Mit dem Frühstücksei in die Schlagzeilen

Neulich gab es in der Sportredaktion der “dpa” eine kleine Diskussion. Irgendeiner der Kollegen wollte gehört haben, dass es im Fußball nur noch ums Geld geht. Hatte der ehemalige Bundesliga-Torhüter Frank Rost so erzählt. In der Redaktion hatten sie dieses Gefühl ja schon länger. Aber hatte das nicht irgendjemand so ähnlich schon mal ausgesprochen? Man war sich nicht ganz sicher. Vorsichtshalber schrieb man eine Meldung:

Frank Rost hätte natürlich auch sagen können: “Das Wetter ist auch nicht mehr das, was es mal war.” Oder: “Die da oben — immer auf den kleinen Mann.” Es hätte ungefähr den gleichen Informationsgehalt gehabt, aber in den Politik-Teil kommt man leider nicht ganz so leicht. Da braucht man schon ein Mandat, eine Funktion oder die allseitige Vermutung, dass man auf einem bestimmten Gebiet über sehr viel Fachwissen verfügt, in anderen Worten: einen akademischen Titel.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In anderen Metiers ist es dann wieder so leicht. Da genügt es schon, irgendwann einmal in einem Spielfilm durchs Bild gelaufen zu sein, schon wird man mit den banalsten Trivialitäten auf der Panorama-Seite zitiert.
 
Würde Matthias Schweighöfer morgens am Frühstückstisch eine Prise Salz über sein Ei geben, dazu den Gedanken äußern, dass er Eier genau so am liebsten mag, und zufällig stünde draußen unter dem Fenstersims ein Reporter, ginge vielleicht noch am selben Tag eine Meldung für das Ressort Vermischtes raus, die ungefähr so aussehen würde:

Matthias Schweighöfer (35), isst sein Frühstücksei am liebsten mit Salz. “Früher mochte ich überhaupt keine Eier”, sagte der Schauspieler (“Vaterfreuden”) der “Gala”. Aber dann sei er irgendwann auf den Geschmack gekommen. Heute könne er sich ein Leben ohne Frühstücksei nicht mehr vorstellen.

Dem Schauspieler Daniel Brühl ist neulich etwas Ähnliches passiert. Im Dezember wird er Vater. Da hat er “Gala” gesteckt, dass er in Zukunft etwas weniger arbeiten will, um mehr Zeit fürs Kind zu haben. Und dann ist ihm noch rausgerutscht, dass er in Berlin eine zweite Bar eröffnen will.

Man kann sich ungefähr vorstellen, wie die Geschichte weiterging: Seine Frau schlug morgens die Zeitung auf, wusste überhaupt nichts von der Idee mit der Bar. In den beiden Nächten darauf schlief Brühl auf dem Sofa, und jetzt will er erst mal überhaupt nicht mehr mit der Presse reden.

Dabei hätte er natürlich auch einfach irgendwas anderes sagen können. Es ist ja im Grunde egal, was. Für eine Meldung reicht es immer:

Der Schauspieler Daniel Brühl möchte seinen Gartentisch gelb streichen.

Der Schauspieler Daniel Brühl kratzt sich manchmal am Rücken, während er über die Straße geht.

Der Schauspieler Daniel Brühl trinkt Rotwein nicht gerne aus Plastik-Bechern.

Der Schauspieler Daniel Brühl schläft am liebsten mit den Füßen am Kopfende.

Der Schauspieler Daniel Brühl mag gutes Wetter.

Der Schauspieler Daniel Brühl ist nicht gerne krank.

Und hätte Daniel Brühl im Interview mit “Gala” einfach nur gefragt, wie spät es ist, wäre die Meldung eben gewesen:

Daniel Brühl trägt keine Armband-Uhr.

Mit zunehmender Prominenz wird ausnahmslos alles interessant, was Menschen machen, sagen, glauben und meinen:

Daniel Brühl trägt Hausschuhe, wenn er abends nicht mehr vor die Tür muss.

Der Basketballer Chandler Parsons hat neulich einfach nur gesagt, dass er Hamburg mag, die Heimatstadt seiner Freundin, dem Model Toni Garrn. Auch das ging natürlich raus über die Ticker:

Vielleicht werden wir von Parsons demnächst noch weitere Meldungen lesen:

Der Basketballer Chandler Parsons reist aus den USA am liebsten mit dem Flugzeug nach Europa.

