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Franz Josef Wagner fährt mit Jogi Löw Achterbahn in der Pampa

“Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner hat einen Helden: Bundestrainer Jogi Löw. Und Helden …

Helden schicken wir nicht einfach so in die Pampa.

Soll heißen: Wagner findet, dass Löw nach der 0:6-Niederlage der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Spanien bitte, bitte nicht zurücktreten soll. In seinem heutigen Brief schreibt er:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Lieber Jogi Löw - viele erwarten, dass Sie aufgeben nach dem Spanien-Debakel. Bitte geben Sie nicht auf!

Lieber Jogi Löw,

viele erwarten, dass Sie aufgeben nach dem Spanien-Debakel. Bitte geben Sie nicht auf! Was für ein Leben wäre es für Sie, wenn Sie aufgeben? Ein Leben der Leere. Ein Einsamkeitsgrauen. Ein Leben von Gott und den Menschen verlassen.

Ein Mensch, der aufgibt, ist verloren. Ich bin verliebt in Sieger, noch mehr verliebt bin ich in Nicht-Aufgeber.

Wenn Jogi Löw sich nicht aufgibt, dann kann vielleicht die Nationalelf wieder siegen.

Jogi Löw war ein Held. Helden schicken wir nicht einfach so in die Pampa.

Herzlichst
Franz Josef Wagner

Vor gut einem Monat, am 13. Oktober, schreibt Franz Josef Wagner ebenfalls an Jogi Löw. Auch da bestimmt im Ton, inhaltlich aber etwas anders:

Wie schnell das Licht erlischt, das einmal brannte. Jogi Löw, der Weltmeister. Jogi Löw, die Stilikone im weißen, taillierten Hemd. Populärer war kein Bundestrainer.

Leider, lieber Joachim Löw, gibt es keinen Ewigkeitsruhm. Ihre Mannschaft spielt schlecht. Sie stellen schlecht auf, sie wechseln schlecht aus. (…)

Wenn mich jemand fragt, ob ich einen neuen Bundestrainer will, dann sage ich Ja.

Die Verbindung Wagner-Löw ist wie eine Achterbahnfahrt. Im März 2019 schreibt Wagner an den Nationaltrainer und über die Spieler Serge Gnabry und Leroy Sané:

Warum hat Jogi Löw die jungen tollen Spieler nicht mit zur WM 2018 nach Russland genommen?

Sein Fehler war, dass er nicht an die Jugend glaubte. Jogi Löw ist 59. Es fällt ihm schwer, alt zu sein.

Die Spieler haben ihm seine Jugend wiedergegeben. Sie sind sein zweiter Frühling.

… was aus rein biologischer Sicht ein kleines Wunder darstellt, schließlich war der Zweite-Frühling-Jogi laut Wagner eigentlich schon längst “verwelkt”. Vier Monate vor der Löw-Auferstehung, im November 2018, schreibt der “Bild”-Kolumnist:

Lieber Joachim (Jogi) Löw,

ich muss die Natur bemühen, um Sie zu beschreiben. Es gibt die Zeit, wo die Natur erblüht, und die Zeit, wo sie verwelkt. Sie befinden sich in der Zeit des Welkens. (…)

Was mich wundert, ist, dass Sie immer noch Bundestrainer sind. Eigentlich geben nach Misserfolgen Männer, Frauen ihr Amt auf. Ich mag Joachim Löw persönlich sehr. Er ist ein netter, unterhaltsamer Mann. Aber er ist eine verwelkte Blume.

Wagners aktuelle Löw-Verteidigung ist auch deshalb eine überraschende Wendung (gut, bei Wagner vielleicht nicht so ganz überraschend), weil seine Ansage im Oktober 2018 nicht klarer hätte sein können:

Jogi Löw, das ist das Ende des Traums. Wachen Sie auf und treten Sie zurück.

Und auch im Juni 2018 klang es bei Wagner so, als könnte man Helden doch “einfach so in die Pampa” schicken:

Lieber Jogi Löw,

wenn ich jetzt schreibe, dass Sie zurücktreten sollen, dann ist mein Motiv nicht Rache, Vergeltung. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie Sie jetzt weitermachen wollen. Sie sind ein geschlagener Mann.

Mit Dank an Andreas W. für den Hinweis!

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Wenn Franz Josef Wagner sich falsch an den Adidas-Gründer erinnert

Was hatten die beiden Dassler-Brüder Adolf und Rudolf auch den gleichen Nachnamen? Wie soll “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner es bei so einer komplizierten Lage hinbekommen, den einen und den anderen auseinanderzuhalten?

