Suchergebnisse für ‘mindestlohn’

Kampfhunde, Kioskmisere, Kronenzeitung

1. Britische Medien in der winzigen Blase von Westminster
(Peter Stäuber, medienwoche.ch)
Der in London arbeitende Korrespondent Peter Stäuber über den Einfluss der britischen Medien auf Politik und einzelne Politiker: “Journalisten in England treten im Umgang mit Labour-Chef Jeremy Corbyn nicht als Wachhunde der Demokratie auf, sondern als Kampfhunde. Selbst der als links geltende «Guardian» übt sich nicht eben in fairer Kritik am polarisierenden Parteichef.”

2. Ausbildung statt Ausbeutung
(buchreport.de)
Kurzes Interview mit der Vorsitzenden des Vereins “Junge Verlagsmenschen” Lena Augustin, in dem es vor allem um die Rechte und die Entlohnung von Volontären in Verlagen geht: “Der Mindestlohn ist, wie es der Name schon sagt, das Mindeste. Verlage, die darunter bleiben, rechtfertigen sich mit dem Argument, Volontariate seien Ausbildungsverhältnisse. Nach unserer Ansicht ist das Volontariat aber eine Einstiegsstelle, weil wir wissen, dass viele Volontäre schon sehr schnell dieselbe Arbeit wie festangestellte Kollegen verrichten. Unser Vorschlag: Verlage könnten mit einem Gütesiegel zeigen, dass sie fair ausbilden. Das Volontariat dauert nicht länger als 2 Jahre, es gibt klar definierte Ziele und feste Ansprechpartner im Verlag – das wären zentrale Kriterien für ein solches Siegel.”

3. Verwirrung um Sky-News-Bericht über Waffenschmuggel
(derwesten.de, Christine Holthoff)
Wer sagt die Wahrheit: Der britische Sender “Sky News” mit seiner Behauptung, Mafiagangs in Rumänien würden für 1.700 Euro Sturmgewehre an jedermann verkaufen? Oder die rumänische Anti-Korruptions-Behörde “Diicot”, die von einer gefakten Inszenierung spricht? Christine Holthoff berichtet über das rumänische Waffen-Verwirrspiel.

4. Aus dem Alltag eines Zeitungshändlers
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Immer weniger Menschen kaufen gedruckte Zeitungen. Das hat meist etwas mit Medienwandel, manchmal aber auch mit Schludrigkeit und kaufmännischem Unvermögen zu tun. Auf diesen Gedanken kann man jedenfalls kommen, wenn man Ulrike Simons Kolumne liest. Der Kioskhändler ihres Vertrauens hat ihr die Misere anhand seiner Kassenzettel erläutert. Daraufhin hat sich Simon ans Telefon gehängt und den zuständigen Geschäftsführer des Pressevertriebs ins Gebet genommen.

5. Slightly More Than 100 Exceptional Works of Journalism
(theatlantic.com, Conor Friedersdorf)
Conor Friedersdorf kuratiert den wöchentlich erscheinenden Newsletter “The Best of Journalism”. Für “The Atlantic” hat er die, seiner Ansicht nach, lesenswertesten 100 Stücke Journalismus zusammengestellt. Eine sensationelle (wenn auch englischsprachige) Fundgrube, die über verregnete Sommer hinweghelfen kann. Mehrere…

6. Liebe @krone_at , eure Grafik war ein wenig abgeschnitten, ich hab sie mal korrigiert
(twitter.com, @sonstwer)
Die österreichische “Kronenzeitung” hat ein Diagramm der “Mindestsicherungsbezieher in Wien nach Land” veröffentlicht, das grob verfälschend ist. @sonstwer hat die Verhältnisse auf Twitter optisch geradegerückt. (zum Vergrößern auf die Vorschaubilder klicken, die von der mittigen dünnen weißen Linie getrennt werden)

Quassel-Imam, Ebola, Stephanie Nannen

1. “Wie Medien Wörter machen”
(sprachlog.de, Anatol Stefanowitsch)
Die Erfindung und Verbreitung von Wortschöpfungen wie “Döner-Morde” oder “Quassel-Imam”.

