… schreibt die AfD-Fraktion, die im nordrhein-westfälischen Landtag sitzt.
+++ Islamistischer Terror? Bewaffneter greift Polizeiwache an, ruft “Allahu akbar” und wird erschossen! +++
… schreibt der AfD-Landesverband Hessen.
Islamisch motivierter Anschlag konnte vereitelt werden!
… schreibt Pierre Jung, Sprecher des AfD-Kreisverbandes Hamm.
Polizei verhindert Terror-Anschlag!
… schreibt Dimitri Schulz, der für die AfD im hessischen Landtag sitzt.
Sie alle beziehen sich in ihren Facebook-Posts auf einen Artikel, der gestern Abend bei Bild.de erschienen ist. Darin geht es um einen Vorfall in Gelsenkirchen: Ein Mann soll sich einer Polizeiwache genähert und dabei mit einem Gegenstand, wohl einem Stock, auf einen Streifenwagen geschlagen haben. Zwei Polizisten, die vor der Wache standen, sollen ihn aufgefordert haben, dies zu unterlassen und stehenzubleiben. Der Mann soll auf sie zugegangen sein und in der anderen Hand ein Messer getragen haben. Daraufhin soll einer der Polizisten den Mann erschossen haben.
Ob es sich dabei um einen “Terror-Anschlag” handelte, den die Polizisten vereitelten, ob es tatsächlich einen islamistischen Hintergrund gab, und ob der Mann wirklich “Allahu Akbar” rief — all das war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bild.de-Beitrags alles andere als klar. Und dennoch titelte die Redaktion auf ihrer Startseite:
Sowas greifen die AfD-Abgeordneten, -Landesverbände und -Fraktionen genauso gern auf wie die Facebook-Gruppen “Unsere Heimat Deutschland”, “Deutschland – quo vadis”, “Frankfurt gegen Salafismus – Das Original”, “Patrioten des Vaterlands 5” und so weiter. Auch die NPD verbreitet den Bild.de-Artikel, der laut dem Analysetool CrowdTangle allein bei Facebook bisher mehr als 5000 Mal geteilt wurde.
Direkt zu Beginn ihres Textes schreiben die zwei “Bild”-Autoren Celal Çakar und Frank Schneider:
Die Polizei ist sich sicher: Diese feige Attacke war ein versuchter Terror-Anschlag auf Polizisten mitten in Deutschland!
Das ist gleich aus drei Gründen interessant: Erstens hat die Polizei nicht gesagt, dass sie “sicher” sei, dass es sich um einen “versuchten Terror-Anschlag auf Polizisten” handele. Der dpa sagte ein Sprecher, dass ein möglicher terroristischer Hintergrund Gegenstand der Ermittlungen sei. Und auch Zeugenaussagen, nach denen der Mann “Allahu Akbar” gerufen habe, und die erst die zwei “Bild”-Autoren ins Spiel brachten (“Zeugen schilderten BILD, der Mann habe stattdessen laut ‘Allahu Akbar’ (arabisch ‘Gott ist groß’) gerufen”), seien einem Polizeisprecher zufolge erstmal nur “Gerüchte”, die bislang nicht bestätigt seien.
Zweitens lautete dieser erste Satz des Bild.de-Artikels mal ziemlich anders. In einer früheren Version behaupteten Çakar und Schneider noch selbst, dass es sich um einen “Terroranschlag” handelt, und schoben nicht die Polizei als vermeintliche Quelle vor:
Die Polizei hat im Ruhrgebiet einen Terroranschlag verhindert!
Und drittens hat die Polizei inzwischen bekanntgegeben, dass sie nicht von einem terroristischen Hintergrund ausgehe.
Das ist inzwischen auch bei Bild.de angekommen. Die Überschrift hat die Redaktion klammheimlich geändert in:
Und den ersten Satz genauso klammheimlich in:
Die Polizei ist sich sicher: Diese feige Attacke war ein versuchter Anschlag auf Polizisten mitten in Deutschland!
Einen Korrekturhinweis darauf, dass man mal etwas völlig anderes berichtet hat, gibt es nicht. Nur zur Erinnerung: Bild.de wird von einem Mann geleitet, der über sich selbst gern sagt, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.”
Das Wörtchen “statt” kann ein sehr vergiftetes sein. Zum Beispiel wenn man es so falsch einsetzt wie die “Bild”-Redaktion vorgestern in ihrer Bundesausgabe …
Das “statt” ist in diesem Zusammenhang Unsinn. Es lässt die Leserinnen und Leser glauben, dass an einer Berliner Grundschule Islam-Kunde an die Stelle des evangelische Religionsunterrichts gerückt ist. Oder eine Ebene höher: Der Islam verdrängt das Christentum. Doch das stimmt nicht.
Tatsächlich gab es an der Teltow-Grundschule in Berlin-Schöneberg, über die die “Bild”-Medien schreiben, schon länger parallel christlichen Religionsunterricht, Islam-Kunde und Lebenskunde, wo es um Ethik geht. Die Kinder konnten mit ihren Eltern auswählen, worüber sie in zwei Schulstunden pro Woche etwas lernen möchten.
Diese Fächer werden allerdings nicht von Lehrern der Schule unterrichtet, sondern von Vertretern der religiösen oder humanistischen Träger. An der Teltow-Grundschule ist für den christlichen Religionsunterricht die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig. Und die hat seit einiger Zeit nicht mehr genug Personal, um den Unterricht an allen Berliner Schulen anzubieten, so auch an der Teltow-Grundschule.
Das wäre eigentlich auch schon die ganze Geschichte: Die Evangelische Kirche hat Personalmangel, daher können die Kinder aktuell nur zwischen Islam- und Lebenskunde wählen. Wäre da nicht ein Vater, der sich in “Bild” aufregt, dass etwas schieflaufe “‘im christlichen Abendland'”, “‘wenn in einer normalen Grundschule nur noch Islam-Unterricht, aber kein evangelischer Religionsunterricht mehr angeboten wird'”.
