund auf?
(jetzt.sueddeutsche.de, Friedemann Karig)
Im Jahr 2015 gab es bereits mehr als 150 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, andere Quellen sprechen von 200. Das ist “unfassbar schlimm. Es ist eine Schande. Es darf nicht sein”, schreibt Friedemann Karig in einem Brandbrief, der mit drei wütenden Fragen endet: “Was ist mit Dir, lieber Politiker? Was machst Du so im Sommer 2015? Worauf verfickt noch mal wartest Du?” Auch die Kolumnisten von “Spiegel Online” haben sich am Wochenende damit beschäftigt, wie Medien über Flüchtlinge berichten: Sibylle Berg wirft Journalisten unnötige Panikmache vor, während Georg Diez dazu auffordert, sich endlich von der “gläserne[n] Wand der Objektivität” zu verabschieden und zu Aktivisten zu werden: “Um auf die neue Gegenwart zu reagieren, braucht es auch einen anderen Journalismus, analytischer, individualistischer, klarer, härter, aktivistischer, mutiger, offener, verständlicher, entschlossener, leidenschaftlicher.”

2. Mit Lügen gegen die “Lügenpresse”: Pegida fälscht “Spiegel Online”-Überschrift
(stefan-niggemeier.de, Stefan Niggemeier)
“Asylbetrüger besteigen Eurocity aus Mazedonien Richtung Germany” – so lautete ein “Spiegel Online”-Artikel, den “Pegida” gestern bei Facebook geteilt hat. Diese Überschrift kam aber nicht von “Spiegel Online”, sondern von “Pegida”, wie Stefan Niggemeier schreibt: “Die Pegida-Leute aber sind nicht nur Lügner, sondern auch Stümper. Denn die falsche Überschrift, die sie ‘Spiegel Online’ untergeschoben haben, kann schon formal gar keine ‘Spiegel Online’-Überschrift sein. ‘Spiegel Online’-Artikel-Überschriften enthalten immer einen Doppelpunkt.” Siehe dazu auch: “Wie Rechtsaußen-Desinformanten gegen Flüchtlinge hetzen” (netz-gegen-nazis.de).

3. Wie Putin in Russland den Journalismus abschafft
(welt.de, Oliver Bilger)
Oliver Bilger schreibt über die Situation der Presse in Russland: Seit Maidan und der Krim-Krise habe Putin “die Daumenschrauben noch einmal schmerzhaft angezogen. Strengere Gesetze erschweren die Arbeit der Journalisten, Propaganda und gezielte Desinformation flutet das ganze Land”, was vor allem die kritischen Journalisten der “Nowaja Gaseta” zu spüren bekommen.

4. Die posthume mediale Vergewaltigung der Gabriele Z.
(rheinneckarblog.de, Hardy Prothmann)
Vergangene Woche druckte der “Mannheimer Morgen” das Foto einer Studentin, die 2013 in Mannheim vergewaltigt und ermordet wurde. Das Foto ist Teil des “MM-Sommerrätsels”: Wer unter anderem das Herkunftsland der ermordeten Frau kennt, kann einen von “drei attraktiven Hauptgewinnen” gewinnen. Für Hardy Prothmann sind die verantwortlichen Redakteure “journalistische Schwerverbrecher”: “Das Andenken an die junge Frau wird auf ordinärste Art und Weise geschändet, indem man sie zum Teil eines ‘Rätselspaßes’ macht.”

5. Die fehlenden Worte des Ai Weiwei
(tagesspiegel.de, Christiane Peitz)
Der chinesische Künstler Ai Weiwei wirft der “Zeit” vor, ein Interview mit ihm sinnentstellend gekürzt zu haben. Die Autorinnen verwehren sich gegen die Anschuldigungen und veröffentlichen ihrerseits die chinesische, englische und deutsche Version des Gesprächs.

6. Flucht
(zoebeck.wordpress.com, Zoë Beck)
Ein Freund von Zoë Beck hat einen Text über die Situation in Syrien geschrieben, den man als Antwort verwenden könne, “wenn sich, wie gerade immer wieder geschieht, auf Facebook Menschen melden, die der Meinung sind, dass Flüchtlinge noch viel zu gut in unserem Land behandelt werden” und “dass die doch alle nur herkommen, um was vom Kuchen abzubekommen”.

Die 19 Jahre alte Hetzvorlage



Das haben Sie vielleicht mitbekommen, es war ja überall zu lesen; bei „Focus Online“, stern.de, web.de, news.de, berliner-kurier.de, welt.de, rtl.de, heute.at und vielen anderen.