Der Basketballer Chandler Parsons spricht mit der Familie seiner Freundin auch über Privates.

Der Basketballer Chandler Parsons findet seine Freundin sehr sympathisch.

Wenn man nicht genug davon kriegen kann, Meldungen über seine eigenen Vorlieben auf Newsportalen zu lesen, ist so was natürlich eine tolle Sache. Andernfalls kann es auch lästig werden.

Der Schauspieler Miroslav Nemec zum Beispiel sieht seine Prominenz mittlerweile kritisch. Halb Deutschland kennt ihn aus dem Münchner “Tatort” als den Kommissar Ivo Batic. Dummerweise kennen ihn in München noch mehr Menschen als nur die Hälfte, und da wohnt er, was nicht immer ganz unproblematisch ist, denn manchmal muss er auch zum Einkaufen aus dem Haus, wenn er schlechte Laune hat. Dann besteht die Gefahr, dass irgendwann in den Klatschspalten steht:

Miroslav Nemec verprügelt im Supermarkt gerne Passanten.

Das ist ein Nachteil, aber was will man machen, wenn man seinen Beruf sonntagabends im Fernsehen ausübt? Man kann sich zurückziehen, wenn man nicht im Dienst ist, und vielleicht dann schlecht gelaunt einkaufen gehen, wenn an der Kasse nicht so viel los ist. Miroslav Nemec hat sich für einen anderen Weg entschieden, und der — das wäre unsere vorsichtige Prognose — wird das Problem nicht verbessern: Nemec hat einen Krimi geschrieben. Nicht unter Pseudonym, sondern unter seinem echten Namen. Nicht mal für den Ermittler hat er sich eine neue Figur ausgedacht. Auch das ist er selbst:

Und falls irgendwer bei “Gala” zu morgen noch unbedingt eine Meldung braucht, warum dann nicht einfach diese hier?

Der Schauspieler Miroslav Nemec macht gerne alles noch schlimmer, als es eh schon ist.

“Pixel-Irrsinn”-Irrsinn bei Bild.de

Am vergangenen Freitagabend müssen sich die Mitarbeiter von Bild.de vor Lachen auf dem Boden gekringelt haben:

“Wie doof sind die Leute bei ‘Google’ denn bitte? Verpixeln eine Kuh! Und sowieso: Die Privatsphäre von irgendwas oder irgendwem schützen? Pah!”

Und so sah dann das Umfeld des “Pixel-Irrsinns” auf der Bild.de-Startseite aus:

Nur der Vollständigkeit halber: Die Verpixelungen der beiden Personen der oberen Geschichte stammen von uns, genauso die Verpixelung des Opfers der unteren Geschichte. Alle drei waren ohne jegliche Unkenntlichmachung bestens zu identifizieren. Der schwarze Augenbalken beim mutmaßlichen Täter der unteren Geschichte stammt von Bild.de.

Mit Dank an Ben für den Hinweis!

Nachtrag, 21. September: Bild.de gibt zu “diesem Millionär” übrigens so viele Details preis, dass er ohne großen Aufwand für jedermann innerhalb von zweieinhalb Minuten zu identifizieren ist.

Mit Dank an pwco für den Hinweis!

Hassrede-Kulturgeschichte, IOC-Auszeichnung, Berlin-Wahl

1. Noch so ein Sieg, und wir sind verloren
(zeit.de, Julia Reda)
“Noch so ein Sieg, und wir sind verloren.” Mit diesem Zitat macht Julia Reda ihren Beitrag über die Pläne für ein europäisches Leistungsschutzrecht auf. Die EU-Kommission tue der Kreativwirtschaft und Journalismus mit ihren Plänen keinen Gefallen, so die EU-Abgeordnete (Fraktion Grüne/EFA). Im Gegenteil, es könnte laut Reda die Lage sogar verschlimmern. Die Erfahrungen in Deutschland und Spanien hätten gezeigt, dass das Leistungsschutzrecht nicht zuletzt kleinen Verlagen und damit der Medienvielfalt schade. “Was die Kommission vernachlässigt, sind mutige Schritte zur Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes, der seinen Namen verdient und der mithelfen könnte, eine Zukunfts- und Wachstumsperspektive für Journalismus zu schaffen. Europaweit einheitliche Regeln im Urheberrecht für Zitate, Parodien oder Panoramafreiheit könnten Redaktionen vor Abmahnungen schützen. Ein europäischer Whistleblower-Schutz wäre eine willkommene Stärkung des investigativen Journalismus, damit in Fällen wie LuxLeaks nicht wieder die Aufdecker des Skandals vor Gericht stehen.”

