1. “Es liegt an dir, ob sie die Kontrolle über dich bekommen” (welt.de, Doris Akrap & Daniel-Dylan Böhmer)
Nun ist es da: Das erste Interview mit “Welt”-Korrespondent Deniz Yücel, gemeinsam mit dessen Frau Dilek Mayatürk Yücel. Das lange Gespräch mit dem Journalisten, der über ein Jahr in der Türkei in Haft saß, haben Doris Akrap von der “taz” und Daniel-Dylan Böhmer von der “Welt” geführt. Auch das macht dieses Interview besonders: Akrap und Böhmer sind enge Freunde und Kollegen von Yücel und waren zwei der zentralen Personen bei den Bemühungen um dessen Freilassung.
2. “Bürgerliches Massaker” (taz.de, Reinhard Wolff)
In Dänemark werden die Öffentlich-Rechtlichen künftig nicht mehr über eine Rundfunkgebühr, sondern steuerlich finanziert. Und, wohl mit noch größeren Auswirkungen: Das Budget von “Danmarks Radio”, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, soll um ein Fünftel sinken. Die Journalistengewerkschaft des Landes spricht von einem “‘Massaker am dänischen Public-Service.'” Ebenfalls zum Thema: Silke Bigalke bei Süddeutsch.de mit Ein Fünftel weniger Budget sowie Markus Ehrenberg bei Tagesspiegel.de mit Keine Rundfunkgebühr mehr in Dänemark.
3. Nichts als die Wahrheit (sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
In den USA hat die Sekte “Scientology” seit einer Woche einen eigenen TV-Kanal. Es handele sich dabei um einen Vertreter “einer neuen Sorte von Fernsehsendern: Agenda-Medien, von denen es nicht nur in den USA immer mehr gibt. Letztlich geht es um die Frage, die Pontius Pilatus im Johannes-Evangelium an Jesus richtet: “Was ist Wahrheit?”, so Jürgen Schmieder. Sein beunruhigendes Urteil: “Das Faszinierende ist, dass es funktionieren könnte.”
4. Unwissenheit oder alles egal? In deutschen News kommt Taiwan immer wieder unter die Räder (intaiwan.de, Klaus Bardenhagen)
Klaus Bardenhagen ärgert sich über Agenturmeldungen von “AFP” und “Reuters” zum von Donald Trump unterzeichneten “Taiwan Travel Act”, die mehrere Redaktionen übernommen haben. Er beobachte drei Reflexe “vor allem bei Agenturen immer wieder, wenn es um Taiwan geht”: “Taiwans Demokratie wird ausgeblendet”, “Chinas Aggressionen werden gerechtfertigt” und “Der Fokus wird auf Trumps vermeintliche Unzurechnungsfähigkeit gelegt”.
5. Ein negatives Stück Fernsehgeschichte (medienkorrespondenz.de, Carmen Molitor)
Wer erinnert sich noch an den Skandal um die Dokumentation “Auserwählt und ausgegrenzt — Der Hass auf Juden in Europa”? Genau: Im Juni vergangenen Jahres weigerten sich “Arte” und WDR, diesen Film über Antisemitismus zu zeigen, weil er den Ansprüchen nicht genüge, so die Begründung der Sender. Letztlich zeigten sie ihn dann doch, allerdings unter sehr besonderen Umständen, teils mit erläuternden Texttafeln und korrigierenden Anmerkungen. Carmen Molitor hat jetzt, wo “der Ärger verraucht ist und die Emotionen nicht mehr hochkochen”, die Aufregung um die Doku sowie die Krisenkommunikation der Beteiligten noch einmal analysiert.
6. Expert*in verzweifelt gesucht (inkladde.blog, Nicola Wessinghage)
Dass neulich Manfred Spitzer wieder mal “seine kulturpessimistischen und unwissenschaftlichen Thesen” in einem Interview verbreiten durfte, dieses Mal im “Deutschlandfunk” zum Thema “digitales Klassenzimmer”, lässt Nicola Wessinghage fragen: “Was macht eine/n ‘Expert*in’ aus und wie findet man sie? Offensichtlich nicht so leicht, warum sonst begegnen uns in Medien so oft die immer gleichen und manchmal auch sehr fragwürdige?” Wessinghage plädiert dafür, “die Suche nach Interviewpartner*innen systematischer und professioneller anzugehen.”
1. Social Media März (pop-zeitschrift.de, Jörg Scheller & Wolfgang Ullrich)
Die Autoren Jörg Scheller und Wolfgang Ullrich haben sich den Twitter-Account des Medientheoretikers und Philosophen Norbert Bolz näher angeschaut. Und das auf interessante Weise: Das formal wie auch inhaltlich lesenswerte Gespräch könnte der Beginn eines neuen Genres von Twitter-Profil-Rezensionen sein. Im Kern gehe es bei Bolz um die Geschichte einer Radikalisierung. “In Bolz’ Tweets waltet der “Thymos”, also der von der Neuen Rechten beschworene “Zorn” und “Stolz”, in Beamtengestalt. Aus komfortabler Distanz, umhegt von Väterchen Staat, gut abgesichert durch ein unkündbares Beschäftigungsverhältnis, das Bolz all seinen Klagen über das Elend der Universitäten zum Trotz aufrechterhält.“
2. An Unglücksstellen besser nicht fotografieren (lawblog.de, Udo Vetter)
Strafrechtler Udo Vetter macht in seinem Blog darauf aufmerksam, dass das Fotografieren von hilflosen Personen an Unglücksstellen geahndet werden kann. Möglich macht dies ein eigener Straftatbestand, nämlich § 201a Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Wichtig: Bei Fotos von Unfallopfern spiele es keine Rolle, ob Rettungs- oder sonstige Einsatzkräfte behindert wurden.