2. “Wie der Mindestlohn tatsächlich die Pressefreiheit gefährdet”
(surfguard.wordpress.com)
SurfGuard erzählt von einer Begegnung mit dem Auslieferer seiner Zeitung: “Menschen, die sich für niedrig qualifizierte Arbeit interessieren, machen einen Bogen um Zeitungsboten-Jobs, weil sie anderswo den Mindestlohn bekommen, dort aber nicht.”

3. “Verehrte Verleger”
(welt.de, Stephanie Nannen)
Stephanie Nannen, Enkelin von Henri Nannen, vermisst die Verleger: “Ein guter Verleger stellt sich in der Not vor seine Redaktionen und lässt ihnen ansonsten Freiheit. John Jahr war so einer. ‘Ihr könnt über alles schreiben’, hat er gesagt. ‘Es muss nur stimmen.’ Jahr war Verleger, nicht nur einfach jemand, der seine Arbeit liebte – er war, was er tat.”

4. “Geächtet aus Angst vor Ebola”
(berliner-zeitung.de, Johannes Dieterich)
Johannes Dieterich kehrt aus Liberia zurück, und wird gemieden: “In den folgenden Tagen und Wochen werde ich auf der Straße umgangen, vom Zahnarzt und Friseur nach Hause geschickt und zu Festen wieder ausgeladen. ‘Wegen der Kinder’ will eine Cousine meiner Frau das jüdische Neujahrsfest lieber alleine feiern. Da helfen auch sämtliche Erläuterungen über die tatsächlichen Infektionswege nicht weiter – die Angst wird als irrational und damit als vernunftresistent erklärt. Selbst meine Frau wird zur Einschränkung ihrer Sozialkontakte gezwungen, schließlich könnte auch sie inzwischen kontaminiert sein.”

5. “‘Liebe ist kein Algorithmus'”
(jungewelt.de, Thomas Wagner)
Der Konzerngeschäftsführer “Public Affairs” bei der Axel Springer AG, Christoph Keese, befasst sich in einem Interview mit dem ehemaligen Zentralorgan der FDJ, der “jungen Welt”, mit dem “verlockenden und nachvollziehbaren” Gedanken der demokratischen Planwirtschaft: “Es könnte tatsächlich sein, dass die sozialistische Planwirtschaft an der damals noch nicht vorhandenen Technologie gescheitert ist und dass eine neue Planwirtschaft unter digitalen Vorzeichen möglich wäre. Die Cloud und das Internet sind die besten Instrumente dafür, denn sie würden die zentrale Planungsbehörde, die das Problem vieler sozialistischer Staaten war, überflüssig machen.”

6. “10 Top Tips For PRs Considering Whether To Phone The Register”
(theregister.co.uk, Gareth Corfield, englisch)

BILD, ZDF, Homer Simpson

1. “Wie die Bild-Zeitung den Nahost-Konflikt nutzt, um Hass zu schüren”
(facebook.com, Hakan Tanriverdi)
“Für jede muslimische Person in Deutschland sind Kommentare wie dieser hier ein weiterer Grund, daran zu zweifeln, ob es je möglich sein wird, ein Leben in diesem Land zu führen ohne permanent gebrandmarkt, in Frage gestellt und hinterfragt zu werden.” Die Islamophobie von Nicolaus Fest (bild.de) hat auch bei Bastian Brinkmann und Jonas Jansen (twitter.com), dem Löschbeirat, Enrico Ippolito (taz.de) sowie zahlreichen Politikern (zeit.de) Empörung ausgelöst. Stefan Niggemeier beleuchtet frühere Aufreger-Texte von Fest und legt Kai Diekmann eine Kündigung nahe – was dieser zwar als “Quatsch!” (twitter.com) abtut, sich aber dennoch zu einer Reaktion (bild.de) genötigt sieht und Özcan Mutlu einen Gastkommentar einräumt.

2. “Keine Angst vor dem Mindestlohn für Hospitanten”
(netzkolumnistin.de, Angela Gruber)
In der “Zeit” warnen Jana Goia Bauermann und Alina Fichtner vor den schädlichen Auswirkungen des Mindestlohns für die Medienbranche. Angela Gruber hat kein Verständnis für diese Argumentation. Auch Christian Jakubetz fragt: “Wer will eigentlich künftig noch mit uns arbeiten?”