2. Hass-Rede: zur Kulturgeschichte eines sprachlichen Phänomens
(carta.info, Paul Sailer-Wlasits)
Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler Paul Sailer-Wlasits hat sich mit der Kulturgeschichte der Hass-Rede beschäftigt. Die gegenwärtige Hasssprache sei kein neues Phänomen, sondern nur ein neues Symptom. Mit welcher Konstanz sie die Jahrtausende durchschreiten konnte, sei erstaunlich und angesichts aufbrechender Konfliktlinien, Xenophobie und Populismus bestürzend. Sailer-Wlasits schließt seinen Aufsatz mit den Worten: “Im Europa der Gegenwart beginnt die Symmetrie der Anerkennungsverhältnisse in sich zusammenzubrechen. Die verbale Passage vom Unterscheiden zum Diskriminieren wird kürzer, Ressentiments werden rascher ethnisiert. Der Zivilisationsprozess der Sprache ist noch längst nicht an sein Ende gelangt, nur weil er Zeit zur Reife hatte.”

3. Es drohen amerikanische Zustände
(medienwoche.ch, Gabriel Gasser)
Am 25.9. wird in der Schweiz über das neue Nachrichtendienstgesetz “NDG” abgestimmt. Eine Entscheidung, die laut Gabriel Gasser mit der Entscheidung des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush vergleichbar sei, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Kompetenzen der National Security Agency NSA drastisch zu erweitern. Gasser benennt die kritischen Punkte des Gesetzes und wundert sich, warum das geplante Vorhaben bei Redaktionen und Verlagen so wenig Widerspruch hervorrufe.

4. Negativpreis für Internationales Olympisches Komitee wegen Umgang mit Social Media
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In Wien wurde der “#WOLO Award 2016 für ausgezeichneten Kulturpessimismus” verliehen. Der Negativpreis ging diesmal an das Internationale Olympische Komitee wegen seines Umgangs mit Social Media. Aus der Begründung der Jury: “Seit der Gründung der Olympischen Spiele im Jahre 776 v. Chr. kümmert sich das IOC in vorbildlicher Weise um den Schutz seiner Marken- und Verwertungsrechte, mittlerweile auch – und vor allem – im Internet. Spieler, Sponsoren, Trainer und Zuschauer – alle werden angehalten, sich um die Einhaltung umfangreicher Regularien zu kümmern. Es sind Regularien, deren hauptsächlicher Sinn darin besteht, die Kontrolle zu bewahren und die Interessen der wenigen „Olympischen Partner“ zu schützen. Eine wertvolle Regelung besteht zum Beispiel darin, dass Sponsoren einzelner Teilnehmer oder deren Heimatstädte ihren erfolgreichen Athleten nicht öffentlich gratulieren dürfen.”

5. Keine Haft mehr für Verweigerer der Rundfunkgebühr
(golem.de, Achim Sawall)
Totalverweigerer des Rundfunkbeitrags müssen mit allerlei Sanktionen rechnen, ein Knaststrafeaufenthalt ist aber unwahrscheinlicher geworden: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wollen auf die Drohung mit Erzwingungshaft verzichten. Immerhin 4,5 Millionen Beitragskonten sollen am Stichtag 31. Dezember 2014 im Mahnverfahren oder in Vollstreckung gewesen sein.

6. Wahlkarte zur Abgeordnetenhauswahl 2016 in Berlin
(morgenpost.de, Julius Tröger & Moritz Klack & Andre Pätzold & David Wendler & Christoph Möller)
Anlässlich der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus beweist die “Berliner Morgenpost” mal wieder, warum sie zu den mehrfach prämierten Vorreitern des Datenjournalismus in Deutschland zählt: Über eine interaktive Karte kann man in jedes der 1779 Wahllokale zoomen und die Abstimmungsergebnisse abrufen. Über das Menüband am unteren Bildschirmrand können weitere Analysen durchgeführt werden, z.B. wie die Berliner rund um Flüchtlingsheime wählen, wo die AfD punktet, in welchen Kiezen die Nichtwähler die stärkste Partei sind etc.

“So wird aus positiv plötzlich negativ”

Für die Bundesligafußballer von Hertha BSC läuft es momentan ziemlich gut: drei Spiele, drei Siege, Platz zwei in der Tabelle. Der Klub ist neben dem FC Bayern München der einzige, der in der noch jungen Saison bisher keinen Punkt abgeben musste.

