Vertrauen in die Medien, “Focus Online”, Domians Gespräche

1. Im Sommerabgrund
(zeit.de, Patrick Beuth, Paul Blickle und Julian Stahnke)
“Wir befürchten, dass die Bundesregierung das Thema erfolgreich ausgesessen hat.” Das sagt Markus Beckedahl über einen der größten Medienskandale des Jahres. Offiziell ist die Landesverrats-Affäre um netzpolitik.org beendet. Zwar gibt es noch die Akten des Generalbundesanwalts; die halten Beckedahl und seine Anwälte nach Durchsicht aber für “frisiert”. Doch es gibt auch Erfreuliches: Im August erhielt netzpolitik.org rund 170.000 Euro an Spenden, seitdem haben sich die monatlichen Einnahmen auf einem erkennbar höheren Niveau als vor der Affäre stabilisiert.

2. Mehrheit fühlt sich über Flüchtlinge einseitig informiert
(faz.net, Renate Köcher)
Es existiere zwar “durchaus ein weitverbreitetes Grundvertrauen” in die Arbeit deutscher Medien, bei einzelnen Themen gebe es aber viele kritische Stimmen, so Renate Köcher, Geschäftsführerin des “Instituts für Demoskopie Allensbach”. Konkret: bei der Berichterstattung über Geflüchtete. Das ergab eine Umfrage, die das Institut im Auftrag der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” durchgeführt hat. Köcher schreibt in der “FAZ”: “Diese Zweifel führen auch dazu, dass persönlichen Auskünften von Menschen, die vor Ort mit dem Flüchtlingsthema zu tun haben, zurzeit mehr Vertrauen entgegengebracht wird als der Medienberichterstattung.”

3. Knast für kritische Tweets
(taz.de, Katrin Gänsler)
Hinter dem etwas schwammigen Titel “Verbot unseriöser Petitionen und damit verbundenen Angelegenheiten” steht ein Gesetzesvorschlag, über den aktuell in Nigeria entschieden und viel diskutiert werde. Für “Falschaussagen in Tweets, bei Facebook oder in WhatsApp-Gruppen” könnte es künftig “bis zu zwei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe von mehr als 18.000 Euro” geben, schreibt Katrin Gänsler: “Mit einem Gesetz, das Falschaussagen in sozialen Netzwerken unter Strafe stellt, könnten vor allem Politiker kritische Journalisten mundtot machen, die soziale Medien intensiv nutzen.”

4. Pest im Focus
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Bild.de ist mittlerweile nicht mehr das reichweitenstärkste Nachrichtenportal Deutschlands. Für den Erfolg des neuen Spitzenreiters sieht Christian Jakubetz vor allem einen Grund: “Bei kaum jemandem trifft der Satz, bei ruiniertem Ruf lebe es sich völlig ungeniert, so zu wie bei ‘Focus Online’.”

5. Don’t f*ck Twitter up!
(sandro-schroeder.de)
Mit anderthalb Milliarden Nutzern dominiert Facebook die Welt der sozialen Netzwerke. Vermeintliche Konkurrenten haben nur dann eine echte Chance, wenn sie sich deutlich unterscheiden. Instagram und Snapchat zeigen, dass und wie es geht. Eine solche Nische könnte eigentlich auch Twitter einnehmen — doch der Dienst setze auf Kopie statt auf Eigenständigkeit. Sandro Schröder wünscht sich, Twitter würde “die treuen Stammkunden der Hashtag-Kneipe an der Tweet-Bar bedienen, statt den Passanten und der Laufkundschaft mit einem Tablett bis vor die Tür von Facebook hinterherzurennen.”

6. WDR-Kult-Interviewer Domian über Handwerk und Verantwortung
(abzv.de, Tim Farin)
Wer könnte besser etwas zum Themenschwerpunkt “Gesprächsführung” sagen als Jürgen Domian? Richtig: keiner. Und daher hat Tim Farin für die “Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage” mit Domian in einem Interview über Interviews gesprochen.