Sein neunjähriger Sohn habe nun “statt Religionsunterricht jeweils eine Freistunde”, schreiben die “Bild”-Medien. Das stimme allerdings nicht, wie uns die Schulleitung auf Nachfrage sagt. Der Junge und seine Eltern könnten derzeit zwischen Lebenskunde und Islam-Unterricht wählen. Auf dem Stundenplan des Kindes, den “Bild” und Bild.de zeigen, sieht man auch zumindest am Dienstag in der fünften Stunde neben dem Kürzel “Isl”, das wohl für Islam-Kunde stehen soll, auch das Kürzel “Lk”, das für Lebenskunde stehen dürfte:
So richtig neu sei der Ausfall des christlichen Religionsunterrichts laut Schulleitung übrigens nicht. Das sei auch schon im vergangenen Schuljahr so gewesen, aus demselben Grund. Und die Eltern seien auch bereits früh informiert worden, etwa über die Elternvertretung.
Die Schulleitung bedauert es ebenfalls, dass der christliche Religionsunterricht derzeit nicht wie gewohnt angeboten werden kann. Sie hat schon vor einiger Zeit Maßnahmen ergriffen, damit er nicht für die komplette Schule ausfällt: Mit der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Schöneberg habe man vereinbaren können, dass diese Pfarrer schickt, die den christlichen Religionsunterricht für die Jahrgangsstufen 1 und 2 übernehmen. Für die Klassen 3 bis 6, also auch für den Jungen, dessen Stundenplan “Bild” abdruckt, werde es Projekttage zum Thema “Kinder begegnen Religionen” geben, geplant von der Evangelischen Kirche. Außerdem werde wie immer eine Weihnachtsfeier stattfinden, man werde wie immer einen großen Weihnachtsbaum aufstellen. Dass der Islam an der Teltow-Grundschule das Christentum verdrängt, kann man nun wirklich nicht sagen.
Von all diesen Bemühungen liest man in dem “Bild”-Artikel: nichts.
Immerhin schreiben auch die “Bild”-Medien, dass der Grund für den Ausfall der Personalmangel bei der Evangelische Kirche ist. Bloß: Bei Bild.de erfahren das nur die knapp 400.000 Personen, die ein “Bild plus”-Abo haben. Die anderen Millionen, die Bild.de besuchen, sehen lediglich die falsche Schlagzeile und ziehen mehr oder weniger empört weiter.
“Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner hat sich entschieden: “Die schlimmste Nachricht dieser Tage” ist die “verbotene Weihnacht” an einer Istanbuler Schule, schlimmer noch als “Aleppo” und “Attentate”:
Das Weihnachtsverbot ist für mich die Grenze.
Es ist ein Kulturbruch geschehen.
Christen sollen nicht mehr Weihnachtslieder singen. Für mich ist das die schlimmste Nachricht dieser Tage.
Mit riesigem Schrecken dürfte Franz Josef Wagner heute bei der täglichen “Bild”-Lektüre festgestellt haben, wie das Weihnachtsfest und die christliche Tradition angeblich überall in Deutschland geschändet wird. Zu ihrem Arikel über das “WEIHNACHTSVERBOT an türkisch-deutscher Schule” (das inzwischen wieder aufgehoben ist) …
… haben die Festtagsexperten von “Bild” für ihre heutige Ausgabe nämlich eine Übersicht zusammengestellt, wo überall in der Republik das Abendland so untergeht:
Was das zeigen soll, ist klar: Die grünlinksversifften Multikultispinner, ob in Hildesheim, Berlin-Kreuzberg, Kassel oder sonst wo, kuschen vor all den zugewanderten Muslimen, werfen vor lauter politischer Korrektheit unsere christlichen Werte über Bord und verleugnen unsere Tradition. Weihnachtsmärkte? Christstollen? Alles futsch! Passt mal besser auf, dass Weihnachten nicht bald ganz verboten wird.
Nur: So gut wie keiner der Punkte, die “Bild” nennt, stimmt. Der Reihe nach:
Christophorusschule
“Bild” schreibt:
Der Chor der Christophorus-Schule in Hildesheim verzichtete beim Weihnachtskonzert auf Lieder mit “christlichem Bezug”, weil Flüchtlinge dabei waren. Später dementierte die Schule den Zusammenhang.
Erstmal: Die Christophorusschule liegt nicht in Hildesheim, sondern in Elze, westlich von Hildesheim. Das Gerücht, dass die Schule “beim Weihnachtskonzert auf Lieder mit ‘christlichem Bezug'” verzichtet haben soll, stammt von der “Hildesheimer Allgemeinen Zeitung”. Und tatsächlich dementierte die Schule den Zeitungsbericht (PDF):
Die missverständliche und inhaltlich falsche Berichterstattung der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 09.12.2016 über das CJD Weihnachtskonzert in Sarstedt hat einige Fragen aufgeworfen.
In diesem Zusammenhang möchten wir auf Folgendes hinweisen:
1. Die CJD Christophorusschule Elze hat bei keinem der diesjährigen Weihnachtskonzerte auf Lieder christlichen Inhalts verzichtet.
2. Der Autor des Artikels, Herr Peter Hartmann, war bei keinem unserer Konzerte anwesend.
3. Das Programm des Konzerts am 03.12.2016 in der Kirche der Heilig Geist Gemeinde, Sarstedt, besteht aus 26 Weihnachtsliedern und Werken, die alle einen christlichen Bezug aufweisen.
4. Die Teilnahme von Schülern der Sprachlernklasse hat den christlichen Charakter des gesamten Programms in keiner Weise verändert.
Im Programmheft des Konzerts (PDF) findet man Lieder wie “Maria durch ein Dornwald ging” oder “Weil Gott in tiefster Nacht erschienen” oder “Amen”. Die zwei Songs, die Mitglieder der “Chorklasse I” und der Sprachlernklasse (das sind vermutlich die Flüchtlinge, von denen “Bild” schreibt) gesungen haben, sind “Macht euch bereit” von Rolf Zuckowski:
Macht euch bereit!
Macht euch bereit!
Jetzt kommt die Zeit
auf die ihr euch freut.
