Archiv für Februar, 2017

Falsches über einen, der sich gegen Falschmeldungen wehrt

Ziemlich häufig, wenn irgendwo ein grausiges Verbrechen passiert, das für größere Aufmerksamkeit sorgt und das mit einem Flüchtling in Verbindung gebracht werden kann, taucht in den Sozialen Netzwerken ein Foto von Anas M. auf. Nein, es taucht das Foto von Anas M. auf. Es zeigt den Syrer, wie er gerade mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Selfie macht. Dazu schriebt der User, der das Foto hochgeladen hat, dann, dass es sich bei dem gesuchten Verbrecher oder Attentäter oder Wasauchimmer eben um jenen Anas M. handelt. Die Botschaft ist klar: Schaut nur her, was Merkels Gäste hier in unserem Land so anstellen.

Jedes Mal ist das eine Lüge.

Anas M. ist kein Verbrecher und kein Terrorist. Die Leute, die das behaupten, weil sie gegen Ausländer oder Flüchtlinge Stimmung machen wollen, verleumden ihn. Das will sich Anas M. nicht mehr bieten lassen, er geht nun rechtlich gegen Facebook vor. Seine Forderung: Das Netzwerk solle von sich aus alle derartigen Inhalte suchen, finden und löschen — und nicht erst gegen einen einzelnen Beitrag vorgehen, wenn dieser als problematisch gemeldet wurde. Seit Montag läuft der Prozess vor dem Landgericht Würzburg.

Klar, dass das Interesse von Medien an der Verhandlung groß ist, wenn überall gerade über “Fake News” in Sozialen Netzwerken gesprochen wird. Bild.de berichtete zum Beispiel, verzichtete dabei allerdings darauf, Anas M. auf der Startseite Anas M. zu nennen, und machte ihn zu “Merkels Selfie-Flüchtling”:

Die Nachrichtenagentur “dpa” verschickte auch Meldungen zu dem Prozess. In einer nennt sie Anas M. konsequent falsch Anis M., was natürlich mal passieren kann. Ärgerlich ist nur, dass dieser Fehler durch die große Verbreitung der “dpa” nun bei einer Reihe von Medien zu finden ist. Bei Welt.de taucht er bespielsweise auf:

Und bei stern.de:

Und bei Merkur.de:

Ein falscher Name in Überschriften, Teasern und Texten wäre einfach nur etwas ärgerlich, auch wenn das ausgerechnet bei demjenigen passiert, der aktuell gegen Falschmeldungen über sich vorgeht. Besonders blöd ist der Fehler aber, weil er zu dieser Passage geführt hat, die in allen drei Artikeln vorkommt:

Ein anderer User behauptete, Anis M. sei der Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin. Auch das war schlicht falsch — außer demselben Vornamen teilt er nichts mit dem Terroristen Anis Amri.

Nein, nicht mal das teilt er mit ihm.

Mit Dank an Alessandro A. für den Hinweis!

Nachtrag, 9. Februar: Die “dpa” hatte den Fehler recht schnell selbst entdeckt und noch am vergangenen Freitag eine korrigierte Version an die Redaktionen geschickt. Darin auch der Hinweis: “Im Text wurde der Vorname des klagenden Flüchtlings durchgängig von Anis zu Anas rpt Anas korrigiert.” Die Textstelle mit Bezug auf Anis Amri wurde ebenfalls geändert: “Ein anderer User behauptete, Anas M. sei der Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin. Auch das war schlicht falsch — der Täter hieß Anis Amri.”

Viele Redaktionen haben ihre fehlerhaften Texte durch den korrigierten Text ersetzt. Dass die oben aufgeführten Portale dies nicht getan haben — dafür kann die “dpa” dann auch nichts.

Julian Reichelt will den “Spiegel” nicht als Quelle nennen

Anfang Januar jubelte die “Bild”-Redaktion auf ihrer Titelseite:

Ein ziemlich enges Rennen zwischen “Bild” und dem “Spiegel”, 1253 Zitate versus 1252 Zitate. Dass Redaktionen und Journalisten sich freuen, wenn Kollegen ihre “exklusiven Nachrichten, Berichte, Interviews etc.” übernehmen und — mit Nennung des Mediums, das das Exklusivmaterial veröffentlicht hat — über das gleiche Thema berichten, kann man gut verstehen.