3. “Die Konsumenten schauen genauer hin” (deutschlandfunk.de, Bettina Köster)
Seit 1972 kann man sich mit Beschwerden über Werbung an den “Deutschen Werberat” wenden, eine von der Werbewirtschaft eingerichtete Institution. Im Jahr 2017 gingen dort 1389 Beschwerden ein, 135 davon rügte der Rat bei den Unternehmen. Einen Großteil dieser Beanstandungen macht sexistische Werbung aus. Der “Deutschlandfunk” hat sich deshalb mit Julia Busse vom “Werberat” über geschlechterdiskriminierende Werbung, Humor und Provokation unterhalten.
4. Hat Uwe Tellkamp recht – oder nicht? (spiegel.de, Almut Cieschinger)
Almut Cieschinger von der “Spiegel”-Dokumentation hat drei von Uwe Tellkamps Dresdner Behauptungen zur Flüchtlingspolitik auf ihre Richtigkeit beziehungsweise Falschheit überprüft.
5. Beck to History (verfassungsblog.de, Andreas Fischer-Lescano)
Juristen kennen ihn seit dem ersten Semester: den nach Otto Palandt benannten Kurzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). An dem Standardwerk geht im Recht kein Weg vorbei. Doch Namensgeber Otto Palandt hat eine unselige NS-Vergangenheit, auf die der Verlag zwar mittlerweile eingeht, diese aber nicht zum Anlass nimmt, das Werk umzubenennen. Andreas Fischer-Lescano, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Uni Bremen, kritisiert den Vorgang als eine Form von Tätergedenken im Namen „aufgeklärter Erinnerungskultur“: „Zu Zwecken aufgeklärter Erinnerungskultur in Adolf Eichmann-Zügen zu reisen, Rechtsprechung in Rudolf Freisler-Justizpalästen zu üben, die Bundeswehr in Generalfeldmarschall-Rommel-Kasernen zu stationieren oder über Rudolf Heß-Plätze zu flanieren, ist ein absurder Gedanke — an den sich der Verlag offenbar allein deshalb klammert, weil er den Markennamen seines Bestsellers konstant halten möchte.“
6. Über 1.000 Menschen drohten, ihn zu töten. Freunde wandten sich ab: “Ich würde es wieder tun”, sagt Sebastian Frankenberger. (vice.com, Tim Geyer)
Wenn jemand weiß, wie es sich anfühlt, im Zentrum eines Shitstorms zu stehen, dann ist es Sebastian Frankenberger, der den Volksentscheid zum Nichtraucherschutz mit in Gang setzte. Acht Jahre sind seit der Abstimmung vergangen und immer noch trudeln bei ihm Hassbotschaften ein, darunter auch Morddrohungen. „Vice“ hat sich mit Frankenberger getroffen (natürlich in einer Raucherkneipe) und ihn gefragt, wie er mit all dem Hass umgeht.
Letzte Woche veröffentlichte Bild.de … Nee, anders!
Vergangene Woche veröffentlichte die Polizei Leipzig … Nee, noch anders!
Ende September 2017 wurde in Leipzig-Liebertwolkwitz ein BMW 730d gestohlen. Der Dieb fuhr offenbar kurz darauf auf der Bundesstraße 6 in eine Radarfalle und wurde dort fotografiert. Ein praktisches Beweismittel, das die Polizei aber nicht ohne richterliche Erlaubnis veröffentlichen durfte.
Oder in den Worten von Bild.de:
Das Blitzerfoto brauchte lange Zeit, um Ämter und Behörden zu passieren. Jetzt endlich genehmigte ein Richter die Öffentlichkeitsfahndung, ließ die Polizei aber wissen, dass diese „vorerst ausschließlich in den örtlichen Printmedien erwünscht ist und ohne Online-Medien“ erwünscht sei.
Und wie geht es im nächsten Absatz wohl weiter?
Diesem Wunsch kommt BILD nicht nach, zeigt den rasenden Autodieb natürlich auch online. Die Polizei will wissen: Wer erkennt auf dem Bild den Fahrer und kann diesen identifizieren? Hinweise an die Kripo unter Telefon: (…) oder jede Dienststelle.
(Hervorhebung im Original)
“Natürlich”.
Denn Bild.de ist, was das angeht, in Sachsen durchaus polizeibekannt. Im Oktober 2016:
Schauen Sie sich diese Frau und diesen Mann ganz genau an! Wenn Sie das Paar erkennen, rufen Sie unbedingt die Polizei (…), auch wenn diese die Online-Fahndung nach den brutalen Räubern aus Dresden “nachdrücklich” verhindern will.
“Wir bitten nachdrücklich darum, von einer Veröffentlichung im Internet einschließlich sozialer Netzwerke abzusehen”, teilte Polizeisprecherin Jana Ulbricht am Donnerstag mit. Nach ihrem Wunsch sollen nur “lokale Printmedien” über den Fall berichten.
Diesem Wunsch entspricht BILD nicht. Wir zeigen die Täter im Internet, damit diese endlich gefasst werden. Denn die Fahnder haben bereits wichtige Zeit mit erfolglosen Ermittlungsversuchen verstreichen lassen.
(Hervorhebungen im Original)
Im Dezember 2017:
Es geschah bereits am 9. August. Doch wie üblich warteten Polizei und Justiz erst einmal ab, öffentlich nach dem Täter zu suchen. Und auch jetzt — nach vier Monaten — soll die “Öffentlichkeitsfahndung” ohne breite Öffentlichkeit stattfinden und “auf die örtlichen Print-Medien beschränkt” bleiben. BILD ignoriert diese Bitte und zeigt die Fotos im Internet.