Wagner schreibt heute ans “Liebe Adidas”, an die Firma also, die derzeit schwer in der Kritik steht, weil sie für ihre in der Corona-Krise geschlossenen Shops im April keine Miete zahlen wolle. Adidas verteidigt sich: Es gehe nur um eine Stundung der Mietkosten.

Sowas hätte es bei Adolf “Adi” Dassler, dem Gründer von Adidas, laut Wagner jedenfalls nie gegeben:

Ein Adi Dassler hätte nie die Mietzahlungen gestrichen. Er war ein Mann, der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs kam. Wegen Fahnenflucht wurde er von der Gestapo verfolgt und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. (…)

Adidas sollte sich an seinen Gründer erinnern.

Und Franz Josef Wagner sollte sich richtig an die Geschichte der Dassler-Brüder erinnern, bevor er sowas schreibt. Denn es war nicht Adolf Dassler, der wegen Fahnenflucht von der Gestapo festgenommen und ins Konzentrationslager Dachau gebracht werden sollte, sondern dessen Bruder Rudolf, der spätere Gründer von Puma.

Selbst wenn Wagners Aussage stimmen würde, wäre es eine bemerkenswert einseitige Darstellung von Adolf Dasslers Rolle während des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Zeit in Deutschland (andere Aspekte nennt Wagner nicht). Beide Dassler-Brüder wurden 1933 Mitglieder der NSDAP. Adolf Dassler war bei der Hitlerjugend aktiv. Während des Krieges stellten die Dasslers in ihrer Fabrik für das Nazi-Regime die Panzerabwehrwaffe “Panzerschreck” her, auch unter Einsatz von französischen Zwangsarbeitern. Zu Adolf Dasslers Verhalten während dieser Zeit gehört aber auch, dass er bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin gegen alle Widerstände dafür sorgte, dass der schwarze Leichtathlet Jesse Owens in Dassler-Schuhen antreten konnte. Und im Entnazifizierungsverfahren der US-Amerikaner gab es viele Fürsprecher für Adolf Dassler, unter anderem einen jüdischen Bürgermeister, der berichten konnte, dass Dassler ihn bei sich zu Hause vor der Gestapo versteckt hatte, und einen bekannten Antifaschisten, den Adolf Dassler auch während der NS-Zeit weiterbeschäftigte.

Mit Dank an Georg und @sundrio für die Hinweise!

Nachtrag, 18:10 Uhr: Die “Bild”-Redaktion hat reagiert und die Wagner-Kolumne überarbeitet: Die Passage zum Zweiten Weltkrieg ist komplett verschwunden. Dafür gibt es nun eine “ANMERKUNG DER REDAKTION” am Ende des Textes:

In einer früheren Version des Artikels hieß es über den Adidas-Gründer: “Er war ein Mann, der aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs kam. Wegen Fahnenflucht wurde er von der Gestapo verfolgt und in das Konzentrationslager Dachau gebracht.”

Das ist falsch, die Beschreibung trifft vielmehr auf den Rudolf Dassler zu, den älteren Bruder von Adi Dassler. Rudolf Dassler gründete den Adidas-Konkurrenten Puma.

Diese transparente Korrektur ist gut. Wenn die Redaktion schon dabei ist, könnte sie auch gleich noch Wagners Behauptung korrigieren, dass “Adi” Dassler der Erfinder der Schraubstollen ist (“Adi Dassler war Zeugwart und Schuster in der Nationalelf. Er erfand den Schraubstollen.”). Laut Patent- und Markenamt gab es einige Personen, die lange vor Dassler ein Patent auf Schraubstollen angemeldet hatten.

Mit Dank an @seelengalerie und L. S. für die Hinweise!

Zum Würfeln: Post von Wagner

Zeitknappheit, Personalmangel, begrenzte Ressourcen …

Wir kennen die Probleme der Redaktionen nur allzu gut und haben dafür die Lösung: Mit unserem neuen Würfelspiel “Kurz vor Redaktionsschluss” lassen sich, jawoll, auch kurz vor Redaktionsschluss auf die Schnelle druckreife Teaser, kurze Artikel und sogar ganze Kolumnen erstellen.

Folge 1 unserer 16-teiligen Serie: Post von Wagner.