Bald schon ist Weihnacht
fröhliche Weihnacht.
Und “Still senkt sich die Nacht hernieder” von Gerhard Wohlgemuth:
Still senkt sich die Nacht hernieder.
Rings das Land liegt tief verschneit
und es klingen alte Lieder:
O du schöne Weihnachtszeit!
O du schöne Weihnachtszeit!
Klingt nicht gerade so, als hätte die Christophorusschule “die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen.”
Kreuzberger Wintermarkt
In Berlin-Kreuzberg heißt ein Weihnachtsmarkt “Kreuzberger Wintermarkt”, um andere Religionen zu schonen.
Um den “Kreuzberger Wintermarkt” haben die “Bild”-Medien schon einige Märchen gesponnen. Die “Bild am Sonntag” fragte vor zwei Jahren beispielsweise:
Und schrieb dazu:
Wird auf dem Altar der politischen Korrektheit die christliche Tradition geopfert?
Sowie:
Natürlich ist die Institution Weihnachtsmarkt an sich nicht wichtig. Aber wo führt es hin, wenn es schon verpönt ist, das Wort Weihnachten nur im Munde zu führen? Sind das christliche Erbe, unsere Kultur, unser Selbstverständnis, unser Wertekanon, auf das Treiben einer “Religionsgemeinschaft” geschrumpft?
Wir haben damals beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nachgefragt, ob es stimmt, dass sich der Markt “Wintermarkt” nennen musste, weil die Politik das aus Rücksicht vor Religionen oder Ausländern so wollte. Ein Sprecher sagte uns:
Ich kann alle beruhigen: Das Abendland bleibt weiter bestehen, genauso wie die Weihnachtsmärkte in Friedrichshain-Kreuzberg — in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren. Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal.
Und auch eine Sprecherin des “Kreuzberger Wintermarktes” bestätigte uns damals, dass ihr Team den Namen und das Konzept aus freien Stücken gewählt habe, ohne politische Einflussnahmen oder Rücksicht auf Vorschriften.
Damit liegt “Bild” schon mal in zwei Punkten daneben.
Wintermarkt Flughafen München
(…) um andere Religionen zu schonen. Ähnlich: “Wintermärkte” am Münchner Flughafen
Hier können wir es recht kurz machen: Der Markt, der aktuell am Flughafen in München aufgebaut ist, heißt gar nicht “Wintermarkt”, sondern “Weihnachts- und Wintermarkt”:
Eine Sprecherin des Flughafens sagte uns, dass man den Zusatz “Wintermarkt” mit in den Namen genommen habe, weil der Markt bis zum 30. Dezember geöffnet habe. Und dann sei Weihnachten ja schon lange vorbei. Vorher gibt es allerdings reichlich Aktionen mit christlichem Bezug: Das Christkind schaue vorbei, Besucher könnten Adventskränze binden, an den Ständen gebe es Christbaumschmuck zu kaufen. Kurzum:
Nein, wir verstecken Weihnachten nicht.
Wintermarkt Gundelsheim
(…) um andere Religionen zu schonen. Ähnlich: “Wintermärkte” am Münchner Flughafen, in Gundelsheim
Der eintägige Wintermarkt im bayerischen Gundelsheim fand dieses Jahr am 19. November statt. Und das ist auch der Grund, warum er Wintermarkt und nicht Weihnachts- oder Christkindlmarkt heißt. Eine Sprecherin sagte uns, dass man damit durchaus Rücksicht auf eine Religion nehme — auf die christliche:
Den Namen haben wir wegen der Katholiken gewählt. Unser Markt findet immer am Samstag vor dem 1. Advent statt, also nicht in der Weihnachtszeit. Da können wir ihn doch nicht einfach “Weihnachtsmarkt” nennen.
Weihnachtliche Elemente gebe es aber trotzdem: Ein Nikolaus überrasche die Kinder, die örtlichen Vereine spielten vorweihnachtliche Musik.
Wintermarkt Altmannstein
(…) um andere Religionen zu schonen. Ähnlich: “Wintermärkte” am Münchner Flughafen, in Gundelsheim und Altmannstein (Bayern).
Der Wintermarkt im bayerischen Altmannstein dauert drei Tage, liegt aber ebenfalls nie in der Adventszeit. Deswegen, so eine Sprecherin, habe man ihn nicht Christkindl-, Advents- oder Weihnachtsmarkt genannt, sondern Wintermarkt: “Der Name würde der Sache sonst nicht gerecht werden.”
Auch in Altmannstein gebe es einen Nikolausauftritt, Chöre sängen Weihnachtslieder. Außerdem könne man an den Ständen Weihnachtskrippen und ähnliches kaufen.
Kita in Kassel
Eine städtische Kita in Kassel verzichtete wegen muslimischer Kinder auf ihr Weihnachtsfest.
Frau Janz, die HNA titelte „Weihnachten fällt im Kindergarten aus“. Stimmt das?
Anne Janz: Nein, natürlich nicht. In allen städtischen Kindertagesstätten werden die mit dem Weihnachtsfest verbundenen christlichen Traditionen gelebt. Das gilt selbstverständlich auch für die Kita Sara-Nussbaum-Haus. Die Behauptung, dort falle das Weihnachtsfest regelmäßig aus, ist schlicht falsch.
Und:
Die Kritik bezog sich ja konkret auf die Kita Sara-Nussbaum-Haus. Es hieß, die Erzieherinnen dort verzichteten mit Verweis auf die unterschiedlichen Kulturen der Kinder auf christliche Rituale.
Anne Janz: Auch in der Kita Sara-Nussbaum-Haus wird, wie in allen anderen städtischen Einrichtungen, seit Jahren und auch dieses Jahr die Vorweihnachtszeit festlich gestaltet. Die Aussage, dass in den vergangenen Jahren das Weihnachtsfest ausgefallen ist, ist falsch.