Und dann kommt gestern in “Bild am Sonntag” Ex-Herthaner Arne Friedrich daher und schreibt in seinem Gastkommentar alles nieder:

Ganz so war es dann aber wohl doch nicht. Jedenfalls meldete sich Friedrich noch gestern per Twitter zu Wort. Die Redaktion habe in seinem Kommentar rumgepfuscht. Als Beweis schickte er einen Screenshot seines Originaltextes mit:

Unter seinem Tweet hielt sich das Mitleid mit Arne Friedrich allerdings in Grenzen:

Wer mit Springer zusammen arbeitet, ist für derlei selbst verantwortlich, sorry…

(@breitnigge)

Was erwartest Du? @BILD ist und bleibt unseriöser Boulevard ohne Moral, Werte und Verantwortung.

(@ankimuc)

ist es nicht naiv Qualität zu erwarten wenn man mit der @BILD arbeitet?

(@ELNenynho)

Sorry Arne Friedrich abr das sollte einem klar sein, wenn man sich mit diesem Blatt einlässt.

(@markusbest)

Mit Dank an @herrnkoenig für den Hinweis!

AfD-Aufschrei, Oktoberfest-Tränen, Seitensprung-Offensive

1. Hier & Jetzt 6: ’10 Jahre Medienwandeldebatte‘, mit Ronnie Grob
(neunetz.fm, Marcel Weiß & Ronnie Grob)
Fast eine ganze Dekade hat Ronnie Grob als Kurator die Medienrubrik “6 vor 9” beim BILDblog mit Empfehlungen bestückt und in dieser Zeit ein unfassbares Wissen über die spezifischen Eigenheiten der Branche und den Medienwandel (und die damit verbundenen Medienwandeldebatten) angesammelt. Im Interview spricht er eine Stunde über die letzten zehn Jahre, neue Geschäftsmodelle und den Status Quo des Journalismus. Persönliche Anmerkung: Als sein Nachfolger bin ich auch nach einem dreiviertel Jahr voller Bewunderung für das, was Ronnie Grob hier auf BILDblog geleistet hat. Respekt, Ronnie!

2. Wo bleibt der Aufschrei?
(spiegel.de, Liane Bednarz und Farhad Dilmaghani)
Die AfD reklamiere demokratische Rechte für sich, um auf legalem Weg an die Macht zu kommen – dann will sie “aufräumen”, “ausmisten” und “Politik nur für das Volk machen”. Wer diese Rhetorik verharmlose, mache sich mitschuldig, finden Liane Bednarz und Farhad Dilmaghani in ihrem Gastbeitrag für “Spiegel Online”.

3. So gehts: Wie Sie den Medien ein Seitensprung-Baby beichten
(schweizamsonntag.ch, Christof Moser)
“Sind Sie ein prominenter Politiker, zelebrieren öffentlich Ihr Ehe- und Familienleben, zeugen dann aber ein außereheliches Baby? Gehen Sie in die Offensive wie Christophe Darbellay!”, so die provozierende Empfehlung von Christof Moser in der “Schweiz am Sonntag”. Dirigiert wurde das Ganze von einem Züricher Medienanwalt, der für seinen Mandanten einen Deal mit dem “SonntagsBlick” aushandelte, der auf mediale Schadensbegrenzung ausgerichtet war.

4. Die Charmeoffensive
(taz.de, Daniel Bouhs)
Google investiert über einen “Innovationsfond” 150 Millionen Euro in den europäischen Medienmarkt. Eine “Charmeoffensive” nennt Daniel Bouhs das Vorgehen, mit dem Google noch mehr Verlage für eine Zusammenarbeit gewinnen will. Auf der – zumindest teilweise öffentlichen – Förderliste würden neben Start-ups auch Traditionshäuser wie die Schweizer “NZZ”, der britische “Telegraph”, der österreichische “Standard”, die “Wirtschaftswoche”, der “Tagesspiegel” und die “Rhein-Zeitung”. Und auch der “Spiegel” habe angekündigt, sich um die Förderung zu bemühen.