Entführte Journalisten, Maultasche für “Südkurier”, Kauf ohne Käufer

1. Weltweit derzeit 54 Journalisten entführt
(reporter-ohne-grenzen.de)
153 hauptberufliche Journalisten, 161 Bürgerjournalisten und 14 Medienmitarbeiter seien derzeit weltweit inhaftiert. Dazu kämen 54 entführte Journalisten, acht seien “im Laufe des Jahres 2015 verschwunden”. Das sind die Zahlen der “Reporter ohne Grenzen”, die gerade den ersten Teil ihrer “Jahresbilanz der Pressefreiheit 2015” (PDF) veröffentlicht haben. Hendrik Zörner vom DJV spricht von einer “Schande”, dass “die inhaftierten Journalisten (…) die Kollateralschäden guter bilateraler Beziehungen” seien.

2. Flüchtlingsforschung gegen Mythen 2
(fluechtlingsforschung.net)
“Wir brauchen eine Obergrenze.” Oder: “Sichere Herkunftsländer (…) tragen eben natürlich zu einer schnelleren Bearbeitung bei.” Was ist dran an solchen Behauptungen in der Flüchtlingsdebatte, die auch von Medien verbreitet werden? Das “Netzwerk Flüchtlingsforschung” setzt seinen Faktencheck fort (Teil eins hier) und lässt erneut fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf politische Parolen antworten.

3. Datenjournalismus 2015: Ein Rückblick
(datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Ende Dezember ist die Zeit der Jahresrückblicke. Lorenz Matzat lässt das Jahr 2015 aus datenjournalistischer Perspektive Revue passieren. Er stellt die Projekte vor, die ihn am meisten beeindruckt haben, freut sich darüber, dass viele DDJ-Teams von Frauen geleitet werden, und wagt eine Prognose: “2016 wird das vorerst beste Jahr für Datenjournalismus in Deutschland werden.”

4. Flucht, Hunger, Tod — ein ganzes junges Leben lang
(sueddeutsche.de, Judith Raupp)
Judith Raupp hat für die “Süddeutsche Zeitung” über Afrika berichtet — bis sie sich entschloss, selbst auf den Kontinent zu ziehen. Mittlerweile bildet sie im Kongo Journalisten aus. Und begegnet dabei Menschen, die fürchterliche Dinge erlebt haben. Sie will ihr Engagement aber nicht zu hoch hängen: “Ich bin keine Weltverbesserin. Ich erledige im Kongo einen Job. Auch wenn er mich sprachlos macht.”

5. Maultasche für den Südkurier
(kontextwochenzeitung.de, Holger Reile)
Die “Konstanzer Maultasche” ist wie die “Goldene Himbeere” ein Preis, den niemand bekommen will: Die, nun ja, Auszeichnung geht an Unternehmen, “die ihre Mitarbeiter ganz besonders schlecht behandeln.” Und da ist — dank “Arbeitszeiterhöhung um fünf Wochenstunden, Lohnerhöhungen nach Gutdünken, ‘Tricksereien’ bei der Vergütung für ZeitungszustellerInnen” und so weiter — dieses Mal auch der “Südkurier” dabei.

6. Reporters in Las Vegas Try to Crack Case of Who Owns Their Newspaper
(nytimes.com, Ravi Somaiya, englisch)
Ist ein Casinomagnat der neue Besitzer? Steckt hinter dem Kauf ein politisches Motiv? Fest steht: “The Las Vegas Review-Journal” wurde für “$140 million in cash” verkauft. Wer der Käufer ist, ist hingegen nicht bekannt. Dabei würde die Redaktion gerne wissen, für wen sie nun arbeitet.

Alle Jahre wieder

… kommt das Christus-Bild:

“Focus Online” hat die Geschichte vom englischen “Mirror” abgeschrieben. In britischen Medien wurde sie gestern schon fleißig herumgereicht, heute ist sie rübergeschwappt und wird inzwischen nicht nur von “Focus Online” nacherzählt, sondern auch von der “Huffington Post”, von news.de, yahoo.de, vol.at und der Online-Seite von “Österreich”. Letztere hat Jesus auf der Startseite sogar extra verpixelt, um den Lesern noch einen Klick mehr abzulocken.