In allen Gruppen gibt es einen Adventskalender, aus dem an jedem Tag ein anderes Kind ein “Geschenk” erhält. In jeder Gruppe steht ein Adventskranz, mit den Kindern wird gebastelt, die Kita wird geschmückt und auch dort werden Weihnachtsplätzchen gebacken. In einer der Gruppen wird seit mehreren Jahren in der Adventszeit ein Märchen-Theaterstück eingeübt und den Eltern bei einer Feier vorgeführt. Und der Nikolaus besuchte in den vergangenen Jahren auch die Kinder im Sara–Nussbaum-Haus.
Die Adventszeit und die Nikolausfeier finden statt und werden traditionell und adventlich begangen.
Das Weihnachtsfest an sich — also die Tage vom 24. bis 26. Dezember — feierten die Kitas in Kassel generell nicht, da sie an den Weihnachtsfeiertagen geschlossen seien, so Janz.
Vor knapp zwei Wochen, am 6. Dezember, gab es in der Kita Sara-Nussbaum-Haus ein Nikolausfest, mit Weihnachtsliedern, Nikolausgeschichte und den muslimischen Kindern, die die “Bild”-Zeitung als falschen Grund für ihre falsche Behauptung anführt.
Sechs der sieben Beispiele, mit denen “Bild” zeigen will, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden, stimmen nicht (das Beispiel mit der österreichischen Botschaft konnten wir nicht überprüfen, da wir dort niemanden erreicht haben, der uns Auskunft geben konnte). 32 Zeilen gesellschaftlicher Zündstoff, schnell mal falsch zusammengegooglet und den rechten Hetzern, den Islamhassern, den AfD- und “Pegida”-Marschierern als Futter hingeworfen.
Die 15-Jährige soll regelmäßig eine Moschee von radikalen Islamisten besucht haben, wollte angeblich nach Syrien reisen (darum “ISIS-Horror”) und steht nun im Verdacht, in Hannover einen Polizisten niedergestochen zu haben.
Aus dem Pressekodex: Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. (…) Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.
Das Foto des Mädchens hat „Bild“ (noch so eine alte Grundregel) bei Facebook besorgt, ebenso wie die meisten Fotos im Innenteil: das Mädchen im Kinderzimmer, auf einem Pferd, vor dem Eiffelturm …
Ob wenigstens das richtige Kind zu sehen ist, wissen wir nicht. Gut möglich, dass die Fotobeschaffer wieder mal im falschen Profil gewildert haben.
Allzu sorgfältig sind die “Bild”-Leute auf ihrer Fotojagd jedenfalls nicht vorgegangen, wie dieses Beispiel (ebenfalls aus dem Artikel) zeigt:
Das stimmt nicht. Das Foto zeigt keine Moschee, sondern ein Cem-Haus. Und es gehört nicht zum „Deutschsprachigen Islamkreis“, sondern zur „Alevitischen Gemeinde“ Hannovers.
Das mag für „Bild“-Redakteure eh alles dasselbe sein, ist es in der Realität aber nicht.
Im Gegensatz zum salafistischen Islamkreis in Hannover ist die alevitische Gemeinde Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz und wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Von Salafisten unterscheidet Aleviten ohnehin eine ganze Menge: Männer und Frauen beten bei ihnen gemeinsam, sie deuten den Koran nicht wörtlich und lehnen die fünf Säulen des Islam ab. Mit dem „Islamischen Staat“ verbindet sie allenfalls, dass er ihnen die Köpfe abschneiden will.
Anders gesagt: Das abgebildete Haus und die Gemeinde, zu der es gehört, haben überhaupt nichts mit dem „Terror-Mädchen“ zu tun; “Bild” bringt sie zu Unrecht mit dem “ISIS-Horror” in Verbindung.
Ein Mitglied der Gemeinde sagte uns, sie würden oft beleidigt und bedroht, weil viele Leute annähmen, sie hätten was mit Terroristen zu tun. Durch die falsche Bebilderung würden sie jetzt umso mehr zur Zielscheibe.
Bei Facebook schreibt der Vorstand der Gemeinde, er fasse dies “als bewusste Tat gegen uns auf”.
Wir würden eher auf Fahrlässigkeit tippen. Wenn die “Bild”-Zeitung die Wahl hat zwischen Sorgfalt und Schnelligkeit, entscheidet sie sich eben für Letzteres. Auch wenn sie dabei in Kauf nimmt, unbeteiligte Menschen zu Hassobjekten zu machen. Alte Grundregel.
Nachtrag, 23.15 Uhr: Wie wir gerade entdeckt haben, hat “Bild” heute eine Korrektur veröffentlicht.
Falls Sie auch nicht gleich fündig werden: Ganz oben, zwischen dem toten Wal und Sarah Connor.
Die alevitische Gemeinde schreibt dazu bei Facebook:
In der heutigen #BILD Ausgabe (05.03.2016) wurde eine Richtigstellung aufgrund der #Fotoverwechslung vom Vortag vorgenommen. Die Redaktion bedaure die Verwechslung. Die Frage ist jedoch wie es zu so einer Verwechslung kommen konnte!?
Unser Dachverband #AABF und auch die Alevitische Gemeinde #Hannover ist nun seit fast 25 Jahren im Widerstand gegen Extremismus, vor allem gegen radikalen Islamismus. Denn die Alevitische Gesellschaft kennt die Folgen extremistischer Gewalt sehr gut. Dennoch werden wir nach all den Jahren mit den Feinden der Demokratie verwechselt. Kann ein knapp verfasster Artikel das wieder gut machen?
Heute benutzen sie dafür den Fall des verurteilten Mustafa Y., der vor einem Jahr seinen Nachbarn erschossen hatte und nun wegen Mordes für zwölf Jahre ins Gefängnis muss. Bild.de schreibt:
Eigentlich steht auf Mord eine lebenslange Haftstrafe, man sei bei dem Angeklagten aber von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen, sagte der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer.
“Der Ramadan setzte ihm körperlich zu, er war dehydriert, aber es kam zu keiner Bewusstseinseintrübung.” Er stellte aber klar: “Der Ramadan hatte nicht allein Einfluss auf seine verminderte Schuldfähigkeit. Mustafa Y. war auch psychisch und physisch instabil, litt unter Depression, Angstzuständen und Schlafstörungen.”