Der “Spiegel” hat in seiner aktuellen Ausgabe unter anderem so ein Thema. Es geht um Fußballstar David Beckham:

Der Artikel gehört zur Reihe “Football Leaks”, die der “Spiegel” im vergangenen Jahr gestartet hat. Die gleichnamige Enthüllungsplattform hatte der Redaktion zahlreiche Verträge, E-Mails, Informationen aus der Fußballbranche zugespielt. Gemeinsam mit anderen Redaktionen der “European Investigative Collaborations” hat ein “Spiegel”-Team dieses ganze Material ausgewertet; nun veröffentlicht das Magazin peu à peu neue Enthüllungen.

Die Geschichte über David Beckham basiert auf Millionen E-Mails, die Hacker gestohlen haben. Sie zeigen, dass der frühere Mittelfeldspieler ganz heiß darauf war, von der Queen zum Ritter geschlagen zu werden. Und dass er ganz jähzornig und ausfallend wurde, als das nicht geklappt hat. Außerdem lassen die Mails daran zweifeln, dass Beckham sich völlig uneigennützig für “Unicef” engagiert. Vielmehr scheint dieses Engagement ein wichtiger Baustein seiner Selbstvermarktung und der wertvollen Marke “David Beckham” zu sein.

Gestern berichtete dann auch Bild.de über die Beckham-Mails:

Die “Spiegel”-Autoren Peter Ahrens, Rafael Buschmann, Jürgen Dahlkamp, Christoph Henrichs und Jörg Schmitt hätten sich sicher gefreut, wenn Bild.de ihr Magazin als Quelle genannt hätte. Stattdessen bezieht sich das Portal aber auf das britische Knallblatt “The Sun”:

In einer seiner E-Mails schrieb er dazu laut “The Sun”

“Bis es keine Ritterschaft ist, fuck off”, schrieb er laut der Zeitung “The Sun”.

In den Texten von “Spiegel”, Bild.de und “The Sun” geht es um die gleichen Aspekte zum gleichen Thema mit den gleichen Zitaten.

Einer der “Spiegel”-Autoren, Jörg Schmitt, wandte sich heute per Twitter an “Bild” und Julian Reichelt, der seit einigen Tagen nicht mehr nur Bild.de-Chefredakteur ist, sondern auch Vorsitzender der Chefredakteure der “Bild”-Gruppe:

Reichelt hatte darauf gleich so viel zu erwidern, dass er drei Tweets benötigte:

Nun hat niemand behauptet, dass “The Sun” den “Spiegel” “beklaut” hätte. Und auch die Mitarbeiter der “Sun” selbst tun wahrlich nicht so, als würde die gesamte Beckham-Story von ihnen stammen (auch wenn — und darauf bezieht sich Reichelt — das Boulevardblatt auf seiner Titelseite ein “EXCLUSIVE” gedruckt hat). Ganz im Gegenteil: “The Sun” nennt im Artikel sauber den “Spiegel” als Quelle. Das hätte auch Julian Reichelt rausfinden können, wenn er vor dem Drauflostwittern den “Sun”-Text gelesen hätte, den seine eigene Redaktion gleich zweimal verlinkt hat. Dort steht:

Und auch in all ihren anderen Artikeln zu den Beckham-E-Mails gibt “The Sun” den “Spiegel” als Quelle an. Hier zum Beispiel:

Oder hier:

Oder hier:


Oder hier:

Oder hier:

Oder auch hier:

Darauf, dass “The Sun” den “Spiegel” ordentlich zitiert hat, machte auch “Spiegel”-Redakteur Rafael Buschmann Julian Reichelt aufmerksam:

Doch den interessierte das nicht sonderlich. Stattdessen warf er seine erste Nebelkerze, den ReicheltDauerbrenner Edward Snowden:

Was jetzt genau Edward Snowden mit David Beckham zu tun hat, ist nicht ganz klar. Und seit wann der Geschmack entscheidet, von wem eine Geschichte stammt, auch nicht. Aber mit solchen Details hält sich Julian Reichelt auch nicht lange auf. Stattdessen gleich die nächste Nebelkerze:

Rafael Buschmann versucht es dann noch einmal sachlich und weist Julian Reichelt auf einen faktischen Fehler im Bild.de-Artikel hin. Dort steht nämlich, dass die Website “Football Leaks” die E-Mails von David Beckham veröffentlicht habe — was nicht stimmt. “Football Leaks” hat sie weitergeleitet, verschiedene Medien haben daraus dann Artikel gemacht:

Gebracht hat all das nichts. In dem Bild.de-Artikel wird der “Spiegel” weiterhin mit keinem Wort erwähnt.

Vor knapp drei Wochen, als bekannt wurde, dass “Bild” wegen “Inhalte-Diebstahls” gegen “Focus Online” klagt, sagte Julian Reichelt:

“Für uns geht es hier um das Wertvollste, was wir als journalistische Marke haben: unsere mit eigenen Ressourcen recherchierten Inhalte.”