Ob sich das so unbedingt als Clickbait eignet, ist allerdings fraglich, denn die Geschichte hat mittlerweile schon ein nahezu biblisches Alter erreicht.

Bereits im vergangenen Jahr wurde darüber berichtet:

Und vor zwei Jahren:


Und vor drei Jahren:

Und vor vier Jahren:


Und vor fünf Jahren:

Und vor sechs Jahren:

Und vor sieben Jahren:

Und vor acht Jahren:


Und vor neun Jahren:

Und vor elf Jahren:

Und vor dreizehn Jahren:

Und vor vierzehn Jahren:

Das rekonstruierte Gesicht wurde tatsächlich schon 2001 im Rahmen einer BBC-Dokumentation veröffentlicht. Damals schrieb übrigens der “Tagesspiegel”:

Die Wissenschaftler behaupten nicht, dass es sich um ein Abbild Jesu handelt. Aber sie sagen, dass Männer wie Jesus in der damaligen Zeit an diesem Ort etwa so wie auf dem Bild aussahen.

Solche Feinheiten interessieren heute natürlich niemanden mehr. “Focus Online” zum Beispiel schreibt:

Der Forensik-Experte Richard Neave von der Universität Manchester hat mithilfe wissenschaftlicher Methoden vor einiger Zeit das Abbild von Jesus Christus rekonstruiert.

Allerdings hätte sich …

Der Forensik-Experte Richard Neave von der Universität Manchester hat mithilfe wissenschaftlicher Methoden vor vierzehn Jahren rekonstruiert, wie Jesus Christus möglicherweise ausgesehen haben könnte.

… ja auch nicht ganz so doll angehört.

Mit Dank an Fabian!

Wechselnde Wechselgerüchte

Der frühere Fußballnationalspieler Stefan Kießling hat am vergangenen Wochenende stark gespielt. Beim 5:0-Sieg von Bayer Leverkusen über Borussia Mönchengladbach traf Kießling zweimal, zwei weitere Tore bereitete er vor. Eine “Gala”, wie “Bild am Sonntag” anschließend schrieb, aber nicht irgendeine:

Denn das Autoren-Quartett Vim Vomland, Dirk Krümpelmann, Phillip Arens und Christian Hornung hat herausgefunden:

Es ist die stärkste Leistung seiner Karriere — und auch die letzte vor seinen Leverkusener Fans.

Der Abschied aus Leverkusen, der schon seit einiger Zeit gerüchteweise im Raum stand, werde konkreter. Die vier Rechercheure haben dafür eindeutige Zeichen ausgemacht:

Jetzt ist es wohl so weit. Kießlings Ehefrau Norina verdrückte während des Spiels Tränen auf der Tribüne. Der Stürmer selbst verabschiedete sich nach Abpfiff von 200 Fans, die extra für ihn zurück ins Stadion gekommen waren. Bewegende Abschiedsszenen.

Vor allem aber gebe es die (nicht weiter konkretisierten) “Bild am Sonntag”-Informationen, die für Kießlings Abgang im Winter sprächen:

Nach BamS-Informationen wird Kießling innerhalb der Bundesliga wechseln.

Gestern dann bei Bild.de, Autor Vim Vomland:

Definitiv kein Wechsel! Stefan Kießling (31) bleibt bei Bayer Leverkusen.

Heute früh saßen Sportchef Rudi Völler, Manager Jonas Boldt und der Stürmer zusammen. Das Ergebnis der Gesprächsrunde: Kießling wird Leverkusen nicht verlassen.

Und nicht nur wird er Leverkusen nicht frühzeitig verlassen, sondern wahrscheinlich auch noch viel länger bleiben als bisher geplant:

Nach dem Machtwort von Rudi Völler (“Er muss bleiben!”) spricht nun Vieles dafür, dass Völler den bestehenden Vertrag noch über 2017 hinaus verlängern will. Es ist auch wahrscheinlich, dass Völler und Bayer Kießling ein Job-Angebot für die Zeit nach der aktiven Karriere machen werden.