Im Februar 2013 ist in Wiesbaden eine schwangere Frau von ihrem Ex-Freund niedergestochen worden. Die Frau und das ungeborene Kind starben, und der Mann musste sich vor Gericht verantworten. Vergangene Woche wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Eine “besondere Schwere der Schuld” erkannte das Landgericht aber nicht, damit besteht nach 15 Jahren die Chance auf Haftentlassung. Die Entscheidung begründete der Richter angeblich damit, dass der Täter, ein Deutsch-Afghane, sich “aufgrund seiner kulturellen und religiösen Herkunft in einer Zwangslage befunden” habe.
Und genau das ist für die Leute von “Bild” ein Skandal.
Drei Tage später war das Fragezeichen plötzlich verschwunden:
Da waren selbst hartgesottene Islamhasser beeindruckt. Das Hetz-Portal “Politically Incorrect” schrieb:
Ja was ist denn in die BILD am SONNTAG (BamS) gefahren? […] Gleich zwei mal packt das Springer-Blatt das heiße Thema Islam an – und zwar in einer Deutlichkeit, die es in sich hat.
Schon auf dem Titelblatt prangt die unmissverständliche Headline: “Islam-Rabatt für Jolins Mörder”. Ohne Fragezeichen!
(Der andere Islam-Artikel, über den sich “PI” mindestens genauso doll freut, ist ein “Bams”-Interview mit einem deutsch-türkischen Schriftsteller – Überschrift: “‘Islam gehört zu uns wie die Reeperbahn nach Mekka'”.)
Und ohne Fragezeichen geht es bei Bild.de auch heute weiter:
… obwohl es in der Print-Ausgabe noch da war:
Die Antwort auf die Frage ist für “Bild” natürlich eindeutig:
tatsächlich bekommen Angklagte immer wieder Islam-Rabatt!
Als Beleg listet “Bild” zahlreicheeinigeein paar genau zwei Fälle auf. Einer davon ist Ayhan S., der 2005 seine Schwester erschossen hatte und “gerade mal zu neun Jahren und drei Monaten Jugendhaft verurteilt” wurde.
Der Richter: “Eine Mischung aus fest verankerten Vorstellungen von Familien-Ehre und eigenem Islam-Verständnis trieb ihn zur Tat.”
… schreibt “Bild”, lässt aber offen, was das mit welchem Rabatt auch immer zu tun haben soll.
Der zweite Fall besitzt sogar noch weniger Aussagekraft: Dort ist nicht mal das Urteil gesprochen worden.
Daneben führt die “Bild”-Zeitung noch eine Studie des Max-Planck-Instituts an, offenbar zur wissenschaftlichen Untermauerung ihrer “Rabatt”-Theorie. Die Untersuchung habe nämlich ergeben, schreibt “Bild”, dass sich der “kulturelle Hintergrund” der Täter in “12 Prozent der Fälle […] strafmildernd” ausgewirkt habe.
Die Macher der Studie selbst kommen jedoch zu einem völlig anderen Schluss, wie im aktuellen “Spiegel” zu lesen ist:
Deutsche Strafgerichte behandeln sogenannte Ehrenmörder nicht milder als andere Beziehungstäter, sondern sogar strenger. Das ergibt eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, die demnächst erscheint. Die Forscherin Julia Kasselt hat 78 Fälle zwischen 1996 und 2005 ausgewertet, bei denen die Täter Partner oder Verwandte wegen kultureller “Ehrencodices” angegriffen hatten. [..] Das Fazit der Forscherin: “Die Justiz gibt Ehrenmördern keinen ‘kulturellen Rabatt’.”
Egal. Für die “Bild”-Zeitung ist und bleibt die Sache ein Skandal. Und die ersten empörten Politiker-Zitate hat sie auch schon aufgetrieben, was bedeutet, dass spätestens jetzt auch andere Medien aufspringen:
(bz-berlin.de)
Anders gesagt: Politiker und Journalisten empören sich über etwas, das nach neuesten Erkenntnissen überhaupt nicht existiert, das von der “Bild”-Zeitung aber mühsam herbei- und von anderen Medien blindlings abgeschrieben wird. Und als Beleg dient ihnen ausgerechnet die Studie, die eigentlich das genaue Gegenteil aussagt, was sie aber verschweigen.
Über so viel Entgegenkommen kann man sich als Moslemhasser natürlich nur freuen. “Politically Incorrect” schreibt:
“Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze”, sagte Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zehn Jahren. Wenn die oben erwähnten Artikel eine intensive und schnörkellose Debatte über die Gefahren des Islam in Deutschland auslösen, könnte die BamS vom heutigen 30. März 2014 eine nicht zu unterschätzende Katalysator-Funktion gehabt haben.
Mit Dank an Werner H. und G.K.
Nachtrag, 8. April: Siehe auch hier, hier und hier.
Es gibt in Deutschland Menschen, die nennen Moslems öffentlich “Jammertürken”, “Muselaffen”, “Muselgeier”, “Talibanfurzer”, “windelpupsende Mamasöhnchen”, “Arschhochbeter”, “Ziegenschänder”, “Eselficker” oder schlicht “Gesoxe” – und verstecken sich selbst dabei hinter Fantasienamen wie “Kreuzritter”, “RadikalDemokrat” oder “Islamophobius”.*
Und es gibt Menschen, die bieten diesen Leuten ein Forum. Die Betreiber der Internetplattform “politically incorrect” (kurz PI) sind solche Menschen. Sie nennen sich “Islamkritiker”, sind aber Islam-/Moslemhasser – und Thilo Sarrazin ist ihr Gott einer ihrer Helden.