3. “Krieg der Bilder – und der Blick dahinter”
(tagesanzeiger.ch, Simon Widmer)
Ukrainische und westliche Medien zeigen Fotos prorussischer Rebellen, die angeblich Leichenfledderei an den Opfern des MH17-Unglücks betreiben. Gut möglich, dass sie es sich damit zu einfach machen.

4. “Angebliche ZDF-Zensur: Die anlasslose Unwahrheit”
(netzexil.de, Horst Schulte)
Nach einer Klage der “Zeit”-Journalisten Josef Joffe und Jochen Bittner hat ein Gericht das ZDF gezwungen, eine Folge der Satiresendung “Die Anstalt” aus der Mediathek zu entfernen. Obwohl das ZDF die einstweilige Verfügung nicht unterschrieben hat gegen die einstweilige Verfügung vorgehen und den Weg in die nächste Instanz suchen wird, macht das Blog “Die Propagandaschau” daraus eine “Zensur des ZDF” und bekommt viel Zuspruch für den (inhaltlich falschen) Vorwurf.

5. “Bitte recht israelfreundlich!”
(taz.de, Dorothea Hahn)
Drei US-amerikanische Journalisten von NBC, MSNBC und CNN haben kritisch über die Rolle Israels im Nahostkonflikt berichtet. Die Folge: “Einer wurde ausgetauscht, die zweite musste nach Moskau gehen, die dritte verlor Einladungen im Fernsehen.”

6. “Wie Homer Simpson unsere politische Meinung formt”
(dradiowissen.de, Katrin Ohlendorf)
Carsten Wünsch ist Medienwirkungsforscher. Als solcher untersucht er, ob sich fiktionale Medieninhalte auf unser Denken auswirken und “konnte nachweisen, dass Filme oder Serien unsere politischen Einstellungen beeinflussen und sich auch auf die journalistische Wahrnehmung gesellschaftspolitischer Fragen auswirken.”

Bauer Media Group, Käseblatt, Wodka

1. “Wenn Firmen sich bei den Kreativen bedienen: Dreister Bilderklau”
(schoen-und-fein.de, Stefanie Bamberg)
Wie sich die Bauer Media Group bei Bildern von Bloggern bedient: “Bauer Media ist übrigens mit so einem Verhalten, dass sich vor allem auf Facebook zeigt, nicht alleine. Ich empfehle euch, mal ein paar Facebook-Seiten anzuschauen, zum Beispiel von Burda – ebenfalls ein Verlag, der das Leistungsschutzrecht einst gefordert hat. Was man da so findet, ist ziemlich niederschmetternd.”

2. “Kuck mal, wat für ‘n Käseblatt”
(operation-harakiri.de, Ralf Heimann)
Ralf Heimann, bisher Lokaljournalist, kritisiert den Lokaljournalismus: “Ich habe überhaupt nichts gegen Vereinsberichterstattung. Aber die Voraussetzung dafür, dass etwas in der Zeitung steht, sollte immer sein, dass man vom Kreis der potenziellen Interessenten die Leute auf dem Foto abziehen kann und dann noch immer jemand übrigbleibt.”

3. “Ein naturalistischer Fehlschluss”
(connected.tante.cc, Jürgen Geuter)
Jürgen Geuter fragt sich, wie das EuGH-Urteil gegen Google offline aussehen könnte: “Kommen nach 10 Jahren eine handvoll Männer in schlecht sitzenden Anzügen und flößen allen Menschen, die sich noch erinnern Wodka ein, bis sie ihre Erinnerungen verloren haben?”

4. “Sand im digitalen Kapitalismus”
(nzz.ch, Rainer Stadler)
“Die digitalen Goliaths aus den USA sollen angekettet und den nationalen Sitten unterworfen werden”, schreibt Rainer Stadler zum gleichen Thema: “Das Feuilleton der wirtschaftsliberalen ‘FAZ’ operiert gar mit Versatzstücken der antikapitalistischen Rhetorik und verbündet sich im Kampf gegen das Silicon Valley mit dem Chef des ‘Bild’-Herausgebers Axel Springer.”

5. “’20 Minuten’: Werbung vor Inhalt”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Wie in den Gratiszeitungen “20 Minuten” und “Blick am Abend” Werbung und Inhalte präsentiert werden.