Als wir die Polizeidirektion Leipzig um eine Stellungnahme zum aktuellen Fall gebeten haben, wirkte Pressesprecher Andreas Loepki dann auch ein wenig resigniert und verwies nur auf ein Interview, das er dem Medienblog “Flurfunk Dresden” bereits im Dezember 2016 gegeben hatte — nach der oben aufgeführten “nachdrücklichen” Bitte der Polizei und der Trotzreaktion von Bild.de.
Darin erklärt Loepki ausführlich, warum die Polizei auf das sogenannte “Stufenmodell” bei der Öffentlichkeitsfahndung setzt (hat mit für Bild.de so absurden Konzepten wie “Persönlichkeitsrechten” und “Verhältnismäßigkeit” zu tun und damit, dass er “als Polizeibeamter selbstverständlich mehr Gesetze und Verordnungen beachten und anwenden muss, als andere”) und was Medienvertretern droht, die sich den Bitten der Polizei widersetzen (“rechtliche Grauzone”, “am ehesten könnte sich ein abgebildeter Tatverdächtiger wehren”).
Und er sagt auch, warum er zuvor einige Medienvertreter als “unbelehrbar” bezeichnet hatte:
Bestimmte Medienvertreter — insbesondere von Online-Medien — wurden bereits mehrfach und konstruktiv auf Sinn und Zweck des Stufenmodells hingewiesen. Dies können sie zwar einigermaßen nachvollziehen, aber aufgrund der mangelnden Konsequenzen überwiegt leider das Veröffentlichungs- bzw. Verkaufsinteresse. Hierbei wurden teilweise sogar unsere einschränkenden Worte aus der E-Mail abgedruckt und als polizeilicher Unwille dargestellt, um sich selbst zum Kämpfer für Recht und Ordnung aufzuschwingen. Da werde ich dann empfindlich und scheue auch nicht davor zurück, diesen Journalisten eine Verbalohrfeige zu erteilen, denn letztlich geht es ihnen allein um “Klickzahlen” und den Verkauf ihrer Werbebanner.
Theoretisch hat “Bild” übrigens im vergangenen Oktober mal einen Oberstaatsanwalt erklären lassen, wie so eine Öffentlichkeitsfahndung funktioniert, warum sie manchmal erst so spät erfolgt und was es dabei alles zu beachten gilt.
Das hat nur in der Redaktion in Sachsen vermutlich niemand gelesen.
1. Offene Fragen sind noch keine falschen Behauptungen (lto.de)
“Günther Jauch – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?” titelte die „Woche der Frau“. Der Fernsehmoderator setzte sich dagegen zunächst erfolgreich mit einer Gegendarstellung zur Wehr, unterlag nun aber vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Argumentation des Gerichts, stark verkürzt: Es müsse erlaubt sein, Fragen zu stellen. Fragen, die offen für verschiedene Antworten seien, könnten keinen Gegendarstellungsanspruch auslösen.
2. Klartext: Ode an die Ignoranz (heise.de, Clemens Gleich)
Clemens Gleich plädiert in seiner unterhaltsamen „Ode an die Ignoranz“ für mediale Abschottung und den Griff zum Ausschalter: „Unser Problem liegt längst nicht mehr darin, dass wir Wichtiges verpassen, im Gegenteil: Wir können das Unwichtige nicht lassen. (…) Bis wir die Technik und unsere angeborenen Verhaltensweisen wieder in eine brauchbare Balance gebracht haben, hilft uns nur die Axt der Abschottung.“
3. Facebook sperrt Britain First (zeit.de)
Die Chefs der rechtsextremen und islamfeindlichen britischen Organisation „Britain First“ sitzen seit vergangener Woche wegen Hassverbrechen in Haft. Nun hat auch Facebook die Seite von „Britain First“ gesperrt. Sie hatte zuletzt zwei Millionen Likes.
4. Sprache: Es geht nicht um das „Mitgemeintsein“ von Frauen (antjeschrupp.com)
Antje Schrupp fragt sich, warum sich unsere Kultur so vehement gegen eine Veränderung von Sprache wehrt, die Frauen sichtbar macht. „Während Frauen aufgrund des generischen Maskulinums von klein auf üben (müssen), zu unterscheiden, ob sie gemeint sind oder nicht, werden Männer daran gewöhnt, dass sie immer gemeint sind, dass es prinzipiell immer um sie geht, es sei denn, es ist ausdrücklich von Frauen die Rede.“
5. Eine Gesellschaft braucht Fiktion (taz.de, Stefan Stuckmann)
Sollen öffentlich-rechtliche Sender auch Fiktion und Unterhaltung produzieren oder sich auf Information und Nachrichten beschränken? Drehbuchautor Stefan Stuckmann ist ein unbedingter Anhänger des Fiktionalen. Oftmals würden Serien Diskurse stärker prägen als nichtfiktionale Stücke: „Serien wie „Girls“ oder „Sex and the City“ haben mehr getan für das sexuelle Selbstbewusstsein junger Frauen als jede Doku über Frauenrechte. In den USA war es kein Essay, kein Leitartikel, sondern das Musical „Hamilton“, dem die populäre Neudefinition des amerikanischen Gründungsmythos als Immigrantengeschichte gelang. Und die Serie „Black Mirror“ macht die Schattenseiten der Digitalisierung besser erfahrbar als jedes Erklärstück über russische Twitterbots.“
6. Die Drecksarbeit wird an Freiwillige outgesourct (spiegel.de, Patrick Beuth)
YouTube will verschwörungstheoretischen Videos “Wikipedia”-Links beifügen, quasi als inhaltliches Gegengewicht. Patrick Beuth hält dies für „einen Versuch, die Drecksarbeit auszulagern. In diesem Fall an die freiwilligen Wikipedia-Autoren, die ganz sicher nicht darum gebeten haben, als unbezahltes Korrektiv für eine Plattform herzuhalten, die mit extremen Inhalten extrem viel Geld verdient.“
1. Vizekanzler Strache entschuldigt sich bei Armin Wolf für “Lügen”-Posting (diepresse.com)
Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat jüngst eine Facebook-Bildertafel veröffentlicht, auf der er den ORF-Moderator Armin Wolf und den ORF selbst hart anging. (“Es gibt einen Ort, wo Lügen und Fake-News zu Nachrichten werden. Das sind der ORF und das Facebook-Profil von Armin Wolf.“) Nachdem Wolf juristische Schritte angekündigt hatte, kam es nun zu einer gütlichen Einigung: Strache entschuldigt sich bei Wolf, dieser zieht im Gegenzug seine Klage wegen Kreditschädigung, Ehrenbeleidigung und übler Nachrede zurück. Außerdem übernimmt Strache sämtliche Kosten des bisherigen Verfahrens und zahlt eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro (die Armin Wolf dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes spendet).