5. “Was Facebook tut, unterliegt keiner demokratischen Kontrolle”
(deutschlandradiokultur.de, Ulf Buermeyer & Christian Rabhansl)
“Deutschlandradio Kultur” hat mit dem Verfassungsrechtler und Berliner Richter Ulf Buermeyer gesprochen. Dieser kritisiert, dass Facebook sich deutschen Strafverfolgungsbehörden entziehe. “Und ich denke, wir müssen bei Unternehmen, die so wie Facebook relevant sind für die demokratische Kultur und für den Diskurs in einer Demokratie, bei solchen Unternehmen müssen wir schon darüber nachdenken, ob wir uns da ausschließlich auf letztlich willkürliche Hausregeln und deren ebenso willkürliche Durchsetzung verlassen können oder ob wir hier nicht irgendeine Form von demokratischer Kontrolle brauchen.” Das Bundesjustizministerium müsse auf Facebook einwirken und zumindest einen Deal erwirken, der es den Strafverfolgungsbehörden erlaube, im Bedarfsfall einzuschreiten: “Für mich ist nicht einleuchtend, wieso Facebook in Deutschland nach deutschem Recht Werbung verkauft, aber sich den Strafverfolgungsbehörden weitgehend entzieht und, wie gesagt, nur nach Gutdünken kooperiert.”

6. Wiesn-TV – Bei jeder Werbung möchte man weinen vor Dankbarkeit
(sueddeutsche.de, Johanna Bruckner)
Johanna Bruckner hat sich mehr als vier Stunden Oktoberfest-Live-Übertragung angetan. Ihre Erkenntnis: Söder verliert im Wiesn-Schwanzvergleich. Und das Oktoberfest kann auch ohne Alkohol sehr wehtun.

Die Rügen-Könige aus dem Axel-Springer-Hochhaus

Im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin klirren gerade die Champagnergläser. Julian Reichelt dreht an seinem Arbeitsrechner Queens “We Are The Champions” noch ein Stück lauter, Freddie Mercurys Stimme knarzt aus den kleinen Lautsprecherboxen. Die Mitarbeiter von “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de sind zusammengekommen. Sie liegen sich in den Armen und pusten Luftschlangen durch den großen Newsroom. Denn die große “Bild”-Familie hat es mal wieder geschafft: Sie sind die Nummer eins, unangefochten in ganz Deutschland, ein weiterer Grund, mächtig stolz auf sich zu sein. Alle drei Rügen, die der Deutsche Presserat in seiner letzten Sitzung verteilt hat, gehen an “Bild”-Medien.

***

Jeweils eine Rüge bekamen “Bild am Sonntag” und Bild.de für ihre Berichterstattung über das Attentat vor und im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Konkret geht es um das Zeigen von Fotos der teilweise noch minderjährigen Opfer:


Der Presserat schreibt dazu:

Der Ausschuss kritisierte, dass beide Veröffentlichungen Fotos zeigten, die ohne Einwilligung der Hinterbliebenen veröffentlicht worden waren. Einige Opfer waren minderjährig. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen Richtlinie 8.2. des Kodex, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist. Die Hinterbliebenen der Verstorbenen sollten nicht unvermittelt mit Fotos ihrer toten Angehörigen konfrontiert werden. “Nicht alles, was in sozialen Netzwerken verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden. Die eigene Darstellung, z. B. in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine Medienöffentlichkeit”, sagte die Vorsitzende des Ausschusses 2, Katrin Saft.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Dass die “Bild”-Medien dazu diametral entgegengesetzte Ansichten haben, kann man täglich in den vielen “Bild”-Regionalausgabe und bei Bild.de beobachten.

Der Presserat beschäftigte sich übrigens auch mit Beschwerden zur Berichterstattung über den Täter von München. Im Veröffentlichen der Fotos, die ihn zeigen, und Nennen seines Namens sah das Gremium allerdings keinen Verstoß gegen den Pressekodex:

Die Tat in München hatte ein großes öffentliches Interesse ausgelöst und Fragen nach dem Motiv und nach den Hintergründen der Tat aufgeworfen. Das öffentliche Interesse am Täter ist höher zu bewerten als der Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Kodex, die Darstellung war presseethisch akzeptabel, urteilte der Beschwerdeausschuss.