Zwischen der Wechselankündigung in “Bild am Sonntag” und dem kompletten Gegenteil bei Bild.de gab’s am Montag auf der Titelseite der Kölner “Bild”-Ausgabe diese Schlagzeile:

In der Onlineversion rufen die zwei Autoren Vim Vomland und Phillip Arens Leverkusens Sportchef Rudi Völler zu: “Richtig, Rudi!”

Rudi Völlers Klartext in Sachen Kießling ist klug, das einzig Richtige. Es war aber auch höchste Zeit!

Es darf nicht soweit kommen, dass ein Trainer der Bayer-Legende Kießling so einfach die Lust am Fußball nimmt und ihn aus dem Klub vertreibt.

Aber ihn einfach aus dem Klub schreiben — das geht natürlich schon in Ordnung.

Mit Dank an @JulezRulez13!

Kinderessende Flüchtlinge, Krimkrise, Journalisten in Filmen

1. Warum das virale “Flüchtlinge essen Kinder”-Video nicht lustig ist
(vice.com, Matern Boeselager)
In den vergangenen Tagen dürfte ein großer Teil der Social-Media-Gemeinde über ein 26-Sekunden-Video gelacht haben, in dem unter anderem ein Mädchen erzählt, dass ein Flüchtling eine Fünfjährige gegessen habe. “Das Problem ist nur, dass das Video eine ziemlich bösartige Manipulation ist”, schreibt Matern Boeselager. Der Schnitt reiße die Aussage so aus dem Zusammenhang, dass “sich Tausende Menschen darüber freuen können, dass Rassisten krass dumm und sie selber krass schlau sind. Dabei gibt es nur ein Problem: Ganz so hat sie das nicht gesagt.”

2. Wir müssen streiten!
(ostpol.de, Jelena Kostjutschenko)
In der Krimkrise seien ganze Familien zerstritten gewesen, nur in der Gemeinschaft der Journalisten habe es keine Konflikte gegeben. Weil es auch keine Gemeinschaft gegeben habe, wie Jelena Kostjutschenko beobachtet hat. Sie fordert die russischen Journalisten auf, mehr zu streiten. Für ein neues Selbstverständnis. Zur Russland-Ukraine-Berichterstattung gibt es außerdem ein neues Crowdfunding.

3. Predictions for Journalism 2016
(niemanlab.org, verschiedene Autoren, englisch)
Das “Niemanlab” hat Experten gefragt, womit der Journalismus im kommenden Jahr rechnen muss. Bis zum 18. Dezember kommen ständig neue Beiträge hinzu.

4. Wie der Tod die Lüge schützt
(tagesspiegel.de, Norbert Thomma)
Als der “Tagesspiegel” im April ein Interview mit einer Krebskranken veröffentlichen will, kommen einigen Redakteuren beim Korrekturlesen der zwei Zeitungsseiten die Tränen. Sie sind sich einig: “So etwas Packendes und Anrührendes können wir selten drucken.” Später stellt sich heraus: Die junge Frau hat alle getäuscht, ihre Familie, ihre Freunde, ihre Sterbebegleiter, die Medien. Norbert Thomma rekonstruiert, wie es dazu kommen konnte.

5. Friedensprophet mit Taschenrechner
(amnesty.ch, Ramin M. Nowzad)
Die Welt war noch nie so friedlich wie im 21. Jahrhundert. Es gibt weniger Gewalt, weniger Kriege und weniger Morde als je zuvor. Das ist jedenfalls die These des Evolutionspsychologen Steven Pinker. Den meisten Menschen fällt es schwer, daran zu glauben — Pinker sagt, dass die Medien einen Teil dazu beitragen: “Wenn Sie die Fernsehnachrichten einschalten, erfahren Sie immer nur von Dingen, die passiert sind. Nie von Dingen, die nicht passiert sind.” Solange die Gewaltrate nicht auf null sinke, werde es immer genügend Grausamkeiten geben, um die Abendnachrichten zu füllen.

