Archiv für August 29th, 2018

Wie “Bild” mit falschen Überschriften den Hass auf den Islam füttert

Das Wörtchen “statt” kann ein sehr vergiftetes sein. Zum Beispiel wenn man es so falsch einsetzt wie die “Bild”-Redaktion vorgestern in ihrer Bundesausgabe …

Ausriss Bild-Zeitung - An Berliner Grundschule - Nur noch Islam-Kunde statt evangelischer Religion

… und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - An Berliner Schule - Islam-Kunde statt evangelischer Religion

Das “statt” ist in diesem Zusammenhang Unsinn. Es lässt die Leserinnen und Leser glauben, dass an einer Berliner Grundschule Islam-Kunde an die Stelle des evangelische Religionsunterrichts gerückt ist. Oder eine Ebene höher: Der Islam verdrängt das Christentum. Doch das stimmt nicht.

Tatsächlich gab es an der Teltow-Grundschule in Berlin-Schöneberg, über die die “Bild”-Medien schreiben, schon länger parallel christlichen Religionsunterricht, Islam-Kunde und Lebenskunde, wo es um Ethik geht. Die Kinder konnten mit ihren Eltern auswählen, worüber sie in zwei Schulstunden pro Woche etwas lernen möchten.

Diese Fächer werden allerdings nicht von Lehrern der Schule unterrichtet, sondern von Vertretern der religiösen oder humanistischen Träger. An der Teltow-Grundschule ist für den christlichen Religionsunterricht die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig. Und die hat seit einiger Zeit nicht mehr genug Personal, um den Unterricht an allen Berliner Schulen anzubieten, so auch an der Teltow-Grundschule.

Das wäre eigentlich auch schon die ganze Geschichte: Die Evangelische Kirche hat Personalmangel, daher können die Kinder aktuell nur zwischen Islam- und Lebenskunde wählen. Wäre da nicht ein Vater, der sich in “Bild” aufregt, dass etwas schieflaufe “‘im christlichen Abendland'”, “‘wenn in einer normalen Grundschule nur noch Islam-Unterricht, aber kein evangelischer Religionsunterricht mehr angeboten wird'”.

Sein neunjähriger Sohn habe nun “statt Religionsunterricht jeweils eine Freistunde”, schreiben die “Bild”-Medien. Das stimme allerdings nicht, wie uns die Schulleitung auf Nachfrage sagt. Der Junge und seine Eltern könnten derzeit zwischen Lebenskunde und Islam-Unterricht wählen. Auf dem Stundenplan des Kindes, den “Bild” und Bild.de zeigen, sieht man auch zumindest am Dienstag in der fünften Stunde neben dem Kürzel “Isl”, das wohl für Islam-Kunde stehen soll, auch das Kürzel “Lk”, das für Lebenskunde stehen dürfte:

Screenshot Bild.de - Stundenplan des Jungen, mit den Kürzeln Lk und Isl in der fünften Stunde am Dienstag

So richtig neu sei der Ausfall des christlichen Religionsunterrichts laut Schulleitung übrigens nicht. Das sei auch schon im vergangenen Schuljahr so gewesen, aus demselben Grund. Und die Eltern seien auch bereits früh informiert worden, etwa über die Elternvertretung.

Die Schulleitung bedauert es ebenfalls, dass der christliche Religionsunterricht derzeit nicht wie gewohnt angeboten werden kann. Sie hat schon vor einiger Zeit Maßnahmen ergriffen, damit er nicht für die komplette Schule ausfällt: Mit der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Schöneberg habe man vereinbaren können, dass diese Pfarrer schickt, die den christlichen Religionsunterricht für die Jahrgangsstufen 1 und 2 übernehmen. Für die Klassen 3 bis 6, also auch für den Jungen, dessen Stundenplan “Bild” abdruckt, werde es Projekttage zum Thema “Kinder begegnen Religionen” geben, geplant von der Evangelischen Kirche. Außerdem werde wie immer eine Weihnachtsfeier stattfinden, man werde wie immer einen großen Weihnachtsbaum aufstellen. Dass der Islam an der Teltow-Grundschule das Christentum verdrängt, kann man nun wirklich nicht sagen.

Von all diesen Bemühungen liest man in dem “Bild”-Artikel: nichts.

Immerhin schreiben auch die “Bild”-Medien, dass der Grund für den Ausfall der Personalmangel bei der Evangelische Kirche ist. Bloß: Bei Bild.de erfahren das nur die knapp 400.000 Personen, die ein “Bild plus”-Abo haben. Die anderen Millionen, die Bild.de besuchen, sehen lediglich die falsche Schlagzeile und ziehen mehr oder weniger empört weiter.

Dass die “statt”-Überschrift für Wut sorgt, kann man im Kommentarbereich auf der Facebook-Seite von “BILD News” sehen:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Wir werden noch mal aus dem eigenen Land geschmissen, wenn das so weitergeht.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Die Deutschen schaffen sich und ihre eigenen Identität ab um lieber eine andere zu leben
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Traurig aber wahr. Es gibt mehr Islamisten als Evangelisten und Katholiken. Der Islam will Deutschland besetzen! Und wenn es so weitergeht, dann schaffen die das.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Chemnitz war erst der Anfang
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Gibt bald Bürgerkrieg
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Bald sind wie Deutsche fremd im eigenen Land.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Verabschiedet euch schon mal von Deutschland. Merkel und Co treiben uns in den Abgrund. Fehlt eine bestimmte Person, die Deutschland wieder zu Deutschland macht.