6. “die story – Wer betrügt, profitiert”
(wdr.de, Video, 43:39 Minuten)
Wie deutsche Arbeitgeber mit Mitarbeitern aus der EU umgehen. Und wie Politiker einerseits Mindestlöhne fordern und andererseits Gesetzlücken offen lassen – die dann die Gerichte belasten.

Buzzword-PR, Kündigungen, Verdachtsvorsorge

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “So setzt man Themen-Trends: Wie PR-Themen in den Medien landen”
(spiegel.de, Frank Patalong)
Ein Buzzword macht PR-Karriere. Patalong schildert einen Fall aus dem redaktionellen Alltag, bei dem ihm ein vermeintlicher Trend angedient wird — samt Expertise einer Firma, die diesen Begriff systematisch nutzt, um in die Presse zu kommen. “Hier nutzte also möglicherweise die Firmen-PR erfolgreich eine Steilvorlage durch das Medium, um dem Medium wiederum eine Steilvorlage zu liefern. Mit Erfolg.”

2. “Pierre Omidyar plunges first $50m into media venture with Glenn Greenwald”
(theguardian.com, Ed Pilkington)
Erste Details über das Journalismus-Projekt des Paypal-Gründers: “First Look Media” bekommt eine erste Finanzspritze von 50 Millionen Dollar und gründet Büros in New York, San Francisco und Washington. Neben einer gemeinnützigen Stiftung soll auch ein profitorientierter Journalismus-Dienstleister entstehen.

3. “Spiegel Online International droht radikale Kürzung”
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Der Versuch des Spiegel-Verlages mit einem englischsprachigen Angebot international erfolgreich zu sein, scheint gescheitert. Obwohl das Angebot gerade beim Thema NSA punkten konnte und die Redakteure “ihren publizistischen Auftrag zur vollsten Zufriedenheit erfüllt” haben, wird die Redaktion nach Informationen des Tagesspiegels auf 1,4 Stellen zusammengestrichen.

4. “Beileger, Sie sind raus!”
(taz.de, Wiebke Schönherr)
Mit einem Streik setzten 220 Mitarbeiter einer Druckerei, die für den Axel-Springer-Verlag produziert, einen höheren Stundenlohn durch. Doch nun droht ihnen die Kündigung, ein neuer Dienstleister soll übernehmen.

5. “Mediatheken: Können Internet-Abrufe die Fernsehquote ersetzen?”
(quotenmeter.de, Timo Nöthling)
Bei Formaten wie Jan Böhmermanns “Neo Magazin” schauen mehr Zuschauer online zu als im klassischen Fernsehen. Doch noch ist das ein absoluter Ausnahmefall.

6. “8 Regeln für die Verdachtsberichterstattung, die Journalisten und Blogger kennen müssen”
(rechtsanwalt-schwenke.de, Thomas Schwenke)
Jemanden öffentlich zu verdächtigen, kann teuer werden. Rechtsanwalt Schwenke gibt Handreichungen, welche Schritte geklärt sein sollten, bevor man über einen Verdacht berichtet.

Das Totenkopffähnchen im Wind

“Wie soll ich Dich empfangen?” heißt es in einem alten Kirchenlied und diese Frage treibt dieser Tage auch die “Bild”-Familie um — natürlich nicht im Hinblick auf den Papst, da ist der Empfang klar, aber im Bezug auf die Piratenpartei.

Die “Bild am Sonntag” verkündete gestern stolz:

Unser Reporter Adrian Pickshaus besuchte die Kultpartei ohne Scheu- und Augenklappe.

Gut, dieser Kalauer ist jetzt vielleicht ein bisschen bemüht. Oder wie es Bild.de vor ein paar Tagen ausgedrückt hat:

Peinlich: Anne Will eröffnet ihre Sendung mit altbackenen Piraten-Witzen, fragt Christopher Lauer zuerst: “Wo ist denn Ihre Augenklappe?”

Doch wofür stehen die Piraten, die “Polit-Sensation des Jahres”, eigentlich? Adrian Pickshaus erklärt es den “BamS”-Lesern:

Im Berliner Wahlkampf machten die Piraten vor allem mit drei Forderungen Welle: straffreies Kiffen, fahrscheinloses Bahnfahren und ein bedingungsloses Grundeinkommen, weit über dem Hartz-IV-Regelsatz.