2. Warum ich in Talk Shows nicht über Esoterik diskutiere (scienceblogs.de/astrodicticum-simplex, Florian Freistetter)
Der Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Florian Freistetter wird immer mal wieder in Talk Shows eingeladen, in denen es um Themen wie Astrologie, Homöopathie oder Esoterik geht. Die ihm zugedachte Rolle: die des aufklärenden Wissenschaftlers. Freistetter sagt bei ihm eingehende Talk-Anfragen ab, weil er prinzipiell etwas gegen derartige Sendungen hat: „Es gibt Themen, bei denen man problemlos eindeutige Aussagen treffen kann. Und wenn das so ist, dann sollten diese Themen auch so präsentiert werden. Dann sollte man nicht künstlich den Eindruck erzeugen, dass es hier noch Diskussionsbedarf gibt. Genau das tun aber solche Talk Shows und genau deswegen will ich kein Teil davon sein.“
3. Tellkamp-Debatte: Raus aus der Opferrolle! (vorwaerts.de, Christian Wolff)
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp sieht sich nach seinen Äußerungen zur Flüchtlingsthematik („Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“) als Opfer einer angeblichen „Gesinnungsdiktatur“. Diesen Opfermythos gelt es zu entlarven, so Christian Wolff: (…) weder ein Thilo Sarrazin noch ein Uwe Tellkamp werden in Deutschland daran gehindert, ihre Ideen oder politischen Überzeugungen zu publizieren und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Nur müssen sie damit rechnen, dass sie als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auch nach ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gefragt und auch mit den Folgen ihrer Überzeugungen konfrontiert werden.“
Weiterer Lesetipp: Jemandem auf die Nase hauen und dann Aua rufen (spiegel.de, Georg Diez).
4. Den Schreihälsen den Spielplatz nehmen (zeit.de, Eike Kühl)
„Reddit“ ist eine Webseite, auf der registrierte Benutzer Inhalte einstellen, die von anderen Nutzern als positiv oder negativ beurteilt werden. Diese Bewertungen entscheiden über das Ranking des Beitrags: ob er irgendwo im Nirwana oder gar auf der Startseite landet. Naturgemäß findet man bei „Reddit“ viel Seichtes, Unterhaltendes und Virales, aber auch Verschwörungstheorien, Hass und Propaganda. Eike Kühl berichtet auf “Zeit Online” von den Anstrengungen des Reddit-Chefs, die Plattform nicht den Hatern und Verschwörungstheoretikern zu überlassen. Es ist eine Mischung aus Abwägen, Kommunizieren und Gegentrollen.
5. “Killerspiele”: Wieso Politiker Videospiele immer wieder als Sündenbock verwenden (derstandard.at, Sarah Elmer)
In Zusammenhang mit Schießereien oder Amokläufen wird immer wieder von einem angeblichen Einfluss durch Ballerspiele gesprochen. Der österreichische „Standard“ untersuchte dieses wiederkehrende Argument und sprach mit dem Historiker Eugen Pfister über das Massenmedium Computerspiele.
6. Verzeihung, Sie klauen da Daten! (taz.de, Peter Weissenburger)
Der Verband Deutscher Zeitungsverleger kritisiert die Datenschutzpläne der EU und vergisst dabei selbst den Datenschutz.
Weiterer Gucktipp: Der kurze Clip aus der Jahrespressekonferenz des “Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger”, der das Kunststück fertig bringt, einen gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen zu bringen: Deutsche Zeitschriften: Gibt auch Gegenbeispiele (uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz).
Wir müssen noch mal über den Twitter-Account @DoraGezwitscher sprechen, den “Bild”-Chef Julian Reichelt vergangene Woche retweetet hat. Das Schlimme war gar nicht, dass Reichelt Inhalte eines Accounts verbreitet, der immer wieder lügt, hetzt, desinformiert und Stimmung gegen Ausländer macht. Das kann im Twittertempo mal passieren. Erschreckend war, wie Reichelt auf die Kritik daran reagierte: Am Ende forderte er Beweise, dass hinter @DoraGezwitscher ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” steckt — kleiner geht es bei ihm nicht, bevor er zugeben könnte, dass es sich um einen ganz üblen Twitteraccount handelt.
Ob die Person (oder die Gruppe) hinter @DoraGezwitscher rechtsextrem, rechtsradikal oder Teil eines organisierten Netzwerks ist, können wir auch nicht sagen. Wir wollen Julian Reichelt aber doch noch einmal zeigen, was für eklige Inhalte in diesem Kanal auftauchen. Alle Beispiel in diesem Beitrag stammen aus 2018.
