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Angst essen Hirn auf

Man fragt sich langsam, was die Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) an sich haben, dass sie so gerne falsch verstanden werden.

Als vergangene Woche in Hannover die “Zentralen Befunde des zweiten Forschungsberichts des Projekts ‘Gewalt gegen Polizeibeamte’ zu den Tätern der Gewalt” (PDF) vorgestellt wurden, in denen es in genau einem von zehn Punkten auch um Täter nichtdeutscher Herkunft ging, titelte die Hannoveraner Regionalausgabe von “Bild” reißerisch:

Gewalt gegen Polizisten! Fast jeder 2. Täter ist ein Migrant

… und liegt damit klar daneben. Denn während “Bild” behauptet, “42,9 Prozent der Schläger sind Migranten, vor allem Muslime, Russen”, heißt es im KFN-Bericht unter Punkt 2:

Von allen berichteten Tätern hatten laut Angaben der Polizeibeamten 37,8 % eine eindeutig benennbare nichtdeutsche Herkunft.

Wo “Bild” die 42,9 Prozent her hat, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Im KFN-Bericht, der sich übrigens auf eine wenig repräsentative Polizistenbefragung aus dem Jahr 2009 bezieht (BILDblog berichtete), findet sich diese Zahl jedenfalls nirgends, sodass von “fast jeder 2.” nur noch etwas mehr als ein Drittel übrig bleibt.

Auch handelt es sich bei den besagten Tätern nicht um “Migranten”, wie von “Bild” behauptet, sondern um Personen, die von betroffenen Polizisten für “Nichtdeutsche” gehalten werden. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler würde bestimmt dazugehören. Im KFN-Bericht heißt es dazu etwas schwammig:

Dabei wurde “Herkunft” im Fragebogen nicht definiert; aufgrund des deutlich über den in der [Polizeilichen Kriminalstatistik] ausgewiesenen Anteil nichtdeutscher Täter (2009: 18,6 %) liegenden Wertes in der Stichprobe ist aber davon auszugehen, dass sich die Beamten beim Beantworten der Frage nach der Herkunft eher auf einen vorhandenen Migrationshintergrund und nicht auf das Vorliegen einer nichtdeutschen Staatsangehörigkeit bezogen haben.

Vielleicht hat die Unfähigkeit von “Bild”, was die Auswertung von Studien angeht, aber auch weniger mit dem Institut zu tun, das sie anfertigt, sondern vielmehr mit dem Thema “Islam”.

Eine andere Studie des Exzellenzclusters “Religion und Politik” ergab kürzlich, dass 58 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen dem Islam gegenüber kritisch eingestellt sind. Bemerkenswert an diesen Ergebnissen ist vor allem, dass die Deutschen nichtchristlichen Religionen gegenüber – also etwa auch dem Judentum oder dem Hinduismus – im europäischen Vergleich am intolerantesten abschnitten.

Bild.de interpretierte das dennoch ganz einfach so:

Neue Studie Jeder zweite Deutsche hat Angst vor dem Islam

Der dazugehörige Artikel beginnt mit den Worten:

Ehrenmorde, Zwangsehen, religiöse Fanatiker – sie prägen das Bild vieler Deutscher vom Islam. Die Folge: Angst. Über die Hälfte der Deutschen steht dem Islam kritisch gegenüber.

Abgesehen davon, dass es in der Studie nicht um “Angst” ging, sondern darum, ob Menschen ein negatives oder ein positives Bild von verschiedenen Religionen haben, weiß man jetzt wenigstens, wo Intoleranz gegenüber und Angst vor dem Islam herkommen.

dpa  etc.

Hilfe, die Mohammedaner kommen!

Wenn deutsche Medien in diesen Tagen melden, dass “Mohammed” in England und Wales zum beliebtesten Vornamen neugeborener Jungen aufgestiegen ist, dann ist das nicht nur eine dieser belanglosen Statistiken auf den vermischten Seiten. Wie eine solche Nachricht bewertet wird und auf welchen Nährboden sie fällt, zeigt beispielhaft ein Leserkommentar dazu auf “Welt Online”:

Bevor es in Deutschland zu Ähnlichem kommt - handeln! Revolution - noch heute!