Das neue BILDblog-Würfelspiel Kurz vor Redaktionsschluss - Bild-Kolumne Post von Wagner - Schritt 1: Würfeln Sie den Adressaten - Schritt 2: Würfeln Sie die Einleitung - Schritt 3: Würfeln Sie den Hauptteil - Schritt 4: Würfeln Sie den Schlusssatz - Variante 1 - Lieber Jogi Löw, Sie stehen da wie eine Niete, die sich vor der Arbeit drückt. Ein freundlicher Mond, der das Wasser silbern blinken ließ. Wollen wir Fische sein oder wollen wir überleben? - Variante 2 - Liebe Angela Merkel, ich komme gerade von der Geburtstagsfeier eines Freundes. Ein Stein hat uns besucht. Ein Stein ohne Mitleid. Ohne Fußball wären wir ein ausgedörrter Brunnen. - Variante 3 - Liebe Bundesliga, Sie haben den Drachen besiegt. Beim letzten toten Freund war ich auf seiner Beerdigung. Ich sehne mich nach einem Regenschirm. - Variante 4 - Lieber Boris Becker, woran erinnert sich ein Baum? Kämpfen ist besser, als Ferrari zu fahren. Ich denke, dass Gott sich so eine Welt vorgestellt hat. - Variante 5 - Liebe Bundeswehrsoldaten, niemals habe ich eine Treibjagd wie gegen Sie erlebt. Man macht die Fenster zu und alles ist gut. In meiner Erinnerung höre ich es rascheln. - Variante 6 - Lieber kleiner Baby-Prinz, Sie haben einen Messermann erschossen. Jeder lebt hinter seiner eigenen Wohnungstür. Wie wärmend ist das für unsere eigene Seele.

Hier gibt es ein größeres JPG und hier ein größeres PDF zum Ausdrucken.

Am Montag folgt Ausgabe 2.

Franz Josef Wagner setzt “Hartz-IV-Familien” vor die Glotze

Bruce Springsteen hat heute Geburtstag, 70 Jahre ist der Musiker nun alt, und ist man so bekannt wie Springsteen, hat man das Pech, dass einem alle möglichen Leute gratulieren:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Hi Boss (Bruce Springsteen)

1949, heute vor 70 Jahren, wurden Sie geboren, ein Junge aus New Jersey. Vater Busfahrer, Mutter Sekretärin, Bildungschancen keine, Schule abgebrochen. Für Ihre Eltern war es normal, nicht mehr zu wollen, als vor dem Fernseher zu sitzen.

Heute würden wir sagen, Bruce Springsteen stammt aus einer Hartz-IV-Familie.

Dieser Hartz-IV-Junge ist heute der gefeiertste Rockstar aller Zeiten.

Nun könnte man sicher sehr leidenschaftlich darüber debattieren, ob Springsteen wirklich “der gefeiertste Rockstar aller Zeiten” ist, doch hier soll es um Franz Josef Wagners herablassenden Hartz-IV-Unsinn gehen.

Kaum Bildung, keine Ambitionen und ständig vor der Glotze — das macht für den “Bild”-Briefonkel offenbar eine typische “Hartz-IV-Familie” aus. Diese Vorurteile passen bestens in das verächtliche Bild von faulen “Hartz-IV-Schmarotzern”, das die “Bild”-Redaktion seit Jahren verbreitet. Dass Springsteens Eltern als Busfahrer beziehungsweise Sekretärin beide arbeiteten, schreibt Wagner zwar selbst; dass sie mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienten und wohl kaum Hartz-IV-berechtigt gewesen wären, scheint ihn bei seinem Urteil hingegen nicht weiter zu interessieren.

Wagners Behauptungen zu den fehlenden Bildungschancen und zu Springsteens Schulabbruch sind übrigens schlicht falsch. Bruce Springsteen hatte durchaus Bildungschancen und nutzte diese auch, was ihm 1967 einen High-School-Abschluss brachte. Er soll zwar nicht zur Graduiertenfeier erschienen sein, die Schule hat er aber erfolgreich beendet — im Gegensatz zu Franz Josef Wagner, der seine Abiturprüfung nie bestanden hat.

Mit Dank an Manni für den Hinweis!

Franz Josef Wagner findet diese stolzen, coolen “Mädchen” ganz toll

Es gibt einen neuen Werbespot der Commerzbank mit dem deutschen Fußballfrauennationalteam. Knapp drei Wochen vor der Weltmeisterschaft in Frankreich rechnen die Spielerinnen darin auf starke, selbstironische Weise mit den blödesten Vorurteilen ihnen gegenüber ab. Und sagen unter anderem: “Wir brauchen keine Eier. Wir haben Pferdeschwänze.”