Dass andere Redaktionen für ihre “mit eigenen Ressourcen recherchierten Inhalte” gerne den Credit bekommen würden — dafür hat Julian Reichelt dann aber kein Verständnis.

Weißhaus-Quatsch, Flüchtlingsframing, Prügelknabe Maischberger

1. Unfug mit Absicht
(blog.zeit.de, Yassin Musharbash)
Das Weiße Haus hat eine Liste von 78 Terroranschlägen veröffentlicht, über die die Medien angeblich zu wenig berichtet haben. Das sei Quatsch und diene nur einem Zweck, findet Yassin Musharbash im Blog der “Zeit”. Trump ginge es um nichts weniger als Zersetzung.
Der für die “Welt” arbeitende Kritsanarat Khunkham hat sich die Mühe gemacht und ist das Artikelarchiv der „Welt“ nach den 78 gelisteten Anschlägen durchgegangen. Das Ergebnis: Fast immer wurde berichtet: Wie die „Welt“ über Trumps „under-reported“ Terroranschläge berichtete Und auch Nikolaus Piper greift die Behauptung in seinem lesenswerten “SZ”-Beitrag Die “New York Times”, Donald Trumps Lügendetektor auf.

2. Willkommen oder kriminell? Framing von Einwanderern
(de.ejo-online.eu, Anna Carina Zappe)
In den Medien werden Einwanderer als willkommene Flüchtlinge bis hin zu gefährlichen Kriminellen dargestellt. Eine neue Studie hat 371 Artikel der Tageszeitungen “Welt”, “FAZ”, “Süddeutsche Zeitung” und “taz” aus dem Jahr 2014 untersucht. Politisch eher konservativ orientierte Zeitungen wie “FAZ” und “Welt” würden mehr negative “Frames” verwenden, während Einwanderer in der “SZ” und “taz” eher mit positiven Begriffen “geframet” würden.

3. Wir Prügelknaben
(zeit.de, Thomas Fischer)
Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und Urheber der erfolgreichen “Zeit”-Kolumne “Fischer im Recht”. Neulich war er Talkgast in der Sendung “Maischberger”. Die Sendung hatte das Thema “Polizisten: Prügelknaben der Nation?” Fischer hat einen Erlebnisbericht über seinen Besuch in der Fernsehsendung verfasst. Wie immer lässt er es an Deutlichkeit nicht vermissen: “Mir schien: Redaktion und Moderatorin verfügten weder über ein Konzept, noch hatten sie einen Plan oder Grundkenntnisse des Themas Polizei und öffentliche Sicherheit. Der Regie-Einfall bestand darin, irgendwelche Leute zusammenzusetzen in der Hoffnung, dass die sich gegenseitig missverstehen, anschreien und beleidigen.”

4. Veracruz: Journalismus im Staat der Angst
(reporter-ohne-grenzen.de)
In Mexiko wurden in den vergangenen 16 Jahren mindestens 99 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet, so “Reporter ohne Grenzen”. Damit sei Mexiko bis auf das Jahr 2013 stets das gefährlichste Land für Journalisten in Lateinamerika gewesen. Donald Trumps Angriffe gegen die Medien und seine Abschottungspolitik würden nicht nur die Freiheit in den USA gefährden. Gefährlich seien seine Äußerungen auch für Journalisten in Mexiko, die aus Angst um ihr Leben oft in das nördliche Nachbarland fliehen. Gefangen zwischen einem repressiven Staat, gewalttätigen Drogenhändlern und einem korrupten Justizsystem, blieben sie vor allem in der ostmexikanischen Provinz Veracruz auf sich allein gestellt.

5. Alles kann, nichts muss
(sueddeutsche.de, Cornelius Pollmer)
Cornelius Pollmer hat sich Springers neues Jugendportal “Noizz” angeschaut. Große Begeisterung kommt bei ihm nicht auf. Die Internetseite “sediert Millennials mit Klebeband-Bikinis und Rucola-Burgern. Hauptsache, man leiert der Laufkundschaft Klicks aus dem Kreuz. Das politische Weltgeschehen ist der Seite egal, jeglichen Diskurs scheint sie regelrecht zu verachten.”

6. [Rückwärts] – [sträwkcüR]
(mdr.de, Lukas Heinser)
Lukas Heinser (treuen BILDblog-Lesern als langjähriger BILDblog-Autor und Chefredakteur bekannt) schaut in kurzen und unterhaltsamen Videoclips auf die Entstehung von Nachrichtenmeldungen in Print- und Onlinemedien. Wir habens gemocht, aber wir mögen ja auch den Lukas und sind deshalb vielleicht etwas befangen.