***
Der schreckliche Tod der 14-jährigen Keira in Berlin war auch bei @DoraGezwitscher Thema. Dort war zu lesen:
Doch Keira hörte nicht auf ihn. Gegen 15 Uhr schickte sie ihrem Kumpel noch ein Selfie von sich und ihrem Date per Snapchat. “Das muss auf ihrem Heimweg gewesen sein. Der Weg von der Straßenbahn zu ihrer Wohnung”, sagt er.
Bei Snapchat werden Fotos nicht gespeichert. “Wenn ich gewusst hätte, was passiert, hätte ich einen Screenshot gemacht”, so der Bekannte. Er kannte den Jugendlichen nicht. “Er trug einen blauen Kapuzenpulli mit Nike-Aufschrift, war einen Kopf größer als Keira, hatte kurze dunkelblonde Haare und trug eine Brille ohne Rahmen”, erinnert er sich.
Das Zitat, das @DoraGezwitscher veröffentlicht hat, gibt es aber tatsächlich. Es stammt nicht von Bild.de, sondern von “Anonymous News”, einer grässlichen Hetzer-Seite mit aktuellen Artikeln wie “Spiel und Spaß in Auschwitz: Fußball und Bordellbesuche — Das andere Leben der KZ-Häftlinge”, “Kulturelle Bereicherung: Wie Muslime durch traditionellen Inzest unsere Gesellschaft belasten” oder “BRD-Gesinnungsjustiz: Deutscher erhält 10 Jahre für Silvester-Böller — IS-Mörder 22 Monate Bewährung” (mit dem “Böller”-Deutschen sind die Mitglieder der rechtsterroristischen “Gruppe Freital” gemeint).
Sie sehen, Julian Reichelt: Bei @DoraGezwitscher handelt es sich um einen Account, der auf Hetz-Portale zurückgreift, der Lügen verbreitet und mit diesen Lügen Stimmung gegen Ausländer machen will.
@DoraGezwitscher hat den Tweet inzwischen gelöscht.
***
Ein weiteres großes Feindbild von @DoraGezwitscher: der öffentlich-rechtliche Rundfunk, speziell “Tagesschau” und “Tagesthemen”. Der Account twitterte unter anderem diese vermeintliche Enthüllung (ein paar Tage später noch einmal in ganz ähnlicher Form):
In dem 49-Sekunden-Video ist ein etwas kruder Zusammenschnitt eines “Tagesthemen”-Kommentars von Alois Theisen vom 10. November 2016 zu sehen. Mit Hilfe von Einblendungen behauptet @DoraGezwitscher, dass es “Zensur in der ARD Mediathek” gäbe. Theisen sagt in diesem Zusammenschnitt:
Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.
Dann erscheint eine “Tagesthemen”-Tafel, Theisen ist kurz nicht mehr zu hören und spricht dann weiter:
… biger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Das soll laut Einblendung die “zensierte Version” gewesen sein. Direkt im Anschluss kommt laut @DoraGezwitscher Theisens “Originalkommentar”:
Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Die ARD soll also wohl den Teil “Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger” rausgeschnitten haben.
Die “Tagesthemen”-Ausgabe von damals ist bei tagesschau.de noch online abrufbar. Moderatorin Pinar Atalay kündigt den Kommentar (ab Minute 14:43) mit den Worten an: “Donald Trump und den Siegeszug des Populismus kommentiert jetzt Alois Theisen vom ‘Hessischen Rundfunk'”. Und Theisen sagt dann:
Leben wir tatsächlich im Zeitalter der Lüge, wie man den vornehmer klingenden Begriff der Ära des Postfaktischen übersetzen könnte? Ich denke, es ist nur der hilflose und untaugliche Versuch, die sich häufenden unerwarteten Wahlentscheidungen zu erklären. Warum sollten sich Wähler heute leichter belügen lassen als früher? Verfügen wir nicht über mehr Informationsquellen als je zuvor? Und noch nie wurden Aussagen von Politikern so häufig und von verschiedenen Seiten überprüft wie heute.
Nein, Lügen gab es in der Politik wie im Privaten zu allen Zeiten. Wer anderes behauptet, verklärt nur die angeblich gute alte Zeit. Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Die politischen Verhältnisse entwickeln sich vielleicht anders, als es manche Meinungsmacher gerne hätten. Aber womöglich leben sie selbst im Zeitalter des Postfaktischen, sehen und verstehen die entscheidenden Fakten nicht, unter denen die Wähler leben und arbeiten. Und auch nicht ihre Sorgen, Ängste und manchmal auch Panik vor dem rasanten Wandel in der Welt.
Mit Ängsten und Stimmungen wurde auch schon immer Politik gemacht, mit der vor der Atomenergie zum Beispiel. Was dort billig war, sollte auf der anderen Seite nicht falsch sein. Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.
Keinerlei Zensur, alles noch drin.
Der Tweet von @DoraGezwitscher ist das, was man völlig zurecht “Fake News” nennen kann: eine bewusste Lüge, um eine Agenda zu verfolgen.
Meine Meinung: Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.
Die Tweets von @DoraGezwitscher sind zwar keine Satire, aber die Person hinter dem Account “versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.”
***
@DoraGezwitscher schießt mit unlauteren Mitteln nicht nur gegen Gruppen und TV-Sendungen, sondern auch gegen Einzelpersonen.
Schaut man sich das 14-sekündige Video an, sieht man, dass nicht Sookee sagt “Schieß auf AfD-Wähler mit Hohlmantelgeschossen”, sondern der von ihr interviewte MC Bogy, der damit einen seiner Texte zitiert.