Das sorgt natürlich für Aufsehen — sogar bei “Bild”-Briefonkel Franz Josef Wagner, der gestern schrieb:

[D]as Tolle an Eurem TV-Spot ist, dass Ihr so unglaublich frei seid. Überhaupt nicht verbissen erzählt Ihr die Geschichte des Frauenfußballs. (…)

Dieser TV-Spot erzählt von den Vorurteilen. Frauen sind zum Kinderkriegen da, gehören in die Waschküche.

Genau. Ein weiteres Klischee, das in dem 90 Sekunden langen Werbeclip eingeblendet wird: Es handele sich ja nur um “#mädchenfußball”.

Screenshot des Commerzbank-Werbespots mit eingeblendeten klischeebeladenen Tweets zum Frauenfußball. Darunter auch ein Tweet mit mädchenfußball

Und als wollte Wagner noch einmal unter Beweis stellen, wie bitter nötig dieser Spot auch heute noch ist, überschreibt er seinen Brief an die Fußballerinnen nicht etwa mit “Liebe deutsche Fußballfrauen” oder mit “Liebe Nationalelf” oder mit “Liebe DFB-Frauen”, sondern mit:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Liebe DFB-Pferdeschwanz-Mädchen

Und am Ende schreibt er:

Wir sehen wilde Mädchen. Coole Mädchen. Mädchen, die stolz darauf sind, Fußballerinnen zu sein.

Wild, cool, stolz. Aber keine Frauen, sondern nur “Mädchen”, die von einem Mann mal ein Lob bekommen.

Ganz anders sieht das aus, wenn Franz Josef Wagner den Fußballnationalspielern — also: den männlichen — schreibt. Wenn die bei der WM in Russland als Gruppenletzte ausscheiden, schreibt Wagner an die “Liebe Nationalelf”. Wenn die Spieler besonders jung sind, schreibt er an die “Liebe junge Nationalelf”. Schreibt er anderen Sportlern, etwa den Eishockeynationalspielern, steht über seinem Brief: “Liebe Eishockey-Männer”.

Schreibt er hingegen den deutschen Fußballerinnen, egal wie alt oder jung diese sein mögen, richtet er sich an die “Lieben WM-Mädels”.

Mit Dank an Olli für den Hinweis!

Von Wagner und Werther

Seit Jahren warnen Experten davor, dass die Berichterstattung über Suizide gefährlich sein, und der sogenannte Werther-Effekt zu Nachahmungstaten und somit zu weiteren Suiziden führen kann. Es gibt reichlich Forschungsergebnisse zu dem Thema. Und dennoch missachten Redaktionen diese Erkenntnisse immer wieder.

Franz Josef Wagner macht es in “Bild” heute besonders schlimm. Sein Brief richtet sich an ein 11-jähriges Mädchen, das sich das Leben genommen hat. Es wurde in der Schule offenbar heftig gemobbt. Während die Überschrift erstmal nur pietätlos ist, und Wagner aus dem tragischen Fall das boulevardesk gekoppelte “Mobbing-Mädchen” kreiert …

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Liebes Mobbing-Mädchen, 11

… ist sein Brief gefährlich. Direkt zu Beginn schreibt er:

Du bist nun dort, wo es keine Schule gibt, keine Klassenkameraden/innen, die gemein sind, Dich ärgern. Du bist dort, wie ich hoffe, wo nur Engel sind.

Und am Ende:

Die Einsamkeit des 11-jährigen Mädchens rührt uns nach ihrem Tod. Sie hat die Welt des Bösen nicht ertragen. Lebe bei den Engeln glücklich!

Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.

Der Suizid als scheinbarer Weg zum Glück und zu den Engeln; als vermeintliche Erlösung von der Qual, von der “Welt des Bösen”. Das ist exakt die Art der Berichterstattung, vor der die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” und die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention” warnen. Beide haben Leitfäden für Medien herausgegeben, in denen sie zeigen, wie Redaktionen über Suizide berichten sollten. Darin heißt es unter anderem:

In der Berichterstattung sollte alles vermieden werden, was zur Identifikation mit den Suizidenten führen kann, z.B. (…)

• den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen bzw. den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe “in den Suizid getrieben”. (“Für ihn gab es keinen Ausweg”).

• den Suizid romantisierend oder idealisierend darzustellen (“Im Tod mit seiner Liebsten vereint”).