Warum auch? Schließlich geht es darin ja scheinbar nur um die kurdischstämmige Journalistin Mely Kiyak, die in einer ihrer häufig sehr streitbaren Kolumnen (erschienen in “Berliner Zeitung”, “Frankfurter Rundschau” sowie in den Online-Ausgaben beider Zeitungen) den Buchautor Thilo Sarrazin eine “lispelnde, stotternde, zuckende Menschen-Karikatur” genannt hatte – was (angesichts der Tatsache, dass Sarrazins rechte Gesichtshälfte seit einer Tumor-OP 2004 teilweise gelähmt ist), nun ja, womöglich nicht die beste Idee der Welt war. Jedenfalls nahmen beide Zeitungen die Kolumne kommentarlos aus ihrem Online-Angebot, und die “Berliner Zeitung” druckte am Freitag sogar eine “Klarstellung”, in der Kiyak ihre Wortwahl sehr bedauert.
Aus Kiyaks “Klarstellung”:
“[…] Meine Intention war zu keinem Zeitpunkt, ihn persönlich herabzusetzen. Thilo Sarrazin erscheint als Diskutant ungewöhnlich und erfordert aufgrund seiner Sprache, Gestik und Mimik Toleranz und Rücksichtnahme. Selbst verweigert er aber diese Rücksichtnahme und Toleranz hinsichtlich Erscheinungsbild, Lebensformen, Herkunft und Disposition Anderer. Mir ging es darum, auf seine eigenen – nicht körperlich bedingten – Unvollkommenheiten in seinem Auftritt hinzuweisen; wie ich jetzt finde, mit unzulässigen Mitteln. Wenn ich den physiologischen Hintergrund gekannt hätte, hätte ich das Bild nicht gewählt. Ich bedauere das sehr! […]”
So weit, so unschön und, ja, berichtenswert – auch, wenn man bei genauerer Lektüre der “Klarstellung” erkennt, dass Kiyak sich darin, anders als “Bild” in Überschrift und Text suggeriert, mit keinem Wort entschuldigt – schon gar nicht bei Sarrazin (siehe Kasten). Aber das nur nebenbei.
Denn Kiyak schrieb weiter:
In den letzten Tagen erreichte mich allerdings auch eine gesteuerte und organisierte Beschwerdewelle, die die Grenzen der Empörung weit überschritt und sich nur noch in blankem Hass äußerte.
Wie solche “Beschwerdewellen” aussehen, hat Kiyak (aber bei weitem nicht nur sie) bereits häufiger erleben müssen und darüber sogar schon öffentlich berichtet – auch über die Auslöser: Islamhasser-Seiten wie PI nämlich dokumentieren islamhasserkritische Texte gern mit der Nennung von E-Mail-Adressen und weiteren Kontaktmöglichkeiten der Kritiker – und überlassen den Rest der geneigten Leserschaft…
“Bild” jedenfalls fasst das, was Kiyak in der “Klarstellung” schildert, dennoch (Hervorhebung von uns) als “eine angeblich ‘gesteuerte und organisierte Beschwerdewelle'” zusammen – hat dann aber noch eine weitere Kiyak-Geschichte parat:
Kürzlich attackierte sie in einem anderen Zusammenhang sogar einen ihrer Leser. BILD liegt eine E-Mail vor, die Kiyak am 18. Mai an Markus L. (Name geändert) schickte. Der hatte ihr in höflicher Sprache einen Leserbrief auf eine ihrer Kolumnen geschrieben.
Mely Kiyak schrieb L. zurück: “(…) Und auch sonst schreiben Sie so dämliche Grütze, dass man es kaum fassen kann. Als Zeitung schämen wir uns in Grund und Boden, solch einen flachgewichsten Leser wie Sie zu haben!”
Doch der Halbsatz “BILD liegt eine E-Mail vor” ist lächerlich – und irreführend: Die E-Mail (inhaltlich eher eine Art Manifest islamophober Überfremdungsängste mit persönlichen Anwürfen gegen Kiyak als Reaktion auf eine ihrer islamkritikerkritischen Kolumnen) wurde bereits vor einer Woche ins Internet gestellt – veröffentlicht auf journalistenwatch.com, einer privaten Website des Bundes-Pressesprechers der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit, die auf vielfältige Weise mit der eingangs erwähnten Islamhasser-Seite PI verbandelt ist. Und nicht nur das. Der E-Mail-Wechsel wurde vor dem “Bild”-Artikel auch auf PI (und vielen anderen, ähnlichen Websites) dokumentiert – zusammen mit zahllosen beleidigenden PI-Leserkommentaren und dem redaktionellen Hinweis: “[D]iese abartigen Ausfälle einer Mely Kiyak darf man einfach nicht unkommentiert stehen lassen. Hier der Kontakt zur Frankfurter Rundschau, die dieser moslemischen Furie eine regelmäßige Plattform bietet: (…)” Außerdem hat journalistenwatch.com sogar eine Pressemitteilung zum Thema verschickt – zufälligerweise unmittelbar vor der “Bild”-Veröffentlichung.
Dafür, dass der “Bild”-Artikel nun, so wie er veröffentlicht wurde, in der Islamhasser-Szene bejubelt wird, kann “Bild” nichts. Beifall von der falschen Seite ist leider nie völlig ausgeschlossen. Aber: Dass in dem “Bild”-Artikel selbst kein (distanziertes) Wort über das unappetitliche und menschenverachtende Umfeld steht, das Kiyaks Entgleisung hervorgerufen und überhaupt erst öffentlich gemacht hat, ja, dass “Bild” sogar den Hintergrund der ganzen Auseinandersetzung, also die kritische Berichterstattung über die Islamhasser-Szene, komplett ausblendet, kann kein Zufall sein!
Der “Bild”-Artikel über Kiyak beginnt mit den Worten:
Ich hatte das schon fast wiedervergessen, aber ich glaube, ich kenne die Antwort.