Nach dem falschen Weihnachtsmarktverbot, der vermeintlichen Politiker-Forderung, im Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder zu singen, und der nächsten falschen verbotenen Weihnacht ist “Islam-Kunde statt evangelischer Religion” das nächste Kapitel in der langen “Bild”-Erzählung vom scheinbaren Einknicken Deutschlands vor dem Islam.

Sachsens Presse-Unfreiheit, Mord ist kein Beziehungs-Drama, Unstatistik

1. Angriff auf die Pressefreiheit
(zdf.de, A. Ginzel & M. Haselriederr & C. Herrmann & U. Stoll, Video, 7 Minuten)
Ob aus Kalkül oder schlichter Unkenntnis der Rechtslage: Immer wieder zeigen AfD- und Pegida-Demonstranten Journalisten an. Die Journalisten hätten durch ihre Filmaufnahmen angeblich die Persönlichkeitsrechte der Protestierer verletzt. Was ausgemachter Unsinn ist, und was eigentlich auch die Polizei wissen müsste, die sich allzu oft von rechts instrumentalisieren lässt. “Frontal 21” zeigt im neuesten Beitrag die Strategien der Rechten und das fragwürdige Verhalten der Polizei.
Weiterer Lesehinweis: “Der Deutsche Journalisten-Verband rät allen Journalistinnen und Journalisten, die über die Demonstrationen in sächsischen Städten berichten, zu besonderer Vorsicht.” (Pressemitteilung des DJV vom 28. August 2018)
Bepöbelt und bedroht wurden aktuell auch “Spiegel”-Reporter, die bei der Demonstration in Chemnitz im Einsatz waren. Zu sehen in einem eindrücklichen Video. (spiegel.de, Video, 4 Minuten)
Und außerdem: Als Flüchtling in Chemnitz: “Manche zeigen mir den Mittelfinger, während der Bus wegfährt” (krautreporter.de, Josa Mania-Schlegel)

2. Unstatistik: Chinas CO2-Ausstoss grösser als der Nordamerikas
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Manche Vergleiche sind schlicht unfair. Aktuelles Beispiel: Die Ranglisten der größten Luftverschmutzer bei “NZZ” und “NZZ am Sonntag”. Dort wird China angeprangert, aber nicht die Relation zur Bevölkerung hergestellt. Dann sieht die Sache schon ganz anders aus: In einer derartigen Vergleichsliste rangiert das Land nämlich hinter Nationen wie den USA, Deutschland oder Norwegen.

3. Massiver Gegenwind stoppt rechtslastigen “Deutschland Kurier”
(wuv.de)
Der politisch rechtslastige und der AfD-nahe stehende “Deutschland Kurier” setzt auf den Huckepack-Vertrieb über Anzeigenblätter. Die sehen sich jedoch immer mehr missbraucht und wollen sich das nicht gefallen lassen wie jüngst in Aschaffenburg: “Ja, wir werden in Zukunft etwas unternehmen, dass so etwas nicht wieder passieren wird, das kann ich Euch garantieren. Auch wir waren, als wir am Sonntag diesen “Prospekt” in unserer Zeitung sahen, mehr als entsetzt. Es entspricht in keiner Weise der Philosophie unseres Hauses, solches unsägliches Gedankengut zu verbreiten.”

4. Erste Lehren aus drei Monaten SPIEGEL+
(medium.com/@devspiegel)
Es ist recht ungewöhnlich, wenn ein großes und etabliertes Nachrichtenmedium Einblick in seine Strategien gewährt und Zahlen offenlegt. Der “Spiegel” macht dies in unregelmäßigen Abständen, aktuell mit der Bilanz von drei Monaten “Spiegel+”. Wie viele Abonnenten konnte man gewinnen? Welche (Wechsel)Angebote hat man den Lesern und Leserinnen gemacht? Über welche Werbeplattformen lassen sich die meisten Probe-Abos generieren? Die gewonnenen Einsichten sind hochinteressant, nicht nur für Mitbewerber.

5. Mord ist kein “Beziehungs-Drama“
(kattascha.de, Katharina Nocun)
Wenn Männer Frauen ermorden sprechen die Medien all zu oft von “Beziehungsdrama”, “Familientragödie” oder “Eifersuchtsdrama”. Katharina Nocun kritisiert diese Formulierungen: “Mag sein, dass das nur “Kleinigkeiten” sind. Aber in der Summe ist es eine große Sache. Es geht darum, wie wir mit Mord und Totschlag gegen Frauen im Kontext von Familien und Beziehungen umgehen. Worte wie “Beziehungsdrama” oder “Familiendrama” sind einfach fehl am Platz, wenn ein Mensch umgebracht worden ist. Punkt.”

6. Keine Angst vor E-Sport
(innovation.dpa.com, Sebastian Zilles)
Bislang wurde das Thema E-Sport bei der Nachrichtenagentur dpa nur äußerst nebensächlich behandelt, doch die Agentur tastet sich mit zunächst kleinen und dann großen Schritten voran. Sebastian Zilles berichtet über die Annäherung an das immer wichtiger werdende Thema und träumt schon mal von den nächsten Ausbaustufen.