Nimmt man die Forderungen unter die Lupe, stellt man fest: Vieles ist nicht verrückt, sondern gut durchdacht. Beispiel Bahnfahren: Nach Piraten-Willen soll jeder Berliner eine Jahres-Pauschale für den öffentlichen Nahverkehr bezahlen. Eine Bus-und-Bahn-Maut sozusagen. Touristen würden über eine Hotel-Abgabe zur Kasse gebeten.

Eine Woche zuvor, als die Piraten überraschend mit 8,9 Prozent der Wählerstimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus einzogen, waren die Leute bei Bild.de noch skeptischer, was den Erfolg der Piraten anging — und deutlich kritischer:

Das Wahl-Programm könnte von der Hacker-Vereinigung “Chaos Computer Club” stammen – ein seltsames Sammelsurium ziemlich abstruser Forderungen:

– Nahverkehr in Bus und Bahn zum Nulltarif

– keine Verfolgung von Schwarzfahrern mehr

– „Rauschkunde“-Unterricht in der Schule

– die Einführung von Mindestlohn und Grundeinkommen

Mit Dank an Nico S.

Eine Stunde nachgedacht

Die Deutschen, genauer: “wir” Deutschen, arbeiten zu wenig, findet Olaf Gersemann, Ressortleiter Wirtschaft, Finanzen und Immobilien bei der “Welt”-Gruppe. Und ihm geht es da vor allem um die Arbeit an sich, nicht um deren Entlohnung:

Gewiss, viele Menschen arbeiten viel, auch in Deutschland. Vor allem aber ist die Arbeit ungerecht verteilt. Denn gerade Mindestlöhne und andere vermeintliche sozialstaatliche Wohltaten schließen einen skandalös großen Teil der potenziellen Erwerbsbevölkerung vom Arbeitsleben aus – während der Rest in vielen Fällen umso härter ranmuss.

Er rechnet uns das gerne mal vor:

Arbeiten wir aber nun, insgesamt betrachtet, viel oder wenig? Einer quasiamtlichen Schätzung zufolge dürften in diesem Jahr 55.953.000.000 Stunden Erwerbsarbeit absolviert werden. (…)

Aber dennoch ist in jenen knapp 56 Millionen Stunden das Gros der Zeit enthalten, die wir zur Erwirtschaftung unseres materiellen Wohlstands aufbringen. 55.953.000 Stunden im Jahr, das heißt: Pro Kopf der Bevölkerung werden in Deutschland etwa 690 Stunden offizielle Erwerbsarbeit geleistet. Das sind weniger als eine Stunde und 54 Minuten pro Tag. Selbst wenn man zu der offiziellen Erwerbsarbeit 50 Prozent aufschlägt, um die inoffizielle zu berücksichtigen, landen wir bei weniger als drei Stunden.

Halt, Moment, Stop!

Haben Sie’s bemerkt? Gersemann hat binnen eines Absatzes aus den 56 Milliarden Stunden “56 Millionen” gemacht und drei Nullen gestrichen.

Bei seiner Berechnung hat er allerdings wieder auf den höheren Wert zurückgegriffen — und diesen der Einfachheit halber durch grob 82 Millionen geteilt, denn so viele Einwohner hat Deutschland ja, wenn man alle Kleinkinder und Greise mitzählt. Diesen Wert noch durch 365 und – zack! – ist man bei einem Wert von unter zwei Stunden, die jeder Deutsche jeden Tag arbeitet.

Die Deutschen müssen mehr arbeiten. Viel mehr — Durchschnittlich nur drei Stunden Arbeit pro Tag und Kopf reichen nicht aus: Deutschland ist keine Felseninsel, sondern eine Volkswirtschaft.

In Wahrheit arbeiten in Deutschland knapp 40 Millionen Menschen und das an rund 215 Tagen im Jahr.

Die “quasiamtliche Schätzung” stammt immerhin vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Deren Bericht (PDF, Seite 11) kann man auch entnehmen, dass das die Jahresarbeitszeit einer Vollzeitkraft in diesem Jahr vermutlich 1.645,4 Stunden betragen wird. Pro Arbeitstag bleiben also mehr als siebeneinhalb Stunden.

Oder wie schon Loriot feststellte:

Die Lebensjahre sämtlicher deutscher Kleinkinder betragen zusammengerechnet etwa 4 Millionen Jahre. Das ist einfach zu alt!