Bild.de widerlegt sich innerhalb von sechs Zeilen selbst

Große Schlagzeile vergangene Woche bei Bild.de:

Viele gesicherte Informationen zu dem Fall gab es noch nicht, als die Redaktion von Julian Reichelt ihren Artikel veröffentlichte: Dass eine tote Frau nackt und gefesselt in einem Flussbett lag. Dass es eine 55-jährige Deutsche sein soll. Und dass die Frau als Touristin auf Bali war. Steht so ja auch in der Überschrift.

In Zeile sechs desselben Artikels schreibt Bild.de:

Mit Dank an Harald C.-H., Ulrich K. und Florian M. für die Hinweise!

Die ungeschriebenen Gesetze des Journalismus – nun aufgeschrieben

Der Pressekodex sieht vor, dass Journalisten die Wahrheit achten, die Menschenwürde wahren und die Öffentlichkeit wahrhaftig informieren. Das steht ganz am Anfang des Regel-Katalogs. Alles weitere wird unter 16 Ziffern in aller Ausführlichkeit erklärt. Und dann gibt es noch ein paar ungeschriebene Gesetze, die man eigentlich auch noch anfügen wollte, aus zwei Gründen aber doch weggelassen hat. Zum einen dachten die Verfasser: Diese Regeln kennt ja nun wirklich eh jeder Journalist. Zum anderen war es schon Freitag und gerade 14 Uhr durch.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jörg Homering-Elsner “Bauchchirurg schneidet hervorragend ab — Perlen des Lokaljournalismus”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Inzwischen gibt es Zweifel daran, ob diese Entscheidung richtig war. Heute würden viele Menschen lieber einem mehrfach vorbestraften Trickbetrüger ihre gesamten Ersparnisse anvertrauen als einem Journalisten eine wichtige Information. Um das Vertrauen zurückzugewinnen, müssen Journalisten die Regeln, nach denen sie arbeiten, transparent machen. Und weil alle anderen Kollegen gerade mit “wichtigen Recherchen” beschäftigt sind, blieb am Ende nur ich für diese undankbare Aufgabe.

Leider kenne ich selbst gar nicht alle ungeschriebenen Gesetz und auch nicht die richtige Reihenfolge. Daher kann ich hier nur einige vorstellen. Aber ein Kollege sagte mir: Vieles kann man sich herleiten, wenn man nur einfach mal hinsieht. Und das stimmt. Diese Regel hier ist nun ziemlich offensichtlich:

Leser sind grundsätzlich nicht in der Lage, die Qualität des vor ihnen liegenden Produkts selbst zu erkennen. Deswegen muss man sie auf vorhandene Qualität hinweisen, wo immer es möglich ist. Wichtig: Vorhandene Qualität ist keine Voraussetzung für den Hinweis. Und: Der Hinweis kann auf unterschiedliche Weise erfolgen:

a) durch vom eigenen Haus, Berufsverbände oder andere Institutionen in Auftrag gegebene Studien, die absichtlich oder zufällig zu dem Ergebnis kommen, dass Print-Produkte sich weiterhin größter Glaubwürdigkeit und Beliebtheit erfreuen. Bei Studien mit einem gegenteiligen Ergebnis ist im Sinne des Pressewesens von der Veröffentlichung abzusehen.

b) durch den Hinweis auf Exklusivität. Wenn Journalisten früher als andere an eine Information gelangen, sollten sie das unabhängig von der Wichtigkeit der Information deutlich hervorheben. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Leser den Hinweis erst bei der dritten Erwähnung wahrnehmen. Daher sollte sichergestellt sein, dass im Text ausreichend oft auf die Exklusivität hingewiesen wird.

Man muss allerdings dazusagen: Dieses Forschungsergebnis ist höchst umstritten. Viele Journalisten wissen das und beschränken sich daher in ihren Artikeln nicht auf die empfohlenen drei Erwähnungen.

Neben diesem sehr allgemeinen ehemals ungeschriebenen Gesetz gibt es aber auch sehr spezielle Regeln. Zum Beispiel diese hier:

Wenn ein Pressesprecher, der mit vollem Namen im Text erscheint, während des Gesprächs den Satz gesagt hat “Aber das haben Sie jetzt nicht von mir”, dann ist der Journalist dazu angehalten, die nach dem Satz gesagte Information im Artikel unterzubringen, und zwar unter Verweis auf “Insider-Kreise”.