Erstens: Stegers war früher beim ARD-“Faktenfinder”, wie man auch in dem Screenshot von @DoraGezwitscher lesen kann. Und zweitens: Das “Danke, liebe Antifa” ist keine Liebesbekundung an die “Antifa”, sondern das Zitat eines “Tagesspiegel”-Artikels, der exakt mit diesen Worten überschrieben ist.
Und noch ein Beispiel, das zeigt, wie verzweifelt @DoraGezwitscher nach Schmutz sucht, den man auf Mitarbeiter des ARD-“Faktenfinders” werfen kann:
Bei dem Text, den Patrick Gensing getwittert hat, handelt es sich um eine Passage aus einem Song der Band “Rantanplan”. Und noch viel wichtiger: “Spacken” hat nichts mit “spastisch behinderten Menschen” zu tun, wie @DoraGezwitscher behauptet. Es bedeutet “dumme Menschen”.
Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher verdreht, verbiegt, verschweigt Kontexte, desinformiert.
Den Tweet zu Patrick Gensing hat @DoraGezwitscher inzwischen gelöscht.
***
@DoraGezwitscher bezeichnet Deniz Yücel als Rassisten:
Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher beteiligt sich an der stramm rechten Stimmungsmache gegen Ihren Kollegen bei “Springer”.
1. Es geht nicht um verletzte Gefühle (taz.de, Peter Weissenburger)
“Bild” schmeißt die selbstproduzierten Nacktbilder aus dem Blatt. Man habe das Gefühl gehabt, „dass viele Frauen diese Bilder als kränkend oder herabwürdigend empfinden, sowohl bei uns in der Redaktion, aber auch unter unseren Leserinnen“. Peter Weissenburger kritisiert dieser Art von Begründung: „Es ist natürlich prima, wenn sich Mitarbeiterinnen und Leserinnen melden und ihren Unmut über die „Miezen“ kundtun. Nicht so prima ist, dass die Bild all die Jahre gewartet hat, um dann so zu tun, als handelten sie auf Wunsch einiger „gekränkter“ Wesen.“
Weiterer Lesetipp: Wenn Redaktionen Frauen hassen: Von „Die Frauen sind selbst schuld“ zu angezogenen Bild-Girls (genderequalitymedia.org).
2. Mord an Ján Kuciak: Slowakische Behörden tragen vermutlich Mitschuld (netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Offenbar tragen slowakische Behörden eine Mitschuld am Mord des Journalisten Ján Kuciak und dessen Lebensgefährtin. Nach Angaben des Recherchenetzwerks “OCCRP”, sollen die Behörden Daten von Kuciak an diejenigen weitergegeben haben, über die Kuciak recherchierte.
3. Sag dem Radio leise Servus (faz.net, Wolfgang Tunze)
Der digitale Hörfunk „DAB+“ kommt nach langer und zäher Entwicklung in Schwung: Immer mehr Geräte werden verkauft, während der Markt für UKW-Radios schrumpft. Wolfgang Tunze erklärt die Entwicklung der letzten Jahre, die Vorzüge der neuen Technik und warum sich Automobilhersteller lächerlich machen, wenn sie die digitale Hörfunktechnik als Sonderausstattung für mehrere hundert Euro verkaufen.
4. Nur Superhelden kennen keine Angst (sueddeutsche.de, Luise Checchin)
Canan Coşkun (30) arbeitet seit sechs Jahren als Gerichtsreporterin der türkischen Zeitung “Cumhuriyet“. Im Gespräch mit der „SZ“ erzählt sie, wie sich ihr Alltag seit dem Putschversuch 2016 verändert hat und warum sie trotzdem weiter macht. Von Deutschland und der EU erwartet sie mehr Unterstützung: „Ich denke, gegen das Unrecht in der Türkei hilft es wenig, wenn man nur Floskeln abgibt, nach dem Motto “dies und das sollte getan werden”. Wer untätig zusieht, wie woanders Böses geschieht, macht sich an diesem Bösen mitschuldig.“
Weiterer Lesetipp: “Wir müssen davon ausgehen, dass wir unter Beobachtung sind” (deutschlandfunk.de, Karin Senz im Gespräch mit Henning Hübert).
5. „Fake News“ – die EU-Kommission fragt Experten (blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Die EU-Kommission hat 39 Experten zum Phänomen „Fake News“ befragt. Einer davon: „ARD“-Nachrichtenchef Kai Gniffke. In einem kurzen Blogbeitrag berichtet Gniffke von der zehnwöchigen Arbeit in der auch von Lobbyisten durchsetzten Expertengruppe.
6. “Late Night Berlin”-Premiere: Nanu, wer stört denn da? (dwdl.de, Alexander Krei)
Klaas Heufer-Umlauf feierte am Montagabend die Premiere seiner ersten „Late Night Berlin“, doch in den Medien wird über Jan Böhmermann geredet — und das hat mit einer Werbeunterbrechung zu tun.
Zwischen Donnerstag und Samstag vergangener Woche muss irgendetwas passiert sein, das nur die “Bild”-Medien mitbekommen haben. Jedenfalls schien der am Donnerstag für “Bild” und Bild.de offenbar noch geltende Anspruch von Dieter Degowski auf Resozialisierung am Samstag aus Sicht von “Bild” und Bild.de nicht mehr zu gelten.
Degowski, einer der zwei Täter bei der Geiselnahme von Gladbeck im August 1988, ist seit dem 15. Februar dieses Jahres wieder auf freiem Fuß. Er hat seine lebenslange Freiheitsstrafe abgesessen, im Gefängnis eine Therapie absolviert, eine Ausbildung gemacht, der Rechtsausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen urteilte, dass von Degwoski keine Gefahr mehr ausgehe. Dass seine Entlassung für die Angehörigen der zwei bei der Geiselnahme getöteten Menschen wahnsinnig schmerzhaft sein kann, steht außer Frage.