6. April O’Neil — Journalistin zwischen Emanzipation und Unschuld
(journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Auf seiner Seite journalistenfilme.de geht Patrick Torma der Frage nach, welche journalistischen Werte in Filmen vermittelt werden. Zum Beispiel wenn es um Bob Woodward und Carl Bernstein in “Die Unbestechlichen” geht oder um Maddy Bowen in “Blood Diamond”. Aktuelle schaut sich Torma die Rolle von April O’Neil bei den “Teenage Mutant Hero Turtles” an und fragt, ob “in der Reporterin mit dem kanariengelben Jumpsuit ein journalistisches Vorbild” steckt.

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Der VfL Bochum will nicht mit dem “Bild”-Reporter sprechen

Am kommenden Mittwoch spielt der VfL Bochum im DFB-Pokal beim TSV 1860 München. Wie immer im Vorfeld eines Pflichtspiels gaben die Bochumer auch heute eine Pressekonferenz. Pressesprecher Jens Fricke leitete sie unter anderem mit diesen Worten ein:

An meiner Seite: Sportvorstand Christian Hochstätter und Cheftrainer Gertjan Verbeek, die Eure Fragen erwarten. Mit einer einzigen Ausnahme: Sowohl Sportvorstand als auch Cheftrainer haben sich dazu entschieden, keine Fragen der “Bild”-Zeitung mehr zu beantworten.

Die dicke Luft zwischen dem VfL Bochum und “Bild” hat eine gewisse Tradition. Schon vor fünfeinhalb Jahren gerieten der damalige Trainer Heiko Herrlich und der für den VfL zuständige “Bild”-Reporter Joachim Droll aneinander. Im September dieses Jahres verweigerte der VfL Bochum — wie eine Reihe anderer Fußbalzweitligisten — die Teilnahme an der “Bild”-Werbekampagne “Wir helfen”. Wenig später wandte sich der aktuelle Trainer Gertjan Verbeek bei einer Pressekonferenz mit der Frage an “Bild”-Mann Droll, warum der “immer solche Scheiße” schreibe, und nannte Droll und dessen “Bild”-Kollegen “Arschlocher”. Für die Wortwahl hat sich der VfL Bochum kurze Zeit später entschuldigt, Verbeeks “Kernaussagen bleiben davon aber unberührt”.

Mit der heutigen PK dürfte der Clinch zwischen dem VfL Bochum und “Bild” ein neues Level erreicht haben. Wobei, so VfL-Pressesprecher Jens Fricke auf unsere Nachfrage, die einleitenden Worte etwas präziser hätten sein müssen: “Uns geht es konkret um einen Journalisten und nicht um die ganze ‘Bild’-Zeitung.” Die Arbeitsweise von Joachim Droll sei schon über Jahre ein Ärgernis für den Verein. Es habe mehrere Treffen gegeben, bei denen man das Verhalten Drolls thematisiert habe, eine Besserung sei aber nicht erkennbar gewesen. “Daher haben der Trainer und der Sportvorstand nun entschieden, auf Fragen von Joachim Droll nicht mehr einzugehen”, so Fricke. Mit “Bild” habe man hingegen kein grundsätzliches Problem, Fragen anderer “Bild”-Reporter würden auch weiterhin beantwortet.

Bei der “Arschlocher”-Pressekonferenz im September sagte Verbeek übrigens, nachdem er Joachim Droll gefragt hatte, ob er mitschreibe, und dieser antwortete, dass gerade “eine Legende angerufen” habe, das sei wichtiger gewesen:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Zumindest ohne Joachim Droll wollen sie es beim VfL Bochum jetzt mal versuchen.

Mit Dank an @BrosMoritz!

Erschreckend: Nur jeder 50. Journalist erledigt seinen Job

Eine neue Schreckensmeldung treibt die besorgten Redaktionen des Landes um:

Auch in der Print-Ausgabe schnaubt “Bild”:

Die Flüchtlingskrise bringt dem Arbeitsmarkt bis 2017 rund 376 000 Arbeitslose zusätzlich. Das erwartet das Kieler Institut für Weltwirtschaft in seiner aktuellen Konjunkturprognose, die heute vorgestellt wird.