(Die Zahlen neben den kleinen Handzeichen bedeuten übrigens, dass 1168 Lesern dieser Kommentar gefallen hat und nur 78 nicht.)

Die Nachricht selbst steht fast überall, und sie mag zwar die Überfremdungsängste von Thilo Sarrazin und seinen Anhängern bestätigen, aber sie ist falsch. Ihren Ursprung hat sie in der konservativen britischen Tageszeitung “Daily Telegraph”. Unter der Überschrift “Mohammed, der (geheime) Lieblingsname des Landes” berichtete sie, dass die offizielle Vornamenstatistik, wonach die meisten 2009 geborenen Jungen “Oliver” genannt wurden, die “Wahrheit” verschleiere. Wenn man alle unterschiedlichen Schreibweisen von “Mohammed” (also etwa Muhammad oder Mohammad) zusammenzähle, rücke nämlich der Name des islamischen Propheten vom 12. Platz an die erste Stelle.

Nun ist das an sich schon nicht so spektakulär und signifikant, wie es scheint, weil viele Moslems traditionell ihren erstgeborenen Sohn “Mohammed” nennen – in nicht-muslimischen englischen Familien gibt es keine entsprechende Präferenz. Daher suggeriert die Häufung eine stärkere islamische Dominanz als Realität ist.

Und wenn der “Daily Telegraph” schon alle verschiedenen Schreibweisen von “Mohammed” zusammenfasst, um die “Wahrheit” abzubilden, muss er das natürlich auch mit den anderen Namen in der Statistik machen. Das hat er aber nicht. Es reicht schon, alle “Olivers” und “Ollies” zusammenzufassen, um die verschiedenen “Mohammeds” wieder zu überholen. Auch “Harry” und “Henry” sind zusammengenommen populärer.

Blind und blöd haben dennoch die deutschen Nachrichtenagenturen dpa (“Mohammed ist beliebtester Vorname in England”) und AFP (“Mohammed steigt in England zum beliebtesten Jungennamen auf”) die falsche Rechnung übernommen. Auch die “Rheinische Post” behauptet, dass “erstmals ein ganz unbritischer Name auf der Insel an die Spitze der Hitliste für Jungennamen gerückt” sei, “Bild” und “Spiegel Online” haben die Meldung natürlich auch übernommen.

Der Zahlentrick ist übrigens alt: Auch im vergangenen Jahr hat der “Telegraph” schon auf dieselbe Weise den bösen arabischen Namen künstlich nach vorne katapultiert, und schon 2007 übernahm AFP die Milchmädchenrechnung aus der “Times” und behauptete, Mohammed sei bald der beliebteste Vorname. Die beiden ersten “Welt Online”-Leser-Kommentare lauteten damals: “Rette sich wer kann” und “Das macht wirklich Angst”.

PS: Nach Berechnungen des Watchblogs “Tabloid Watch” hatten die “Mohammeds” in ihren verschiedenen Schreibweisen 2009 einen Anteil von 2,08 Prozent an allen neugeborenen Jungen in England und Wales. Im Jahr zuvor waren es 2,09 Prozent.

Roter Riese, Rusbridger, Matussek

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ottfried Fischer gewinnt gegen ‘Bild'”
(sueddeutsche.de, Nicolas Richter und Christian Rost)
Nicolas Richter und Christian Rost denken nach der Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht München über den “roten Riesen in Deutschland” nach: “Viele Prominente haben den langen Arm von Bild als so aufdringlich empfunden, dass sie irgendwann eine klare Haltung annahmen, sich nicht benutzen zu lassen. Es ist eine Haltung mit Risiken, denn wer so handelt, der könnte von Bild ignoriert oder bloßgestellt werden.”

2. “Der Standard: Infografik-Waterloo mit über 12 Fehlern”
(kobuk.at, Hans Kirch​meyr)
“Kobuk” sucht und findet Fehler in der Infografik “Wie lange wir leben werden” der Wiener Tageszeitung “Der Standard”.