Das ist aus gleich mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen liegt diese Erwähnung im Interesse des Verlages, denn durch den Eindruck, der Journalist hätte die Fakten in einer umfangreichen Recherche bei top-geheimen Quellen verifiziert, gewinnt sein Artikel an Glaubwürdigkeit. Und das bei gleichbleibenden Kosten. Das sichert die Existenz des Unternehmens und damit auch die des im Interesse des Gemeinwohls stehenden Pressewesens.

Gleichzeitig — und das darf man hier auch ruhig erwähnen — hat es angenehme Nebeneffekte für den Journalisten. Sein Ansehen unter Lesern und Kollegen wächst. Und das bei gleichbleibender Arbeitszeit. Die Kollegen, die wirklich mit top-geheimen Quellen sprechen, bringen ihre Informationen nämlich auf die gleiche Weise in ihren Artikeln unter, gehen aber zwei Stunden später nach Hause. Das wiederum schadet dem Verlag, denn früher oder später fallen sie mit der Diagnose Burnout für mehrere Wochen aus, während ihre Bezüge weiter fällig werden.

Vor allem diese Regel macht deutlich, dass Journalisten heute auch wirtschaftliche Verantwortung tragen. In ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Allgemeinheit sind sie dazu verpflichtet, sich selbst zu einer Marke zu transformieren. Darauf zielt das folgende in diesem Augenblick noch ungeschriebene Gesetz ab:

Mit der Nominierung zu einem Journalistenpreis, dem Beginn eines Buchprojekts oder der schriftlichen Zusage für ein beliebiges Stipendium (möglichst im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit) tritt unverzüglich die zeitgeschichtliche Bedeutung des Journalisten ein. Dadurch ergibt sich unmittelbar die Notwendigkeit eines eigenen “Wikipedia”-Eintrags. Wenn sich niemand dazu bereiterklärt, einen solchen zu verfassen, ist der Journalist selbst dazu verpflichtet, dies zu übernehmen. Im Falle von bedeutsamen Ereignissen (Auslandsaufenthalte, weitere Nominierungen, kontroverse Meinungen zu irgendwelchen Themen) hat der Journalist die Pflicht, seinen Eintrag innerhalb eines Tages zu aktualisieren.

Die erschreckend geringe Anzahl von Journalisten mit eigenem Wikipedia-Eintrag zeigt, dass einige der ungeschriebenen Gesetze, anders als von den Verfassern des Pressekodexes angenommen, noch immer erstaunlich unbekannt sind.

Andere dagegen haben sich erfreulicherweise etabliert, ohne je niedergeschrieben worden zu sein. Zum Beispiel das heute in nahezu jeder Redaktion bekannte Gesetz vom Texteinstieg bei einem vertrauten Ereignis:



Die goldene Regel zur Ereignissimulation in statischen Gesprächssituationen:




Und, vielleicht am bekanntesten von allen bis gerade noch ungeschriebenen Gesetzen: das Gebot vom ersten Satz einer Ärgernis-Berichterstattung in Verbindung mit dem Geheiß einer nachgestellten Verstärkung.









Keine rauchenden Colts, Merkelselfie, Linken-Fake-News

1. Keine “Smoking Gun” aus Russland
(tagesschau.de, Georg Mascolo)
Die Kanzlerin persönlich hätte nach der Antwort auf die Frage verlangt, ob die russische Regierung versucht, die öffentliche Meinung in Deutschland zu manipulieren. Und so ermittelten BND und Verfassungsschutz fast ein Jahr bis sie nun einen Bericht vorlegten. Nach Informationen von “NDR”, “WDR” und “Süddeutscher Zeitung” hätten sich keine eindeutigen Beweise für eine russische Desinformationskampagne gefunden. Entwarnung gebe man jedoch nicht, so Georg Mascolo auf “tageschau.de”: “Das Kanzleramt ordnete an, die Sache weiter zu untersuchen. Denn aus der schwierigen Suche nach den Beweisen lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Entweder gibt es den vermuteten Angriff durch Russland nicht. Oder die russischen Dienste sind schlau genug, sich nicht erwischen zu lassen. Die deutschen Agenten neigen eindeutig zur zweiten Version.”

2. “Ein mieses Thema”
(sueddeutsche.de, Marc Hairapetian)
Harald Lesch ist Professor für Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im ZDF moderiert er die Sendereihe “Leschs Kosmos” und bringt dort seit nun 100
Folgen Themen aus Medizin, Gesellschaft oder Ökologie an sein Publikum. Im Gespräch mit der “SZ” verrät er, wie man Wissen im Fernsehen vermittelt. Eine “Rampensau” müsse man sein: “Im Studio ist es gut, wenn der Typ, der da vorne steht, es gern macht und es auch den anderen Vergnügen bereitet, mit ihm zusammenzuarbeiten.”

