Archiv für November 10th, 2016

Atomkoffer! Trump! Apokalypse!

So, der erste Schock über die Wahl von Donald Trump zum kommenden US-Präsidenten könnte langsam verdaut sein. Vielleicht mal Zeit für eine sachliche, durchdachte Analyse.

Hättet ihr da was im Angebot, liebe Mitarbeiter von krone.at?

Sein Aussehen ist unscheinbar, doch sein Inhalt könnte die Apokalypse auslösen: Ein Lederkoffer, von einem Adjutanten getragen, wird auch den gerade erst gekürten 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten auf Schritt und Tritt begleiten.

Na ja, einen Versuch war’s wert.

Mit Dank an @i_am_fabs und @coralandmauve für Screenshot und Hinweis!

Wie haben die Fake-Promis reagiert?

Zum klassischen Journalismus-Abspulprogramm nach Großereignissen gehört auch die Antwort auf die Frage: “Wie haben Promis reagiert?” Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist ohne Zweifel so ein Großereignis.

Also, express.de und berliner-kurier.de, wie haben denn nun die Promis reagiert?


Puh, ziemlich heftig. Die Aussage “‘F*** deine Eltern'” soll von der Sängerin Cher stammen:

Besonders heftige Reaktionen kamen von Cher. Sie setzte mehrere Tweets voller Verachtung ab. Die Sängerin fühlte sich gar an das Deutsche Reich erinnert: “So wie in Deutschland in den 30ern haben Ärger und Wut die USA erfasst.” Am Ende wurde die 70-Jährige ganz schön ausfällig: “Fick deine Eltern, Trump!”

Den Tweet mit “Deutschland in den 30ern” hat Cher tatsächlich geschrieben:

Die wüste Beschimpfung in Richtung der Trump-Eltern stammt hingegen von einem anderen Account. Den Tweet haben die beiden Schwester-Portale express.de und berliner-kurier.de dankenswerterweise sogar in ihren Artikeln eingebettet:

Nun könnte der Name “PARODY CHER ACCOUNT” schon ein Hinweis darauf sein, dass es sich nicht unbedingt um den offiziellen Twitter-Kanal von Cher handelt. Ziemlich sicher ist die Sache dann, wenn man sich die Beschreibung des Accounts ansieht:

*I AM NOT CHER* PARODY ACCOUNT Please Follow CHER HERE @Cher

Bei shz.de ist das falsche Cher-Zitat ebenfalls aufgetaucht:

Nach der Entscheidung in der Nacht zu Mittwoch twitterte Cher beinahe im Minutentakt — mit zum Teil heftigen Reaktionen. “Fick dich, Donald Trump” schrieb sie ebenso wie “Fick deine Eltern, Trump”.

Unter den Artikeln von express.de und berliner-kurier.de steht als Quelle übrigens “dpa”. In weiten Teilen stimmt das auch — die “dpa” hat tatsächlich eine Zusammenstellung mit Promi-Reaktionen auf Trumps Sieg rausgeschickt. Die Stelle mit der falschen Cher haben die beiden Redaktionen aber selber hinzugefügt.

Mit Dank an Michael W. für den Hinweis!

Medienversagen, Mafia, Wakaliwood

1. Die US-Wahl, die Medien und ihre Vorhersagen (Links im Text)
(diverse)
In der Wahl von Donald Trump zum künftigen Präsidenten der USA sehen viele auch ein Versagen der Journalisten und ihrer Vorhersagen. Sascha Lobo schreibt in seiner Kolumne bei “Spiegel Online” vom Scheitern der Medien und Meinungsforscher “an den Mechanismen moderner Meinungsbildung” (“Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Sonst ist Trump unser kleinstes Problem”). Bei persoenlich.com sagt Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, Trump sei der “grosse Profiteur einer veränderten Medienwelt” (“‘Trump hat von einer veränderten Medienwelt profitiert'”). Christian Jakubetz schreibt in seinem Blog von einer “bitteren Lektion” für “Journalisten, Medien und Social-Media-Enthusiasten” (“Eine Ohrfeige namens Trump”). Die Wahl von Donald Trump zeige, “wie sehr sich die Bürger von den klassischen Medien abgewandt haben — und andersherum”, so Julian Dörr bei sueddeutsche.de (“Trump und “Breitbart” triumphieren über das Establishment”). Joshua Benton analysiert bei “NiemanLab”, dass sowohl Journalisten als auch Facebook dazu beitrügen, dass sich die Gesellschaft in “two self-contained, never-overlapping sets of information” bewege (“The forces that drove this election’s media failure are likely to get worse”). Rasmus Kleis Nielsen denkt auf seiner Website darüber nach, was die Wahl für die Sozialwissenschaften bedeuten könnte (“‘A desk is a dangerous place from which to view the world.’ Social science and the 2016 elections”). Danah Boyd sagt klipp und klar “I blame the media” und kritisiert fehlende Selbstreflexion der Medien sowie ein mangelndes Verständnis der eigenen Schwächen (“Reality check: I blame the media.”). Jim Rutenberg und James Poniewozik fragen in der “New York Times”, ob sich die Medien von dieser Wahl wieder erholen können (“Can the Media Recover From This Election?”). Und Margaret Sullivan wirft den Journalisten in der “Washington Post” vor, dass sie nicht richtig hingehört und hingeschaut hätten (“The media didn’t want to believe Trump could win. So they looked the other way.”).