***

Die dritte Rüge ging an Julian Reichelts Bild.de, womit er “Bild”-interner Rügen-König wurde. Sein Portal berichtete im Mai über einen Messerangriff in einem Dortmunder Kaufhaus. Bild.de zeigte ein Video, in dem das Opfer neben einer Blutlache auf dem Bauch lag, das Messer steckte noch in seinem Rücken:

Der Beitrag unter der Überschrift “Brutale Messerattacke auf Video aufgenommen” zeigt den Handymitschnitt eines Passanten, auf dem das Opfer zu sehen ist, wie es mit einem Messer im Rücken blutend auf dem Boden liegt. Diese Passage wurde sogar mehrfach wiederholt. Im Hintergrund sind die Schreie einer Frau zu hören. Die Berichterstattung hält der Beschwerdeausschuss für eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt.

Bei all der Schrecklichkeit dieses Artikels: Immerhin ist der Kopf des Opfers bei Bild.de verpixelt. Die Ruhrgebiets-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichtete in dem Fall noch rücksichtsloser, ohne Unkenntlichmachung, dafür aber mit einer Großaufnahme des im Rücken steckenden Messers (Bildunterschrift: “Am Messergriff hängt noch die Diebstahlsicherung”):

Folgen hatte dieser Voyeurismus für die Redaktion allerdings keine. Eine Sprecherin des Presserats sagte uns, dass gegen den Printartikel keine Beschwerde eingegangen sei. Und dann wird der Presserat auch nicht aktiv.

  • Neben den drei Rügen verteilte der Presserat noch zwölf Missbilligungen und 32 Hinweise an verschiedene Medien.

18-Jährige-vs.-Eltern-Hoax, Opfer von der AfD, Mimimi-Männer

1. Verklagt 18-Jährige wirklich die Eltern wegen Facebookfotos?
(morgenpost.de, Lars Wienand)
Weltweit berichten Medien über eine 18-jährige Österreicherin, die ihre Eltern angeblich verklagt, weil diese Kinderfotos von ihr auf Facebook gepostet hätten. Alle berufen sich auf einen Bericht der Zeitschrift “Die ganze Woche”. Lars Wienand hat nicht nur abgeschrieben, sondern recherchiert — das Ergebnis: “Die im Artikel zitierte Anwaltskanzlei weiß über den Fall nichts, die mutmaßlich zuständige Gerichtssprecherin kennt ihn nicht — und die Redaktion des Blattes tut nichts, um Widersprüche zu erklären.”

2. AfD-Spitzenmann Leif-Erik Holm: Die Mär vom selbsternannten Opfer aus dem Nordosten
(kress.de, Armin Fuhrer)
Leif-Erik Holm, designierter Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, war früher Radiomoderator und wurde wegen seines politischen Engagements entlassen. So stellt er es jedenfalls selbst dar. Sein ehemaliger Chef, der Geschäftsführer des Radiosenders “Antenne MV”, erzählt eine andere Version der Geschichte: “‘Holm selbst hat ganz freiwillig gekündigt, als er begann, für die Berliner AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch zu arbeiten.'” Der Sender habe zum damaligen Zeitpunkt gar keine Veranlassung zu einem solchen Schritt gehabt — “denn wir haben überhaupt nicht gewusst, dass Holm sich parteipolitisch engagierte.”

3. Analyse des EuGH-Urteils zur Störerhaftung: Steinzeit in Luxemburg
(heise.de, Ulf Buermeyer)
Der Europäische Gerichtshof hat sich damit beschäftigt, inwieweit WLAN-Betreiber für Urheberrechtsverstößte haften müssen. Richter Ulf Buermeyer hält das Urteil für gefährlich: “Wenn in Zukunft nach einem ersten vermeintlichen Verstoß gegen das Urheberrecht aus einem WLAN heraus dessen Betreiber vor Gericht gezerrt werden könnte und auch noch die Kosten für dieses Verfahren tragen müsste, dann dürfte es in Deutschland zu einem echten WLAN-Sterben kommen.” Auch Volker Tripp von der “Digitalen Gesellschaft” sieht “WLAN-Betreiber jetzt mit einem Bündel neuer Unsicherheiten und Fragen konfrontiert”.

4. Olympia? “Nicht zu jedem Preis”
(taz.de, Anne Fromm und Jürn Kruse)
ARD-Chefin Karola Wille spricht im Interview mit der “taz” über Horst Seehofers Fusions-Pläne für die Öffentlich-Rechtlichen (sie ist skeptisch), transparente Intendantengehälter (Wille selbst verdient 275.000 Euro pro Jahr), die umstrittenen Honorare von Fußballexperten wie Mehmet Scholl (“Die Gremien als Vertreter der Gesellschaft bekommen die Informationen. Alles weitere untersucht gerade Herr Kirchhof.”) und die Übertragungsrechte für die Winterspiele 2018 in Pyeongchang (“nicht zu jedem Preis”).