3. Digital ist besser: Jetzt fangen auch noch die Linken mit den Fake News an
(wired.de, Johnny Haeusler)
“Wired”-Kolumnist Johnny Haeusler war es bislang nur gewohnt, dass sich vornehmlich Rechte an der Verbreitung von Fake News beteiligen. Nun seien aber auch liberaler Denkende dabei und würden damit Geld in die Taschen der Produzenten spülen, denn, so Haeusler: “Die meisten Fake News sind weder News noch Meinung, sondern Werbeformate.”

4. Das Merkel-Selfie und die Wundermaschine
(spiegel.de, Fabian Reinhold)
Der 19 Jahre alte Syrer Anas Modamani erlangte eine gewisse Berühmtheit mit einem Selfie von sich und Bundeskanzlerin Merkel, das er in den ersten Wochen als Flüchtling in Deutschland aufgenommen hatte. Das Bild mit der positiven Message ging um die Welt, wird auf Facebook jedoch auch immer wieder für Hetze und Verleumdungen missbraucht. Dagegen will er nun mit Hilfe seines Anwalts vorgehen und bei Facebook eine Löschung der verleumderischen Fotomontagen bewirken. Kein leichtes Unterfangen, denn die Gegenseite hat Top-Anwälte und die Richter sind nicht auf Facebook…

5. Freiraum statt Formate
(taz.de, Paul Wrusch)
Beim Münchener Ausbildungsradio “M94.5” haben über 2.500 junge Menschen ihr Handwerk gelernt, doch jetzt droht dem Sender der Entzug der UKW-Frequenz. Die “Bayerische Landesanstalt für neue Medien” (BLM) will diese anscheinend gewinnbringend veräußern. Die “94.5”-Macher befürchten nun die Marginalisierung: sie wären dann nur noch digital oder übers Internet zu empfangen.

6. So natürlich: Dresden wie es singt und lacht
(uebermedien.de, Mats Schönauer, Boris Rosenkranz, Video 2:00 Minuten)
Der “MDR” hat live vom Semperopernball in Dresden berichtet. “Übermedien” hat die authentischsten Momente extrahiert, um vorzuführen wie natürliche Lebensfreude und ungezwungene Geselligkeit funktionieren …

Bild.de hat einen falschen Vogel

Das ist aber auch knifflig mit den Sportteams aus Atlanta. Da gibt es die Basketballer der Atlanta Hawks, die in der NBA spielen. Und dann gibt es die Footballer der Atlanta Falcons, die in der NFL spielen und gestern im Super Bowl gegen die New England Patriots verloren haben. Hawks, Falcons — so viele Vögel. Wer soll sich das denn alles merken können?

Also, noch einmal für alle: Die Hawks sind die Basketballer, die Falcons die Footballer. Hawks — Basketball. Falcons — Football. Verstanden?

Fragen wir doch mal die 7-jährige Lisa aus der 1b der Rolf-Töpperwien-Grundschule Barsinghausen: Wie heißt das Footballteam aus Atlanta, das in der NFL spielt?

Atlanta Falcons.

Genau. Und wie heißt das Basketballteam aus Atlanta, das in der NBA spielt?

Atlanta Hawks.

Korrekt.

Und jetzt noch mal dieselbe Frage an Julian Reichelt und sein Bild.de-Team: Wie heißt das Footballteam aus Atlanta, das in der NFL spielt?

Nee.

Die Hawks/Falcons-Verwechslung von Reichelts Team stammt aus einem Artikel, in dem es vor allem um US-Präsident Donald Trump geht. Der hatte dem US-TV-Sender “Fox” ein Interview gegeben, das kurz vor der Super-Bowl-Übertragung ausgestrahlt wurde. Und in diesem Interview ging es eben auch um Football.

Vier Zeilen später direkt der nächste Klops von Bild.de:

Trump glaubt, dass die Patriots, die letztes Jahr den Super Bowl gewonnen haben, einen Vorteil haben.

Das ist Quatsch. Die New England Patriots haben 2016 nicht den Super Bowl gewonnen. Sie haben nicht mal mitgespielt. Die Denver Broncos haben vergangenes Jahr die Carolina Panthers besiegt und den Titel geholt.

Das falsche Team aus Atlanta, der falsche Super-Bowl-Sieger — das hätte Reichelts Redaktion mit zwei Zehn-Sekunden-Google-Recherchen alles verhindern können. Einen anderen Fehler zum Super Bowl hätte Bild.de vermeiden können, wenn der für den Live-Ticker zuständige Mitarbeiter wenigstens ordentlich hingeschaut hätte:

Das würde ja bedeuten, dass George W. Bush inzwischen mit seiner Mutter verheiratet ist. Er war es natürlich nicht, der zusammen mit Barbara Bush “auf den Rasen geführt wurde”, sondern sein Vater George H. W. Bush.