Im Blatt zeigte die Redaktion ein aktuelles Foto von Dieter Degowski, das Gesicht hatte sie verpixelt.
Zwei Tage später schreibt Rainer Fromm, ein Fotograf, der für “Bild” bei dem Geiseldrama dabei war und zur Medienmeute gehörte:
Dass Fromm schreibt, Degowski sehe “noch genauso dümmlich aus wie damals” — geschenkt. Und es ist auch völlig legitim, es schwer auszuhalten und falsch zu finden, dass der einstige Geiselnehmer wieder in Freiheit leben darf, während der von ihm erschossene Emanuele De Giorgi nicht älter als 15 Jahre werden konnte. Wirklich problematisch ist, dass die “Bild”-Medien ein neues Foto von Degowski zeigen, ohne dabei sein Gesicht unkenntlich zu machen:
(Unkenntlichmachungen — auch beim Foto des blutverschmierten Emanuele De Giorgi, das “Bild” ohne Rücksicht auf Angehörige zeigt — durch uns.)
Damit könnte die Redaktion die Resozialisierung Degowskis enorm erschweren. Es ist im Interesse der Gesellschaft, dass dessen Wiedereingliederung, die jedem Ex-Häftling zusteht und die nicht von den “Bild”-Mitarbeitern nach Gutdünken mal zugelassen werden kann und mal nicht, klappt — schließlich erhöht sie die Chance, dass er nicht rückfällig wird. Für diesen Zweck hat Degowski auch die Erlaubnis bekommen, seinen Namen zu ändern. Am Donnerstag schrieb “Bild” zur Namensänderung:
Den neuen Namen bekam Degowski auch, weil befürchtet wird, dass die Mafia den Mord an dem italienischen Jungen Emanuele de Giorgi rächen könnte.
Sollte das stimmen, kennt die Mafia jetzt vielleicht noch nicht den Aufenthaltsort von Dieter Degowski und auch nicht den neuen Namen. Aber dank “Bild” und Bild.de hat sie immerhin ein aktuelles Foto.
Es gibt heute eine ganz gute Nachricht im Zusammenhang mit der “Bild”-Zeitung. Und sie kommt auch noch von der “Bild”-Redaktion selbst:
Liebe BILD-Leserinnen und -Leser,
mit der BILD-Ausgabe vom 12.03.2018 endet eine Ära, die über Jahrzehnte Boulevardzeitungen (nicht nur BILD) geprägt hat: Wir verabschieden uns von dem, was ganz früher mal “Mieze” hieß (heute undenkbar) und seit zehn Jahren BILD-Girl.
Wir werden keine eigenen Oben-ohne-Produktionen von Frauen mehr zeigen.
Man habe “zunehmend” das Gefühl, “dass viele Frauen diese Bilder als kränkend oder herabwürdigend empfinden, sowohl bei uns in der Redaktion, aber auch unter unseren Leserinnen”:
Aber natürlich dienen diese Fotos einem Hauptzweck. Sie sollen unterhalten, und zwar meistens Männer. Wir bei BILD glauben nicht, dass die Unterhaltung von Männern die Kränkung von Frauen in Kauf nehmen sollte (und natürlich auch nicht umgekehrt).
Ein wichtiges Wort fehlt in diesem Absatz natürlich: mehr. Die bei “Bild” glauben nicht mehr, “dass die Unterhaltung von Männern die Kränkung von Frauen in Kauf nehmen sollte”. Die ganzen letzten Jahre und Jahrzehnte war das offensichtlich kein Problem. Die ganzen letzten Jahre und Jahrzehnte hat “Bild” Frauen gekränkt, um Männer zu unterhalten.
Das “‘Bild’-Girl” wird es weiterhin geben, nun eben in Dessous oder sonst wie angezogen. Und es werden auch ganz sicher in Zukunft Oben-ohne-Fotos in “Bild” zu sehen sein. Die Redaktion hat sich gleich zwei Hinterscheunentore offen gehalten: Die Aussage, dass man “keine eigenen Oben-ohne-Produktionen” mehr zeigen wolle, lässt selbstverständlich die Möglichkeit zu, “Oben-ohne-Produktionen” von irgendjemandem sonst einzukaufen und zu drucken. Außerdem nennt “Bild” auch eine ganz konkrete Ausnahme:
Es gibt aber auch die Nackt-Fotos, über die das Land spricht. Kati Witt im “Playboy” war so ein Beispiel. Diese Bilder gehören auch weiter in BILD.
Es wird auf jeden Fall interessant zu beobachten, ob die “Bild”-Mitarbeiter sich auch in Zukunft wie wild auf jeden “Busen-Blitzer” von Schauspielerinnen beim Aussteigen aus dem Taxi stürzen oder Fotos verwenden werden, bei denen Paparazzi Frauen im Bikini ungeniert in den Intimbereich fotografiert haben.
Und was bringt das Anziehen der “‘Bild’-Girls” überhaupt? Der “Bild”-Sexismus steckt nicht im Offensichtlichen. Das häufige Reduzieren von Frauen auf ihr Äußeres ist unter anderem das Schlimme. Hope Hicks war “die schöne Sprecherin” von Donald Trump. Nicht die begabte oder unbegabte, die geschickte oder ungeschickte. Leonie Frank ist die “schöne Anwältin”. Nicht die fähige oder unfähige, die trickreiche oder plumpe. Ihre männlichen Kollegen können noch so schön oder hässlich sein — sie werden von “Bild” nach ihrer Leistung und ihrem Können bewertet und nicht nach ihrem Aussehen.