Damit rechnen die Forscher: Bis 2017 kommen 470 000 Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt! Nur jeder Fünfzigste (2%/Monat) findet tatsächlich einen Job!

Nur jeder Fünfzigste!

(„Welt“)

(„Focus Online“)


(“Huffington Post”)


(“n-tv”)

So schreiben es auch die Agentur „Reuters“, Web.de, News.de, “Österreich”, die “Kronen Zeitung” und natürlich die Flüchtlingshasserblogs und Anti-Islam-Portale.

Aber Moment. Was genau schreibt „Bild“?

Damit rechnen die Forscher: Bis 2017 kommen 470 000 Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt!

Ja, stimmt. In der Prognose (die jeder einsehen kann, PDF) heißt es:

Das Erwerbspersonenpotenzial ist in der Folge im Jahrdurchschnitt 2017 um insgesamt 470 000 Personen höher als ohne die Flüchtlingsmigration.

Und weiter, „Bild“?

Die Flüchtlingskrise bringt dem Arbeitsmarkt bis 2017 rund 376 000 Arbeitslose zusätzlich.

Stimmt auch. Das Institut schreibt:

Die Zahl der Erwerbspersonen ohne Arbeit nimmt hingegen deutlich stärker zu; der kumulierte Effekt in 2017 beträgt 376 000 Personen.

Heißt also: 94.000 (470.000 minus 376.000) finden einen Job.

Das sind aber nicht zwei Prozent, sondern 20. Nicht jeder fünfzigste der (erwerbsfähigen) Flüchtlinge, die bis 2017 nach Deutschland kommen, findet Arbeit, sondern jeder fünfte. Das hat uns auch das Institut auf Nachfrage bestätigt.

Wie kommt es also, dass sich die Medien ums Zehnfache vertun? Weil sie sich offenbar nicht die Prognose selbst angeguckt haben, sondern den irreführenden Formulierungen von „Bild“ gefolgt sind. Das Blatt schreibt:

Nur jeder Fünfzigste (2%/Monat) findet tatsächlich einen Job!

Ja, „2%/Monat“. Das Institut schreibt:

Um den Effekt auf die Erwerbstätigkeit und die Arbeitslosigkeit abzuleiten, unterstellen wir, dass monatlich 2 Prozent der Erwerbspersonen bei der Arbeitssuche erfolgreich sind und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.

Das heißt aber nicht zwei Prozent von allen 470.000.

Kleines Beispiel: Wenn diesen Monat 100 erwerbsfähige Flüchtlinge kommen und zwei Prozent einen Job finden, sind 98 Flüchtlinge arbeitslos. Nächsten Monat kommen noch mal 100 erwerbsfähige Flüchtlinge hinzu. Von den nun insgesamt 198 arbeitslosen Flüchtlingen finden wieder zwei Prozent eine Arbeit, also gerundet 4. Wären nach zwei Monaten sechs von 200 Flüchtlingen in Arbeit — also bereits drei Prozent. Oder anders gesagt: Pro Monat hat jeder fünfzigste, insgesamt aber schon jeder dreiunddreißigste Flüchtling Arbeit gefunden.

So kommt das Institut also auf 94.000 arbeitende von 470.000 erwerbsfähigen Flüchtlingen im Jahr 2017. Und das sind 20 Prozent.

In der (ausführlicheren) Online-Version schreibt “Bild” noch:

„Eine Abgangsrate von 2 Prozent steht mit den bisherigen Erfahrungen in Deutschland zur Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern aus den Hauptasylzugangsländern in Einklang“, schreibt Groll da zu in der ifw-Prognose.

Den Satz, den Groll im Anschluss schreibt, verschweigt Bild.de. Im Original heißt es:

Eine Abgangsrate von 2 Prozent steht mit den bisherigen Erfahrungen in Deutschland zur Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern aus den Hauptasylzugangsländern in Einklang. Danach erhöht sich die Beschäftigungsquote (bezogen auf die Erwerbspersonen) in den ersten vier Jahren nach Zuzug von rund 10 Prozent auf 60 Prozent.