5. Hör auf zu heulen, Mann!
(jetzt.de, Quentin Lichtblau)
In neuen Männer-Magazinen beklagen sich Männer über das harte Los des Lebens als Mann. Quentin Lichtblau wundert sich: “Ich bin doch eigentlich genau der, von dem ihr da sprecht: Ein weißer, deutscher Hetero-Mann, mittelalt, Akademiker. Penisträger hat mich noch niemand genannt, mit Eseln und Frauen habe ich äußerst selten nennenswerte Probleme. […] Dank meiner halben Stelle kann ich jederzeit in den Urlaub fahren — mal abgesehen vom Geldmangel, für den die Emanzipation weiß Gott nichts kann. Was läuft da bei euch anders? Was hat euch bloß so ruiniert?”

6. IKEA und das Ekel-Badezimmer
(prinzessinnenreporter.de, Bernhard Torsch)
In der “Zeit” hat Kersten Augustin dem “Ikea”-Chef einen Brief geschrieben und sich über den “Ikea”-Katalog beklagt. Bei den “Prinzesinnenreportern” schreibt Bernhard Torsch einen Brief an Kersten Augustin und antwortet ihm. Das ist ein bisschen böse, aber auch relativ lustig.

Diagnose: eine ernst zu nehmenden Computerspiel-Werbesucht

Heute waren es bisher zwei Artikel. Am Dienstag ebenfalls zwei. Am Montag drei. Alle drehen sich um das gleiche Thema: die Fußballsimulation “FIFA 17”. Und alle sind auf der Sport-Website spox.com erschienen. Die Seite berichtet recht häufig über das Spiel. Sehr häufig. Also — sehr, sehr häufig. Allein in den vergangenen 30 Tagen sind auf der Seite 21 Artikel zu “FIFA 17” erschienen, dazu noch viele kurze Meldungen im sogenannten “Fußball-Tag”-Ticker. Man kann sagen: Das Thema beschäftigt die Redaktion.

In zwei Wochen kommt “FIFA 17” auf den Markt. Für die Spieleentwickler von “EA Sports” geht es dabei um viel Geld. Den Vorgänger — “FIFA 16” — konnte die Firma allein im ersten Monat nach Erscheinen 500.000 Mal verkaufen. Dass “FIFA 17” mindestens genauso erfolgreich wird, dafür gibt auch spox.com alles.

Jedes noch so kleine Fitzelchen zu “FIFA 17” ist dem Portal einen Text wert. Ein belgischer Profifußballer ist mit seinen Passfähigkeiten in dem Spiel nicht einverstanden? spox.com jagt einen Artikel raus. “EA Sports” gibt die virtuellen Stärken der Spieler des FC Bayern München bekannt? spox.com jagt einen Artikel raus. Die stärksten Dribbler, die versteckten Talente, “Die besten Spieler der Serie A”, “Die besten Spieler der Ligue 1”, “Die besten Spieler der Primera Division”, “Die besten Spieler der Premier League”, “Die besten Spieler der Bundesliga”. spox.com berichtet über alles:


Die Artikel sind häufig als klickgenerierende Bildergalerien angelegt — ist billig gemacht und bringt irre Zugriffszahlen. Um beispielsweise zu erfahren, dass Manuel Neuer in “FIFA 17” der stärkste Spieler beim FC Bayern München ist, muss sich die interessierte Leserschaft durch eine 27-Seiten-Galerie wühlen.

Natürlich ist es völlig legitim, dass eine Sport-Website über eine der beliebtesten Sportsimulationen berichtet, und das auch ausführlich. Aber dann doch nicht als massive Werbekampagne, die wie ganz normale Berichterstattung daherkommt.

Mit Dank an Florian G. für den Hinweis!