3. Interview mit Alan Rusbridger
(meedia.de, Eleni Klotsikas)
“Guardian”-Chefredakteur Alan Rusbridger im Gespräch: “Einige Journalisten verlassen gerade die Mainstreammedien. Sie sind redundant geworden oder gehen von selbst und starten einen Blog. Die besten von ihnen können gerade mal davon leben. Sie haben wenig Traffic. Und ich glaube, wenn Medienorganisationen mehr und mehr mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen mehr Traffic bieten und sie an ein Werbenetzwerk anschließen, dann können sich da Summen anhäufen, von denen diese Menschen leben können. Wir müssen mehr über diese positiven Entwicklungen reden, denn wenn Journalisten nur umherlaufen und von Untergang reden, warum sollte sich dann die Werbeindustrie noch für unsere Arbeit interessieren?”

4. “Österreichs Medien tendieren zur Islamophobie”
(diepresse.com, Clara Akinyosoye)
Clara Akinyosoye schreibt über den 2009 erschienenen Sammelband “Islamophobie in Österreich”. Wer glaube, es gebe “bezüglich islamophober Berichte große Unterschiede in Boulevard- und Qualitätsmedien”, irre sich, sagt Mitautor Farid Hafez.

5. “Cut-Rate Democracy”
(outlookindia.com, Paranjoy Guha Thakurta, englisch)
Das Wochenmagazin “Outlook India” berichtet über (von Interessengruppen) bezahlte News in Indien. “Substantial sections of the media have become participants and players in practices that contribute to this growing use of money power in politics. This in turn undermines democratic processes and norms while hypocritically pretending to occupy a high moral ground.”

6. “Kulturtipp gone mad”
(umblaetterer.de, Paco)
Der Geschichtsstudent Philipp Spreckels schaut in fünf Monaten alle bisherigen 151 Folgen des “Spiegel Online”-Videoblogs “Matusseks Kulturtipp”. Ein Interview.

Und täglich grüßt die KFN-Studie

Alles begann, als Familienministerin Kristina Schröder vergangene Woche in einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” die Frage “Wie weit verbreitet ist das Phänomen Deutschenfeindlichkeit?” so beantwortete:

Es gibt bisher kaum Untersuchungen. Eine jüngste Studie besagt, dass knapp ein Viertel der befragten ausländischen Jugendlichen Deutsche beschimpft und ein Teil davon sogar geschlagen hat, nur weil sie Deutsche sind.

Die jüngste Studie, auf die sich Schröder bezieht, stammt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) und war bereits im Juni dieses Jahres erschienen. Schon damals berichteten zahlreiche Medien fälschlicherweise, zwischen Religiösität und Gewaltbereitschaft bestünde ein signifikanter Zusammenhang, nachdem die “Süddeutsche Zeitung” KFN-Direktor Christian Pfeiffer verkürzt zitiert hatte (BILDblog berichtete).

Pfeiffer war auch diesmal nicht mit den Schlussfolgerungen aus seiner Studie zufrieden, was er am nächsten Tag dann auch der “Financial Times Deutschland” sagte:

Der Kriminologe aber will (…) kein Kronzeuge sein: “Eine generelle Deutschenfeindlichkeit gibt es nicht”, sagte er FTD.de. (…)

Pfeiffer verweist unter anderem auf einen Teil der Untersuchung, in dem Migranten gefragt wurden, welche Gruppen sie gerne zum Nachbarn hätten. Abgesehen von den eigenen Landsleuten kamen Deutsche dabei fast immer an erster Stelle, auch bei türkischen Befragten. “Niemand liebt die Deutschen so wie die Türken”, glaubt Pfeiffer. Umgekehrt landeten Türken bei den befragten Deutschen aber an letzter Stelle. Aus solchen und anderen Indikatoren folgert Pfeiffer, dass die vermeintliche Deutschenfeindlichkeit vor allem mit Enttäuschung über mangelnde Integration zu tun hat. “Wenn wir ihnen die kalte Schulter zeigen, kriegen wir es richtig zurück.”