60 Prozent der erwerbsfähigen Flüchtlinge finden in den ersten vier Jahren Arbeit! Das wäre doch mal eine Schlagzeile. Kommt man allerdings schwer drauf, wenn man sich nur blind auf “Bild” verlässt.

Mit großem Dank an Martin S.!

Klimaabkommen, Morddrohungen, Wort des Jahres

1. Historisches als Randnotiz
(taz.de, Malte Kreutzfeldt)
“Geschenke” (“FAS”), “Das fatale Ende eines Schulfachs” (“WamS”) und “Weihnachtsgeld zu gewinnen” (“BamS”) — das waren die Aufmacher der überregionalen Sonntagszeitungen. Dass in Paris am Abend zuvor “Geschichte geschrieben wurde, war für traditionelle deutsche MediennutzerInnen kaum zu merken”, kritisiert Malte Kreutzfeld. Die “Welt”-Medien hätten sogar darauf verzichtet, überhaupt einen Redakteur zur Klimakonferenz zu schicken.

2. Reporter als Panzerfahrer ohne Uniform
(deutschlandfunk.de, Maximilian Grosser, Audio, 4:33 Minuten)
“Russia Today” sei eine Art trojanisches Pferd der psychologischen Kriegsführung, sagt Mustafa Nayem. Und die Mitarbeiter des russischen TV-Senders sind für den Journalisten und Parlamentsabgeordneten aus der Ukraine wie Panzerfahrer ohne Uniformen. Maximilian Grosser dokumentiert ein Treffen russischer, ukrainischer und georgischer Intellektueller, die nach Möglichkeiten suchten, wie man der “Maschinerie der Desinformation” entgegentreten könnte.

3. Notizblöcke, Waffen und Kokain: Das einsame Leben eines paraguayischen Journalisten
(vice.com, Dorian Geiger)
Vor dem Haus von Cándido Figueredo Ruíz stehen sieben Männer mit Maschinenpistolen, Kameras haben alles im Blick. Figueredo braucht diesen Schutz nicht, weil er der Boss eine mächtigen Drogenkartells ist, sondern ein Journalist, der über die kriminellen Geschäfte der lokalen Gruppen berichtet und regelmäßig Morddrohungen erhält: “Ich bin mir voll und ganz im Klaren darüber, dass sie mich jederzeit ermorden können.”

4. Was die Leser der “Jungen Freiheit” so über Juden denken
(starke-meinungen.de, Alan Posener)
Viel muss Alan Posener gar nicht schreiben, er belässt es bei einem Satz: “Ich gebe hier die Kommentare unter einem Artikel aus der ‘Jungen Freiheit’ wieder, in dem Dieter Stein meint, auch die Juden würden inzwischen ihre Unterstützung für Multikulti aufgeben und dafür sein, dass sich Deutschland gegen die Fremdenflut wehrt.” Danach sprechen die Kommentatoren für sich.

5. Journalismus: Die Zuckerberg-Blamage
(neunmalsechs.blogsport.eu, Carsten Buchholz)
An der “Top-Schlagzeile des Tages” (allerdings schon ein paar Tage her) “Facebookgründer Mark Zuckerberg spendet 45 Milliarden Dollar an eine Stiftung für wohltätige Zwecke” sei “leider alles falsch”, schreibt Carsten Buchholz. Er erklärt wieso und zeigt, welches Medium wie falsch berichtet haben soll.

6. Flüchtlinge zu Geflüchteten?
(sprachlog.de, Anatol Stefanowitsch)
Nachdem “Flüchtling” vergangene Woche zum Wort des Jahres gekürt wurde, gab es kritische Stimmen, die den Begriff als “abschätzig” bezeichneten und dafür plädierten, ihn durch “Geflüchtete” zu ersetzen. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch analysiert das Wort, seine Bedeutung und mögliche Alternativen.