Die bislang schlüssigste Erklärung geht in etwa so: Der aus Libyen stammende und in einer Flüchtlingsunterkunft in Bernau lebende Omar A. war auf der Suche nach einer Braut. Dafür chattete er mit einer Person, die sich zumindest als Frau ausgab, aber eigentlich bei der Terrororganisation “Islamischer Staat” für Rekrutierungen zuständig war. Ein sogenannter Nachrichtenhändler verschaffte sich Zugang zu diesem inhaltlich harmlosen Chat, reicherte ihn mit erfundenen belastenden Aussagen von Omar A. an und verkaufte ihn an einen Geheimdienst. Dieser Geheimdienst leitete den Chat an die deutschen Behörden weiter, die Omar A. festnahmen und in Untersuchungshaft steckten. Der Vorwurf: Er soll einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben. Inzwischen ist Omar A., der sich von Anfang an kooperativ verhielt und beispielsweise den Ermittlern zu deren Überraschung direkt den Zugriff auf sein Handy ermöglichte, wieder auf freiem Fuß. Der Generalbundesanwalt sieht keinen dringenden Tatverdacht mehr.
Es deutet also alles darauf hin, dass Omar A. kein Terrorist ist. Den Anschlagsplan auf die israelische Botschaft scheint es nicht gegeben zu haben.
Der aus Libyen stammende Asylbewerber wurde im Oktober als mutmaßlicher IS-Unterstützer festgenommen. Auch BILD hatte groß über den Fall berichtet.
Das, was für “Bild”-Verhältnisse wie ein ausgesprochen transparenter Umgang mit dem eigenen Tun wirkt, ist tatsächlich eine sehr wohlwollende Zusammenfassung in eigener Sache, eine geradezu verklärende Darstellung. Denn während die allermeisten Redaktionen es nach der Verhaftung von Omar A. im Oktober 2024 tatsächlich schafften, von einem “mutmaßlichen IS-Unterstützer” zu schreiben, von einem “Terrorverdächtigen” zu sprechen und mit “soll” und “offenbar” zu arbeiten, gab es in den “Bild”-Medien keinen Platz für Grautöne:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)
Omar A. sei ein “Terror-Libyer” und ein “IS-Fanatiker”, war sich die “Bild”-Redaktion sicher:
Er grinst und lächelt so freundlich. Doch er ist hochgefährlich!
Selbstverständlich will “Bild” diese vermeintliche Gefahr auch zeigen. Und so besorgte sich die Redaktion bei Instagram mehrere Fotos von Omar A. und veröffentlichte sie unverpixelt, teils riesengroß:
Nicht nur über Omar A. schrieb die “Bild”-Redaktion; auch über dessen Onkel verbreitete sie Mutmaßungen, die sich inzwischen als falsch herausgestellt haben dürften. Den Mann aus Nordrhein-Westfalen brachte “Bild” für eine Radikalisierung ins Spiel, die es offensichtlich nie gegeben hat:
Ob der Onkel seinen Neffen radikalisiert haben könnte, ist bislang nicht geklärt. Fakt ist: Im Raum Bonn besuchte Omar A. auch Moscheen.
Während die Redaktion bei ihrer Suche nach weiteren Schuldigen beim Onkel also noch ein Fragezeichen setzt, legte sie sich an anderer Stelle fest. Da der Asylantrag von Omar A. schon vor längerer Zeit abgelehnt, der Mann aber bis zu seiner Verhaftung nicht abgeschoben wurde, sah “Bild” zumindest eine indirekte Mitschuld bei den zuständigen Behörden:
Eine Abschiebung nach Libyen sei zu “diesem Zeitpunkt als aussichtslos” bewertet worden. Deshalb wurde der Fall A. zunächst auch gar nicht an die für Abschiebungen zuständige Ausländerbehörde weitergeleitet.
So konnte A. in Ruhe seinen Anschlag planen …
Was er, kleines Detail am Rande, offenbar nie tat.
Obwohl die große Wendung in dem Fall nun schon mehrere Tage zurückliegt, sind bei Bild.de die Überschriften, die Omar A. fälschlich zum Terroristen erklären, weiter unverändert abrufbar.
Die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang und ihr langjähriger Partner Florian Wilsch haben geheiratet. Und das wäre auch schon die ganze Nachricht.
Doch die “Bild”-Redaktion hat einige Fotos von der Feier (oder genauer: von der Straße vor der Feier) in die Finger bekommen. Und so veröffentlichte sie in den vergangenen Tagen weltbewegende Informationen. Etwa dass Klimaaktivistin Luisa Neubauer zu den Gästen zählte. So, so. Oder dass Grünen-Politiker und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit dem Rad zur Feier kam. Schau an. Oder dass Luisa Neubauer beim Eintreffen zur Party Sandalen trug und beim Verlassen der Party Sneaker. Dinge gibt’s.
Gestern dann der vorläufige Höhepunkt des “Bild”-Irrsinns zur Hochzeitsfeier, wieder nur auf Grundlage eines Fotos:
Die “Bild”-Medien haben das Foto ohne Unkenntlichmachung veröffentlicht, die Verpixelung stammt von uns. Zu sehen sind Ricarda Lang und Florian Wilsch auf dem Rücksitz eines Taxis. Auch der Fahrer ist zu erkennen. Er trägt eine offenbar grüne Kufiya, die er um seinen Kopf gebunden hat.
Mehr weiß die “Bild”-Redaktion nicht. Sie hat keine Ahnung, wer der Mann ist. Sie weiß nicht, welche Ansichten er hat (“Wie der Fahrer politisch tickt, ist nicht bekannt.”). Sie kennt nicht seine Herkunft, nicht seine Religion, nichts. Sie weiß nur, dass er eine umgangssprachlich oft als “Palästinenser-Tuch” bezeichnete Kufiya trägt. Das reicht “Bild”, um einen Menschen vor einem Millionenpublikum als potenziell gefährlich darzustellen – man wird ja wohl noch fragen dürfen:
Befand sich Lang in Gefahr, ohne es zu wissen?