Wohlgemerkt, Pfeiffer wiederholte gegenüber der “FTD” eine Erkenntnis, die seit über vier Monaten in der Studie einsehbar ist. Da aber gerade hysterisch über Integration debattiert wird, kam eine Lawine des Unfugs ins Rollen.

Die “Süddeutsche Zeitung” titelte am Dienstag “Türken bei deutschen Jugendlichen unbeliebt” und behauptete:

Die Integrationsdebatte in Deutschland erhält durch eine Umfrage unter deutschen und türkischen Jugendlichen neue Nahrung.

Und auf sueddeutsche.de steht derselbe Artikel unter dieser Überschrift:

Neue Studie: Die unbeliebten Türken

Dass die angeblich “neue Nahrung” aus der vier Monate alten “neuen Studie” stammt, ist der “Süddeutschen Zeitung” nicht aufgefallen, und das obwohl ganze vier Autoren für den Artikel verantwortlich zeichnen.

Die Nachrichtenagentur dapd (auch dpa berichtete) nahm die gar nicht neuen Erkenntnisse, von denen die “Süddeutsche Zeitung” berichtete, in einer besser recherchierten Meldung auf und wies darauf hin, dass die Studie bereits im Juni vorgestellt wurde. Außerdem ergänzte dapd folgendes Ergebnis der Studie:

Das Kriminologische Forschungsinstitut fand bei seiner Befragung auch klare Hinweise auf “Deutschenfeindlichkeit” bei Jugendlichen aus Einwandererfamilien. Von den befragten nichtdeutschen Jugendlichen in Westdeutschland sagte fast ein Viertel (23,7 Prozent), sie hätten schon einmal einen Deutschen beschimpft; 4,7 Prozent sagten, sie hätten schon einmal absichtlich einen Deutschen geschlagen und 2,1 Prozent räumten ein, ein von Deutschen bewohntes Haus beschädigt zu haben.

Die Nachrichtenagentur wies aber auch darauf hin, dass die sogenannte “Deutschenfeindlichkeit” oft auf eigene schlechte Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit zurückzuführen ist:

Diese Feindschaft gegen Deutsche trete allerdings bei gut integrierten türkischen Jugendlichen, die die Realschule oder das Gymnasium besuchten, kaum noch auf, sagte Pfeiffer ergänzend. Zudem gebe es bei “deutschenfeindlichen Delikten” oft einen Zusammenhang zu eigener Erfahrung von Fremdenfeindlichkeit: 41,4 Prozent der Jugendlichen, die selbst schon einen Übergriff erlebt hatten, räumten ein “deutschfeindliches Delikt” ein; von denen ohne “Opfererfahrung” waren es 14,2 Prozent.

Dies wiederum nahmen zahlreiche Medien als Startschuss, selbst zu berichten.

Im “Berliner Kurier” etwa stand am Mittwoch:

Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst der “Islamophobie” – die Angst vor muslimischer Überfremdung. Zwei neue Studien befeuern die aktuelle Debatte: (…) Eine (…) Studie besagt, Türken seien bei jungen Deutschen besonders unbeliebt.

Auch die Angriffe türkischer Jugendlicher auf deutsche Jugendliche tauchen auf, nicht jedoch, dass die meisten “deutschenfeindlichen” Handlungen mit eigener Opfererfahrung im Zusammenhang stehen. So beschwört man tatsächlich das “Gespenst der Islamophobie” und befeuert die “aktuelle Debatte” selbst aktiv.

Noch einseitiger ist ein Artikel auf T-Online.de, in dem die KFN-Studie ebenfalls als “aktuell” bezeichnet wird. Auch hier werden “Jugendliche nichtdeutscher Herkunft”, die angeben, “schon einmal einen Deutschen beschimpft zu haben”, ins Feld geführt, ohne auf die Hintergründe einzugehen.

Am Mittwoch beteiligte sich auch “RP Online” daran, die “Debatte über das Verhältnis zwischen Einheimischen, Zuwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund” anzuheizen:

Eine Jugend-Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen heizt die Debatte über das Verhältnis zwischen Einheimischen, Zuwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund weiter an.