Mit Dank an Fabian G. und Uwe Sch.

Nachtrag, 10. August: “Welt Online” hat aus den falschen “56 Millionen” richtige “56 Milliarden” gemacht. Am Rest seiner Rechnung scheint Olaf Gersemann festzuhalten.

6 vor 9

1. “BILDblog trifft Kai Diekmann”
(bildblog.de, Lukas Heinser, Video, 9:03 Minuten)
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann wird von Bildblog-Reporter Lukas Heinser mit der Kamera verfolgt. Nachdem er ihm einige Male stumm zurückwinkt, tritt er an ihn heran (ab 4:20 Minuten), begrüsst ihn und gibt Bildblog Auskunft über den angeblich journalistischen Umgang der Bild-Zeitung mit Inhalten von Leserreportern. Vorbildlich cooler Umgang mit Kritikern, da können andere was von lernen.

2. “Die Wahrheit starb auf den Lippen von Caren Miosga”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel und Thekla Dannenberg)
“Wie die Tagesthemen über Georgiens Informationspolitik desinformierten.”

3. “Videojournalismus für Anfänger”
(moritzhomann.de)
Über ein Video auf Spiegel Online der sonst grossartigen Yasemin Yüksel: “Von journalistischen Gesichtspunktspunkten aus betrachtet ist das Video schlichtweg unter aller Sau. Es ist reine Meinungsmache, voll von Suggestionen wie der Musik oder der gewählten Kamerawinkel und Zeitlupenaufnahmen und transportiert in etwa den Inhalt: ‘Bei der Linken sind alle besoffen, träumen von irgendwelchen ‘Mindestlöhnen’ und hören sich gegenseitig ab.'”

4. “Das mulmige Gefühl bleibt”
(zeit.de/campus, Stéphanie Souron)
“Der Regisseur Roger Vontobel wird als Shootingstar gefeiert. Nach einer Inszenierung in Salzburg bekam er erstmals vernichtende Kritiken. Was ist das für ein Gefühl? Ein Protokoll.”

5. “Der Knast war die Hölle”
(abendzeitung.de, Arno Makowsky)
“Klatschreporter Michael Graeter über seine acht Monate im Gefängnis, falsche Freunde – und die Frage, ob die Münchner Gesellschaft ihm verzeiht.”

6. “The 50 Buzziest Blog Posts of All Time”
(nerve.com)
“In 1994, someone started blogging for the first time. It was probably either Justin Hall or David Winer, depending on whom you ask. Regardless, in the time since, the weblog medium has changed the news cycle — for better or for worse (we think better) — forever.”

“Bild” macht sich die Linkspartei gefährlich

Es ist schwer zu sagen, wo die Enttäuschung über das Wahlergebnis am Sonntagabend größer war: beim Wahlkampfteam der hessischen CDU oder in den Redaktionsräumen von “Bild”. Die ganze Mühe war umsonst gewesen, der ganze Populismus und die ganzen Kampagnen.

In ihrer, ähm, Wut (und vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg, bei denen nach Meinungsumfragen die Linke ebenso wie in Hessen und Niedersachsen die Fünf-Prozent-Hürde schaffen könnte) schießt sich “Bild” seit gestern auf die Linkspartei ein.

Gestern fragte sie:

Wird Deutschland ein Links-Staat?

Um heute mit einer “Analyse” nachzulegen:

Gysi und Lafontaine von der Linkspartei — Warum sind diese beiden so gefährlich?

Die Erfahrung mit “Bild”-Überschriften lehrt, dass diese Frage im Text natürlich nicht direkt beantwortet wird. Dafür beguckt sich “Bild” die Linkspartei von allen Seiten und “analysiert” u.a.:

Die Linkspartei behauptet: Unsere Politik ist finanzierbar. Wir halten das, was wir versprechen!

Wahr ist: Die von der Linkspartei gewollte Erhöhung von Rente, Grundeinkommen und Arbeitslosengeld kostet Milliarden. Woher sie kommen sollen? Der Steuerzahler zahlt! Jährlich etwa 150 Milliarden Euro. Der Rentenkassenbeitrag von jedem, der heute arbeitet, müsste drastisch steigen. Hunderttausende Jobs wären in Gefahr.