… so die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention” (PDF). Die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” schreibt (PDF):

Nachahmung setzt Identifikation voraus. Diese Gefahr steigt, wenn: (…)

• der Suizid positiv bewertet, glorifiziert oder romantisiert wird

• der Suizid als nachvollziehbare Reaktion oder als einziger Ausweg bezeichnet wird

Die Nachahmungsgefahr sinke hingegen, wenn “der Suizid als Folge einer Erkrankung (z.B. Depression) dargestellt wird, die erfolgreich hätte behandelt werden können” und wenn “alternative Problemlösungen und Fälle von Krisenbewältigung aufgezeigt werden”.

Der gegenteilige Effekt entstehe, wenn eine Redaktion “einen Suizid auf der Titelseite oder als ‘TOP-News’ erscheinen” lasse und “die Begriffe Selbstmord, Suizid und Freitod in der Überschrift vorkommen”.

So sieht die “Bild”-Titelseite von heute aus:

Ausriss Bild-Titelseite - Mobbing bis zum Selbstmord - So erkennen Sie, ob Ihr Kind gefährdet ist

Reporter-Legende Leyendecker, Trüpels “Zitat”, Stuss-Legende Wagner

1. Hans Leyendecker: Ein Journalist blickt zurück
(ndr.de, Daniel Bouhs)
Investigativ-Journalist Hans Leyendecker kann auf ein bewegtes Reporterleben zurückblicken. Er war an der Enthüllung einiger Skandale beteiligt, darunter die Flick-Parteispendenaffäre und die “Traumschiff-Affäre” um den damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Lothar Späth. Im Gespräch mit “Zapp” schaut Leyendecker selbstkritisch und distanziert auf seine Recherchen bei “Spiegel” und “Süddeutscher Zeitung” zurück. Hier gehts zum kompletten Interview (17:48 Minuten).

2. Helga Trüpel und das Zitatrecht
(ipcl-rieck.com, Corinna Bernauer & Lars Rieck)
Das ist fast ein wenig lustig: Die Europaabgeordnete Helga Trüpel hat für die EU-Urheberrechtsreform gestimmt und danach stolz ein Foto eines “FAZ”-Artikels getwittert. Hat sie damit selbst eine Urheberrechtsverletzung begangen oder war dies durch das Zitatrecht gedeckt? Letzteres wäre nur bei wissenschaftlichen Werken gestattet und auch dort nur im erforderlichen Umfang. Der Tweet mit dem Artikelfoto war daher wohl nicht vom Zitatrecht des §51 UrhG gedeckt. Weiteres pikantes Detail: Ein Uploadfilter, wie ihn Frau Trüpel will, hätte vermutlich ihren eigenen Post gelöscht.

3. Über 1.000 nichteuropäische Nachrichtenseiten haben Europa aufgrund der DSGVO geblockt, darunter 1/3 der größten 100 US-Newspublisher
(neunetz.com, Marcel Weiss)
Die seit dem 25. Mai dieses Jahres geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verlangt von deutschen und europäischen Website-Betreibern, sich genauer mit dem Datenschutz zu beschäftigen und die Besucher über die Verwendung der Daten aufzuklären. Viele Nachrichtenpublisher außerhalb Europas haben sich die Sache leicht gemacht und ihre Präsenz für europäische Besucher gesperrt. Der Brite Joseph O’Connor hat mehr als 1000 Nachrichtenseiten ermittelt, die in Europa geblockt sind.

4. Hyperlokal, hypersozial
(taz.de, Miriam Heinbuch)
Haben Straßenmagazine in Deutschland mittelfristig eine Chance oder geraten sie in den Sog des allgemeinen Zeitungssterbens? Der Sozialforscher Ronald Lutz beobachtet die Entwicklung seit Längerem und ist skeptisch, was das Vertriebskonzept der Straßenzeitungen angeht: “Ich glaube, diese Tradition hat auch irgendwann ein Ende, hat auch eine Grenze erreicht, gerade im Zeitalter der Digitalisierung.”

5. Freien-Streik: So wird’s gemacht
(freischreiber.de)
Es kommt nicht oft vor, dass sich freie Journalistinnen und Journalisten einer Zeitung zusammentun und für bessere Bedingungen streiken. Bei der “Eßlinger Zeitung” war dies der Fall und das mit Erfolg: Das Zeilenhonorar sowie Reise- und Aufwandspauschalen wurden deutlich angehoben. Der Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten “Freischreiber” hat sich mit den Kollegen getroffen, um das Geheimnis ihres Streik-Erfolgs zu ergründen.