Im Bild.de-Artikel bringt die Redaktion den Taxifahrer direkt oder indirekt mit “Israel-Feinden” (“Ihr Fahrer trug ein Palästinenser-Tuch, ein Erkennungszeichen der Israel-Feinde”), “der pro-palästinensischen Szene” (“Ein Foto zeigt: Der Taxi-Fahrer der Grünen-Chefin gehört offenbar der pro-palästinensischen Szene an.”), “Israel-Hassern” (“Das Palästinenser-Tuch ist unter Israel-Hassern beliebt”), Personen, die auf propalästinensischen und antiisraelischen Protesten die Hamas feiern und den Hitlergruß zeigen, “Judenfeinden und Terror-Verharmlosern”, “Islamisten” (“Das Palästinenser-Tuch ist unter Israel-Hassern beliebt: Islamisten und Linksextreme tragen es auf den pro-palästinensischen Protesten.”) und “Antisemiten” (“Klar ist nur, dass er ein Kleidungsstück trägt, das als Erkennungszeichen von Israelhassern und Antisemiten verwendet wird.”) in Verbindung. Der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft DPolG RainerWendt darf dann noch jeglichen Ansatz von Zweifel, ob der Taxifahrer “der Szene” angehört, wegwischen:
“Jeder muss selbst entscheiden, ob er sich zu einer der Szene zugehörigen Person ins Taxi setzt.”
Ricarda Lang wollte zu all dem verständlicherweise nichts sagen:
Fühlte Ricarda Lang sich sicher? Die Grünen-Co-Chefin ließ eine BILD-Anfrage unbeantwortet.
Was bleibt einem auch übrig, wenn die eigene Hochzeit von “Bild” für Unsinnsmeldungen, Generalverdacht und Stimmungsmache missbraucht wird?
1. Die Abschreckung (zeit.de, Meike Laaff)
Viele hatten es befürchtet, jetzt ist es bittere Realität: Der Londoner High Court hat entschieden, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange nun doch in die USA ausgeliefert werden könne. Das Urteil sei “ein schlechtes Signal für die Pressefreiheit und für die Fähigkeit westlicher Demokratien, mit Whistleblowing umzugehen”, kommentiert Meike Laaf bei “Zeit Online”: “Assanges Fall taugt längst schon zur Abschreckung: Je härter er bestraft wird, desto größer ist künftig das Risiko für Quellen und Journalisten, wenn sie versuchen, Missstände aufzudecken.”
Weiterer Lesehinweis: Assange soll Schlaganfall erlitten haben (tagesschau.de).
2. Die “Skandal-Macher”: Corona und die Berichterstattung der BILD (wdr.de, Andreas Maus & Luisa Meyer, Video: 7:03 Minuten)
“Seit Monaten stellt BILD Politiker oder Wissenschaftler, die vor Corona warnen, an den Pranger und raunt von einem autoritären Staat. Wen wundert es da noch, wenn solche Schlagzeilen auch Wirkung entfalten.” Andreas Maus und Luisa Meyer zeigen, wie Deutschlands reichweitenstärkstes Medium zur Radikalisierung der Corona-Leugner-Szene beiträgt.
3. Achtung, fragile Männlichkeit (taz.de, Anne Fromm)
In der “Zeit” hatte der ehemalige “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt jüngst die Gelegenheit, in einem Interview seine Version seines Rauswurfs lang und breit unter die Menschen zu bringen. “taz”-Redakteurin Anne Fromm erklärt, warum aus ihrer Sicht das “Zeit”-Gespräch wenig geeignet sei, Klarheit zu schaffen, und sogar Risiken berge: “Ein Interview ist die am besten kontrollierbare Form für den Interviewten – kritischen Fragen kann man ausweichen, Fakten widersprechen und die eigenen Aussagen vor der Veröffentlichung weichspülen. Viele Medien interviewen deshalb AfD-Politiker*innen nicht mehr direkt, auch die Bild macht das übrigens nicht mehr. Sie berichten und recherchieren über die AfD, drucken ihre Statements, aber keine Interviews mit AfD-Politiker*innen. Weil Aussagen, vor allem gedruckte, schwer zu kontrollieren sind.”
4. “Gesichert extremistisch” (tagesschau.de, Michael Götschenberg)
Der Verfassungsschutz bewertet das als Sprachrohr der “Neuen Rechten” geltende “Compact”-Magazin nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als gesichert extremistisch. Auf eine Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios habe das Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt: “Die Compact-Magazin GmbH trägt Positionen und Aussagen in die Öffentlichkeit, die eindeutig als völkisch-nationalistisch sowie minderheitenfeindlich zu bewerten sind. Die Äußerungen enthalten wiederholt antisemitische Verschwörungsmythen und islamfeindliche Motive. Zudem sind sie durch eine Verächtlichmachung und Verunglimpfung der politischen Parteien, Politiker und Repräsentanten der Bundesrepublik gekennzeichnet.”
5. #trending: The End (meedia.de, Jens Schröder)
Nach 1.000 Ausgaben beendet Jens Schröder seinen “#trending”-Newsletter, in dem er stets lesenswerte Social-Media-Analysen präsentierte. In seinem Abschiedstext äußert sich Schröder zu den Gründen und spricht ein schwieriges Dilemma an: “Ich habe mich in vielen Phasen politischer Aufregerwellen und seit 2020 in vielen Phasen von Corona-Wellen immer wieder gefragt, ob ich dieses Missverhältnis zwischen lauter Minderheit und leiser Mehrheit durch meine Betrachtungen nicht verstärke. Die viel beschworene ‘Spaltung’ der Gesellschaft sehe ich nämlich nicht. Allenfalls einen kleinen Spalt am Rande der Gesellschaft. (…) Auf der anderen Seite gehört es eben auch zum Journalismus, diese Tendenzen in den sozialen Netzwerken zu beobachten – und sie einzuordnen.”
6. Welche Partei hat in punkto DSGVO die beste Webseite? (blog.wdr.de, Jörg Schieb)
“Wie gut halten deutschen Parteien im Bundestag geltende Datenschutzregeln auf ihren Webseiten ein?” Dieser Frage ist der Datenschutzexperte Klaus Meffert nachgegangen, der sich in seinem Blog “Dr. DSGVO” nennt. Jörg Schieb kommentiert die Ergebnisse von Mefferts Untersuchung: “Auf den Webseiten von Bundesparteien darf man zu Recht erwarten, dass die quasi selbst gemachten Regeln eingehalten werden. Genau das scheint aber nicht der Fall zu sein.”