Gestreut wurde die Story hierzulande von der Nachrichtenagentur AFP, die sie im Portal “Emirates 24/7” gefunden hatte.

Eine junge Frau ist laut Medienberichten in Dubai ertrunken, weil ihr Vater die Rettungsschwimmer zurückhielt, damit diese nicht seine Tochter anfassen und so ihre Ehre “beschmutzen”. Der asiatische Mann, dessen Identität nicht bekanntgegeben wurde, wurde von der Polizei festgenommen, wie das Internet-Nachrichtenportal Emirates 24/7 am Montag berichtete.

Wann das Ganze passiert sein soll, schreiben weder AFP noch die deutschen Medien, und wenn sie sich (wie etwa der “Guardian”) die Mühe gemacht hätten, den Zeitpunkt des Vorfalls zu recherchieren, hätten sie die Geschichte wohl gar nicht erst angepackt. Denn die Sache liegt nicht bloß ein paar Tage zurück — sondern 19 Jahre.

Das hat die Polizei in Dubai am Mittwoch bestätigt:

Unter dem “Emirates 24/7”-Artikel, den die AFP abgeschrieben hatte, steht inzwischen:

The incident happened many years ago.

Auch die AFP stellte am Mittwoch klar:

Polizei von Dubai: Fall von Ertrinkenlassen der Tochter ist alt

“Das ist eine alte Geschichte”, teilte am Mittwoch die Polizei des Emirats über den Kurznachrichtendienst Twitter auf Anfrage mit. Das Internet-Portal Emirates 24/7 hatte am Montag über den Fall berichtet. Die Meldung wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen, auch von AFP. In den sozialen Netzwerken sorgte der Fall für scharfe Kritik.

„Scharfe Kritik“.

Wie hier auf “buzz.at”:

Oder auf „Focus Online“:


Wobei das mit dem “umfassend” ja auch im Internet so eine Sache ist. Bisher hat es nur eine Handvoll Medien geschafft, die Sache klarzustellen. Krone.at, Blick.ch und n24.de haben ihre Artikel ganz gelöscht.

Alle anderen, darunter stern.de, “Focus Online” und der “Berliner Kurier”, haben gar nichts geändert und sorgen damit weiterhin für “scharfe Kritik” von besorgten Bürgern. Dabei könnten gerade die ein bisschen Aufklärung doch wirklich gut gebrauchen.

Mit Dank an Eva R.!

Nachtrag, 17. August: stern.de und berliner-kurier.de weisen jetzt darauf hin, dass der Vorfall lange her ist. “Focus Online” und web.de haben ihre Artikel gelöscht.

Der Hulk in Berlin? Unglaublich!

Ein Gastbeitrag von “TV Spielfilm”-Redakteur Rüdiger Meyer. Der Text ist heute auch im “TV Spielfilm”-Blog erschienen.

Am Mittwoch war ich am Set von “Captain America 3” in Berlin. Details kann ich nicht verraten, da ich eine Geheimhaltungsklausel unterschrieben haben, aber eine höchst amüsante Beobachtung blieb hängen. Denn der Marvel-Publizist John Pisani, der uns durch den Tag begleitete, sah aus wie Mark Ruffalo. Als ich ihn darauf ansprach, ob er jemals mit dem Hulk-Darsteller verwechselt wurde, verriet Pisani höchst amüsiert, dass er sogar in “Avengers: Age of Ultron” für einige Sekunden als Bruce Banner zu sehen ist. Bei Nachdrehs stand Mark Ruffalo nicht zur Verfügung und Pisani bekam drei Seiten Text in die Hand gedrückt, spielte eine Szene mit Robert Downey Jr. und wurde dabei im Profil gefilmt. Später sprach Ruffalo nur noch mit seiner Stimme den Text neu drüber, und fertig war die Szene. Zwar ist Pisanis Auftritt nicht in den Credits vermerkt, wer genau hinsieht, kann aber den Unterschied entdecken.

Dies brachte mich zum Nachdenken: Vor eineinhalb Wochen berichtete die “Bild”-Zeitung online über eine wilde Partynacht in Berlin, bei der Chris Evans, Anthony Mackie, Daniel Brühl und Mark Ruffalo bis in die frühen Morgenstunden die Hauptstadt unsicher gemacht haben.