Doch damit nicht genug: Auf der österreichischen Seite nachrichten.at ist genauso von einer “neuen Studie” die Rede, die “den Integrationsstreit in Deutschland weiter anheizt” wie bei Bild.de und “Welt Online”.

Nur dass der Autor des letztgenannten Artikels sogar glaubt, es handele sich um zwei verschiedene KFN-Studien. Er schreibt einerseits über “Neue Erkenntnisse im großen Streitthema Integration”, andererseits berichtet er das:

Im Juni hatte ein Forschungsbericht seines Instituts gezeigt, dass ein Viertel der befragten Nichtdeutschen schon einmal bewusst einen Deutschen beschimpft hatte, 4,7 Prozent hatten schon einmal einen Deutschen geschlagen.

Weder bei “Welt Online”, noch bei Bild.de oder nachrichten.at findet sich ein Hinweis darauf, dass Übergriffe von türkischen Jugendlichen auf Deutsche oft in Zusammenhang mit zuvor erlebter Ausländerfeindlichkeit stehen.

Mindestens genauso weit daneben liegt Thomas Pany von “Telepolis”, der zwar etwas differenzierter berichtet, aber ebenfalls von zwei verschiedenen Studien ausgeht — und das, obwohl er selbst im Juni zwei Artikel darüber verfasst hat.

Dass es auch anders geht, zum Beispiel mit Recherche, zeigt übrigens ein herrlich unaufgeregter Artikel der Onlineausgabe der “Frankfurter Rundschau” mit dem Titel “Gemobbt wird immer die Minderheit”.

Nachtrag, 19. Oktober: Auf “Telepolis” wurde der Fehler inzwischen transparent mit einem Update korrigiert.

Bild  

Falsche Beispiele für schlechte Integration

BUNDESREPUBLIK ABSURDISTAN So schlecht funktioniert Integration in Deutschland

Dafür, dass es um die Integration von Ausländern in Deutschland so miserabel stehen soll, ist es der “Bild”-Zeitung erstaunlich schwer gefallen, drastische Beispiele dafür zu finden. Eine Auswahl der “schlimmsten Fälle verfehlter Integrationspolitik” präsentierte das Blatt gestern und prangert zum Beispiel, im Gleichschritt mit dem rechtsextremen Ring Nationaler Frauen, den wöchentlichen Frauenbadetag in einem Münchner Hallenbad an.

“Bild” stellt sich auch auf die Seite eines Arztes aus dem hessischen Wächtersbach, der es “satt hatte”, dass verschleierte Patientinnen sich geweigert hätten, ihre Kopftücher zur Untersuchung abzunehmen. Der Mann hatte in einem Aushang unter anderem bekannt gegeben: “Kinderreiche islamistische [sic!] Familien mit mehr als 5 leiblichen Kindern werden in dieser Arztpraxis nicht behandelt!” Der Arzt hat sich inzwischen dafür entschuldigt, dass er mit seinen Formulierungen über das Ziel hinausgeschossen sei und Menschen verletzt habe.

Das untauglichste Beispiel für misslungene Integration aber ist gleich das erste, das “Bild” nennt:

Frauen nicht anschauen!

Im Klinikum Stuttgart kursiert eine “Handlungsanweisung internationale Patienten” für das Pflegepersonal. Darin heißt es: “Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben!”

Die Handlungsanweisung gibt es tatsächlich; der entsprechende Absatz lautet vollständig:

Eine Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben und ganz wichtig – bitte nicht in ein Zimmer reinplatzen ohne auf das Herein nach dem Klopfen zu warten!!! – Patientin könnte beten oder sich gerade umziehen!

Wie der Begriff “internationale Patienten” schon nahelegt, geht es dabei aber um Menschen, die nicht in Deutschland leben. Die Handlungsanweisung betrifft ausschließlich “Patienten, die zum Zweck der medizinischen Behandlung aus dem Ausland einreisen”, also zum Beispiel die Angehörigen eines Scheichs, die das Klinikum für eine spezielle Operation wählen und dafür selbst zahlen.