2. War das Volksverhetzung?
(faz.net, Michael Hanfeld)
Der Auftritt einer vollverschleierten Konvertitin in der Talkrunde von Anne Will am vergangenen Sonntag hat jetzt auch rechtliche Folgen — eine Rechtsanwältin aus Neuruppin soll Strafanzeige gestellt haben, “‘wegen aller in Frage kommenden Straftaten'”, schreibt Michael Handfeld. In einer Stellungnahme verteidigt “Anne Will”-Redaktionsleiter Andreas Schneider die Einladung der Frau: “Um das ganze Spektrum der Problematik abzubilden, die im Tatort [lief im Vorfeld der Sendung] angespielt wurde, war es Absicht der Redaktion, auch eine radikalisierte Person in die Gesprächsrunde zu laden.”

3. “Dort verkehren auch Politiker”
(taz.de, Ambros Waibel)
Gestern Abend lief beim “MDR” Ludwig Kendzias Reportage “Revier der Paten — Mafia in Mitteldeutschland” (Video, 29:45 Minuten). Im Interview mit der “taz” erklärt er, warum es schon rein rechtlich schwierig ist, über die Mafia zu berichten: “In Italien ist die nachgewiesene Zugehörigkeit zur Mafia strafbar. Das ist bei uns nicht so und macht es für Journalisten enorm schwierig, identifizierend zu berichten. Wir müssen uns aufs Allgemeine zurückziehen.”

4. O-Töne herstellen? Geht jetzt!
(radio-machen.de, Sandra Müller)
“Adobe”, die Firma, die auch Photoshop entwickelt hat, hat vor einigen Tagen Voco vorgestellt (Video, 7:20 Minuten). Damit kann man — kurz gesagt — am Computer durch die Eingabe oder das Löschen von Wörtern Sprachaufnahmen so verändern, dass ganz neue Aussagen entstehen. Sandra Müller warnt vor dieser “perfekten Audio-Manipulationsmaschine”.

5. Journalisten nicht ins Asylverfahren treiben
(reporter-ohne-grenzen.de)
Nachdem Michael Roth, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, in einem Interview mit der “Welt” verfolgten türkischen Journalisten Asyl in Deutschland in Aussicht gestellt hatte, kritisieren die “Reporter ohne Grenzen”, dass Roths Angebot an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigehe: “Die weitaus meisten der türkischen Medienschaffenden, die sich mit der Bitte um Zuflucht in Deutschland an Reporter ohne Grenzen wenden, wollen weder politisches Asyl noch dauerhaft im Ausland bleiben. Ihnen geht es vielmehr um vorübergehende Zuflucht, bis sich die politische Situation in der Türkei beruhigt hat — und vor allem darum, ihre journalistische Arbeit fortzusetzen. Würden sie politisches Asyl beantragen, könnten sie jedoch während eines Verfahrens von ungewisser Dauer nur sehr schwer eine Arbeit aufnehmen und wären in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.”

6. Wakaliwood: Actionfilme aus Ugandas Slum
(ndr.de, Bastian Berbner, Video, 12:04 Minuten)
Isaac Nabwana braucht gerade mal ein Budget von 160 Dollar, um einen ganzen Spielfilm zu drehen. Nabwana ist Kameramann, Regisseur und die zentrale Person von Wakaliwood, Ugandas Film-Hotspot in Wakaliga. Bastian Berbner war im Slum in der Nähe der Hauptstadt Kampala dabei, als mit Hilfe von Kunstblut in Kondomen und Maschinengewehren aus Abwasserrohren ein neuer Actionfilm im typischen Wakaliwood-Stil entstanden ist.