800 Euro für jeden: Medien führen Grundeinkommen in Finnland ein

Nehmen wir mal an, Sie betreiben einen kleinen Schuhladen in einer kleinen Stadt. Und eine Lokalzeitung schreibt, Sie würden jedem Kunden am nächsten Samstag ein paar Schuhe schenken. Dann schreiben die anderen Lokalzeitungen noch von der ersten ab. Was wird wohl am nächsten Samstag passieren?

Vielleicht kann man so noch ein bisschen besser verstehen, warum das finnische Sozialversicherungsinstitut “Kela” am vergangenen Dienstag ziemlich schnell mit einer Pressemitteilung auf weltweite Berichte reagierte, die behauptet hatten, dass Finnland bald all seinen Einwohnern ein bedingungsloses Grundeinkommen von 800 Euro im Monat zahlen werde. Zusammengefasst steht in der “Kela”-Mitteillung: Das sei totaler Quatsch. Konkrete Pläne und Summen gebe es noch keine, derzeit stünde lediglich eine vorbereitende Studie für ein geplantes Experiment im kleineren Rahmen an.

Auch deutsche Medien haben über die vermeintliche Einführung des Grundeinkommens für die Finnen berichtet. Den Start machte am Montag die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”:

Die “Frankfurter Rundschau” hat eine mögliche Erklärung, wie die Genese dieser Meldung aussehen könnte. Der Weg in Kurzform: Die “FAZ” nenne als Quelle einen Artikel des Onlineportals “Quartz”. “Quartz” stütze sich bei der Nachricht auf die finnische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt “Yle” sowie auf die BBC. Das Problem dabei: Die Nachricht von der BBC stamme bereits vom 20. August dieses Jahres und handele lediglich von dem Experiment der finnischen Regierung, nicht aber von der Einführung des Grundeinkommens. Und die “Yle”-Meldung sei bereits Ende Oktober veröffentlicht worden und beziehe sich wiederum auf die “regionale finnische Mediengruppe Lännen Media.” Bei “Lännen Media” sei man dann bei der Originalquelle angelangt. Und dort könne man lesen, dass das finnische Sozialversicherungsinstitut bald lediglich “mit der Arbeit an einer Studie für ein Grundeinkommen beginnen werde.”

Die Stille Post nahm dann auch in Deutschland Fahrt auf. Aus dem “offenbar” und den Vorbereitungen, von denen die “FAZ” spricht, wurde bei “Focus Online” schnell Gewissheit:

Es ist ein gigantisches politisches Experiment: Finnland hat angekündigt, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger einzuführen. (…) Nun macht die Regierung den Plan wahr: Bis zum November des kommenden Jahres sollen alle bisherigen staatlichen Zuschüsse wegfallen, stattdessen erhalten alle erwachsenen Bürger des Landes eine monatliche Zahlung von 800 Euro.

Dass das schlichtweg nicht stimmt, bestätigt ein “Vice”-Interview. Darin erklärt Olli Kangas, der für die Durchführung des finnischen Experiments verantwortlich ist, dass Finnland von der tatsächlichen Einführung des Grundeinkommens noch weit entfernt sei. Einen Zwischenbericht zu ihrer Vorstudie wollen er und sein Team im kommenden März der finnischen Regierung vorlegen, Vorschläge, wie ein Experiment zum Grundeinkommen aussehen könnte, sollen im November 2016 fertig sein.

Schon auf die Frage, woher “überhaupt dieser Betrag von 800 Euro” stamme, antwortet Kangas:

“Das ist eine gute Frage! Das ist doch nur eine Summe, mehr nicht. Dabei steht noch überhaupt nichts fest. Es könnte diese Summe oder eine höhere oder niedrigere Summe werden.”

Als das Interview erschien, war die Geschichte in den deutschsprachigen Medien schon nicht mehr einzufangen:


(“Mopo 24”)


(“Huffington Post”, inzwischen korrigiert)


(“Berliner Zeitung”)


(“Kleine Zeitung”)


(“Mitteldeutsche Zeitung”)

Mit Dank an Rüdiger S.!

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