Noch einmal: Die Empfehlung für den Umgang mit muslimischen Patientinnen, die “Bild” als Beispiel schlechter Integration in Deutschland anprangert, gilt für Menschen, die anreisen, sich behandeln lassen, wieder abreisen.

Aber es stimmt schon: Ausländer, die gar nicht in Deutschland leben, sind bei uns wirklich empörend schlecht integriert.

AFP, Bild.de, dpa  etc.

Hauptsache nicht katholisch!

Es ist schon ein Kreuz mit den Religionen! Nur die wenigsten Anhänger des Islam sind islamistisch und die evangelikalen Christen haben nur sehr wenig mit der Evangelischen Kirche zu tun. Wer soll sich da noch auskennen?

Bild.de schon Mal nicht: Das Fachmagazin für christliche Werte schreibt über die Ankündigung eines radikalen evangelikalen Pfarrers aus Florida, am 11. September eine Koran verbrennen zu wollen, Folgendes:

Die evangelische Gemeinde in Gainesville (US-Bundesstaat Florida) will am 11. September Exemplare des Koran verbrennen.

Auch andere Redaktionen haben nicht so genau hingesehen, so zum Beispiel bei der Online-Ausgabe der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, beim Schweizer “Tagesanzeiger” und bei “Die Presse”. Spiegel Online und evangelisch.de haben nach Leserhinweisen nachgebessert.

Ursprung des Religion-Mischmaschs waren wohl gleich zwei Agentur-Meldungen, die den christlichen Fundamentalisten zum evangelischen Priester Pastor machten: Um 10.05 Uhr hatte die Nachrichtenagentur AFP den Fehler verbreitet und schickte 34 Minuten später eine Korrekturmeldung. Um 11.17 Uhr folgte der Basisdienst der dpa in Hamburg mit dem gleichen Fehler. Dass die Agentur seit dem Nachmittag mehrere Meldungen ohne die Verwechslung publiziert hat, wurde bei vielen Abnehmern offenbar nicht zur Kenntnis genommen.

Aber die Worte des Herrn haben schon immer ihre Zeit gebraucht, um zu allen durchzudringen.

Mit Dank an Florian V., Ivo B. und Arne A.

Nachtrag, 9. September: “Tagesanzeiger” und “Die Presse” haben ihre Artikel inzwischen korrigiert.

Schlechte Luft

Eine Woche, nachdem der “Spiegel” einen Vorabdruck des neuen Buchs von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin veröffentlicht hatte (“Bild” hatte im Laufe der Woche das gleiche getan), wurde das Buch heute endlich offiziell vorgestellt — begleitet von Livetickern auf “Spiegel Online” und Bild.de.

Auch sonst geben sich die Medien viel Mühe, die von ihnen selbst entfachte Kontroverse um den früheren Berliner Finanzsenator umfangreich auszuschlachten abzudecken: “Spiegel Online” hat da zum Beispiel eine Bildergalerie vorbereitet, die die Proteste gegen Sarrazin bei dessen Buchpräsentation zeigt.

Demonstrant in Berlin: Begleitet von einem Polizeiaufgebot machten einige Bürger ihrem Ärger Luft.

stand da erst, dann:

Demonstrant in Berlin: Begleitet von einem Polizeiaufgebot machten die Bürger ihrem Ärger Luft. Unterstützt wurde die Veranstaltung von Politikern der SPD, der Grünen, der Linken sowie Gewerkschaftsvertretern.

Das wäre gar nicht weiter erwähnenswert — wenn, ja wenn das dazugehörige Foto nicht etwas ganz anderes zeigte:

Danke Thilo! www.pi-news.net

Nicht nur, dass der Demonstrant sich offensichtlich bei Sarrazin bedankt — er hat auch gleich noch die Webadresse der islamophoben Hassseite “Politically Incorrect” auf sein Schild gekritzelt.

Inzwischen hat “Spiegel Online” offenbar bemerkt, was für Inhalte da (wieder mal) unbesehen in eine Bildergalerie gerutscht waren, und hat das Foto durch ein ganz anderes ersetzt.