Mit Dank an Alexander L., Jan H., @simpsons3 und @macerarius für die Hinweise!

Spiegels Trump-Cover, Politisches Framing, Yellow Fakes

1. Trump im SPIEGEL: Wozu ein Kopf-ab-Cover?
(schmalbart.de, Frank Zimmer & Christoph Kappes)
Das aktuelle “Spiegel”-Cover zeigt Donald Trump mit blutigem Schwert und dem abgeschlagenen Kopf von Miss Liberty. Das martialische Bild polarisiert in den sozialen Netzwerken wie selten. Auf “Schmalbart” vertreten Frank Zimmer und Christoph Kappes jeweils die Pro- und Kontra-Position.

2. „Wir gehen Trump immer noch auf den Leim“
(tagesspiegel.de, Thomas Eckert & Joachim Huber)
Der “Tagesspiegel” hat mit der Linguistin Elisabeth Wehling über “politisches Framing” gesprochen. Die Wissenschaftlerin lehrt und forscht an der University of California in Berkeley und hat kürzlich ein Buch zum Thema “Framing” vorgelegt. “Es gibt Gruppen, die tun unserer Gesellschaft nicht gut. Dazu gehören die Neo-Faschisten der AfD. Ich dekonstruiere Sprachbilder solcher Gruppen. Ich werbe dafür, nicht jeden sprachlichen Köder der AfD zu schlucken und breitzutreten. Wenn wir Ideen wiederholen, propagieren wir sie in den Köpfen der Menschen ­– ob wir es wollen oder nicht. Selbst wenn wir „dagegen“ sind. Das Negieren von Ideen stärkt sie – denken Sie nicht an einen rosaroten Elefanten!”

3. Warum wir unsere Kommentarspalte umbauen
(nzz.ch, Oliver Fuchs)
Bei der “Neuen Zürcher Zeitung” können künftig nicht mehr alle Artikel kommentiert werden. Die Gründe für den Wechsel erklärt der Social-Media-Redakteur der NZZ. “Wir glauben nicht, dass es weiterhin Sinn hat, wenn Leser alle Artikel kommentieren können. Gerade bei nachrichtlichen Meldungen entbrennt schnell ein Streit über die darin berichteten Fakten. So ist ein kurzer Agenturtext zu einer Demonstration in Ramallah aus unserer Sicht der falsche Ort, um die Geschichte Israels von Grund auf neu zu verhandeln. Zudem erreichen wir dank Google News, Twitter und Facebook zunehmend Leser, für welche NZZ.ch nicht zur Stammlektüre zählt. Diese treffen dann in der Kommentarspalte auf Leser, die uns seit Jahren kennen und lesen.”

4. Die wahre Heimat der Fake News
(faz.net, Jörg Thomann)
Jörg Thomann erinnert in seinem Kommentar in der “Faz” daran, dass “Fake News” nicht nur auf Facebook, sondern auch am Zeitungskiosk stattfinden. Woche für Woche bringt die Yellow Press seit Jahrzehnten erfundene Nachrichten über Schlagerstars und Königsclans unters Volk. Thomann warnt davor, das boulevardeske Treiben zu unterschätzen: “Man sollte sich aber nicht täuschen: Auch die Fake News der Yellow Press können Menschen verletzen und Ressentiments wecken, und zwar nicht nur gegen eine vermeintlich intrigante Herzogin Camilla.”

5. Überall Kontrollwahn
(taz.de, Johannes Kopp)
Der Zweitligaverein 1860 München gängelt die Medien: Schon drei Zeitungen wurde die Dauerakkreditierung entzogen. Dies sei nur die Spitze des gewöhnlichen Irrsinns im deutschen Profifußball, so Jörg Thomann in der “taz” und habe mit der Verkaufslogik zu tun, nach der die Vereine verfahren würden. Wie bei einem Wirtschaftsunternehmen solle das eigene Markenprodukt vor den kleinsten Kratzern geschützt werden.

6. Die South-Park-Macher verzweifeln an Trump
(ze.tt, Till Eckert)
Die South-Park-Macher sind für ihren derben Humor bekannt und die Vehemenz, mit der sie durch Übertreibungen satirisch zuspitzen. Das Thema Trump hat sie jedoch überfordert, wie sie in einem Interview zugeben: “Wir haben wirklich versucht, irgendwas Witziges aus dem zu machen, was da gerade abgeht. Aber wir konnten einfach nicht Schritt halten.”