Besonders furchtbar: Dieses Reduzieren auf Körper und Aussehen macht die Redaktion auch schon bei minderjährigen Mädchen.
Die Initiative “StopBildSexism” hat vor einer Weile nachgeschaut, wie oft Männer und Frauen in den verschiedenen “Bild”-Themenbereichen vorkommen. Das traurige, aber wenig überraschende Ergebnis: Auf der Titelseite, in Politik und Wirtschaft sowie im Sport kommen Frauen deutlich seltener vor als Männer, im Bereich Unterhaltung ist es einigermaßen ausgeglichen, nur bei den nackt abgebildeten Personen sind Frauen in der Überzahl.
Nun gibt es bei den “Bild”-Medien ja einige Frauen in bedeutenden Positionen: Marion Horn ist Chefredakteurin bei “Bild am Sonntag”, Tanit Koch war bis vor Kurzem “Bild”-Chefredakteurin, Karina Mößbauer und Miriam Hollstein dürfen für “Bild” und “BamS” regelmäßig prominente Politiker interviewen. Wir hoffen, dass sie alle in diese Positionen gekommen sind, weil sie etwas (für den Boulevardbetrieb) Besonderes können und nicht weil sie als “die schöne Marion” oder “die schöne Tanit” oder “die schöne Karina” oder “die schöne Miriam” galten.
1. Die Methode Spitzer (spiegel.de, Christian Stöcker)
Bücher von Manfred Spitzer tragen gerne besorgniserregende, wenn nicht alarmistische Titel, ob “Cyberkrank!”, “Vorsicht Bildschirm!” oder, sein wohl bekanntestes Werk, “Digitale Demenz“. Nun sorgt Psychiater und Hirnforscher Spitzer mit „Einsamkeit“ und den angeblichen Einsamkeitsauslösern Internet und Digitales erneut für Diskussionen. „Spiegel“-Kolumnist Christian Stöcker kritisiert die „Methode Spitzer“, bei der oftmals selektiv zitiert werde und Korrelation mit Kausalzusammenhang verwechselt werden würde. „(…)es wäre doch schön, wenn wir die wirklich dringend notwendige Debatte über das, was die Digitalisierung mit uns macht, und das, was wir mit ihr anstellen, auf einer anderen, konstruktiveren Basis führen könnten als unter dem Mantra: “Selektiv ausgewählte und tendenziös interpretierte Studien zeigen, dass früher alles besser war.”
2. „Der Wahnsinn mit… (bauerwilli.com, Alois Wohlfahrt)
Das ZDF hat eine Reportage produziert, die sich mit dem Export von Weizen nach Afrika befasst („Der Wahnsinn mit dem Weizen“) und hat dazu auch „Bauer Willi“ besucht. Der Landwirt hat sich für das Filmteam viel Zeit genommen, doch nun, da die Sendung ausgestrahlt wurde, sieht er sich getäuscht und als „nützlicher Idiot“ missbraucht: „Von den guten und offenen Gesprächen bei mir auf dem Hof war nichts übrig geblieben. Statt dessen wurden Zusammenhänge konstruiert, die ich schon vorher kommentiert hatte und die ich auch heute noch für falsch halte.“
3. Der grösste Internet-Hetzer der Schweiz wohnt in einer Villa in Riehen (tageswoche.ch, Renato Beck & Gabriel Brönnimann)
Die Schweizer „TagesWoche“ hat versucht, mit dem „härtesten rechtsradikalen Troll“ Kontakt aufzunehmen. Als es endlich gelang, kniff er jedoch: „(…) der Mann, der seit Jahren ungestraft im Netz verleumdet, erniedrigt und hetzt, blockt ab, wenn man ihn auf sein Treiben anspricht. Der grösste Internethetzer der Schweiz ist kleinlaut, wenn man ihn konfrontiert. Er ist einer der härtesten Kerle, wenn er hinter seinem Bildschirm sitzt und Menschen öffentlich diffamiert. Zu seinem Tun stehen kann er nicht.“
4. Neue Welten (sueddeutsche.de, Anna von Garmissen)
Die Zukunft von Regionalzeitungen in der digitalisierten Welt ist ungewiss. Viele Zeitungen kämpfen mit Auflagenrückgängen und schwindenden Werbeerlösen. Die “Ibbenbürener Volkszeitung” stemmt sich dem Trend mit einem neuen Verkaufsmodell entgegen: Die Leser können sich ihr Wunsch-Abo aus Themenwelten zusammenstellen. Wer alle beziehen will, erhält für vergleichsweise bescheidene 15 Euro den kompletten Zugang. Anna von Garmissen hat sich das Ibbenbührener Experiment näher angeschaut und mit den Ressortleitern und Ressortleiterinnen gesprochen, die dort Kapitäne genannt werden.
5. Die Lücke im Innovationsreport der taz (medium.com, Lorenz Matzat)
Die „taz“ hat in einem lesenswerten und schonungslos offenen Report die eigenen Schwachstellen aufgedeckt. Dabei geht es u.a. um die inhaltliche Weichenstellung für die Zukunft, um gerechte Löhne für die Journalisten und verpasste Chancen bei der Digitalisierung. Datenjournalist Lorenz Matzat hat den Abschnitt über die Neugründung der „taz“ im Netz besonders aufmerksam gelesen und fragt: „Woher soll die Fähigkeit kommen, “Innovation” umzusetzen? Und ist das alles ohne intensiven Geldeinsatz, personellen Wechsel und grundlegenden Wandel möglich?“