Mit Dank an Tobias B. und Reemt R.

Bild  

Sie haben das Recht zu Schweigen

“Bild” hat’s bekanntlich nicht so mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Am Donnerstag erklärte die Zeitung in ihrer Ruhrgebietsausgabe:

Wurden hier Spuren eines Verbrechens vernichtet? Ehemann Dirk L. (43) kann oder will das den Fahndern offenbar nicht erklären, verweigert die Aussage. Und macht sich so verdächtig.

“Bild” mag es “verdächtig” finden, dass der Mann die Aussage verweigert, aber es ist sein gutes Recht, das von dem Augenblick an gilt, in dem er als Beschuldigter gilt. Der Beschuldigte muss zu keinem Zeitpunkt etwas sagen und muss sein Schweigen auch nicht rechtfertigen

Gestern dann fragte das Blatt in einem anderen Fall:

Warum lässt der Richter einen Killer so im Gericht sitzen?

Mal davon ab, dass das, was der Mann da über den Kopf gezogen hat, keine “Decke” ist, wie “Bild” schreibt, sondern eher ein Oberhemd, geht es hier natürlich um die Persönlichkeitsrechte des Mannes, die er auch als Angeklagter, Verurteilter oder “Killer” nach wie vor hat.

Das Gericht gestattete dem Angeklagten, sich zu vermummen, solange die TV-Kameras liefen. Mit Prozessbeginn wurde die Maskerade beendet.

“TV-Kameras”, hihi, der war gut. Denn man kann sich nur zu gut vorstellen, wie eine große deutsche Boulevardzeitung den Mann heute abgebildet hätte, wenn er sein Gesicht nicht verborgen hätte.

Der Rechtsanwalt und Lawblogger Udo Vetter erklärt dazu:

Es gehört zu den Aufgaben des Gerichts, im Rahmen der Hauptverhandlung die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu respektieren. Teil davon ist es auch, dass das Gericht die Befugnis des Angeklagten respektiert, sich nicht an identifizierender Berichterstattung indirekt zu beteiligen, indem er sein Gesicht hinhalten muss. Identifizierende Berichterstattung ist ja in solchen Fällen regelmäßig sowieso nicht zulässig. Der Angeklagte hat also das gute Recht, sein Gesicht überhaupt nicht fotografieren zu lassen.

Der konkrete Fall ist sogar noch etwas schwerwiegender, wie “Bild” selbst schreibt:

Er wurde gestern verurteilt, wird den Rest seines Lebens in die Psychiatrie gesteckt. (…)

Der zum Islam Konvertierte (“Allah hat geschossen”) leidet unter paranoider Schizophrenie.

Mit seiner “Maskerade” hat der Angeklagte “Bild” vor einem Verstoß gegen den Pressekodex bewahrt:

Richtlinie 8.4 – Erkrankungen
Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennung und Bild verzichten und abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden. (…)

Mit Dank an David R., Marcel S., Stefan H., Esther K., René, Martin und Maik H.

Fahrenheit 9/9

Es gibt bestimmte Ereignisse, da weiß man einfach, wo man war, als man davon erfuhr: Die Älteren erinnern sich an Bern ’54, die Ermordung John F. Kennedys oder die Mondlandung, Jüngere immerhin noch an den Mauerfall, den Tod von Prinzessin Diana oder die Terroranschläge in New York und Washington am …

Na …

Ach ja:

Vom Anschlag an den Spielen in München 1972 über den 9. September 2001 bis zu den jüngsten Zwischenfällen im US-Luftraum spannt sich ein Bogen von Ereignissen, der nicht nachlassende Aufmerksamkeit erfordert.
(“Neue Zürcher Zeitung”, 2. Februar)

Aber so einfach ist es nicht: Der "War on terror", mit dem Washington auf den 9. September 2001 reagierte, war nicht allein die Sache der Amerikaner.
(“Tagesanzeiger”, 4. Februar)

Die Erinnerungen ans World Trade Center sind unweigerlich mit den Anschlägen vom 9. September 2001 verbunden.
(bazonline.ch, 24. Februar)