Spiegel Daily, Kristallkugel Demoskopie, Martenstoned

1. Erste Details zu „Spiegel Daily“
(horizont.net, Ulrike Simon)
Der “Spiegel” will in den nächsten Monaten die digitale Tageszeitung „Spiegel Daily“ starten. Ulrike Simon liefert erste Einblicke in das redaktionelle Konzept, das mehrstufige Abomodell und das Zusammenspiel mit „Spiegel Online“. Die offizielle Pressemitteilung dazu gibt es hier. Projektbeteiligter Cordt Schnibben schildert auf seiner Facebookseite die Entstehungsgeschichte der Idee vom ersten Prototypen bis heute. Und kann sich einen Seitenhieb auf seinen ehemaligen Chefredakteur nicht verkneifen.

2. “Eine beeindruckende Gestalt”
(sueddeutsche.de, Evelyn Roll)
Der Publizist Jürgen Todenhöfer ist seit kurzem Herausgeber des “Freitag”. Chefredakteur Jakob Augstein erklärt, warum. Die Zuweisung “umstritten” in der Eingangsfrage will er nicht so stehen lassen: “Sie sagen, er sei umstritten. Das ist doch interessant – dem arrivierten Medienbetrieb ist ausgerechnet ein Mann suspekt, der nicht vom Schreibtisch aus urteilt, sondern sich selbst ein Bild macht. Eine sonderbare Umkehrung. Die meisten von uns haben ihre Informationen aus dem Netz oder aus dem Fernsehen und verlassen sich blind darauf. Aber jemand, der es selber wissen will, der sich Mühen und Gefahren der Reise und der Recherche aussetzt, der ist uns verdächtig.”

3. Ist das zu viel des Trump? Nein.
(udostiehl.wordpress.com)
Muss wirklich jeder Schritt des neuen amerikanischen Präsidenten auseinandergenommen werden? Auf jeden Fall und mit aller Konsequenz, findet Udo Stiehl: “Es dauert vielleicht jetzt etwas länger, bis ein ausgewogener und verlässlicher Artikel geschrieben ist, oder ein entsprechender Fernseh- oder Hörfunkbeitrag. Das kostet Zeit und Kraft. Aber das dürfen unsere Zuschauer, Hörer und Leser wohl auch erwarten von uns.”

4. „Regierung ist nicht die Instanz“
(taz.de, René Martens)
Die Bundesregierung plant, gesetzlich gegen sogenannte Fake News vorzugehen. Im Gespräch ist auch ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“. Der Rechtswissenschaftler und emeritierter Professor für öffentliches Recht Karl-Heinz Ladeur warnt vor solchen staatlichen Maßnahmen und regt die Einrichtung privater Schiedsgerichte an.

5. Die Kristallkugel
(de.ejo-online.eu, Thomas Petersen)
Thomas Petersen ist Privatdozent an der TU Dresden und arbeitet als Projektleiter am “Institut für Demoskopie Allensbach”. In seinem Beitrag erklärt er, was Demoskopie leisten kann und was nicht. Umfrageforscher würden viel zu oft als Wahrsager wahrgenommen werden. Für ihn ist das nichts: “Wenn mir das nächste Mal wieder ein Journalist die Kristallkugel entgegenhält mit der Aufforderung, hineinzuschauen, sollte ich sie vielleicht gleich an ihn weiterreichen.”

6. Über Flüchtlinge, Autos, Wohlbefinden und Todesgefahren.
(herrfischer.net, Tin Fischer)
Tin Fischer hat die neueste Martenstein-Kolumne im Zeit-Magazin gelesen (“Opferzahlen und Gewissensfragen”). Darin fragt Martenstein “Würden Sie Ihr Leben opfern, um 20 Flüchtlinge zu retten?” Fischer kam ins Grübeln und hat sich in die offiziellen Zahlen eingearbeitet. Abgesehen davon, dass die Martenstein-Zahl angreifbar ist, kommt Fischer zu dem Schluss, dass die größte Bedrohung für sein Leben, die direkt von anderen Leuten ausgeht, laut “Todesursachen”-Rubrik des Statistischen Bundesamtes Autos und LKWs seien. Also dreht er die Argumentationsrichtung: “Ich will Harald Martenstein nicht unterstellen, dass er mit seinem Auto nur durch Berlin fährt, um an einer Kreuzung mal eben schnell rechts abzubiegen, wenn er mich mit meinem Fahrrad im Rückspiegel sieht. Aber sagen wir es so: er nimmt es zumindest ein klein wenig in Kauf, mich allenfalls umzubringen.”

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