Archiv für Juli 27th, 2021

Guten Freunden gibt man ein Komma

Als sich die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock bei ihrer Parteitagsrede im Juni verhaspelte, erst von “liberalen Feinden” sprach, sich dann schnell selbst mit “die Feinde der liberalen Demokratie” korrigierte und nach ihrer Rede offenbar “Scheiße” sagte, war das der “Bild”-Redaktion gleich mehrere Beiträge wert. Bei Gegnern suhlt sie sich in den kleinsten Fehlern, bläst sie auf, reitet auf ihnen rum.

Und bei Freunden?

Am Sonntag war Sebastian Kurz, Bundeskanzler Österreichs und Duzfreund von “Bild”-Chef Julian Reichelt, in der “Bild-TV”-Sendung “Die richtigen Fragen” zu Gast. Im Interview mit “Bild”-Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer, der auch Biograf von Sebastian Kurz ist, ging es unter anderem um die Situation in Afghanistan, das Vordringen der Taliban im Land und daraus möglicherweise resultierende Fluchtbewegungen nach Europa. Kurz sagte dazu:

Wenn Menschen fliehen müssen, dann halte ich die Nachbarstaaten wie die Türkei oder andere sichere Teile Afghanistans definitiv für den richtigeren Ort, als dass die Menschen alle nach Österreich, Deutschland oder Schweden kommen.

Nun ist die Türkei, anders als von Kurz behauptet, kein Nachbarstaat Afghanistans. Zwischen beiden Ländern liegt der nicht ganz kleine Iran. So ein Fehler kann einem natürlich mal passieren. Aber was macht die “Bild”-Redaktion daraus? Bringt sie einen Artikel nach dem anderen, in dem sie fragt, ob ein ehemaliger Außenminister nicht wissen müsste, wo Afghanistan und wo die Türkei liegen? Suhlt sie sich, bläst sie auf, reitet sie drauf rum?

Nichts dergleichen. Stattdessen ändert sie Kurz’ wörtliches Zitat und lässt damit den Fehler verschwinden. Im Bild.de-Artikel zum Auftritt des österreichischen Kanzlers bei “Bild TV” sagt Sebastian Kurz auf einmal:

Wenn Menschen fliehen müssen, dann halte ich Nachbarstaaten, die Türkei oder sichere Teile Afghanistans, definitiv für den richtigeren Ort, als dass die Menschen alle nach Deutschland, Österreich oder Schweden kommen.

Aus dem “wie” wurde wie von Zauberhand ein Komma.

Am Tag von Annalena Baerbocks Parteitagsrede waren im ZDF-“heute-journal”, das über den Grünen-Parteitag berichtete, der Versprecher und das “Scheiße” nach der Rede nicht zu sehen oder zu hören – vermutlich weil die Redaktion sie für nicht so berichtenswert hielt wie “Bild”. Die “Bild”-Redaktion war einigermaßen empört und schrieb dazu:

GRÜNEN-PARTEITAG: ZDF VERSCHWEIGT BAERBOCKS PATZER

Mit Dank an @robertwiesner und @Helge!

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Ohne AfD und Linke, Lokaljournalismus im Ahrtal, Selbstversuch Olympia

1. Warum AfD und Linke bei den Sat.1-Sommerinterviews fehlen
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Sat.1 plant politische Sommerinterviews, bei denen die beiden Oppositionsparteien AfD und Linke jedoch nicht vorkommen. Sendersprecher Daniel Rosemann begründet dies wie folgt: “Die Sat.1-Nachrichtenredaktion hat sich entschieden, mit den vier Parteien Sommer-Interviews zu führen, die nach den aktuellen Koalitionsaussagen nach der Wahl Teil einer neuen Bundesregierung sein können.” Für “DWDL”-Redakteur Timo Niemeier kommt diese Argumentation überraschend: “Zum einen, weil der Sender diesmal in Sachen AfD eine andere Argumentation wählt und sich nicht so klar gegen die Partei positioniert, wie es Rosemann noch vor wenigen Wochen tat. Und zum anderen, weil Koalitionsaussagen, die vor einer Wahl getroffen werden, danach vielleicht gar nicht halten. Ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken ist überdies gar nicht endgültig vom Tisch, weil es von keiner der Parteien ausgeschlossen wurde.”