Dieser erinnerte an den Nato-Beitrittsfall, der nach dem 9. September 2001 von den USA ausgerufen wurde und zum Einmarsch in Afghanistan führte.
(“Südkurier”, 2. März)

Die Terroranschläge vom 9. September 2001 haben jedoch die Bedingungen für professionelle Flieger verändert.
(“Hersfelder Zeitung”, 12. März)

Die Terrorakte vom 9. September 2001 betrachtet er als verwandte Verbrechen.
(“Neue Zürcher Zeitung”, 16. März)

Er entwickelte eine Strategie des "kalkulierten Terrors, der Souveränen, Fürsten, Generalen und Gouverneuren einen schnellen Tod brachte", wie es der britische Historiker Bernard Lewis in seiner großen Studie "Die Assassinen. Zur Tradition des religiösen Mordes im radikalen Islam" formulierte, deren Erstausgabe 34 Jahre vor den Anschlägen vom 9. September 2001 erschien.
(“Die Welt”, 16. März)

Mit Dank auch an Rahel Z.

Bild  

Der bodenlose Hass in Nigeria

Die Frage, die eigentlich keine ist, ist eines der meist benutzten Stilmittel der “Bild”-Redaktion. Wie man ein Fragezeichen vollkommen ad absurdum führt und wenig elegant mit feindseligen Ressentiments verknüpft, das demonstrierte “Bild” gestern einmal mehr in einem Beitrag anlässlich des Todes von 500 Nigerianern:

Christenhass! Was treibt die blutrünstigen Moslems ab?

Nun, was treibt solch “blutrünstige” Muslime wohl an? Die Antwort bleibt “Bild” schuldig und zwar zwangsläufig. Nicht nur sprachlich ergibt es keinen Sinn, dass die nigerianischen Moslems gleichzeitig “blutrünstig” und vom “Christen-Hass” getrieben sein sollen, weil “blutrünstig” wortwörtlich “aus Mordlust” bedeutet, also: ohne Grund, außer dem Willen zum Mord.

Aber auch sonst pflegt “Bild” in seiner Berichterstattung aus Nigeria ein eher laxes Verhältnis zu Wahrheit und Faktenlage — und bedient nach Möglichkeit islamophobe Klischees: Das am Golf von Guinea, also am Atlantischen Ozean, gelegene Nigeria ist natürlich keineswegs ein “zentralafrikanisches Land”, wie “Bild” behauptet. Und dass im Januar dieses Jahres 300 Muslime von Christen umgebracht worden waren, wie Ulrich Delius von der Gesellschaft für Bedrohte Völker dem Deutschlandfunk erläutert, findet in “Bild” ebensowenig Erwähnung wie der Klimawandel, der in Nigeria einen Konflikt um fruchtbares Ackerland entfacht hat.

Stattdessen erweckt “Bild” wie schon im Januar (BILDblog berichtete) den falschen Eindruck, es handle sich in Nigeria um eine Religionskonflikt mit ausschließlich christlichen Opfern, und wählt dafür einen besonders drastischen und gruselerregenden Einstieg in den Beitrag:

Die Kinder liegen in ihren bunten Kleidern im Staub des Dorfes, das einmal ihr Zuhause war. Zerhackt mit Macheten, erschossen, zu Tode gehetzt! Sie starben, weil sie an Gott glaubten!

Dass das so nicht stimmt, hätte man bei “Bild” schon merken können, wenn man auch bloß den eigenen Text zu Ende gelesen hätte. In diesem bestätigt nämlich ausgerechnet ein Vertreter des Vatikans, dass der Massenmord in Nigeria tatsächlich eher nichts mit Religion, dafür aber sehr viel mit dem Klimawandel und dem durch Austrocknung knapp werdenden Ackerland zu tun hat.

Und wenn man ganz, ganz genau hinschaut, dann findet sich in einer der sich selbst beantwortenden Pseudofragen von “Bild” sogar ein Hinweis auf eben diese Ackerbodenproblematik:

Woher kommt der bodenlose Hass auf Christen?

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