“Adblock Plus”, “Bild”-Pranger, Portugal-Spanien-Mär

1. USA haben Tempolimit, Europa bekommt Leistungsschutzrecht
(golem.de, Friedhelm Greis)
Die EU-Kommission hat den Entwurf für eine neue Urheberrechtslinie vorgestellt — darunter das umstrittene Leistungsschutzrecht (LSR), das bei vielen Politikern, Branchenverbänden, Urheberrechtsexperten und sogar etlichen Medien (deren Leistung es eigentlich schützen soll) in etwa so beliebt ist, wie das Wort kurz ist. Nicht einmal Kommissionsvizepräsident Andrus Ansip scheint überzeugt (“Wird diese neue Regel den Verlagen und Journalisten helfen? Schauen wir mal”), lediglich die Verlegerverbände freuen sich über einen “historischen Schritt”. Die “SZ” beantwortet die wichtigsten Fragen zum LSR, “Netzpolitik” hat (vernichtende) Reaktionen gesammelt, “Zeit Online” und “Spiegel Online” kommentieren (ausgesprochen skeptisch), und auch DJV und “iRights.info” sehen in der Urheberrechtsreform einen Schritt in die falsche Richtung.

2. Adblock Plus & die Werbung — Das wahre Gesicht der Eyeo GmbH
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
“Personal Vendetta Rant incoming in 3, 2, 1…” So leitet Sascha Pallenberg seinen Text ein — und er hält, was er verspricht. Es folgt eine Abrechnung mit der dubiosen “Eyeo GmbH”, Betreiber des Werbeblockers “Adblock Plus”. Pallenberg liegt seit mehr als zwei Jahren im Clinch mit dem Unternehmen und insbesondere mit dessen Gründer Till Faida. Hier erklärt er nochmal die Hintergründe seiner Abneigung und nimmt die jüngste Ankündigung von “Eyeo”, künftig selbst Werbung ausspielen zu wollen, zum Anlass für eine hoffnungsvolle Prognose: “Man muss kein Prophet sein um behaupten zu koennen, dass wir gerade den Anfang vom Ende der Eyeo GmbH erleben und das ist verdammt gut so.” Dazu passt auch der Tipp von “Watson”: “Adblock Plus im Shitstorm — darum solltest du den Werbeblocker SOFORT deinstallieren”.

3. Die Mär, wie Portugal und Spanien vom “guten Weg” abkamen
(uebermedien.de, Paulo Pena)
Der Spanien-Korrespondent der “Süddeutschen Zeitung” ist der Meinung, dass Portugals und Spaniens Reformen von dem “guten Weg” abgekommen seien, auf dem sich die Länder befunden hätten. Paula Pena fragt sich, “wie eine der einflussreichsten deutschen Zeitungen in einem Stück über die Wirtschaftssituation in Portugal und Spanien so viele falsche Tatsachenbehauptungen unterbringen kann”.

4. Wirkung des “Bild-Prangers” auf Facebook-Hetzer
(de.ejo-online.eu, Anna Carina Zappe)
Im Oktober 2015 veröffentlichte die “Bild”-Zeitung Screenshots fremdenfeindlicher Hasskommentare von Facebook-Nutzern mit deren vollständigen Namen und Profilbildern. Jetzt haben Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht, inwieweit diese (vom OLG München als persönlichkeitsrechts-verletzend eingestufte) Praxis das Postingverhalten der Facebook-Nutzer beeinflusst hat. Demnach sei die öffentliche Bloßstellung “kein angemessenes Mittel, um Hasskommentaren entgegenzuarbeiten und so die öffentliche Meinung über Flüchtlinge zu verbessern”. Im Gegenteil: Zumindest kurzfristig habe sich die Zahl fremdenfeindlicher Kommentare sogar erhöht.

5. VG Wort: Noch keine Einigung über Rückforderung an Verlage
(irights.info, Henry Steinhau)
Am Wochenende konnten sich die Mitglieder der VG Wort nicht darauf einigen, wie mit den anstehenden Nachzahlungen für Autoren umgegangen werden soll. Insgesamt geht es dabei wohl um knapp 100 Millionen Euro. Henry Steinhau fasst die (sehr gemischten) Reaktionen auf die Ergebnisse der Mitgliederversammlung zusammen und gibt eine eigene Einschätzung ab.

6. Wir hatten eine gute Zeit
(zeit.de, Magnus Klaue)
Der Kulturphilosoph Byung-Chul Han schreibt über Buddhismus und Globalisierung, Aufmerksamkeit und Pornografie, Burn-out und Entschleunigung, Schwarmintelligenz und Flüchtlingskrise. Was dabei niemals fehlen darf: ein ordentlicher Schuss Kulturpessimismus. Das deutsche Feuilleton liebt ihn dafür — Magnus Klaue eher weniger. Zumindest nimmt er Han nicht allzu ernst und nähert sich seiner Schreib- und Denkweise in sieben Lektionen an.

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