Was die “Bild”-Zeitung ihren Lesern verschweigt: Die Zahlen, die sie als “Wahrheit” verkauft, stammen nicht von irgendeinem unabhängigen Institut, sondern von der SPD-Bundestagsfraktion (pdf). Im vergangenen August wurden sie ausdrücklich für die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz im Wahlkampf verteilt. Die Berechnungen sind mindestens umstritten — “Bild” gibt nicht einmal ihre Quelle an.

“Bild” weiter:

Die Linkspartei behauptet: Wo wir regieren, geht es den Menschen besser.

Wahr ist: Berlin (SPD/Linke seit 2001) liegt bei der Arbeitslosenrate auf dem drittletzten Platz (14,2 %, Dez. 2007) der 16 Bundesländer. Mecklenburg-Vorpommern lag unter der rot-roten Regierung (1998 bis 2006) stets auf einem der letzten Plätze, ebenso wie bei der Kaufkraft pro Kopf (2006). Berlin liegt hier auf Platz 9.

Wahr ist auch, dass die Arbeitslosenquote in Berlin von 1997 bis 2001 unter Eberhard Diepgen (CDU) fast stagnierte, während sie in der gesamten Bundesrepublik zurückging. Unter der großen Koalition aus SPD und CDU lag Mecklenburg-Vorpommern im Dezember 2007 nicht mehr auf “einem der letzten Plätze” bei der Arbeitslosenrate, sondern auf dem letzten. Auf Platz 15 und damit noch hinter Berlin: Sachsen-Anhalt, regiert von einer weiteren großen Koalition unter CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer.

Aber die Argumentation mit ostdeutschen Bundesländern ist ohnehin unfair, da die Unterschiede zu den sog. alten Bundesländern auch 17 Jahre nach der Wiedervereinigung teils noch erheblich sind. (Mal ganz abgesehen davon, dass es sein könnte, dass die Arbeitslosigkeit dort, wo die Linkspartei mitregiert, auch deshalb sehr hoch ist, weil die Menschen dort, wo die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist, dazu neigen, in ihrer Enttäuschung über die anderen Parteien die Linke zu wählen.)

Aber weiter im “Bild”-Text, denn es kommt noch besser:

Die Linkspartei behauptet: Hartz IV muss weg.

Wahr ist: Im Bundesrat stimmte 2003 das rot-rote Berlin für die Hartz-Gesetze, die damalige rot-rote Regierung von Mecklenburg-Vorpommern enthielt sich.

Wahr ist das nicht! Mal abgesehen davon, dass “Bild” die Sache mit den Enthaltungen im Bundesrat offenbar immer noch nicht verstanden hat, hat sich (wie uns die Berliner Linke und der Berliner Senat auf Nachfrage bestätigen) 2003 bei der Abstimmung über die Hartz-Gesetze nicht nur Mecklenburg-Vorpommern enthalten, sondern auch “das rot-rote Berlin”. Und was noch wichtiger ist: Auch 2004, als im Bundesrat tatsächlich konkret über Hartz IV abgestimmt wurde, enthielt sich Berlin ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern — und zwar genau wie die nicht rot-rot regierten Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen Anhalt und Thüringen.

Schließlich heißt es in “Bild” noch:

Lafontaine behauptet: Die Linkspartei und nicht die SPD ist der wahre Anwalt der kleinen Leute.

Wahr ist: Nach Ansicht vieler, die ihn kennen, will Lafontaine vor allem persönlich Rache an Ex-Kanzler Schröder und der SPD nehmen, deren Vorsitzender er von 1995 bis 1999 war.

Inwieweit diese “Wahrheit” Lafontaines “Behauptung” widerlegen soll, wissen vermutlich nur die “Bild”-Autoren.

Mit Dank auch an Ilo.

Nachtrag, 31.1.2008: Was an einem Tag “wahr ist”, kann am nächsten schon “falsch” sein? In “Bild” schon. Dort heißt es heute in der Korrekturspalte:

In der BILD-Ausgabe vom 30. Januar hieß es, die Berliner Landesregierung aus SPD und Linkspartei habe 2003 im Bundesrat den Hartz-Gesetzen zugestimmt. Das ist falsch. Sie hat sich enthalten.

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