2. Lokaljournalismus im Dauereinsatz
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 7:46 Minuten)
Die Flutkatastrophe im Ahrtal zeigt, wie wichtig gut funktionierender Lokaljournalismus ist. Seit über einer Woche berichtet die “Rhein-Zeitung” mit ihrer Lokalredaktion Ahrweiler mit zehn Reporterinnen und Reportern direkt aus dem Katastrophengebiet, unterstützt von Kräften aus der zentralen Mantelredaktion. Doch in der Region würden sich auch unseriöse Menschen tummeln, die Desinformationen streuen: Laut ZDF-Reporter Arndt Ginzel seien Mitglieder der “Querdenker”-Szene durch die Nachbarschaft gezogen und hätten fälschlicherweise erzählt, das Hochwasser sei von Bundeskanzlerin Angela Merkel geplant worden, um eine Klimadebatte zu entfachen.

3. Nürnberger Presse plant weiteren Stellenabbau
(verdi.de, Susanne Stracke-Neumann)
Schlechte Nachrichten aus Nürnberg: “Um mindestens 80 Vollzeitstellen will der Verlag Nürnberger Presse (VNP) bis Ende März 2022 die Belegschaft verkleinern. Der Verlag, der die ‘Nürnberger Nachrichten’, die ‘Nürnberger Zeitung’ und die Online-Plattform Nordbayern.de in seinem Portfolio hat, baute bereits 2019/20 nach der Verschmelzung dreier einzelner zu einer Zentralredaktion 28 Vollzeitstellen durch einen ‘freiwilligen Sozialplan’ mit Abfindungen ab.”

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4. »Ältere Menschen sind empfänglicher für Falschmeldungen«
(spiegel.de, Max Hoppenstedt & Ann-Katrin-Müller)
Fiete Stegers hat sich im Auftrag der Vodafone-Stiftung bei Faktencheckern, Forschenden, Fachjournalistinnen und Vertretern von zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Thema Desinformation umgehört. Der “Spiegel” berichtet vorab über die Befragung. Anfällig für Desinformationskampagnen seien laut den Expertinnen und Experten vor allem Menschen, die “der transportierten Botschaft ohnehin zugeneigt sind und sich durch sie bestätigt fühlen”. Außerdem spiele laut Stegers das Alter eine Rolle: “Ältere Menschen sind tendenziell empfänglicher für Falschmeldungen als junge”.

5. Absprachen ums Preisgeld?
(sueddeutsche.de)
“Get the F*ck out of my House” ist eine ursprünglich aus den Niederlanden stammende Reality-Show, die in Deutschland bei ProSieben ausgestrahlt wurde. Die Spielidee: In einem Haus werden 100 Menschen untergebracht. Wer als Letzter das Haus verlässt, bekommt die 100.000 Euro Siegprämie. Drei Jahre nach dem Ende der Sendung streiten die Kandidaten vor Gericht um das Preisgeld. Die drei Finalisten hätten verabredet, dass – egal, wer gewinnt – der Gewinner den beiden anderen 20.000 Euro abgebe. Daran, so der Vorwurf, habe sich der Gewinner jedoch nicht gehalten.

6. Olympia als 14-Stunden-Selbstversuch: Die Geisterspiele von Tokio im nächtlichen TV-Protokoll
(rnd.de, Imre Grimm)
Imre Grimm hat einen heroischen Selbstversuch unternommen und sich eine ganze Nacht durch das Olympia-Programm gezappt. Richtige Begeisterung wollte bei ihm nicht aufkommen, denn ohne Publikum fehle etwas Entscheidendes: “Das kollektive Staunen über die Grenzbereiche des Menschenmöglichen sind das Geheimnis des Events. Aber ohne Kollektiv gibt es keine kollektive Freude. Was wäre Usain Bolt ohne seine Ehrenrunden? Für wen sollte Robert Harting in einem leeren Stadion sein Trikot zerreißen? Emotionen sind der wichtigste Rohstoff internationaler Sportevents. Von 10.000 leeren Plastiksesseln aber sind keine Gefühlsaufwallungen zu erwarten. Man kann Emotionen nicht herbeibehaupten.”