Seit dieser Woche drehen die US-Superstars Chris Evans (34), Mark Ruffalo (47) und Anthony Mackie (36) gemeinsam mit Schauspiel-Star Daniel Brühl (37) den dritten Teil von “Captain America” in Berlin. Zum Einstand ließen es die Superhelden aber erst einmal im Berliner Nachtleben richtig krachen. (…)

Ein Gast zur BILD: “Vor allem Ruffalo und Mackie hatten ihren Spaß, haben die ganze Zeit getanzt. Sie waren auch mit uns um sieben Uhr die Letzten im Laden und tanzten zu Elektro-Musik.”

Eine Meldung, die wie eine Bombe einschlug, denn zuvor war noch nichts über die Mitwirkung von Hulk alias Mark Ruffalo in “Captain America 3” berichtet worden. Sämtliche Superhelden- und Filmgossip-Seiten nahmen die Meldung auf, dass der Hulk dabei ist. Marvel hingegen hielt sich bedeckt. Mit gutem Grund: Denn ein Foto konnte Bild-Autor John Puthenpurackal nicht besteuern und wie es scheint, war alles eine große Lüge.

Denn während die anderen auf der Partynacht gesehenen Marvel-Stars am Set in Berlin herumliefen, war Mark Ruffalo nirgends zu finden. Tatsächlich deutete in der Szenerie auch nichts darauf hin, dass eine Hulk-Storyline in Berlin Sinn macht. Also haben wir mal ein wenig die Soziale Netzwerk durchforscht. Und ein Twitter-User namens Olli87, der erstaunlich gut informiert über den Dreh in Berlin ist, bestätigt, dass Ruffalo niemals in Berlin war und nennt als seine Quelle dafür die Regisseure Joe und Anthony Russo.

Doch den eindeutigsten Beweis, dass alles nur eine große Ente ist, liefert ein Foto auf Instagram. Denn da posiert ein Nutzer stolz mit Anthony Mackie und jemandem, den er laut Hashtag als Mark Ruffalo identifiziert.

Das Problem dabei: Der Mann auf dem Foto ist John M. Pisani und nicht Mark Ruffalo. Das beantwortet zwar nicht die Frage, ob der Hulk in “Captain America 3” dabei sein wird. In Berlin war er aber auf jeden Fall nicht.

Wie “Bild” den Hass gegen Flüchtlinge schürt

Es sind ungewohnte Töne von Julian Reichelt. In letzter Zeit macht sich der „Bild“-Online-Chef immer wieder für Flüchtlinge stark, er erklärt:

Oder:

Auch sonst geben sich „Bild“-Medien sichtlich Mühe, dem lauter werdenden Fremdenhass im Land etwas entgegenzustellen; sie wettern gegen die „Pegida-Idioten“, versuchen sich an entlarvenden Faktenchecks, erzählen rührende Positiv-Geschichten, machen auf das Leid der Geflüchteten aufmerksam und kritisieren das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“.

Dagegen ist auch erstmal nichts zu sagen. Bloß wäre dieses Engagement viel glaubwürdiger und vor allem: wirksamer, wenn „Bild“ nicht gleichzeitig an vielen Stellen genau diesen Hass, die Feindbilder und die Ressentiments gegen Flüchtlinge befeuern würde.

Sie erinnern sich vielleicht an den Artikel, den die Dresdner „Bild“-Ausgabe vor gut einem Jahr veröffentlicht hat:

Obwohl schnell klar war, dass die Schutzwesten nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft wurden, sondern zum generellen Schutz der Rettungskräfte, und obwohl auch „Bild“ weiß, dass es in Wahrheit keine Vier-Sterne-Luxusbude mehr ist, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne jeden Schnickschnack, und obwohl der Artikel mit diesen falschen Behauptungen nachweislich die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizt, ist er immer noch online.

Wenn den „Bild“-Leuten und vor allem ihrem Online-Chef so viel daran gelegen ist, den Flüchtlingen zu helfen, warum korrigieren oder löschen sie den Artikel nicht einfach?

Und generell die ganzen Geschichten, die von den „Bild“-Medien in die Welt gelogen wurden und heute genau jenen als Argumentationshilfe dienen, die gegen die „Überfremdung“ unseres Landes zu Felde ziehen.

Also wenn es in diesem Land jemanden gibt, der das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“ beherrscht, dann ist das die “Bild”-Zeitung.

Ein anderes Beispiel. Anfang vergangener Woche erschien in „Bild“ Hamburg und bei Bild.de ein Artikel über den Hamburger Verkehrsbund (HVV):

Aus Angst vor „schlechter Presse“ hat der HVV hat seine Fahrkartenkontrolleure angewiesen, bei Flüchtlingen, die ohne Ticket angetroffen werden, ein Auge zuzudrücken.