6. «Was auf meinem Grabstein stehen soll? Lieber du wärst tot als ich»
(verlag.baz.ch, Michael Bahnerth & Erik Ebneter)
Die “Basler Zeitung” hat sich mit Franz Josef Wagner unterhalten, der für seine in eine “Bild”-Kolumne (“Post von Wagner”) gegossenen wirren Gedanken irgendwas zwischen berühmt und berüchtigt ist. Das Gespräch hat stolze dreieinhalb Stunden gedauert. In die Niederschrift des Interviews sind einige biografische Informationen über Wagner eingebettet, der als Chef eines Revolverblatts Schlagzeilen-Pretiosen dichtete wie “Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen. Ganz Bernau ist glücklich, dass er tot ist”. Empfehlenswert für alle, die das Phänomen Wagner schon öfter kopfschüttelnd bestaunten.

Die zwei Herzen von Franz Josef Wagner

Selbstverständlich hat sich auch “Bild”-Briefchenschreiber Franz Josef Wagner zum Rücktritt von Fußballer Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft geäußert. Er schreibt in der heutigen Ausgabe und bei Bild.de:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Lieber Mesut Özil, gut, dass Sie das Hemd mit dem Adler ausgezogen haben, wir passen nicht mehr zusammen. Das eine Foto mit dem Erdogan verzeihe ich Ihnen. Da wurden Sie in einen PR-Termin hereingequatscht. Es war eine Dummheit. Es gibt nur eine unverzeihliche Sünde: die doppelte Dummheit. Sie wollen also immer noch nicht begreifen, dass Sie besser kein Pose-Foto mit einem Mann gemacht hätten, der Journalisten ins Gefängnis wirft, Zeitungen und Radiosender schließt, Justizbeamte ins Gefängnis steckt. Sie sind Fußballer. Fußballer sind nicht politisch. Fußballer haben Berater. Irgendwer sagt den Fußballern, was sie tun, was sie sagen sollen. Welcher Idiot gibt Ihnen diese irren Ideen ins Gehirn? Sie sind ein großartiger Fußballspieler. Vor Jahren schrieb ich, dass Sie einmal der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft werden würden. Goodbye, Mesut Özil. Es muss furchtbar sein, wenn man mit seinem ganzen Herzen für eine Mannschaft spielt und sein zweites Herz für ein anderes Land schlägt. Alles Gute, Sie zerissener Mesut Özil. Herzlichst, Franz Josef Wanger

Die Sache mit den zwei Herzen kommt von Mesut Özil. Bei Twitter verkündete er gestern nicht nur seinen Rücktritt aus der Nationalelf, sondern gab auch eine recht dünne Erklärung zu dem dämlichen Foto ab, auf dem er mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan posiert hatte. Er habe das Foto aus Respekt vor dem höchsten Amt des Landes seiner Familie gemacht. Das habe nichts mit Politik zu tun gehabt.

Aber eigentlich kommt die Sache mit den zwei Herzen auch von Franz Josef Wagner. Der schrieb nämlich schon in der “Bild”-Ausgabe vom 10. Juli einen Brief an Mesut Özil. Und da fand der Kolumnist es noch gar nicht so “furchtbar”, wenn einer wie Özil ein deutsches und ein türkisches Herz hat:

Ausriss Bild-Zeitung - Post von Wagner - Lieber Mesut Özil, Sie sind ein Vorbild für alle Einwanderer-Kinder, 92-facher deutscher Nationalspieler, fünfmal wurden Sie zum Nationalspieler des Jahres gewählt. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung nannte Sie einen Brückenbauer. Wenige Einwanderer-Kinder werden Anwälte, Bundestagsabgeordnete, Ärzte. Sie wurden ein Fußballstar. Ihre Großmütter, Ihre Väter verkauften Gemüse. Arbeiteten in Bergwerken. Sie heißen nicht Müller, Sie heißen Özil. In Ihrem Herzen ist die Türkei, wo Ihre Oma, Ihre Cousins leben. Haben Sie keine Angst, das alles zu sagen! Alles, was in Ihrem Herzen ist. Was ist so falsch daran, dass man zwei Herzen hat? Herzlichst, Franz Josef Wagner

Da macht Mesut Özil ziemlich genau das, was Franz Josef Wagner ihm zuvor rät: Erklären, dass er neben dem deutschen auch ein türkisches Herz hat. Und schon passen die beiden für Wagner “nicht mehr zusammen.”

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