Das geht aus einem internen Schreiben des Unternehmens hervor, das BILD vorliegt. Wörtlich heißt es darin: Bei „Asylsuchenden“ müsse man „viel „Augenmaß walten lassen“, da viele von Ihnen „Opfer von professionellen Fahrkartenfälschern“ würden oder „nachvollziehbar kaum Kenntnisse“ von der HVV-Tarifstruktur hätten.

Dann, wie üblich, ein schockierter Politiker:

Das will CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering (31) so nicht stehen lassen: „Die ,Augen-zu-Anweisung‘ muss zurückgenommen werden. Es gibt in Hamburg die Möglichkeit, eine vergünstigte HVV-Zeitkarte zu erwerben, explizit auch für Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.“

Und der Artikel schließt mit der Bemerkung:

In der Tat erhält jeder neu ankommende Flüchtling 149 Euro Taschengeld pro Monat. Davon sind nach Angaben der Sozialbehörde 25,15 Euro für Fahrkarten im Nahverkehr vorgesehen.

Die haben also — in der Tat — genug Geld, die Flüchtlinge. Und dann kommt der HVV auf die Idee, sie alle schwarzfahren zu lassen, damit es keine negativen Artikel gibt? Und der arme Deutsche muss wieder blechen?

Soweit — und so verzerrt — die Version der „Bild“-Zeitung.

Was das Blatt nämlich nicht erwähnt: Es sind nicht nur Flüchtlinge, bei denen der HVV „ein Auge zudrückt“, sondern alle Leute, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich ein ungültiges Ticket dabeihaben.

„Egal ob Hamburger oder Flüchtling oder Tourist“, erklärte uns der HVV-Sprecher auf Nachfrage, “da machen wir keinerlei Unterschied”. Wer zum Beispiel glaubhaft versichern könne, dass er Opfer von Fälschern wurde oder sich beim Fahrkartenkauf vertan hat, dürfe mit der Kulanz der Kontrolleure rechnen, das gelte für alle und sei schon immer so gewesen.

Mit dem internen Schreiben (hier im Wortlaut) habe der HVV lediglich der aktuell hohen Zahl von Flüchtlingen Rechnung tragen und die Mitarbeiter daran erinnern wollen, dass bei den Kontrollen Fingerspitzengefühl gefragt sei. Es sei auch nicht aus Angst vor schlechter Presse verschickt worden, sondern „aus Überzeugung“. Der HVV-Sprecher:

Ich kenne den Kollegen, der das Schreiben verschickt hat. Der hat vor Kurzem miterlebt, wie verängstigt einige Flüchtlinge waren, als sie, umringt von Uniformierten, am Bahnsteig kontrolliert wurden, da dachte er sich einfach: „Da muss man was tun“ und hat dann das Schreiben verschickt, um die Kollegen für die spezielle Situation zu sensibilisieren.

Das alles hätte der „Bild“-Reporter auch erfahren, wenn er beim HVV nachgefragt hätte. Aber das hat er laut HVV nicht.

So reißt “Bild” das Dokument aus dem Zusammenhang und erweckt den Eindruck, die Flüchtlinge bekämen eine ungerechtfertigte Extrawurst.

Die Reaktionen auf den Artikel sehen übrigens so aus:















Das ist nur eine winzige Auswahl. Auf der Facebookseite der Hamburger “Bild” stehen noch über 900 weitere Kommentare, viele davon gehen in die gleiche Richtung. In den Sozialen Medien, in Foren und in analogen Diskussionen ist die “Nachricht”, dass “die Flüchtlinge jetzt sogar offiziell schwarzfahren dürfen”, zu einem weiteren Scheinargument geworden, mit dem der Hass genährt wird.

Auch der HVV habe aufgrund der Berichterstattung Dutzende Hassbriefe und -mails bekommen, sagte uns sein Sprecher, die meisten davon seien „offen rassistisch“.

Die Hütte brennt, “Bild” schüttet Benzin nach, und Julian Reichelt steht davor und tut so, als wolle er löschen.

Mit Dank an Lars W.

Siehe auch: Schlechte Presse, Lügenpresse und der HVV (“Eimsbütteler Nachrichten”)

Nachtrag, 17. August: Julian Reichelt hat auf unsere Kritik reagiert. Nur verstanden hat er sie nicht.

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